TE Bvwg Erkenntnis 2019/9/5 W139 2218045-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 05.09.2019
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Entscheidungsdatum

05.09.2019

Norm

AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §3 Abs4
AsylG 2005 §3 Abs5
AsylG 2005 §34 Abs2
B-VG Art. 133 Abs4
VwGVG §28 Abs2

Spruch

W139 2194579-1/15E

W139 2218045-1/11E

W139 2194584-1/10E

W139 2194572-1/9E

W139 2194575-1/9E

Schriftliche Ausfertigung des am 19.07.2019 mündlich verkündeten Erkenntnisses:

IM NAMEN DER REPUBLIK

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch die Richterin Mag. Kristina HOFER als Einzelrichterin über die Beschwerden von

(1) XXXX , geb. XXXX ,

(2) XXXX , geb. XXXX ,

(3) XXXX , geb. XXXX ,

(4) XXXX , geb. XXXX und

(5) XXXX , geb. XXXX ,

alle StA. Afghanistan, (3), (4) und (5) gesetzlich vertreten durch die Mutter XXXX , (1) und (2) vertreten durch RA Mag. Nadja LORENZ, Burggasse 116/17-19, 1070 Wien, gegen Spruchpunkt I. der Bescheide des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl (1) vom XXXX , Zl. XXXX ,

(3) vom XXXX , Zl. XXXX , (4) vom XXXX , Zl. XXXX und (5) vom XXXX , Zl. XXXX sowie gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl (2) vom XXXX , Zl. XXXX , nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 03.07.2019 sowie fortgesetzt am 19.07.2019 zu Recht:

A)

I. Der Beschwerde von XXXX , geb. XXXX , StA. Afghanistan, wird gemäß § 28 Abs 2 VwGVG stattgegeben und XXXX gemäß § 3 Abs 1 AsylG 2005 der Status der Asylberechtigten zuerkannt.

Gemäß § 3 Abs 5 AsylG 2005 wird festgestellt, dass XXXX damit kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukommt.

II. Der Beschwerde von XXXX , geb. XXXX , StA. Afghanistan, wird gemäß § 28 Abs 2 VwGVG stattgegeben und XXXX gemäß § 3 Abs 1 iVm § 34 Abs 2 AsylG 2005 der Status des Asylberechtigten zuerkannt.

Gemäß § 3 Abs 5 AsylG 2005 wird festgestellt, dass XXXX damit kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukommt.

III. Der Beschwerde von XXXX , geb XXXX , StA. Afghanistan, wird gemäß § 28 Abs 2 VwGVG stattgegeben und XXXX gemäß § 3 Abs 1 iVm § 34 Abs 2 AsylG 2005 der Status des Asylberechtigten zuerkannt.

Gemäß § 3 Abs 5 AsylG 2005 wird festgestellt, dass XXXX damit kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukommt.

IV. Der Beschwerde von XXXX , geb. XXXX , StA. Afghanistan, wird gemäß § 28 Abs 2 VwGVG stattgegeben und XXXX gemäß § 3 Abs 1 iVm § 34 Abs 2 AsylG 2005 der Status der Asylberechtigten zuerkannt.

Gemäß § 3 Abs 5 AsylG 2005 wird festgestellt, dass XXXX damit kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukommt.

V. Der Beschwerde von XXXX , geb. XXXX , StA. Afghanistan, wird gemäß § 28 Abs 2 VwGVG stattgegeben und XXXX gemäß § 3 Abs 1 iVm § 34 Abs 2 AsylG 2005 der Status der Asylberechtigten zuerkannt.

Gemäß § 3 Abs 5 AsylG 2005 wird festgestellt, dass XXXX damit kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukommt.

B)

Die Revision ist gemäß Art 133 Abs 4 B-VG nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang:

1. Die Erstbeschwerdeführerin (Zl. W139 2194579-1), eine afghanische Staatsangehörige, reiste mit ihrem minderjährigen Sohn, dem Drittbeschwerdeführer (Zl. W139 2194584-1) und ihrer minderjährigen Tochter, der Viertbeschwerdeführerin (Zl. W139 2194572-1) in das österreichische Bundesgebiet ein und stellte gemeinsam mit diesen am 14.07.2017 einen Antrag auf internationalen Schutz.

2. In ihrer Erstbefragung am 15.07.2017 durch Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes gab die Erstbeschwerdeführerin im Wesentlichen an, sie stamme aus der Provinz Laghman, Afghanistan. Sie sei verheiratet und ihr Ehemann und Vater ihrer Kinder (der Zweitbeschwerdeführer, Zl. W139 2218045-1) befinde sich derzeit in Griechenland. Zu ihrem Fluchtgrund führte sie aus, ihr Ehemann sei von den Taliban bedroht worden, da er für die Staatsanwaltschaft in Laghman gearbeitet habe. Die Erstbeschwerdeführerin habe von ihrer Tante mütterlicherseits zwei Cousins, die den Taliban angehören würden. Diese hätten ihren Mann - der ebenso ihr Cousin mütterlicherseits sei, jedoch von einer anderen Tante - töten wollen, da er für die Regierung gearbeitet habe. In Afghanistan gebe es gar keine Sicherheit, es sei unsicher und es gebe keine Rechte für Frauen. Sie und ihre Familie hätten Angst um ihr Leben gehabt und deswegen hätten sie flüchten müssen.

Die Erstbeschwerdeführerin machte als gesetzliche Vertreterin für ihren Sohn und ihre Tochter keine eigenen Fluchtgründe geltend.

3. Am XXXX wurde in Österreich die Fünftbeschwerdeführerin (Zl. W139 2194575-1), die zweite Tochter der Erstbeschwerdeführerin und ihres Ehemannes, geboren. Am 19.10.2017 stellte die Erstbeschwerdeführerin als gesetzliche Vertreterin für ihre Tochter einen Antrag auf internationalen Schutz. Für sie wurden keine eigenen Fluchtgründe geltend gemacht.

4. Die Erstbeschwerdeführerin gab bei ihrer niederschriftlichen Einvernahme vor der belangten Behörde am 26.01.2018 im Wesentlichen an, sie habe in Afghanistan fünf Jahre die Schule besucht. Sie habe keinen Beruf erlernt und auch nicht gearbeitet. Sie habe geheiratet und ihr Mann habe für sie gesorgt. Zu ihrem Fluchtgrund führte sie aus, ihr Mann habe in Laghman für die Staatsanwaltschaft gearbeitet. Er sei Sekretär bzw Schriftführer eines Staatsanwalts gewesen und sie hätten zwei wichtige Taliban-Kommandanten festgenommen. Ihr Mann habe diese einvernommen. Zwei Cousins seien ebenso Taliban und diese hätten ihren Mann angerufen und gesagt, er solle die zwei Kommandanten freilassen und die Taliban würden Geld dafür zahlen. Andernfalls würden sie, die Cousins, sowohl den Ehemann der Erstbeschwerdeführerin und die Familie als auch den Staatsanwalt und dessen Familie töten. Ihr Mann habe die Geschichte dem Staatsanwalt erzählt und dieser habe gesagt, man könnte nichts machen. Nach ca. einer Woche sei der Staatsanwalt durch Taliban erschossen worden. Danach habe ihr Mann einen Drohanruf bekommen, man würde ihn und seine Familie töten. Dadurch seien die Erstbeschwerdeführerin und ihre Familie gezwungen gewesen, aus Afghanistan zu fliehen. In Österreich wolle die Erstbeschwerdeführerin Deutsch lernen und sich ausbilden lassen. Die Erstbeschwerdeführerin legte u.a. eine Tazkira und eine Heiratsurkunde vor.

Für die polizeiliche Erstbefragung und die Einvernahme vor der belangten Behörde bezüglich der Dritt- bis Fünftbeschwerdeführer wird auf den Verfahrensgang der Erstbeschwerdeführerin verwiesen. In den Akten der Kinder befinden sich keine eigenen Einvernahmeprotokolle.

5. Mit den angefochtenen Bescheiden vom XXXX wurden die Anträge der Erstbeschwerdeführerin und der Dritt- bis Fünftbeschwerdeführer auf internationalen Schutz hinsichtlich der Zuerkennung des Status der Asylberechtigten gemäß § 3 Abs 1 iVm § 2 Abs 1 Z 13 AsylG 2005 abgewiesen (Spruchpunkt I.). Der Erstbeschwerdeführerin wurde gemäß § 8 Abs 1 AsylG 2005 und den Dritt- bis Fünftbeschwerdeführern wurde gemäß § 8 Abs 1 iVm § 34 Abs 3 AsylG 2005 der Status der subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt (Spruchpunkt II.) und ihnen wurde gemäß § 8 Abs 4 AsylG 2005 eine befristete Aufenthaltsberechtigung bis zum XXXX erteilt (Spruchpunkt III.).

6. Mit Schreiben vom 02.05.2018 erhoben die Erstbeschwerdeführerin und die Dritt- bis Fünftbeschwerdeführer fristgerecht Beschwerde gegen Spruchpunkt I. der genannten Bescheide. Darin wurde insbesondere vorgebracht, die Erstbeschwerdeführerin befürchte aufgrund ihrer Zugehörigkeit zur sozialen Gruppe der westlich orientierten Frauen Verfolgung in Afghanistan. Sie sei sehr selbständig und auf ihre Unabhängigkeit bedacht. Sie wolle ohne Zwang leben und trage ihr Kopftuch sehr locker oder gar nicht. Die Erstbeschwerdeführerin genieße ihre Bewegungsfreiheit und sei bildungsorientiert. Da sie faktisch alleinstehend für ihre nunmehr drei Kinder sorgen müsse und niemanden für die Kinderbetreuung habe, habe sie keinen Deutschkurs besuchen können, wolle dies jedoch künftig tun. Danach wolle sie einer Arbeit nachgehen. Wichtig sei für die Erstbeschwerdeführerin eine gleichberechtigte Partnerschaft und sie wolle auch für ihre Kinder eine gute Ausbildung und die gleichen Rechte und Pflichten für ihre Töchter wie für ihren Sohn.

7. Der Ehemann der Erstbeschwerdeführerin, der Zweitbeschwerdeführer (Zl. W139 2218045-1), ebenfalls ein afghanischer Staatsangehöriger, reiste in das österreichische Bundesgebiet ein und stellte am 22.10.2018 einen Antrag auf internationalen Schutz.

Die Erstbefragung des Zweitbeschwerdeführers durch Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes erfolgte am 22.10.2018.

Die niederschriftliche Einvernahme des Zweitbeschwerdeführers vor der belangten Behörde fand am 08.01.2019 statt.

8. Mit dem angefochtenen Bescheid vom XXXX wies die belangte Behörde den Antrag des Zweitbeschwerdeführers auf internationalen Schutz sowohl hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 3 Abs 1 iVm § 2 Abs 1 Z 13 AsylG 2005 (Spruchpunkt I.) als auch hinsichtlich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Afghanistan gemäß § 8 Abs 1 iVm § 2 Abs 1 Z 13 AsylG 2005 (Spruchpunkt II.) ab. Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen wurde gemäß § 57 AsylG nicht erteilt (Spruchpunkt III.). Gemäß § 10 Abs 1 Z 3 AsylG iVm § 9 BFA-VG wurde gegen den Zweitbeschwerdeführer eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs 2 Z 2 FPG erlassen (Spruchpunkt IV.). Es wurde gemäß § 52 Abs 9 FPG festgestellt, dass die Abschiebung gemäß § 46 FPG nach Afghanistan zulässig sei (Spruchpunkt V.). Gemäß § 55 Abs 1 bis 3 FPG betrage die Frist für die freiwillige Ausreise des Zweitbeschwerdeführers 14 Tage ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung (Spruchpunkt VI.).

Mit Schreiben vom 11.04.2019 erhob der Zweitbeschwerdeführer fristgerecht Beschwerde gegen diesen Bescheid.

9. Mit Bescheiden vom XXXX wurde der Erstbeschwerdeführerin (Bescheid zu Zl. XXXX ), dem Drittbeschwerdeführer (Zl. XXXX ), der Viertbeschwerdeführerin (Zl. XXXX ) und der Fünftbeschwerdeführerin (Zl. XXXX ) von der belangten Behörde der ihnen mit oben genannten Bescheiden vom XXXX zuerkannte Status der subsidiär Schutzberechtigten gemäß § 9 Abs 1 AsylG 2005 von Amts wegen aberkannt (Spruchpunkt I.). Die erteilte befristete Aufenthaltsberechtigung als subsidiär Schutzberechtigte wurde ihnen gemäß § 9 Abs 4 AsylG entzogen (Spruchpunkt II). Die Anträge vom 14.02.2019 auf Verlängerung der befristeten Aufenthaltsberechtigung gemäß § 8 Abs 4 AsylG wurden abgewiesen (Spruchpunkt III.). Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen wurde gemäß § 57 AsylG nicht erteilt (Spruchpunkt IV.). Gemäß § 10 Abs 1 Z 5 AsylG iVm § 9 BFA-VG wurde gegen die Erstbeschwerdeführerin und die Drittbis Fünftbeschwerdeführer eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs 2 Z 4 FPG erlassen (Spruchpunkt V.). Es wurde gemäß § 52 Abs 9 FPG festgestellt, dass die Abschiebung gemäß § 46 FPG nach Afghanistan zulässig sei (Spruchpunkt VI.). Gemäß § 55 Abs 1 bis 3 FPG betrage die Frist für die freiwillige Ausreise 14 Tage ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung (Spruchpunkt VII.).

Gegen die vier zuletzt genannten Bescheide wurde mit Schreiben vom 11.04.2019 fristgerecht Beschwerde erhoben. Die betreffenden Verfahren sind beim Bundesverwaltungsgericht anhängig (Zl. W139 2194579-2, W139 2194584-2, W139 2194572-2 und W139 2194575-2) und werden gesondert geführt.

10. Am 03.07.2019, fortgesetzt am 19.07.2019, fand vor dem Bundesverwaltungsgericht eine öffentliche mündliche Verhandlung unter Beisein eines Dolmetschers bzw einer Dolmetscherin für die Sprachen Paschtu und Dari statt, bei welcher die Erstbeschwerdeführerin und der Zweitbeschwerdeführer einvernommen wurden. Die belangte Behörde blieb der Verhandlung entschuldigt fern. In Ergänzung der bereits vorgelegten Unterlagen wurden weitere Dokumente vorgelegt (u.a. Deutschkurs-Teilnahmebestätigungen der Erstbeschwerdeführerin, Zeugnis zur Integrationsprüfung A1 des Zweitbeschwerdeführers, diverse Kursteilnahmebestätigungen, Schulbesuchsbestätigung des Drittbeschwerdeführers, Kindergartenanmeldung für die Viert- und Fünftbeschwerdeführerinnen, Unterstützungsschreiben und ein Zeitungsartikel).

Im Rahmen der Verhandlung wurden die Erstbeschwerdeführerin und der Zweitbeschwerdeführer u.a. ausführlich zu ihrer Identität, ihrer Herkunft und Volksgruppen- und Religionszugehörigkeit, ihren Familienverhältnissen, ihren Fluchtgründen, ihrem Leben in Österreich sowie zu ihrer Lebenseinstellung befragt.

Das erkennende Gericht brachte Erkenntnisquellen zum Herkunftsstaat der Beschwerdeführer in das Verfahren ein (aktualisierte Fassung des Länderinformationsblattes der Staatendokumentation, Stand 29.06.2018, letzte Kurzinformation eingefügt am 04.06.2019) und verwies auf den Country Report on Human Rights Practices 2017 des US Department of State, auf die UNHCR-Richtlinien zur Feststellung des internationalen Schutzbedarfs afghanischer Asylsuchender vom 30.08.2018 sowie auf die Anmerkungen von UNHCR zur Situation in Afghanistan auf Anfrage des deutschen Bundesministerium des Innern Dezember 2016, und auf den Amnesty International Report 2017/18 - The State of the World's Human Rights - Afghanistan, 22. Februar 2018.

Nach Schluss der mündlichen Verhandlung verkündete die Richterin das gegenständliche Erkenntnis samt den wesentlichen Entscheidungsgründen und erteilte eine Rechtsmittelbelehrung. Die Beschwerdeführer verzichteten nach Belehrung über die Folgen des Verzichts ausdrücklich auf die Revision beim Verwaltungsgerichtshof und die Beschwerde beim Verfassungsgerichtshof.

Eine Ausfertigung der Niederschrift der mündlichen Verhandlung wurde der belangten Behörde übermittelt.

11. Am 30.07.2019 beantragte die belangte Behörde fristgerecht beim Bundesverwaltungsgericht die schriftliche Ausfertigung des mündlich verkündeten Erkenntnisses.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen (Sachverhalt):

1.1. Zur Person der Beschwerdeführer und ihren Fluchtgründen:

Aufgrund der Asylanträge vom 14.07.2017, 19.10.2017 bzw 22.10.2018, der Einvernahmen der Erst- und Zweitbeschwerdeführer durch Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes und durch die belangte Behörde, der Beschwerden vom 02.05.2018 bzw 11.04.2019 gegen die Bescheide der belangten Behörde vom XXXX bzw XXXX , der Einsichtnahme in die bezughabenden Verwaltungsakten, der Einsichtnahmen in das zentrale Melderegister, in das Grundversorgungs-Informationssystem, in das Strafregister, die von den Beschwerdeführern vorgelegten Dokumente sowie auf Grundlage der vor dem Bundesverwaltungsgericht durchgeführten mündlichen Verhandlung werden die folgenden Feststellungen getroffen und der Entscheidung zugrunde gelegt:

Alle Beschwerdeführer sind Staatsangehörige von Afghanistan, gehören der Volksgruppe der Paschtunen bzw der Tadschiken an (die Väter der Erstbeschwerdeführerin und des Zweitbeschwerdeführers sind jeweils Paschtunen, ihre Mütter Tadschikinnen) und bekennen sich zur sunnitischen Glaubensrichtung des Islam. Die Muttersprache der Erstbeschwerdeführerin ist Paschtu, sie spricht auch Dari bzw Farsi und Deutsch. Die Muttersprache des Zweitbeschwerdeführers ist Dari, weiters spricht er Paschtu, Englisch und Deutsch.

Die Erstbeschwerdeführerin und der Zweitbeschwerdeführer sind miteinander verheiratet. Sie haben am XXXX in der Provinz Laghman in Afghanistan geheiratet. Sie sind miteinander verwandt, sie sind Cousine und Cousin mütterlicherseits (ihre Mütter sind Schwestern). Die nach wie vor minderjährigen und ledigen Dritt- bis Fünftbeschwerdeführer sind die gemeinsamen Kinder der Erstbeschwerdeführerin und des Zweitbeschwerdeführers.

Die Erstbeschwerdeführerin wurde in der Provinz Laghman, im Distrikt XXXX , im Dorf XXXX geboren und hat dort gemeinsam mit ihren Eltern, zwei Brüdern und zwei Schwestern gelebt. Die Erstbeschwerdeführerin ist in einem traditionellen Umfeld aufgewachsen. Sie konnte die Schule nur fünf Jahre lang besuchen, danach hat man ihr nicht mehr erlaubt, die Schule weiter zu besuchen. Sie erhielt auch keine Berufsausbildung und hielt sich in der Folge beinahe ausschließlich zu Hause auf. Wenn sie das Haus verließ, war ihr dies nur in Begleitung möglich und sie musste einen Ganzkörperschleier tragen. Ihren Ehepartner konnte sie nicht selbst wählen, ihre Eltern trafen die Entscheidung für sie. Nach ihrer Heirat mit dem Zweitbeschwerdeführer lebte die Erstbeschwerdeführerin in XXXX Provinz Laghman, aus der der Zweitbeschwerdeführer stammt. Der Drittbeschwerdeführer und die Viertbeschwerdeführerin wurden in Afghanistan geboren. Der Zweitbeschwerdeführer war berufstätig und sorgte für den Lebensunterhalt der Familie. Die Erstbeschwerdeführerin war Hausfrau. Die Familie verließ gegen Ende des Jahres 2016 gemeinsam Afghanistan und hielt sich längere Zeit in Griechenland auf. Die Erstbeschwerdeführerin kam in der Folge zunächst allein mit ihren beiden älteren Kindern nach Österreich und stellte am 14.07.2017 einen Antrag auf internationalen Schutz, während sich der Zweitbeschwerdeführer nach wie vor in Griechenland aufhielt. Nach der Ankunft der Erstbeschwerdeführerin in Österreich wurde die Fünftbeschwerdeführerin geboren, auch für sie wurde am 19.10.2017 ein Antrag auf internationalen Schutz gestellt. Der Zweitbeschwerdeführer reiste etwa ein Jahr später nach Österreich und stellte am 22.10.2018 einen Antrag auf internationalen Schutz.

Die Erst- bis Fünftbeschwerdeführer leben in Österreich in einem gemeinsamen Haushalt. Die Erstbeschwerdeführerin und der Zweitbeschwerdeführer sind in Österreich strafrechtlich unbescholten. Die Dritt- bis Fünftbeschwerdeführer sind strafunmündig. Alle Beschwerdeführer nehmen Leistungen aus der Grundversorgung in Anspruch. Die Eltern und Geschwister der Erstbeschwerdeführerin (ein Bruder und zwei Schwestern) leben in Pakistan. Einer ihrer Brüder ist inzwischen verstorben. Die Eltern und die meisten Geschwister des Zweitbeschwerdeführers (zwei Brüder, drei Schwestern) leben in Österreich. Eine weitere Schwester lebt in Pakistan und eine Schwester lebt in Kanada.

Die Erstbeschwerdeführerin lehnt die Umstände und Lebensverhältnisse für Frauen in Afghanistan ab und lebt in Österreich nicht nach dieser Tradition, sondern entsprechend ihren Vorstellungen bewegt sie sich in der Gesellschaft selbstbewusst und ungezwungen ohne männliche Begleitung, geht alleine einkaufen und organisiert ihre Termine des täglichen Lebens selbständig, sie bringt ihre beiden Töchter in den Kindergarten und geht mit ihren Kindern in den Park. Die Erstbeschwerdeführerin musste, bis ihr Ehemann, der Zweitbeschwerdeführer, nach Österreich nachkam, den Alltag weitgehend alleine meistern und ihre Kinder versorgen. Nur in den ersten sechs Monaten lebte sie bei ihren Schwiegereltern und wurde von diesen unterstützt. Danach erledigte sie etwa Behördenwege alleine. Soweit der Erstbeschwerdeführerin dies möglich war, hat sie bereits in dieser Zeit Deutschkurse besucht, sie hat ihre jüngste Tochter zeitweise in den Deutschkurs mitgenommen. Auch jetzt nimmt sie neben der Kinderbetreuung die Möglichkeit wahr, Deutsch zu lernen und möchte ihre Sprachkenntnisse weiter verbessern. Zum Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht hatte die Erstbeschwerdeführerin eine Stelle als Reinigungskraft in Aussicht. Sie hat den Wunsch, eine Ausbildung zu absolvieren und einen Beruf zu ergreifen, um so ein unabhängiges Leben führen zu können. Sie legt großen Wert darauf, selbst berufstätig zu sein und finanziell auf eigenen Beinen zu stehen. Sie wünscht sich eine Berufstätigkeit im Bereich der Altenpflege oder Kinderbetreuung. Die Erstbeschwerdeführerin verwaltet das der Familie zur Verfügung stehende Geld, das Bankkonto läuft auf ihren Namen. Die Erstbeschwerdeführerin hat bereits österreichische Freunde, mit denen sie sich trifft. Wichtige Entscheidungen treffen die Erstbeschwerdeführerin und ihr Ehemann gemeinsam. Sie kümmern sich auch gemeinsam um die Führung des Haushalts und die Ausbildung und Erziehung ihrer Kinder. Der Ehemann der Erstbeschwerdeführerin unterstützt seine Frau nach Kräften und fördert ihre Eigenständigkeit und ihre Weiterbildungs- und Zukunftspläne. Er begrüßt die Lebensweise, die seine Frau nun in Österreich führen kann. Beiden Elternteilen ist es sehr wichtig, dass ihre Kinder eine gute Ausbildung erhalten und später berufstätig sind. Ihr Sohn besucht die Volksschule und die beiden Töchter den Kindergarten. Die Erstbeschwerdeführerin wünscht sich, dass ihre Tochter Ärztin wird, sollte diese jedoch einen anderen Beruf aussuchen, würde sie das respektieren. Die Erstbeschwerdeführerin und ihr Mann werden ihren Kindern die Wahl ihrer künftigen Lebenspartner überlassen, wobei die Religion oder Nationalität der Partner keine Rolle spielen würde. Die Erstbeschwerdeführerin lebt ihren muslimischen Glauben nicht aus. Sie ist offen für und tolerant gegenüber anderen Kulturen und Religionen und vermittelt diese liberale Einstellung auch ihren Kindern. Sie legt keinen Wert darauf, dass ihre Kinder religiös oder konservativ erzogen werden, vielmehr wäre es für sie kein Problem, wenn diese, sobald sie hierzu reif sind, eine andere Religion wählen würden. Die Erstbeschwerdeführerin hat ihr Kopftuch auf eigenen Wunsch bereits kurze Zeit nach ihrer Ankunft in Österreich abgelegt und sie kleidet sich nach europäischem Stil und schminkt sich. Sie betreibt Sport und geht etwa mit ihrer Familie gemeinsam schwimmen, wobei es für sie selbstverständlich ist, einen Badeanzug zu tragen.

Bei der Erstbeschwerdeführerin handelt es sich mithin um eine eigenständige junge Frau, deren persönliche Haltung über die Lebensverhältnisse und die grundsätzliche Stellung der Frau in Familie und Gesellschaft im eindeutigen Widerspruch zu den in Afghanistan bislang vorherrschenden gesellschaftlich-religiösen Zwängen steht, denen Frauen dort hinsichtlich Bewegungsfreiheit und Zugang zu Erwerbstätigkeit mehrheitlich unterworfen sind. Die nunmehrige Lebensweise der Erstbeschwerdeführerin und ihrer Familienangehörigen sowie die Erziehung ihrer Kinder in Österreich sind als "westlich", sohin an einem auf ein selbstbestimmtes Leben ausgerichteten Frauen- und Gesellschaftsbild orientiert, zu bezeichnen. Jene Lebensumstände, die von der konservativ-afghanischen Tradition geprägt werden und die auch das Leben der Erstbeschwerdeführerin in Afghanistan begleiteten, stehen mit jenen, welche sie sich aus freiem Willen zu gestalten wünscht bzw sich in Österreich bereits gestaltet hat, ganz offenkundig in unüberwindbarem Gegensatz. Die Erstbeschwerdeführerin kann es sich nicht vorstellen, neuerlich nach der konservativ-afghanischen Tradition und unter den insofern restriktiven Lebensverhältnissen zu leben.

Gründe, nach denen ein Ausschluss der Erst- bis Fünftbeschwerdeführer hinsichtlich der Asylgewährung zu erfolgen hat, sind im Verfahren nicht hervorgekommen.

1.2. Zur maßgeblichen Situation in Afghanistan:

a. Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation - Afghanistan (Gesamtaktualisierung am 29.06.2018; Auszüge)

1. Neueste Ereignisse - Integrierte Kurzinformationen

KI vom 4.6.2019, politische Ereignisse, zivile Opfer, Anschläge in Kabul, IOM (relevant für Abschnitt 3/Sicherheitslage; Abschnitt 2/Politische Lage; Abschnitt 23/Rückkehr).

Politische Ereignisse: Friedensgespräche, Loya Jirga, Ergebnisse Parlamentswahl

Ende Mai 2019 fand in Moskau die zweite Runde der Friedensgespräche zwischen den Taliban und afghanischen Politikern (nicht der Regierung, Anm.) statt. Bei dem Treffen äußerte ein Mitglied der Taliban, Amir Khan Muttaqi, den Wunsch der Gruppierung nach Einheit der afghanischen Bevölkerung und nach einer "inklusiven" zukünftigen Regierung. Des Weiteren behauptete Muttaqi, die Taliban würden die Frauenrechte respektieren wollen. Ein ehemaliges Mitglied des afghanischen Parlaments, Fawzia Koofi, äußerte dennoch ihre Bedenken und behauptete, die Taliban hätten kein Interesse daran, Teil der aktuellen Regierung zu sein, und dass die Gruppierung weiterhin für ein islamisches Emirat stünde. (Tolonews 31.5.2019a).

Vom 29.4.2019 bis 3.5.2019 tagte in Kabul die "große Ratsversammlung" (Loya Jirga). Dabei verabschiedeten deren Mitglieder eine Resolution mit dem Ziel, einen Friedensschluss mit den Taliban zu erreichen und den inner-afghanischen Dialog zu fördern. Auch bot Präsident Ghani den Taliban einen Waffenstillstand während des Ramadan von 6.5.2019 bis 4.6.2019 an, betonte aber dennoch, dass dieser nicht einseitig sein würde. Des Weiteren sollten 175 gefangene Talibankämpfer freigelassen werden (BAMF 6.5.2019). Einer weiteren Quelle zufolge wurden die kritischen Äußerungen zahlreicher Jirga-Teilnehmer zu den nächtlichen Militäroperationen der USA nicht in den Endbericht aufgenommen, um die Beziehungen zwischen den beiden Staaten nicht zu gefährden. Die Taliban nahmen an dieser von der Regierung einberufenen Friedensveranstaltung nicht teil, was wahrscheinlich u.a. mit dem gescheiterten Dialogtreffen, das für Mitte April 2019 in Katar geplant war, zusammenhängt. Dort wäre die Regierung zum ersten Mal an den Friedensgesprächen mit den Taliban beteiligt gewesen. Nachdem erstere jedoch ihre Teilnahme an die Bedingung geknüpft hatte, 250 Repräsentanten nach Doha zu entsenden und die Taliban mit Spott darauf reagierten, nahm letztendlich kein Regierungsmitarbeiter an der Veranstaltung teil. So fanden Gespräche zwischen den Taliban und Exil-Afghanen statt, bei denen viele dieser das Verhalten der Regierung öffentlich kritisierten (Heise 16.5.2019).

Anfang Mai 2019 fand in Katar auch die sechste Gesprächsrunde zwischen den Taliban und den USA statt. Der Sprecher der Taliban in Doha, Mohammad Sohail Shaheen, betonte, dass weiterhin Hoffnung hinsichtlich der inner-afghanischen Gespräche bestünde. Auch konnten sich der Quelle zufolge die Teilnehmer zwar bezüglich einiger Punkte einigen, dennoch müssten andere "wichtige Dinge" noch behandelt werden (Heise 16.5.2019).

Am 14.5.2019 hat die unabhängige Wahlkommission (Independent Electoral Commission, IEC) die Wahlergebnisse der Provinz Kabul für das afghanische Unterhaus (Wolesi Jirga) veröffentlicht (AAN 17.5.2019; vgl. IEC 14.5.2019, IEC 15.5.2019). Somit wurde nach fast sieben Monaten (die Parlamentswahlen fanden am 20.10.2018 und 21.10.2018 statt) die Stimmenauszählung für 33 der 34 Provinzen vervollständigt. In der Provinz Ghazni soll die Wahl zusammen mit den Präsidentschafts- und Provinzialratswahlen am 28.9.2019 stattfinden. In seiner Ansprache zur Angelobung der Parlamentsmitglieder der Provinzen Kabul und Paktya am 15.5.2019 bezeichnete Ghani die siebenmonatige Wahl als "Katastrophe" und die beiden Wahlkommissionen, die IEC und die Electoral Complaints Commission (ECC), als "ineffizient" (AAN 17.5.2019).

Zivile-Opfer, UNAMA-Bericht

Die United Nations Assistance Mission in Afghanistan (UNAMA) registrierte im ersten Quartal 2019 (1.1.2019 - 31.3.2019) 1.773 zivile Opfer (581 Tote und 1.192 Verletzte), darunter waren 582 der Opfer Kinder (150 Tote und 432 Verletzte). Dies entspricht einem Rückgang der gesamten Opferzahl um 23% gegenüber dem gleichen Zeitraum des Vorjahres, welches somit der niedrigste Wert für das erste Jahresquartal seit 2013 ist (UNAMA 24.4.2019).

Diese Verringerung wurde durch einen Rückgang der Zahl ziviler Opfer von Selbstmordanschlägen mit IED (Improvised Explosive Devices - unkonventionelle Spreng- und Brandvorrichtung/Sprengfallen) verursacht. Der Quelle zufolge könnten die besonders harten Winterverhältnisse in den ersten drei Monaten des Jahres 2019 zu diesem Trend beigetragen haben. Es ist unklar, ob der Rückgang der zivilen Opfer wegen Maßnahmen der Konfliktparteien zur Verbesserung des Schutzes der Zivilbevölkerung oder durch die laufenden Gespräche zwischen den Konfliktparteien beeinflusst wurde (UNAMA 24.4.2019).

Die Zahl der zivilen Opfer aufgrund von Nicht-Selbstmord-Anschlägen mit IEDs durch regierungsfeindliche Gruppierungen und Luft- sowie Suchoperationen durch regierungsfreundliche Gruppierungen ist gestiegen. Die Zahl der getöteten Zivilisten, die regierungsfreundlichen Gruppierungen zugeschrieben wurden, übertraf im ersten Quartal 2019 die zivilen Todesfälle, welche von regierungsfeindlichen Elementen verursacht wurden (UNAMA 24.4.2019).

Kampfhandlungen am Boden waren die Hauptursache ziviler Opfer und machten etwa ein Drittel der Gesamtzahl aus. Der Einsatz von IEDs war die zweithäufigste Ursache für zivile Opfer: Im Gegensatz zu den Trends von 2017 und 2018 wurde die Mehrheit der zivilen Opfer von IEDs nicht durch Selbstmordanschläge verursacht, sondern durch Angriffe, bei denen der Angreifer nicht seinen eigenen Tod herbeiführen wollte. Luftangriffe waren die Hauptursache für zivile Todesfälle und die dritthäufigste Ursache für zivile Opfer (Verletzte werden auch mitgezählt, Anm.), gefolgt von gezielten Morden und explosiven Kampfmittelrückständen (UXO - unexploded ordnance). Am stärksten betroffen waren Zivilisten in den Provinzen Kabul, Helmand, Nangarhar, Faryab und Kunduz (in dieser Reihenfolge) (UNAMA 24.4.2019).

Anschläge in Kabul-Stadt

Ende Mai 2019 fanden in Kabul-Stadt einige Anschläge und gezielte Tötungen in kurzen Abständen zu einander statt: Am 26.5.2019 wurde ein leitender Mitarbeiter einer NGO in Kart-e Naw (PD5, Police District 5) durch unbekannte bewaffnete Männer erschossen (Tolonews 27.5.2019a). Am 27.5.2019 wurden nach der Explosion einer Magnetbombe, die gegen einen Bus von Mitarbeitern des Ministeriums für Hadsch und religiöse Angelegenheiten gerichtet war, zehn Menschen verletzt. Die Explosion fand in Parwana-e Do (PD2) statt. Zum Vorfall hat sich keine Gruppierung bekannt (Tolonews 27.5.2019b).

Des Weiteren wurden im Laufe der letzten zwei Maiwochen vier Kontrollpunkte der afghanischen Sicherheitskräfte durch unbekannte bewaffnete Männer angegriffen (Tolonews 31.5.2019b).

Am 30.5.2019 wurden in Folge eines Selbstmordangriffes nahe der Militärakademie Marshal Fahim im Stadtteil Char Rahi Qambar (PD5) sechs Personen getötet und 16 Personen, darunter vier Zivilisten, verletzt. Die Explosion erfolgte, während die Kadetten die Universität verließen (1 TV NEWS 30.5.2019). Der Islamische Staat (IS) bekannte sich zu dem Anschlag (AJ 30.5.2019).

Am 31.5.2019 wurden sechs Personen, darunter vier Zivilisten, getötet und fünf Personen, darunter vier Mitglieder der US-Sicherheitskräfte, verletzt, nachdem ein mit Sprengstoff beladenes Auto in Qala-e Wazir (PD9) detonierte. Quellen zufolge war das ursprüngliche Ziel des Angriffs ein Konvoi ausländischer Sicherheitskräfte (Tolonews 31.5.2019c).

Am 2.6.2019 kam nach der Detonation von mehreren Bomben eine Person ums Leben und 17 weitere wurden verletzt. Die Angriffe fanden im Westen der Stadt statt, und einer davon wurde von einer Klebebombe, die an einem Bus befestigt war, verursacht. Einer Quelle zufolge transportierten der Bus Studenten der Kabul Polytechnic University (TW 2.6.2019). Der IS bekannte sich zu den Anschlägen und beanspruchte den Tod von "mehr als 30 Schiiten und Mitgliedern der afghanischen Sicherheitskräfte" für sich. Die Operation erfolgte in zwei Phasen: Zuerst wurde ein Bus, der 25 Schiiten transportierte, angegriffen, und darauf folgend detonierten zwei weitere Bomben, als sich "Sicherheitselemente" um den Bus herum versammelten. Vertreter des IS haben u.a. in Afghanistan bewusst und wiederholt schiitische Zivilisten ins Visier genommen und sie als "Polytheisten" bezeichnet. (LWJ 2.6.2019).

Am 3.6.2019 kamen nach einer Explosion auf der Darul Aman Road in der Nähe der American University of Afghanistan fünf Menschen ums Leben und zehn weitere wurden verletzt. Der Anschlag richtete sich gegen einen Bus mit Mitarbeitern der Independent Administrative Reform and Civil Service Commission (Tolonews 3.6.2019)

US-Angaben zufolge ist die Zahl der IS-Anhänger in Afghanistan auf ca. 5.000 gestiegen, fünfmal so viel wie vor einem Jahr. Gemäß einer Quelle profitiert die Gruppierung vom "zahlenmäßigen Anstieg der Kämpfer in Pakistan und Usbekistan und von aus Syrien geflohenen Kämpfern". Des Weiteren schließen sich enttäuschte Mitglieder der Taliban sowie junge Menschen ohne Zukunftsperspektive dem IS an, der in Kabul, Nangarhar und Kunar über Zellen verfügt (BAMF 3.6.2019). US-Angaben zufolge ist es "sehr wahrscheinlich", dass kleinere IS-Zellen auch in Teilen Afghanistans operieren, die unter der Kontrolle der Regierung oder der Taliban stehen (VOA 21.5.2019). Eine russische Quelle berichtet wiederum, dass ca. 5.000 IS-Kämpfer entlang der Nordgrenze tätig sind und die Nachbarländer bedrohen. Der Quelle zufolge handelt es sich dabei um Staatsbürger der ehemaligen sowjetischen Republiken, die mit dem IS in Syrien gekämpft haben (Newsweek 21.5.2019).

Anmerkung der Staatendokumentation: Zur besseren Ortung der oben beschriebenen Vorfälle folgt eine kartografische Darstellung der Staatendokumentation mit der Einteilung der Stadt Kabul in Polizeidistrikte:

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(Quelle: BFA 13.2.2019)

Rückkehr

Die International Organization for Migration (IOM) gewährt seit April 2019 keine temporäre Unterkunft für zwangsrückgeführte Afghanen mehr. Diese erhalten eine Barzuwendung von ca. 150 Euro sowie Informationen über mögliche Unterkunftsmöglichkeiten. Gemäß dem Europäischen Auswärtigen Amt (EAD) nutzten nur wenige Rückkehrer die Unterbringungsmöglichkeiten von IOM (BAMF 20.5.2019).

Quellen:

1 TV NEWS (30.5.2019): At least six killed in suicide blast near military academy in Kabul,

http://www.1tvnews.af/en/news/afghanistan/38366-breaking-blast-rocks-kabul , Zugriff 3.6.2019

AAN - Afghanistan Analysts Network (17.5.2019): The Results of Afghanistan's 2018 Parliamentary Elections: A new, but incomplete Wolesi Jirga,

https://www.afghanistan-analysts.org/the-results-of-afghanistans-2018-parliamentary-elections-a-new-but-incomplete-wolesi-jirga/, Zugriff 22.5.2019

AJ - Al Jazeera (30.5.2019): Suicide bomber targets Afghan military training centre in Kabul,

https://www.aljazeera.com/news/2019/05/suicide-bomber-targets-afghan-military-training-centrekabul-190530082719388.html , Zugriff 3.6.2019

BAMF - Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (3.6.2019): Briefing Notes, Afghanistan, per EMail

BAMF - Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (20.5.2019): Briefing Notes, Afghanistan, per EMail

BAMF - Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (6.5.2019): Briefing Notes, Afghanistan, per EMail

BFA - Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, Staatendokumentation (13.2.2019): Kabul Police Districts Map, liegt im Archiv der Staatendokumentation auf

Heise (16.5.2019): Afghanistan: Wie viel Macht hat der Präsident?, https://www.heise.de/tp/features/Afghanistan-Wie-viel-Macht-hat-der-Praesident-4422023.html, Zugriff 3.6.2019

IEC - Independent Electoral Commission via Facebook (14.5.2019):

Press Declaration 24/2/1398,

https://www.facebook.com/AfghanistanIEC/posts/2361637283896572?__tn__=-R , Zugriff 4.6.2019

IEC - Independent Electoral Commission (15.5.2019): Kabul - Wolesi Jirga Final Results,

http://www.iec.org.af/results/en/home/finalresult_by_province/1/2 , Zugriff 4.6.2019

LWJ - Long War Journal (2.6.2019): Islamic State bombs bus, security personnel in western Kabul,

https://www.longwarjournal.org/archives/2019/06/islamic-state-bombs-bus-securitypersonnel-in-western-kabul.php , Zugriff 3.6.2019

Newsweek (21.5.2019): Russia Spy Chief warns 5,000 ISIS Foreign Fighters Threaten Borders of Former Soviet Union, https://www.newsweek.com/russia-spy-chief-warns-5000-isis-foreignfighters-threaten-borders-former-1431576 , Zugriff 4.6.2019

Tolonews (3.6.2019): Five Killed As Explosion Targets Govt Employees Bus In Kabul,

https://www.tolonews.com/afghanistan/explosion-targets-govt-bus-kabul , Zugriff 3.6.2019

Tolonews (31.5.2019a): Taliban Wants An ‚Inclusive Post-Peace Govt', https://www.tolonews.com/afghanistan/taliban-wants-inclusive-post-peace-govt , Zugriff 3.6.2019

Tolonews (31.5.2019b): Concerns Mount Over Sharp Increase In Attacks

In Kabul,

https://www.tolonews.com/afghanistan/concerns-mount-over-sharp-increase-attacks-%C2%A0kabul , Zugriff 3.6.2019

Tolonews (31.5.2019c): Heavy Explosion Rocks Kabul; 4 Civilians Killed,

https://www.tolonews.com/afghanistan/heavy-explosion-rocks-kabul , Zugriff 3.6.2019

Tolonews (27.5.2019a): Seven Members Of One Family Murdered in Kabul,

https://www.tolonews.com/afghanistan/seven-members-one-family-murdered-kabul , Zugriff 3.6.2019

Tolonews (27.5.2019b): 10 Wounded As Blast Targets Govt Employees Bus In Kabul,

https://www.tolonews.com/afghanistan/10-wounded-blast-targets-govt-employees-bus-kabul, Zugriff 3.6.2019

TW - The Week (2.6.2019): Afghan officials: 3 bomb blasts in capital, 1 killed,

https://www.theweek.in/news/world/2019/06/02/afghan-officials-3-bomb-blasts-in-capital-1-killed.html , Zugriff 3.6.2019

UNAMA - United Nations Assistance Mission in Afghanistan (24.4.2019): Quarterly Report on the Protection of Civilians in Armed Conflict: 1 January to 31 March 2019, https://unama.unmissions.org/sites/default/files/unama_protection_of_civilians_in_armed_conflict_-_first_quarter_report_2019_english_.pdf , Zugriff 3.4.2019

VOA - Voice of America (21.5.2019): Islamic State in Afghanistan Growing Bigger, More Dangerous, https://www.voanews.com/a/islamic-state-in-afghanistan-growing-bigger-moredangerous/4927406.html , Zugriff 4.6.2019

KI vom 26.3.2019, Anschläge in Kabul, Überflutungen und Dürre, Friedensgespräche, Präsidentschaftswahl (relevant für Abschnitt 2/Politische Lage; Abschnitt 3/Sicherheitslage; Abschnitt 21/Grundversorgung und Wirtschaft)

Anschläge in Kabul-Stadt

Bei einem Selbstmordanschlag während des persischen Neujahres-Fests Nowruz in Kabul-Stadt kamen am 21.3.2019 sechs Menschen ums Leben und weitere 23 wurden verletzt (AJ 21.3.2019, Reuters 21.3.2019). Die Detonation erfolgte in der Nähe der Universität Kabul und des Karte Sakhi Schreins, in einer mehrheitlich von Schiiten bewohnten Gegend. Quellen zufolge wurden dafür drei Bomben platziert: eine im Waschraum einer Moschee, eine weitere hinter einem Krankenhaus und die dritte in einem Stromzähler (TDP 21.3.2019; AJ 21.3.2019). Der ISKP (Islamische Staat - Provinz Khorasan) bekannte sich zum Anschlag (Reuters 21.3.2019).

Während eines Mörserangriffs auf eine Gedenkveranstaltung für den 1995 von den Taliban getöteten Hazara-Führer Abdul Ali Mazari im überwiegend von Hazara bewohnten Kabuler Stadtteil Dasht-e Barchi kamen am 7.3.2019 elf Menschen ums Leben und 95 weitere wurden verletzt. Der ISKP bekannte sich zum Anschlag (AJ 8.3.2019).

Überflutungen und Dürre

Nach schweren Regenfällen in 14 afghanischen Provinzen kamen mindestens 63 Menschen ums Leben. In den Provinzen Farah, Kandahar, Helmand, Herat, Kapisa, Parwan, Zabul und Kabul, wurden ca. 5.000 Häuser zerstört und 7.500 beschädigt (UN OCHA 19.3.2019). Dem Amt für die Koordinierung humanitärer Angelegenheiten der Vereinten Nationen (UN OCHA) zufolge waren mit Stand 19.3.2019 in der Provinz Herat die Distrikte Ghorvan, Zendejan, Pashtoon Zarghoon, Shindand, Guzarah und Baland Shahi betroffen (UN OCHA 19.3.2019). Die Überflutungen folgten einer im April 2018 begonnen Dürre, von der die Provinzen Badghis und Herat am meisten betroffen waren und von deren Folgen (z.B. Landflucht in die naheliegenden urbanen Zentren, Anm.) sie es weiterhin sind. Gemäß einer Quelle wurden in den beiden Provinzen am 13.9.2018 ca. 266.000 IDPs vertrieben: Davon zogen 84.000 Personen nach Herat-Stadt und 94.945 nach Qala-e-Naw, wo sie sich in den Randgebieten oder in Notunterkünften innerhalb der Städte ansiedelten und auf humanitäre Hilfe angewiesen sind (IFRCRCS 17.3.2019).

Friedensgespräche

Kurz nach der Friedensgesprächsrunde zwischen Taliban und Vertretern der USA in Katar Ende Jänner 2019 fand Anfang Februar in Moskau ein Treffen zwischen Taliban und bekannten afghanischen Politikern der Opposition, darunter der ehemalige Staatspräsident Hamid Karzai und mehrere "Warlords", statt (Qantara 12.2.201). Quellen zufolge wurde das Treffen von der afghanischen Diaspora in Russland organisiert. Taliban-Verhandlungsführer Sher Muhammad Abbas Stanaksai wiederholte während des Treffens schon bekannte Positionen wie die Verteidigung des "Dschihad" gegen die "US-Besatzer" und die gleichzeitige Weiterführung der Gespräche mit den USA. Des Weiteren verkündete er, dass die Taliban die Schaffung eines "islamischen Regierungssystems mit allen Afghanen" wollten, obwohl sie dennoch keine "exklusive Herrschaft" anstrebten. Auch bezeichnete er die bestehende afghanische Verfassung als "Haupthindernis für den Frieden", da sie "vom Westen aufgezwungen wurde"; Weiters forderten die Taliban die Aufhebung der Sanktionen gegen ihre Führer und die Freilassung ihrer gefangenen Kämpfer und bekannten sich zur Nichteinmischung in Angelegenheiten anderer Länder, zur Bekämpfung des Drogenhandels, zur Vermeidung ziviler Kriegsopfer und zu Frauenrechten. Diesbezüglich aber nur zu jenen, "die im Islam vorgesehen seien" (z.B. lernen, studieren und sich den Ehemann selbst auswählen). In dieser Hinsicht kritisierten sie dennoch, dass "im Namen der Frauenrechte Unmoral verbreitet und afghanische Werte untergraben würden" (Taz 6.2.2019).

Ende Februar 2019 fand eine weitere Friedensgesprächsrunde zwischen Taliban und US-Vertretern in Katar statt, bei denen die Taliban erneut den Abzug der US-Truppen aus Afghanistan forderten und betonten, die Planung von internationalen Angriffen auf afghanischem Territorium verhindern zu wollen. Letzterer Punkt führte jedoch zu Meinungsverschiedenheiten: Während die USA betonten, die Nutzung des afghanischen Territoriums durch "terroristische Gruppen" vermeiden zu wollen und in dieser Hinsicht eine Garantie der Taliban forderten, behaupteten die Taliban, es gebe keine universelle Definition von Terrorismus und weigerten sich gegen solch eine Spezifizierung. Sowohl die Taliban- als auch die US-Vertreter hielten sich gegenüber den Medien relativ bedeckt und betonten ausschließlich, dass die Friedensverhandlungen weiterhin stattfänden. Während es zu Beginn der Friedensgesprächsrunde noch Hoffnungen gab, wurde mit Voranschreiten der Verhandlungen immer klarer, dass sich eine Lösung des Konflikts als "frustrierend langsam" erweisen würde (NYT 7.3.2019).

Die afghanische Regierung war weder an den beiden Friedensgesprächen in Doha noch an dem Treffen in Moskau beteiligt (Qantara 12.2.2019; vgl. NYT 7.3.2019), was Unbehagen unter einigen Regierungsvertretern auslöste und die diplomatischen Beziehungen zwischen den beiden Regierungen beeinträchtigte (Reuters 18.3.2019; vgl. WP 18.3.2019). Beispielsweise erklärte US-Unterstaatssekretär David Hale am 18.3.2019 die Beendigung der Kontakte zwischen US-Vertretern und dem afghanischen nationalen Sicherheitsberater Hamdullah Mohib, nachdem dieser US-Chefunterhändler Zalmay Khalilzad und den Ausschluss der afghanischen Regierung aus den Friedensgesprächen öffentlich kritisiert hatte (Reuters 18.3.2019).

Verschiebung der Präsidentschaftswahl

Die Präsidentschaftswahl, welche bereits von April auf Juni 2019 verschoben worden war, soll Quellen zufolge nun am 28.9.2019 stattfinden. Grund dafür seien "zahlreiche Probleme und Herausforderungen" welche vor dem Wahltermin gelöst werden müssten, um eine sichere und transparente Wahl sowie eine vollständige Wählerregistrierung sicherzustellen - so die unabhängige Wahlkommission (IEC) (VoA 20.3.2019; vgl. BAMF 25.3.2019).

Quellen:

AJ - Al Jazeera (21.3.2019): Blasts in Afghan capital Kabul kill six during new year festival,

https://www.aljazeera.com/news/2019/03/blasts-afghan-capital-kabul-kill-6-year-festival-190321064823472.html, Zugriff 26.3.2019

AJ - Al Jazeera (8.3.2019): Death toll rises to 11 in attack on Shia gathering in Kabul,

https://www.aljazeera.com/news/2019/03/death-toll-rises-11-afghan-capital-attack-shia-gathering-190308102222870.html, Zugriff 26.3.2019

BAMF - Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (25.3.2019): Briefing Notes Afghanistan, liegen im Archiv der Staatendokumentation auf

NYT - The New York Times (7.3.2019): U.S. Peace Talks With Taliban Trip Over a Big Question: What Is Terrorism?, https://www.nytimes.com/2019/03/07/world/asia/taliban-peace-talksafghanistan.html, Zugriff 26.3.2019

IFRCRCS - International Federation of Red Cross and Red Crescent Societies (17.3.2019): Emergency Appeal Afghanistan: Drought and Flash Floods,

https://reliefweb.int/report/afghanistan/afghanistan-drought-and-flash-floods

Qantara (12.02.2019): Any deal will do, https://en.qantara.de/print/34493, Zugriff 26.3.2019

Reuters (21.3.2019): Explosions in Afghan capital Kabul kills six during new year festival,

https://www.reuters.com/article/us-afghanistan-attack/explosions-in-afghan-capital-kabul-kill-6-during-new-year-festival-idUSKCN1R20GL, Zugriff 26.3.2019

Reuters (18.3.2019): U.S. freezes out top Afghan official in peace talks feud: sources,

https://www.reuters.com/article/us-usa-afghanistan/us-freezes-out-top-afghan-official-in-peacetalks-feud-sources-idUSKCN1QZ2OU, Zugriff 26.3.2019

Taz - Die Tagezeitung (6.2.2019): Auch Moskau spielt die Taliban-Karte,

https://www.taz.de/Gespraeche-zwischen-Taliban-und-Russland/!5568633/, Zugriff 26.3.2019

TDP - The Defense Post (21.3.2019): Bomb blasts around Afghanistan capital kill 6 during Nowruz celebrations, https://thedefensepost.com/2019/03/21/afghanistan-kabul-bombings-nowruz/, Zugriff 26.3.2019

UN OCHA - United Nations Office for the Coordination of Humanitarian Affairs (19.3.2019): Afghanistan: Flash Floods, Update No. 7 (as of 19 March 2019),

https://reliefweb.int/sites/reliefweb.int/files/resources/afg_flash_floods_update_7_19_mar_2019_web.pdf, Zugriff 26.3.2019

VoA - Voice of America (20.3.2019): Afghanistan Again Postpones Presidential Election,

https://www.voanews.com/a/afghanistan-again-postpones-presidential-election/4840141.html, Zugriff 26.3.2019

WP - The Washington Post (18.3.2019): Afghan government, shut out of U.S.-Taliban peace talks, running short on options, https://www.washingtonpost.com/world/afghan-government-shut-out-ofus-taliban-peace-talks-running-short-on-options/2019/03/18/92cd6128-497d-11e9-8cfc-2c5d0999c21e_story.html?noredirect=on&utm_term=.ffa121b12dbc, Zugriff 26.3.2019

KI vom 1.3.2019, Aktualisierung: Sicherheitslage in Afghanistan - Q4.2018 (relevant für Abschnitt 3/Sicherheitslage)

Allgemeine Sicherheitslage und sicherheitsrelevante Vorfälle

Die Sicherheitslage in Afghanistan bleibt volatil. Die Vereinten Nationen (UN) registrierten im Berichtszeitraum 16.8.2018 - 15.11.2018 5.854 sicherheitsrelevante Vorfälle, was einen Rückgang von 2% gegenüber dem Vergleichszeitraum des Vorjahres bedeutet. Bewaffnete Zusammenstöße gingen um 5% zurück, machten aber weiterhin den Großteil der sicherheitsrelevanten Vorfälle (63%) aus. Selbstmordanschläge gingen um 37% zurück, was möglicherweise an erfolgreichen Bekämpfungsmaßnahmen in Kabul-Stadt und Jalalabad liegt. Luftangriffe durch die afghanische Luftwaffe (AAF) sowie internationale Streitkräfte stiegen um 25%. Die am stärksten betroffenen Regionen waren der Süden, der Osten und der Süd-Osten. In der Provinz Kandahar entstand die Befürchtung, die Sicherheitsbedingungen könnten sich verschlechtern, nachdem der Polizeichef der Provinz und der Leiter des National Directorate for Security (NDS) im Oktober 2018 ermordet worden waren (UNGASC 7.12.2018). Gemäß dem Special Inspector General for Afghanistan Reconstruction (SIGAR) fanden bis Oktober 2018 die meisten Angriffe regierungsfeindlicher Gruppierungen in den Provinzen Badghis, Farah, Faryab, Ghazni, Helmand, Kandahar, Uruzgan und Herat statt. Von Oktober bis Dezember 2018 verzeichneten Farah, Helmand und Faryab die höchste Anzahl regierungsfeindlicher Angriffe (SIGAR 30.1.2019).

Nach dem Taliban-Angriff auf Ghazni-Stadt im August 2018, bestand weiterhin die Befürchtung, dass die Taliban großangelegte Angriffe im Südosten des Landes verüben könnten. Dies war zwar nicht der Fall, dennoch setzten Talibankämpfer die afghanischen Sicherheitskräfte am Stadtrand von Ghazni, in Distrikten entlang des Highway One nach Kabul und durch die Einnahme des Distrikts Andar in Ghazni im Oktober weiterhin unter Druck. Im Westen der Provinz Ghazni, wo die ethnische Gruppierung der Hazara eine Mehrheit bildet, verschlechterten sich die Sicherheitsbedingungen wegen großangelegter Angriffe der Taliban, was im November zur Vertreibung zahlreicher Personen führte. In Folge eines weiteren Angriffs der Taliban im Distrikt Khas Uruzgan der Provinz Uruzgan im selben Monat wurden ebenfalls zahlreiche Hazara-Familien vertrieben. Des Weiteren nahmen Talibankämpfer in verschiedenen Regionen vorübergehend strategische Positionen entlang der Hauptstraßen ein und behinderten somit die Bewegungsfreiheit zwischen den betroffenen Provinzen. Beispiele dafür sind Angriffe entlang Hauptstraßen nach Kabul in den Distrikten Daymirdad und Sayyidabad in Wardak, der Route Mazar - Shirbingham und Maimana - Andkhoy in den nördlichen Provinzen Faryab, Jawzjan und Balkh und der Route Herat - Qala-e-Naw im westlichen Herat und Badghis (UNGASC 7.12.2018). Trotz verschiedener Kampfhandlungen und Bedrohungen blieben mit Stand Dezember 2018 gemäß SIGAR die Provinzzentren aller afghanischen Provinzen unter Kontrolle bzw. Einfluss der afghanischen Regierung (SIGAR 30.1.2019).

Im Laufe des Wahlregistrierungsprozesses und während der Wahl am 20. und am 21. Oktober wurden zahlreiche sicherheitsrelevante Vorfälle registriert, welche durch die Taliban und den Islamischen Staat - Provinz Khorasan (ISKP) beansprucht wurden (UNGASC 7.12.2018; vgl. UNAMA 10.10.2018, UNAMA 11.2018). Während der Wahl in der Provinz Kandahar, die wegen Sicherheitsbedenken auf den 27. Oktober verschoben worden war, wurden keine sicherheitsrelevanten Vorfälle registriert. Die afghanischen Sicherheitskräfte entdeckten und entschärften einige IED [Improvised Explosive Devices - Improvisierte Spreng- oder Brandvorrichtung/Sprengfallen] in Kandahar-Stadt und den naheliegenden Distrikten (UNAMA 11.2018). Die United Nations Assistance Mission in Afghanistan (UNAMA) hatte zwischen 1.1.2018 und 30.9.2018 im Zusammenhang mit den Parlamentswahlen insgesamt 366 zivile Opfer (126 Tote und 240 Verletzte) registriert (UNAMA 10.10.2018). Am offiziellen Wahltag, dem 20. Oktober, wurden 388 zivile Opfer (52 Tote und 336 Verletzte) registriert, darunter 117 Kinder (21 Tote und 96 Verletzte) und 48 Frauen (2 Tote und 46 Verletzte). Am folgenden Wahltag, dem 21. Oktober, wurden 47 weitere zivile Opfer (4 Tote und 43 Verletzte) verzeichnet, inklusive 17 Kinder (2 Tote und 15 Verletzte) und Frauen (3 Verletzte). Diese Zahlen beinhalten auch Opfer innerhalb der Afghan National Police (ANP) und der Independet Electoral Commission (IEC) (UNAMA 11.2018). Die am 20. Oktober am meisten von sicherheitsrelevanten Vorfällen betroffenen Städte waren Kunduz und Kabul. Auch wenn die Taliban in den von ihnen kontrollierten oder beeinflussten Regionen die Wählerschaft daran hinderten, am Wahlprozess teilzunehmen, konnten sie die Wahl in städtischen Gebieten dennoch nicht wesentlich beeinträchtigen (trotz der hohen Anzahl von Sicherheitsvorfällen) (UNGASC 7.12.2018).

Die Regierung kontrolliert bzw. beeinflusst - laut Angaben der Resolute Support (RS) Mission - mit Stand 22.10.2018 53,8% der Distrikte, was einen leichten Rückgang gegenüber dem Vergleichszeitraum 2017 bedeutet. 33,9% der Distrikte sind umkämpft und 12,3% befinden sich unter Einfluss oder Kontrolle von Aufständischen. Ca. 63,5% der Bevölkerung leben in Gebieten, die sich unter Regierungskontrolle oder -einfluss befinden; 10,8% in Gegenden unter Einfluss bzw. Kontrolle der Aufständischen und 25,6% leben in umkämpften Gebieten. Die Provinzen mit der höchsten Anzahl an Distrikten unter Kontrolle bzw. Einfluss von Aufständischen sind Kunduz, Uruzgan und Helmand (SIGAR 30.1.2019).

Der ISKP ist weiterhin im Osten des Landes präsent und bekennt sich zu Selbstmordanschlägen und komplexen Angriffen in Nangarhar und zu sechs Angriffen in Kabul-Stadt. Des Weiteren finden in den Provinzen Nangarhar und Kunar weiterhin Kämpfe zwischen ISKP- und Talibankämpfern statt. Die internationalen Streitkräfte führten Luftangriffe gegen den ISKP in den Distrikten Deh Bala, Achin, Khogyani, Nazyan und Chaparhar der Provinz Nangarhar aus (UNGASC 7.12.2018).

Global Incident Map zufolge wurden im Berichtszeitraum (1.1.2018 - 31.12.2018) 4.436 sicherheitsrelevante Vorfälle registriert. Durch die folgende kartografische Darstellung der Staatendokumentation soll die Verteilung des Konflikts landesweit veranschaulicht werden.

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(BFA Staatendokumentation 20.02.2019a)

In der folgenden Grafik der Staatendokumentation wird das Verhältnis zwischen den vier Quartalen des Jahres 2018 anhand der registrierten sicherheitsrelevanten Vorfälle für den Zeitraum 1.1.2018 - 31.12.2018 veranschaulicht.

Bild kann nicht dargestellt werden

(BFA Staatendokumentation 20.02.2019b)

Zivile Opfer

Die United Nations Assistance Mission in Afghanistan (UNAMA) registrierte im Berichtszeitraum (1.1.2018 - 31.12.2018) 10.993 zivile Opfer (3.804 Tote und 7.189 Verletzte), eine allgemeine Steigerung von 5% sowie eine Steigerung der Zahl der Toten um 11% gegenüber dem Vorjahreswert. 42% der zivilen Opfer (4.627 Opfer;

1.361 Tote und 3.266 Verletzte) wurden durch IED im Zuge von Anschlägen und Selbstmordanschlägen regierungsfeindlicher Gruppierungen (hauptsächlich ISKP) verursacht. Die Anzahl der Selbstmordanschläge unter Einsatz von IED stieg dabei um 22% und erreichte somit einen Rekordwert. Diese Art von Anschlägen verursachte 26% aller zivilen Opfer, während IED, die bei Nichtselbstmordanschlägen verwendet wurden, 16% der zivilen Opfer forderten. Kabul war mit insgesamt 1.866 Opfern (596 Tote und 1.270 Verletzte) die Provinz mit der höchsten Anzahl an Selbstmordanschlägen durch IED, während die Zahl der Opfer in Nangarhar mit insgesamt 1.815 (681 Tote und 1.134 Verletzte) zum ersten Mal fast die Werte von Kabul erreichte (hauptsächlich wegen des Einsatzes von IED bei Nichtselbstmordanschlägen). Kabul-Stadt verzeichnete insgesamt 1.686 zivile Opfer (554 Tote und 1.132 Verletzte) wegen komplexen und Selbstmordangriffen (UNAMA 24.2.2019).

Zusammenstöße am Boden (hauptsächlich zwischen regierungsfreundlichen und regierungsfeindlichen Gruppierungen) verursachten 31% der zi

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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