TE Bvwg Erkenntnis 2019/8/28 I421 2178726-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 28.08.2019
beobachten
merken

Entscheidungsdatum

28.08.2019

Norm

AsylG 2005 §3
AsylG 2005 §3 Abs1
B-VG Art. 133 Abs4
VwGVG §24 Abs1
VwGVG §28 Abs1
VwGVG §28 Abs2

Spruch

I421 2178726-1/23E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Mag. Martin STEINLECHNER als Einzelrichter über die Beschwerde von XXXX (alias XXXX), geb. XXXX, StA. NIGERIA, vertreten durch ARGE RECHTSBERATUNG Diakonie Flüchtlingsdienst gem. GmbH gegen den Bescheid des BFA RD Kärnten Außenstelle Klagenfurt vom 06.11.2017, Zl. 16-1133497601-161474935, nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 24.07.2019 zu Recht erkannt:

A)

Der Beschwerde wird stattgegeben und XXXX gemäß § 3 Abs. 1 Asylgesetz 2005 der Status des Asylberechtigten zuerkannt. Gemäß § 3 Abs. 5 Asylgesetz 2005 wird festgestellt, dass XXXX damit kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukommt.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang:

1. Der Beschwerdeführer stellte am 27.10.2016 einen Antrag auf internationalen Schutz, den er mit seiner homosexuellen geschlechtlichen Ausrichtung begründete.

2. Mit dem Bescheid vom 6.11.2017, Zl. 16-1133497601/161474935, wies die belangte Behörde den Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten (Spruchpunkt I.) sowie hinsichtlich des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf seinen Herkunftsstaat Nigeria (Spruchpunkt II.) als unbegründet ab. Zugleich erteilte sie dem Beschwerdeführer keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen, erließ gegen den Beschwerdeführer eine Rückkehrentscheidung und stellte fest, dass seine Abschiebung nach Nigeria zulässig ist (Spruchpunkt III.). Eine Frist für die freiwillige Ausreise besteht nicht (Spruchpunkt IV.). Zugleich erkannte die belangte Behörde einer Beschwerde gegen diese Entscheidung die aufschiebende Wirkung ab (Spruchpunkt V.).

3. Gegen diesen Bescheid richtet sich die fristgerecht erhobene Beschwerde vom 30.11.2017 (bei der belangten Behörde eingelangt am 30.11.2017).

4. Mit hg Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom 11.10.2018 wurde die Beschwerde hinsichtlich der Nichtzuerkennung von internationalen Schutz als unbegründet abgewiesen.

5. Der Beschwerdeführer erhob gegen dieses Erkenntnis ao Revision an den Verwaltungsgerichtshof, der mit Erkenntnis vom 25.04.2019 zu Ra 2018/19/0687-8 das hg Erkenntnis vom 11.10.2018 wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufhob, zumal die Voraussetzungen für die Abstandnahme von einer Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht nicht vorlagen.

6. Im zweiten Rechtsgang wurde vor dem Bundesverwaltungsgericht am 24.07.2019 eine mündliche Verhandlung durchgeführt und der Beschwerdeführer, ein stellig gemachter Zeuge einvernommen und weitere Beweise aufgenommen.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

1.1. Zur Person des Beschwerdeführers:

Der volljährige Beschwerdeführer ist ledig, kinderlos, Staatsangehöriger von Nigeria und bekennt sich zum christlichen Glauben. Er gehört der Volksgruppe der I(g)bo an. Seine Identität steht nicht fest.

Der Beschwerdeführer ist gesund und arbeitsfähig.

Der Beschwerdeführer reiste illegal ohne gültigem Reisedokument aus Nigeria nach Österreich. Er hält sich seit (mindestens) 27.10.2016 in Österreich auf.

Die Familie des Beschwerdeführers bestehend aus dem Vater XXXX, der Mutter XXXX, zwei älteren Geschwister und Onkel und Tanten, die alle in Nigeria leben. Der Beschwerdeführer lebte bis zu seiner Flucht mit seinen Eltern in einer Mietwohnung. Der Beschwerdeführer besuchte 6 Jahre lang die Grundschule und 6 Jahre eine weiterführende Schule, hat aber keine Berufsausbildung und wurde von seinen Eltern unterhaltversorgt. Die Mutter des Beschwerdeführers ist Geschäftsfrau, sein Vater war bei der Gemeinde beschäftigt und befindet sich nunmehr in Pension. Er hält telefonischen Kontakt zu seinen Verwandten im Herkunftsstaat, insbesondere zu seiner Mutter.

Er geht in Österreich, ausgenommen gemeinnützige Tätigkeiten, keiner Beschäftigung nach und bezieht Leistungen von der staatlichen Grundversorgung in XXXX.

Der Beschwerdeführer ist sozial integriert und Mitglied in einem Fußballverein. Er ist Spieler bei diesem Verein und betätigt sich auch als Co-Trainer der Nachwuchsmannschaft. Der Beschwerdeführer bringt sich auch außerhalb seines Fußballvereins in das Gemeindeleben durch Mitarbeit bei Festen anderer Vereine ein und leistet für die Gemeinde wöchentlich an zwei Tagen sechs Stunden gemeinnützige Arbeit. Er spricht sehr gut Englisch und Deutsch auf einem guten Niveau. In Österreich verfügt der Beschwerdeführer über keine Verwandten und über keine familiären Beziehungen. Es konnten auch keine Umstände festgestellt werden, die auf ein schützenswertes Privatleben in Österreich hinweisen, auch wenn der Beschwerdeführer intensive freundschaftliche Beziehungen pflegt.

Er ist mittellos und von der Unterstützung Dritter (Staat, Hilfsorganisationen) abhängig. Er verfügt über mehrere Einstellungszusagen für den Fall als der Beschwerdeführer in Österreich ein Arbeitsverhältnis eingehen darf.

Der Beschwerdeführer ist in Österreich nicht vorbestraft.

1.2. Zu den Fluchtmotiven des Beschwerdeführers:

Entsprechend seinem Fluchtvorbringen wird festgestellt, dass der Beschwerdeführer homosexuell ist und in seinem Herkunftsland aufgrund seiner sexuellen Orientierung verfolgt wurde, daher dieses verlassen hat und im Fall der Rückkehr in seinen Herkunftsstaat wiederrum Verfolgung wegen seiner sexuellen Orientierung ausgesetzt wäre.

Es wird festgestellt, dass der Beschwerdeführer im Fall seiner Rückkehr nach Nigeria mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit einer asylrelevanten Verfolgung aufgrund seine sexuellen Orientierung ausgesetzt sein wird, jedenfalls gezwungen wäre -auch wenn er nicht in seine Heimatstadt zurückkehrte- seine Homosexualität zu verheimlichen und diese nicht leben könnte.

1.3. Zu den Feststellungen zur Lage in Nigeria:

Mit der Ladung zur Verhandlung am 24.07.2019 wurde der Rechtsvertretung des Beschwerdeführers das aktuelle Länderinformationsblatt der Staatendokumentation zu Nigeria vom 12.04.2019 übermittelt und wurde dieses in der mündlichen Verhandlung auch erörtert. Es ist daher nicht erforderlich dieses gänzlich wiederzugeben, zumal der Beschwerdeführer als einzigen Fluchtgrund seine Homosexualität anführt.

Zur Situation von Homosexuellen in Nigeria:

Homosexuelle Handlungen jeglicher Art sind - unabhängig vom Geschlecht der betroffenen Personen - sowohl nach säkularem Recht (AA 10.12.2018; vgl. GIZ 4.2019b) als auch nach Scharia-Recht (Körperstrafen bis hin zum Tod durch Steinigung in besonderen Fällen) strafbar. Allerdings sind kaum Fälle strafrechtlicher Verfolgung einvernehmlicher homosexueller Handlungen bekannt geworden (AA 10.12.2018). § 214 des Strafgesetzbuchs sieht 14 Jahre Haft für gleichgeschlechtliche Beziehungen vor (ÖB 10.2018). Der im Jänner 2014 verabschiedete Same Sex Marriage Prohibition Act (SSMPA) sieht zudem vor, dass homosexuelle Paare, die heiraten oder öffentlich ihre Zuneigung zeigen, mit Haft bestraft werden können. Das Gesetz sieht bis zu 14 Jahre Haft für Eheschließungen und zivilrechtliche Partnerschaften zwischen zwei Frauen oder zwei Männern vor (ÖB 10.2018; vgl. USDOS 13.3.2019, GIZ 4.2019b). Wer seine Liebesbeziehung zu einem Menschen des gleichen Geschlechts direkt oder indirekt öffentlich zeigt, soll dem Gesetz zufolge mit bis zu zehn Jahren Haft bestraft werden können (ÖB 10.2018). Die gleiche Strafe ist für die Gründung und Unterstützung von Clubs, Organisationen oder anderen Einrichtungen für Schwule und Lesben vorgesehen (ÖB 10.2018; vgl. AA 10.12.2018).

In den zwölf nördlichen Bundesstaaten, wo das islamische Recht in Kraft ist, können homosexuelle Handlungen mit Haft, Stockschlägen oder Tod durch Steinigung bestraft werden (USDOS 13.3.2019; vgl. HL1 16.11.2015; DS1 20.11.2015). Aktivisten sind keine Fälle bekannt, bei denen die Todesstrafe umgesetzt wurde (USDOS 13.3.2019; vgl. HL1 16.11.2015; DS1 20.11.2015).

Insgesamt kam es auch unter der Scharia nur zu wenigen Verurteilungen (HL1 16.11.2015; vgl. DS1 20.11.2015).

Homosexuelle versuchen auf Grund der gesetzlichen Bestimmungen und weitverbreiteter Vorbehalte in der Bevölkerung, ihre sexuelle Orientierung zu verbergen (AA 10.12.2018). Der SSMPA hat zu einer weiteren Stigmatisierung von Lesben und Schwulen geführt. Diese werden oftmals von der Polizei schikaniert und misshandelt und von der Bevölkerung gemobbt oder mittels Selbstjustiz verfolgt (GIZ 4.2019b). Erpressung und Gewalt treten oft schon beim Verdacht auf, homosexuell zu sein (MSMA 17.11.2015; vgl. LLM 16.11.2015). Die meisten Menschenrechtsverletzungen gegen Homosexuelle gehen von nichtstaatlichen Akteuren aus (LLM 16.11.2015; vgl. MSMK 19.11.2015). Die Verfügbarkeit von staatlichem Schutz ist in Frage zu stellen, manchmal interveniert die Polizei gar nicht oder verhaftet das Opfer (MSMA 17.11.2015; vgl. DS3 18.11.2015; DS1 20.11.2015). Opfer von Menschenrechtsverletzungen haben es extrem schwer, Vergehen bei den Behörden zu melden, denn es herrscht Angst vor Stigmatisierung, weiterer Gewalt und Diskriminierung. Es gibt viele Fälle, in denen Polizeibeamte Personen, von denen angenommen wird, dass sie sexuellen Minderheiten angehören, willkürlich verhaften. In der Folge werden hohe Geldsummen für die Freilassung gefordert. Staatliche Stellen sind häufig selbst die Täter bei Menschenrechtsverletzungen oder handeln in Kooperation mit nichtstaatlichen Akteuren (TIERS 12.2018).

Im Rahmen der Verabschiedung des SSMPA 2014 kam es zu einer Zunahme an Fällen von Belästigung und Drohung. Es wurde von zahlreichen Verhaftungen berichtet. Allerdings wurden die Verhafteten in allen Fällen ohne eine formelle Anklage nach Zahlung einer Geldsumme freigelassen, die oftmals nichts anderes als ein Bestechungsgeld war. Im Jahr 2017 kam es erstmals zu Anklagen unter dem SSMPA. Im November 2017 wurden ein Hotelbesitzer und zwei seiner Mitarbeiter wegen Unterstützung homosexueller Aktivitäten angeklagt. Im Dezember 2017 wurden die drei Angeklagten auf Kaution freigelassen und im August 2018 wurde das Verfahren eingestellt. Ansonsten ist keine strafrechtliche Verfolgung gemäß dem SSMPA feststellbar (USDOS 13.3.2018). Nach anderen Angaben wurden vereinzelt langjährige Haftstrafen verhängt; als Beispiel wird ein Fall aus dem Bundesstaat Kano vom Dezember 2016 genannt (ÖB 10.2018). Eine generelle bzw. systematische "staatliche Verfolgung" ist derzeit nicht gegeben (ÖB 10.2018; vgl. AA 10.12.2018). Die Rechtsänderung hat bisher nicht zu einer flächendeckenden verschärften Strafverfolgung geführt (AA 10.12.2018). Allerdings dient das Gesetz zur Rechtfertigung von Menschenrechtsverletzungen wie Folter, sexueller Gewalt, willkürlicher Haft, Erpressung von Geld sowie Verletzung von Prozessrechten (USDOS 13.3.2019).

Gesellschaftliche Diskriminierung bei offenem Zurschaustellen der sexuellen Orientierung ist vorhanden (ÖB 10.2018; vgl. AA 10.12.2018). Die Community wird nicht überwacht (LLM 16.11.2015; vgl. HL1 16.11.2015; DS2 19.11.2015). Die Polizei wird nicht aus eigenem Antrieb aktiv und sucht gezielt nach Homosexuellen (HL1 16.11.2015; vgl. DS2 19.11.2015). Die Polizei verhaftet Verdächtige in erster Linie mit dem Ziel, Geld zu erpressen. Grundsätzlich kommen Verdächtige nach der Zahlung einer "Kaution" wieder frei (LLM 16.11.2015; vgl. HL1 16.11.2015). Aufgrund der bei der Polizei herrschenden Korruption ist es einfach, sich aus der Haft freizukaufen (VA1 16.11.2015).

Auch für betroffene Homosexuellen-NGOs hatte der SSMPA kaum Auswirkungen, keine der Organisationen musste die Arbeit einstellen (LLM 16.11.2015; vgl. MSMA 17.11.2015; DS2 19.11.2015). Im Gesundheitsbereich tätige NGOs mit Fokus auf Homosexuelle (v.a. HIV/AIDS) stellten zwar Anfang 2014 kurzfristig den Betrieb ein, doch wurde dieser nach wenigen Wochen wiederaufgenommen und läuft seither wie vor Inkrafttreten des SSMPA (IO1 20.11.2015).

Die meisten Homosexuellen-NGOs haben ihre Basis in den Hauptstädten der Bundesstaaten (DS3 18.11.2015; vgl. DS2 19.11.2015; MSMA 17.11.2015). Üblicherweise sind die Homosexuellen-NGOs den Betroffenen bekannt (DS3 18.11.2015; vgl. MSMA 17.11.2015). Es existieren auch eigene HIV/AIDS-Kliniken, die gezielt für homosexuelle Patienten eingerichtet wurden (IO1 20.11.2015; vgl. MSMA 17.11.2015).

Verschiedene NGOs bieten Angehörigen sexueller Minderheiten rechtliche Beratung und Schulungen in Meinungsbildung, Medienarbeit und Bewusstseinsbildung in Bezug auf HIV an (USDOS 13.3.2019). Es existieren Netzwerke von Menschenrechtsanwälten, welche - im Falle der Verhaftung eines Homosexuellen - unmittelbar kontaktiert werden und die Person gegen "Kaution" freizukaufen versuchen (IO1 20.11.2015). Die Anwälte sind organisiert, es gibt unterschiedliche Vereine, z.B. Lawyers League for Minorities, Lawyers Alert oder die Coalition of Human Rights Lawyers (LLM 16.11.2015; vgl. HL1 16.11.2015). Homosexuellen-Netzwerke verschiedener Landesteile bzw. Städte sind miteinander in Kontakt (MSMA 17.11.2015; vgl. LLM 16.11.2015). Die Netzwerke und Organisationen bieten auch Unterstützung und Zufluchtsmöglichkeiten an (USDOS 20.4.2018; vgl. MSMA 17.11.2015; LLM 16.11.2015).

Quellen:

-

AA - Auswärtiges Amt (10.12.2018): Bericht über die asyl- und abschieberelevante Lage in der Bundesrepublik Nigeria (Stand Oktober 2018)

-

DS1 - Diplomatic Source 1 (20.11.2015): Interview im Rahmen einer Fact Finding Mission

-

DS2 - Diplomatic Source 2 (19.11.2015): Interview im Rahmen einer Fact Finding Mission

-

DS3 - Diplomatic Source 3 (18.11.2015): Interview im Rahmen einer Fact Finding Mission

-

DS4 - Diplomatic Source 4 (20.11.2015): Interview im Rahmen einer Fact Finding Mission

-

GIZ - Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (4.2019b): Nigeria - Gesellschaft, https://www.liportal.de/nigeria/gesellschaft/, Zugriff 10.4.2019

-

HL1 - Human Rights Lawyer 1 (16.11.2015): Interview im Rahmen einer Fact Finding Mission

-

LLM - Representative of the Lawyers League for Minorities (16.11.2015): Interview im Rahmen einer Fact Finding Mission

-

MSMA - MSM-related NGO, Abuja (17.11.2015): Gruppendiskussion im Rahmen einer Fact Finding Mission

-

MSMK - MSM-reltated NGO, Kaduna (19.11.2015): Gruppendiskussion im Rahmen einer Fact Finding Mission

-

IO1 - International Health and Development Research Organisation (20.11.2015): Interview im Rahmen einer Fact Finding Mission

-

ÖB - Österreichische Botschaft Abuja (10.2018): Asylländerbericht Nigeria

-TIERSs - The Initiative for Equal Rights (12.2018): 2018 Human Rights Violations Report,

https://theinitiativeforequalrights.org/wp-content/uploads/2018/12/2018-Human-Rights-Report.pdf, Zugriff 2.4.2019

-

USDOS - U.S. Department of State (13.3.2019): Country Report on Human Rights Practices 2018 - Nigeria, https://www.ecoi.net/en/document/2004182.html, Zugriff 20.3.2019

-

VA1 - Vertrauensanwalt 1 der Österreichischen Botschaft Abuja (16.11.2015): Interview im Rahmen einer Fact Finding Mission

2. Beweiswürdigung:

Zur Feststellung des für die Entscheidung maßgebenden Sachverhaltes wurden im Rahmen des Ermittlungsverfahrens Beweise erhoben durch die Einsichtnahme in den Akt der belangten Behörde unter Berücksichtigung der niederschriftlichen Angaben des Beschwerdeführers vor dieser und den Organen des öffentlichen Sicherheitsdienstes, in den bekämpften Bescheid und in den Beschwerdeschriftsatz sowie in das aktuelle "Länderinformationsblatt der Staatendokumentation" zu Nigeria mit Stand 12.04.2019. Insbesondere wurde am 24.07.2019 eine mündliche Verhandlung über die Beschwerde durchgeführt, der Beschwerdeführer ausführlich zu seinem Antrag auf internationalen Schutz, seinen Lebensumständen in Österreich und in seinem Herkunftsstaat, sowie seinem geltend gemachten Fluchtgrund einvernommen, ebenso wurde in dieser Verhandlung der vom Beschwerdeführer angebotene Zeuge befragt. Der erkennende Richter konnte sich so einen unmittelbaren persönlichen Eindruck vom Beschwerdeführer verschaffen. Die Feststellungen wurden auf der Grundlage der freien Beweiswürdigung getroffen und liegen diesen folgende Erwägungen zugrunde.

2.1. Zur Person des Beschwerdeführers:

Die Feststellungen zu seinen Lebensumständen, seinem Gesundheitszustand, seiner Arbeitsfähigkeit, seiner Herkunft, seiner Glaubens- und Volkszugehörigkeit sowie seiner Staatsangehörigkeit gründen sich auf die glaubhaften Angaben des Beschwerdeführers vor der belangten Behörde und dem erkennenden Richter. Insbesondere sind diese Feststellungen unstrittig.

Bezüglich des Gesundheitszustandes des Beschwerdeführers war festzustellen, dass dieser gesund ist, trotz des ärztlichen Attest Beilage ./A. Der Beschwerdeführer gab selbst an gesund zu sein, tatsächlich keine Medikamente zu nehmen. Er spielt in der Kampfmannschaft des örtlichen Fußballvereins und ist körperlich in der Lage ein Meisterschaftsspiel durchzuspielen, sodass von der körperlichen Fitness des Beschwerdeführers auszugehen ist.

Dass die Bemühungen des Beschwerdeführers hinsichtlich Integration überdurchschnittlich sind, erschließt sich aus seinem regen Engagement in seiner Ortsgemeinde, seiner Tätigkeit im Fußballverein, seinen gemeinnützigen Arbeiten, seiner tatkräftigen Unterstützung andere Vereine, seinen guten Deutschkenntnissen, den vorliegenden Einstellungszusagen (Beilage ./B), den vorliegenden Unterstützungsschreiben (Beilage ./C) und insbesondere aus der ZV Mag. Erfried Feichter und der von diesem Zeugen gelegten Beilage ./IV zur Integration des Beschwerdeführers.

Die familiären Verhältnisse des Beschwerdeführers im Herkunftsstaat konnten auf seine glaubwürdigen Aussagen gestützt werde, ebenso die Feststellung, dass er zu seiner Familie insbesondere seiner Mutter telefonisch Kontakt hält.

Da der Beschwerdeführer den österreichischen Behörden keine identitätsbezeugenden Dokumente vorlegen konnte, steht seine Identität nicht zweifelsfrei fest.

Die Feststellung über die strafgerichtliche Unbescholtenheit des Beschwerdeführers ergibt sich aus einer Abfrage des Strafregisters der Republik Österreich vom 27.07.2019.

Die Feststellungen zu seinem gegenwärtigen Wohnsitz und seinem Bezug der Grundversorgung ergeben sich aus dem, dem Bundesverwaltungsgericht vorliegenden, am 24.07.2019 abgefragten Speicherauszug aus dem Betreuungsinformationssystem und zentralen Melderegister.

2.2. Zu den Fluchtgründen des Beschwerdeführers:

Von einem Antragsteller ist ein Verfolgungsschicksal glaubhaft darzulegen. Einem Asylwerber obliegt es, bei den in seine Sphäre fallenden Ereignissen, insbesondere seinen persönlichen Erlebnissen und Verhältnissen, von sich aus eine Schilderung zu geben, die geeignet ist, seinen Asylanspruch lückenlos zu tragen und er hat unter Angabe genauer Einzelheiten einen in sich stimmigen Sachverhalt zu schildern. Die Behörde bzw. das Gericht muss somit die Überzeugung von der Wahrheit des von einem Asylwerber behaupteten individuellen Schicksals erlangen, aus dem er seine Furcht vor asylrelevanter Verfolgung herleitet. Es kann zwar durchaus dem Asylwerber nicht die Pflicht auferlegt werden, dass dieser hinsichtlich asylbegründeter Vorgänge einen Sachvortrag zu Protokoll geben muss, der auf Grund unumstößlicher Gewissheit als der Wirklichkeit entsprechend gewertet werden muss, die Verantwortung eines Antragstellers muss jedoch darin bestehen, dass er bei tatsächlich zweifelhaften Fällen mit einem für das praktische Leben brauchbaren Grad von Gewissheit die Ereignisse schildert. Der Beschwerdeführer hat als Flucht- und Asylgrund ausschließlich geltend gemacht, dass er homosexuell sei, deshalb in seinem Herkunftsstaat verfolgt werde und aus Furcht vor dieser Verfolgung auch nicht gewillt ist zurückzukehren.

Die Glaubhaftigkeitsprüfung der behaupteten sexuellen Identität eines Asylwerbers stellt sich besonders diffizil dar. Damit ein Fluchtvorbringen überhaupt als glaubhaft gewertet werden kann, muss es mehrere Voraussetzungen erfüllen. Es muss hinreichend detailliert und während des gesamten Verfahrens konsistent sein, es soll mit den vorliegenden Länderinformationen übereinstimmen, der Fluchtgrund soll ohne Verzögerung genannt werden, Nachschieben von Fluchtgründen zu einem späteren Zeitpunkt beeinflusst die Glaubhaftigkeit negativ, wenn kein vernünftiger Grund die spätere Mitteilung erklärt und der Kern des Erzählstrangs soll durch Beweismittel bekräftigt werden können.

Das Vorbringen des Beschwerdeführers erfüllt alle diese Kriterien. Von seiner Erstbefragung am 28.10.2016 bis zu seiner ausführlichen Einvernahme in der Verhandlung vor dem erkennenden Richter hat der Beschwerdeführer als Fluchtgrund seine Homosexualität und die Verfolgung derenthalben im Herkunftsstaat geltend gemacht. Die Angaben in der Verhandlung vor Gericht dazu waren detailliert, insbesondere zur sexuellen Entwicklung über die Verstörung der Wahrnehmung der sexuellen Andersartigkeit, deren Ablehnung und Verleugnung auch über die Pubertät hinaus, bis hin zur Selbstakzeptanz. Die Angaben dazu und zum fluchtauslösenden Geschehen waren auch konsistent. Dass der Beschwerdeführer als Homosexueller im Herkunftsstaat privater und staatlicher Benachteiligung und Verfolgung ausgesetzt ist, findet auch Deckung im Länderbericht. Dass in seiner Ortsgemeinde in Österreich die sexuelle Orientierung des Beschwerdeführers bekannt ist, ergibt sich aus der glaubwürdigen Aussage des einvernommenen Zeugen. Entsprechend seinem Fluchtvorbringen war daher festzustellen, dass der Beschwerdeführer homosexuell ist und in seinem Herkunftsland aufgrund seiner sexuellen Orientierung verfolgt wurde, daher dieses verlassen hat und im Fall der Rückkehr in seinen Herkunftsstaat wiederrum Verfolgung wegen seiner sexuellen Orientierung ausgesetzt wäre. Es war auch festzustellen, dass der Beschwerdeführer im Fall seiner Rückkehr nach Nigeria mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit einer asylrelevanten Verfolgung aufgrund seine sexuellen Orientierung ausgesetzt sein wird, jedenfalls gezwungen wäre -auch wenn er nicht in seine Heimatstadt zurückkehrte- seine Homosexualität zu verheimlichen und diese nicht leben könnte.

2.3. Zum Herkunftsstaat:

Die oben getroffenen Feststellungen zur Lage im Herkunftsstaat ergeben sich aus den zitierten herkunftsstaatsbezogenen Erkenntnisquellen. Angesichts der Seriosität und Plausibilität der angeführten Erkenntnisquellen sowie dem Umstand, dass diese Berichte auf einer Vielzahl verschiedener, voneinander unabhängiger Quellen beruhen und dennoch ein in den Kernaussagen übereinstimmendes Gesamtbild ohne wesentliche Widersprüche darbieten, besteht kein Grund, an der Richtigkeit der Angaben zu zweifeln.

Die Verfahrensparteien sind den in das Verfahren eingeführten Erkenntnisquellen zur Lage im Herkunftsstaat nicht substantiiert entgegengetreten.

Allen Quellen gemeinsam und dies über die gesamte Zeitspanne des gegenständlichen Verfahrens ist der Befund über die massive Ablehnung von Homosexualität in der nigerianischen Bevölkerung. Insofern hat das Vorbringen des Beschwerdeführers, wonach der Großteil der Bevölkerung Homosexuelle ablehnen, aber auch staatliche Organe wie die Polizei keinen Schutz vor Übergriffen bieten, einen realen Hintergrund. Somit zeigt sich, dass der Beschwerdeführer einer massiven Gefährdung in seinem Heimatort ausgesetzt wäre. Die beschriebene Ablehnung ist der Quellenlage folgend offensichtlich eine solche, die jederzeit auch in gewalttätige Ausschreitungen und Bedrohungen für Leib und Leben übergehen kann, sei es von Seiten Dritter oder von Seiten staatlicher Stellen. Der Beschwerdeführer hat in der Beschwerdeverhandlung vom 24.07.2019 angegeben, seine Homosexualität zu leben, gab er doch an einen Partner zu haben mit dem er eine sexuelle Beziehung führe und ist seine sexuelle Orientierung in seiner Ortsgemeinde bekannt. Aus dem Verfahren hat sich schließlich nicht ergeben, dass in einem Falle wie dem vorliegenden dem Beschwerdeführer ein sicherer Aufenthalt in einer Großstadt oder einer anderen Region Nigerias zumutbar wäre. Die bestehende Wahrscheinlichkeit von gewalttätigen Übergriffen, würde auch hier jedenfalls ein gesichertes Überleben auf Dauer in einer maßgeblichen Weise erschweren.

Zur Frage der tatsächlichen Gefährdung durch eine unmittelbare staatliche Verfolgung hat zuletzt der Verfassungsgerichtshof in Erkenntnis vom 18.09.2014 zu GZ E910/2014 unter anderem ausgesprochen, dass es in letzter Zeit sehr wohl zu gerichtlichen Verurteilungen Homosexueller gekommen ist, die das reale Risiko einer strafgerichtlichen Verfolgung nahelegen würden.

3. Rechtliche Beurteilung:

Zu A)

3.1. Rechtslage

Gemäß § 3 Abs 1 AsylG ist einem Fremden, der in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, soweit dieser Antrag nicht bereits gemäß §§ 4, 4a oder 5 leg. cit. zurückzuweisen ist, der Status des Asylberechtigten zuzuerkennen, wenn glaubhaft ist, dass ihm im Herkunftsstaat Verfolgung im Sinne des Art 1 Absch A Z 2 Genfer Flüchtlingskonvention (GFK) droht.

Im Sinne des Art 1 Absch A Z 2 GFK ist als Flüchtling anzusehen, wer sich aus wohlbegründeter Furcht, aus Gründen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Gesinnung verfolgt zu werden, außerhalb seines Heimatlandes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furch nicht gewillt ist, sich des Schutzes dieses Landes zu bedienen; oder wer staatenlos ist, sich in Folge obiger Umstände außerhalb des Landes seines gewöhnlichen Aufenthaltes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, in dieses Land zurückzukehren.

Zentraler Aspekt der in Art 1 Absch A Z 2 GFK definierten Verfolgung im Herkunftsstaat ist die wohlbegründete Furcht vor Verfolgung. Eine Furcht kann nur dann wohlbegründet sein, wenn sie im Lichte der speziellen Situation des Asylwerbers unter Berücksichtigung der Verhältnisse im Verfolgerstaat objektiv nachvollziehbar ist. Es kommt nicht darauf an, ob sich eine bestimmte Person in einer konkreten Situation tatsächlich fürchtet, sondern ob sich eine mit Vernunft begabte Person in dieser Situation aus Konventionsgründen fürchten würde. Unter Verfolgung ist ein ungerechtfertigter Eingriff von erheblicher Intensität in die zu schützende persönliche Sphäre des einzelnen zu verstehen. Erhebliche Intensität liegt vor, wenn der Eingriff geeignet ist, die Unzumutbarkeit der Inanspruchnahme des Schutzes des Heimatstaates zu begründen. Die Verfolgungsgefahr steht mit der wohlbegründeten Furcht in engstem Zusammenhang und ist Bezugspunkt der wohlbegründeten Furcht. Eine Verfolgungsgefahr ist dann anzunehmen, wenn eine Verfolgung mit einer maßgeblichen Wahrscheinlichkeit droht, die entfernte Möglichkeit einer Verfolgung genügt nicht (VwGH 06.10.1999, 99/01/0279).

Selbst in einem Staat herrschende allgemein schlechte Verhältnisse oder bürgerkriegsähnliche Zustände begründen für sich alleine noch keine Verfolgungsgefahr im Sinne der Genfer Flüchtlingskonvention. Um eine Verfolgung im Sinne des AsylG erfolgreich geltend zu machen, bedarf es einer zusätzlichen, auf asylrelevante Gründe gestützten Gefährdung des Asylwerbers, die über die gleichermaßen die anderen Staatsbürger des Herkunftsstaates treffenden Unbilligkeiten hinausgeht (VwGH 19.10.2000, 98/20/0233).

3.2. Anwendung der Rechtslage auf den gegenständlichen Fall

Im gegenständlichen Fall sind die dargestellten Voraussetzungen, nämlich eine aktuelle Verfolgungsgefahr aus einem in der Genfer Flüchtlingskonvention angeführten Grund, gegeben. Die vom Beschwerdeführer vorgebrachte Verfolgung wegen seiner sexuellen Orientierung ist als eine Verfolgung wegen der Zugehörigkeit zu einer sozialen Gruppe, nämlich der Gruppe der Homosexuellen, anzusehen (EuGH 7.11.2013, C-199/12). Verfolgung aufgrund der sexuellen Ausrichtung kann schon nach den eindeutigen ErläutRV zum AsylG 1991 unter den Tatbestand der Verfolgung wegen der Zugehörigkeit einer bestimmten sozialen Gruppe subsumiert werden.

Art. 10 Abs. 1 lit d der Richtlinie 2011/95/EU des Europäischen Parlamentes und des Rates vom 13.12.2011 (Statusrichtlinie) definiert, dass eine Gruppe insbesondere dann als eine bestimmte soziale Gruppe gilt, wenn die Mitglieder dieser Gruppe angeborene Merkmale oder einen gemeinsamen Hintergrund, der nicht verändert werden kann, gemein haben oder Merkmale oder eine Glaubensüberzeugung teilen, die so bedeutsam für die Identität oder das Gewissen sind, dass der Betreffende nicht gezwungen werden sollte, auf sie zu verzichten, und die Gruppe in dem betreffenden Land eine deutlich abgegrenzte Identität hat, da sie von der sie umgebenden Gesellschaft als andersartig betrachtet wird.

Je nach den Gegebenheiten im Herkunftsland kann als eine bestimmte soziale Gruppe auch eine Gruppe gelten, die sich auf das gemeinsame Merkmal der sexuellen Orientierung gründet. Als sexuelle Orientierung dürfen keine Handlungen verstanden werden, die nach dem nationalen Recht der Mitgliedstaaten als strafbar gelten. Geschlechtsbezogene Aspekte, einschließlich der geschlechtlichen Identität, werden zum Zweck der Bestimmung der Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der Ermittlung eines Merkmals einer solchen Gruppe angemessen berücksichtigt.

Der Europäische Gerichtshof hat in seinem Urteil vom 07.11.2013, C-199/12 bis C 201/12, insbesondere festgehalten, dass Art. 9 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 9 Abs. 2 lit c der Statusrichtlinie dahingehend auszulegen ist, dass in einer bloßen Unterstrafestellung homosexueller Handlungen als solche keine Verfolgungshandlung zu erblicken ist. Hingegen sind drohende Freiheitsstrafen, die im Herkunftsland tatsächlich verhängt werden, als unverhältnismäßige oder diskriminierende Bestrafung und somit als eine Verfolgungshandlung zu betrachten. Art. 10 Abs. 1 lit d in Verbindung mit Art. 2 lit c der Statusrichtlinie ist dahin auszulegen, dass von ihrem Geltungsbereich nur homosexuelle Handlungen ausgeschlossen sind, die nach dem nationalen Recht der Mitgliedstaaten strafbar sind. Bei der Prüfung eines Antrags auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft können die zuständigen Behörden von dem Antragsteller auf internationalen Schutz auch nicht erwarten, dass er seine Homosexualität in seinem Herkunftsland geheim hält oder Zurückhaltung beim Ausleben seiner sexuellen Ausrichtung übt, um die Gefahr einer Verfolgung zu vermeiden.

Im Rahmen der UNHCR-Leitlinien zu Anerkennung von Anträgen auf Anerkennung der Flüchtlingseigenschaft gestützt auf sexuelle Orientierung und geschlechtliche Identität (November 2008) wird insbesondere festgehalten, dass nicht nur die Kriminalisierung homosexuellen Verhaltens, sondern auch (sonstige) Diskriminierungsformen in Form von Gesetzen oder gesellschaftlicher Praxis Verfolgungscharakter aufweisen können, u.a., wenn sie bei der betroffenen Person ein Gefühl der Furcht und Unsicherheit im Hinblick auf ihre Zukunft hervorrufen. Auch dazu gezwungen zu sein, seine sexuelle Orientierung oder geschlechtliche Identität zu verstecken oder aufzugeben, kann eine Verfolgung darstellen. Wie bei Anträgen, die auf Verfolgung aus Gründen der politischen Überzeugung beruhen, müssen Antragsteller, die sich auf eine Furcht vor Verfolgung wegen ihrer sexuellen Orientierung berufen, nicht nachweisen, dass die Behörden ihre sexuelle Orientierung kannten, bevor sie ihr Herkunftsland verließen. Die Begründetheit der Furcht leitet sich in solchen Fällen von der Beurteilung der Folgen ab, mit denen Antragsteller einer bestimmten sexuellen Orientierung im Falle ihrer Rückkehr rechnen müssen. Auch wenn LGBT-Antragsteller nie tatsächlich wegen ihres homosexuellen Verhaltens verfolgt worden sind, kann bei ihnen dennoch begründete Furcht vor Verfolgung vorliegen.

Die behauptete homosexuelle Orientierung des Beschwerdeführers wurde festgestellt. Unter Verweis auf den individuellen Charakter des vorliegenden Falles ergibt sich bei Zugrundelegung der Angaben des Beschwerdeführers in ihrem entscheidungsrelevanten Kern das Vorliegen einer aktuellen asylrelevanten Verfolgungsgefahr in Nigeria aufgrund Verfolgung wegen Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe, hier Homosexueller, die aufgrund des Bekanntwerdens ihrer Orientierung einer Gefährdungslage ausgesetzt sind; wobei im Falle der Rückkehr des Beschwerdeführers jedenfalls massive Diskriminierungen und Verfolgungshandlungen zu erwarten sind, gegen welche von staatlichen Organen, wenn diese nicht ohnehin selbst als Verfolger auftreten (in Form einer strafrechtlichen Verurteilung und Inhaftierung bzw. rechtsgrundlosen Maßnahmen wie Misshandlungen, Folter oder erheblichen Diskriminierungen durch Behördenvertreter) kein hinreichender Schutz erwartet werden kann und auch sonst von keiner Seite. Die asylrelevante Intensität ergibt sich aus der Quellenlage. Auch eine innerstaatliche Relokationsalternative besteht vorliegend nicht; zumal die Bedrohungslage im gesamten Herkunftsstaat sowohl vor dem Hintergrund der festgestellten Rechtslage als auch die Scharia-Bestimmungen gegeben ist.

Im gegenständlichen Verfahren ist das Bundesverwaltungsgericht daher der Ansicht, dass die Furcht des Beschwerdeführers vor Verfolgung wegen seiner Zugehörigkeit zur sozialen Gruppe der Homosexuellen aufgrund der äußeren Umstände objektiv betrachtet nachvollziehbar und somit wohlbegründet im Sinne der GFK ist. Somit befindet sich der Beschwerdeführer aus wohlbegründeter Furcht, verfolgt zu werden, außerhalb Nigerias und ist im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt, in dieses Land zurückzukehren.

3.3. § 6 AsylG 2005 lautet:

Ausschluss von der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten

§ 6. (1) Ein Fremder ist von der Zuerkennung des Status eines Asylberechtigten ausgeschlossen, wenn

1. und so lange er Schutz gemäß Art. 1 Abschnitt D der Genfer Flüchtlingskonvention genießt;

2. einer der in Art. 1 Abschnitt F der Genfer Flüchtlingskonvention genannten Ausschlussgründe vorliegt;

3. aus stichhaltigen Gründen angenommen werden kann, dass der Fremde eine Gefahr für die Sicherheit der Republik Österreich darstellt, oder

4. er von einem inländischen Gericht wegen eines besonders schweren Verbrechens rechtskräftig verurteilt worden ist und wegen dieses strafbaren Verhaltens eine Gefahr für die Gemeinschaft bedeutet. Einer Verurteilung durch ein inländisches Gericht ist eine Verurteilung durch ein ausländisches Gericht gleichzuhalten, die den Voraussetzungen des § 73 StGB, BGBl. Nr. 60/1974, entspricht.

(2) Wenn ein Ausschlussgrund nach Abs. 1 vorliegt, kann der Antrag auf internationalen Schutz in Bezug auf die Zuerkennung des Status des Asylberechtigten ohne weitere Prüfung abgewiesen werden. § 8 gilt.

Ein Asylausschlussgrund hinsichtlich des Beschwerdeführers liegt daher nicht vor, wurde von der belangten Behörde nicht angenommen und ist im Verfahren auch nicht hervorgekommen.

Die Voraussetzungen für die Erteilung von Asyl sind daher gegeben. Aus diesen Gründen war die Beschwerde stattzugeben und dem Beschwerdeführer der Status des Asylberechtigen zuzuerkennen.

Zu B) Unzulässigkeit der Revision:

Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.

Schlagworte

Asylgewährung, asylrechtlich relevante Verfolgung, Asylverfahren,
begründete Furcht vor Verfolgung, Bürgerkrieg, bürgerkriegsähnliche
Situation, erhebliche Intensität, Fluchtgründe,
Flüchtlingseigenschaft, Glaubhaftmachung, Glaubwürdigkeit,
Homosexualität, maßgebliche Wahrscheinlichkeit, mündliche
Verhandlung, Nachvollziehbarkeit, sexuelle Orientierung, soziale
Gruppe, Unzumutbarkeit, Verfolgungsgefahr, Verfolgungshandlung,
wohlbegründete Furcht

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2019:I421.2178726.1.00

Zuletzt aktualisiert am

30.01.2020
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
Zurück Haftungsausschluss Vernetzungsmöglichkeiten

Sofortabfrage ohne Anmeldung!

Jetzt Abfrage starten