TE Vwgh Erkenntnis 1998/9/4 95/19/0807

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Veröffentlicht am 04.09.1998
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Index

40/01 Verwaltungsverfahren;

Norm

AVG §37;
AVG §39 Abs2;
AVG §66 Abs4;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Stoll und die Hofräte Dr. Zens und Dr. Schick als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Brandtner, über die Beschwerde der 1967 geborenen R S in Wien, vertreten durch Dr. W, Rechtsanwalt in Wien, gegen den Bescheid des Bundesministers für Inneres vom 10. Juli 1995, Zl. 301.930/2-III/11/95, betreffend Zurückweisung einer Berufung in einer Angelegenheit des Aufenthaltsgesetzes, zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund hat der Beschwerdeführerin Aufwendungen in der Höhe von S 12.770,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Die Beschwerdeführerin stellte am 9. September 1994 beim Magistrat der Stadt Wien einen als "Verlängerungsantrag" bezeichneten Antrag auf Erteilung einer Aufenthaltsbewilligung. Als gesicherte Unterkunft in Österreich war auf dem Antragsformular eine Adresse im

16. Wiener Gemeindebezirk angegeben. Im Verwaltungsakt erliegen weiters die Kopien mehrerer Meldezettel, darunter der einer Anmeldung vom 19. Jänner 1994 an der bereits genannten Adresse (vgl. OZl. 17 des Verwaltungsaktes).

Mit Bescheid vom 31. Oktober 1994 wies der Landeshauptmann von Wien den Antrag gemäß § 6 Abs. 3 des Aufenthaltsgesetzes mangels rechtzeitiger Antragstellung zurück. In der Zustellverfügung wird als Empfänger die Beschwerdeführerin, als ihre Adresse die bereits erwähnte Adresse im 16. Wiener Gemeindebezirk angegeben. Dieselbe Adresse findet sich auch auf dem im Verwaltungsakt erliegenden Rückschein, demzufolge am 10. November 1994 ein Zustellversuch stattgefunden hat. Die Hinterlegung der Sendung erfolgte nach den Angaben auf dem Rückschein beim Zustellpostamt 1170 Wien, als Beginn der Abholfrist ist der 11. November 1994 vermerkt. Auf dem Briefkuvert, in dem der zuzustellende Bescheid enthalten war, findet sich der Stempel "ZURÜCK Nicht behoben" (vgl. OZl. 23 des Verwaltungsaktes). Auf der im Verwaltungsakt erliegenden Bescheidkopie findet sich ein handschriftlicher Vermerk mit dem Wortlaut "Bescheid übernommen: 17.III.1995" sowie die Unterschrift der Beschwerdeführerin (vgl. OZl. 24 des Verwaltungsaktes). Aus einem Aktenvermerk (vgl. OZl. 25 des Verwaltungsaktes) geht hervor, daß die Beschwerdeführerin am 17. März 1995 eine Kopie des "bereits rechtskräftigen" Bescheides vom 31. Oktober 1994 erhalten habe.

Mit am 17. März 1995 zur Post gegebenem Schriftsatz vom selben Tag erhob die Beschwerdeführerin Berufung. Als Adresse ist auf dem Schriftsatz eine Wohnadresse im 14. Wiener Gemeindebezirk angegeben. Als Betreff gab die Beschwerdeführerin an "Bescheid vom 31. Oktober 1994 der aber erst am 17. März von mir übernommen worden ist".

Der Bundesminister für Inneres wies die Berufung mit Bescheid vom 10. Juli 1995 gemäß § 66 Abs. 4 AVG zurück. In der Begründung führte der Bundesminister für Inneres aus, daß die Zustellung rechtswirksam am 11. November 1994 erfolgt sei und die Berufung erst am 17. März 1995 und daher verspätet eingebracht worden sei, sei spruchgemäß zu entscheiden gewesen.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde. Der Bescheid der Behörde erster Instanz sei der Beschwerdeführerin an die Adresse im 16. Wiener Gemeindebezirk zugestellt worden, wo die Beschwerdeführerin aber bereits nicht mehr gewohnt habe und dies der Behörde auch mitgeteilt habe. Die richtige Adresse sei die bereits in der Berufung angegebene Adresse im 14. Wiener Gemeindebezirk gewesen. Die Beschwerdeführerin habe erst am 10. März vom Bescheid Kenntnis erlangt und habe innerhalb der zweiwöchigen Berufungsfrist Berufung erhoben. Die Zustellung des erstinstanzlichen Bescheides sei mangelhaft erfolgt. Es wäre Aufgabe der Berufungsbehörde gewesen, der Beschwerdeführerin die von ihr angenommene Verspätung der Berufung vorzuhalten.

Der Verwaltungsgerichtshof hat über die Beschwerde in dem gemäß § 12 Abs. 1 Z. 2 VwGG gebildeten Senat erwogen:

Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes hat die Behörde, bevor sie die Zurückweisung eines Rechtsmittels ausspricht, zu prüfen, ob die Zustellung des angefochtenen Bescheides ordnungsgemäß erfolgt ist, und das Ergebnis ihrer Feststellungen dem Rechtsmittelwerber vor ihrer Entscheidung vorzuhalten. Hiebei hat die Behörde nach § 37 AVG und § 39 Abs. 2 AVG von Amts wegen vorzugehen, zumal der Berufungswerber nicht verpflichtet ist, von vornherein alle Umstände anzuführen, aus denen er die Rechtzeitigkeit seiner Berufung ableitet. Wird dies von der Rechtsmittelbehörde unterlassen, so trägt sie das Risiko einer Bescheidaufhebung wegen unterlaufener Verfahrensmängel (vgl. die bei Walter-Thienel, Die österreichischen Verwaltungsverfahrensgesetze I (1998), S. 1260 (E. 87 und 88) angegebene hg. Judikatur).

Im Falle der Beschwerdeführerin hat die belangte Behörde ungeachtet des Umstandes, daß die Beschwerdeführerin in ihrer Berufung vom 17. März 1995 als Wohnadresse eine Adresse im 14. Wiener Gemeindebezirk angegeben hatte und ausdrücklich vorgebracht hatte, den Bescheid der Behörde erster Instanz erst am selben Tag übernommen zu haben, kein Ermittlungsverfahren zur Frage der wirksamen Zustellung durch Hinterlegung am 10. November 1997 geführt. Wie das Beschwerdevorbringen, das nicht dem Neuerungsverbot unterliegt, aufzeigt, ergibt sich jedoch - das Zutreffen dieses Vorbringens vorausgesetzt -, daß die belangte Behörde bei Durchführung des gebotenen Ermittlungsverfahrens zu einem anderen Bescheid hätte gelangen können.

Jedenfalls wenn es zutrifft, daß die Beschwerdeführerin im Zeitpunkt der Zustellung an der Adresse im 16. Wiener Gemeindebezirk infolge Änderung ihrer Abgabestelle keine Abgabestelle im Sinne des § 4 des Zustellgesetzes mehr hatte - dies der Behörde erster Instanz vorher mitgeteilt hatte - und den erstinstanzlichen Bescheid erst am 17. März 1995 bei der Behörde übernommen hatte, so wäre davon auszugehen gewesen, daß dieser der Person, für die er bestimmt war (der Beschwerdeführerin) erst zu diesem Zeitpunkt tatsächlich zugekommen ist, weshalb die Zustellung als in diesem Zeitpunkt gemäß § 7 des Zustellgesetzes als vollzogen zu gelten gehabt hätte. Die am selben Tag zur Post gegebene Berufung der Beschwerdeführerin wäre dann als rechtzeitig zu werten gewesen.

Indem die belangte Behörde Ermittlungen darüber unterließ, ob die Beschwerdeführerin ihre Abgabestelle, an die der erstinstanzliche Bescheid adressiert war, bereits geändert hatte, und ihre Annahme von der Verspätung der Berufung der Beschwerdeführerin auch nicht vorhielt, hat sie Verfahrensvorschriften außer acht gelassen, bei deren Einhaltung sie wie aufgezeigt zu einem anderen Bescheid hätte gelangen können.

Der angefochtene Bescheid war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 lit. c VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.

Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994.

Wien, am 4. September 1998

Schlagworte

Inhalt der Berufungsentscheidung Voraussetzungen der meritorischen Erledigung Zurückweisung (siehe auch §63 Abs1, 3 und 5 AVG)

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:1998:1995190807.X00

Im RIS seit

20.11.2000
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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