Index
E3R E05204020Norm
ASVG §111 Abs1 Z1Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Bachler sowie die Hofrätin Dr. Julcher und den Hofrat Mag. Berger als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Klima LL.M., über die Revision des Finanzamts Oststeiermark in 8330 Feldbach, Gnaserstraße 3, gegen den Beschluss des Landesverwaltungsgerichts Steiermark vom 3. Mai 2016, LVwG 33.29-3531/2015-11, betreffend Bestrafung nach dem ASVG (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht:
Bezirkshauptmannschaft Deutschlandsberg; mitbeteiligte Partei: I Z in G, vertreten durch Dr. Michael Augustin, Mag. Peter Haslinger, Mag. Thomas Böchzelt, Rechtsanwälte in 8700 Leoben, Krottendorfergasse 4), den Beschluss gefasst:
Spruch
Die Revision wird zurückgewiesen.
Der Bund hat der mitbeteiligten Partei Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.106,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
1. Nach Art. 133 Abs. 4 B-VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichts die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung nicht einheitlich beantwortet wird. Auf Beschlüsse der Verwaltungsgerichte ist Art. 133 Abs. 4 B-VG sinngemäß anzuwenden (Art. 133 Abs. 9 B-VG).
Gemäß § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegens der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung mit Beschluss zurückzuweisen.
Gemäß § 34 Abs. 1a VwGG ist die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision nach Art. 133 Abs. 4 B-VG im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen.
2. Das revisionswerbende Finanzamt (im Folgenden: Finanzamt) erkannte die Mitbeteiligte mit Straferkenntnis vom 18. November 2015 schuldig, sie habe es als handelsrechtliche Geschäftsführerin der I Bau GmbH (im Folgenden: GmbH) und somit als deren gemäß § 9 Abs. 1 VStG zur Vertretung nach außen Berufene zu verantworten, dass die GmbH es als Dienstgeberin unterlassen habe, die auf einer näher genannten Baustelle am 6. Februar 2014 beschäftigten K P und S S sowie den am 7. Februar 2014 beschäftigten P F, bei denen es sich jeweils um nach dem ASVG in der Krankenversicherung pflichtversicherte (vollversicherte) Personen gehandelt habe, vor Arbeitsantritt beim zuständigen Krankenversicherungsträger anzumelden. Die Mitbeteiligte habe hierdurch Verwaltungsübertretungen nach § 111 Abs. 1 Z 1 iVm. § 33 Abs. 1 ASVG begangen und werde hierfür mit drei Geldstrafen von je EUR 730,-- (Ersatzfreiheitsstrafen von je zwei Tagen) samt Kosten belegt.
3.1. Mit der angefochtenen Entscheidung behob das Verwaltungsgericht - in Stattgebung der Beschwerde der Mitbeteiligten - das Straferkenntnis und stellte das Verfahren gemäß § 45 Abs. 1 Z 1 VStG ein.
Das Verwaltungsgericht führte begründend aus, das Rechtsverhältnis zwischen der GmbH und den polnischen Staatsangehörigen K P und S S sei kein versicherungspflichtiges Dienstverhältnis (gewesen). K P und S S hätten sich als gleichberechtigt zusammenarbeitende Unternehmer gegenüber der GmbH zur Herstellung eines Werks (Errichtung eines zweigeschoßigen Stiegenhauses) gegen Entgelt, nicht jedoch zur Erbringung von Dienstleistungen verpflichtet. Im Verfahren seien keine Merkmale persönlicher und wirtschaftlicher Abhängigkeit hervorgekommen, die über jene hinausgingen, die auch einen Werkunternehmer gegenüber seinem Auftraggeber träfen. Nach dem Gesamtbild der konkret zu beurteilenden Tätigkeiten sei die Bestimmungsfreiheit des K P und des S S weitgehend gewahrt gewesen. Die beiden Genannten seien keiner nennenswerten Kontrolle durch die GmbH unterlegen, sie hätten das Gewerk weitgehend mit dem eigenen Werkzeug und ohne Eingliederung in die Firmenstruktur der GmbH hergestellt. Sie hätten für ihre Tätigkeiten auch über Gewerbeberechtigungen verfügt und seien in Polen zur Sozialversicherung gemeldet gewesen.
In Bezug auf P F sei (ebenso) nicht davon auszugehen, dass dieser am 7. Februar 2014 in einem versicherungspflichtigen Dienstverhältnis gestanden sei. P F sei im Winter 2013/2014 nicht bei der GmbH beschäftigt (sondern arbeitslos gewesen) und folglich nicht zur Sozialversicherung gemeldet gewesen. Am 7. Februar 2014 habe er sich nur deshalb auf der Baustelle eingefunden und Begutachtungen durchgeführt, weil ihn der Bauherr (auf Grund der finanzpolizeilichen Kontrolle) darum gebeten habe. Es widerspreche nicht der Lebenserfahrung, dass P F - der gewerberechtlicher Geschäftsführer und Ansprechpartner der GmbH gewesen sei und zunächst auch die Bauaufsicht ausgeübt habe - in der Zeit seiner Nichtbeschäftigung dem Ersuchen des Bauherrn nachgekommen sei. Es habe sich auch nicht ergeben, dass er im Zeitraum der Abmeldung sonstige Tätigkeiten (insbesondere für die GmbH) ausgeführt habe. Im Verfahren sei weiters keine Entgeltlichkeit der einmaligen Leistung hervorgekommen.
3.2. Das Verwaltungsgericht sprach aus, dass die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig sei.
4.1. Gegen diesen Beschluss wendet sich die außerordentliche Revision, zu der die Mitbeteiligte nach Einleitung des Vorverfahrens eine Revisionsbeantwortung erstattete.
4.2. Das Finanzamt bringt in den Ausführungen zur Zulässigkeit der Revision - die sich ausschließlich gegen die Verneinung eines versicherungspflichtigen Dienstverhältnisses zwischen der GmbH und K P sowie S S, nicht jedoch gegen die Verneinung eines Dienstverhältnisses zwischen der GmbH und P F wenden - zusammengefasst im Wesentlichen vor, das Verwaltungsgericht sei von der (näher erörterten) Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs zur Abgrenzung von Dienstvertrag und Werkvertrag abgewichen bzw. fehle Rechtsprechung zu einem Sachverhalt, wie er hier vorliege.
5.1. Der Verwaltungsgerichtshof vertritt in ständiger Rechtsprechung, dass die Beurteilung der Zulässigkeit der außerordentlichen Revision ausschließlich im Rahmen der dafür in der Revision gesondert vorgebrachten Gründe zu erfolgen hat. Der Verwaltungsgerichtshof ist daher weder verpflichtet, solche Gründe anhand der übrigen Revisionsausführungen gleichsam zu suchen, noch berechtigt, von Amts wegen erkannte Gründe, die zur Zulässigkeit der Anfechtung führen könnten, aufzugreifen (vgl. etwa VwGH 7.8.2017, Ra 2015/08/0134; mwN).
5.2. Das Finanzamt wendet sich (wie schon gesagt) in seinem gesonderten Zulässigkeitsvorbringen ausschließlich gegen die Verneinung eines versicherungspflichtigen Dienstverhältnisses zwischen der GmbH und K P sowie S S, nicht jedoch gegen die Verneinung eines Dienstverhältnisses zwischen der GmbH und P F. Folglich wird - soweit der angefochtene Beschluss die Behebung des behördlichen Straferkenntnisses und die Einstellung des Verfahrens wegen Nichtmeldung eines Dienstverhältnisses mit P F betrifft - in der Zulässigkeitsbegründung keinerlei Vorbringen zum Vorliegen einer Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung im Sinn des Art. 133 Abs. 4 B-VG erstattet. Die Revision erweist sich schon aus diesem Grund in dem diesbezüglichen Umfang als nicht zulässig.
6.1. Soweit der angefochtene Beschluss die Behebung des behördlichen Straferkenntnisses und die Einstellung des Verfahrens wegen Nichtmeldung der Dienstverhältnisse mit K P und S S betrifft, ist zunächst festzuhalten, dass sich die Mitbeteiligte im Verfahren wiederholt auf das Vorliegen von A1-Bescheinigungen berief und diese auch zu den Akten vorlegte. In den betreffenden Bescheinigungen wurde durch den zuständigen Träger (eine polnische Sozialversicherungsanstalt) jeweils für K P bzw. S S bestätigt, dass für die Genannten im Zeitraum vom 1. Jänner bis zum 31. Dezember 2014 Polen der zuständige Mitgliedstaat sei, die polnischen Rechtsvorschriften anzuwenden seien, die Genannten selbständig erwerbstätig seien und als Selbständige in zwei bzw. mehr Staaten arbeiteten.
Das Bestehen und der Inhalt der (soeben erörterten) A1- Bescheinigungen blieben im Verfahren unbestritten.
6.2. Der Verwaltungsgerichtshof hat zu einem in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht ganz ähnlich gelagerten Fall (vgl. VwGH 14.11.2018, Ra 2016/08/0082 (dort ging es um die Beauftragung selbständiger slowakischer Subunternehmer, die über A1-Bescheinigungen verfügten, mit Elektroinstallationsarbeiten in Österreich)) bereits Folgendes ausgeführt:
"Es kann daher nicht zweifelhaft sein, dass auch hinsichtlich einer nach Art. 12 Abs. 2 Verordnung (EG) Nr. 883/2004 - somit hinsichtlich selbstständig Erwerbstätiger - ausgestellten A1- Bescheinigung gemäß Art. 5 Abs. 1 Verordnung (EG) Nr. 987/2009 eine Bindung der Träger und der Gerichte des Mitgliedstaats, in dem die Tätigkeit ausgeübt wird, eintritt (...) Diese Bindungswirkung bezieht sich nach der genannten Rechtsprechung auf die bescheinigte Anwendbarkeit der sozialversicherungsrechtlichen Vorschriften des betreffenden Mitgliedstaates hinsichtlich einer bestimmten Tätigkeit und nicht bloß darauf, welche Rechtsvorschriften für die Beurteilung der Selbständigkeit oder Unselbständigkeit der Tätigkeit maßgeblich sind (vgl. nochmals VwGH 23.5.2012, 2009/08/0204).
In seinem Urteil vom 6.2.2018, Altun ua., C-359/16, hat der EuGH die Bindungswirkung von E 101 Bescheinigungen nach der Verordnung (EWG) Nr. 1408/71 in Fällen, in denen diese betrügerisch erlangt wurden, eingeschränkt. Voraussetzung dafür, dass ein nationales Gericht in diesen Fällen die Bescheinigungen außer Acht lassen kann, ist jedoch zunächst, dass der ausstellende Träger mit in einer gerichtlichen Prüfung gesammelten Beweisen befasst wurde, die die Feststellung erlauben, dass die Bescheinigungen betrügerisch erlangt oder geltend gemacht wurden, und der ausstellende Träger es unterlassen hat, diese Beweise bei einer erneuten Prüfung der Bescheinigungen zu berücksichtigen. Auch diese Rechtsprechung ist auf die A1-Bescheinigungen nach der Verordnung (EG) Nr. 883/2004 zu übertragen (vgl. in diesem Sinn VwGH 10.10.2018, Ra 2016/08/0176; vgl. auch den Hinweis in EuGH C- 527/16, Rn. 46).
Im vorliegenden Fall wurden unstrittig vom zuständigen slowakischen Sozialversicherungsträger A1-Bescheinigungen über die Anwendung der slowakischen Rechtsvorschriften der sozialen Sicherheit hinsichtlich der von (...) im Zeitraum vom (...) bis (...) 2014 ausgeübten selbstständigen Erwerbstätigkeit ausgestellt, wobei als Ort der Tätigkeit jeweils der Betrieb der Zweitrevisionswerberin genannt wurde.
Im Verfahren ist nicht hervorgekommen, dass diese A1- Bescheinigungen betrügerisch bzw. rechtsmissbräuchlich erlangt worden wären bzw. der zuständige slowakische Sozialversicherungsträger mit einer Prüfung der Richtigkeit der Bescheinigungen befasst worden wäre. Ausgehend davon ergibt sich eine Bindung der österreichischen Gerichte und Behörden hinsichtlich der Anwendbarkeit der slowakischen Rechtsvorschriften der sozialen Sicherheit auf die von (...) ausgeübten Tätigkeiten. Dies steht dem Eintritt einer Pflichtversicherung als Dienstnehmer in Österreich und damit auch der Annahme einer Meldepflichtverletzung entgegen."
6.3. Im hier gegenständlichen Fall wurden vom zuständigen Träger (einer polnischen Sozialversicherungsanstalt) A1- Bescheinigungen über die Anwendung der polnischen Rechtsvorschriften der sozialen Sicherheit hinsichtlich der von K P und S S im Jahr 2014 - und damit auch im hier relevanten Zeitraum - ausgeübten selbständigen Erwerbstätigkeit ausgestellt. Dass diese - im Verfahren unbestritten gebliebenen - A1- Bescheinigungen betrügerisch bzw. rechtsmissbräuchlich erlangt worden wären bzw. dass der zuständige polnische Sozialversicherungsträger mit einer Prüfung der Richtigkeit der Bescheinigungen befasst worden wäre, ist in keiner Weise hervorgekommen.
Ausgehend davon ergibt sich jedoch - im Lichte der oben wiedergegebenen Rechtsprechung - eine Bindung der österreichischen Gerichte und Behörden dahingehend, dass die polnischen Rechtsvorschriften der sozialen Sicherheit auf die von K P und S S ausgeübten Tätigkeiten anzuwenden sind. Dies schließt den Eintritt einer Pflichtversicherung der beiden Genannten als Dienstnehmer in Österreich und damit auch eine Verletzung von Meldepflichten durch die Mitbeteiligte aus. Demzufolge hat aber das Verwaltungsgericht das behördliche Straferkenntnis - jedenfalls im Ergebnis zu Recht -
behoben und das Verfahren eingestellt.
6.4. Nach dem Vorgesagten kommt es auf die in der Zulässigkeitsbegründung relevierte Abgrenzung von Dienstvertrag und Werkvertrag fallbezogen nicht (mehr) an. Die Revision ist daher auch insoweit mangels Vorliegens einer Rechtsfrage im Sinn des Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.
7. Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG, insbesondere auf § 51 VwGG, in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2014.
Wien, am 9. Dezember 2019
Gerichtsentscheidung
EuGH 62016CJ0359 Altun VORABEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2019:RA2016080118.L00Im RIS seit
31.01.2020Zuletzt aktualisiert am
31.01.2020