Entscheidungsdatum
09.09.2019Norm
AsylG 2005 §10 Abs1 Z3Spruch
W115 2165565-1/15E
IM NAMEN DER REPUBLIK!
Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Mag. Christian DÖLLINGER als Einzelrichter über die Beschwerde von XXXX , geb. XXXX , StA. Afghanistan, vertreten durch XXXX , gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom XXXX , Zl. XXXX , nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am XXXX zu Recht erkannt:
A)
Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.
B)
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.
Text
ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:
I. Verfahrensgang:
1. Der zum damaligen Zeitpunkt unbegleitete minderjährige Beschwerdeführer, Staatsangehöriger von Afghanistan, gelangte unter Umgehung der Grenzkontrollen in das österreichische Bundesgebiet und stellte am XXXX einen Antrag auf internationalen Schutz.
1.1. Im Verlauf der Erstbefragung durch Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes am XXXX gab der Beschwerdeführer im Beisein eines Dolmetschers für die Sprache Dari im Wesentlichen zusammengefasst an, dass er afghanischer Staatsangehöriger sei und der Volksgruppe der Tadschiken sowie der sunnitischen Glaubensrichtung des Islams angehören würde. Seine Muttersprache sei Dari. Er sei in der Provinz XXXX geboren und habe in dieser Provinz bis zu seiner Ausreise gelebt. Vor ca. zwei Monaten habe er Afghanistan verlassen. Über den Iran sei er schlepperunterstützt über ihm unbekannte Länder bis nach Bulgarien gereist. Dort habe er sich zwei Wochen lang aufgehalten und sei anschließend schlepperunterstützt weiter bis nach Österreich gereist. Befragt zu seinen Familienverhältnissen gab der Beschwerdeführer an, dass er ledig sei und keine Kinder habe. In Afghanistan würden noch seine Mutter sowie seine beiden jüngeren Brüder leben. Sein Vater sei vor ca. einem Jahr getötet worden. Befragt zu seiner Schul- und Berufsausbildung gab der Beschwerdeführer an, dass er in Afghanistan drei Jahre die Schule besucht habe. Einen Beruf habe er nicht erlernt. In Afghanistan habe er in dem Bekleidungsgeschäft seines Vaters als Verkäufer gearbeitet. Zu seinen Fluchtgründen befragt gab der Beschwerdeführer zusammengefasst an, dass er nach dem Tod seines Vaters von einem Mann belästigt worden sei. Dieser habe von ihm verlangt, dass er mit ihm zusammenleben solle. Dies habe der Beschwerdeführer jedoch nicht gewollt. Zwei Monate vor seiner Ausreise sei dieser Mann wieder zu ihm gekommen und habe gesagt, dass er große Probleme bekommen würde, wenn er nicht mit ihm mitkommen würde. Aus diesem Grund habe er Afghanistan verlassen. Befragt, was er bei einer Rückkehr nach Afghanistan befürchte, antwortete der Beschwerdeführer, dass er Angst habe von diesem Mann entführt und vergewaltigt zu werden.
1.2. Aufgrund des äußeren Erscheinungsbildes des Beschwerdeführers hatte das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (Kurzbezeichnung BFA; in der Folge belangte Behörde genannt) Zweifel an dem vom Beschwerdeführer angegebenen Alter und veranlasste eine sachverständige multifaktorielle medizinische Altersschätzung. Laut Sachverständigengutachten vom XXXX wurde zum Zeitpunkt der Asylantragstellung ein Mindestalter von 17,1 Jahren mit fiktivem Geburtsdatum XXXX festgestellt. Das vom Beschwerdeführer behauptete Geburtsdatum widerspreche den medizinisch-diagnostischen Befunden.
1.3. Die belangte Behörde stellte dem Gutachten folgend mit Verfahrensanordnung vom XXXX fest, dass der Beschwerdeführer spätestens am XXXX geboren sei.
1.4. Nach Zulassung des Verfahrens durch Ausfolgung einer Aufenthaltsberechtigungskarte wurde der Beschwerdeführer am XXXX vor der belangten Behörde im Beisein eines Dolmetschers für die Sprache Dari niederschriftlich einvernommen. Befragt zu seinem Gesundheitszustand gab der Beschwerdeführer an, dass er gesund sei. Er sei afghanischer Staatsangehöriger und gehöre der Volksgruppe der Tadschiken sowie der sunnitischen Glaubensrichtung des Islams an. Seine Muttersprache sei Dari. In dieser Sprache könne er auch lesen und schreiben. Weiters beherrsche er auch die Sprache Paschtu. Er sei in der Provinz XXXX geboren. Er sei ledig und habe keine Kinder. Befragt zu seinen Familienmitgliedern gab der Beschwerdeführer an, dass sein Vater bereits verstorben sei. In Afghanistan würden noch seine Mutter sowie seine beiden jüngeren Brüder leben. Weiters halte sich in Afghanistan noch ein Onkel väterlicherseits von ihm auf. Darüber hinaus verfüge er noch über eine Tante im Iran. Den letzten Kontakt zu seiner Familie habe er an jenem Tag gehabt, als er nach Österreich gekommen sei. Dies sei der XXXX gewesen. Danach habe er nichts mehr von seiner Familie gehört. Befragt zu seinen Lebensumständen in Afghanistan gab der Beschwerdeführer im Wesentlichen zusammengefasst an, dass er dort drei Jahre die Schule besucht habe. Über eine Berufsausbildung verfüge er nicht. Er sei Verkäufer im Kleidergeschäft seines Vaters gewesen. Seine finanzielle Situation würde er als mittelmäßig beschreiben. Zu seinen Fluchtgründen befragt gab der Beschwerdeführer zusammengefasst an, dass nach dem Tod seines Vaters ein Polizeikommandant zu ihm ins Geschäft gekommen sei und von ihm verlangt habe, dass er mit ihm eine sexuelle Beziehung eingehen solle. Eines Tages habe er ihn auch zwangsweise mit sich nachhause genommen. In dem Haus dieses Kommandanten seien sechs oder sieben andere Männer gewesen und vor diesen habe ein junger Mann mit einer Klingel am Fuß getanzt. Der Kommandant habe zu ihm gesagt, dass er wolle, dass er mit ihm lebe und ebenso wie dieser Junge für ihn und andere Männer tanze. Zu sexuellen Handlungen sei es jedoch nicht gekommen. Er sei jedoch von diesem Mann am Oberkörper, an den Händen und an den Armen berührt worden. Es sei offensichtlich gewesen, was er vorgehabt habe. Er sei davon ausgegangen, dass dieser Mann ihn in dieser Nacht vergewaltigen wolle. Daraufhin habe er angefangen zu weinen und der Kommandant habe ihn in weiterer Folge nachhause gehen lassen. Auf Befragung durch die belangte Behörde, ob er je selbst für diesen Kommandanten habe tanzen müssen, gab der Beschwerdeführer an, dass es soweit nie gekommen sei. Nach diesem Vorfall habe ihn der Kommandant abermals in seinem Geschäft besucht und ihm gedroht, dass er ihn zwangsweise zu sich holen würde, wenn er nicht freiwillig mit ihm kommen würde. Er habe zwar Anzeige erstattet, die Polizei habe jedoch nichts unternommen. Aus Angst vor diesem Kommandanten habe er schließlich Afghanistan verlassen. Weiters wurden dem Beschwerdeführer von der belangten Behörde Länderfeststellungen zu Afghanistan vorgehalten und ihm die Möglichkeit eingeräumt, dazu Stellung zu nehmen. Der Beschwerdeführer gab dazu an, dass er in die Länderfeststellungen keine Einsicht und auch keine Stellungnahme abgeben wolle. Er habe genug Informationen über Afghanistan, da er dort geboren und aufgewachsen sei.
Im Zuge dieser Einvernahme wurden vom Beschwerdeführer eine Teilnahmebestätigung an einem Basiskurs für die Dauer vom XXXX bis XXXX , eine damit zusammenhängende Teilnehmereinschätzung vom XXXX betreffend das Verhalten des Beschwerdeführers während dieses Kurses, ein Empfehlungsschreiben des Österreichischen Roten Kreuzes XXXX vom XXXX hinsichtlich den Integrationsbemühungen des Beschwerdeführers sowie sieben Farbfotos in Kopie, die nach den Angaben des Beschwerdeführers ihn sowie seinen Vater in ihrem Geschäft zeigen, in Vorlage gebracht.
1.5. Mit dem angefochtenen Bescheid wurde der Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 abgewiesen (Spruchpunkt I.); der Antrag bezüglich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Afghanistan gemäß § 8 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 abgewiesen (Spruchpunkt II.); ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG 2005 nicht erteilt, gegen den Beschwerdeführer gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG 2005 iVm § 9 BFA-VG eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG erlassen und gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass die Abschiebung gemäß § 46 FPG nach Afghanistan zulässig ist (Spruchpunkt III.). Gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG wurde festgestellt, dass die Frist für die freiwillige Ausreise 14 Tage ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung beträgt (Spruchpunkt IV.).
Nach Darlegung des Verfahrensganges und Wiedergabe der Einvernahmeprotokolle traf die belangte Behörde Feststellungen zur Lage in Afghanistan und führte begründend im Wesentlichen zusammengefasst aus, dass der Beschwerdeführer nicht in der Lage gewesen sei, eine wohlbegründete Furcht vor Verfolgung aus den in der Genfer Flüchtlingskonvention (GFK) genannten Gründen glaubhaft zu machen. Zudem sei den Länderfeststellungen zu entnehmen, dass nur Jugendliche Gefahr laufen würden, als sogenannte Tanzjungen herangezogen zu werden. Der Beschwerdeführer sei aber bereits über 18 Jahre alt und würde bereits Anzeichen eines Bartes aufweisen. Er sei daher überhaupt nicht mehr der Zielgruppe zugehörig.
Hinsichtlich Spruchpunkt II. wurde im Wesentlichen zusammengefasst ausgeführt, dass eine Rückkehr des Beschwerdeführers in seine Heimatprovinz XXXX aufgrund der dortigen volatilen Sicherheitslage derzeit ausgeschlossen sei. Dem Beschwerdeführer steht aber eine zumutbare innerstaatliche Flucht- bzw. Schutzalternative in Kabul oder Mazar-e Sharif zur Verfügung. Sohin drohe dem Beschwerdeführer im Fall einer Zurückweisung, Zurück- oder Abschiebung nach Afghanistan weder eine reale Gefahr einer Verletzung von Art. 2 EMRK, Art. 3 EMRK oder der Protokolle Nr. 6 oder Nr. 13 zur Konvention noch eine ernsthafte Gefahr für das Leben oder die Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes als Zivilperson. Beim Beschwerdeführer handle es sich um einen gesunden arbeitsfähigen Mann, bei dem eine grundsätzliche Teilnahmemöglichkeit am Erwerbsleben vorausgesetzt werden könne. Eine Reintegration in Afghanistan, insbesondre in den Städten Kabul und Mazar-e Sharif sei daher für den Beschwerdeführer möglich.
Zu den Spruchpunkten III. und IV. wurde von der belangten Behörde im Wesentlichen zusammengefasst ausgeführt, dass der Beschwerdeführer in Österreich über keine familiären Anknüpfungspunkte verfügen würde, sodass ein Eingriff in das Familienleben nicht vorliege. Hinsichtlich eines möglichen Eingriffes in das Privatleben des Beschwerdeführers führte die belangte Behörde zusammengefasst aus, dass der Beschwerdeführer illegal nach Österreich eingereist sei, auf staatliche Unterstützung angewiesen sei und auch keine relevante Integration vorliegen würde. Sein Aufenthalt im Bundesgebiet sei alleine aufgrund der Betreibung eines Asylverfahrens und somit lediglich für die Dauer dieses Verfahrens legalisiert. Im Rahmen der vorgenommenen Interessenabwägung nach Art. 8 Abs. 2 EMRK führte die belangte Behörde im Wesentlichen zusammengefasst aus, dass das öffentliche Interesse an der Aufenthaltsbeendigung das private Interesse des Beschwerdeführers am Verbleib im Bundesgebiet überwiege. Eine Rückkehrentscheidung sei daher gerechtfertigt. Die Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß § 55 AsylG 2005 sei mangels Privat- und Familienlebens nicht in Betracht gekommen. Auch würde der Beschwerdeführer nicht die Voraussetzungen für die Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß § 57 AsylG 2005 erfüllen. Weiters wurde von der belangten Behörde ausgeführt, dass unter den Spruchpunkten I. und II. ausführlich geprüft und schließlich festgestellt worden sei, dass dem Beschwerdeführer eine Gefahr iSd § 50 Abs. 1 und 2 FPG nicht drohe und eine Empfehlung nach Abs. 3 leg.cit. nicht existiere. Eine Abschiebung nach Afghanistan sei daher zulässig. Die Frist für die freiwillige Ausreise von 14 Tagen ergebe sich aus § 55 FPG, da besondere Umstände, die der Beschwerdeführer bei der Regelung seiner persönlichen Verhältnisse zu berücksichtigen hätte, nicht gegeben seien.
1.6. Mit Verfahrensanordnung der belangten Behörde vom XXXX wurde dem Beschwerdeführer für das Beschwerdeverfahren amtswegig ein Rechtsberater zur Seite gestellt.
1.7. Gegen den im Spruch genannten Bescheid der belangten Behörde wurde vom bevollmächtigten Vertreter des Beschwerdeführers unter Vorlage der diesbezüglichen Vertretungsvollmacht fristgerecht eine Beschwerde erhoben, mit der der Bescheid vollinhaltlich angefochten wurde. In der Begründung wurde der Beweisführung sowie der rechtlichen Beurteilung der belangten Behörde entgegengetreten. Zudem wurde die Durchführung einer mündlichen Beschwerdeverhandlung beantragt.
2. Die gegenständliche Beschwerde samt Verwaltungsakt langte der Aktenlage nach am XXXX beim Bundesverwaltungsgericht ein.
Im Rahmen der Beschwerdevorlage wurde von der belangten Behörde mitgeteilt, dass die Teilnahme eines Vertreters an einer allfälligen mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht aus dienstlichen und personellen Gründen nicht möglich sei. Es werde aufgrund der gegebenen Aktenlage die Abweisung der gegenständlichen Beschwerde beantragt und um Übersendung des Verhandlungsprotokolles ersucht.
2.1. Am XXXX langte eine Verständigung der Staatsanwaltschaft XXXX vom XXXX beim Bundesverwaltungsgericht ein, dass gegen den Beschwerdeführer Anklage wegen §§ 27 Abs. 1 Z 1 1. Fall, 27 Abs. 1 Z 1 2. Fall SMG wegen vorsätzlich begangener strafbarer Handlungen erhoben wurde.
2.2. Mit rechtskräftigem Urteil des Landesgerichtes XXXX vom XXXX , XXXX , wurde der Beschwerdeführer gemäß §§ 27 Abs. Z 1 7. Fall, 27 Abs. 1 8. Fall, 27 Abs. 2a, 27 Abs. 3, 27 Abs. 4 Z 1 SMG; §§ 27 Abs. 1 Z 1 1. Fall, 27 Abs. 1 Z 1 2. Fall SMG sowie §§ 27 Abs. 1 Z 1 1. Fall, 27 Abs. 1 Z 1 2. Fall, 27 Abs. 2 SMG wegen der Vergehen des unerlaubten Umganges mit Suchtgiften unter Anwendung des § 28 StGB nach § 27 Abs. 4 SMG zu einer Freiheitsstrafe von vier Monaten, wobei die Freiheitsstrafe unter Bestimmung einer Probezeit von drei Jahren bedingt nachgesehen wurde, verurteilt.
2.3. Mit Schriftsatz vom XXXX brachte der Beschwerdeführer durch einen Rechtsanwalt einen Fristsetzungsantrag ein.
2.4. Mit verfahrensleitender Anordnung des Verwaltungsgerichtshofes vom XXXX , XXXX , wurde der Fristsetzungsantrag dem Bundesverwaltungsgericht gemäß § 38 Abs. 4 VwGG mit der Aufforderung zugestellt, binnen drei Monaten die Entscheidung (Erkenntnis/Beschluss) zu erlassen und eine Ausfertigung, Abschrift oder Kopie derselben sowie eine Kopie des Nachweises über die Zustellung der Entscheidung (Erkenntnis/Beschluss) an die antragstellende Partei dem Verwaltungsgerichtshof vorzulegen oder anzugeben, warum eine Verletzung der Entscheidungspflicht nicht vorliegt.
Gegenständliche verfahrensleitende Anordnung ist der Aktenlage nach am XXXX beim Bundesverwaltungsgericht eingelangt.
2.5. Das Bundesverwaltungsgericht beraumte in der Folge eine mündliche Verhandlung für den XXXX an.
2.6. Am XXXX fand vor dem Bundesverwaltungsgericht eine öffentliche mündliche Verhandlung statt, an welcher der Beschwerdeführer, sein bevollmächtigter Vertreter und ein Dolmetscher für die Sprache Dari teilnahmen. Im Rahmen dieser Verhandlung wurde der Beschwerdeführer zu seiner Person, zu seinen Familienverhältnissen, zu seinem Leben in Österreich, zu seinen Fluchtgründen sowie zu seiner Situation im Falle einer Rückkehr nach Afghanistan befragt.
In weiterer Folge wurden ergänzend zu den in der Ladung angeführten Länderberichten zur Lage in Afghanistan durch den verfahrensführenden Richter aufgrund des Vorbringens des Beschwerdeführers in der heutigen Verhandlung folgende Unterlagen in das Verfahren eingebracht:
? EASO-Guidance Note zu Afghanistan von Juni 2018
? Anfragebeantwortung der Staatendokumentation zu Afghanistan, Lage in Herat-Stadt und Mazar-e-Sharif aufgrund anhaltender Dürre, anfragende Stelle: BVwG vom 13.09.2018
? ACCORD Anfragebeantwortung zu Afghanistan: Folgen von Dürre in den Städten Herat und Mazar-e Sharif: Landflucht als Folge der Dürre; Auswirkungen der Dürre/Landflucht auf die Versorgung mit Wasser und Lebensmitteln, auf die Wohnraumbeschaffung und die Situation am Arbeitsmarkt für Neuansiedler (insbesondere von RückkehrerInnen) [a-10737], vom 12.10.2018
? ACCORD ecoi.net-Themendossier zu Afghanistan: Sicherheitslage und sozioökonomische Lage in Herat und Mazar-e Sharif vom 26. Juli 2019 https://www.ecoi.net/de/dokument/2013550.html (Zugriff am 20. August 2019)
Im Zuge dieser Verhandlung wurde vom Beschwerdeführer auch angegeben, dass er in Österreich bereits die A2-Deutschprüfung erfolgreich abgelegt habe. Weiters habe er erfolgreich die Pflichtschulabschlussprüfung absolviert. An das genaue jeweilige Datum könne er sich aber nicht erinnern. Auch habe er die diesbezüglichen Unterlagen zur heutigen Verhandlung nicht mitgebracht, könne diese aber vorlegen. Zur Vorlage dieser Unterlagen wurde dem Beschwerdeführer eine Frist von einer Woche gesetzt.
2.7. In weiterer Folge wurden vom Beschwerdeführer weder das A2-Zeugnis über die bestandene Deutschprüfung auf A2-Niveau noch das Zeugnis über die bestandene Pflichtschulabschlussprüfung in Vorlage gebracht.
2.8. Weiters wurde vom Bundesverwaltungsgericht eine Kopie der Niederschrift der mündlichen Verhandlung vom XXXX der belangten Behörde übermittelt. Eine Stellungnahme dazu wurde von dieser nicht erstattet.
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
1. Feststellungen:
Das Bundesverwaltungsgericht geht aufgrund des durchgeführten Ermittlungsverfahrens von folgendem für die Entscheidung maßgeblichen Sachverhalt aus:
1.1. Zur Person des Beschwerdeführers:
Der Beschwerdeführer trägt den im Spruch genannten Namen und ist am XXXX geboren. Er ist Staatsangehöriger der Islamischen Republik Afghanistan, gehört der Volksgruppe der Tadschiken und der sunnitischen Glaubensrichtung des Islams an. Der Beschwerdeführer ist in der Provinz XXXX geboren und hat dort bis zu seiner Ausreise aus Afghanistan gelebt.
Die Muttersprache des Beschwerdeführers ist Dari. In dieser Sprache kann er lesen und schreiben. Weiters verfügt er über Kenntnisse der Sprachen Paschtu und Englisch. Darüber hinaus verfügt er über fortgeschrittene Kenntnisse der deutschen Sprache.
Der Beschwerdeführer ist volljährig, gesund und arbeitsfähig. Er hat in Afghanistan drei Jahre die Schule besucht und verfügt über Arbeitserfahrung als Verkäufer in einem Bekleidungsgeschäft. Eine Berufsausbildung hat der Beschwerdeführer nicht absolviert. Die Mutter des Beschwerdeführers sowie seine beiden jüngeren Brüder haben bis zu seiner Ausreise gemeinsam mit ihm in der Provinz XXXX gelebt. Wo sich diese Familienmitglieder zum jetzigen Zeitpunkt aufhalten kann nicht festgestellt werden. Der Vater des Beschwerdeführers ist bereits verstorben.
Der Beschwerdeführer hat im Jahr XXXX Afghanistan verlassen und reiste schlepperunterstützt über den Iran und Bulgarien sowie weitere ihm unbekannte Länder nach Österreich ein. Er gelangte unter Umgehung der Grenzkontrollen in das österreichische Bundesgebiet und hat dort am XXXX einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt.
1.2. Zum Leben des Beschwerdeführers in Österreich:
Der Beschwerdeführer befindet sich seit seiner Antragstellung im XXXX aufgrund einer vorübergehenden Aufenthaltsberechtigung nach dem AsylG 2005 durchgehend rechtmäßig im Bundesgebiet. Er bestreitet seinen Lebensunterhalt im Rahmen der Grundversorgung und ist nicht selbsterhaltungsfähig.
Der Beschwerdeführer hat in Österreich in der Zeit vom XXXX bis XXXX einen Basisbildungskurs besucht.
In seiner Freizeit spielt der Beschwerdeführer Fußball. Mitglied in einem Fußballverein ist er jedoch nicht. Der Beschwerdeführer verfügt über einen Freundeskreis, darunter auch österreichische Staatsbürger, in Österreich. Weiters hat er in Österreich in der Vergangenheit gemeinnützige Tätigkeiten für die Gemeinde verrichtet. Für außergewöhnliche Integrationsbestrebungen des Beschwerdeführers gibt es keine Anhaltspunkte.
Der Beschwerdeführer verfügt über keine Familienangehörigen in Österreich.
Mit rechtskräftigem Urteil des Landesgerichtes XXXX vom XXXX , XXXX , wurde der Beschwerdeführer gemäß §§ 27 Abs. Z 1 7. Fall, 27 Abs. 1
8.
Fall, 27 Abs. 2a, 27 Abs. 3, 27 Abs. 4 Z 1 SMG; §§ 27 Abs. 1 Z 1
1.
Fall, 27 Abs. 1 Z 1 2. Fall SMG sowie §§ 27 Abs. 1 Z 1 1. Fall, 27 Abs. 1 Z 1 2. Fall, 27 Abs. 2 SMG wegen der Vergehen des unerlaubten Umganges mit Suchtgiften unter Anwendung des § 28 StGB nach § 27 Abs. 4 SMG zu einer Freiheitsstrafe von vier Monaten, wobei die Freiheitsstrafe unter Bestimmung einer Probezeit von drei Jahren bedingt nachgesehen wurde, verurteilt.
1.3. Zu den Fluchtgründen des Beschwerdeführers:
Der Beschwerdeführer war in Afghanistan keinen konkret und gezielt gegen seine Person gerichteten Bedrohungen oder Verfolgung ausgesetzt.
Im Fall der Rückkehr nach Afghanistan ist der Beschwerdeführer mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit keiner wie immer gearteten Verfolgung ausgesetzt.
Insbesondere droht dem Beschwerdeführer bei einer Rückkehr nach Afghanistan keine Gefahr als Tanzjunge (Bacha Bazi) missbraucht zu werden.
Weiters kann nicht festgestellt werden, dass der Beschwerdeführer im Falle einer Rückkehr nach Afghanistan aufgrund einer "Verwestlichung" in Afghanistan psychischer und/oder physischer Gewalt ausgesetzt wäre.
1.4. Zur Situation des Beschwerdeführers im Falle einer Rückkehr nach Afghanistan:
Es kann nicht mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit ausgeschlossen werden, dass dem Beschwerdeführer bei einer Überstellung in seine Heimatprovinz XXXX aufgrund der volatilen Sicherheitslage in dieser Provinz ein Eingriff in seine körperliche Unversehrtheit drohen würde. Eine Rückkehr des Beschwerdeführers in die Provinz XXXX ist individuell nicht zumutbar.
Dem Beschwerdeführer steht aber eine zumutbare innerstaatliche Flucht- bzw. Schutzalternative in einer der großen Städte Afghanistans, nämlich Mazar-e Sharif oder Herat zur Verfügung; diesbezüglich wird auch auf die nachfolgenden Ausführungen im Rahmen der rechtlichen Beurteilung verwiesen.
Eine Ansiedlung des Beschwerdeführers in den Städten Mazar-e Sharif oder Herat ist möglich und zumutbar. Er kann diese von Österreich sicher mit dem Flugzeug erreichen. Der Beschwerdeführer ist im afghanischen Familienverband aufgewachsen und mit den kulturellen Gepflogenheiten seines Heimatstaates und in Afghanistan gesprochenen Sprachen vertraut. Der Beschwerdeführer hat bislang nicht in Mazar-e Sharif oder Herat gelebt und verfügt in diesen Städten über keine familiären Anknüpfungspunkte. Angesichts seines Gesundheitszustandes und seiner Arbeitsfähigkeit könnte sich der Beschwerdeführer in den Städten Mazar-e Sharif oder Herat eine Existenz aufbauen und diese - zumindest anfänglich - mit Hilfs- und Gelegenheitsarbeiten sichern. Er hat in Afghanistan bereits Berufserfahrung in einem Bekleidungsgeschäft gesammelt. Der Beschwerdeführer ist in der Lage, in den Städten Mazar-e Sharif oder Herat eine einfache Unterkunft zu finden. Er hat zudem die Möglichkeit, finanzielle Unterstützung in Form der Rückkehrhilfe in Anspruch zu nehmen.
Sohin wäre es dem Beschwerdeführer möglich, in den Städten Mazar-e Sharif oder Herat, ohne Gefahr, grundlegende und notwendige Lebensbedürfnisse wie Nahrung, Kleidung sowie Unterkunft nicht befriedigen zu können bzw. in eine ausweglose bzw. existenzbedrohende Situation zu geraten, zu leben. Dem Beschwerdeführer würde bei seiner Rückkehr in eine dieser beiden Städte kein Eingriff in seine körperliche Unversehrtheit drohen.
1.5. Zur Lage im Herkunftsstaat des Beschwerdeführers:
Aufgrund der in der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht am XXXX in das Verfahren eingeführten aktuellen Erkenntnisquellen werden folgende entscheidungsrelevante Feststellungen zum Herkunftsstaat des Beschwerdeführers getroffen:
1.5.1. Auszug aus dem Länderinformationsblatt der Staatendokumentation vom 29.06.2018, in der Fassung vom 04.06.2019:
Politische Lage (Verfassung):
Nach dem Sturz des Taliban-Regimes im Jahr 2001 wurde eine neue Verfassung ausgearbeitet und im Jahr 2004 angenommen (BFA Staatendokumentation 7.2016; vgl. Casolino 2011). Sie basiert auf der Verfassung aus dem Jahr 1964. Bei der Ratifizierung sah diese Verfassung vor, dass kein Gesetz gegen die Grundsätze und Bestimmungen des Islam verstoßen darf und alle Bürger Afghanistans, Mann wie Frau, gleiche Rechte und Pflichten vor dem Gesetz haben (BFA Staatendokumentation 3.2014; vgl. Casolino 2011, MPI 27.1.2004).
[...]
Sicherheitslage (Allgemein):
[...]
Die United Nations Assistance Mission in Afghanistan (UNAMA) registrierte im ersten Quartal 2019 (1.1.2019 - 31.3.2019) 1.773 zivile Opfer (581 Tote und 1.192 Verletzte), darunter waren 582 der Opfer Kinder (150 Tote und 432 Verletzte). Dies entspricht einem Rückgang der gesamten Opferzahl um 23% gegenüber dem gleichen Zeitraum des Vorjahres, welches somit der niedrigste Wert für das erste Jahresquartal seit 2013 ist (UNAMA 24.4.2019).
Diese Verringerung wurde durch einen Rückgang der Zahl ziviler Opfer von Selbstmordanschlägen mit IED (Improvised Explosive Devices - unkonventionelle Spreng- und Brandvorrichtung/Sprengfallen) verursacht. Der Quelle zufolge könnten die besonders harten Winterverhältnisse in den ersten drei Monaten des Jahres 2019 zu diesem Trend beigetragen haben. Es ist unklar, ob der Rückgang der zivilen Opfer wegen Maßnahmen der Konfliktparteien zur Verbesserung des Schutzes der Zivilbevölkerung oder durch die laufenden Gespräche zwischen den Konfliktparteien beeinflusst wurde (UNAMA 24.4.2019).
Die Zahl der zivilen Opfer aufgrund von Nicht-Selbstmord-Anschlägen mit IEDs durch regierungsfeindliche Gruppierungen und Luft- sowie Suchoperationen durch regierungsfreundliche Gruppierungen ist gestiegen. Die Zahl der getöteten Zivilisten, die regierungsfreundlichen Gruppierungen zugeschrieben wurden, übertraf im ersten Quartal 2019 die zivilen Todesfälle, welche von regierungsfeindlichen Elementen verursacht wurden (UNAMA 24.4.2019).
Kampfhandlungen am Boden waren die Hauptursache ziviler Opfer und machten etwa ein Drittel der Gesamtzahl aus. Der Einsatz von IEDs war die zweithäufigste Ursache für zivile Opfer: Im Gegensatz zu den Trends von 2017 und 2018 wurde die Mehrheit der zivilen Opfer von IEDs nicht durch Selbstmordanschläge verursacht, sondern durch Angriffe, bei denen der Angreifer nicht seinen eigenen Tod herbeiführen wollte. Luftangriffe waren die Hauptursache für zivile Todesfälle und die dritthäufigste Ursache für zivile Opfer (Verletzte werden auch mitgezählt, Anm.), gefolgt von gezielten Morden und explosiven Kampfmittelrückständen (UXO - unexploded ordnance). Am stärksten betroffen waren Zivilisten in den Provinzen Kabul, Helmand, Nangarhar, Faryab und Kunduz (in dieser Reihenfolge) (UNAMA 24.4.2019).
Nach dem Taliban-Angriff auf Ghazni-Stadt im August 2018, bestand weiterhin die Befürchtung, dass die Taliban großangelegte Angriffe im Südosten des Landes verüben könnten. Dies war zwar nicht der Fall, dennoch setzten Talibankämpfer die afghanischen Sicherheitskräfte am Stadtrand von Ghazni, in Distrikten entlang des Highway One nach Kabul und durch die Einnahme des Distrikts Andar in Ghazni im Oktober weiterhin unter Druck. Im Westen der Provinz Ghazni, wo die ethnische Gruppierung der Hazara eine Mehrheit bildet, verschlechterten sich die Sicherheitsbedingungen wegen großangelegter Angriffe der Taliban, was im November zur Vertreibung zahlreicher Personen führte. In Folge eines weiteren Angriffs der Taliban im Distrikt Khas Uruzgan der Provinz Uruzgan im selben Monat wurden ebenfalls zahlreiche Hazara-Familien vertrieben. Des Weiteren nahmen Talibankämpfer in verschiedenen Regionen vorübergehend strategische Positionen entlang der Hauptstraßen ein und behinderten somit die Bewegungsfreiheit zwischen den betroffenen Provinzen. Beispiele dafür sind Angriffe entlang Hauptstraßen nach Kabul in den Distrikten Daymirdad und Sayyidabad in Wardak, der Route Mazar - Shirbingham und Maimana - Andkhoy in den nördlichen Provinzen Faryab, Jawzjan und Balkh und der Route Herat - Qala-e-Naw im westlichen Herat und Badghis (UNGASC 7.12.2018). Trotz verschiedener Kampfhandlungen und Bedrohungen blieben mit Stand Dezember 2018 gemäß SIGAR die Provinzzentren aller afghanischen Provinzen unter Kontrolle bzw. Einfluss der afghanischen Regierung (SIGAR 30.1.2019).
Im Laufe des Wahlregistrierungsprozesses und während der Wahl am 20. und am 21. Oktober wurden zahlreiche sicherheitsrelevante Vorfälle registriert, welche durch die Taliban und den Islamischen Staat - Provinz Khorasan (ISKP) beansprucht wurden (UNGASC 7.12.2018; vgl. UNAMA 10.10.2018, UNAMA 11.2018). Während der Wahl in der Provinz Kandahar, die wegen Sicherheitsbedenken auf den 27. Oktober verschoben worden war, wurden keine sicherheitsrelevanten Vorfälle registriert. Die afghanischen Sicherheitskräfte entdeckten und entschärften einige IED [Improvised Explosive Devices - Improvisierte Spreng- oder Brandvorrichtung/Sprengfallen] in Kandahar-Stadt und den naheliegenden Distrikten (UNAMA 11.2018). Die United Nations Assistance Mission in Afghanistan (UNAMA) hatte zwischen 1.1.2018 und 30.9.2018 im Zusammenhang mit den Parlamentswahlen insgesamt 366 zivile Opfer (126 Tote und 240 Verletzte) registriert (UNAMA 10.10.2018). Am offiziellen Wahltag, dem 20. Oktober, wurden 388 zivile Opfer (52 Tote und 336 Verletzte) registriert, darunter 117 Kinder (21 Tote und 96 Verletzte) und 48 Frauen (2 Tote und 46 Verletzte). Am folgenden Wahltag, dem 21. Oktober, wurden 47 weitere zivile Opfer (4 Tote und 43 Verletzte) verzeichnet, inklusive 17 Kinder (2 Tote und 15 Verletzte) und Frauen (3 Verletzte). Diese Zahlen beinhalten auch Opfer innerhalb der Afghan National Police (ANP) und der Independet Electoral Commission (IEC) (UNAMA 11.2018). Die am 20. Oktober am meisten von sicherheitsrelevanten Vorfällen betroffenen Städte waren Kunduz und Kabul. Auch wenn die Taliban in den von ihnen kontrollierten oder beeinflussten Regionen die Wählerschaft daran hinderten, am Wahlprozess teilzunehmen, konnten sie die Wahl in städtischen Gebieten dennoch nicht wesentlich beeinträchtigen (trotz der hohen Anzahl von Sicherheitsvorfällen) (UNGASC 7.12.2018).
Die Regierung kontrolliert bzw. beeinflusst - laut Angaben der Resolute Support (RS) Mission - mit Stand 22.10.2018 53,8% der Distrikte, was einen leichten Rückgang gegenüber dem Vergleichszeitraum 2017 bedeutet. 33,9% der Distrikte sind umkämpft und 12,3% befinden sich unter Einfluss oder Kontrolle von Aufständischen. Ca. 63,5% der Bevölkerung leben in Gebieten, die sich unter Regierungskontrolle oder -einfluss befinden; 10,8% in Gegenden unter Einfluss bzw. Kontrolle der Aufständischen und 25,6% leben in umkämpften Gebieten. Die Provinzen mit der höchsten Anzahl an Distrikten unter Kontrolle bzw. Einfluss von Aufständischen sind Kunduz, Uruzgan und Helmand (SIGAR 30.1.2019).
Der ISKP ist weiterhin im Osten des Landes präsent und bekennt sich zu Selbstmordanschlägen und komplexen Angriffen in Nangarhar und zu sechs Angriffen in Kabul-Stadt. Des Weiteren finden in den Provinzen Nangarhar und Kunar weiterhin Kämpfe zwischen ISKP- und Talibankämpfern statt. Die internationalen Streitkräfte führten Luftangriffe gegen den ISKP in den Distrikten Deh Bala, Achin, Khogyani, Nazyan und Chaparhar der Provinz Nangarhar aus (UNGASC 7.12.2018).
Die United Nations Assistance Mission in Afghanistan (UNAMA) registrierte im Berichtszeitraum (1.1.2018 - 31.12.2018) 10.993 zivile Opfer (3.804 Tote und 7.189 Verletzte), eine allgemeine Steigerung von 5% sowie eine Steigerung der Zahl der Toten um 11% gegenüber dem Vorjahreswert. 42% der zivilen Opfer (4.627 Opfer;
1.361 Tote und 3.266 Verletzte) wurden durch IED im Zuge von Anschlägen und Selbstmordanschlägen regierungsfeindlicher Gruppierungen (hauptsächlich ISKP) verursacht. Die Anzahl der Selbstmordanschläge unter Einsatz von IED stieg dabei um 22% und erreichte somit einen Rekordwert. Diese Art von Anschlägen verursachte 26% aller zivilen Opfer, während IED, die bei Nichtselbstmordanschlägen verwendet wurden, 16% der zivilen Opfer forderten. Kabul war mit insgesamt 1.866 Opfern (596 Tote und 1.270 Verletzte) die Provinz mit der höchsten Anzahl an Selbstmordanschlägen durch IED, während die Zahl der Opfer in Nangarhar mit insgesamt 1.815 (681 Tote und 1.134 Verletzte) zum ersten Mal fast die Werte von Kabul erreichte (hauptsächlich wegen des Einsatzes von IED bei Nichtselbstmordanschlägen). Kabul-Stadt verzeichnete insgesamt 1.686 zivile Opfer (554 Tote und 1.132 Verletzte) wegen komplexen und Selbstmordangriffen (UNAMA 24.2.2019).
Zusammenstöße am Boden (hauptsächlich zwischen regierungsfreundlichen und regierungsfeindlichen Gruppierungen) verursachten 31% der zivilen Opfer (insgesamt 3.382; davon 814 Tote und 2.568 Verletzte), was einen Rückgang um 3% im Vergleich mit dem Vorjahreswert bedeutet. Grund dafür war der Versuch regierungsfreundlicher Gruppierungen, die zivile Bevölkerung zu schonen. Die Verlagerung der Kämpfe in dünn besiedelte Gebiete, die Vorwarnung der lokalen Zivilbevölkerung bei Kampfhandlungen und die Implementierung von Strategien zum Schutz der Bevölkerung waren einige der bestimmenden Faktoren für den Rückgang bei zivilen Opfern. Jedoch ist die Opferzahl bei gezielt gegen die Zivilbevölkerung gerichteten komplexen Angriffen und Selbstmordanschlägen regierungsfeindlicher Gruppierungen gestiegen (plus 48% gegenüber 2017; 4.125 Opfer insgesamt, davon 1.404 Tote und 2.721 Verletzte). Sowohl der ISKP als auch die Taliban griffen gezielt Zivilisten an: Der ISKP war für 1.871 zivile Opfer verantwortlich, darunter waren u.a. Mitglieder der schiitischen Gemeinschaft, und die Taliban für 1.751. Obwohl die Gesamtzahl der zivilen Opfer durch gezielte Tötungen von Einzelpersonen (hauptsächlich durch Erschießung) zurückging, blieben Zivilisten inklusive religiöser Führer und Stammesältester weiterhin Ziele regierungsfeindlicher Gruppierungen. Die Gesamtzahl der durch Luftangriffe verursachten zivilen Opfer stieg im Vergleich mit dem Vorjahreswert um 61% und die Zahl der Todesopfer erreichte 82%. 9% aller zivilen Opfer wurden Luftangriffen (mehrheitlich der internationalen Luftwaffe) zugeschrieben, der höchste Wert seit 2009 (UNAMA 24.2.2019).
Regierungsfeindliche Gruppierungen waren im UNAMA-Berichtszeitraum (1.1.2018 - 31.12.2018) für 6.980 zivile Opfer (2.243 Tote und 4.737 Verletzte) verantwortlich. Das entspricht 63% der gesamten zivilen Opfer. 37% davon werden den Taliban, 20% dem ISKP und 6% unbestimmten regierungsfeindlichen Gruppierungen zugeschrieben. Im Laufe des Jahres 2018 wurden vermehrt Anschläge gegen Bildungseinrichtungen verzeichnet, meist durch Talibankämpfer, da in Schulen Registrierungs- und Wahlzentren untergebracht waren. Der ISKP attackierte und bedrohte Bildungseinrichtungen als Reaktion auf militärische Operationen afghanischer und internationaler Streitkräfte. UNAMA berichtet auch über anhaltende Angriffe auf Gesundheitseinrichtungen, welche Auswirkungen auf einen Großteil der zivilen Bevölkerung haben. Trotzdem die Taliban nach eigenen Angaben Maßnahmen zum Schutz der Zivilbevölkerung ergriffen haben, attackierten diese weiterhin Zivilisten, zivile Einrichtungen und regierungsfreundliche Gruppierungen in Zivilgebieten (UNAMA 24.2.2019).
Ungefähr 24% der zivilen Opfer (2.612, davon 1.185 Tote und 1.427 Verletzte), werden regierungsfreundlichen Gruppierungen zugeschrieben: 14% den afghanischen Sicherheitskräften, 6% den internationalen Streitkräften und 4% unbestimmten regierungsfreundlichen Gruppierungen. Die Steigerung um 4% gegenüber dem Vorjahr geht auf Luftangriffe der internationalen Streitkräfte und Fahndungsaktionen der afghanischen Sicherheitskräfte und regierungsfreundlicher Gruppierungen zurück (UNAMA 24.2.2019).
Die verbleibenden 13% der verzeichneten zivilen Opfer wurden im Kreuzfeuer während Zusammenstößen am Boden (10%), durch Beschuss aus Pakistan (1%) und durch die Explosion von Blindgängern verursacht (UNAMA 24.2.2019).
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Regierungsfeindliche Gruppierungen:
Terroristische und aufständische Gruppierungen stellen Afghanistan und die Koalitionskräfte vor erhebliche Herausforderungen. Derzeit sind rund 20 terroristische Organisationen in Afghanistan zu finden:
das von außen unterstützte Haqqani-Netzwerk stellt nach wie vor die größte Gefährdung für afghanische und internationale Kräfte dar. Die Verflechtung von Taliban und Haqqani-Netzwerk ist so intensiv, dass diese beiden Gruppierungen als Fraktionen ein und derselben Gruppe angesehen werden. Wenn auch die Taliban öffentlich verkündet haben, sie würden zivile Opfer einschränken, so führt das Haqqani-Netzwerk auch weiterhin Angriffe in bevölkerungsreichen Gegenden aus (USDOD 12.2017).
Im August 2017 wurde berichtet, dass regierungsfeindliche bewaffnete Gruppierungen - insbesondere die Taliban - ihre Aktivitäten landesweit verstärkt haben, trotz des Drucks der afghanischen Sicherheitskräfte und der internationalen Gemeinschaft, ihren Aktivitäten ein Ende zu setzen (Khaama Press 13.8.2017). Auch sind die Kämpfe mit den Taliban eskaliert, da sich der Aufstand vom Süden in den sonst friedlichen Norden des Landes verlagert hat, wo die Taliban auch Jugendliche rekrutieren (Xinhua 18.3.2018). Ab dem Jahr 2008 expandierten die Taliban im Norden des Landes. Diese neue Phase ihrer Kampfgeschichte war die Folge des Regierungsaufbaus und Konsolidierungsprozess in den südlichen Regionen des Landes. Darüber hinaus haben die Taliban hauptsächlich in Faryab und Sar-i-Pul, wo die Mehrheit der Bevölkerung usbekischer Abstammung ist, ihre Reihen für nicht-paschtunische Kämpfer geöffnet (AAN 17.3.2017).
Teil der neuen Strategie der Regierung und der internationalen Kräfte im Kampf gegen die Taliban ist es, die Luftangriffe der afghanischen und internationalen Kräfte in jenen Gegenden zu verstärken, die am stärksten von Vorfällen betroffen sind. Dazu gehören u.a. die östlichen und südlichen Regionen, in denen ein Großteil der Vorfälle registriert wurde. Eine weitere Strategie der Behörden, um gegen Taliban und das Haqqani-Netzwerk vorzugehen, ist die Reduzierung des Einkommens selbiger, indem mit Luftangriffen gegen ihre Opium-Produktion vorgegangen wird (SIGAR 1.2018).
Außerdem haben Militäroperationen der pakistanischen Regierung einige Zufluchtsorte Aufständischer zerstört. Jedoch genießen bestimmte Gruppierungen, wie die Taliban und das Haqqani-Netzwerk Bewegungsfreiheit in Pakistan (USDOD 12.2017). Die Gründe dafür sind verschiedene: das Fehlen einer Regierung, das permissive Verhalten der pakistanischen Sicherheitsbehörden, die gemeinsamen kommunalen Bindungen über die Grenze und die zahlreichen illegalen Netzwerke, die den Aufständischen Schutz bieten (AAN 17.10.2017).
Taliban:
Die Taliban führten auch ihre Offensive "Mansouri" weiter; diese Offensive konzentrierte sich auf den Aufbau einer "Regierungsführung" der Taliban (Engl. "governance") bei gleichzeitiger Aufrechterhaltung der Gewalt gegen die afghanische Regierung, die ANDSF und ausländische Streitkräfte. Nichtsdestotrotz erreichten die Taliban, die Hauptziele dieser "Kampfsaison" laut US-Verteidigungsministerium nicht (USDOD 12.2017). Operation Mansouri sollte eine Mischung aus konventioneller Kriegsführung, Guerilla-Angriffen und Selbstmordattentaten auf afghanische und ausländische Streitkräfte werden (Reuters 28.4.2017). Auch wollten sich die Taliban auf jene Gegenden konzentrieren, die vom Feind befreit worden waren (LWJ 28.4.2017). Laut NATO Mission Resolute Support kann das Scheitern der Taliban-Pläne für 2017 auf aggressive ANDSF-Operationen zurückgeführt, aber auch auf den Umstand, dass die Taliban den IS und die ANDSF gleichzeitig bekämpfen müssen (USDOD 12.2017).
Im Jahr 2017 wurden den Taliban insgesamt 4.385 zivile Opfer (1.574 Tote und 2.811 Verletzte zugeschrieben. Die Taliban bekannten sich nur zu 1.166 zivilen Opfern. Im Vergleich zum Vorjahreswert bedeutet dies einen Rückgang um 12% bei der Anzahl ziviler Opfer, die den Taliban zugeschrieben werden. Aufgrund der Komplexität der in Selbstmord- und komplexen Anschlägen involvierten Akteure hat die UNAMA oft Schwierigkeiten, die daraus resultierenden zivilen Opfer spezifischen regierungsfreundlichen Gruppierungen zuzuschreiben, wenn keine Erklärungen zur Verantwortungsübernahme abgegeben wurden. Im Jahr 2017 haben sich die Taliban zu 67 willkürlichen Angriffen auf Zivilist/innen bekannt; dies führte zu 214 zivilen Opfern (113 Toten und 101 Verletzten). Auch wenn sich die Taliban insgesamt zu weniger Angriffen gegen Zivilist/innen bekannten, so haben sie dennoch die Angriffe gegen zivile Regierungsmitarbeiter/innen erhöht - es entspricht der Linie der Taliban, Regierungsinstitutionen anzugreifen (UNAMA 2.2018).
Schätzungen von SIGAR zufolge kontrollierten im Oktober 2017 und im Jänner 2018 die Taliban 14% der Distrikte Afghanistans (SIGAR 30.4.2018). Die Taliban selbst verlautbarten im März 2017, dass sie beinahe 10% der afghanischen Distrikte kontrollierten (ODI 6.2018). Die Taliban halten auch weiterhin großes Territorium in den nördlichen und südlichen Gegenden der Provinz Helmand (JD News 12.3.2018; vgl. LWJ 20.4.2018). Die ANDSF haben, unterstützt durch US-amerikanische Truppen, in den ersten Monaten des Jahres 2018 an Boden gewonnen, wenngleich die Taliban nach wie vor die Hälfte der Provinz Helmand unter Kontrolle halten (JD News 12.3.2018; vgl. LWJ 20.4.2018). Helmand war lange Zeit ein Hauptschlachtfeld - insbesondere in der Gegend rund um den Distrikt Sangin, der als Kernstück des Taliban-Aufstands erachtet wird (JD News 12.3.2018; vgl. Reuters 30.3.2018). Die Taliban haben unerwarteten Druck aus ihrer eigenen Hochburg in Helmand erhalten: Parallel zu der Ende März 2018 abgehaltenen Friedens-Konferenz in Uzbekistan sind hunderte Menschen auf die Straße gegangen, haben eine Sitzblockade abgehalten und geschworen, einen langen Marsch in der von den Taliban kontrollierten Stadt Musa Qala zu abzuhalten, um die Friedensgespräche einzufordern. Unter den protestierenden Menschen befanden sich auch Frauen, die in dieser konservativen Region Afghanistans selten außer Hauses gesehen werden (NYT 27.3.2018).
Die Taliban geben im Kurznachrichtendienst Twitter Angaben zu ihren Opfern oder Angriffen (FAZ 19.10.2017; vgl. Pajhwok 13.3.2018). Ihre Angaben sind allerdings oft übertrieben (FAZ 19.10.2017). Auch ist es sehr schwierig Ansprüche und Bekennermeldungen zu verifizieren - dies gilt sowohl für Taliban als auch für den IS (AAN 5.2.2018).
IS/ISIS/ISKP/ISIL-KP/Daesh:
Höchst umstritten ist von Expert/innen die Größe und die Gefahr, die vom IS ausgeht. So wird von US-amerikanischen Sicherheitsbeamten und weiteren Länderexpert/innen die Anzahl der IS-Kämpfer in Afghanistan mit zwischen 500 und 5.000 Kämpfern beziffert. Jeglicher Versuch die tatsächliche Stärke einzuschätzen, wird durch den Umstand erschwert, dass sich die Loyalität der bewaffneten radikalen Islamisten oftmals monatlich oder gar wöchentlich ändert, je nach ideologischer Wende, Finanzierung und Kampfsituation (WSJ 21.3.2018). Auch wurde die afghanische Regierung bezichtigt, die Anzahl der IS-Kämpfer in Afghanistan aufzublasen (Tolonews 10.1.2018). Zusätzlich ist wenig über die Gruppierung und deren Kapazität, komplexe Angriffe auszuführen, bekannt. Viele afghanische und westliche Sicherheitsbeamte bezweifeln, dass die Gruppierung alleine arbeitet (Reuters 9.3.2018).
Die Fähigkeiten und der Einfluss des IS sind seit seiner Erscheinung im Jahr 2015 zurückgegangen. Operationen durch die ANDSF und die US-Amerikaner, Druck durch die Taliban und Schwierigkeiten die Unterstützung der lokalen Bevölkerung zu gewinnen, störten das Wachstum des IS und verringerten dessen Operationskapazitäten. Trotz erheblicher Verluste von Territorium, Kämpfern und hochrangigen Führern, bleibt der IS nach wie vor eine Gefährdung für die Sicherheit in Afghanistan und in der Region. Er ist dazu in der Lage, öffentlichkeitswirksamen (high-profile) Angriffen (HPA) in städtischen Zentren zu verüben (USDOD 12.2017). Der IS hat sich nämlich in den vergangenen Monaten zu einer Anzahl tödlicher Angriffe in unterschiedlichen Teilen des Landes bekannt - inklusive der Hauptstadt. Dies schürte die Angst, der IS könne an Kraft gewinnen (VoA 10.1.2018; vgl. AJ 30.4.2018). Auch haben örtliche IS-Gruppen die Verantwortung für Angriffe auf Schiiten im ganzen Land übernommen (USDOD 12.2017).
Im Jahr 2017 wurden dem IS 1.000 zivile Opfer (399 Tote und 601 Verletzte) zugeschrieben sowie die Entführung von 81 Personen; er war damit laut UNAMA für 10% aller zivilen Opfer im Jahr 2017 verantwortlich - eine Zunahme von insgesamt 11% im Vergleich zum Jahr 2016. Im Jahr 2017 hat sich der IS zu insgesamt 18 willkürlichen Angriffen auf Zivilist/innen oder zivile Objekte bekannt (UNAMA 2.2018); er agiert wahllos - greift Einrichtungen der afghanischen Regierung und der Koalitionskräfte an (AAN 5.2.2018), aber auch ausländische Botschaften (UNAMA 2.2.018). Fast ein Drittel der Angriffe des IS zielen auf schiitische Muslime ab (UNAMA 2.2018; vgl. AAN 5.2.2018) - sechs Angriffe waren auf schiitische Glaubensstätten (UNAMA 2.2018). Der IS begründet seine Angriffe auf die schiitische Gemeinschaft damit, dass deren Mitglieder im Kampf gegen den IS im Mittleren Osten involviert sind (AAN 5.2.2018).
Zusätzlich dokumentierte die UNAMA im Jahr 2017 27 zivile Opfer (24 Tote und drei Verletzte) sowie die Entführung von 41 Zivilist/innen, die von selbsternannten IS-Anhängern in Ghor, Jawzjan und Sar-e Pul ausgeführt wurden. Diese Anhänger haben keine offensichtliche Verbindung zu dem IS in der Provinz Nangarhar (UNAMA 2.2018).
Der IS rekrutierte auf niedriger Ebene und verteilte Propagandamaterial in vielen Provinzen Afghanistans. Führung, Kontrolle und Finanzierung des Kern-IS aus dem Irak und Syrien ist eingeschränkt, wenngleich der IS in Afghanistan nachhaltig auf externe Finanzierung angewiesen ist, sowie Schwierigkeiten hat, Finanzierungsströme in Afghanistan zu finden. Dieses Ressourcenproblem hat den IS in einen Konflikt mit den Taliban und anderen Gruppierungen gebracht, die um den Gewinn von illegalen Kontrollpunkten und den Handel mit illegalen Waren wetteifern. Der IS bezieht auch weiterhin seine Mitglieder aus unzufriedenen TTP-Kämpfern (Tehreek-e Taliban in Pakistan - TTP), ehemaligen afghanischen Taliban und anderen Aufständischen, die meinen, der Anschluss an den IS und ihm die Treue zu schwören, würde ihre Interessen vorantreiben (USDOD 12.2017).
Auch ist der IS nicht länger der wirtschaftliche Magnet für arbeitslose und arme Jugendliche in Ostafghanistan, der er einst war. Die Tötungen von IS-Führern im letzten Jahr (2017) durch die afghanischen und internationalen Kräfte haben dem IS einen harten Schlag versetzt, auch um Zugang zu finanziellen Mitteln im Mittleren Osten zu erhalten. Finanziell angeschlagen und mit wenigen Ressourcen, ist der IS in Afghanistan nun auf der Suche nach anderen Möglichkeiten des finanziellen Überlebens (AN 6.3.2018).
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US-Angaben zufolge ist die Zahl der IS-Anhänger in Afghanistan auf ca. 5.000 gestiegen, fünfmal so viel wie vor einem Jahr. Gemäß einer Quelle profitiert die Gruppierung vom "zahlenmäßigen Anstieg der Kämpfer in Pakistan und Usbekistan und von aus Syrien geflohenen Kämpfern". Des Weiteren schließen sich enttäuschte Mitglieder der Taliban sowie junge Menschen ohne Zukunftsperspektive dem IS an, der in Kabul, Nangarhar und Kunar über Zellen verfügt (BAMF 3.6.2019). US-Angaben zufolge ist es "sehr wahrscheinlich", dass kleinere IS-Zellen auch in Teilen Afghanistans operieren, die unter der Kontrolle der Regierung oder der Taliban stehen (VOA 21.5.2019). Eine russische Quelle berichtet wiederum, dass ca. 5.000 IS-Kämpfer entlang der Nordgrenze tätig sind und die Nachbarländer bedrohen. Der Quelle zufolge handelt es sich dabei um Staatsbürger der ehemaligen sowjetischen Republiken, die mit dem IS in Syrien gekämpft haben (Newsweek 21.5.2019).
Haqqani-Netzwerk:
Der Gründer des Haqqani-Netzwerkes - Jalaluddin Haqqani - hat aufgrund schlechter Gesundheit die operationale Kontrolle über das Netzwerk an seinen Sohn Sirajuddin Haqqani übergeben, der gleichzeitig der stellvertretende Führer der Taliban ist (VoA 1.7.2017). Als Stellvertreter der Taliban wurde die Rolle von Sirajuddin Haqqani innerhalb der Taliban verfestigt. Diese Rolle erlaubte dem Haqqani-Netzwerk seinen Operationsbereich in Afghanistan zu erweitern und lieferte den Taliban zusätzliche Fähigkeiten in den Bereichen Planung und Operation (USDOD 12.2017).
Von dem Netzwerk wird angenommen, aus den FATA-Gebieten (Federally Administered Tribal Areas) in Pakistan zu operieren. Unterschiedlichen Schätzungen zufolge soll das Netzwerk zwischen 3.000 und 10.000 Mitglieder haben. Dem Netzwerk wird nachgesagt finanziell von unterschiedlichen Quellen unterstützt zu werden - inklusive reichen Personen aus den arabischen Golfstaaten (VoA 1.7.2017).
Zusätzlich zu der Verbindung mit den Taliban, hat das Netzwerk mit mehreren anderen Aufständischen Gruppierungen, inklusive al-Qaida, der Tehreek-e Taliban in Pakistan (TTP), der Islamic Movement of Uzbekistan (IMU) und der ebenso in Pakistan ansässigen Lashkar-e-Taiba (VoA 1.7.2017).
Sowohl die afghanische, als auch die US-amerikanische Regierung haben Pakistan in der Vergangenheit wiederholt kritisiert, keine eindeutigen Maßnahmen gegen terroristische Elemente zu ergreifen, die darauf abzielen, die Region zu destabilisieren - zu diesen Elementen zählen auch die Taliban und das Haqqani-Netzwerk (RFE/RL 23.3.2018; vgl. AJ 8.3.2018, UNGASC 27.2.2018).
Al-Qaida:
Al-Qaida konzentriert sich hauptsächlich auf das eigene Überleben und seine Bemühungen sich selbst zu erneuern. Die Organisation hat eine nachhaltige Präsenz in Ost- und Nordostafghanistan, mit kleineren Elementen im Südosten. Manche Taliban in den unteren und mittleren Rängen unterstützen die Organisation eingeschränkt. Nichtsdestotrotz konnte zwischen 1.6.-20.11.2017 keine Intensivierung der Beziehung zu den Taliban auf einem strategischen Niveau registriert werden (USDOD 12.2017).
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Kabul:
Die Provinzhauptstadt von Kabul und gleichzeitig Hauptstadt von Afghanistan ist Kabul-Stadt. Die Provinz Kabul grenzt im Nordwesten an die Provinz Parwan, im Nordosten an Kapisa, im Osten an Laghman, an Nangarhar im Südosten, an Logar im Süden und an (Maidan) Wardak im Südwesten. Kabul ist mit den Provinzen Kandahar, Herat und Mazar durch die sogenannte Ringstraße und mit Peshawar in Pakistan durch die Kabul-Torkham Autobahn verbunden. Die Provinz Kabul besteht aus folgenden Einheiten (Pajhwok o.D.z): Bagrami, Chaharasyab/Char Asiab, Dehsabz/Deh sabz, Estalef/Istalif, Farza, Guldara, Kabul Stadt, Kalakan, Khak-e Jabbar/Khak-i-Jabar, Mirbachakot/Mir Bacha Kot, Musayi/Mussahi, Paghman, Qarabagh, Shakardara, Surobi/Sorubi (UN OCHA 4-2014; vgl. Pajhwok o.D.z).
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In der Hauptstadt Kabul leben unterschiedliche Ethnien: Paschtunen, Tadschiken, Hazara, Usbeken, Turkmenen, Belutschen, Sikhs und Hindus. Ein Großteil der Bevölkerung gehört dem sunnitischen Glauben an, dennoch lebt eine Anzahl von Schiiten, Sikhs und Hindus nebeneinander in Kabul Stadt (Pajhwok o.D.z). Menschen aus unsicheren Provinzen, auf der Suche nach Sicherheit und Jobs, kommen nach Kabul - beispielsweise in die Region Shuhada-e Saliheen (LAT 26.3.2018). In der Hauptstadt Kabul existieren etwa 60 anerkannte informelle Siedlungen, in denen 65.000 registrierte Rückkehrer/innen und IDPs wohnen (TG 15.3.2018).
Kabul verfügt über einen internationalen Flughafen: den Hamid Karzai International Airport (HKIR) (Tolonews 25.2.2018).
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Einst als relativ sicher erachtet, ist die Hauptstadt Kabul von öffentlichkeitswirksamen (high-profile) Angriffen der Taliban betroffen (Reuters 14.3.2018), die darauf abzielen, die Autorität der afghanischen Regierung zu untergraben (Reuters 14.3.2018; vgl. UNGASC 27.2.2018). Regierungsfeindliche, bewaffnete Gruppierungen inklusive des IS versuchen in Schlüsselprovinzen und -distrikten, wie auch in der Hauptstadt Kabul, Angriffe auszuführen (Khaama Press 26.3.2018; vgl. FAZ 22.4.2018, AJ 30.4.2018). Im Jahr 2017 und in den ersten Monaten des Jahres 2018 kam es zu mehreren "high-profile"-Angriffen in der Stadt Kabul; dadurch zeigte sich die Angreifbarkeit/Vulnerabilität der afghanischen und ausländischen Sicherheitskräfte (DW 27.3.2018; vgl. VoA 19.3.2018 SCR 3.2018, FAZ 22.4.2018, AJ 30.4.2018).
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Im gesamten Jahr 2017 wurden 1.831 zivile Opfer (479 getötete Zivilisten und 1.352 Verletzte) registriert. Hauptursache waren Selbstmordanschläge, gefolgt von IEDs und gezielte Tötungen. Dies bedeutet eine Steigerung von 4% im Gegensatz zum Vergleichsjahr 2016. Für Kabul-Stadt wurden insgesamt 1.612 zivile Opfer registriert; dies bedeutet eine Steigerung von 17% im Gegensatz zum Vorjahr 2016 (440 getötete Zivilisten und 1.172 Verletzte) (UNAMA 2.2018).
Im Jahr 2017 war die höchste Anzahl ziviler Opfer Afghanistans in der Provinz Kabul zu verzeichnen, die hauptsächlich auf willkürliche Angriffe in der Stadt Kabul zurückzuführen waren; 16% aller zivilen Opfer in Afghanistan sind in Kabul zu verzeichnen.
Selbstmordangriffe und komplexe Attacken, aber auch andere Vorfallsarten, in denen auch IEDs verwendet wurden, erhöhten die Anzahl ziviler Opfer in Kabul. Dieser öffentlichkeitswirksame (high-profile) Angriff im Mai 2017 war alleine für ein Drittel ziviler Opfer in der Stadt Kabul im Jahr 2017 verantwortlich (UNAMA 2.2018).
Regelmäßig werden in der Hauptstadt Sicherheitsoperationen durch die Regierung in unterschiedlichen Gebieten ausgeführt (Tolonews 31.1.2018; vgl. AT 18.3.2018, RS 28.2.2018; vgl. MF 18.3.2018). Im Rahmen des neuen Sicherheitsplanes sollen außerdem Hausdurchsuchungen ausgeführt werden (MF 18.3.2018). Um die Sicherheitslage in Kabul-Stadt zu verbessern, wurden im Rahmen eines neuen Sicherheitsplanes mit dem Namen "Zarghun Belt" (der grüne Gürtel), der Mitte August 2017 bekannt gegeben wurde, mindestens 90 Kontrollpunkte in den zentralen Teilen der Stadt Kabul errichtet. Die afghanische Regierung deklarierte einen Schlüsselbereich der afghanischen Hauptstadt zur "Green Zone" - dies ist die Region, in der wichtige Regierungsinstitutionen, ausländische Vertretungen und einige Betriebe verortet sind (Tolonews 7.2.2018). Kabul hatte zwar niemals eine formelle "Green Zone"; dennoch hat sich das Zentrum der afghanischen Hauptstadt, gekennzeichnet von bewaffneten Kontrollpunkten und Sicherheitswänden, immer mehr in eine militärische Zone verwandelt (Reuters 6.8.2017). Die neue Strategie beinhaltet auch die Schließung der Seitenstraßen, welche die Hauptstadt Kabul mit den angrenzenden Vorstädten verbinden; des Weiteren, werden die Sicherheitskräfte ihre Präsenz, Personenkontrollen und geheimdienstlichen Aktivitäten erhöhen (Tolonews 7.2.2018). Damit soll innerhalb der Sicherheitszone der Personenverkehr kontrolliert werden. Die engmaschigen Sicherheitsmaßnahmen beinhalten auch eine erhöhte Anzahl an Sicherheitskräften und eine Verbesserung der Infrastruktur rund um Schlüsselbereiche der Stadt (Tolonews 1.3.2018). Insgesamt beinhaltet dieser neue Sicherheitsplan 52 Maßnahmen, von denen die meisten nicht veröffentlicht werden (RFE/RL 7.2.2018). Auch übernimmt die ANA einige der porösen Kontrollpunkte innerhalb der Stadt und bildet spezialisierte Soldaten aus, um Wache zu stehen. Des Weiteren soll ein kreisförmiger innerer Sicherheitsmantel entstehen, der an einen äußeren Sicherheitsring nahtlos anschließt - alles dazwischen muss geräumt werden (Reuters14.3.2018).
Sowohl die Taliban als auch der IS verüben öffentlichkeitswirksame (high-profile) Angriffe in der Stadt Kabul (UNGASC 27.2.2018; vgl. RFE/RL 17.3.2018, Dawn 31.1.2018), auch dem Haqqani-Netzwerk wird nachgesagt, Angriffe in der Stadt Kabul zu verüben (RFE/RL 30.1.2018; vgl. NYT 9.3.2018, VoA 1