TE OGH 2020/1/14 14Os117/19s

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Veröffentlicht am 14.01.2020
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Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat am 14. Jänner 2020 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Prof. Dr. Danek als Vorsitzenden, die Hofrätin des Obersten Gerichtshofs Mag. Hetlinger, den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Dr. Nordmeyer sowie die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Dr. Mann und Dr. Setz-Hummel in Gegenwart des Schriftführers Mag. Hauer in der Strafsache gegen Hansjörg G***** wegen des Verbrechens des Missbrauchs der Amtsgewalt nach § 302 Abs 1 StGB über die Nichtigkeitsbeschwerde der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des Landesgerichts Feldkirch als Schöffengericht vom 28. Mai 2019, GZ 23 Hv 19/19f-22, nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Die Nichtigkeitsbeschwerde wird zurückgewiesen.

Text

Gründe:

Mit dem angefochtenen Urteil sprach das Erstgericht Hansjörg G***** vom Vorwurf frei, er habe am 16. September 2017 in Dornbirn als Polizeibeamter der Einsatzzentrale mit dem Vorsatz, dadurch den Staat an dessen Recht auf Ausübung der Hilfeleistungspflicht sowie der Gefahrenerforschung und -abwehr nach den Bestimmungen des SPG zu schädigen (vgl 14 Os 78/19f [zum möglichen Bezugspunkt des Schädigungsvorsatzes in derartigen Konstellationen]), seine Befugnis, im Namen des Bundes als dessen Organ in Vollziehung der Gesetze Amtsgeschäfte vorzunehmen, wissentlich missbraucht, indem er es unterließ, in Reaktion auf einen Notruf für die Veranlassung der erforderlichen Hilfe, nämlich die Entsendung einer Sektorstreife zum Vorfallsort, zu sorgen, obwohl er gemäß § 19 Abs 2 SPG dazu verpflichtet gewesen wäre.

Rechtliche Beurteilung

Die dagegen von der Staatsanwaltschaft aus § 281 Abs 1 Z 5 und 9 lit a StPO ergriffene Nichtigkeitsbeschwerde ist nicht im Recht.

Das Erstgericht ging im Wesentlichen von folgendem Urteilssachverhalt aus:

Am 16. September 2017 rief Engin B***** um 4:24 Uhr erstmals den polizeilichen Notruf an und teilte dem (in der Bezirksleitstelle Dienst versehenden) Angeklagten mit, er höre Schreie aus der Nachbarwohnung. Gegen den Nachbarn bestehe ein Rückkehrverbot (vgl § 382b Abs 1 Z 2 EO). Der Anrufer konnte sich zunächst an den genauen Namen des Nachbarn nicht erinnern. Der Angeklagte versuchte, das Bestehen eines Rückkehrverbots in polizeilichen Akten zu verifizieren. Drei Minuten später teilte B***** dem Angeklagten den genauen Namen des Nachbarn mit. Sieben Minuten danach äußerte B***** im Zuge eines längeren (kurz unterbrochenen) Telefongesprächs mit dem Angeklagten, es sei mittlerweile in der Nachbarwohnung ganz ruhig. Dieser fand in weiterer Folge das Bestehen eines Betretungsverbots in den Akten bestätigt und versuchte, über die dort aufgefundene Telefonnummer der geschützten Person, Kontakt mit dieser aufzunehmen. Nachdem dies erfolglos geblieben war, verständigte er knapp zwanzig Minuten nach dem ersten Notruf die zuständige Polizeiinspektion und beorderte die Polizeistreife zum Vorfallsort. Diese konnte – nach weiteren zehn Minuten dort eingetroffen – nur den Tod von vier Personen feststellen.

Die Tatrichter trafen unter anderem eine Negativfeststellung zum wissentlichen Befugnismissbrauch des Angeklagten; er habe die Dringlichkeit des Notrufs nicht erkannt. Überdies verneinten sie das Vorliegen eines Schädigungsvorsatzes (US 7). Dies begründeten sie insbesondere damit, dass der Angeklagte nicht untätig geblieben sei, sondern Aktivitäten zur Abklärung der Dringlichkeit des Notrufs (Überprüfung eines Rückkehrverbots, versuchte Kontaktaufnahme mit der geschützten Person) gesetzt habe. Diese Aktivitäten seien aufwendiger gewesen als das bloße Losschicken der Polizeistreife, das in einem von § 19 Abs 1 SPG erfassten Fall geboten gewesen wäre. Es sei somit kein Motiv für einen wissentlichen Befugnismissbrauch zu erkennen. Im Übrigen habe B***** auf dem von den Tatrichtern abgehörten Tonmitschnitt über die Notrufe „in einer relativ ruhigen Stimmlage, ohne sehr aufgeregt und besorgt zu wirken“, gesprochen (US 9 und 13 f).

Die Mängelrüge verweist auf eine Begründungspassage, welche die Verantwortung des Angeklagten, er habe nach dem weiteren Anruf (aufgrund der Information, in der Nachbarwohnung sei mittlerweile alles still) angenommen, die Situation habe sich beruhigt, als „nachvollziehbar“ bezeichnet (US 8 f). Davon ausgehend kritisiert sie die „Beweiswürdigung des Erstgerichts“ als „Widerspruch in sich“ (Z 5 dritter Fall), weil schon aufgrund des ersten Anrufs die Pflicht zur Hilfeleistungspflicht bestanden habe. Sie verfehlt damit die gebotene Bezugnahme auf die Gesamtheit der tatrichterlichen Erwägungen (RIS-Justiz RS0119370). Diese verweisen eben auch auf das von Beginn an gezeigte Bemühen des Angeklagten, das Bestehen des Rückkehrverbots und damit die Bedrohlichkeit der Situation abzuklären.

Kein Widerspruch besteht zwischen der (auf den Tatzeitpunkt abstellenden) Verneinung der Wissentlichkeit des Befugnismissbrauchs und der Urteilsannahme, der Angeklagte wäre „objektiv natürlich verpflichtet gewesen, eine Streife zu verständigen“, was er (nachträglich im Disziplinar- und im Strafverfahren) eingestanden habe (US 9, vgl auch US 12).

Den weiteren Beschwerdeausführungen zuwider ist den Entscheidungsgründen die „wahre Sachlage“ sehr wohl zu entnehmen (US 6 f). Soweit die Beschwerdeführerin – im Widerspruch zu diesem Vorbringen – auch Unvollständigkeit (Z 5 zweiter Fall) der Begründung moniert, weil die Tatrichter die „sich aus den (eigenen) Sachverhaltsfeststellungen ergebende Frage“, „welche Teile der wahren Sachlage der Angeklagte denn nicht gekannt haben soll“, übersieht sie, dass der in Anspruch genommene Nichtigkeitsgrund nur aus der Nichterörterung in der Hauptverhandlung vorgekommener Verfahrensergebnisse (RIS-Justiz RS0118316), nicht jedoch allein aus den Entscheidungsgründen abgeleitet werden kann.

Dass die (oben wiedergegebene) Begründung für die Verneinung der Wissentlichkeit des Befugnismissbrauchs gegen die Kriterien logischen Denkens oder gegen grundlegende Erfahrungssätze verstoße, vermag die Rüge nicht aufzuzeigen (RIS-Justiz RS0118317). Sie erschöpft sich vielmehr in einer Bekämpfung der Beweiswürdigung nach Art einer im kollegialgerichtlichen Verfahren nicht vorgesehenen Schuldberufung.

Da die Mängelrüge mit ihrer auf dieses Tatbestandsmerkmal (der Wissentlichkeit des Befugnismissbrauchs) bezogenen Argumentation scheitert, erübrigt sich eine Erörterung des weiteren (teils auch aus Z 9 lit a erstatteten) Beschwerdevorbringens.

Die Nichtigkeitsbeschwerde war daher bei der nichtöffentlichen Beratung sofort zurückzuweisen (§ 285d Abs 1 StPO).

Textnummer

E127195

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:2020:0140OS00117.19S.0114.000

Im RIS seit

31.01.2020

Zuletzt aktualisiert am

31.01.2020
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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