TE Bvwg Erkenntnis 2019/10/23 W154 2219134-4

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Veröffentlicht am 23.10.2019
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Entscheidungsdatum

23.10.2019

Norm

BFA-VG §22a Abs4
B-VG Art. 133 Abs4

Spruch

W154 2219134-4/3E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Richterin Mag. KRACHER als Einzelrichterin über die Beschwerde von XXXX , geb. XXXX alias XXXX alias XXXX , StA LIBYEN alias LIBANON alias ALGERIEN, alias XXXX , geb. XXXX , StA ALGERIEN, alias XXXX , geb. XXXX , StA MAROKKO, gegen die Anhaltung in Schubhaft zu Recht erkannt:

A)

I. Gemäß § 22a Abs. 4 BFA-VG wird festgestellt, dass zum Zeitpunkt der Entscheidung die für die Fortsetzung der Schubhaft maßgeblichen Voraussetzungen vorliegen und dass die Aufrechterhaltung der Schubhaft im Zeitpunkt der Entscheidung verhältnismäßig ist.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang

Am 06.07.2016 stellte der Beschwerdeführer (BF) einen Antrag auf internationalen Schutz in Österreich unter der Identität XXXX , geb. XXXX , StA Libyen. Er wurde als Minderjähriger in die Grundversorgung aufgenommen, schlug diese aber binnen vier Tagen aus und lebte im Verborgenen. Das Bundesamt stellte das Verfahren mangels Mitwirkung des BF am 20.12.2016 ein.

Der BF reiste zu einem unbekannten Zeitpunkt nach Deutschland weiter, wo er angab, am XXXX geboren zu sein, er befand sich dort fast drei Monate wegen unrechtmäßiger Einreise in Haft und wurde am 26.04.2017 nach Österreich rücküberstellt. Er entzog sich dem Asylverfahren und dem gegen ihn laufenden Strafverfahren und reiste binnen einer Woche wieder aus Österreich aus und kehrte über Italien und Frankreich zu einem unbekannten Zeitpunkt ins Bundesgebiet zurück. Er verfügte über einen fremden italienischen Personalausweis, um sich damit auszuweisen.

Mit Bescheid vom 20.04.2018 wies das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) den Antrag des BF auf internationalen Schutz hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten und des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Algerien ab (Spruchpunkt I. und II.), erteilte ihm keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen (Spruchpunkt III.), erließ gegen ihn eine Rückkehrentscheidung (Spruchpunkt IV.), stellte fest, dass seine Abschiebung nach Algerien zulässig ist (Spruchpunkt V.), erkannte einer Beschwerde die aufschiebende Wirkung ab (Spruchpunkt VI.) und gewährte keine Frist für die freiwillige Ausreise (Spruchpunkt VII.). Dagegen erhob der BF Beschwerde an das Bundesverwaltungsgericht.

Mit in Rechtskraft erwachsenem Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom 04.07.2018, I414 2195917-1/14E, wurde die erhobene Beschwerde mit der Maßgabe als unbegründet abgewiesen, dass Spruchpunkt VII. des angefochtenen Bescheides insoweit abgeändert wurde, als "[g]emäß § 55 Abs. 2 FPG [...] die Frist für die freiwillige Ausreise 14 Tage [beträgt]."

Mit Urteil vom 04.06.2018 verurteile das Landesgericht Wien den BF wegen gewerbsmäßigen Diebstahls im Rahmen einer kriminellen Vereinigung, versuchten Suchtmitteldelikten, Urkundenunterdrückung, Unterdrückung unbarer Zahlungsmittel und Fälschung einer besonders geschützten Urkunde zu einer Freiheitsstrafe von 9 Monaten, davon 6 Monate bedingt unter Setzung einer Probezeit von drei Jahren.

Bis zur Festnahme am 03.08.2018 war der BF wieder unbekannten Aufenthalts, er wurde von der Polizei im Zug nach München, mit dem der BF ohne Dokumente nach Deutschland ausreisen wollte, zur Ausweisleistung aufgefordert, leistete dabei aber vehementen Widerstand. Er wurde festgenommen und die Untersuchungshaft verhängt. Er wurde mit Urteil vom 11.09.2018 wegen schwerer Körperverletzung und Widerstands gegen die Staatsagewalt zu einer unbedingten Freiheitsstrafe von 14 Monaten verurteilt.

Das Bundesamt suchte während der Anhaltung des BF in Strafhaft am 07.08.2018 bei der algerischen und am 04.10.2018 bei der libyschen Vertretungsbehörde um die Ausstellung eines Heimreisezertifikates (HRZ) für den BF an. Beide Vertretungsbehörden stellten in Folge fest, dass der Beschwerdeführer nicht Staatsangehöriger ihres Staates ist, Algerien leitete aber Ermittlungen ein und äußerte den Verdacht, der BF könnte marokkanischer Staatsangehöriger sein. Österreich suchte daher am 22.11.2018 bei der marokkanischen Vertretungsbehörde um ein Heimreisezertifikat an, seither wurde mehrfach urgiert.

Mit Bescheid vom 04.10.2018 erließ das BFA eine Rückkehrentscheidung und ein 8jähriges Einreiseverbot gegen den BF, gegen den dieser Beschwerde erhob. Mit Erkenntnis vom 22.07.2019 wies das Bundesverwaltungsgericht die Beschwerde des BF gegen den Bescheid vom 04.10.2018 als unbegründet ab.

Mit Bescheid vom 08.05.2019 ordnete das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) über den BF die Schubhaft zur Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme und zur Sicherung der Abschiebung an. Der BF wurde am 10.05.2019 im Anschluss an die Entlassung aus der Strafhaft festgenommen und in Schubhaft genommen und ins Anhaltzentrum Vordernberg überstellt, seit 11.05.2019 wird der BF im Polizeianhaltezentrum Wien, Hernalser Gürtel angehalten. Mit Erkenntnis vom 23.05.2019 wies das Bundesverwaltungsgericht die gegen diesen Bescheid und die Anhaltung in Schubhaft erhobene Beschwerde als unbegründet ab.

Am 17.05.2019 stellte der BF im Stande der Schubhaft einen Folgeantrag auf internationalen Schutz und gab dabei an, marokkanischer Staatsangehöriger zu sein. Die Schubhaft wurde gemäß § 76 Abs. 6 FPG fortgesetzt. Mit Bescheid des BFA vom 09.07.2019, dem BF zugestellt am selben Tag, wies das Bundesamt seinen Folgeantrag auf internationalen Schutz sowohl im Hinblick auf den Status des Asylberechtigten, als auch den Status des subsidiär Schutzberechtigten ab, erteilte ihm keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen, erließ eine Rückkehrentscheidung gegen ihn, stellte fest, dass seine Abschiebung nach Marokko zulässig ist, räumte ihm keine Frist für die freiwillige Ausreise ein und erließ ein Einreiseverbot in der Dauer von zwei Jahren gegen ihn. Beschwerde gegen diesen Bescheid erhob der BF nicht.

Mit Erkenntnissen des Bundesverwaltungsgerichtes vom 03.09.2019 und 01.10.2019 wurde festgestellt, dass zum Zeitpunkt der Entscheidung die für die Fortsetzung der Schubhaft maßgeblichen Voraussetzungen vorliegen und dass die Aufrechterhaltung der Schubhaft im Zeitpunkt der Entscheidung verhältnismäßig ist.

Am 21.10.2019 legte das BFA den Verwaltungsakt zur verfahrensgegenständlichen gerichtlichen Verhältnismäßigkeitsprüfung der fortgesetzten Anhaltung in Schubhaft vor. In seiner Stellungnahme wies das BFA im Wesentlichen darauf hin, dass hinsichtlich der Erteilung eines Heimreisezertifikates zuletzt bei der Botschaft Algeriens am 10.10.2019 und beim marokkanischen Konsulat am 09.10.2019 urgiert worden sei. Das BFA gehe nach wie vor von einer zeitnahen Antwort der jeweiligen Vertretungsbehörden (Marokko bzw. Algerien) aus, nach Erhalt eines HRZ sei die begleitete Abschiebung des BF umgehend beabsichtigt. Durch die wiederholten Urgenzen bei den beiden Vertretungsbehörden sei klar ersichtlich, dass das BFA alle erdenklichen Schritte gesetzt habe, um eine rechtmäßige Außerlandesbringung des BF sicherzustellen.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

Der angeführte Verfahrensgang wird zu Feststellungen in der gegenständlichen Entscheidung erhoben; ebenso die von der Verwaltungsbehörde in ihrer Stellungnahme anlässlich der Aktenvorlage angeführten Ausführungen hinsichtlich der Bemühungen zur Erlangung eines Heimreisezertifikates.

Der volljährige Beschwerdeführer ist nicht österreichischer Staatsbürger. Seine Identität steht nicht fest, er brachte zu keinem Zeitpunkt Dokumente in Vorlage und macht divergierende Aussagen zu seiner Identität.

Er verfügt über kein Aufenthaltsrecht in Österreich oder in einem anderen Mitgliedstaat der EU.

Der Beschwerdeführer ist nicht rückkehrwillig und würde sich im Falle der Haftentlassung der Effektuierung der gegen ihn bestehenden rechtskräftigen aufenthaltsbeendenden Maßnahme durch Untertauchen entziehen.

Der BF ist haftfähig, es sind keine Umstände hervorgekommen, dass die weitere Inschubhaftnahme unverhältnismäßig wäre.

2. Beweiswürdigung:

Die getroffenen Feststellungen und die Haftfähigkeit des Beschwerdeführers ergeben sich aus dem vorgelegten Verwaltungsakt der Behörde und dem Gerichtsakt des Bundesverwaltungsgerichts, insbesondere den zitierten Vorkenntnissen, deren Entscheidungsgründe der gegenständlichen Entscheidung zugrunde gelegt werden.

Die formalen Voraussetzungen für die laufende Schubhaft sind unverändert gegeben.

Die strafgerichtlichen Verurteilungen sind der Abfrage im Strafregister entnommen.

Die realistische Möglichkeit der Rücküberstellung ergibt sich aus der diesbezüglich grundsätzlich problemlosen Zusammenarbeit mit den Vertretungen und Behörden des Herkunftsstaates.

Die Feststellung hinsichtlich der Rückkehr(un)willigkeit des BF ergibt sich aus dem vorliegenden Verfahrensakt und dem Gerichtsakt, die Feststellung hinsichtlich der Gefahr des Untertauchens nach einer möglichen Haftentlassung ergibt sich nicht zuletzt aus der Tatsache, dass der BF nach Durchführung der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht am 01.10.2019 sich der Rückführung in das Polizeianhaltezentrum durch einen spektakulären Fluchtversuch zu entziehen versucht hat.

Der Grund für die Länge der Anhaltedauer liegt in der vom Beschwerdeführer bewusst herbeigeführten Notwendigkeit der Erlangung eines Heimreisezertifikats. Hätte der Beschwerdeführer von Beginn an seine wahre Identität bekannt gegeben und unverfälschte Dokumente vorgelegt, hätte die Schubhaft auf eine wesentlich kürzere Zeitspanne beschränkt werden können. Diese Umstände sind jedenfalls dem BFA nicht vorzuwerfen und trägt der Beschwerdeführer die Verantwortung dafür. Im Besonderen ist hervorzuheben, dass die Behörde dargetan hat, dass sie sich im vorliegenden Fall stetig um die Ausstellung eines Heimreisezertifikates bemüht.

3. Rechtliche Beurteilung

Zu Spruchpunkt I. - Fortsetzung der Schubhaft

3.1. Soll ein Fremder länger als vier Monate durchgehend in Schubhaft angehalten werden, so ist gemäß § 22a Abs. 4 BFA-VG idgF die Verhältnismäßigkeit der Anhaltung nach dem Tag, an dem das vierte Monat überschritten wurde, und danach alle vier Wochen vom Bundesverwaltungsgericht zu überprüfen. Das Bundesamt hat die Verwaltungsakten so rechtzeitig vorzulegen, dass dem Bundesverwaltungsgericht eine Woche zur Entscheidung vor den gegenständlichen Terminen bleibt. Mit Vorlage der Verwaltungsakten gilt die Beschwerde als für den in Schubhaft befindlichen Fremden eingebracht. Das Bundesamt hat darzulegen, warum die Aufrechterhaltung der Schubhaft notwendig und verhältnismäßig ist. Das Bundesverwaltungsgericht hat jedenfalls festzustellen, ob zum Zeitpunkt seiner Entscheidung die für die Fortsetzung der Schubhaft maßgeblichen Voraussetzungen vorliegen und ob die Aufrechterhaltung der Schubhaft verhältnismäßig ist. Diese Überprüfung hat zu entfallen, soweit eine Beschwerde gemäß Abs. 1 bereits eingebracht wurde.

Gemäß § 76 Abs 1 FPG idgF können Fremde festgenommen und angehalten werden (Schubhaft), sofern der Zweck der Schubhaft nicht durch ein gelinderes Mittel (§ 77) erreicht werden kann. Unmündige Minderjährige dürfen nicht in Schubhaft angehalten werden.

Die Schubhaft darf gemäß § 76 Abs 2 FPG idF BGBl I Nr. 145/2017 (zum Zeitpunkt der Erlassung des Schubhaftbescheides) nur angeordnet werden, wenn

1. dies zur Sicherung des Verfahrens zur Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme, zur Sicherung des Verfahrens über einen Antrag auf internationalen Schutz im Hinblick auf die Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme oder der Abschiebung notwendig ist und sofern jeweils Fluchtgefahr vorliegt und die Schubhaft verhältnismäßig ist, oder,

2. die Voraussetzungen des Art. 28 Abs. 1 und 2 Dublin-Verordnung vorliegen.

Abs. 2a:

Im Rahmen der Verhältnismäßigkeitsprüfung (Abs. 2 und Art. 28 Abs. 1 und 2 Dublin-Verordnung) ist auch ein allfälliges strafrechtlich relevantes Fehlverhalten des Fremden in Betracht zu ziehen, insbesondere ob unter Berücksichtigung der Schwere der Straftaten das öffentliche Interesse an einer baldigen Durchsetzung einer Abschiebung den Schutz der persönlichen Freiheit des Fremden überwiegt.

Gegen die Verfahrenspartei besteht eine gültige Rückkehrentscheidung bzw. ein zehnjähriges Einreiseverbot, eine Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen wurde nicht erteilt und festgestellt, dass eine Abschiebung aus Marokko zulässig ist und keine Frist zu einer freiwilligen Ausreise besteht. Daher ist der Zweck der Schubhaft zur Sicherstellung der Abschiebung gegeben.

§ 76 Abs. 3 FPG lautet:

Eine Fluchtgefahr im Sinne des Abs. 2 Z 1 oder 2 oder im Sinne des Art. 2 lit n Dublin-Verordnung liegt vor, wenn bestimmte Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass sich der Fremde dem Verfahren oder der Abschiebung entziehen wird oder dass der Fremde die Abschiebung wesentlich erschweren wird. Dabei ist insbesondere zu berücksichtigen,

1. ob der Fremde an dem Verfahren zur Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme mitwirkt oder die Rückkehr oder Abschiebung umgeht oder behindert;

1a. ob der Fremde eine Verpflichtung gemäß § 46 Abs. 2 oder 2a verletzt hat, insbesondere, wenn ihm diese Verpflichtung mit Bescheid gemäß § 46 Abs. 2b auferlegt worden ist, er diesem Bescheid nicht Folge geleistet hat und deshalb gegen ihn Zwangsstrafen (§ 3 Abs. 3 BFA-VG) angeordnet worden sind;

2. ob der Fremde entgegen einem aufrechten Einreiseverbot, einem aufrechten Aufenthaltsverbot oder während einer aufrechten Anordnung zur Außerlandesbringung neuerlich in das Bundesgebiet eingereist ist;

3. ob eine durchsetzbare aufenthaltsbeendende Maßnahme besteht oder der Fremde sich dem Verfahren zur Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme oder über einen Antrag auf internationalen Schutz bereits entzogen hat;

4. ob der faktische Abschiebeschutz bei einem Folgeantrag (§ 2 Abs. 1 Z 23 AsylG 2005) aufgehoben wurde oder dieser dem Fremden nicht zukommt;

5. ob gegen den Fremden zum Zeitpunkt der Stellung eines Antrages auf internationalen Schutz eine durchsetzbare aufenthaltsbeendende Maßnahme bestand, insbesondere, wenn er sich zu diesem Zeitpunkt bereits in Schubhaft befand oder aufgrund § 34 Abs. 3 Z 1 bis 3 BFA-VG angehalten wurde;

6. ob aufgrund des Ergebnisses der Befragung, der Durchsuchung oder der erkennungsdienstlichen Behandlung anzunehmen ist, dass ein anderer Mitgliedstaat nach der Dublin-Verordnung zuständig ist, insbesondere sofern

a. der Fremde bereits mehrere Anträge auf internationalen Schutz in den Mitgliedstaaten gestellt hat oder der Fremde falsche Angaben hierüber gemacht hat,

b. der Fremde versucht hat, in einen dritten Mitgliedstaat weiterzureisen, oder

c. es aufgrund der Ergebnisse der Befragung, der Durchsuchung, der erkennungsdienstlichen Behandlung oder des bisherigen Verhaltens des Fremden wahrscheinlich ist, dass der Fremde die Weiterreise in einen dritten Mitgliedstaat beabsichtigt;

7. ob der Fremde seiner Verpflichtung aus dem gelinderen Mittel nicht nachkommt;

8. ob Auflagen, Mitwirkungspflichten, Gebietsbeschränkungen, Meldeverpflichtungen oder Anordnungen der Unterkunftnahme gemäß §§ 52a, 56, 57 oder 71 FPG, § 38b SPG, § 13 Abs. 2 BFA-VG oder §§ 15a oder 15b AsylG 2005 verletzt wurden, insbesondere bei Vorliegen einer aktuell oder zum Zeitpunkt der Stellung eines Antrags auf internationalen Schutzes durchsetzbaren aufenthaltsbeendenden Maßnahme;

9. der Grad der sozialen Verankerung in Österreich, insbesondere das Bestehen familiärer Beziehungen, das Ausüben einer legalen Erwerbstätigkeit beziehungsweise das Vorhandensein ausreichender Existenzmittel sowie die Existenz eines gesicherten Wohnsitzes.

Die Anhaltung in Schubhaft ist nach Maßgabe der grundrechtlichen Garantien des Art. 2 Abs. 1 Z 7 PersFrBVG und des Art. 5 Abs. 1 lit. f EMRK nur dann zulässig, wenn der Anordnung der Schubhaft ein konkreter Sicherungsbedarf zugrunde liegt und die Schubhaft unter Berücksichtigung der Umstände des jeweiligen Einzelfalls verhältnismäßig ist. Dabei ist das öffentliche Interesse an der Sicherung der Aufenthaltsbeendigung und das Interesse des Betroffenen an der Schonung seiner persönlichen Freiheit abzuwägen.

Kann der Sicherungszweck auf eine andere, die Rechte des Betroffenen schonendere Weise - wie etwa durch die Anordnung eines gelinderen Mittels nach § 77 FPG - erreicht werden, ist die Anordnung der Schubhaft nicht zulässig.

§ 80 FPG lautet:

(1) Das Bundesamt ist verpflichtet, darauf hinzuwirken, dass die Schubhaft so kurz wie möglich dauert. Die Schubhaft darf so lange aufrechterhalten werden, bis der Grund für ihre Anordnung weggefallen ist oder ihr Ziel nicht mehr erreicht werden kann.

(2) Die Schubhaftdauer darf, vorbehaltlich des Abs. 5 und der Dublin-Verordnung, grundsätzlich

1. drei Monate nicht überschreiten, wenn die Schubhaft gegen einen mündigen Minderjährigen angeordnet wird;

2. sechs Monate nicht überschreiten, wenn die Schubhaft gegen einen Fremden, der das 18. Lebensjahr vollendet hat, angeordnet wird und kein Fall der Abs. 3 und 4 vorliegt.

(3) Darf ein Fremder deshalb nicht abgeschoben werden, weil über einen Antrag gemäß § 51 noch nicht rechtskräftig entschieden ist, kann die Schubhaft bis zum Ablauf der vierten Woche nach rechtskräftiger Entscheidung, insgesamt jedoch nicht länger als sechs Monate aufrecht erhalten werden.

(4) Kann ein Fremder deshalb nicht abgeschoben werden, weil

1. die Feststellung seiner Identität und der Staatsangehörigkeit, insbesondere zum Zweck der Erlangung eines Ersatzreisedokumentes, nicht möglich ist,

2. eine für die Ein- oder Durchreise erforderliche Bewilligung eines anderen Staates nicht vorliegt,

3. der Fremde die Abschiebung dadurch vereitelt, dass er sich der Zwangsgewalt (§ 13) widersetzt, oder

4. die Abschiebung dadurch, dass der Fremde sich bereits einmal dem Verfahren entzogen oder ein Abschiebungshindernis auf sonstige Weise zu vertreten hat, gefährdet erscheint,

kann die Schubhaft wegen desselben Sachverhalts abweichend von Abs. 2 Z 2 und Abs. 3 höchstens 18 Monate aufrechterhalten werden.

(5) Abweichend von Abs. 2 und vorbehaltlich der Dublin-Verordnung darf die Schubhaft, sofern sie gegen einen Asylwerber oder einen Fremden, der einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, angeordnet wurde, bis zum Zeitpunkt des Eintritts der Durchsetzbarkeit der aufenthaltsbeendenden Maßnahme die Dauer von 10 Monaten nicht überschreiten. Wird die Schubhaft über diesen Zeitpunkt hinaus aufrechterhalten oder nach diesem Zeitpunkt neuerlich angeordnet, ist die Dauer der bis dahin vollzogenen Schubhaft auf die Dauer gemäß Abs. 2 oder 4 anzurechnen.

(5a) In den Fällen des § 76 Abs. 2 letzter Satz ist auf die Schubhaftdauer gemäß Abs. 5 auch die Dauer der auf den Festnahmeauftrag gestützten Anhaltung anzurechnen, soweit sie nach Stellung des Antrags auf internationalen Schutz gemäß § 40 Abs. 5 BFA-VG aufrechterhalten wurde. Die Anrechnung gemäß Abs. 5 letzter Satz bleibt davon unberührt.

(6) Das Bundesamt hat von Amts wegen die Verhältnismäßigkeit der Anhaltung in Schubhaft längstens alle vier Wochen zu überprüfen. Ist eine Beschwerde gemäß § 22a Abs. 1 Z 3 BFA-VG anhängig, hat diesfalls die amtswegige Überprüfung zu entfallen.

(7) Das Bundesamt hat einen Fremden, der ausschließlich aus den Gründen des Abs. 3 oder 4 in Schubhaft anzuhalten ist, hievon unverzüglich schriftlich in Kenntnis zu setzen.

3.2. Zur Judikatur:

Insbesondere ist in diesem Zusammenhang auf Art 1 Abs. 3 PersFrSchG 1988 hinzuweisen, aus dem sich das für alle Freiheitsentziehungen geltende Gebot der Notwendigkeit und Verhältnismäßigkeit ergibt, deren Prüfung im Einzelfall eine entsprechende Interessenabwägung verlangt. Für die Schubhaft ergibt sich das im Übrigen auch noch aus der Wendung "... wenn dies notwendig ist, um ..." in Art 2 Abs. 1 Z 7 PersFrSchG 1988. Dementsprechend hat der VfGH - nachdem er bereits in seinem Erkenntnis vom 24.06.2006, B 362/06, die Verpflichtung der Behörden betont hatte, von der Anwendung der Schubhaft jedenfalls Abstand zu nehmen, wenn sie im Einzelfall nicht notwendig und verhältnismäßig ist - in seinem Erkenntnis vom 15.06.2007, B 1330/06 und B 1331/06, klargestellt, dass die Behörden in allen Fällen des § 76 Abs. 2 FrPolG 2005 unter Bedachtnahme auf das verfassungsrechtliche Gebot der Verhältnismäßigkeit verpflichtet sind, eine einzelfallbezogene Abwägung zwischen dem öffentlichen Interesse an der Sicherung des Verfahrens und der Schonung der persönlichen Freiheit des Betroffenen vorzunehmen. Der VwGH hat dazu beginnend mit dem Erkenntnis vom 30.08.2007, 2007/21/0043, mehrfach festgehalten, dass die Schubhaft auch dann, wenn sie auf einen der Tatbestände des § 76 Abs. 2 FrPolG 2005 gestützt werden soll, stets nur ultima ratio sein dürfe." (VwGH 02.08.2013, Zl. 2013/21/0008).

Eine Schubhaft zur Sicherung der Abschiebung kann stets nur dann rechtens sein, wenn eine Abschiebung auch tatsächlich infrage kommt. Die begründete Annahme, dass eine Aufenthaltsbeendigung erfolgen wird, ist dabei ausreichend. Dass die Effektuierung mit Gewissheit erfolgt, ist nicht erforderlich (vgl. dazu etwa VwGH 07.02.2008, Zl. 2006/21/0389; VwGH 25.04.2006, Zl. 2006/21/0039). Steht hingegen von vornherein fest, dass diese Maßnahme nicht durchführbar ist, so darf die Schubhaft nicht verhängt werden. Anderenfalls erwiese sich die Schubhaft nämlich als für die Erreichung des Haftzweckes (der Abschiebung) "nutzlos". Umgekehrt schadet es - wie sich aus den Verlängerungstatbeständen des § 80 FPG ergibt - nicht, wenn der ins Auge gefassten Abschiebung zeitlich befristete Hindernisse entgegenstehen. Den erwähnten Verlängerungstatbeständen liegt freilich zugrunde, dass die infrage kommenden Hindernisse längstens innerhalb der zulässigen Schubhaftdauer beseitigt werden. Ist hingegen bereits bei Beginn der Schubhaft absehbar, dass das Abschiebehindernis nicht binnen dieser Frist zu beseitigen ist, so soll die Schubhaft nach den Vorstellungen des Gesetzgebers von Anfang an nicht verhängt werden. Dasselbe gilt, wenn während der Anhaltung in Schubhaft Umstände eintreten, aus denen erkennbar ist, dass die Abschiebung nicht in der restlichen noch zur Verfügung stehenden Schubhaftdauer bewerkstelligt werden kann (vgl. VwGH 11.06.2013, Zl. 2013/21/0024, zum Erfordernis einer Prognosebeurteilung, ob die baldige Ausstellung eines Heimreisezertifikates trotz wiederholter Urgenzen durch das Bundesministerium für Inneres angesichts der Untätigkeit der Vertretungsbehörde des Herkunftsstaates zu erwarten ist; vgl. VwGH 18.12.2008, Zl. 2008/21/0582, zur rechtswidrigen Aufrechterhaltung der Schubhaft trotz eines ärztlichen Gutachtens, wonach ein neuerlicher Versuch einer Abschiebung des Fremden in den nächsten Monaten aus medizinischen Gründen nicht vorstellbar sei).

3.3. Der BF wird auf Grund des Erkenntnisses vom 01.10.2019 gemäß § 76 Abs. 1, 2 Z 2 FPG zur Sicherung der Abschiebung in Schubhaft angehalten.

Es liegt Fluchtgefahr gemäß § 76 Abs. 3 Z 1 FPG vor, weil der BF die Abschiebung durch Nichtvorlage von Dokumenten und die Angabe von verschiedenen Identitäten behinderte.

Es liegt Fluchtgefahr gemäß § 76 Abs. 3 Z 3 FPG vor, weil sich der BF dem Verfahren über seinen Antrag auf internationalen Schutz, das nach der Nichtbefolgung von drei Ladungen auf Grund der Weiterreise des Beschwerdeführers nach Deutschland, Frankreich und Italien eingestellt wurde, entzogen hat.

Es liegt Fluchtgefahr gemäß § 76 Abs. 3 Z 5 FPG vor, weil gegen den BF zum Zeitpunkt der Stellung des Folgeantrages auf internationalen Schutz eine durchsetzbare aufenthaltsbeendende Maßnahme bestand und er sich zu diesem Zeitpunkt bereits in Schubhaft befand.

Es liegt Fluchtgefahr gemäß § 76 Abs. 3 Z 9 FPG vor, weil der BF lediglich über ein soziales Netz verfügt, das ihm bisher den unangemeldeten Aufenthalt im Verborgenen ermöglicht und ein Auskommen verschafft hat.

Es besteht erhebliche Fluchtgefahr, die mit der Anwendung gelinderer Mittel nicht das Auslangen finden lässt, zumal der BF beim Versuch, sich der Abschiebung durch Weiterreise über Deutschland zu entziehen, polizeilich betreten wurde und dabei massiven Widerstand gegen die Staatsgewalt mit schwerer Körperverletzung übte. Darüber hinaus hat der BF nach Beendigung der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht am 01.10.2019 versucht, sich der Rückführung in das Polizeianhaltezentrum durch einen spektakulären Fluchtversuch zu entziehen.

Die Anhaltung in Schubhaft ist auch verhältnismäßig:

Das Verfahren zur Erlangung eines HRZ wurde bereits vor der Verhängung der Schubhaft seitens des BFA beantragt und wurde das Verfahren bislang auch zügig geführt, dies insbesondere in Hinblick darauf, dass der BF selbst erst im Mai 2019 den Behörden mitteilte, marokkanischer Staatsbürger zu sein, davor handelte es sich nur um einen Verdacht der algerischen Vertretungsbehörde; während des Asylverfahrens betreffend Marokko war es der belangten Behörde verwehrt, im Verfahren des BF zur Erlangung eines Heimreisezertifikates betreffend Marokko zu urgieren. Mit der Ausstellung eines Heimreisezertifikates durch die marokkanischen Vertretungsbehörden ist daher innerhalb der Schubhafthöchstdauer zu rechnen. Die Dauer der Anhaltung ist auch vor dem Hintergrund des Gesundheitszustandes des Beschwerdeführers verhältnismäßig.

Bei der Prüfung der Verhältnismäßigkeit waren auch die Verurteilungen des Beschwerdeführers gemäß § 76 Abs. 2a FPG zu berücksichtigen. Die Voraussetzungen für die Fortsetzung der Schubhaft liegen daher vor.

3.4. Die hier zu prüfende Schubhaft stellt daher nach wie vor eine "ultima ratio" dar, da sowohl ein Sicherungsbedarf als auch Verhältnismäßigkeit vorliegen und ein gelinderes Mittel nicht den Zweck der Schubhaft erfüllt. Das Verfahren hat keine andere Möglichkeit ergeben, eine gesicherte Außerlandesbringung des Beschwerdeführers zu gewährleisten.

3.5. Es war daher gemäß § 22a Abs. 4 BFA-VG festzustellen, dass die angeordnete Schubhaft nach wie vor notwendig und verhältnismäßig ist und dass die maßgeblichen Voraussetzungen für ihre Fortsetzung im Zeitpunkt der Entscheidung vorliegen.

3.6. Es konnte von der Abhaltung einer mündlichen Verhandlung Abstand genommen werden, da der Sachverhalt im Rahmen des bisher durchgeführten gerichtlichen Verfahrens hinreichend geklärt wurde und das weitere Verfahren keine wesentlichen Änderungen ergeben hat.

Zu Spruchpunkt B. - Revision:

Gemäß § 25a Abs. 1 des Verwaltungsgerichtshofgesetzes 1985 (VwGG), BGBl. Nr. 10/1985 idgF, hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig, wenn die Entscheidung von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, wenn die Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, wenn es an einer Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes fehlt oder wenn die Frage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird bzw. sonstige Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vorliegen.

Da keine Auslegungsfragen hinsichtlich der anzuwendenden Normen hervorgekommen sind, es waren auch keine Rechtsfragen von grundsätzlicher Bedeutung zu lösen, war die Revision daher nicht zuzulassen.

Schlagworte

Einreiseverbot, Fluchtgefahr, Fortsetzung der Schubhaft, Identität,
Rückkehrentscheidung, Schubhaft, Sicherungsbedarf, strafrechtliche
Verurteilung, Überprüfung, Untertauchen, Verhältnismäßigkeit

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2019:W154.2219134.4.00

Zuletzt aktualisiert am

31.01.2020
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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