TE Vfgh Beschluss 2019/11/27 G30/2019

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Veröffentlicht am 27.11.2019
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Index

90/01 Straßenverkehrsordnung 1960

Norm

B-VG Art140 Abs1 Z1 litc
StVO 1960 §92, §93
VfGG §7 Abs2

Leitsatz

Zurückweisung eines Individualantrags auf Aufhebung von Bestimmungen der Straßenverkehrsordnung betreffend die Pflicht eines Liegenschaftseigentümers zur Räumung und Reinigung angrenzender Gehsteige im Ortsgebiet infolge Zumutbarkeit der Erwirkung eines bekämpfbaren Bescheides

Spruch

Der Antrag wird zurückgewiesen.

Begründung

Begründung

I.       Antrag

Mit dem vorliegenden, der Sache nach auf Art140 Abs1 Z1 litc B-VG gestützten Antrag begehrt der Antragsteller die Aufhebung "des §93 (1) und (1a) StVO und in eventu des §92 (1) StVO".

II.      Rechtslage

§§92 und 93 des Bundesgesetzes vom 6. Juli 1960, mit dem Vorschriften über die Straßenpolizei erlassen werden (Straßenverkehrsordnung 1960 – StVO 1960) lauten wie folgt (die als verfassungswidrig erachteten Wortfolgen sind hervorgehoben):

"§92. Verunreinigung der Straße.

(1) Jede gröbliche oder die Sicherheit der Straßenbenützer gefährdende Verunreinigung der Straße durch feste oder flüssige Stoffe, insbesondere durch Schutt, Kehricht, Abfälle und Unrat aller Art, sowie das Ausgießen von Flüssigkeiten bei Gefahr einer Glatteisbildung ist verboten. Haften an einem Fahrzeug, insbesondere auf seinen Rädern, größere Erdmengen, so hat sie der Lenker vor dem Einfahren auf eine staubfreie Straße zu entfernen.

(2) Die Besitzer oder Verwahrer von Hunden haben dafür zu sorgen, dass diese Gehsteige, Gehwege, Geh- und Radwege, Fußgängerzonen, Wohnstraßen und Begegnungszonen nicht verunreinigen.

(3) Personen, die den Vorschriften der vorhergehenden Absätze zuwiderhandeln, können, abgesehen von den Straffolgen, zur Entfernung, Reinigung oder zur Kostentragung für die Entfernung oder Reinigung verhalten werden.

§93. Pflichten der Anrainer.

(1) Die Eigentümer von Liegenschaften in Ortsgebieten, ausgenommen die Eigentümer von unverbauten, land- und forstwirtschaftlich genutzten Liegenschaften, haben dafür zu sorgen, daß die entlang der Liegenschaft in einer Entfernung von nicht mehr als 3 m vorhandenen, dem öffentlichen Verkehr dienenden Gehsteige und Gehwege einschließlich der in ihrem Zuge befindlichen Stiegenanlagen entlang der ganzen Liegenschaft in der Zeit von 6 bis 22 Uhr von Schnee und Verunreinigungen gesäubert sowie bei Schnee und Glatteis bestreut sind. Ist ein Gehsteig (Gehweg) nicht vorhanden, so ist der Straßenrand in der Breite von 1 m zu säubern und zu bestreuen. Die gleiche Verpflichtung trifft die Eigentümer von Verkaufshütten.

(1a) In einer Fußgängerzone oder Wohnstraße ohne Gehsteige gilt die Verpflichtung nach Abs1 für einen 1 m breiten Streifen entlang der Häuserfronten.

(2) Die in Abs1 genannten Personen haben ferner dafür zu sorgen, daß Schneewächten oder Eisbildungen von den Dächern ihrer an der Straße gelegenen Gebäude bzw Verkaufshütten entfernt werden.

(3) Durch die in den Abs1 und 2 genannten Verrichtungen dürfen Straßenbenützer nicht gefährdet oder behindert werden; wenn nötig, sind die gefährdeten Straßenstellen abzuschranken oder sonst in geeigneter Weise zu kennzeichnen. Bei den Arbeiten ist darauf Bedacht zu nehmen, daß der Abfluß des Wassers von der Straße nicht behindert, Wasserablaufgitter und Rinnsale nicht verlegt, Sachen, insbesondere Leitungsdrähte, Oberleitungs- und Beleuchtungsanlagen nicht beschädigt und Anlagen für den Betrieb von Eisenbahnen, insbesondere von Straßenbahnen oder Oberleitungsomnibussen in ihrem Betrieb nicht gestört werden.

(4) Nach Maßgabe des Erfordernisses des Fußgängerverkehrs, sowie der Sicherheit, Leichtigkeit oder Flüssigkeit des übrigen Verkehrs hat die Behörde, sofern im Einzelfall unter den gleichen Voraussetzungen auf Antrag des nach Abs1 oder 5 Verpflichteten nicht die Erlassung eines Bescheides in Betracht kommt, durch Verordnung

a) die in Abs1 bezeichneten Zeiten, in denen die dort genannten Verkehrsflächen von Schnee oder Verunreinigung gesäubert oder bestreut sein müssen, einzuschränken;

b) die in Abs1 bezeichneten Verrichtungen auf bestimmte Straßenteile, insbesondere auf eine bestimmte Breite des Gehsteiges (Gehweges) oder der Straße einzuschränken;

c) zu bestimmen, daß auf gewissen Straßen oder Straßenteilen nicht alle in Abs1 genannten Verrichtungen vorgenommen werden müssen;

d) die Vorsichtsmaßregeln näher zu bestimmen, unter denen die in Abs1 und 2 bezeichneten Verrichtungen durchzuführen sind.

(5) Andere Rechtsvorschriften, insbesondere das Hausbesorgergesetz, BGBl Nr 16/1970, werden durch die Abs1 bis 4 nicht berührt. Wird durch ein Rechtsgeschäft eine Verpflichtung nach Abs1 bis 3 übertragen, so tritt in einem solchen Falle der durch das Rechtsgeschäft Verpflichtete an die Stelle des Eigentümers.

(6) Zum Ablagern von Schnee aus Häusern oder Grundstücken auf die Straße ist eine Bewilligung der Behörde erforderlich. Die Bewilligung ist zu erteilen, wenn das Vorhaben die Sicherheit, Leichtigkeit und Flüssigkeit des Verkehrs nicht beeinträchtigt."

III.    Antragsvorbringen und Sachverhalt

1.              Der Antragsteller ist grundbücherlicher Eigentümer einer im Antrag näher bezeichneten Liegenschaft in der Stadt Salzburg, an deren Grenze ein dem öffentlichen Verkehr dienender Gehsteig entlang läuft.

2.               Zu seiner Antraglegitimation bringt der Antragsteller vor:

"Durch die verfassungswidrige Bestimmung im §93 StVO, nämlich daß der Antragsteller entlang seines Grundstückes […] an den anrainend vorhandenen – dem öffentlichen Verkehr dienenden – Gehsteig im Bereich des öffentlichen Verkehrsweges Nußdorferstraße in jeder Breite in der Zeit von 6 bis 22 Uhr von Schnee und Verunreinigungen säubern, sowie bei Schnee und Glatteis bestreuen muß, wird er unmittelbar in seinen Rechten verletzt.

Das Gesetz wirkt unmittelbar auf den Antragsteller ein, da er die Reinigung und das Streuen (Arbeits- und Kostenaufwand) allein auf Grund des Gesetzes – ohne daß hiefür ein Bescheid oder Urteil ergeht–- zu leisten hat."

IV.      Zulässigkeit

1.       Der Antrag ist unzulässig.

2.       Gemäß Art140 Abs1 Z1 litc B?VG erkennt der Verfassungsgerichtshof über die Verfassungswidrigkeit von Gesetzen auf Antrag einer Person, die unmittelbar durch diese Verfassungswidrigkeit in ihren Rechten verletzt zu sein behauptet, wenn das Gesetz ohne Fällung einer gerichtlichen Entscheidung oder ohne Erlassung eines Bescheides für diese Person wirksam geworden ist.

3.       Voraussetzung der Antragslegitimation gemäß Art140 Abs1 Z1 litc B-VG ist einerseits, dass der Antragsteller behauptet, unmittelbar durch das angefochtene Gesetz – im Hinblick auf dessen Verfassungswidrigkeit – in seinen Rechten verletzt worden zu sein, dann aber auch, dass das Gesetz für den Antragsteller tatsächlich, und zwar ohne Fällung einer gerichtlichen Entscheidung oder ohne Erlassung eines Bescheides wirksam geworden ist. Grundlegende Voraussetzung der Antragslegitimation ist, dass das Gesetz in die Rechtssphäre des Antragstellers nachteilig eingreift und diese – im Falle seiner Verfassungswidrigkeit – verletzt.

4.       Nicht jedem Normadressaten kommt die Anfechtungsbefugnis zu. Es ist darüber hinaus erforderlich, dass das Gesetz selbst tatsächlich in die Rechtssphäre des Antragstellers unmittelbar eingreift. Ein derartiger Eingriff ist jedenfalls nur dann anzunehmen, wenn dieser nach Art und Ausmaß durch das Gesetz selbst eindeutig bestimmt ist, wenn er die (rechtlich geschützten) Interessen des Antragstellers nicht bloß potentiell, sondern aktuell beeinträchtigt und wenn dem Antragsteller kein anderer zumutbarer Weg zur Abwehr des – behaupteterweise – rechtswidrigen Eingriffes zur Verfügung steht (VfSlg 11.868/1988, 15.632/1999, 16.616/2002, 16.891/2003).

5.       Wie der Verfassungsgerichtshof bereits wiederholt festgestellt hat, ist das dem einzelnen Normunterworfenen mit Art140 Abs1 Z1 litc B-VG und Art139 Abs1 Z3 B-VG eingeräumte Rechtsinstrument dazu bestimmt, Rechtsschutz gegen rechtswidrige generelle Normen – gleichsam lückenschließend – nur insoweit zu gewähren, als ein anderer zumutbarer Weg hierfür nicht zur Verfügung steht, weil man anderenfalls zur einer Doppelgleisigkeit des Rechtsschutzes gelangte, die mit dem Charakter eines sogenannten Individualantrages als eines subsidiären Rechtsbehelfes nicht in Einklang stünde (vgl etwa VfSlg 11.479/1987; VfGH 5.3.2014, V62/2013). Für die Frage der Zumutbarkeit eines anderen Weges ist es daher belanglos, ob das Beschreiten dieses Weges für den Betroffenen in der Sache selbst wegen der bestehenden einfachgesetzlichen Rechtslage aussichtsreich ist (vgl etwa VfSlg 9285/1981, 18.181/2007, 18.351/2008 mwN).

6.       Im vorliegenden Fall steht dem Antragsteller ein zumutbarer anderer Weg zur Verfügung, seine Bedenken an den Verfassungsgerichtshof heranzutragen:

Es steht dem Antragsteller offen, gestützt auf §93 Abs4 StVO 1960 einen Antrag auf Einschränkung der aus §93 Abs1 StVO 1960 erfließenden Verpflichtung zu stellen und nach Erschöpfung des Instanzenzuges die dazu ergangene Entscheidung des zuständigen Verwaltungsgerichtes sodann nach Art144 B-VG zu bekämpfen. Im Verfahren vor einem Verwaltungsgericht steht dem Antragsteller zudem die Möglichkeit offen, seine verfassungsrechtlichen Bedenken gegen die anzuwendenden Gesetzesbestimmungen vorzutragen und das gemäß Art140 Abs1 Z1 lita B-VG antragsberechtigte Verwaltungsgericht zur Antragstellung an den Verfassungsgerichtshof zu veranlassen (s zB VfGH 21.9.2017, G112/2017). Der Antrag ist daher schon aus diesem Grund unzulässig.

V.       Ergebnis

1.       Der Antrag wird als unzulässig zurückgewiesen.

2.       Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs3 Z2 lite VfGG ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.

Schlagworte

VfGH / Individualantrag, Straßenverwaltung

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:2019:G30.2019

Zuletzt aktualisiert am

31.01.2020
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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