TE Bvwg Erkenntnis 2019/9/12 W124 2184179-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 12.09.2019
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Entscheidungsdatum

12.09.2019

Norm

AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §3 Abs5
AsylG 2005 §34 Abs2
AsylG 2005 §34 Abs4
B-VG Art. 133 Abs4

Spruch

W124 2184185-1/24E

W124 2184179-1/22E

W124 2184182-1/23E

W124 2184180-1/20E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Mag. FELSEISEN als Einzelrichter über die Beschwerden von

1.) XXXX , StA. Afghanistan, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom XXXX ,

2.) XXXX , StA: Afghanistan, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom XXXX ,

3.) XXXX , StA: Afghanistan, vertreten durch die Kindesmutter XXXX , als gesetzliche Vertreterin, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom XXXX ,

4.) XXXX , StA: Afghanistan, vertreten durch die Kindesmutter XXXX , als gesetzliche Vertreterin, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom XXXX ,

nach mündlichen Verhandlungen am XXXX und XXXX zu Recht erkannt:

A)

Den Beschwerden wird stattgegeben und XXXX gemäß § 3 Abs. 1 Asylgesetz BGBl. I Nr. 100/2005 (AsylG 2005) i.d.g.F. der Status von Asylberechtigten zuerkannt. Gemäß § 3 Abs. 5 AsylG 2005 wird festgestellt, dass XXXX , kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukommt.

B)

Die Revision ist gemäß Art 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang:

Die Erst- bis ViertbeschwerdeführerInnen (BF1 bis BF4) gelangten am XXXX mit Hilfe eines Schleppers unberechtigt in das Bundesgebiet und stellten am selben Tag gegenständliche Anträge auf internationalen Schutz.

Bei der Einvernahme der Erstbeschwerdeführerin und des Zweitbeschwerdeführers durch die Landespolizeidirektion Steiermark am XXXX gaben diese im Wesentlichen übereinstimmend an, dass auf Grund des Krieges und der Taliban diese Afghanistan verlassen und in den Iran fliehen hätten müssen. Sie hätten Angst gehabt von dort in den Iran abgeschoben zu werden. In der mit der BF 1 am XXXX vor dem BFA aufgenommenen Niederschrift führte diese im Wesentlichen aus, dass es dieser nicht gestattet gewesen sei im Iran zu arbeiten. Außerdem hätte deren Tochter zwangsverheiratet werden sollen. Sie habe den Brautwerbern allerdings gesagt, dass die Drittbeschwerdeführerin dafür viel zu jung sein würde. Sie hätten Angst gehabt und seien zwei Tage später wegen der Taliban aus Afghanistan ausgereist. Wirtschaftliche Probleme hätten sie nicht gehabt. Das Problem sei vielmehr im Hinblick des Umstandes der Tochter gelegen. Die Taliban würden sie wegen des Vorfalls mit der Drittbeschwerdeführerin töten. Die Erstbeschwerdeführerin selbst sei in Afghanistan aus Gründen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder politischen Überzeugung in ihrer Heimat nicht bedroht oder verfolgt worden. Selbiges würde für die Drittbeschwerdeführerin gelten. Die Viertbeschwerdeführerin sei im Iran geboren.

Die Erstbeschwerdeführerin habe in Österreich viele Freunde und würde ehrenamtlich arbeiten. Sie habe verschiedene Aktivitäten gemacht. Dies würde aus den Unterlagen hervorgehen. In Österreich würde die Erstbeschwerdeführerin bereit sein jede Arbeit zu machen. Sie habe die Absicht als Köchin tätig zu sein. Einen Schneiderkurs habe sie bereits absolviert. Der Zweitbeschwerdeführer gab in der mit ihm am XXXX aufgenommen Niederschrift übereinstimmend mit den Angaben der Erstbeschwerdeführerin an, dass ein XXXX seine Mutter als Brautwerberin geschickt habe und dieser gesagt worden sei, dass der Drittbeschwerdeführer dafür noch zu jung sein würde. Sie hätte es in der Folge mit der Angst zu tun bekommen und sei der Zweitbeschwerdeführer mit seiner Familie in den Iran gegangen. Nachdem der Zweitbeschwerdeführer die Brautwerberin weggeschickt habe, sei es zu keinem Kontakt mit XXXX oder mit den Taliban gekommen.

Mit den nunmehr angefochtenen Bescheiden wurden die Anträge der Erst-, bis ViertbeschwerdefüherInnen auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG (Spruchpunkt I.) und bezüglich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Afghanistan gemäß § 8 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 (Spruchpunkt II.) abgewiesen. Gemäß § 57 AsylG wurden Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen nicht erteilt (Spruchpunkt III.) und gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG iVm § 9 BFA-VG gegen die BF Rückkehrentscheidungen gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG erlassen (Spruchpunkt IV.). Es wurde gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass die Abschiebung der BF gemäß § 46 FPG nach Afghanistan zulässig sei (Spruchpunkt V.). Weiters wurde ausgeführt, dass die Frist für die freiwillige Ausreise der BF gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG 14 Tage ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung betrage (Spruchpunkt VI.).

Begründet wurde dies insbesondere damit, dass der Zweitbeschwerdeführer die Frage, ob seine minderjährigen Kinder in seinem Heimatland Afghanistan aus Gründen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder politischen Überzeugung bedroht oder verfolgt worden seien, geantwortet habe, dass seine Tochter aus diesen Gründen nicht bedroht oder verfolgt worden sei, sie auch keine Furcht vor Bedrohung oder Verfolgung erlitten hätte und der Viertbeschwerdeführer niemals in Afghanistan gewesen sei. Bezüglich des Vorbringens der angedrohten Zwangsverheiratung seiner Tochter durch die Taliban sei vorab zu erwähnen, dass dieser Flucht-, und Asylgrund in der Ersteinvernahme der Erstbeschwerdeführerin und des Zweitbeschwerdeführers keine Erwähnung gefunden habe. Zwar habe der Zweitbeschwerdeführer sowie die Erstbeschwerdeführerin auch vor dem BFA angegeben Afghanistan wegen der Taliban verlassen zu haben, jedoch habe dieser die Probleme in keiner einzigen Ausführung geschildert. Er habe angegeben auch ohne jeglichen Kontakt zu den Taliban sein Heimatdorf verlassen zu haben. Der Zweitbeschwerdeführer habe keine Bedrohung oder Verfolgung seiner Person in seinem Herkunftsstaat Afghanistan und damit keine asylrelevanten Gründe vorgebracht. Eine Bedrohung oder Verfolgung habe der BF mehrmals verneint und kategorisch ausgeschlossen. Die Erstbeschwerdeführerin habe hinsichtlich der Rückkehrgefährdung ausgeführt, dass diese von den Taliban getötet werden würden. Da die Erstbeschwerdeführerin aber ihren eigenen Angaben nach keinerlei Kontakt mit den Taliban gehabt habe, sie dies nicht logisch nachvollziehbar. Es würde der Erstbeschwerdeführerin gegenüber keine individuelle bzw. aktuelle Verfolgungssituation von staatlicher oder quasi-staatlicher Seite aus Gründen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen politischen Ansichten aus sonstigen Gründen in seinem Herkunftsstaat Afghanistan vorliegen. Aus diesen Ausführungen ergibt sich, dass im Falle einer Rückkehr diese keiner Bedrohungssituation ausgesetzt sein würde und keine unmenschliche oder erniedrigenden Behandlung erfahren würde. Auch aus den Länderberichten hinsichtlich der allgemeinen Lage in Afghanistan und der Behandlung von Rückkehrern sei nicht zu entnehmen, dass ein Rückkehrer in eine Situation geraten könnte, die einer solchen Gefahr gleichzuhalten wäre.

Zur Rückkehr des Zweitbeschwerdeführers wurde ausgeführt, dass dieser in der Einvernahme vor dem BFA selbst angegeben habe Jahre lang Berufserfahrung als Schmied gehabt zu haben und es sogar geschafft habe, in einer ihm fremden, ungewohnten Umgebung als Analphabet ein eigenes Geschäft aufzubauen und dadurch die erzielten Einkünfte seiner Familie wirtschaftlich zu erhalten. Es sei davon auszugehen, dass er im Zuge einer Rückkehr eine innerstaatliche Fluchtalternative wie z.B. Kabul habe. Dies entsprechend unterstützt durch zahlreiche Reintegrationsprojekte, Zugriff auf das Netzwerk des Zweitbeschwerdeführers. Damit würde es ihnen möglich sein eine neue Existenz aufzubauen.

Für den Zweitbeschwerdeführer bestehe eine innerstaatliche Fluchtalternative. Es würde sich bei diesem um einen arbeitsfähigen Mann handeln. Bei diesem sei die grundsätzliche Teilnahmemöglichkeit am Erwerbsleben vorausgesetzt, als dieser mehrere Jahre als Schmied gearbeitet habe. In der Folge wurde auszugsweise aus dem Erkenntnis des BVwG vom 09.05.2017, W 123 2141505 zitiert. Auch aus anderen Unterlagen der Staatendokumentation seien keine Anhaltspunkte hervorgekommen, wonach der Zweitbeschwerdeführer mit seiner Familie nicht in seinem Heimatort oder in Kabul oder einer anderen Großstadt Afghanistan leben könne, als sich die Sicherheitslage nicht grundsätzlich verschlechtert habe. Es sei davon auszugehen, dass der Zweitbeschwerdeführer im Falle einer Rückkehr nach Afghanistan in der Lage sein würden, die dringendsten Lebensbedürfnisse für sich und seine Familie zu befriedigen und nicht über anfängliche Schwierigkeiten hinaus in eine dauerhaft aussichtlose Lage geraten würde.

Hinsichtlich des Privat-, und Familienlebens des Zweitbeschwerdeführers wurde ausgeführt, dass deutlich erkennbar sein würde, dass dieser weder über ein Privat-, noch über ein Familienleben in Österreich verfügen würde, welches ihm einen weiteren Aufenthalt im Bundesgebiet rechtfertigen würde. Beispielsweise würden Kursbesuche alleine im Hinblick auf die Interessensabwägung im Sinne des Art 8 EMRK nicht ausreichend sein, um daraus abzuleiten, dass sein Interesse in Österreich zu bleiben, dem öffentlichen Interesse an der Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung und somit einer Rückkehrentscheidung überwiege.

Hinsichtlich des Vorbringens der Drittbeschwerdeführerin und des Viertbeschwerdeführers wurde ausgeführt, dass diese keine individuellen Fluchtgründe geltend gemacht hätten. Eine über das Vorbringen der Erstbeschwerdeführerin hinausgehende oder daraus resultierende aktuelle und individuelle Bedrohung oder Verfolgung im zu prüfenden Herkunftsstaat habe nicht festgestellt werden können. Eine Verfolgung des Zweitbeschwerdeführers sei nicht glaubhaft vorgebracht worden und würde hinsichtlich des Vorbringens auf den zeitgleich erlassenen Bescheid der Erstbeschwerdeführerin verwiesen werden.

Rechtlich wurde zu Erstbeschwerdeführerin im Wesentlichen ausgeführt, dass die Begründung des Antrages in der GFK keine Deckung gefunden habe, weil aus den Angaben der Erstbeschwerdeführerin keine konkret gegen diese gerichtete staatliche bzw. quasi-staatliche Verfolgung aus asylrechtsrelevanten Gründen abzuleiten gewesen wäre. Die Erstbeschwerdeführerin habe keine Verfolgung in ihrem Herkunftsstaat glaubhaft wiedergegeben. Zu dem einzig vorgebrachten Fluchtgrund, nämlich einer eventuell bestehenden Bedrohungslage in Afghanistan sei anzuführen, dass es sich hierbei um keine fundierte Bedrohung gehandelt habe.

Ebenso wurde zum Drittbeschwerdeführer und dem Viertbeschwerdeführer angemerkt, dass auch sonst im gesamten Verfahren keinerlei Anhaltspunkte hervorgekommen seien, die auf eine mögliche Asylrelevanz der behaupteten Furcht vor Verfolgung im Herkunftsstaat hindeuten würden.

Zu Spruchpunkt II. wurde im Wesentlichen ausgeführt, dass von der Erstbeschwerdeführerin keine schwere Krankheit vorgebracht worden sei und auch nicht die Notwendigkeit zur regelmäßigen Einnahme von Arzneimitteln bestehen würde. Es sei der Erstbeschwerdeführerin vor ihrer Ausreise leicht möglich gewesen die Kosten für die Ausreise mittels eines Schleppers zu bestreiten bzw. durch den Familienverband aufzubringen. Die Erstbeschwerdeführerin sei vor ihrer Ausreise in der Lage gewesen die primären Lebensbedürfnisse zu befriedigen. Außerdem beherrsche die Erstbeschwerdeführerin die unter anderem übliche Landessprache und würde die in Afghanistan bestehenden kulturellen Werte kennen. Es sei davon auszugehen, dass die Erstbeschwerdeführerin in der Lage sein würde auch unter Inanspruchnahme des Clanverbandes ihren Lebensunterhalt zu bestreiten. In diesem Zusammenhang sei anzuführen, dass die Erstbeschwerdeführerin weiterhin im Falle der Rückkehr eine entsprechende Rückkehrhilfe in Anspruch nehmen könne.

Hinsichtlich des Privat-, und Familienleben wurde ausgeführt, dass sich die Erstbeschwerdeführerin während ihres Aufenthaltes darüber im Klaren habe sein müssen, dass der Aufenthalt nur für die Dauer des Asylverfahrens rechtmäßig gewesen sei. In dieser Zeit sei ein etwaig entstandenes Privatleben keinesfalls geeignet gewesen, das Interesse der Erstbeschwerdeführerin am Interesse des Staates an einem geordneten Fremdenwesen zu stellen. Der Erstbeschwerdeführerin habe bei der Antragstellung bewusst sein müssen, dass der Aufenthalt in Österreich im Falle der Abweisung des Antrages auf internationalen Schutz nur ein vorübergehender sein habe dürfen.

Die Erstbeschwerdeführerin befinde sich das erste Mal im Ausland, ihr Aufenthalt im Iran würde hier als kulturell gleichwertig angesehen werden. Die Erstbeschwerdeführerin habe einen Großteil ihres bisherigen Lebens im Iran verbracht. Dieser werde dadurch relativiert, weshalb unter Berücksichtigung ihrer individuellen Situation in Österreich insgesamt ein Überwiegen des öffentlichen Interesses an der Aufenthaltsbeendigung festgestellt werden habe können.

Gegen die gegenständlichen Bescheide des BFA erhoben die BeschwerdeführerInnen fristgerecht Beschwerden. Dabei wurde im Wesentlichen die Fluchtgeschichte der Erstbeschwerdeführerin und des Zweitbeschwerdeführers neuerlich wiederholt.

Ausgeführt wurde im Wesentlichen, dass es die belangte Behörde unterlassen hätte ganzheitlich auf das Vorbringen der BeschwerdeführerInnen einzugehen. In deren Beweiswürdigung würde sich die Erstbehörde ausschließlich auf die Angaben der Erstbeschwerdeführerin und des Zweitbeschwerdeführers berufen, wonach diese keine Probleme mit den afghanischen Behörden haben würden. Dass die Erstbeschwerdeführerin und der Zweitbeschwerdeführer vor einen Taliban, der um die Drittbeschwerdeführerin Hand angehalten habe, habe das BFA völlig außer Acht gelassen. Nachdem man die Drittbeschwerdeführerin wegen des Alters des Mannes nicht abgeben habe wollen, hätten diese das Land verlassen müssen. Die Erstbehörde habe sich diesem Vorbringen nur insoweit gewidmet, als diese die Unterscheide zwischen der Erstbefragung und der Einvernahme festgestellt hätten. Festzustellen sei, dass die Aussagen in der Erstbefragung gesetzlich nicht dazu gedacht sein würden, die Fluchtgründe eines Asylwerbers erschöpfend darzustellen. Die BeschwerdeführerInnen hätten vor der Erstbehörde durchaus Umstände vorgebracht, die einer asylrelevanten Verfolgung in deren Heimat entsprochen hätten. Durch den fortschreitenden Verfall staatlicher Strukturen liege eine Verfolgungsgefahr auch im Hinblick auf eine Verfolgung durch Private, im konkreten Fall durch die Taliban, vor. Im Falle der BeschwerdeführerInnen sei die Frage zu beantworten, ob auf Grund von Konventionsgründen eine Verfolgung mit entsprechender Intensität durch Dritte mit ausreichender Wahrscheinlichkeit zu erwarten sei. Die Erstbeschwerdeführerin pflege für afghanische Verhältnisse einen westlichen Lebensstil. Dies sei auch bereits an ihrem äußeren Erscheinungsbild zu erkennen (Erstbeschwerdeführerin sei geschminkt und westlich gekleidet). Für die Erstbeschwerdeführerin sei das Leben in Afghanistan von afghanischen Traditionen und der für Frauen vorgegeben Lebensweise geprägt. Die Situation sei auch im Iran für die Erstbeschwerdeführerin schwierig gewesen, als die Kinder die Schule nicht besuchen hätten können. Die Erstbeschwerdeführerin würde sich für sich und ihre Kinder ein selbstbestimmtes Leben wünschen, welches für Frauen in Afghanistan allerdings nicht möglich sein würde.

Beim Zweitbeschwerdeführer würde es sich zwar um einen arbeitsfähigen Mann handeln. Es würde dabei aber außer Acht gelassen werden, dass dieser für den Lebensunterhalt der gesamten Familie aufkommen müsse und keinerlei familiäre Unterstützung in Afghanistan zu erwarten sei.

Es sei falsch, wenn die Behörde davon ausgehe, dass ein normales Leben in Kabul möglich sei. Diese Feststellungen würden nicht den Tatsachen entsprechen und würde eine Vielzahl von Berichten ein gegenteiliges Bild aufzeigen. In der Folge wurden von verschiedenen Länderberichten auszugsweise zitiert und angeführt, dass diese Berichte zeigen würden, dass Kabul alles andere als eine sichere Stadt sein würde. Die Sicherheitslage in Afghanistan sei weiterhin als höchst labil anzusehen.

Es könne daher nicht mit der erforderlichen Sicherheit ausgeschlossen werden, dass die BeschwerdeführerInnen im Falle der Rückkehr nach Afghanistan einer realen Gefahr iSd Art 3 EMRK ausgesetzt sein würden, welche unter Berücksichtigung der persönlichen Verhältnisse der BeschwerdeführerInnen und der in Afghanistan vorherrschenden Versorgungsbedingungen mit hoher Wahrscheinlichkeit eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung darstellen würde. Vielmehr würden die BeschwerdeführerInnen, da diese über keinerlei tragfähige Beziehungen in Afghanistan verfügen würden, in eine ausweglose Lebenssituation geraten und real Gefahr laufen eine Verletzung durch Art 2 und 3 EMRK oder der durch die Protokolle Nr. 6 oder Nr. 13 zur Konvention geschützten Rechte zu erleiden.

Bezüglich der Integration der BeschwerdeführerInnen in Österreich verweise man auf die im Rahmen der Einvernahme am XXXX vorgelegten Beweismittel. Die BeschwerdeführerInnen würden für sich und ihre Kinder eine Zukunft und ein Leben in Österreich aufbauen.

Am XXXX fand vor dem BVwG eine mündliche Verhandlung statt, in welcher der Zweitbeschwerdeführer ausführte seit dem 25. Lebensjahr als Schmied und zuvor als Lehrling bzw. Aushilfe gearbeitet zu haben. Zu seinen mangelnden Deutschkenntnissen führte dieser aus, dass es nach seinem Besuch eines dreimonatigen Deutschkurses keinen solchen mehr gegeben habe. Er habe auch zwischenzeitig keinen solchen besucht, weil er den Haushalt mache, während die Erstbeschwerdeführerin drei Tage in der Woche einen Kurs besuche. Sie würde dabei ehrenamtlich als Näherin arbeiten und sowohl am Dienstag als auch am Freitag in der Woche einen Deutschkurs für jeweils zwei Stunden besuchen. Er habe der Erstbeschwerdeführerin beim Besuch dieses Kurses den Vorrang überlassen. Ihm selbst würde auf Grund seines Alters das Lernen nicht mehr so leicht fallen und es schwierig sein etwas zu lernen. Mit ÖsterreicherInnen könne er nicht sprechen.

Die Drittbeschwerdeführerin führte aus, dass sie eine Fachschule besuche, in welche diese zwischen dem Kochen und dem Restaurantmangement wählen könne. Später habe diese vor Lehrerin zu werden. Nach Auskunft einer Lehrperson habe diese die Möglichkeit alle Berufe ergreifen zu können. In der Schule würde es ihr sehr gut gehen. Vom Tragen eines "Chador" habe diese mittlerweile Abstand genommen, weil sie nunmehr viel mit Freundinnen zusammen sein würde und sie die einzige sein würde, die ein Kopftuch tragen würde. Wenn sie in Österreich lebe, wolle sie kein Kopftuch mehr tragen. Die Drittbeschwerdeführerin bestätigte praktizierende Muslimin zu sein. Sie sehe mit der Abstandnahme vom Tragen eines "Chador", aus Sicht ihrer Religion, kein Problem. Sie wolle sich wie die anderen Mädchen in Österreich verhalten und frei sein. Im Koran würde nicht stehen, dass die Frauen einen "Chador" tragen müssten. Vor einer Rückkehr nach Afghanistan habe sie wegen der Taliban, die diese töten würden, Angst. Frauen würden nicht nach draußen gehen dürfen und habe diese schon einige Videos auf "You Tube". In Österreich würde sie frei sein und alles machen können, was diese wolle. Sie würde in die Schule gehen, mit ihren FreundInnen ins Kino oder zu Mc Donalds gehen. Sie gehe davon aus, dass diese all diese Dinge ihr in Afghanistan nicht erlaubt wären. Auf den Vorhalt in der vorhergehenden Verhandlung ausgeführt zu haben nur einen Muslimen heiraten zu wollen, gab diese an "Ein Junge von Österreich, der kein Muslim ist". Auf neuerlichen Vorhalt führte diese aus, dass sie sich gedacht habe, so wie sie nunmehr aussehe den Österreichern besser zu gefallen, als zu jenen Zeitpunkt, als diese ein Kopftuch getragen haben. Die Österreicher hätten deswegen keinen Gefallen an ihr gehabt. Jetzt würde ihr dies egal sei. Zur Frage, ob diese einen Schwimmunterricht besuchen würde, führte dies aus zweimal mit Freundinnen schwimmen gewesen zu sein, aber nicht im Wasser, als diese davor Angst haben würde. Am Wochenende würde sie mit FreundInnen fortgehen. Sie müsse aber um 9.00 Uhr Abend zu Hause sein. Dabei würden sie ein Restaurant besuchen oder mit ihnen einen Kinofilm anschauen. Das Geld für diese Aktivitäten würde sie von der Erstbeschwerdeführerin erhalten.

Die Erstbeschwerdeführerin führte in der am XXXX stattgefundenen Verhandlung aus, dass sie einen dreimonatigen Deutschkurs, Alphabetisierungskurs, besucht habe. Nunmehr habe sie im "Schneiderkurs" versucht Deutsch zu lernen, indem sie das Alphabetisierungsbuch mitgenommen habe. In Afghanistan habe sie nur den Haushalt gemacht und keine Möglichkeit gehabt einen entsprechenden Kurs zu besuchen. Sie habe kein Geld bekommen und sich um die Kinder kümmern müssen. In Österreich würde sie frei sein und einen Deutschkurs besuchen. Sie meine damit, dass es keinen Deutschkurs geben würde, sondern an den Donnerstagen mit den älteren Leuten lernen würde. In der Folge wurde die BF 1 hinsichtlich des

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

1.1. Zu den BeschwerdeführerInnen:

Die strafgerichtlich unbescholtenen BeschwerdeführerInnen (BF1, BF 2, BF 3 und BF 4) tragen die im Spruch angeführten Namen. Sie sind afghanische Staatsangehörige und gehören der Volksgruppe der Tajek an und bekennen sich zur Religion der Schiiten. Die Erstbeschwerdeführerin ist mit dem Zweitbeschwerdeführer verheiratet. Die Dritt-, und der Viertbeschwerdeführer sind die Kinder der Erstbeschwerdeführerin und des Zweitbeschwerdeführers.

Die Drittbeschwerdeführerin ist in ihrer Wertehaltung überwiegend an dem in Europa mehrheitlich gelebten, allgemein als "westlich" bezeichneten Frauen- und Gesellschaftsbild orientiert und es droht ihr im Zusammenhang damit im Fall ihrer Rückkehr Verfolgung aus religiösen und/oder politischen Gründen.

Des Weiteren steht die persönliche Haltung der Drittbeschwerdeführer über die grundsätzliche Stellung der Frau in Familie und Gesellschaft im eindeutigen Widerspruch zu den in Afghanistan bislang vorherrschenden gesellschaftlich-religiösen Zwängen, denen Frauen im Herkunftsstaat mehrheitlich unterworfen sind. Die Drittbeschwerdeführerin ist von ihrer persönlichen Wertehaltung her überwiegend an dem in Europa mehrheitlich gelebten, allgemein als "westlich" bezeichneten Frauen- und Gesellschaftsbild orientiert.

Eigene und in ihrer Person liegende Gründe einer asylrelevanten Verfolgung der BF2, BF3, BF4 im Herkunftsstaat sind nicht hervorgekommen bzw. als unglaubwürdig zu werten.

Zur Situation der Frauen in Afghanistan

Menschenrechtslage - allgemein

Die Situation der Frauen war bereits vor dem Taliban-Regime durch sehr strenge Scharia-Auslegungen und archaisch-patriarchalische Ehrenkodizes geprägt. So war die Burka auch vor der Taliban-Herrschaft bei der ländlichen weiblichen Bevölkerung ein übliches Kleidungsstück. Viele Frauen tragen sie noch immer, weil sie sich damit vor Übergriffen sicher fühlen. Während Frauenrechte in der Verfassung und teilweise im staatlichen Recht gestärkt werden konnten, liegt ihre Verwirklichung für den größten Teil der afghanischen Frauen noch in weiter Ferne (Bericht des deutschen Auswärtigen Amtes vom 10.01.2012 über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Islamischen Republik Afghanistan, S. 20, Stand: Jänner 2012). Während sich die Situation der Frauen seit dem Ende der Taliban-Herrschaft wesentlich verbessert hat, bleibt die vollumfängliche Durchsetzung der Frauenrechte innerhalb der konservativ-islamischen afghanischen Gesellschaft schwierig. Die Lage der Frauen kann sich allerdings je nach regionalem und sozialem Hintergrund stark unterscheiden. Afghanistan verpflichtet sich in seiner Verfassung durch die Ratifizierung internationaler Konventionen und durch nationale Gesetze, die Rechte der Frauen zu achten und zu stärken. In der Praxis mangelt es jedoch oftmals an der praktischen Umsetzung dieser Rechte. Viele Frauen sind sich ihrer in der Verfassung garantierten und im Islam vorgegebenen Rechte nicht bewusst. Eine Verteidigung ihrer Rechte ist in einem Land, in dem die Justiz stark konservativ-traditionell geprägt und überwiegend von männlichen Richtern bestimmt wird, nur in wenigen Fällen möglich. Staatliche Akteure aller drei Gewalten sind häufig nicht in der Lage - oder aufgrund konservativer Wertevorstellungen nicht gewillt -, Frauenrechte zu schützen [Deutsches Auswärtiges Amt, Bericht zur asyl- und abschiebungsrelevanten Lage, vom 04.06.2013, S.12]. In den vergangenen Jahren hat sich die Situation der Frauen im Land drastisch verschlimmert [Die Presse vom 15.07.2012]. Anfang Juli 2012 wurde in einem Dorf in der Provinz Parwan, etwa eine Autostunde von Kabul entfernt, eine 22-jährige Frau als (angebliche) Ehebrecherin mit mehreren Schüssen vor einem teilweise jubelnden Publikum hingerichtet; die Provinzregierung beschuldigte die Taliban, die jedoch jede Verantwortung von sich wiesen [Der Spiegel-Online vom 08.07.2012, download am 31.07.2012].

Die Situation afghanischer Frauen hat sich seit dem Sturz der Taliban-Herrschaft teilweise verschlechtert. Die Bewegungsfreiheit bleibt, mit regionalen Unterschieden, stark eingeschränkt. Die registrierten Fälle physischer Gewalt gegenüber Frauen sind seit März 2007 um rund 40 Prozent gestiegen: 2374 registrierte Übergriffe im Jahr 2007 (Januar bis November 2006: 1545 Fälle). Die Dunkelziffer dürfte wesentlich höher liegen. In diesem Zeitraum haben rund 626 Frauen einen Selbstmordversuch begangen. Erzwungene Heiraten, häusliche Gewalt, sexuelle Übergriffe und Vergewaltigungen, Frauenhandel und Ehrenmorde gehören zu den gegen Frauen angewandten Gewaltformen. Die Täter sind meist männliche Familienmitglieder. Wenn Frauen Anzeige erstatten, werden sie oft genau den von ihnen angezeigten Männern ausgeliefert. Vieles deutet darauf hin, dass die staatlichen Akteure in Afghanistan nicht in der Lage oder wegen konservativ-islamischer Wertevorstellungen nicht gewillt sind Frauen zu schützen. Frauen bleiben meist ihrem Schicksal überlassen. Die Direktoren der Departemente für Frauenangelegenheiten in Kandahar, Helmand, Farah, Uruzgan, Wardak und Nuristan erhielten Gewaltandrohungen. Massoma Anwary, Vorsteherin des Departements für Frauenangelegenheiten, überlebte im November 2007 einen Anschlag auf ihr Leben: Täter sind meist bewaffnete Bewegungen oder Führer des konservativ-religiösen Establishments (Schweizerische Flüchtlingshilfe, Update Afghanistan, 21.08.2008).

Die Lage der Frauen unterscheidet sich je nach regionalem und sozialem Hintergrund stark. Auch die unbefriedigende Sicherheitslage in weiten Landesteilen erlaubt es den Frauen nicht, die mit Überwindung der Taliban und ihrer frauenverachtenden Vorschriften erwarteten Freiheiten wahrzunehmen. Die meisten Frauen sind sich ihrer in der Verfassung garantierten Rechte nicht bewusst. Eine Verteidigung ihrer Rechte ist in einem Land, in dem die Justiz stark konservativ-traditionell geprägt und überwiegend von männlichen Richtern bestimmt wird sowie kaum qualifizierte Anwälte zur Verfügung stehen, in den seltensten Fällen möglich. Staatliche Akteure aller drei Gewalten sind häufig nicht in der Lage oder aufgrund konservativer Wertvorstellungen nicht gewillt Frauenrechte zu schützen. (Bericht des deutschen Auswärtigen Amtes vom 10.01.2012 über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Islamischen Republik Afghanistan, S. 20, Stand: Jänner 2012).

Frauen werden weiterhin in Familien-, Erb-, Zivilverfahren sowie im Strafrecht benachteiligt. Dies gilt vor allem hinsichtlich des Straftatbestandes "Ehebruch", wonach selbst Opfer von Vergewaltigungen bestraft werden können. Es gibt Berichte, dass Frauen wegen "Ehebruchs" von Ehemännern oder anderen Familienmitgliedern umgebracht werden (so genannte "Ehrenmorde", die besonders in den paschtunischen Landesteilen vorkommen können). Das durchschnittliche Heiratsalter von Mädchen liegt bei 15 Jahren, obwohl ein Mindestheiratsalter von 16 Jahren gesetzlich verankert ist. Zwangsheirat bereits im Kindesalter, "Austausch" weiblicher Familienangehöriger zur Beilegung von Stammesfehden sowie weit verbreitete häusliche Gewalt kennzeichnen die Situation der Frauen. Opfer sexueller Gewalt sind dabei auch innerhalb der Familie stigmatisiert. Das Sexualdelikt wird in der Regel als "Entehrung" der gesamten Familie aufgefasst. Sexualverbrechen zur Anzeige zu bringen hat aufgrund des desolaten Zustands des Sicherheits- und Rechtssystems wenig Aussicht auf Erfolg. Der Versuch endet u. U. mit der Inhaftierung der Frau, sei es aufgrund unsachgemäßer Anwendung von Beweisvorschriften oder zum Schutz vor der eigenen Familie, die eher die Frau oder Tochter eingesperrt als ihr Ansehen beschädigt sehen will. Viele Frauen sind wegen so genannter Sexualdelikte inhaftiert, weil sie sich beispielsweise einer Zwangsheirat durch Flucht zu entziehen versuchten, vor einem gewalttätigen Ehemann flohen oder weil ihnen vorgeworfen wurde, ein uneheliches Kind geboren zu haben (Bericht des deutschen Auswärtigen Amtes vom 10.01.2012 über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Islamischen Republik Afghanistan, S. 20, 21, Stand: Jänner 2012).

Das Rechtssystem und die afghanische Gesellschaftsordnung diskriminieren Frauen in verschiedener Hinsicht. Insbesondere wegen folgender als Delikte geahndeter Handlungen droht Frauen aus politischen oder religiösen Gründen bzw. wegen der Zugehörigkeit zu einer sozialen Gruppe eine unverhältnismäßig harte Bestrafung bis hin zu extralegalen Tötungen (auch Ehrenmorde): Verstöße gegen Kleidervorschriften und Moralvorschriften, z. B. berufliche Aktivitäten, Beziehungen zu einem Nichtmuslim, außereheliche sexuelle Kontakte, Zwangsheirat, Mitarbeit bei Frauenorganisationen (Position der Schweizerischen Flüchtlingshilfe, Asylsuchende aus Afghanistan vom 26.02.2009).

Die Situation der Frauen in Afghanistan hat sich seit dem Jahr 2007 nicht verbessert, Frauen sind besonders gefährdet, Opfer von Misshandlungen zu werden, wenn ihr Verhalten als nicht mit den von der Gesellschaft, der Tradition oder sogar vom Rechtssystem auferlegten Geschlechterrollen vereinbar angesehen wird. Afghanische Frauen, die einen weniger konservativen Lebensstil angenommen haben, beispielsweise solche, die aus dem Exil im Iran oder in Europa zurückgekehrt sind, werden nach wie vor als soziale und religiöse Normen überschreitend wahrgenommen. Als Folge können sie Opfer von häuslicher Gewalt oder anderer Formen der Bestrafung werden, die von der Isolation und Stigmatisierung bis hin zu Ehrenmorden auf Grund der über die Familie, die Gemeinschaft oder den Stamm gebrachte "Schande" reichen. Tatsächliche oder vermeintliche Überschreitungen der sozialen Verhaltensnormen umfassen nicht nur das Verhalten im familiären oder gemeinschaftlichen Kontext, sondern auch die sexuelle Orientierung, das Verfolgen einer beruflichen Laufbahn und auch bloße Unstimmigkeiten über die Art des Auslebens des Familienlebens.

Alleinstehende Frauen oder Frauen ohne männlichen Schutz (mahram) sind weiterhin in Bezug auf eine normale soziale Lebensführung eingeschränkt. Betroffen sind geschiedene, unverheiratete, jedoch nicht jungfräuliche Frauen und Frauen, deren Verlobung gelöst wurde. Außer wenn sie heiraten, was angesichts des gesellschaftlichen Stigmas sehr schwierig ist, sind soziale Unterdrückung und Diskriminierung üblich. Allein lebenden Frauen ohne männliche Unterstützung und Schutz fehlt es infolge der sozialen Einschränkungen, einschließlich der Einschränkungen der Bewegungsfreiheit, grundsätzlich an Mitteln zum Überleben. Dies spiegelt sich im Fall der wenigen Frauen wieder, die ein Frauenhaus aufsuchen konnten. Da es für sie keine Möglichkeit gibt, unabhängig zu leben, sehen sie sich mit einer jahrelangen haftähnlichen Situation im Frauenhaus konfrontiert und entscheiden sich deswegen vielfach für die Rückkehr in die durch Missbrauch geprägte familiäre Situation. Ergebnisse dieser "Versöhnungen" werden nicht weiter beobachtet und Misshandlungen oder Ehrenmorde, die nach der Rückkehr begangen werden, bleiben oft unbestraft. Zwangs- und Kinderheirat werden in Afghanistan nach wie vor weit verbreitet praktiziert und können in unterschiedlichen Formen in Erscheinung treten. Auch ist der Zugang zu Bildung für Mädchen stark eingeschränkt. Darüber hinaus werden Frauenrechtsaktivisten bedroht und eingeschüchtert, insbesondere wenn sie ihre Stimme zu Frauenrechten, der Rolle des Islam oder das Verhalten von Befehlshabern erheben.

Angesichts der weit verbreiteten gesellschaftlichen Diskriminierung und der geschlechtsspezifischen Gewalt können afghanische Frauen und Mädchen - insbesondere in den vom bewaffneten Konflikt betroffenen oder sich unter der faktischen Kontrolle der bewaffneten regierungsfeindlichen Gruppen befindlichen Gebieten - je nach ihrem individuellen Profil und ihren persönlichen Umständen einer Verfolgungsgefahr ausgesetzt sein. Das Abweichen von den konventionellen Rollen oder die Überschreitung der gesellschaftlichen und religiösen Normen kann dazu führen, dass Frauen und Mädchen Gewalt, Schikanierungen und Diskriminierungen ausgesetzt sind. Frauen mit bestimmten Profilen können einer Verfolgungsgefahr ausgesetzt sein, beispielsweise Opfer von häuslicher oder anderer Formen schwerwiegender Gewalt, alleinstehende Frauen oder weibliche Familienvorstände, Frauen mit erkennbaren gesellschaftlichen oder beruflichen Rollen wie Journalistinnen, Menschenrechtsaktivistinnen und in der Gemeindearbeit tätige Frauen (UNHCR's Eligibility Guidelines for Assessing the International Protection Needs of Afghan Asylum Seekers, Juli 2009 [deutsche Zusammenfassung vom 10. November 2009]).

Verletzende traditionelle Praktiken in Afghanistan, einschließlich Zwangsverheiratung und Verheiratung von Kindern, Ehrenmorde, Haft für formell nach nationalem Recht nicht strafbares Verhalten und Blutrache, betreffen sowohl Männer als auch Frauen. Letztgenannte jedoch unverhältnismäßig stark. Frauen ohne den effektiven Schutz von Männern oder die Unterstützung durch die Familie sowie allein stehende Frauen im heiratsfähigen Alter sind in Afghanistan rar und werden nach wie vor mit Argwohn betrachtet. Sie sind einem hohen Risiko ausgesetzt, von ihren Familien gegen ihren Willen verheiratet zu werden. Allein stehende Frauen laufen Gefahr durch die afghanische Gemeinschaft geächtet oder Opfer von boshaften Gerüchten zu werden, die ihren Ruf und ihren gesellschaftlichen Status zerstören können. Dies setzt sie einem erhöhten Risiko von Missbrauch, Bedrohungen, Belästigungen und Einschüchterungen durch afghanische Männer aus, einschließlich des Risikos, entführt, sexuell missbraucht oder vergewaltigt zu werden. In der Mehrheit dieser Fälle ist die Regierung nicht in der Lage, diese Frauen effektiv zu schützen (UNHCR's Eligibility Guidelines for Assessing the International Protection Needs of Afghan Asylum Seekers, Dezember 2007).

Seit 2011 hat die afghanische Regierung wichtige Maßnahmen unternommen, um die Situation von Frauen im Land zu verbessern. Dennoch gibt die Situation von Frauen und Mädchen in vielen Bereichen weiterhin Anlass zu großer Sorge. Dies trifft besonders in Gebieten zu, die unter der effektiven Gewalt der Taliban und Hezb-i Islami (Gulbuddin) stehen, in welchen Frauen in einer Vielzahl von Berufen, einschließlich als Staatsbedienstete, Opfer von zielgerichteten Angriffen sind (UNHCR - UN High Commissioner for Refugees: UNHCR-Richtlinien zur Feststellung des internationalen Schutzbedarfs afghanischer Asylsuchender, Zusammenfassende Übersetzung, 24.03.2011).

Soziale Gebräuche beschränkten die Bewegungsfreiheit von Frauen ohne einen männlichen Begleiter. Religiöse Organisationen verschärften in einigen Provinzen die soziale Inakzeptanz gegenüber alleine reisenden oder nur alleine das Haus verlassenden Frauen. Der Ulema-Rat für die westliche Region gab eine Deklaration heraus in der Frauen, die sich weiter als 54 Meilen [~87km] von ihrem Haus entfernen, einen männlichen Begleiter benötigen. Außerdem wurde es weiblichen Angestellten in ausländischen Organisationen untersagt, alleine mit einem ausländischen Mann in einem Raum zu arbeiten (US DOS - U.S. Department of State: 2010 Human Rights Report - Afghanistan, 08.04.2011).

AIHRC registrierte im Berichtszeitraum eine steigende Anzahl von Vergewaltigungen, Misshandlungen und ähnlichen v.a. gegen Frauen gerichtete Straftaten. Weitgehend besteht aber Einigkeit darüber, dass diese Zunahme im Wesentlichen darauf zurückzuführen ist, dass solche Straftaten vermehrt angezeigt werden. Auch eine erhöhte Sensibilisierung auf Seiten der afghanischen Polizei und Justiz führt zu einer sich langsam aber stetig verbessernden Lage der Frauen in Afghanistan. Dennoch geschieht es immer wieder, dass Frauen, die entweder eine solche Straftat zur Anzeige bringen oder aber von der Familie aus Gründen der Ehrenrettung angezeigt werden, wegen sog. Sittenverbrechen oder "Verlassen der ehelichen Wohnung" inhaftiert werden. Laut einem Bericht von Human Rights Watch von März 2012 befanden sich in Afghanistan ca. 400 Frauen wegen solcher "Verbrechen" in Haft. Weibliche Opfer von häuslicher Gewalt oder Vergewaltigungen sind meist auf Schutzmöglichkeiten außerhalb der Familie angewiesen, da die Familie oft (mit-)ursächlich für die Notlage ist. Landesweit gibt es Frauenhäuser, deren Angebot reichlich in Anspruch genommen wird. Die Frauenhäuser sind in der afghanischen Gesellschaft höchst umstritten, da immer wieder Gerüchte gestreut werden, diese Häuser seien Orte für unmoralische Handlungen und die Frauen seien in Wahrheit Prostituierte. Das Schicksal von Frauen, die auf Dauer weder zu ihren Familien noch zu ihren Ehemännern zurückkehren können, ist bisher ohne Perspektive. Für diese erste "Generation" von Frauen, die sich seit Ende der Taliban-Herrschaft in den Schutzeinrichtungen eingefunden haben, hat man in Afghanistan bisher keine Lösung gefunden. Generell ist in Afghanistan das Prinzip eines individuellen Lebens weitgehend unbekannt. Auch unverheiratete Erwachsene leben in der Regel im Familienverband. Für Frauen ist ein alleinstehendes Leben außerhalb des Familienverbandes bisher undenkbar. [Deutsches Auswärtiges Amt, Bericht zur asyl- und abschiebungsrelevanten Lage, vom 04.06.2013, S.12-13].

Das afghanische Parlament hat ein Gesetz verabschiedet, das Männern, die Frauen misshandeln, faktisch Straffreiheit garantiert. Präsident Karzai muss es nur noch unterzeichnen; 05.02.2014. Dem Gesetz zufolge ist es Verwandten künftig verboten, gegen die Peiniger in der eigenen Familie auszusagen. Dies würde die Verfolgung von häuslicher Gewalt erheblich erschweren. Da die Mehrheit der Afghanen in mit Lehm ummäuerten Anlagen im Rahmen von Großfamilienstrukturen lebt, könnten durch das Gesetz somit faktisch alle potentiellen Zeugen von einer Aussage ausgeschlossen werden. (Frankfurter Allgemeine Politik, Afghanistan Neues Gesetz beschneidet Frauenrechte drastisch,

.faz.net/aktuell/politik/ausland/asien/afghanistan-neues-gesetz-beschneidet-frauenrechte-drastisch-12785948.html, download am 12.03.2014)

Bildung/Berufstätigkeit

Frauen waren unter den Taliban (1996-2001) von jeglicher Bildung ausgeschlossen. Die Alphabetisierungsrate bei Frauen liegt Schätzungen zufolge in der Größenordnung von 10%. Nach Angaben von UNICEF können nur 18% der Mädchen und Frauen im Alter zwischen 15 und 24 Jahren lesen und schreiben. Für die wenigen hochqualifizierten Afghaninnen hat sich jedoch der Zugang zu adäquaten Tätigkeiten bei der Regierung verbessert. Die Entwicklungsmöglichkeiten für Mädchen und Frauen bleiben durch die strenge Ausrichtung an Traditionen und fehlender Schulbildung weiterhin wesentlich eingeschränkt. Wiederholte Gasangriffe auf Mädchenschulen (zuletzt am 25.08.2010, Totja-Oberschule, Kabul - der fünfte mutmaßliche Gasangriff auf eine Mädchenschule in Kabul 2010; 2011 wurden keine derartigen Vorkommnisse bekannt) bestätigen, dass Schulbildung für Mädchen immer noch von einem Teil der Bevölkerung abgelehnt wird (Bericht des deutschen Auswärtigen Amtes vom 10.01.2012 über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Islamischen Republik Afghanistan, S. 22, Stand: Jänner 2012).

Der Zugang zu Bildung, Gesundheit und Arbeit steht jedoch vielen Frauen nur theoretisch offen, praktisch sind sie die am meisten von der Armut, Diskriminierung und Rechtlosigkeit betroffene Bevölkerungsgruppe geblieben. In vielen Landesteilen sind sie vom öffentlichen Leben weiterhin weitgehend ausgeschlossen. Gezielte Übergriffe radikal-muslimischer Kräfte auf Frauen und Mädchen sind alltäglich. So soll der Schulbesuch von Mädchen verhindert werden (Gesellschaft für bedrohte Völker, Menschenrechtsreport 53, Juni 2008).

Einige lokale Behörden schließen Frauen von jeglicher Erwerbstätigkeit außerhalb des Haushalts oder der Landwirtschaft aus (US Department oft State, Human Rights Report 2008, Afghanistan vom 25.02.2009).

Bedrohungen und Einschüchterungen gegen Frauen im öffentlichen Leben sind dramatisch angewachsen. Die besten Berufsaussichten für Frauen finden sich im öffentlichen Dienst und in internationalen Organisationen. Die Abteilung für Frauenangelegenheiten berichtet von Bedrohungen gegenüber berufstätigen Frauen. Die Lage der Frauen hat sich insofern im Gegensatz zur Zeit vor 2007 verschlechtert, dass die Frauen sich jetzt weniger trauen sich in der Öffentlichkeit zu äußern und die Möglichkeiten, die ihnen in der Öffentlichkeit zu Verfügung stehen, in Anspruch zu nehmen. Früher, vor 2007, sind sie z. B. in den Städten teilweise ohne Begleitung einkaufen gegangen. Heute, wenn möglich, meiden sie die Öffentlichkeit. Es wurden bis jetzt mehrere weibliche Abgeordnete und Journalistinnen getötet. Viele Frauen, die früher im Rahmen der internationalen Organisationen und im Rahmen der Regierungsprogramme in der Öffentlichkeit gearbeitet haben, haben ihre Jobs aufgegeben, weil die Fundamentalisten über sie Schlechtes verbreitet haben. Deshalb wurden sie von ihren Familien eingeschränkt, weil sie dem psychischen Terror der Gesellschaft unterlegen waren, z.B. wenn in der Gesellschaft verbreitet wird, dass die Frau mit dem Chauffeur eine Beziehung hat, kommt das einem Rufmord gleich, sodass die Familie die Frau nicht mehr arbeiten schickt (Human Rights Watch, Word Report 2009 vom 14.01.2009 [Zugriff am 19.05.2009]; UNHCR, Annual Report vom 16.01.2009 [Zugriff am 20.02.2009]; Sachverständigengutachten in der Beschwerdeverhandlung vom 12.12.2008, C6 267.439-0/2008/8E [Zugriff am 19.05.2009]).

Zwangsverheiratungen

Jedes Jahr töten sich mehrere hundert Frauen aus Verzweiflung über Entführungen, Zwangsheirat und Gewalt selbst. Sogar Mädchen im Alter von nur sechs Jahren werden zwangsweise verheiratet. Sie werden nicht nur durch ihre Männer sondern auch durch deren Familienangehörige mit Vergewaltigung und einem Leben in Sklaverei bedroht. Oft dürfen sie nach der Heirat die eigenen Eltern und andere Familienangehörige nicht mehr sehen und es wird ihnen der Schulbesuch verboten. Da viele dieser Mädchen ihre Rechte entweder gar nicht kennen oder zumindest nicht wissen, wie sie diese einfordern können, sehen sie als einzigen Ausweg allzu oft nur die Selbstverbrennung. Gemäß einer Studie der Organisation "Womankind" beklagen 87 Prozent der Frauen, Opfer von Gewalt in der Ehe oder im öffentlichen Leben geworden zu sein (Independent, 25.02.2008). Die Hälfte aller Übergriffe sei sexuell motiviert. Seit März 2007 hat nach UN-Angaben die Zahl der offiziell registrierten Gewalttaten gegen Frauen und Mädchen um 40 Prozent zugenommen (IRIN, 08.03.2008). Diese erschreckenden Zahlen sind vermutlich auf eine gestiegene Bereitschaft bei Frauen zurückzuführen, Gewalttaten anzuzeigen, die zuvor in der hohen Dunkelziffer verschwanden. Mehr als 60 Prozent aller Eheschließungen erfolgten laut "Womankind" unter Zwang. 57 Prozent der Bräute seien jünger als 16 Jahre alt (Gesellschaft für bedrohte Völker, Menschenrechtsreport 53, Juni 2008).

Entsprechend den Berichten der Afghanistan Independent Human Rights Commission sind 68-80 % der Ehen in Afghanistan sog. "Zwangsehen" (South Asia Human Rights Index 2008). Nach den afghanischen Traditionen/Gebräuchen wird eine Witwe an ihren Schwager oder sonstige nahe Verwandte ihres verstorbenen Ehegatten (zwangs)verheiratet (ACCORD-Anfragebeantwortung vom 30.06.2005 [u.a.] betreffend zwangsweise Wiederverheiratung von Witwen).

Gesundheitliche Situation für Frauen

Der Gesundheitszustand der afghanischen Bevölkerung gehört zu den schlechtesten weltweit. Die Lebenserwartung der afghanischen Bevölkerung gehört mit 42 Jahren zu den tiefsten der Welt. Im ganzen Land stehen der afghanischen Bevölkerung lediglich 210 Gesundheitseinrichtungen mit Betten zur Hospitalisierung zur Verfügung. Mit Ausnahme von vier Provinzen beträgt die Ärztedichte landesweit ein Arzt auf 10'000 Einwohner. Gemäß Angaben des deutschen Auswärtigen Amtes besteht in weiten Landesteilen keine medizinische Versorgung. Kinder und Frauen gehören zu den speziell vernachlässigten Personengruppen. Die Müttersterblichkeitsrate ist mit 1600 - 1900 auf 100.000 Geburten weltweit die zweithöchste. Bei rund 70 - 85 Prozent der Geburten war keine dafür ausgebildete Person anwesend. Der Zugang zu medizinischen Einrichtungen ist für Frauen kulturell bedingt schlechter als für Männer. Dies gilt insbesondere dann, wenn kein weibliches Gesundheitspersonal anwesend ist. Im Bereich der psychischen Erkrankungen existieren in Afghanistan nur sehr limitierte Einrichtungen und eine höchst rudimentäre Behandlung (Schweizerische Flüchtlingshilfe, Update Afghanistan, 21.08.2008). [Auch] für werdende Mütter ist die gesundheitliche Situation noch immer katastrophal. Aufgrund mangelnder ärztlicher Versorgung stirbt eine von neun Müttern bei der Geburt ihres Kindes. Nur im westafrikanischen Staat Sierra Leone ist die Situation ebenso dramatisch. Alle 27 Minuten stirbt in Afghanistan eine Frau aufgrund von Komplikationen während der Schwangerschaft. Nur 14 Prozent aller Frauen wurden im Jahr 2006 während der Geburt von ausgebildetem medizinischen Personal begleitet (Radio Free Asia, 10.05.2008, IRIN, 30.01.2008; Gesellschaft für bedrohte Völker, Menschenrechtsreport 53, Juni 2008). Die durchschnittliche Lebenserwartung für Frauen in Afghanistan liegt bei ca. 44 bis 46 Jahren (South Asia Human Rights Index 2008, bzw. Human Rights Watch, Country Summary Afghanistan, January 2008).

Eine bessere medizinische Versorgung von Frauen und Kindern ist dringend geboten; die Sterblichkeit von Kindern unter 5 Jahren beträgt in Afghanistan 191 pro 1000 Geburten. Eine Behandlung in Krankenhäusern wird von Personen, die sich die entsprechende Anreise leisten können, gewöhnlich in angrenzenden Ländern, insbesondere in Peshawar (Pakistan) durchgeführt (IOM - International Organization for Migration: Länderinformationsblatt Afghanistan, Oktober 2010).

Der vorhandene Anteil an Ärztinnen (23 %) stellt insofern ein Problem dar, da sich Frauen nur von Frauen behandeln lassen wollen bzw. die Ehemänner und Väter nur eine Behandlung durch Frauen zulassen. Ein Grund für den Mangel an weiblichen Ärzten liegt in der schlechten Sicherheitslage in vielen ländlichen Gebieten. In Kabul selbst gibt es zwei Entbindungsstationen.

Vor allem am Land ist die medizinische Behandlung für Frauen deshalb schwierig. Sie erhalten medizinische Hilfe meist von älteren Frauen ohne entsprechende medizinische Instrumente. Dies ist auch ein Grund für die hohe Kinder- und Müttersterblichkeit (BAA: Bericht zur Fact Finding Mission Afghanistan, 20-29. Oktober 2010, Dezember 2010).

Rechtliche Gleichstellung/Diskriminierung

Die Verfassung enthält einen umfangreichen Menschenrechtskatalog, der politische, wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte umfasst. Gemäß Art. 22 haben Männer und Frauen gleiche Rechte und Pflichten. [Es] ist davon auszugehen, dass insbesondere Schuras die Rechte von Frauen tendenziell weniger achten, oft überhaupt nicht. Eine Verteidigung ihrer Rechte ist in einem Land, in dem die Justiz stark konservativ-traditionell geprägt und überwiegend von männlichen Richtern bestimmt wird und in dem kaum qualifizierte Anwältinnen oder Anwälte zur Verfügung stehen, in den seltensten Fällen möglich. Staatliche Akteure aller drei Gewalten sind häufig nicht in der Lage - oder aufgrund konservativer Wertvorstellungen nicht gewillt - Frauenrechte zu schützen (AA - Auswärtiges Amt:

Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Islamischen Republik Afghanistan, Stand: Februar 2011).

Obwohl von der Regierung Anstrengungen unternommen werden, um die Gleichberechtigung der Geschlechter voranzutreiben, sind Frauen auf Grund der fortbestehenden Klischees und der herrschenden, sie marginalisierenden Praktiken nach wie vor weit verbreiteten sozialen, politischen und wirtschaftlichen Diskriminierungen ausgesetzt. Alleinstehende Frauen oder Frauen ohne männlichen Schutz (mahram) - einschließlich geschiedenen Frauen, unverheirateter, jedoch nicht jungfräulicher Frauen und Frauen, deren Verlobung gelöst wurde - sind weiterhin gesellschaftlicher Stigmatisierung und allgemeiner Diskriminierung ausgesetzt. Alleinlebende Frauen ohne männliche Unterstützung und Schutz fehlt es grundsätzlich an Mitteln zum Überleben, das sie auf Grund der existierenden sozialen Normen Einschränkungen ausgesetzt sind, einschließlich Einschränkungen der Bewegungsfreiheit (UNHCR - UN High Commissioner for Refugees:

UNHCR-Richtlinien zur Feststellung des internationalen Schutzbedarfs afghanischer Asylsuchender, Zusammenfassende Übersetzung, 24.03.2011).

Die Diskriminierung ist speziell in ländlichen Gebieten und Dörfern stark. Gesellschaftliche Diskriminierung gegen Frauen bestand fort und umfasste häuslichen Missbrauch, Vergewaltigung, Zwangsehe, Zwangsprostitution, den Tausch von Mädchen zur Streitbeilegung, Kidnapping und Ehrenmorde. Es gibt kein spezielles Gesetz gegen sexuelle Belästigung. Frauen erfuhren schwere Diskriminierung durch das Justizsystem. Lokale Praktiken waren diskriminierend, vor allem da in weiten Teilen des Landes die Stammesältesten ihre Entscheidungen auf der Basis der Scharia und Gewohnheitsrechten treffen, die generell gegenüber Frauen diskriminierend sind. Die meisten Frauen haben nur einen beschränkten Zugang zu den lokalen Schuras. Frauenrechtsgruppen berichteten, dass die Regierung aber informell zugunsten von Frauen intervenierte. Amnesty International berichtete, dass nur Anwälte von NGOs weibliche Opfer vor Gericht vertraten. In den meisten Provinzen werden nur ein oder zwei Fälle von häuslicher Gewalt im Jahr strafrechtlich verfolgt (US DOS - U.S.

Department of State: 2010 Human Rights Report - Afghanistan, 08.04.2011).

Einige Frauen versuchen mittels Selbstverbrennung Selbstmord zu begehen um ihrer Situation zu entfliehen. In den ersten neun Monaten des Jahres 2010 dokumentierte die AIHRC 111 Fälle von Selbstverbrennungen. Der Berater des Präsidenten für Gesundheit, gab an, dass geschätzte 2.400 Frauen jährlich Selbstmord begehen (US DOS - U.S. Department of State: 2010 Human Rights Report - Afghanistan, 08.04.2011).

Staatliche Vorgehensweise

Lokale Behörden inhaftierten manchmal Frauen auf Wunsch von Familienmitgliedern, da sie sich den Wünschen der Familie hinsichtlich Wahl des Ehemanns widersetzten. Frauen können außerdem dem Vorwurf der Bigamie ausgesetzt sein, wenn ihr verschwundener Ehemann wieder auftaucht, nachdem die Frau wieder geheiratet hat.

Polizistinnen wurden speziell ausgebildet um Opfern von häuslicher Gewalt zu helfen. Sie beschwerten sich aber, dass sie angewiesen worden wären in den Polizeistationen auf die Opfer zu warten. Dies würde ihre Arbeit behindern, da Anzeigen wegen häuslicher Gewalt nicht gesellschaftlich anerkannt sind und viele Frauen nicht alleine auf die Polizeistationen kommen können. Außerdem gibt es Berichte, dass diese Polizeieinheiten schlecht ausgestattet würden. Insgesamt gibt es 42 so genannte Family Response Units, 29 davon alleine in Kabul, sieben in Mazar, vier in Kunduz und zwei in Bamyan. Drei weitere sollen in Jalalabad entstehen. Diese Einheiten bestehen primär aus Polizistinnen und sollen sich um Gewalt gegen Frauen und Kinder kümmern (US DOS - U.S. Department of State: 2010 Human Rights Report - Afghanistan, 08.04.2011).

Frauenhäuser

Es gab elf formelle Frauenhäuser von NGOs in Afghanistan und fünf informelle. Die Frauenhäuser stellten Frauen Schutz, Unterkunft, Nahrung, Ausbildung und medizinische Versorgung zur Verfügung. Doch der Platz in den Frauenhäusern ist beschränkt und Frauen, die keinen Platz erhalten, enden oft im Gefängnis (US DOS - U.S. Department of State: 2010 Human Rights Report - Afghanistan, 08.04.2011).

Es gibt landesweit ca. 12 bis 17 Frauenhäuser, 3 bzw. 5 davon befinden sich in der Hauptstadt Kabul, wo 2002 das erste Frauenhaus eröffnet wurde. Weiters finden sich Frauenhäuser in den Städten Herat, Mazar-e-Sharif Parwan und Jalalabad. Jedes dieser Frauenhäuser bietet Unterkünfte für ca. 10 bis 40 Frauen. Die meisten der Frauenhäuser bieten - zusätzlich zu einer Unterkunft - juristische Vertretung an und vermitteln Frauen eine Ausbildung. Jenes Frauenhaus in Parwan verschafft den Frauen Zugang zu Staatsanwälten, um so eine strafrechtliche Verfolgung der Täter zu ermöglichen.

Die Frauenhäuser werden ausschließlich von nichtstaatlichen (nationalen und internationalen) Organisationen angeboten, seitens des Staates wurde bislang kein Frauenhaus errichtet. Seitens des Frauenministeriums wird lediglich auf die bestehenden Frauenhäuser verwiesen. Die Frauenhäuser sind vor Übergriffen weitgehend sicher (BAA: Bericht zur Fact Finding Mission Afghanistan, 20-29. Oktober 2010, Dezember 2010).

Die Behörden nahmen einige Frauen in "Schubhaft" um sie vor der Vergeltung von Familienmitgliedern zu schützen oder - wenn kein Platz in Frauenhäusern verfügbar war - um sie vor weiterer Gewalt zu schützen. Laut dem Elimination of Violence Against Women - Gesetz (EVAW) ist die Polizei berechtigt, Personen, die Gewalt gegen Frauen ausüben, zu verhaften, aber weder die Polizei noch die Gerichte sind mit dem neuen Gesetz vollständig vertraut.

Laut UNAMA werden alleinstehende Frauen in der Gesellschaft nicht akzeptiert, deshalb haben Frauen; die nicht bei ihren Familien leben können, keinen Platz zum Leben. Eine Lösung für Frauen, die in Frauenhäusern leben, zu finden, wird auch durch die verbreitete Meinung, dass Frauenhäusern etwas Anrüchiges anhaftet, erschwert. NGOs, die Frauenhäuser in Kabul betreiben, berichteten von einer erhöhten Bereitschaft der Polizei, Frauen in ihre Einrichtungen zu schicken. Dies könnte eine Folge der besseren Ausbildung und des verbesserten Bewusstseins der Polizei sein.

Statt in Frauenhäuser zu gehen "heiraten" Mädchen manchmal ältere Männer um so häuslicher Gewalt zu entkommen. Die "Ehemänner" schützen sie dann. Beobachter berichteten, dass Beamte des Justizsektors diese Praxis bewarben und akzeptieren (US DOS - U.S.

Department of State: 2010 Human Rights Report - Afghanistan, 08.04.2011).

Besonderer Rechtsschutz

Im Juni 2008 wurde der mit Unterstützung von UNIFEM [United Nations Development Fund for Women / Entwicklungsfonds der Vereinten Nationen für Frauen] erarbeitete National Action Plan for Woman of Afghanistan (NAPWA) von der Regierung gebilligt. NAPWA soll helfen, die Situation der Frauen in Afghanistan zu verbessern, insbesondere ihre Diskriminierung zu beenden, die Entfaltung ihrer Fähigkeiten zu ermöglichen und ihnen volle und gleichberechtigte Beteilung in allen Lebensbereichen (Wirtschaft, Gesundheit, Bildung) zu gewähren. Die staatlichen Institutionen sind jedoch bisher nicht fähig, die Vorgabe des NAPWA wirksam durchzusetzen. Oft liegt dies auch den weiterhin bestehenden - den Forderungen des NAPWA entgegenstehenden - kulturell verankerten Traditionen.

Die Situation der Frau in Afghanistan wird in der Theorie durch die Verabschiedung des "Gesetzes zur Beseitigung aller Formen von Diskriminierung gegen Frauen" (EVAW-Gesetz) verbessert, das am 19.7.2009 von Präsident Karzai unterzeichnet wurde. Auch dieses Gesetz wurde am 19.07.2009 von Präsident Karzai unterzeichnet. Das EVAW-Gesetz genießt nach seinem Schlussartikel Vorrang vor allen entgegenstehenden Normen. Es enthält zahlreiche strafbewehrte Bestimmungen und hat zum Ziel, Gewalt gegen Frauen in allen Formen zu bekämpfen und zur Schaffung eines Bewusstseins von der Würde und den Rechten der Frau beizutragen. Von einer effektiven Umsetzung des Gesetzes sind die Behörden, die es nach einer UNAMA-Studie von Dezember 2010 zum Teil gar nicht kennen, weit entfernt (Bericht des deutschen Auswärtigen Amtes vom 10.01.2012 über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Islamischen Republik Afghanistan, S. 22, Stand: Jänner 2012).

Das EVAW-Gesetz kriminalisiert Gewalt gegen Frauen, darunter Vergewaltigung, Körperverletzung oder Schlagen, Zwangsheirat und die Heirat von Minderjährigen, "baahd", Erniedrigung, Bedrohung und die Verweigerung von Nahrung. Vergewaltigung wird mit lebenslanger Haft geahndet und sollte die Vergewaltigung zum Tod des Opfers führen, sieht das Gesetz die Todesstrafe vor (US DOS - U.S. Department of State: 2010 Human Rights Report - Afghanistan, 08.04.2011).

Organisationen für Frauenrechte

Das Frauenministerium und NGOs bewarben weiterhin Frauenrechte. Das Frauenministerium hat Provinzbüros, leidet aber an zu geringen Mitteln. Die Provinzbüros unterstützten hunderte Frauen durch rechtliche Beratung, Familienberatung und die Weitervermittlung von Frauen an die entsprechenden Organisationen (US DOS - U.S.

Department of State: 2010 Human Rights Report - Afghanistan, 08.04.2011).

Auch die deutsche Medica Mondiale, die u.a. die Ausbildung von Strafverteidigerinnen bzw. Strafverteidigern im Zusammenhang mit sog. "zina crimes" und den Schutz von Frauenrechten zum Schwerpunkt ihrer Arbeit hat, ist in Afghanistan aktiv (Bericht des deutschen Auswärtigen Am

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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