TE Bvwg Erkenntnis 2019/9/13 W159 2158325-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 13.09.2019
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Entscheidungsdatum

13.09.2019

Norm

AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §3 Abs4
AsylG 2005 §3 Abs5
B-VG Art. 133 Abs4

Spruch

W159 2158325-1/15E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Dr. Clemens KUZMINSKI als Einzelrichter über die Beschwerde des XXXX , Staatsangehöriger von Afghanistan, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 09.05.2017, Zl. XXXX , nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 19.07.2019 zu Recht erkannt:

A)

Der Beschwerde wird stattgegeben und XXXX gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 der Status eines Asylberechtigten zuerkannt.

Gemäß § 3 Abs. 5 leg. cit. wird festgestellt, dass XXXX damit kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukommt.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang:

Der Beschwerdeführer, ein Staatsbürger Afghanistans, gelangte (spätestens) am 11.12.2015 unter Umgehung der Grenzkontrolle nach Österreich und stellte noch am gleichen Tag einen Antrag auf internationalen Schutz. Bei der ebenfalls noch am 11.12.2015 stattgefundenen Erstbefragung nach dem Asylgesetz durch die Polizeiinspektion XXXX gab der Beschwerdeführer zu seinen Fluchtgründen an, dass die Dorfmächtigen ihnen ihre Grundstücke weggenommen hätten, weil sie nicht bereit gewesen wären, dort Suchtmittel, sondern Getreide und Gemüse anzupflanzen. Aus diesem Grunde sei sein Vater getötet worden und er gesucht worden. Deswegen sei er geflohen. Was mit seiner Familie in der Zwischenzeit passiert sei, wisse er nicht.

Nach Zulassung zum Asylverfahren erfolgte am 07.04.2017 eine ausgiebige Einvernahme durch das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, Regionaldirektion Steiermark. Der Beschwerdeführer legte eine Reihe ärztlicher Befunde vor und gab an, dass er seit der Flucht unter Vergesslichkeit, Aggressionen, Ungeduld und Schlaflosigkeit leide und in Österreich diesbezüglich medikamentös behandelt werde. Seit dieser Behandlung gehe es ihm besser. Zur Erstbefragung wollte der Beschwerdeführer ergänzen, dass seine Frau im Zeitpunkt seiner Flucht im achten Monat schwanger gewesen sei. Er habe zuhause einen afghanischen Reisepass gehabt, habe diesen aber nicht mitnehmen können.

Er sei am XXXX in XXXX geboren, afghanischer Staatsangehöriger Hazara und schiitischer Moslem. Eine schulische Ausbildung habe er nicht erhalten. Ab seinem 14. Lebensjahr habe er gearbeitet. Zunächst habe er in einer Schweißer-Werkstatt geholfen. Dann habe er Schweißen gelernt. Dies sei noch in XXXX gewesen. Anschließend habe er acht Jahre lang in Maidan-Wardak als Schweißer gearbeitet und habe eine eigene Werkstatt besessen. Er sei in XXXX zur Welt gekommen und dort bis zum 19. Lebensjahr aufhältig gewesen. Sein Vater habe dort als Schuster gearbeitet, aber schlecht verdient. In ihrer Heimatprovinz, Maidan Wardak, habe sein Vater große landwirtschaftliche Flächen geerbt und habe er diese dann in der Folge bewirtschaftet. Vor acht Jahren habe er eine Frau, die seine Eltern für ihn ausgesucht hätten, in einer traditionellen Zeremonie geheiratet und sie hätten drei gemeinsame Kinder gehabt und im Zeitpunkt der Flucht sei seine Frau mit dem vierten schwanger gewesen. Wirtschaftliche Probleme habe er nicht gehabt. Seine Werkstatt sei gut gelaufen und sein Vater habe von der Landwirtschaft gut leben können. Seinen Wohnort habe er am 05.05.2015 verlassen. Ein Schlepper habe ihn in den Iran gebracht. Er habe aber kein Geld gehabt. So habe er seine Schulden innerhalb fünf Monaten in einer Werkstatt abgearbeitet. Dann sei er weiter nach Europa geflüchtet, wobei er das Geld für die Flucht in Europa in dieser Zeit auch verdient habe.

Im Iran habe er Probleme mit der Polizei gehabt. Diese habe nach illegalen Arbeitern gesucht und hätte sie vor die Wahl gestellt, entweder nach Afghanistan abgeschoben zu werden oder in Syrien kämpfen zu müssen. Er habe beides nicht gewollt und sein Chef habe ihm einen Schlepper organisiert.

Seine Fluchtgründe hätten damit begonnen, dass der "Fürst" ihres Gebietes seit zweieinhalb Jahren auf seinen Vater Druck ausgeübt habe, damit dieser Mohn anbaue, womit sein Vater aber nicht einverstanden gewesen sei. Daraufhin habe der "Fürst" seinem Vater gedroht, die Ackerflächen mit Gewalt wegzunehmen. Eines Nachts sind die Männer des "Fürsten" gekommen und hätten verlangt, dass sein Vater zum "Fürst" mitkomme. Sein Vater habe gesagt, dass er selbst am nächsten Tag dorthin gehen werden. Nach längerer Diskussion hätten sie zu schießen begonnen und sei sein Vater am Bein verletzt worden. Er habe seine Kalaschnikow genommen und aus dem Haus geschossen. Daraufhin wären die Leute davongelaufen. Sein Vater habe ihm gesagt, dass er zunächst seine Familie (Mutter, Frau und Kinder) durch die Hintertüre hinauslassen solle und dann zur nächsten Ortschaft laufen solle, um Hilfe zu holen. Er habe seinem Vater seine Waffe gelassen und sei ungefähr in die gleiche Richtung gelaufen wie die Familie. In der nächsten Ortschaft angekommen, habe jedoch niemand etwas über seine Familie sagen können. Er wollte auf das Ankommen seiner Familie warten. Die Dorfbewohner hätten ihm jedoch dringend geraten, zu fliehen, weil die Männer des "Fürsten" ihn verfolgen würden. Ein Mann habe ihn dann nach XXXX gebracht und habe er gehört, dass nach ihm gesucht werde. Er habe dann eine Anzeige machen wollen, aber sei ihm in Anbetracht der Stellung seiner Verfolgung abgeraten worden. Sein Begleiter habe ihn dann zur weiteren Flucht überredet und einen Schlepper organisiert. Der "Fürst" habe ihn verfolgt und hätte ihn töten müssen, um sein Ziel, nämlich die Verwendung ihrer Grundstücke zum Mohnanbau zu erreichen. Der "Fürst" heiße XXXX und habe seinen Sitz in XXXX Er habe sehr viele Grundstücke. Die meisten würden jedoch an der Hauptstraße liegen und amerikanische Soldaten würden die dort entstandenen Mohnkulturen zerstören. Deswegen hätte er andere Grundstücke haben wollen, die nicht so gut sichtbar wären. Diese Eigenschaft hätten ihre Grundstücke gehabt. Dieser "Fürst" habe Opiumgeschäfte mit den Taliban gemacht und habe auch sonst überall Einfluss, sodass er in keinem anderen Teil des Heimatlandes hätte leben können. Die Leute des XXXX würden ihn überall finden und töten. Sein Vater sei schon von ihm getötet worden und den Aufenthalt seiner Familie kenne er nicht.

Er habe weder Verwandte in Österreich noch in einem EU-Staat, sondern lediglich entfernte Verwandte im Iran und sei in Grundversorgung. Er besuche derzeit einen Deutschkurs.

Mit Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 09.05.2017, Zahl XXXX wurde unter Spruchteil I. der Antrag auf internationalen Schutz hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten abgewiesen, unter Spruchteil II. dieser Antrag auch hinsichtlich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Afghanistan abgewiesen, unter Spruchteil III. ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen nicht erteilt, eine Rückkehrentscheidung entlassen und festgestellt, dass die Abschiebung nach Afghanistan zulässig sei, sowie unter Spruchpunkt IV. eine Frist für die freiwillige Ausreise mit zwei Wochen festgelegt.

In der Begründung des Bescheides wurden die oben bereits im wesentlichen Inhalt wiedergegebenen Einvernahmen dargestellt und Feststellungen zu Afghanistan getroffen. In der Beweiswürdigung wurde insbesondere ausgeführt, dass der Antragsteller den Sachverhalt sehr genau nachvollziehbar und plausibel ausgeführt habe, aber die Verfolgung durch Mitglieder einer kriminellen Vereinigung zur Erlangung von Grundstücken zum Zwecke des Drogenanbaus einen strafrechtlich relevanten Tatbestand darstellen würde und die afghanischen Sicherheitsbehörden Fortschritte machen würden. Weiters wären Depressionen auch in Afghanistan behandelbar, wozu aus einer Anfragebeantwortung der Staatendokumentation zitiert wurde. Rechtlich begründend wurde insbesondere ausgeführt, dass der Antragsteller als Fluchtgrund eine Verfolgung durch eine kriminelle Vereinigung angebe und nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes von einer mangelnden Schutzfähigkeit des Staates nicht bereits dann gesprochen werden könne, wenn der Staat nicht in der Lage sei, seine Bürger gegen jedwede Übergriffe seitens Dritter präventiv zu schützen. Die im Heimatstaat allgemein herrschenden politischen wie sozialen Verhältnisse würden ebenfalls die Asylgewährung nicht tragen können. Im Verfahren hätten sich auch keine sonstigen Anhaltspunkte ergeben, die eine Verfolgung aus asylrelevanten Gründen Herkunftsstaat für maßgeblich wahrscheinlich erscheinen lassen würden. Zum Spruchpunkt II. wurde zunächst darauf hingewiesen, dass keine Umstände bekannt wären, dass in der Heimat eine solche extreme Gefährdungslage bestehe, dass gleichsam jeder, der dort zurückkehre, einer Gefährdung im Sinne des § 8 AsylG ausgesetzt wäre. Die geltend gemachten psychischen Probleme könnten keinen Refoulementschutz begründenden Sachverhalt darstellen und stünde überdies eine inländische Fluchtalternative, insbesondere in Kabul, zur Verfügung. Es wären daher keine Umstände ersichtlich, dass der Antragsteller nach seiner Rückkehr nicht sein bisheriges existenzgesichertes Leben aufnehmen könne und hätten die gesamten Ergebnisse des Ermittlungsverfahrens unter Berücksichtigung sämtlicher bekannter Tatsachen keine Hinweise auf das Vorliegen eines Sachverhaltes, welcher zur Gewährung von subsidiären Schutz führen würde, ergeben.

Zu Spruchteil III. wurde zunächst festgehalten, dass die Voraussetzungen für die Erteilung eines Aufenthaltstitels nach § 57 AsylG nicht vorlägen. Der Antragsteller habe überdies in Österreich kein bestehendes Familienleben. Zu seinem Privatleben sei darauf hinzuweisen, dass er sich erst seit Dezember 2015 im Bundesgebiet aufhalte und deswegen die Schutzwürdigkeit seines Privatlebens als gering einzustufen sei und er überdies über keine über das übliche Maß hinausgehenden Integrationsmerkmale verfüge. Nach Abwägung sämtlicher Interessen ergebe sich, dass das Interesse der Öffentlichkeit an einem geordneten Vollzug des Fremdenwesens seine privaten Interessen an einem weiteren Verbleib in Österreich überwiegen würden. Eine Rückkehrentscheidung sei daher zulässig, zumal ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen nicht zu erteilen gewesen sei. Da im vorliegenden Fall sich auch keine Gefährdung im Sinne des § 50 FPG ergebe und überdies einer Abschiebung nach Afghanistan keine Empfehlung des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte entgegenstehe, sei eine solche auszusprechen gewesen. Gründe für die Verlängerung der Frist für die freiwillige Ausreise wären ebenfalls nicht hervorgekommen.

Gegen diesen Bescheid erhob der Antragsteller, vertreten durch den XXXX fristgerecht gegen alle Spruchpunkte Beschwerde an das Bundesverwaltungsgericht. Eingangs wurde nochmals hervorgehoben, dass auch die Erstbehörde den Angaben des Beschwerdeführers Glaubwürdigkeit zubillige, den Antrag jedoch abgelehnt habe, weil der Beschwerdeführer sich nicht an die afghanischen Sicherheitsbehörden gewandt habe und diese im Übrigen schutzfähig wären. Damit negiert die Entscheidung jedoch die auch in der Länderdokumentation ersichtliche Korruption in Afghanistan und die Bedeutung der Opiumproduktion. Es sei jedenfalls zu unterscheiden, ob der Staat tatsächlich in der Lage ist, die Kriminalität zu bekämpfen oder nach außen hin nur einen solchen Eindruck erwecken möchte. Jedenfalls liege beim Beschwerdeführer eine Verfolgung durch eine kriminelle Vereinigung vor und sei der Staat nicht in der Lage, ihm entsprechend Schutz zu gewähren. Auch habe die Behörde keinerlei Ermittlungen hinsichtlich einer subsidiären Schutzberechtigung aufgrund sozialer und familiärer Anknüpfungspunkte gepflogen (wobei auch auszugsweise aus Länderberichten zur Bedeutung des Opiumanbaus in Afghanistan zitiert wurde).

Die Behörde habe den Sachverhalt daher unzureichend ermittelt und wäre der Antragsteller auch gerne bereit gewesen, nähere Angaben zu seinen Fluchtgründen in einer ergänzenden Befragung zu machen, wobei ausdrücklich die Anberaumung einer mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht, auch um diesem die Möglichkeit zu bieten, einen persönlichen Eindruck von der Glaubwürdigkeit des Beschwerdeführers zu erhalten, beantragt.

Die Beschwerdeführervertretung legte auch eine Bestätigung des XXXX hinsichtlich der Bemühungen des Beschwerdeführers im Wege des XXXX seine Familie zu finden, vor. Weiter wurde eine Deutschkursbestätigung im Niveau A1 sowie Basisbildungskurse Alpha, weiters eine Teilnahmebestätigung an einem Erstehilfekurs vorgelegt.

Der Beschwerdeführer übermittelte weiters eine Beschwerdeergänzung, in der argumentiert wurde, dass der Beschwerdeführer bereits aufgrund der Zugehörigkeit zur Volksgruppe der Hazara einer Verfolgungsgefahr unterliege sowie zum (behaupteten) Nichtvorliegen einer inländischen Fluchtalternative, weiters wurde ein fachärztlicher Befund des Facharztes für Psychiatrie und psychotherapeutische Medizin Dr. XXXX mit der Diagnose rezidivierende depressive Störung, gegenwärtig mittelgradig bis schwere Episode als Traumafolgestörung, sowie ein Deutschzertifikat im Niveau A1 vorgelegt. Schließlich wurde auch eine Einstellungszusage des Forstbetriebes XXXX vorgelegt.

Das Bundesverwaltungsgericht beraumte eine öffentliche mündliche Beschwerdeverhandlung für den 19.07.2019 an, zu der sich die belangte Behörde wegen Nichtteilnahme entschuldigen ließ und lediglich die Übermittlung der Niederschrift begehrte. Der Beschwerdeführer erschien in Begleitung einer Mitarbeiterin der XXXX , welche sich durch eine Vertretungsvollmacht auswies.

Die Rechtsvertreterin legte eine Behandlungsbestätigung des XXXX , eine Bestätigung des XXXX über aktive Mitarbeit, eine Bestätigung der XXXX sowie Unterstützungsscheiben XXXX vor.

Der Beschwerdeführer hielt sein bisheriges Vorbringen aufrecht und gab an, dass er sich nicht sicher sei, dass der iranische Dolmetscher das Wort XXXX richtig verstanden habe. Dies sei bei ihnen eine angesehene wohlhabende ältere Person, welche beispielsweise viele Grundstücke besitze.

Er sei afghanischer Staatsbürger und habe wegen der überstürzten Flucht keine Möglichkeit gehabt, Dokumente mitzunehmen. Er sei Hazara und schiitischer Moslem, aber er sei keine radikale Person. Er habe auch eine Kirche besucht, sei aber nicht konvertiert. Sein Vater habe ihn dahingehend erzogen, allen Religionen gegenüber offen zu sein.

Er sei am XXXX in XXXX geboren und habe dort 19 Jahre gelebt. Anschließend wären sie in die Heimatprovinz Maidan-Wardak in das Heimatdistrikt XXXX zurückgekehrt. Dort habe er im Dorf XXXX bis zu seiner Ausreise gelebt. Eine Schule habe er nicht besucht. Er habe angefangen, im Alter von 14 Jahren zu arbeiten. Er habe fünf Jahre lang in einer Werkstatt gearbeitet und dabei die Schweißerei gelernt. Zuerst habe er nur als Hilfs- bzw. Reinigungskraft in der Werkstätte gearbeitet. In seinem Heimatdorf habe er selbständig als Schweißer eine Werkstatt betrieben. In XXXX hätten sie finanzielle Probleme gehabt, aber als sie in ihre Heimatprovinz übersiedelt wären, habe sein Vater in der Landwirtschaft gearbeitet und er sein eigenes Geschäft gehabt und hätten sie in einer durchschnittlichen finanziellen Situation gelebt.

Er habe Probleme mit einer Person gehabt, die Verbindungen zu den Taliban gehabt habe.

Er sei seit 12 Jahren traditionell verheiratet und habe drei Kinder. Im Zeitpunkt seiner Flucht sei seine Frau schwanger geworden. Wenn das Kind gesund zur Welt gekommen sei, habe er jetzt vier Kinder. Als er geflüchtet sei, habe sich seine Mutter bei seiner Ehefrau und seinen Kindern aufgehalten. Jetzt wisse er das aber nicht. Geschwister habe er keine.

Persönliche Probleme habe er mit XXXX gehabt, einer wohlhabenden Person und Großgrundbesitzer. Anfänglich sei er Kommandant der Mujaheddin gewesen. Als Karzai die Macht übernommen habe, habe er sich mit anderen mächtigen Anführern zusammengeschlossen und angefangen, Drogen anzubauen und kriminell tätig zu werden. Er habe sowohl für den Staat als auch für die Taliban gearbeitet. Dieser Mann habe ca. 30 Minuten zu Fuß von seinem Heimatdorf gelebt. Er sei ungefähr XXXX oder XXXX Jahre alt gewesen, mehrere Frauen habe er nicht gehabt. Er habe drei Söhne von ihm am Bazar gesehen. Wie viele Töchter er gehabt habe, wisse er nicht. Er sei mittelgroß gewesen, habe einen Bart getragen, aber nicht sehr lange. Seine Haare seien bereits ergraut gewesen. Er habe wie ein typischer Hazara ausgesehen.

Ungefähr drei Jahre, bevor es zu dem Vorfall gekommen sei, habe bereits sein Vater Probleme mit ihm gehabt. Die Amerikaner hätten nämlich seine Mohnfelder, die an der Straße gelegen wären zerstört und habe er seinen Vater gebeten, Mohn auf seinen Feldern anzubauen, da diese abgelegen gewesen seien. Sein Vater habe ihm erklärt, dass er nichts Verbotenes tun möchte und dort Weizen und Gemüse anbaue. XXXX habe versucht, seinen Vater zu überreden. Dieser habe aber gemeint, dass er keine Familie ins Elend treiben möchte und an derartigen Machenschaften nicht beteiligt sein möchte. Ca. ein Jahr nach der Unterredung sei der Ton immer rauer geworden. XXXX mir sei wegen der Verluste auf seinen Grundstücken sehr wütend gewesen. Er habe dann gedroht auch auf ihren Feldern ohne Erlaubnis Mohn anzubauen. Die Absicht, die Felder zu kaufen oder zu pachten, habe er nicht gehabt. Er habe auch andere Möglichkeiten gehabt, die Grundstücke an sich zu reißen. Ursprünglich habe XXXX Mir seinem Vater auch Geld angeboten, aber dieser habe das abgelehnt.

Sie seien dann in der Nacht überfallen worden. Sie hätten an der Tür geklopft, er sei aber nicht aufgewacht. Sein Vater sei zur Tür gegangen. Die Männer hätten sich vorgestellt, dass sie zu XXXX gehören würden und hätten seinen Vater mitnehmen wollen. Dieser habe angeboten, morgen selbst zu kommen. Die Männer hätten den Vorschlag jedoch nicht akzeptiert und hätten ihn sprechen wollen. Es habe dann eine Auseinandersetzung gegeben und sie hätten darauf bestanden, dass sein Vater mitkomme. Er habe dann Schüsse gehört und sei nervös geworden und habe nach seiner Kalschnikow gegriffen. Er sei dann Richtung Gartentüre gelaufen und habe Schüsse abgegeben. Die Männer seien dann wieder abgezogen. Er habe seinen Vater mit einer Schussverletzung am Bein entdeckt und hätten die Männer weitere Schüsse abgeben. Sein Vater habe ihm gesagt, dass er zuerst seine Familie in Sicherheit bringen müsse und habe er dann seine Mutter, seine Ehefrau und seine Kinder über den Hintereingang weggebracht und ihnen gezeigt, welchen Weg sie nehmen sollten. Er habe dann seinen Vater am Rücken tragen wollen. Sein Vater habe aber gesagt, dass das nicht möglich sei und dass sie dabei zu langsam wären. Er habe ihn dann aufgefordert, die Kalaschnikow bei ihm zu lassen und wegzulaufen. XXXX sei wohl ein lokaler Kommandant, aber er habe Einfluss in allen Provinzen und stehe er mit kriminellen Gruppierungen, die Drogen verkaufen, in enger Verbindung. Er sei immer mit seinem Pferd geritten, auch auf Feldern, die ihm nicht gehören würden und niemand habe sich getraut, ihn zur Rede zu stellen. Er hätte ungefähr 200 bis 250 bewaffnete Männer unter seinem direkten Kommando gehabt.

Als er das Haus verlassen habe und zu einem Hügel hingelaufen sei, habe er noch Schüsse gehört. Er sei dann ins Nachbardorf gelaufen und habe bei mehreren Türen geklopft, um Hilfe zu bekommen und habe diese Menschen aus dem Schlaf gerissen. Es seien dann mehrere herausgekommen und hätten sich versammelt. Er habe um Hilfe gebeten und seine Situation geschildert. Er habe gefragt, ob sie seine Familie gesehen hätten. Dies sei verneint worden. Dann habe er auf seine Familie warten wollen. Nach eineinhalb bis zwei Stunden seien Männer zurückgekehrt und hätten ihm erzählt, dass sein Vater getötet worden sei und dass die Männer auf der Suche nach ihm und seiner Familie wären. Ursprünglich habe er sich dann geweigert, weiterzuziehen, aber die Dorfbewohner hätten ihn überredet, dass er fliehen müsse, zumal er sich in einer großen Gefahr befinde und ihm versprochen, dass sie seine Familie nachschicken würden. Ein Mann mit einem Geländewagen hätten ihn dann in das Dorf XXXX gebracht. Dort hätten sie sich eine halbe Stunde aufgehalten. Er hätte sich wiederum zunächst geweigert weiter zu ziehen und habe auf seine Familie warten wollen, aber der Fahrer habe ihn dann nach XXXX gebracht. Er habe dann auch mit den Helfern aus dem Nachbardorf telefoniert, aber auch diese hätten ihm nichts über den Aufenthaltsort seiner Familie sagen können und hätten ihm nur berichtet, dass die Männer des XXXX ihn weiter suchen würden. XXXX habe sich die Grundstücke aneignen wollen, er sei aber der nächste Erbe nach seinem Vater gewesen. Deswegen habe er die gesamte Familie beseitigen wollen. Seine Familie sei vertrieben worden und die Grundstücke wären nunmehr in seiner Hand. Er habe deswegen genau die Grundstücke seiner Familie wollen, da diese groß und abgelegen wären und von den NATO-Truppen, die die Mohnfelder zerstören würden, nicht gesehen würden. Als er in XXXX angekommen sei, habe er den Mord an seinem Vater anzeigen wollen, aber jener Mann, der ihn dort hingebracht habe, habe ihm strikt davon abgeraten, denn die Anzeige würde an die Distriktverwaltung geschickt werden und man würde erfahren, wo er sich aufhalte. XXXX Mir sei nicht nur selbst ein Kommandant, er habe auch Verbindungen zu den Taliban. Es wäre für ihn leicht, ihn zu töten. Der Fahrer habe gesagt, dass er keine Chance habe, sich mit ihm anzulegen und keinen anderen Ausweg sehe, als aus Afghanistan auszureisen.

Er sei dann weiter von XXXX nach XXXX gereist und dann über die pakistanische Grenze weiter in den Iran. Fünf Monate habe er sich im Iran aufgehalten. In dieser Zeit habe er gearbeitet. Er sei am Arbeitsplatz von der iranischen Polizei aufgegriffen worden und auf die Polizeistation gebracht worden und habe dort eine Nacht verbringen müssen. Am nächsten Tag habe der Kommandant ihn vor die Alternative gestellt, entweder nach Afghanistan zurückzukehren oder in Syrien zu kämpfen. Er habe sich dann nach längerem Überlegen für Syrien entschieden und habe die Möglichkeit bekommen, zu seinem Arbeitgeber zurückzukehren und die Arbeit zu beenden und abzurechnen sowie seine Kleidung zu holen. Sein Arbeitgeber habe gemeint, dass es für ihn unzumutbar sei, nach Syrien zu gehen und dass er ihm helfen wolle, in ein europäisches Land zu gelangen. Er habe ihm Österreich empfohlen. Sein Arbeitgeber habe einen Schlepper gefunden und sei er dann über die Türkei nach Griechenland gekommen.

Seine Frau und seine Kinder habe er zwischenzeitig nicht gefunden. Er habe das beim XXXX gemeldet, aber sie würden noch daran arbeiten. Sonstige Verwandte habe er in Afghanistan nicht, weder Geschwister noch Onkeln. Er sei auch mit niemandem in Afghanistan mehr in Kontakt.

Zurzeit gehe es ihm psychisch gut, er habe eine Gesprächstherapie bei XXXX und habe ein Umfeld gefunden, das ihm weiterhelfe. Dafür sei er sehr dankbar. Anfang des Jahres habe er noch Medikamente genommen, jetzt nicht mehr.

Er besuche Deutschkurse in der Kirche und gehe alle zwei Wochen bergsteigen und pflege die Wege. Er helfe auch seinem Lehrer und anderen Flüchtlingen und habe auch schon in der Gemeinde gearbeitet. Er habe aber keine Arbeitserlaubnis. Unter schweren Bedingungen habe er eine A1-Prüfung abgelegt. Er bemühe sich, die Sprache zu lernen, sei aber mit seinen Gedanken oft bei seiner Familie und vergesse das Erlernte oft schnell. Er sei Mitglied beim XXXX und auch bei einer XXXX , die versuche, Asylwerbern zu helfen. Sie könnten auf seine Hilfe zurückgreifen. Er könne auch im Forstbetrieb des XXXX zu arbeiten beginnen und habe zahlreiche österreichische Freunde wie zum Beispiel XXXX , der auch in der Verhandlung anwesend sei.

Gefragt was mit ihm geschehen würden, wenn er nach Afghanistan zurückkehren würde, gab er an, dass er dort einer tatsächlichen Gefahr ausgesetzt wäre und über kurz oder lang 100%ig gefunden würde. Über Vorhalt, dass er relativ jung und im Wesentlichen gesund sei und Berufserfahrung habe, ob er nicht nach Kabul, wo er relativ lang gelebt habe, nach Herat oder Mazar-e Sharif gehen könne, gab er an, dass er nicht nur von den Taliban verfolgt wäre. Wenn das so wäre, könnte er allenfalls in Kabul Unterschlupf finden, aber dieser einflussreiche Mann möchte ihn gezielt beseitigen. Er werde nicht aufgeben, bis er dies erreicht habe.

Die Rechtsvertreterin brachte hinsichtlich einer möglichen IFA vor, dass es sich bei dem Verfolger um eine Person handle, die staatliche Strukturen repräsentiere und daher eine IFA sowohl nach dem Leitfaden des UNHCR als auch der Judikatur nicht relevant sei. Abschließend wollte sich der Beschwerdeführer bei dem österreichischen Staat und bei der Bevölkerung für die ihm angediehene Hilfe bedanken.

Verlesen wurde der aktuelle Strafregisterauszug des Beschwerdeführers, in dem keine Verurteilung aufscheint.

Den Verfahrensparteien wurde das aktualisierte Länderinformationsblatt der Staatendokumentation zu Afghanistan unter Einräumung einer Frist zur Abgabe einer Stellungnahme von vier Wochen zur Kenntnis gebracht.

Von der Möglichkeit zur Abgabe einer Stellungnahme machte ausschließlich der durch die österreichische Caritaszentrale vertretene Beschwerdeführer Gebrauch. Die Rechtsvertretung hatte Recherchen über den Hauptverfolger des XXXX Mir bei dem Afghanistan-Sachverständigen XXXX angestellt. Dieses Recherche-Ergebnis bestätigte die Existenz des Verfolgers des Beschwerdeführers und noch weitere Details der Fluchtgründe des Beschwerdeführers. XXXX sei ein lokaler XXXX und Hazara. Bei einem XXXX handle es sich um den Ältesten einer Gemeinschaft. Dessen Wohnsitz bestätigte er und tätigte überdies Recherchen zu dessen Schwiegersohn und dessen politischer Betätigung, wobei XXXX als einflussreicher älterer Mann im Hintergrund nach wie vor "die Strippen ziehe". Der Experte sehe überdies die Fluchtgeschichte als plausibel. Es sei jedenfalls als gesichert anzunehmen, dass der afghanische Staat in derartigen Fällen schutzunfähig sei, wie dies auch aus einer ACCORD-Anfragebeantwortung vom 10.11.2011 hervorgehe.

Eine Verfolgung durch die Taliban stehe mit einer unterstellten politischen bzw. religiösen Gesinnung im Zusammenhang und sei daher asylrelevant. Weiters sei im vorliegenden Fall davon auszugehen, dass es sich bei den Verfolgern um eine gut vernetzte und große Familie handle, die in der Lage sei, Angehörige gegnerischer Familien landesweit aufzuspüren und zu verfolgen, wobei diese auch auf die Kooperation mit dem bestens funktionierenden Nachrichtendienst der Taliban zurückgreifen könnten. Der Beschwerdeführer könne daher nirgends in Afghanistan sicher Zuflucht nehmen.

In der Folge wurde auf einige Passagen des vorgehaltenen LIB Bezug genommen. Es sei jedenfalls Kabul keineswegs als vergleichsweise sichere Großstadt anzusehen, sodass insgesamt dem Beschwerdeführer keine interne Fluchtalternativen zur Verfügung stehe.

Sollte das Gericht keine Anknüpfung an die GFK feststellen können, wäre dem Beschwerdeführer zumindest subsidiärer Schutz zuzuerkennen.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat, wie folgt, festgestellt und erwogen:

1. Feststellungen:

Feststellungen zur Person des Beschwerdeführers:

Der Beschwerdeführer ist Staatsbürger von Afghanistan, Hazara und schiitischer Moslem, wobei er auch gegenüber anderen Religionen offen ist. Er wurde am XXXX in der Stadt XXXX geboren, wo er auch bis zu seinem 19. Lebensjahr lebte. Anschließend lebte er mit seiner Familie in seinem Heimatdistrikt XXXX in Maidan-Wardak, wo sein Vater eine Landwirtschaft betrieb. Der Beschwerdeführer hat keine Schule besucht und zunächst als Helfer in einer Schweißer-Werkstatt gearbeitet, dann das Schweißer-Handwerk erlernt und die letzten vier Jahre vor seiner Ausreise dieses selbständig in seiner Heimatprovinz ausgeübt. Er hatte keine wirtschaftlichen Probleme in Afghanistan und auch keine Probleme mit staatlichen Behördenorganen. Der Beschwerdeführer ist (traditionell) verheiratet und hat drei Kinder, das vierte war im Zeitpunkt der Flucht unterwegs.

Sein Vater hatte einen Konflikt mit einem lokalen Kommandanten namens XXXX , der sowohl in der staatlichen Verwaltung verankert ist als auch über beste Kontakte zu den Taliban verfügt und sich mit dem Mohnanbau beschäftigt. Dieser hat sich durch die regelmäßigen Zerstörungen seiner Mohnfelder durch NATO-Truppen geärgert und wollte daher unbedingt in den Besitz der verborgen gelegenen Felder seines Vaters gelangen und versuchte zunächst durch Geldangebote und durch Überreden seinen Vater zum Mohnanbau und zur Kooperation mit dem genannten XXXX zu gewinnen. Als sein Vater dies mehrfach kategorisch ablehnte, bedrohte er diesen und schickte seine Männer zur Familie des Beschwerdeführers. Obwohl der Vater des Beschwerdeführers versprach, am nächsten Tag den XXXX aufzusuchen, wurde dieser angeschossen. Der Beschwerdeführer arrangierte zunächst die Flucht seiner Mutter, seiner Ehefrau und seiner Kinder durch den Hintereingang und wollte dann seinen verletzten Vater mitnehmen, was dieser jedoch verweigerte. Er überließ ihm seine Waffe und floh dann selbst in das Nachbardorf. Am Weg hörte er Schüsse und erfuhr wenig später, dass sein Vater ermordet und dass er auch von den Tätern gesucht werde. Der Beschwerdeführer wollte zunächst auf seine Familie warten, ließ sich jedoch durch die Bewohner des benachbarten Dorfes, die ihm von höchster Gefahr für ihn berichteten, umstimmen und fuhr mit einem Geländewagen mit nach XXXX . Dort erfuhr er, dass er nach wie vor ernsthaft gesucht werde und seine Familie nicht aufzufinden gewesen sei. Er wollte zunächst eine Anzeige wegen der Ermordung seines Vaters machen, aber es wurde ihm dringend abgeraten, da der Verfolger einerseits selbst ein Kommandant sei und andererseits über beste Verbindungen zu den Taliban verfüge und er nichts gegen ihn ausrichten könne und ließ er sich überreden, Afghanistan zu verlassen. Über XXXX und die pakistanische Grenze reiste er in den Iran ein und arbeitete dort illegal als Schweißer. Bei einer Schwarzarbeiterkontrolle wurde er von der iranischen Polizei aufgegriffen und vor die Alternative gestellt, entweder nach Afghanistan zurückzukehren oder in Syrien zu kämpfen. Er entschied sich für Letzteres, erhielt aber die Möglichkeit seine persönlichen Habseligkeiten von seinem Arbeitgeber zu holen und das Dienstverhältnis zu beenden. Dieser überzeugte den Beschwerdeführer, dass es besser wäre, nach Europa zu flüchten und besorgte ihm einen Schlepper, der ihn nach Österreich bringen sollte, weil er von Österreich nur Gutes gehört habe.

Der Beschwerdeführer gelangte am (spätestens) 11.12.2015 nach Österreich und stellte sogleich einen Antrag auf internationalen Schutz. Der Beschwerdeführer litt unter einer posttraumatischen Belastungsstörung und einem depressiven Zustandsbild, wobei sich seine Situation besserte und er auch keine Medikamente mehr nimmt. Der Beschwerdeführer versuchte in Österreich über das XXXX seine Familie zu finden, was ihm jedoch bis dato nicht gelang. Er besucht in Österreich Deutschkurse und andere Basisbildungskurse. Er hat ein Deutschdiplom im Niveau A1 erworben. Der Beschwerdeführer ist Mitglied bei der XXXX und beim XXXX , wo er sich auch an der Wegeerhaltung beteiligt. Er hat auch schon ehrenamtliche Arbeiten verrichtet und verfügt über eine Einstellungszusage im Forstbetrieb des XXXX . Der Beschwerdeführer führt kein Familienleben in Österreich und ist im Übrigen unbescholten.

Zu Afghanistan wird Folgendes verfahrensbezogen festgestellt:

1. Neueste Ereignisse - Integrierte Kurzinformationen

KI vom 4.6.2019, politische Ereignisse, zivile Opfer, Anschläge in Kabul, IOM (relevant für Abschnitt 3/Sicherheitslage; Abschnitt 2/Politische Lage; Abschnitt 23/Rückkehr).

Politische Ereignisse: Friedensgespräche, Loya Jirga, Ergebnisse Parlamentswahl

Ende Mai 2019 fand in Moskau die zweite Runde der Friedensgespräche zwischen den Taliban und afghanischen Politikern (nicht der Regierung, Anm.) statt. Bei dem Treffen äußerte ein Mitglied der Taliban, Amir Khan Muttaqi, den Wunsch der Gruppierung nach Einheit der afghanischen Bevölkerung und nach einer "inklusiven" zukünftigen Regierung. Des Weiteren behauptete Muttaqi, die Taliban würden die Frauenrechte respektieren wollen. Ein ehemaliges Mitglied des afghanischen Parlaments, Fawzia Koofi, äußerte dennoch ihre Bedenken und behauptete, die Taliban hätten kein Interesse daran, Teil der aktuellen Regierung zu sein, und dass die Gruppierung weiterhin für ein islamisches Emirat stünde. (Tolonews 31.5.2019a).

Vom 29.4.2019 bis 3.5.2019 tagte in Kabul die "große Ratsversammlung" (Loya Jirga). Dabei verabschiedeten deren Mitglieder eine Resolution mit dem Ziel, einen Friedensschluss mit den Taliban zu erreichen und den inner-afghanischen Dialog zu fördern. Auch bot Präsident Ghani den Taliban einen Waffenstillstand während des Ramadan von 6.5.2019 bis 4.6.2019 an, betonte aber dennoch, dass dieser nicht einseitig sein würde. Des Weiteren sollten 175 gefangene Talibankämpfer freigelassen werden (BAMF 6.5.2019). Einer weiteren Quelle zufolge wurden die kritischen Äußerungen zahlreicher Jirga-Teilnehmer zu den nächtlichen Militäroperationen der USA nicht in den Endbericht aufgenommen, um die Beziehungen zwischen den beiden Staaten nicht zu gefährden. Die Taliban nahmen an dieser von der Regierung einberufenen Friedensveranstaltung nicht teil, was wahrscheinlich u.a. mit dem gescheiterten Dialogtreffen, das für Mitte April 2019 in Katar geplant war, zusammenhängt. Dort wäre die Regierung zum ersten Mal an den Friedensgesprächen mit den Taliban beteiligt gewesen. Nachdem erstere jedoch ihre Teilnahme an die Bedingung geknüpft hatte, 250 Repräsentanten nach Doha zu entsenden und die Taliban mit Spott darauf reagierten, nahm letztendlich kein Regierungsmitarbeiter an der Veranstaltung teil. So fanden Gespräche zwischen den Taliban und Exil-Afghanen statt, bei denen viele dieser das Verhalten der Regierung öffentlich kritisierten (Heise 16.5.2019).

Anfang Mai 2019 fand in Katar auch die sechste Gesprächsrunde zwischen den Taliban und den USA statt. Der Sprecher der Taliban in Doha, Mohammad Sohail Shaheen, betonte, dass weiterhin Hoffnung hinsichtlich der inner-afghanischen Gespräche bestünde. Auch konnten sich der Quelle zufolge die Teilnehmer zwar bezüglich einiger Punkte einigen, dennoch müssten andere "wichtige Dinge" noch behandelt werden (Heise 16.5.2019).

Am 14.5.2019 hat die unabhängige Wahlkommission (Independent Electoral Commission, IEC) die Wahlergebnisse der Provinz Kabul für das afghanische Unterhaus (Wolesi Jirga) veröffentlicht (AAN 17.5.2019; vgl. IEC 14.5.2019, IEC 15.5.2019). Somit wurde nach fast sieben Monaten (die Parlamentswahlen fanden am 20.10.2018 und 21.10.2018 statt) die Stimmenauszählung für 33 der34 Provinzen vervollständigt. In der Provinz Ghazni soll die Wahl zusammen mit den Präsidentschafts- und Provinzialratswahlen am 28.9.2019 stattfinden. In seiner Ansprache zur Angelobung der Parlamentsmitglieder der Provinzen Kabul und Paktya am 15.5.2019 bezeichnete Ghani die siebenmonatige Wahl als "Katastrophe" und die beiden Wahlkommissionen, die IEC und die Electoral Complaints Commission (ECC), als "ineffizient" (AAN 17.5.2019).

Zivile-Opfer, UNAMA-Bericht

Die United Nations Assistance Mission in Afghanistan (UNAMA) registrierte im ersten Quartal 2019 (1.1.2019 - 31.3.2019) 1.773 zivile Opfer (581 Tote und 1.192 Verletzte), darunter waren 582 der Opfer Kinder (150 Tote und 432 Verletzte). Dies entspricht einem Rückgang der gesamten Opferzahl um 23% gegenüber dem gleichen Zeitraum des Vorjahres, welches somit der niedrigste Wert für das erste Jahresquartal seit 2013 ist (UNAMA 24.4.2019).

Diese Verringerung wurde durch einen Rückgang der Zahl ziviler Opfer von Selbstmordanschlägen mit IED (Improvised Explosive Devices - unkonventionelle Spreng- und Brandvorrichtung/Sprengfallen) verursacht. Der Quelle zufolge könnten die besonders harten Winterverhältnisse in den ersten drei Monaten des Jahres 2019 zu diesem Trend beigetragen haben. Es ist unklar, ob der Rückgang der zivilen Opfer wegen Maßnahmen der Konfliktparteien zur Verbesserung des Schutzes der Zivilbevölkerung oder durch die laufenden Gespräche zwischen den Konfliktparteien beeinflusst wurde (UNAMA 24.4.2019).

Die Zahl der zivilen Opfer aufgrund von Nicht-Selbstmord-Anschlägen mit IEDs durch regierungsfeindliche Gruppierungen und Luft- sowie Suchoperationen durch regierungsfreundliche Gruppierungen ist gestiegen. Die Zahl der getöteten Zivilisten, die regierungsfreundlichen Gruppierungen zugeschrieben wurden, übertraf im ersten Quartal 2019 die zivilen Todesfälle, welche von regierungsfeindlichen Elementen verursacht wurden (UNAMA 24.4.2019).

Kampfhandlungen am Boden waren die Hauptursache ziviler Opfer und machten etwa ein Drittel der Gesamtzahl aus. Der Einsatz von IEDs war die zweithäufigste Ursache für zivile Opfer: Im Gegensatz zu den Trends von 2017 und 2018 wurde die Mehrheit der zivilen Opfer von IEDs nicht durch Selbstmordanschläge verursacht, sondern durch Angriffe, bei denen der Angreifer nicht seinen eigenen Tod herbeiführen wollte. Luftangriffe waren die Hauptursache für zivile Todesfälle und die dritthäufigste Ursache für zivile Opfer (Verletzte werden auch mitgezählt, Anm.), gefolgt von gezielten Morden und explosiven Kampfmittelrückständen (UXO - unexploded ordnance). Am stärksten betroffen waren Zivilisten in den Provinzen Kabul, Helmand, Nangarhar, Faryab und Kunduz (in dieser Reihenfolge) (UNAMA 24.4.2019).

Anschläge in Kabul-Stadt

Ende Mai 2019 fanden in Kabul-Stadt einige Anschläge und gezielte Tötungen in kurzen Abständen zu einander statt: Am 26.5.2019 wurde ein leitender Mitarbeiter einer NGO in Kart-e Naw (PD5, Police District 5) durch unbekannte bewaffnete Männer erschossen (Tolonews 27.5.2019a). Am 27.5.2019 wurden nach der Explosion einer Magnetbombe, die gegen einen Bus von Mitarbeitern des Ministeriums für Hadsch und religiöse Angelegenheiten gerichtet war, zehn Menschen verletzt. Die Explosion fand in Parwana-e Do (PD2) statt. Zum Vorfall hat sich keine Gruppierung bekannt (Tolonews 27.5.2019b).

Des Weiteren wurden im Laufe der letzten zwei Maiwochen vier Kontrollpunkte der afghanischen Sicherheitskräfte durch unbekannte bewaffnete Männer angegriffen (Tolonews 31.5.2019b).

Am 30.5.2019 wurden in Folge eines Selbstmordangriffes nahe der Militärakademie Marshal Fahim im Stadtteil Char Rahi Qambar (PD5) sechs Personen getötet und 16 Personen, darunter vier Zivilisten, verletzt. Die Explosion erfolgte, während die Kadetten die Universität verließen (1 TV NEWS 30.5.2019). Der Islamische Staat (IS) bekannte sich zu dem Anschlag (AJ 30.5.2019).

Am 31.5.2019 wurden sechs Personen, darunter vier Zivilisten, getötet und fünf Personen, darunter vier Mitglieder der US-Sicherheitskräfte, verletzt, nachdem ein mit Sprengstoff beladenes Auto in Qala-e Wazir (PD9) detonierte. Quellen zufolge war das ursprüngliche Ziel des Angriffs ein Konvoi ausländischer Sicherheitskräfte (Tolonews 31.5.2019c).

Am 2.6.2019 kam nach der Detonation von mehreren Bomben eine Person ums Leben und 17 weitere wurden verletzt. Die Angriffe fanden im Westen der Stadt statt, und einer davon wurde von einer Klebebombe, die an einem Bus befestigt war, verursacht. Einer Quelle zufolge transportierte der Bus Studenten der Kabul Polytechnic University (TW 2.6.2019). Der IS bekannte sich zu den Anschlägen und beanspruchte den Tod von "mehr als 30 Schiiten und Mitgliedern der afghanischen Sicherheitskräfte" für sich. Die Operation erfolgte in zwei Phasen: Zuerst wurde ein Bus, der 25 Schiiten transportierte, angegriffen, und darauf folgend detonierten zwei weitere Bomben, als sich "Sicherheitselemente" um den Bus herum versammelten. Vertreter des IS haben u.a. in Afghanistan bewusst und wiederholt schiitische Zivilisten ins Visier genommen und sie als "Polytheisten" bezeichnet. (LWJ 2.6.2019).

Am 3.6.2019 kamen nach einer Explosion auf der Darul Aman Road in der Nähe der American University of Afghanistan fünf Menschen ums Leben und zehn weitere wurden verletzt. Der Anschlag richtete sich gegen einen Bus mit Mitarbeitern der Independent Administrative Reform and Civil Service Commission (Tolonews 3.6.2019) US-Angaben zufolge ist die Zahl der IS-Anhänger in Afghanistan auf ca. 5.000 gestiegen, fünfmal so viel wie vor einem Jahr. Gemäß einer Quelle profitiert die Gruppierung vom "zahlenmäßigen Anstieg der Kämpfer in Pakistan und Usbekistan und von aus Syrien geflohenen Kämpfern". Des Weiteren schließen sich enttäuschte Mitglieder der Taliban sowie junge Menschen ohne Zukunftsperspektive dem IS an, der in Kabul, Nangarhar und Kunar über Zellen verfügt (BAMF 3.6.2019). US-Angaben zufolge ist es "sehr wahrscheinlich", dass kleinere IS-Zellen auch in Teilen Afghanistans operieren, die unter der Kontrolle der Regierung oder der Taliban stehen (VOA 21.5.2019). Eine russische Quelle berichtet wiederum, dass ca. 5.000 IS-Kämpfer entlang der Nordgrenze tätig sind und die Nachbarländer bedrohen. Der Quelle zufolge handelt es sich dabei um Staatsbürger der ehemaligen sowjetischen Republiken, die mit dem IS in Syrien gekämpft haben (Newsweek 21.5.2019).

Anmerkung der Staatendokumentation: Zur besseren Ortung der oben beschriebenen Vorfälle folgt eine kartografische Darstellung der Staatendokumentation mit der Einteilung der Stadt Kabul in Polizeidistrikte:

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(Quelle: BFA 13.2.2019)

Rückkehr

Die International Organization for Migration (IOM) gewährt seit April 2019 keine temporäre Unterkunft für zwangsrückgeführte Afghanen mehr. Diese erhalten eine Barzuwendung von ca. 150 Euro sowie Informationen über mögliche Unterkunftsmöglichkeiten. Gemäß dem Europäischen Auswärtigen Amt (EAD) nutzten nur wenige Rückkehrer die Unterbringungsmöglichkeiten von IOM (BAMF 20.5.2019).

Quellen:

1 TV NEWS (30.5.2019): At least six killed in suicide blast near military academy in Kabul,

http://www.1tvnews.af/en/news/afghanistan/38366-breaking -blast-rocks-kabu l, Zugriff 3.6.2019

AAN - Afghanistan Analysts Network (17.5.2019): The Results of Afghanistan's 2018 Parliamentary Elections: A new, but incomplete Wolesi Jirga,

https://www.afghanistan-analysts.org/the-results-of-afghanistans-2018-parliamentary-elections-a-new-but-incomplete-wolesi-jirga/, Zugriff 22.5.2019

AJ - Al Jazeera (30.5.2019): Suicide bomber targets Afghan military training centre in Kabul,

https://www.aljazeera.com/news/2019/05/suicide-bomber-targets-afghan-military-training-centrekabul-190530082719388.html, Zugriff 3.6.2019

BAMF - Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (3.6.2019): Briefing Notes, Afghanistan, per EMail

BAMF - Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (20.5.2019): Briefing Notes, Afghanistan, per EMail

BAMF - Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (6.5.2019): Briefing Notes, Afghanistan, per EMail

BFA - Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, Staatendokumentation (13.2.2019): Kabul Police Districts Map, liegt im Archiv der Staatendokumentation auf

Heise (16.5.2019): Afghanistan: Wie viel Macht hat der Präsident?, https://www.heise.de/tp/features/Afghanistan-Wie-viel-Macht-hat-der-Praesident-4422023.html,Zugriff 3.6.2019

IEC - Independent Electoral Commission via Facebook (14.5.2019):

Press Declaration 24/2/1398,

https://www.facebook.com/AfghanistanIEC/posts/2361637283896572?__tn__=-R, Zugriff 4.6.2019

IEC - Independent Electoral Commission (15.5.2019): Kabul - Wolesi Jirga Final Results,

http://www.iec.org.af/results/en/home/finalresult_by_province/1/2, Zugriff 4.6.2019

LWJ - Long War Journal (2.6.2019): Islamic State bombs bus, security personnel in western Kabul,

https://www.longwarjournal.org/archives/2019/06/islamic-state-bombs-bus-securitypersonnel-in-western-kabul.php, Zugriff 3.6.2019

Newsweek (21.5.2019): Russia Spy Chief warns 5,000 ISIS Foreign Fighters Threaten Borders of Former Soviet Union, https://www.newsweek.com/russia-spy-chief-warns-5000-isis-foreignfighters-threaten-borders-former-1431576, Zugriff 4.6.2019

Tolonews (3.6.2019): Five Killed As Explosion Targets Govt Employees Bus In Kabul,

https://www.tolonews.com/afghanistan/explosion-targets-govt-bus-kabul, Zugriff 3.6.2019

Tolonews (31.5.2019a): Taliban Wants An ‚Inclusive Post-Peace Govt', https://www.tolonews.com/afghanistan/taliban-wants-inclusive-post-peace-govt, Zugriff 3.6.2019

Tolonews (31.5.2019b): Concerns Mount Over Sharp Increase In Attacks

In Kabul,

https://www.tolonews.com/afghanistan/concerns-mount-over-sharp-increase-attacks-%C2%A0kabul, Zugriff 3.6.2019

Tolonews (31.5.2019c): Heavy Explosion Rocks Kabul; 4 Civilians Killed,

https://www.tolonews.com/afghanistan/heavy-explosion-rocks-kabul, Zugriff 3.6.2019

Tolonews (27.5.2019a): Seven Members Of One Family Murdered in Kabul,

https://www.tolonews.com/afghanistan/seven-members-one-family-murdered-kabul, Zugriff 3.6.2019

Tolonews (27.5.2019b): 10 Wounded As Blast Targets Govt Employees Bus In Kabul,

https://www.tolonews.com/afghanistan/10-wounded-blast-targets-govt-employees-bus-kabul, Zugriff 3.6.2019

TW - The Week (2.6.2019): Afghan officials: 3 bomb blasts in capital, 1 killed,

https://www.theweek.in/news/world/2019/06/02/afghan-officials-3-bomb-blasts-in-capital-1-killed.html, Zugriff 3.6.2019

UNAMA - United Nations Assistance Mission in Afghanistan (24.4.2019): Quarterly Report on the Protection of Civilians in Armed Conflict: 1 January to 31 March 2019, https://unama.unmissions.org/sites/default/files/unama_protection_of_civilians_in_armed_conflict_-_first_quarter_report_2019_english_.pdf, Zugriff 3.4.2019

VOA - Voice of America (21.5.2019): Islamic State in Afghanistan Growing Bigger, More Dangerous, https://www.voanews.com/a/islamic-state-in-afghanistan-growing-bigger-moredangerous/4927406.html, Zugriff 4.6.2019

KI vom 26.3.2019, Anschläge in Kabul, Überflutungen und Dürre, Friedensgespräche, Präsidentschaftswahl (relevant für Abschnitt 2/Politische Lage; Abschnitt 3/Sicherheitslage; Abschnitt 21/Grundversorgung und Wirtschaft).

Anschläge in Kabul-Stadt

Bei einem Selbstmordanschlag während des persischen Neujahres-Fests Nowruz in Kabul-Stadt kamen am 21.3.2019 sechs Menschen ums Leben und weitere 23 wurden verletzt (AJ 21.3.2019, Reuters 21.3.2019). Die Detonation erfolgte in der Nähe der Universität Kabul und des Karte Sakhi Schreins, in einer mehrheitlich von Schiiten bewohnten Gegend. Quellen zufolge wurden dafür drei Bomben platziert: eine im Waschraum einer Moschee, eine weitere hinter einem Krankenhaus und die dritte in einem Stromzähler (TDP 21.3.2019; AJ 21.3.2019). Der ISKP (Islamische Staat -Provinz Khorasan) bekannte sich zum Anschlag (Reuters 21.3.2019).

Während eines Mörserangriffs auf eine Gedenkveranstaltung für den 1995 von den Taliban getöteten Hazara-Führer Abdul Ali Mazari im überwiegend von Hazara bewohnten Kabuler Stadtteil Dasht-e Barchi kamen am 7.3.2019 elf Menschen ums Leben und 95 weitere wurden verletzt. Der ISKP bekannte sich zum Anschlag (AJ 8.3.2019).

Überflutungen und Dürre

Nach schweren Regenfällen in 14 afghanischen Provinzen kamen mindestens 63 Menschen ums Leben. In den Provinzen Farah, Kandahar, Helmand, Herat, Kapisa, Parwan, Zabul und Kabul, wurden ca. 5.000 Häuser zerstört und 7.500 beschädigt (UN OCHA 19.3.2019). Dem Amt für die Koordinierung humanitärer Angelegenheiten der Vereinten Nationen (UN OCHA) zufolge waren mit Stand 19.3.2019 in der Provinz Herat die Distrikte Ghorvan, Zendejan, Pashtoon Zarghoon, Shindand, Guzarah und Baland Shahi betroffen (UN OCHA 19.3.2019). Die Überflutungen folgten einer im April 2018 begonnen Dürre, von der die Provinzen Badghis und Herat am meisten betroffen waren und von deren Folgen (z.B. Landflucht in die naheliegenden urbanen Zentren, Anm.) sie es weiterhin sind. Gemäß einer Quelle wurden in den beiden Provinzen am 13.9.2018 ca. 266.000 IDPs vertrieben: Davon zogen 84.000 Personen nach Herat-Stadt und 94.945 nach Qala-e-Naw, wo sie sich in den Randgebieten oder in Notunterkünften innerhalb der Städte ansiedelten und auf humanitäre Hilfe angewiesen sind (IFRCRCS 17.3.2019).

Friedensgespräche

Kurz nach der Friedensgesprächsrunde zwischen Taliban und Vertretern der USA in Katar Ende Jänner 2019 fand Anfang Februar in Moskau ein Treffen zwischen Taliban und bekannten afghanischen Politikern der Opposition, darunter der ehemalige Staatspräsident Hamid Karzai und mehrere "Warlords", statt (Qantara 12.2.201). Quellen zufolge wurde das Treffen von der afghanischen Diaspora in Russland organisiert. Taliban-Verhandlungsführer Sher Muhammad Abbas Stanaksai wiederholte während des Treffens schon bekannte Positionen wie die Verteidigung des "Dschihad" gegen die "US-Besatzer" und die gleichzeitige Weiterführung der Gespräche mit den USA. Des Weiteren verkündete er, dass die Taliban die Schaffung eines "islamischen Regierungssystems mit allen Afghanen" wollten, obwohl sie dennoch keine "exklusive Herrschaft" anstrebten. Auch bezeichnete er die bestehende afghanische Verfassung als "Haupthindernis für den Frieden", da sie "vom Westen aufgezwungen wurde"; Weiters forderten die Taliban die Aufhebung der Sanktionen gegen ihre Führer und die Freilassung ihrer gefangenen Kämpfer und bekannten sich zur Nichteinmischung in Angelegenheiten anderer Länder, zur Bekämpfung des Drogenhandels, zur Vermeidung ziviler Kriegsopfer und zu Frauenrechten. Diesbezüglich aber nur zu jenen, "die im Islam vorgesehen seien" (z.B. lernen, studieren und sich den Ehemann selbst auswählen). In dieser Hinsicht kritisierten sie dennoch, dass "im Namen der Frauenrechte Unmoral verbreitet und afghanische Werte untergraben würden" (Taz 6.2.2019).

Ende Februar 2019 fand eine weitere Friedensgesprächsrunde zwischen Taliban und US-Vertretern in Katar statt, bei denen die Taliban erneut den Abzug der US-Truppen aus Afghanistan forderten und betonten, die Planung von internationalen Angriffen auf afghanischem Territorium verhindern zu wollen. Letzterer Punkt führte jedoch zu Meinungsverschiedenheiten: Während die USA betonten, die Nutzung des afghanischen Territoriums durch "terroristische Gruppen" vermeiden zu wollen und in dieser Hinsicht eine Garantie der Taliban forderten, behaupteten die Taliban, es gebe keine universelle Definition von Terrorismus und weigerten sich gegen solch eine Spezifizierung. Sowohl die Taliban- als auch die US-Vertreter hielten sich gegenüber den Medien relativ bedeckt und betonten ausschließlich, dass die Friedensverhandlungen weiterhin stattfänden. Während es zu Beginn der Friedensgesprächsrunde noch Hoffnungen gab, wurde mit Voranschreiten der Verhandlungen immer klarer, dass sich eine Lösung des Konflikts als "frustrierend langsam" erweisen würde (NYT 7.3.2019).

Die afghanische Regierung war weder an den beiden Friedensgesprächen in Doha noch an dem Treffen in Moskau beteiligt (Qantara 12.2.2019; vgl. NYT 7.3.2019), was Unbehagen unter einigen Regierungsvertretern auslöste und die diplomatischen Beziehungen zwischen den beiden Regierungen beeinträchtigte (Reuters 18.3.2019; vgl. WP 18.3.2019). Beispielsweise erklärte US-Unterstaatssekretär David Hale am 18.3.2019 die Beendigung der Kontakte zwischen US-Vertretern und dem afghanischen nationalen Sicherheitsberater Hamdullah Mohib, nachdem dieser US-Chefunterhändler Zalmay Khalilzad und den Ausschluss der afghanischen Regierung aus den Friedensgesprächen öffentlich kritisiert hatte (Reuters 18.3.2019).

Verschiebung der Präsidentschaftswahl

Die Präsidentschaftswahl, welche bereits von April auf Juni 2019 verschoben worden war, soll Quellen zufolge nun am 28.9.2019 stattfinden. Grund dafür seien "zahlreiche Probleme und Herausforderungen, welche vor dem Wahltermin gelöst werden müssten, um eine sichere und transparente Wahl sowie eine vollständige Wählerregistrierung sicherzustellen - so die unabhängige Wahlkommission (IEC) (VoA 20.3.2019; vgl. BAMF 25.3.2019).

Quellen:

AJ - Al Jazeera (21.3.2019): Blasts in Afghan capital Kabul kill six during new year festival,

https://www.aljazeera.com/news/2019/03/blasts-afghan-capital-kabul-kill-6-year-festival-190321064823472.html, Zugriff 26.3.2019

AJ - Al Jazeera (8.3.2019): Death toll rises to 11 in attack on Shia gathering in Kabul,

https://www.aljazeera.com/news/2019/03/death-toll-rises-11-afghan-capital-attack-shia-gathering-190308102222870.html, Zugriff 26.3.2019

BAMF - Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (25.3.2019): Briefing Notes Afghanistan, liegen im Archiv der Staatendokumentation auf

NYT - The New York Times (7.3.2019): U.S. Peace Talks With Taliban Trip Over a Big Question: What Is Terrorism?, https://www.nytimes.com/2019/03/07/world/asia/taliban-peace-talksafghanistan.html, Zugriff 26.3.2019

IFRCRCS - International Federation of Red Cross and Red Crescent Societies (17.3.2019): Emergency Appeal Afghanistan: Drought and Flash Floods,

https://reliefweb.int/report/afghanistan/afghanistan-drought-and-flash-floods

Qantara (12.02.2019): Any deal will do, https://en.qantara.de/print/34493, Zugriff 26.3.2019

Reuters (21.3.2019): Explosions in Afghan capital Kabul kills six during new year festival,

https://www.reuters.com/article/us-afghanistan-attack/explosions-in-afghan-capital-kabul-kill-6-during-new-year-festival-idUSKCN1R20GL, Zugriff 26.3.2019

Reuters (18.3.2019): U.S. freezes out top Afghan official in peace talks feud: sources,

https://www.reuters.com/article/us-usa-afghanistan/us-freezes-out-top-afghan-official-in-peacetalks-feud-sources-idUSKCN1QZ2OU, Zugriff 26.3.2019

Taz - Die Tagezeitung (6.2.2019): Auch Moskau spielt die Taliban-Karte,

https://www.taz.de/Gespraeche-zwischen-Taliban-und-Russland/!5568633/, Zugriff 26.3.2019

TDP - The Defense Post (21.3.2019): Bomb blasts around Afghanistan capital kill 6 during Nowruz celebrations, https://thedefensepost.com/2019/03/21/afghanistan-kabul-bombings-nowruz/, Zugriff 26.3.2019

UN OCHA - United Nations Office for the Coordination of Humanitarian Affairs (19.3.2019): Afghanistan: Flash Floods, Update No. 7 (as of 19 March 2019),

https://reliefweb.int/sites/reliefweb.int/files/resources

/afg_flash_floods_update_7_19_mar_2019_web.pdf, Zugriff 26.3.2019

VoA - Voice of America (20.3.2019): Afghanistan Again Postpones Presidential Election,

https://www.voanews.com/a/afghanistan-again-postpones-presidential-election/4840141.html, Zugriff 26.3.2019

WP - The Washington Post (18.3.2019): Afghan government, shut out of U.S.-Taliban peace talks, running short on options, https://www.washingtonpost.com/world/afghan-government-shut-out-ofus-taliban-peace-talks-running-short-on-options/2019/03/18/92cd6128-497d-11e9-8cfc-2c5d0999c21e_story.html?noredirect=on&utm_term=.ffa121b12dbc, Zugriff 26.3.2019

Kommentar:

Die Lage vor Ort wird weiterhin beobachtet und gegebenenfalls wird mit weiteren Kurzinformationen reagiert. Weiterführende Informationen zu der Friedensgesprächsrunde von Jänner 2019 können der KI vom 31.1.2019 entnommen werden.

KI vom 1.3.2019, Aktualisierung: Sicherheitslage in Afghanistan - Q4.2018 (relevant für Abschnitt 3/Sicherheitslage)

Allgemeine Sicherheitslage und sicherheitsrelevante Vorfälle

Die Sicherheitslage in Afghanistan bleibt volatil. Die Vereinten Nationen (UN) registrierten im Berichtszeitraum 16.8.2018 - 15.11.2018 5.854 sicherheitsrelevante Vorfälle, was einen Rückgang von 2% gegenüber dem Vergleichszeitraum des Vorjahres bedeutet. Bewaffnete Zusammenstöße gingen um 5% zurück, machten aber weiterhin den Großteil der sicherheitsrelevanten Vorfälle (63%) aus. Selbstmordanschläge gingen um 37% zurück, was möglicherweise a

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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