TE Bvwg Erkenntnis 2019/9/2 G313 2159243-1

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Veröffentlicht am 02.09.2019
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Entscheidungsdatum

02.09.2019

Norm

B-VG Art. 133 Abs4
FPG §66 Abs1
FPG §70 Abs3
NAG §55 Abs3

Spruch

G313 2159243-1/14E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Richterin Mag. Birgit WALDNER-BEDITS als Einzelrichterin über die Beschwerde der XXXX, geb. XXXX, StA. Tschechische Republik, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 10.05.2017, Zl. XXXX, nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 19.06.2018 zu Recht erkannt:

A) Der Beschwerde wird stattgegeben und der angefochtene Bescheid

aufgehoben.

B) Die Revision ist gemäß Art 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang:

1. Mit dem oben im Spruch angeführten Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl (im Folgenden: BFA) wurde die Beschwerdeführerin (im Folgenden: BF) gemäß § 66 Abs. 1 FPG iVm § 55 Abs. 3 NAG aus dem österreichischen Bundesgebiet ausgewiesen (Spruchpunkt 1.) und der BF gemäß § 70 Abs. 3 FPG ein Durchsetzungsaufschub von einem Monat ab Durchsetzbarkeit dieser Entscheidung erteilt (Spruchpunkt 2.).

2. Dagegen wurde fristgerecht Beschwerde erhoben.

3. Die gegenständliche Beschwerde samt dazugehörigem Verwaltungsakt wurde dem Bundesverwaltungsgericht (im Folgenden: BVwG) am 29.05.2017 vorgelegt.

4. Mit Schreiben des BVwG vom 25.10.2017 wurde die BF um Bekanntgabe ihrer Sozialkontakte in Österreich "mit Name und Kontaktdaten/Anschrift (Familie bzw. Freunde)", Vorlage aktueller Gehaltsbestätigungen bzw. Nachweise, mit welchen Geldmitteln der Lebensunterhalt bestritten wird, und Vorlage von Nachweisen betreffend Mietkosten, Strom und weiterer laufender Kosten ersucht.

5. Mit Schreiben des BVwG vom 25.10.2017 wurde ein ehemaliger Dienstgeber der BF um Bekanntgabe ersucht, warum bzw. wie (Kündigung, Entlassung, Zeitablauf einer Befristung usw.) das Dienstverhältnis der BF bei diesem geendet habe.

6. Am 07.11.2017 langte beim BVwG vom ehemaligen Dienstgeber der BF ein Antwortschreiben ein, in welchem mitgeteilt wurde, dass die BF bei diesem Dienstgeber von 30.11.2016 bis 22.12.2016 beschäftigt gewesen und dieses Beschäftigungsverhältnis noch während der Probezeit durch Dienstgeber-Kündigung beendet worden sei.

7. Am 20.11.2017 langte beim BVwG eine schriftliche namentliche Auflistung in Österreich aufhältiger Familienangehöriger (Schwester, Schwager, Cousin) und Freunde der BF und Nachweise über die Zahlung von Miete, Betriebskosten und Handyrechnung der BF ein.

8. Am 19.06.2018 wurde vor dem BVwG unter Teilnahme der BF in Anwesenheit einer Dolmetscherin für die tschechische Sprache eine mündliche Verhandlung durchgeführt. Ein Vertreter der belangten Behörde ist nicht zur Verhandlung erschienen.

9. Mit Schreiben des BVwG vom 02.07.2018 wurde das Arbeitsmarktservice (im Folgenden: AMS) um Auskunft ersucht, ob die BF beim AMS als arbeitssuchend vorgemerkt war/ist, ob Sie schon erfolgreich vermittelt werden konnte bzw. ob die BF arbeitswillig und arbeitsfähig ist.

10. Am 10.07.2018 langte beim BVwG die Mitteilung des AMS ein, dass die BF zuletzt von 27.01.2015 bis 19.06.2018 arbeitslos gemeldet war und ihr bereits 17 Vermittlungsvorschläge ausgefolgt bzw. übermittelt wurden, wobei angemerkt wurde, die Anzahl der Vermittlungsversuche sage nichts über die Arbeitswilligkeit aus, insbesondere nichts darüber, warum eine Beschäftigung nicht zustande gekommen sei, beruhe doch das Zustandekommen eines Beschäftigungsverhältnisses auf einer private Vereinbarung zwischen Dienstnehmer und Dienstgeber und sei das AMS daran nur vermittelnd beteiligt und allein der Wille des Dienstgebers für die Arbeitsaufnahme ausschlaggebend.

11. Mit Schreiben des BVwG vom 01.08.2018 wurde ein weiterer Dienstgeber der BF um Bekanntgabe ersucht, wie sich das Dienstverhältnis mit der BF gestaltet und wie hoch ihr Gehalt sei.

12. Mit Telefax des zuletzt um Auskunft ersuchten Dienstgebers der BF vom 20.08.2018 wurde mitgeteilt, dass die BF seit 20.06.2018 bei diesem Dienstgeber unbefristet vollzeitbeschäftigt und von diesem als Arbeitskräfteüberlasser an eine namentlich genannte Beschäftigungsfirma überlassen worden sei, und ihr Stundenlohn während der Überlassung EUR 11,55 brutto und ihr Nettoverdienst im Juli 2018 EUR 1.492,39 betragen habe.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen (Sachverhalt):

1.1. Die BF ist Staatsangehörige der Tschechischen Republik.

1.2. Sie weist im Bundesgebiet seit 22.07.2011 eine durchgehende Nebenwohnsitzmeldung und seit 26.04.2012 eine ununterbrochene Hauptwohnsitzmeldung auf.

1.3. Seit 28.08.2013 ist sie im Besitz einer Anmeldebescheinigung als Arbeitnehmerin. Seither hält sich die BF jedenfalls rechtmäßig im Bundesgebiet auf.

1.4. Die BF hat in Österreich eine an derselben Adresse wie sie, nur in einer anderen Wohnung, aufhältige Schwester samt Familie als nähere familiäre Bezugspersonen, lebt in keiner Partnerschaft und hat keine Kinder.

1.5. Festgestellt werden kann, dass die BF, nachdem sie in Tschechien ihre Arbeit verloren hatte, nach Österreich gekommen ist. Die BF gab in der mündlichen Beschwerdeverhandlung am 19.06.2018 an, aufgrund der damaligen "nicht so guten Arbeitsmarktsituation" nach Österreich gekommen zu sein.

Die BF hat sich bei ihrer Arbeitssuche auch an das AMS gewandt.

* Am 19.10.2016 wurde zwischen dem AMS und der BF eine bis 18.04.2017 verbindliche Betreuungsvereinbarung geschlossen, woraufhin die BF bei der Suche nach einer Voll- oder Teilzeitbeschäftigung vom AMS in Wien und angrenzenden Bezirken unterstützt wurde.

* Mit Schreiben des AMS vom 19.10.2016 wurde die BF zudem zur Teilnahme an einem Kurs namens "Neue Wege" mit Beginn am 07.11.2016 eingeladen.

Die BF war nachweislich von 27.01.2015 bis 19.06.2018 arbeitslos gemeldet und wurden ihr 17 Vermittlungsvorschläge ausgefolgt bzw. übermittelt, wobei seitens des AMS angemerkt wurde, die Anzahl der Vermittlungsversuche sage nichts über die Arbeitswilligkeit der BF aus, insbesondere nichts darüber, warum eine Beschäftigung nicht zustande gekommen sei, beruhe doch das Zustandekommen eines Beschäftigungsverhältnisses auf eine private Vereinbarung zwischen Dienstnehmer und Dienstgeber und sei das AMS daran nur vermittelnd beteiligt und der Wille des Dienstgebers für die Arbeitsaufnahme allein ausschlaggebend.

Fest steht, dass die BF im Bundesgebiet ab Juni 2011 bei verschiedenen Dienstgebern - teilweise nur geringfügig - beschäftigt war, ab Jänner 2015 immer wieder Leistungen aus der Arbeitslosenversicherung und im März 2014, Juli 2015, Oktober 2015 und zuletzt im Dezember 2015 bedarfsorientierte Mindestsicherung bezogen hat.

Bezüglich der einzelnen Beschäftigungsverhältnisse der BF steht Folgendes fest:

* Laut einem aktuellen AJ WEB-Auskunftsverfahrensauszug war die BF von 20.04.2012 und damit noch vor ihrer im Bundesgebiet erfolgten Wohnsitzmeldung am 26.04.2012 bis 21.08.2012 bei derselben Firma beschäftigt wie zuletzt ein paar Tage lang von 23.07.2019 bis 05.08.2019.

* Ein Beschäftigungsverhältnis der BF wurde nach Beschäftigung der BF von 30.11.2016 bis 22.12.2016 noch während der Probezeit durch Dienstgeber-Kündigung beendet.

* Die BF wurde im Zeitraum von 20.06.2018 bis 05.04.2019 während einer aufrechten Vollzeitbeschäftigung an eine bestimmte Firma zur Arbeitskräfteüberlassung überlassen, wobei während ihrer Beschäftigung ihr Stundenlohn EUR 11,75 brutto und ihr Nettoverdienst im Juli 2018 EUR 1.492,39 betragen hat.

* Zuletzt stand die BF im Bundesgebiet vom 23.07.2019 bis 05.08.2019 in einem mehrtägigen nicht ganz zweiwöchigen Beschäftigungsverhältnis.

1.6. Die BF ist im Bundesgebiet strafrechtlich unbescholten geblieben.

1.7. Sie hat sich im Bundesgebiet Deutschkenntnisse angeeignet und nachweislich ein im Zuge der mündlichen Beschwerdeverhandlung vorgelegtes Sprachzertifikat A1 erwerben können.

2. Beweiswürdigung:

2.1. Der oben unter Punkt I. angeführte Verfahrensgang ergibt sich aus dem vorliegenden Akteninhalt des vorgelegten Verwaltungsaktes des BFA und des vorliegenden Gerichtsaktes des BVwG.

2.2. Der oben festgestellte Sachverhalt beruht auf den Ergebnissen des vom erkennenden Gericht auf Grund der gegenständlichen Aktenlage durchgeführten Ermittlungsverfahrens:

2.2.1. Soweit in der gegenständlichen Rechtssache Feststellungen zur Identität und Staatsangehörigkeit der BF getroffen wurden, beruhen diese auf dem diesbezüglich glaubhaften Akteninhalt.

2.2.2. Die Feststellungen zu ihrer von 22.07.2011 bis 26.04.2012 bestandenen Nebenwohnsitz- und seit 26.04.2012 bestehenden Hauptwohnsitzmeldung ergaben sich aus einem aktuellen Auszug aus dem Zentralen Melderegister.

Der Aufenthalt der BF im Bundesgebiet seit dem Jahr 2011 beruht auf dem diesbezüglich glaubhaften Beschwerdevorbringen.

2.2.3. Dass der BF nach Antrag auf Ausstellung eines Aufenthaltstitels mit dem Aufenthaltszweck "Anmeldebescheinigung (Arbeitnehmer)" am 28.08.2013 ein solcher erteilt wurde, beruht auf einem Auszug aus dem Zentralen Fremdenregister.

2.2.4. Die Feststellungen zur Erwerbstätigkeit der BF und ihrem zwischenzeitigen Bezug von bedarfsorientierter Mindestsicherung und Leistungen aus der Arbeitslosenversicherung beruhen auf einem aktuellen AJ WEB-Auskunftsverfahrensauszug.

Die weiteren Feststellungen zur in Österreich nachgegangenen Erwerbstätigkeit beruhen auf dem diesbezüglich glaubhaften Akteninhalt:

* Die unter den Feststellungen angeführte zwischen der BF und dem AMS im Jahr 2016 geschlossene Betreuungsvereinbarung befindet sich im vorliegenden Verwaltungsakt (AS 13), ebenso die schriftliche Einladung der BF zum Kurs "Neue Wege" am 07.11.2016 durch das AMS (AS 12).

* Die Feststellung zur Auflösung eines Arbeitsverhältnisses der BF noch während der Probezeit durch Dienstgeberkündigung ergab sich aus der nach Anfrage beim BVwG eingelangten diesbezüglichen Mitteilung des ehemaligen Dienstgebers der BF,

* die Feststellungen rund um ihre Arbeitslosenmeldung von 27.01.2015 bis 19.06.2018 und den der BF vom AMS übermittelten 17 Vermittlungsvorschlägen beruhen auf der nach Anfrage beim BVwG eingelangten diesbezüglichen Mitteilung.

* Die BF legte im Zuge der mündlichen Verhandlung am 19.06.2018, befragt danach, ob sie derzeit arbeite, einen Dienstvertrag einer Leiharbeitsfirma vor, in welchem Beschäftigungsbeginn mit 20.06.2018, eine 38,5 Stunden - Arbeitswoche und eine voraussichtliche Überlassungsdauer bis 30.04.2019 festgelegt wurde. Das Dienstverhältnis der BF beim Arbeitskräfteüberlasser wurde laut AJ WEB - Auskunftsverfahrensauszug jedoch bereits am 05.04.2019 beendet.

* Das letzte von 23.07.2019 bis 05.08.2019 im Bundesgebiet nachgegangene Beschäftigungsverhältnis der BF beruht auf einem AJ WEB-Auskunftsverfahrensauszug.

2.2.5. Die festgestellten familiären Verhältnisse der BF im Bundesgebiet beruhen auf ihren diesbezüglichen glaubhaften Angaben in der mündlichen Verhandlung am 19.06.2018 (VH-Niederschrift, S. 6) in Zusammenschau mit die BF und ihre in Österreich lebenden Verwandten betreffenden aktuellen Zentralmelderegisterauszügen.

2.2.6. Dass die BF im Bundesgebiet strafrechtlich unbescholten geblieben ist, konnte nach Einsichtnahme in das österreichische Strafregister festgestellt werden.

2.2.7. Ihre in Österreich angeeigneten Deutschkenntnisse konnte die BF mit einem in der mündlichen Verhandlung am 19.06.2018 vorgelegten Sprachzertifikat Deutsch A1 nachweisen.

3. Rechtliche Beurteilung:

Zu Spruchteil A):

3.1. Zu Spruchpunkt 1. des angefochtenen Bescheides (Ausweisung):

3.1.1. Der mit "Ausweisung" betitelte § 66 FPG idgF lautet:

"§ 66. (1) EWR-Bürger, Schweizer Bürger und begünstigte Drittstaatsangehörige können ausgewiesen werden, wenn ihnen aus den Gründen des § 55 Abs. 3 NAG das unionsrechtliche Aufenthaltsrecht nicht oder nicht mehr zukommt, es sei denn, sie sind zur Arbeitssuche eingereist und können nachweisen, dass sie weiterhin Arbeit suchen und begründete Aussicht haben, eingestellt zu werden; oder sie bereits das Daueraufenthaltsrecht (§§ 53a, 54a NAG) erworben haben; im letzteren Fall ist eine Ausweisung nur zulässig, wenn ihr Aufenthalt eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Ordnung oder Sicherheit darstellt.

(2) Soll ein EWR-Bürger, Schweizer Bürger oder begünstigter Drittstaatsangehöriger ausgewiesen werden, hat das Bundesamt insbesondere die Dauer des Aufenthalts im Bundesgebiet, sein Alter, seinen Gesundheitszustand, seine familiäre und wirtschaftliche Lage, seine soziale und kulturelle Integration im Bundesgebiet und das Ausmaß seiner Bindung zum Herkunftsstaat zu berücksichtigen.

(3) Die Erlassung einer Ausweisung gegen EWR-Bürger, Schweizer Bürger oder begünstigte Drittstaatsangehörige, die ihren Aufenthalt seit zehn Jahren im Bundesgebiet hatten, ist dann zulässig, wenn aufgrund des persönlichen Verhaltens des Fremden davon ausgegangen werden kann, dass die öffentliche Sicherheit der Republik Österreich durch seinen Verbleib im Bundesgebiet nachhaltig und maßgeblich gefährdet würde. Dasselbe gilt für Minderjährige, es sei denn, die Ausweisung wäre zum Wohl des Kindes notwendig, wie es im Übereinkommen der Vereinten Nationen vom 20. November 1989 über die Rechte des Kindes vorgesehen ist."

Unionsrechtliches Aufenthaltsrecht von EWR-Bürgern für mehr als drei Monate

"§ 51. (1) Auf Grund der Freizügigkeitsrichtlinie sind EWR-Bürger zum Aufenthalt für mehr als drei Monate berechtigt, wenn sie

1. in Österreich Arbeitnehmer oder Selbständige sind;

2. für sich und ihre Familienangehörigen über ausreichende Existenzmittel und einen umfassenden Krankenversicherungsschutz verfügen, so dass sie während ihres Aufenthalts weder Sozialhilfeleistungen noch die Ausgleichszulage in Anspruch nehmen müssen, oder

3. als Hauptzweck ihres Aufenthalts eine Ausbildung einschließlich einer Berufsausbildung bei einer öffentlichen Schule oder einer rechtlich anerkannten Privatschule oder Bildungseinrichtung absolvieren und die Voraussetzungen der Z 2 erfüllen

(...)."

"§ 53. (1) EWR-Bürger, denen das unionsrechtliche Aufenthaltsrecht zukommt (§§ 51 und 52), haben, wenn sie sich länger als drei Monate im Bundesgebiet aufhalten, dies binnen vier Monaten ab Einreise der Behörde anzuzeigen. Bei Vorliegen der Voraussetzungen (§§ 51 oder 52) ist von der Behörde auf Antrag eine Anmeldebescheinigung auszustellen.

(2) Zum Nachweis des unionsrechtlichen Aufenthaltsrechts sind ein gültiger Personalausweis oder Reisepass sowie folgende Nachweise vorzulegen:

1. nach § 51 Abs. 1 Z 1: eine Bestätigung des Arbeitgebers oder ein Nachweis der Selbständigkeit;

2. nach § 51 Abs. 1 Z 2: Nachweise über ausreichende Existenzmittel und einen umfassenden Krankenversicherungsschutz;

(..)."

Nichtbestehen, Fortbestand und Überprüfung des Aufenthaltsrechts für mehr als drei Monate

"§ 55. (1) EWR-Bürgern und ihren Angehörigen kommt das Aufenthaltsrecht gemäß §§ 51, 52, 53 und 54 zu, solange die dort genannten Voraussetzungen erfüllt sind.

(2) (...)

(3) Besteht das Aufenthaltsrecht gemäß §§ 51, 52 und 54 nicht, weil eine Gefährdung aus Gründen der öffentlichen Ordnung oder Sicherheit vorliegt, die Nachweise nach § 53 Abs. 2 oder § 54 Abs. 2 nicht erbracht werden oder die Voraussetzungen für dieses Aufenthaltsrecht nicht mehr vorliegen, hat die Behörde den Betroffenen hievon schriftlich in Kenntnis zu setzen und ihm mitzuteilen, dass das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl hinsichtlich einer möglichen Aufenthaltsbeendigung befasst wurde. Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl ist unverzüglich, spätestens jedoch gleichzeitig mit der Mitteilung an den Antragsteller, zu befassen. Dies gilt nicht in einem Fall gemäß § 54 Abs. 7. Während eines Verfahrens zur Aufenthaltsbeendigung ist der Ablauf der Frist gemäß § 8 VwGVG gehemmt.

(...).".

Der mit "Schutz des Privat- und Familienlebens" betitelte § 9 BFA-VG idgF lautet wie folgt:

"§ 9. (1) Wird durch eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG, eine Anordnung zur Außerlandesbringung gemäß § 61 FPG, eine Ausweisung gemäß § 66 FPG oder ein Aufenthaltsverbot gemäß § 67 FPG in das Privat- oder Familienleben des Fremden eingegriffen, so ist die Erlassung der Entscheidung zulässig, wenn dies zur Erreichung der im Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten Ziele dringend geboten ist.

(2) Bei der Beurteilung des Privat- und Familienlebens im Sinne des Art. 8 EMRK sind insbesondere zu berücksichtigen:

1. die Art und Dauer des bisherigen Aufenthaltes und die Frage, ob der bisherige Aufenthalt des Fremden rechtswidrig war,

2. das tatsächliche Bestehen eines Familienlebens,

3. die Schutzwürdigkeit des Privatlebens,

4. der Grad der Integration,

5. die Bindungen zum Heimatstaat des Fremden,

6. die strafgerichtliche Unbescholtenheit,

7. Verstöße gegen die öffentliche Ordnung, insbesondere im Bereich des Asyl-, Fremdenpolizei- und Einwanderungsrechts,

8. die Frage, ob das Privat- und Familienleben des Fremden in einem Zeitpunkt entstand, in dem sich die Beteiligten ihres unsicheren Aufenthaltsstatus bewusst waren,

9. die Frage, ob die Dauer des bisherigen Aufenthaltes des Fremden in den Behörden zurechenbaren überlangen Verzögerungen begründet ist.

(...)."

3.1.2. Fest steht, dass ein Mitgliedstaat gemäß Art. 7 der Richtlinie 2004/38 die Möglichkeit haben müsse, nicht erwerbstätigen Unionsbürgern, die von ihrer Freizügigkeit allein mit dem Ziel Gebrauch machten, in den Genuss der Sozialhilfe eines anderen Mitgliedstaats zu kommen, obwohl sie nicht über ausreichende Existenzmittel für die Beanspruchung eines Aufenthaltsrechts verfügten, Sozialleistungen zu versagen. Würde einem betroffenen Mitgliedstaat diese Möglichkeit genommen, hätte dies zur Folge, dass Personen, die bei ihrer Ankunft im Hoheitsgebiet eines anderen Mitgliedstaats nicht über ausreichende Existenzmittel verfügten, um für ihren Lebensunterhalt aufzukommen, automatisch in den Genuss solcher Mittel kämen, und zwar durch die Gewährung einer besonderen beitragsunabhängigen Geldleistung, deren Ziel darin bestehe, den Lebensunterhalt des Empfängers zu sichern (EuGH-Urteil Dano, Rz 78f).

Der EuGH führte im Urteil Dano (Rz 80 f) aus, dass bei der Beurteilung, ob ein Unionsbürger über ausreichende Existenzmittel verfüge, um ein Aufenthaltsrecht nach Art. 7 Abs. 1 lit. b der Unionsbürgerrichtlinie in Anspruch nehmen zu können, eine konkrete Prüfung der wirtschaftlichen Situation jedes Betroffenen vorzunehmen sei, wobei die beantragten Sozialleistungen nicht zu berücksichtigen seien. (VwGH 09.08.2016, Zl. Ro 2015/10/0050).

Fest steht des Weiteren, dass bereits das nachhaltige Bemühen um eine Arbeitsstelle, sofern dieses Bemühen objektiv nicht aussichtslos ist, ein unionsrechtliches Aufenthaltsrecht vermitteln kann (vgl. VwGH 26.1.2017, Ra 2016/21/0264, Rn. 9, mit dem Hinweis einerseits auf VwGH 26.2.2013, 2010/22/0104, in dem wiederum auf VwGH 23.2.2012, 2010/22/0011, Bezug genommen wird, und andererseits auf EuGH (Große Kammer) 15.9.2015, Alimanovic, C-67/14, Rn. 56). Dies wird auch in § 66 Abs. 1 FPG mit der in den ersten Satz aufgenommenen Einschränkung ("es sei denn, sie sind zur Arbeitssuche eingereist und können nachweisen, dass sie weiterhin Arbeit suchen und begründete Aussicht haben, eingestellt zu werden") Rechnung getragen. Angesichts dessen ist zu ermitteln, ob die Einreise (auch) mit dem Zweck erfolgte, Arbeit zu suchen, und ob danach ein solches "Bemühen" bis zur (erfolgreichen) Erlangung einer Arbeitsstelle, die eine vorangegangene Suche indiziert, gezeigt wurde. Ohne Klärung dieser entscheidungswesentlichen Tatsachen kann nicht beurteilt werden, ob in dieser ersten Phase das unionsrechtliche Aufenthaltsrecht zukam oder nicht.

3.1.3. Mit Spruchpunkt 1. des gegenständlich angefochtenen Bescheides vom 10.05.2017 wurde die BF gemäß § 66 Abs. 1 iVm § 55 Abs. 3 NAG aus dem österreichischen Bundesgebiet ausgewiesen.

3.1.4. Auf Grund des durchgeführten Ermittlungsverfahrens und des festgestellten Sachverhaltes ergibt sich Folgendes:

Im gegenständlichen Fall ist die BF im Jahr 2011 zwecks Arbeitsaufnahme im Bundesgebiet in Österreich eingereist, nachdem sie in ihrem Herkunftsstaat die Arbeit verloren hatte.

Die BF konnte nach ihrer Einreise auf dem österreichischen Arbeitsmarkt Fuß fassen und ging ab Juni 2011 - damit bereits vor ihrer Wohnsitzanmeldung am 22.07.2011 - ab welchem Zeitpunkt die BF durchgehend im Bundesgebiet mit Wohnsitz gemeldet ist, bereits ihrer ersten Beschäftigung im Bundesgebiet nach. Die BF war im Zeitraum von Juni 2011 bis Juni 2013 bei ihrem ersten Dienstgeber im Bundesgebiet beschäftigt und ging bereits während diesen einzelnen nur kurzzeitigen Beschäftigungsverhältnissen bei einem zweiten Dienstgeber von 20.04.2012 bis 21.08.2012 einer Beschäftigung nach. Die BF bezog dann an einzelnen Tagen von 06.03.2014 bis 20.03.2014, am 02.07.2015, 22.10.2015 und von 22.12.2015 bis 27.12.2015 bedarfsorientierte Mindestsicherung und war nachweislich von 27.01.2015 bis 19.06.2018 arbeitslos gemeldet, wobei ihr 17 Vermittlungsvorschläge ausgefolgt bzw. übermittelt wurden, wobei seitens des AMS angemerkt wurde, die Anzahl der Vermittlungsversuche sage nichts über die Arbeitswilligkeit der BF aus, insbesondere nichts darüber, warum eine Beschäftigung nicht zustande gekommen sei, beruhe doch das Zustandekommen eines Beschäftigungsverhältnisses auf eine private Vereinbarung zwischen Dienstnehmer und Dienstgeber und sei das AMS daran nur vermittelnd beteiligt und der Wille des Dienstgebers für die Arbeitsaufnahme allein ausschlaggebend sei.

Am 19.10.2016 wurde zwischen dem AMS und der BF auch eine bis 18.04.2017 verbindliche Betreuungsvereinbarung geschlossen, woraufhin die BF bei der Suche nach einer Voll- oder Teilzeitbeschäftigung vom AMS in Wien und angrenzenden Bezirken unterstützt wurde. Es folgten weitere Beschäftigungen, darunter ein vom Dienstgeber bereits während Probezeit aufgekündigtes Dienstverhältnis und eine weiteres, im Zuge dessen die BF von 20.08.2018 bis 05.04.2019 zur Beschäftigung an eine bestimmte Firma überlassen wurde.

Auf die Einreise der BF folgten jedenfalls gleich einige Beschäftigungen hintereinander. Auch während ihrer Arbeitssuche von 27.01.2015 bis 19.06.2018, während welcher Zeit ihr 17 Vermittlungsvorschläge ausgefolgt bzw. übermittelt wurden und die BF mit dem AMS eine Betreuungsvereinbarung hatte, konnte die BF einige Beschäftigungen aufnehmen. Ihr stetes Bemühen um Arbeit und damit ihre Arbeitswilligkeit war aus der Aktenlage jedenfalls offenkundig, auch aus ihrem erst kürzlich wenn auch nur kurzzeitigen Beschäftigungsverhältnis von 23.07.2019 bis 05.08.2019, weshalb der BF auch die Inanspruchnahme von bedarfsorientierter Mindestsicherung an einzelnen Tagen, und auch die Tatsache, dass einzelne Vermittlungsvorschläge durch das AMS nicht zum erwünschten Erfolg führten, nicht vorgeworfen werden kann.

Gemäß § 53a Abs. 1 NAG erwerben EWR-Bürger, denen das unionsrechtliche Aufenthaltsrecht zukommt (§§ 51 und 52 NAG), unabhängig vom weiteren Vorliegen der Voraussetzungen gemäß §§ 51 oder 52 NAG nach fünf Jahren rechtmäßigem und ununterbrochenem Aufenthalt im Bundesgebiet das Recht auf Daueraufenthalt. Ihnen ist auf Antrag nach Überprüfung der Aufenthaltsdauer unverzüglich eine Bescheinigung ihres Daueraufenthaltes auszustellen.

Gemäß § 53a Abs. 2 Z. 1 wird die Kontinuität des Aufenthalts im Bundesgebiet nicht unterbrochen von Abwesenheiten von bis zu insgesamt sechs Monaten im Jahr.

Fest steht, dass die BF am 28.08.2013 eine "Anmeldebescheinigung (Arbeitnehmer)" erhalten konnte und sich demnach seither wegen festgestellter Voraussetzungen für ein Aufenthaltsrecht im Bundesgebiet jedenfalls rechtmäßig im Bundesgebiet aufhält. Ihr rechtmäßiger Aufenthalt beträgt nunmehr jedenfalls mehr als fünf Jahre, weshalb der BF ein Daueraufenthaltsrecht nach § 53a NAG zukommt.

3.2. Es war der gegenständlichen Beschwerde daher stattzugeben und die vom BFA ausgesprochene Ausweisung aufzuheben, zumal laut Aktenlage von der BF offenkundig auch keine einer Ausweisung entgegenstehende "schwerwiegende Gefahr" ausgeht VwGH 13.12.2012, Zl. 2012/21/0181).

Zu Spruchteil B): Unzulässigkeit der Revision:

Gemäß § 25a Abs. 1 des Verwaltungsgerichtshofgesetzes 1985 (VwGG), BGBl. Nr. 10/1985 idgF, hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Die Revision gegen die gegenständliche Entscheidung ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzlichen Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor. Konkrete Rechtsfragen grundsätzlicher Bedeutung sind weder in der gegenständlichen Beschwerde vorgebracht worden noch im Verfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht hervorgekommen.

Die oben in der rechtlichen Beurteilung angeführte Judikatur des VwGH ist zwar zu früheren Rechtslagen ergangen, sie ist jedoch nach Ansicht des erkennenden Gerichts auf die inhaltlich meist völlig gleichlautenden Bestimmungen der nunmehr geltenden Rechtslage unverändert übertragbar.

Schlagworte

Behebung der Entscheidung, Voraussetzungen, Wegfall der Gründe

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2019:G313.2159243.1.00

Zuletzt aktualisiert am

30.01.2020
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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