TE Bvwg Erkenntnis 2019/10/11 G306 2222078-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 11.10.2019
beobachten
merken

Entscheidungsdatum

11.10.2019

Norm

BFA-VG §22a Abs4
B-VG Art. 133 Abs4
FPG §76 Abs2 Z2
VwGVG §35

Spruch

G306 2222078-1/8E

SCHRIFTLICHE AUSFERTIGUNG DES AM 12.08.2019 MÜNDLICH VERKÜNDETEN

ERKENNTNIS:

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Mag. Dietmar MAURER als Einzelrichter über die Beschwerde des XXXX, geb. XXXX, StA.: Afghanistan, vertreten durch den Verein Menschenrechte Österreich, gegen den Schubhaftbescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom XXXX.2019, Zl. XXXX, und gegen die Anhaltung in Schubhaft, zu Recht erkannt:

A)

I. Der Beschwerde hinsichtlich des angefochtenen Schubhaftbescheides wird stattgegeben und dieser für rechtswidrig erklärt.

II. Der Beschwerde hinsichtlich der Anhaltung in Schubhaft wird insoweit stattgegeben, als die Anhaltung von XXXX.2019, 14:30 Uhr, bis zum Zeitpunkt der gegenständlichen Entscheidung am XXXX.2019 für rechtswidrig erklärt wird.

III. Es wird festgestellt, dass zum Zeitpunkt der Entscheidung die für die Fortsetzung der Schubhaft maßgeblichen Voraussetzungen vorliegen.

IV. Die Anträge der beschwerdeführenden Partei und des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl jeweils auf Ersatz der Aufwendungen werden gemäß § 35 VwGVG abgewiesen.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang:

Mit dem oben im Spruch angeführten Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl (BFA), Regionaldirektion Steiermark, vom Beschwerdeführer (BF) persönlich übernommen (kein Zeitpunkt im Akt ersichtlich), wurde über den BF gemäß § 76 Abs. 2 Z 2 FPG die Schubhaft zum Zweck der Sicherung der Abschiebung angeordnet.

Mit dem am 06.08.2018 beim Bundesverwaltungsgericht (BVwG) mittels Tele Fax eingebrachten mit selbigen Datum datierten Schriftsatz, erhob der BF, durch seinen bevollmächtigten Rechtsvertreter, Beschwerde gegen den im Spruch angeführten Schubhaftbescheid und die seither andauernde Anhaltung in Schubhaft.

In der Beschwerde wurde beantragt, das BVwG möge eine mündliche Verhandlung durchführen; den bekämpften Bescheid beheben und aussprechen, dass die Anordnung der Schubhaft und die bisherige Anhaltung in rechtswidriger Weise erfolgten; aussprechen, dass die Voraussetzungen zur weiteren Anhaltung des BF nicht vorliegen sowie der belangten Behörde den Ersatz der Aufwendungen auferlegen.

Auf Grund der entsprechenden Verfügung des BVwG zur Aktenvorlage wurden vom BFA, RD Steiermark, am 07.08.2019 der Bezug habende Verwaltungsakt und eine mit selbigen Tag datierte Stellungnahme zur gegenständlichen Schubhaftbeschwerde dem BVwG elektronisch übermittelt.

Abschließend wurde vom BFA beantragt, die Beschwerde als unbegründet abzuweisen, gemäß § 22a BFA-VG festzustellen, dass zum Zeitpunkt der Entscheidung die für die Fortsetzung der Schubhaft maßgeblichen Voraussetzungen vorliegen, sowie die beschwerdeführende Partei zum Ersatz der näher angeführten Kosten zu verpflichten.

Das BVwG führte in der gegenständlichen Rechtssache am 12.08.2019 in der Außenstelle Graz eine öffentliche mündliche Verhandlung durch (OZ 5Z), an der der BF nach polizeilicher Vorführung aus dem XXXX sowie dessen ausgewiesener Rechtsvertreter sowie Vertreter der belangten Behörde, teilnahm.

Nach Schluss der Verhandlung, wurde das gegenständliche Erkenntnis, mündlich verkündet.

Per Fax langte am 13.08.2019 vom BFA am BVwG der Antrag auf schriftliche Ausfertigung des mündlich verkündeten Erkenntnisses ein.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

Feststellungen:

Der BF führt die im Spruch angeführte Identität (Namen und Geburtsdatum) und behauptet, Staatsangehöriger von Afghanistan zu sein. Der BF besitzt nicht die österreichische Staatsbürgerschaft und ist somit Fremder im Sinne des § 2 Abs. 4 Z 1 FPG.

Der BF verfügt über keine Dokumente und über keine Berechtigung zur Einreise in das österreichische Bundesgebiet und zum Aufenthalt in diesem.

Der BF reiste spätestens am 31.10.2015 illegal in das österreichische Bundesgebiet ein. Im Anschluss daran stellte der BF einen Antrag auf internationalen Schutz. Mit Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl (BFA) vom 2.11.2017, Z. XXXX wurde der Antrag hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberichtigten abgewiesen. Der Antrag hinsichtlich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf das Herkunftsland Afghanistan abgewiesen. Es wurde kein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen erteilt. Es wurde gleichzeitig eine Rückkehrentscheidung erlassen und festgestellt, dass die Abschiebung nach Afghanistan zulässig ist. Für die freiwillige Ausreise wurde eine Frist von 14 Tagen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung, festgelegt. Gegen diese Entscheidung erhob der BF fristgerecht die Beschwerde an das BVwG. Mit Erkenntnis des BVwG vom 08.07.2019, Zl. W2 160 2177163 - 1/19E wurde die Beschwerde als unbegründet abgewiesen. Diese Entscheidung wurde dem ausgewiesenen Rechtsvertreter am 11.07.2019 zugestellt. Bereits 13 Tage später, also am XXXX.2019 wurden über Auftrag des BFA, Wohnsitzerhebungen durch die Polizei durchgeführt. Im Zuge dieser Erhebungen wurde festgestellt, dass der BF noch keine Schritte unternommen hatte, um seiner Ausreiseverpflichtung nachzukommen. Dies wurde dem BFA mitgeteilt. Aufgrund eines vorhandenen Festnahmeauftrag des BFA, wurde der BF von der Polizei festgenommen und dem BFA vorgeführt.

In Folge wurde der BF vom BFA niederschriftlich einvernommen. Am 25.07.2019 (14 Tage nach Zustellung des Erkenntnisses des BVwG und damit am 14 Tag für die Frist der freiwilligen Ausreise) wurde der gegenständliche Schubhaftbescheid erlassen. Begründet wurde dies mit dem bisherigen Verhalten des BF. Der BF sei verpflichtet gewesen Österreich zu verlassen. Er sei nicht ausreisewillig, er habe nach rechtskräftiger negativer Entscheidung über den Antrag auf internationalen Schutz und die darin für die freiwillige Ausreise festgelegte Frist, nicht eingehalten. Er habe keine Schritte unternommen um dieser Ausreise nachzukommen. Im Gegenteil er habe ausdrücklich erklärt und dies mehrmals, Österreich nicht freiwillig zu verlassen.

In der nunmehrigen Stellungnahme des BFA (Vorlage zur Schubhaftbeschwerde) führt diese aus, dass der BF der freiwilligen Ausreise aus Österreich nicht nachgekommen sei. Die Frist zur freiwilligen Ausreise habe am 11.7.2019 begonnen und am 25.07.2019 geendet. Am 22.7.2019 sei seitens des BFA das Ersuchen an die Polizeiinspektion XXXX ergangenen, am Wohnsitz des BF, Überprüfung durchzuführen. Im Zuge dieser Überprüfung sollte auch die Kartenabnahme der Aufenthaltsberechtigungskarte sowie die Durchführungen von Ermittlungen hinsichtlich getroffener Ausreisevorbereitungen, stattfinden. Im Zuge dieser Erhebungen sei dann von der Polizei festgestellt worden, dass der BF noch keinerlei Schritte unternommen habe, um seiner Ausreiseverpflichtung aus dem Bundesgebiet nachzukommen.

Die belangte Behörde verweist in ihrer Stellungnahme ausdrücklich darauf, dass es sich beim Erhebungsersuchen lediglich um die Feststellung der bereits getroffenen Ausreisevorbereitungen bzw. um die Abnahme der Aufenthaltsberechtigungskarte gehandelt habe. Sie bestreitet, dass es bereits zu diesem Zeitpunkt einen Festnahmeauftrag für den BF gegeben hätte. Diese Ausführungen widersprechen jedoch den Akteninhalt. Auf Seite 55 des gegenständlichen Verwaltungsaktes befindet sich der vom BFA ausgestellte Festnahmeauftrag datiert mit XXXX.2019. Auf Seite 67 des gegenständlichen Aktes, befindet sich der Bericht der Polizeiinspektion XXXX. Auch hier wird im Betreff ausdrücklich angeführt, dass der BF aufgrund vorliegenden Festnahmeauftrages des BFA, festgenommen worden wäre.

Fakt ist, dass der BF bereits am 24.7.2019, um 13:40 Uhr (also am 13 Tag seiner Frist zu freiwilligen Ausreise) am Bundesamt Außenstelle XXXX niederschriftlich einvernommen wurde. Auffällig ist bei dieser Befragung, dass die Fragestellung explizit darauf abzielte, dass der BF angeben sollte, sich einer bevorstehenden Außerlandesbringung widersetzen zu wollen bzw. dieses Vorhaben durch untertauchen unmöglich zu machen. Zum Beispiel lautete eine Frage: "Im Falle, die Polizei würde sie zu Hause zum Zweck der Abschiebung abholen und nach Wien bringen wollen, würden sie mit der Polizei mitfahren oder würden sie sich weigern oder davonlaufen? Der BF antwortete: "ich kann nichts gegen die Polizei unternehmen, Gesetz ist Gesetz. Ich möchte in Österreich bleiben, freiwillig werde ich das Land nicht verlassen". Eine weitere Frage lautete: "Würden sie bei einer eventuellen Abschiebung aggressiv werden, würden sie sich wehren?

Der BF antwortete: "ich würde alles versuchen damit ich hierbleiben kann. Ich akzeptiere das österreichische Gesetz, möchte hierbleiben aber ich werde nicht aggressiv werden."

Zu diesem Zeitpunkt war der BF aufrecht in XXXX mittels Hauptwohnsitz gemeldet. Aus dem gesamten Akteninhalt geht nicht hervor, dass sich der BF jemals dem Asylverfahren bzw. den Organen des BFA entzogen hätte. Es ist auch nicht nachvollziehbar, dass die belangte Behörde am 13. Tag nach Zustellung des abweisenden Erkenntnisses des BVwG, bereits einen Auftrag zur Wohnsitzüberprüfung des BF erteilte. Der BF beteuerte, dass er bisher noch nicht von seiner ausgewiesenen Vertretung vom negativen Erkenntnis des BVwG verständigt wurde. Auch diesbezüglich führte die belangte Behörde keine Erhebungen durch. Auch ist es unverständlich, dass die belangte Behörde dem BF (bereits 13 Tage nach Zustellung des negativen Erkenntnisses des BVwG an den ausgewiesenen Vertreter) zum Vorhalt machte, dass dieser das Bundesgebiet noch nicht freiwillig verlassen habe. Die belangte Behörde musste ja in Kenntnis sein, dass die freiwillige Ausreise des BF, da er ja keinen Reisepass besaß und in dieser kurzen Zeit auch kein HRZ erlangen konnte, noch gar nicht möglich sein konnte.

Auch in der mündlichen Verhandlung führte der BF aus, dass er nicht nach Afghanistan zurückkehren könnte. Er vermeinte auch die negative Entscheidung von seinem Rechtsvertreter nicht erhalten zu haben.

Der BF verfügt in Österreich weder über familiäre, berufliche sowie soziale Anknüpfungspunkte. Der BF verfügt über keine ausreichenden Existenzmittel zur Sicherung seines Lebensunterhaltes. Der BF stellte im Bundesgebiet einmal einen Antrag auf internationalen Schutz welcher negativ beschieden wurde.

2. Beweiswürdigung:

Der oben angeführte Verfahrensgang ergibt sich aus dem unzweifelhaften und unbestrittenen Akteninhalt der vorgelegten Verwaltungsakten des BFA und des vorliegenden Gerichtsaktes des BVwG.

Die oben getroffenen Feststellungen beruhen auf den Ergebnissen des vom erkennenden Gericht auf Grund der vorliegenden Akten durchgeführten Ermittlungsverfahrens sowie der durchgeführten mündlichen Verhandlung und werden in freier Beweiswürdigung der gegenständlichen Entscheidung als maßgeblicher Sachverhalt zugrunde gelegt.

Die im Spruch angeführte Identität (Namen und Geburtsdatum) und die Staatsangehörigkeit des BF beruhen auf den vom BFA im angefochtenen Bescheid getroffenen Feststellungen, denen in der mündlichen Verhandlung nicht entgegengetreten wurde. Diese Feststellungen gelten ausschließlich für die Identifizierung der Person im gegenständlichen Verfahren.

Die weiteren Feststellungen ergeben sich aus dem unzweifelhaften und unbestritten gebliebenen Akteinhalt. Der BF ist auch in seiner Beschwerde sowie in der mündlichen Verhandlung den dargelegten Feststellungen des BFA nicht entgegengetreten.

Auf Grund des bisherigen Gesamtverhaltens konnte nicht festgestellt werden, dass der BF sich jemals einem behördlichen bzw. gerichtlichen Verfahren entzogen hätte. Dass der BF zur mündlichen Verhandlung beim BVwG nicht erschien, kann nicht als "untertauchen" bewertete werden. Wurde der BF doch in der Verhandlung durch seine Rechtsvertretung vertreten und war sein Erscheinen nicht verpflichtend angeordnet.

Rechtliche Beurteilung:

Gemäß § 76 Abs. 2 Ziffer 2 FPG ist die Schubhaft zum Zwecke der Sicherung des Verfahrens zur Erlassung einer Rückkehrentscheidung, zur Erlassung einer Anordnung zur Außerlandesbringung oder zur Sicherung der Abschiebung zu verhängen.

Gemäß § 22a Abs. 1 BFA-VG hat der Fremde das Recht, das Bundesverwaltungsgericht mit der Behauptung der Rechtswidrigkeit des Schubhaftbescheides, der Festnahme oder der Anhaltung anzurufen, wenn er nach diesem Bundesgesetz festgenommen worden ist (Z 1), er unter Berufung auf dieses Bundesgesetz angehalten wird oder wurde (Z 2), oder gegen ihn Schubhaft gemäß dem 8. Hauptstück des FPG angeordnet wurde (Z 3).

Gemäß § 76 FPG können Fremde festgenommen und angehalten werden (Schubhaft), sofern der Zweck der Schubhaft nicht durch ein gelinderes Mittel (§ 77 leg. cit.) erreicht werden kann. Die Schubhaft darf nur dann angeordnet werden, wenn 1. dies zur Sicherung des Verfahrens zur Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme, zur Sicherung des Verfahrens über einen Antrag auf internationalen Schutz im Hinblick auf die Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme oder der Abschiebung notwendig ist und sofern jeweils Fluchtgefahr vorliegt und die Schubhaft verhältnismäßig ist, oder 2. die Voraussetzungen des Art. 28 Abs. 1 und 2 Dublin-Verordnung vorliegen. Eine Fluchtgefahr im Sinne des Abs. 2 Z 1 oder im Sinne des Art. 2 lit. n Dublin-Verordnung liegt vor, wenn bestimmte Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass sich der Fremde dem Verfahren oder der Abschiebung entziehen wird oder dass der Fremde die Abschiebung wesentlich erschweren wird.

§ 80. (1) Das Bundesamt ist verpflichtet, darauf hinzuwirken, dass die Schubhaft so kurz wie möglich dauert. Die Schubhaft darf so lange aufrechterhalten werden, bis der Grund für ihre Anordnung weggefallen ist oder ihr Ziel nicht mehr erreicht werden kann.

Da die Verhängung von Schubhaft nach ständiger Rechtsprechung des VwGH nur "ultima ratio" sein kann, ist die Behörde für den Fall der beabsichtigten Abschiebung eines Fremden angehalten, ihre Vorgangsweise nach Möglichkeit so einzurichten, dass Schubhaft überhaupt unterbleiben kann (vgl. VwGH 15.10.2015, Ro 2015/21/0026 mit Verweis auf E vom 25.04.2014, 2013/21/0209).

Ein Sicherungsbedarf ist in der Regel dann gegeben, wenn bestimmte Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass sich der Fremde dem Verfahren oder der Abschiebung entziehen oder diese zumindest wesentlich erschweren werde (§ 76 Abs. 3 FPG). Es ist allerdings nicht erforderlich, dass ein Verfahren zur Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme bereits eingeleitet worden ist (VwGH 28.06.2002, Zl. 2002/02/0138).

Die fehlende Ausreisewilligkeit des Fremden, d.h. das bloße Unterbleiben der Ausreise, obwohl keine Berechtigung zum Aufenthalt besteht, vermag für sich genommen die Verhängung der Schubhaft nicht zu rechtfertigen. Vielmehr muss der - aktuelle - Sicherungsbedarf in weiteren Umständen begründet sein, etwa in mangelnder sozialer Verankerung in Österreich. Dafür kommt insbesondere das Fehlen ausreichender familiärer, sozialer oder beruflicher Anknüpfungspunkte im Bundesgebiet in Betracht, was die Befürchtung, es bestehe das Risiko des Untertauchens eines Fremden, rechtfertigen kann. Abgesehen von der damit angesprochenen Integration des Fremden in Österreich ist bei der Prüfung des Sicherungsbedarfes auch sein bisheriges Verhalten in Betracht zu ziehen, wobei frühere Delinquenz das Gewicht des öffentlichen Interesses an einer baldigen Durchsetzung einer Abschiebung maßgeblich vergrößern kann (VwGH 21.12.2010, Zl. 2007/21/0498; weiters VwGH 08.09.2005, Zl. 2005/21/0301; 23.09.2010, Zl. 2009/21/0280).

Die Anhaltung eines Asylwerbers in Schubhaft kann nur dann gerechtfertigt sein, wenn besondere Umstände vorliegen, die im jeweiligen Asylverfahrensstadium ein Untertauchen des betreffenden Fremden befürchten lassen (vgl. VwGH 05.07.2011,

Zl. 2008/21/0080 mwN). Dabei bedarf es in dem frühen Verfahrensstadium (etwa vor Einleitung des Verfahrens zur Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme) besonderer Umstände, die ein Untertauchen des betreffenden Fremden schon zu diesem Zeitpunkt konkret befürchten lassen. In einem späteren Stadium des Asylverfahrens, insbesondere nach Vorliegen einer durchsetzbaren Rückkehrentscheidung oder Anordnung zur Außerlandesbringung, können dann unter Umständen auch weniger ausgeprägte Hinweise auf eine Vereitelung oder Erschwerung der Aufenthaltsbeendigung für die Annahme eines Sicherungsbedarfs genügen (vgl. VwGH 23.09.2010, Zl. 2007/21/0432 mwN).

Auf Grund des durchgeführten Ermittlungsverfahrens und des festgestellten Sachverhaltes ergibt sich:

Die belangte Behörde hat den vorliegenden Schubhaftbescheid auf § 76 Abs. 2 Z 2 FPG gestützt und zum Zweck der Sicherung der Abschiebung erlassen.

Wie die belangte Behörde im angefochtenen Bescheid zutreffend aufgezeigt hat, kann der BF keinen gültigen Aufenthaltstitel vorweisen. Es ist jedoch nicht nachvollziehbar, wie die belangte Behörde zu ihrem Ergebnis kam, dass der BF nicht vertrauenswürdig sei. Dass der BF nicht innerhalb seiner 14 tägigen Frist zu freiwilligen Ausreise nachgekommen ist, wird ihm auch nicht unweigerlich zu Vorhalt gemacht werden können, da er erstens, zum Zeitpunkt seiner Festnahme, diese Frist noch gar nicht abgelaufen war und zweitens, die belangte Behörde nicht überprüfte, ob der BF tatsächlich davon bereits Kenntnis hatte sowie drittens, musste die belangte Behörde davon ausgehen, dass der BF in so einem kurzen Zeitraum gar kein HRZ hätte erlangen können.

Des Weiteren hielt sich der BF bereits seit dem Jahr 2015 im Bundesgebiet auf. Es ist nicht ersichtlich, dass sich der BF seither jemals einem Verfahren entzogen hätte bzw. versucht hätte, in ein anderes Land weiterzureisen. Zum Zeitpunkt der Fest.- und Inschubhaftnahme, war der BF mittels Hauptwohnsitz im Bundesgebiet gemeldet.

Der oben angeführten Rechtsprechung des VwGH folgend können insbesondere nach Vorliegen einer durchsetzbaren Anordnung zur Außerlandesbringung unter Umständen auch weniger ausgeprägte Hinweise auf eine Vereitelung oder Erschwerung der Aufenthaltsbeendigung für die Annahme eines Sicherungsbedarfs genügen.

Der BF verfügt zwar in Österreich über keine familiäre Anbindung. Der BF verfügt im Bundesgebiet über keine sozialen oder beruflichen Kontakte. Der BF hat nicht ausreichende Mittel für seinen Aufenthalt. Jedoch hat der BF bis zur gegenständlichen Festnahme und Inhaftierung keinerlei Anstalten gemacht, aus deren ersichtlich wäre, dass er versuche unterzutauchen. Ganz im Gegenteil vermeinte der BF gegen die negative Entscheidung des BVwG rechtlich vorgehen zu wollen.

Es kann daher der belangten Behörde unter Berücksichtigung des bisherigen Verhaltens des BF nicht zugestimmt werden, wenn sie bei ihrer Entscheidung zur Anordnung der Schubhaft und dem dafür erforderlichen Sicherungsbedarf davon ausging, dass keinerlei Hinweise ersichtlich wären, die eine eventuelle Fluchtgefahr ausschließen würden. In diesem Zusammenhang ist auch noch anzuführen, dass sich die belangte Behörde in ihrem bekämpften Bescheid selbst wiederspricht, wenn sie anführt, dass der BF seiner freiwilligen Ausreise innerhalb offener Frist nicht nachgekommen sei, jedoch im selben Moment ausführt, dass der BF aus eigenem Entschluss Österreich nicht freiwillig verlassen könne.

Insoweit die belangte Behörde in ihrer Würdigung auch davon ausging, dass ein konkreter Sicherungsbedarf für die Durchführung einer Abschiebung sowie die Erforderlichkeit der Schubhaft als einzige geeignete Sicherungsmaßnahme gegenüber der Anordnung eines gelinderen Mittels nach § 77 FPG und auch die Verhältnismäßigkeit der Schubhaft gegeben waren, begegnet dies insofern Bedenken, als sich der BF dem bisherigen Verfahren, bis zu Erlassung des Festnahmeauftrages und Inschubhaftnahme, zu keiner Zeit dem Verfahren entzogen hatte. Die belangte Behörde hätte ausführlicher prüfen müssen, ob nicht mit gelinderen Mittel das Auslangen gefunden hätte werden können.

Eine Gesamtabwägung aller angeführten Umstände ergibt daher, dass das öffentliche Interesse an der Sicherung der aufenthaltsbeendenden Maßnahmen und der Abschiebung das Interesse an der Schonung der persönlichen Freiheit nicht überwiegt und ein konkretes Sicherungsbedürfnis nicht bestanden hat.

Aufgrund dessen war der Beschwerde in diesem Bereich Recht zu geben und war der angefochtene Schubhaftbescheid für rechtswidrig zu erklären. Ergo dessen war natürlich auch die Anhaltung bis zum Zeitpunkt der gegenständlichen Entscheidung für rechtswidrig zu erklären.

Vorliegen der maßgeblichen Voraussetzungen für die Fortsetzung der Schubhaft (Spruchpunkt A.II.):

Zum Zeitpunkt dieser Entscheidung bei der Beurteilung eines konkreten Sicherungsbedarfs infolge Fluchtgefahr war folgendes ausschlaggebend zu berücksichtigen. 1.) der nunmehr weit fortgeschrittene Stand des Verfahrens. Die belangte Behörde leitete am 24.07.2019 die Beschaffung eines HRZ¿s ein. Am 30.07.2019 wurde von der afghanischen Botschaft die Ausstellung eines EU-LP ab 15.08.2019 zugesichert. Die Abschiebung des BF ist für den XXXX.2019, um 23:20 Uhr mittels Charterflug geplant, fixiert und bestätigt. Dies wurde dem BF in der mündlichen Verhandlung auch mitgeteilt. Dieser gab daraufhin an, dass er auf gar keinen Fall freiwillig nach Afghanistan ausreise werde. Zum Entscheidungszeitpunkt wurde dem BF auch mitgeteilt, dass die Entscheidung im Falle seiner Asylantragstellung auch bereits am 08.07.2019 rechtskräftig geworden sei. Dem BF wurde zu diesem Zeitpunkt klar, dass seine Abschiebung unmittelbar bevorsteht, er diese auf legalem Wege nicht mehr wird verhindern können. Das erkennende Gericht konnte sich auch in der mündlichen Verhandlung selbst ein Bild vom BF machen. Er schien entschlossen alles zu unternehmen um seine Außerlandesbringung - die in wenigen Tagen stattfinden wird - zu verhindern.

Unter Berücksichtigung der Umstände, dass dem BF bewusst ist, dass er nun endgültig nach Afghanistan rücküberstellt wird, ist von einem verstärkten Sicherungsbedarf auszugehen. Der BF war in der mündlichen Verhandlung absolut unglaubwürdig, was sein zukünftiges Vorhaben anbelangt.

Aus den eben dargelegten Umständen ist aktuell von einer erheblichen Fluchtgefahr auszugehen.

Die Anordnung eines gelinderen Mittels gemäß § 77 FPG - erweist sich im Hinblick auf die zeitnahe Abschiebung und der daraus ergebenden erheblichen Fluchtgefahr als nicht geeignet, um den erforderlichen Sicherungszweck (zeitnahe Durchführbarkeit der aufenthaltsbeendenden Maßnahme) zu erreichen.

Eine auf den vorliegenden Einzelfall bezogene Gesamtabwägung zwischen dem öffentlichen Interesse an der Sicherung der Abschiebung einerseits und der Schonung der persönlichen Freiheit andererseits ergibt somit, dass das erwähnte öffentliche Interesse überwiegt, weil ohne Anordnung der Schubhaft die Durchführung der Abschiebung wahrscheinlich vereitelt oder wesentlich erschwert werden würde.

Dass besondere, in der Person des BF gelegene Umstände vorliegen, die der Schubhaft entgegenstehen würden, ist in der mündlichen Verhandlung nicht hervorgekommen.

Die nunmehrige (fortgesetzte) Anhaltung in Schubhaft erweist sich daher zum Zweck der Sicherung der Abschiebung als notwendig und verhältnismäßig.

Es war daher gemäß § 22a Abs. 3 BFA-VG festzustellen, dass zum Zeitpunkt dieser Entscheidung die für die Fortsetzung der Schubhaft maßgeblichen Voraussetzungen vorliegen.

Zum Ausspruch über den Ersatz der Aufwendungen (Spruchpunkt A.IV.):

Gemäß § 22a Abs. 1a BFA-VG gelten für Beschwerden gemäß § 22a Abs. 1 BFA-VG die für Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 2 B-VG anwendbaren Bestimmungen des VwGVG mit der Maßgabe sinngemäß, dass belangte Behörde jene Behörde ist, die den angefochtenen Schubhaftbescheid erlassen hat oder der die Festnahme oder die Anhaltung zuzurechnen ist.

Der mit "Kosten" betitelte § 35 VwGVG lautet:

"§ 35. (1) Die im Verfahren über Beschwerden wegen Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt (Art. 130 Abs. 1 Z 2 B-VG) obsiegende Partei hat Anspruch auf Ersatz ihrer Aufwendungen durch die unterlegene Partei.

(2) Wenn die angefochtene Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt für rechtswidrig erklärt wird, dann ist der Beschwerdeführer die obsiegende und die Behörde die unterlegene Partei.

(3) Wenn die Beschwerde zurückgewiesen oder abgewiesen wird oder vom Beschwerdeführer vor der Entscheidung durch das Verwaltungsgericht zurückgezogen wird, dann ist die Behörde die obsiegende und der Beschwerdeführer die unterlegene Partei.

(4) Als Aufwendungen gemäß Abs. 1 gelten:

1. die Kommissionsgebühren sowie die Barauslagen, für die der Beschwerdeführer aufzukommen hat,

2. die Fahrtkosten, die mit der Wahrnehmung seiner Parteirechte in Verhandlungen vor dem Verwaltungsgericht verbunden waren, sowie

3. die durch Verordnung des Bundeskanzlers festzusetzenden Pauschalbeträge für den Schriftsatz-, den Verhandlungs- und den Vorlageaufwand.

(5) Die Höhe des Schriftsatz- und des Verhandlungsaufwands hat den durchschnittlichen Kosten der Vertretung bzw. der Einbringung des Schriftsatzes durch einen Rechtsanwalt zu entsprechen. Für den Ersatz der den Behörden erwachsenden Kosten ist ein Pauschalbetrag festzusetzen, der dem durchschnittlichen Vorlage-, Schriftsatz- und Verhandlungsaufwand der Behörden entspricht.

(6) Die §§ 52 bis 54 VwGG sind auf den Anspruch auf Aufwandersatz gemäß Abs. 1 sinngemäß anzuwenden.

(7) Aufwandersatz ist auf Antrag der Partei zu leisten. Der Antrag kann bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung gestellt werden."

Die Höhe der im Verfahren vor den Verwaltungsgerichten über Beschwerden wegen Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 2 B-VG und Beschwerden wegen Rechtswidrigkeit eines Verhaltens einer Behörde in Vollziehung der Gesetze gemäß Art. 130 Abs. 2 Z 1 B-VG als Aufwandersatz zu leistenden Pauschalbeträge wird in § 1 der VwG-Aufwandersatzverordnung (VwG-AufwErsV), BGBl. II Nr. 517/2013, wie folgt festgesetzt:

"1. Ersatz des Schriftsatzaufwands des Beschwerdeführers als obsiegende Partei 737,60 Euro

2. Ersatz des Verhandlungsaufwands des Beschwerdeführers als obsiegende Partei 922,00 Euro

3. Ersatz des Vorlageaufwands der belangten Behörde als obsiegende Partei 57,40 Euro

4. Ersatz des Schriftsatzaufwands der belangten Behörde als obsiegende Partei 368,80 Euro

5. Ersatz des Verhandlungsaufwands der belangten Behörde als obsiegende Partei 461,00 Euro

6. Ersatz des Aufwands, der für den Beschwerdeführer mit dem Antrag auf Wiederaufnahme des Verfahrens verbunden war (Schriftsatzaufwand) 553,20 Euro

7. Ersatz des Aufwands, der für die belangte Behörde mit dem Antrag auf Wiederaufnahme des Verfahrens verbunden war (Schriftsatzaufwand) 276,60 Euro."

Da die Beschwerde gegen den Schubhaftbescheid und die (andauernde) Anhaltung in Schubhaft stattgegeben und als rechtswidrig erkannt wurde jedoch das Vorliegen der Voraussetzungen für die Fortsetzung der Schubhaft festgestellt wurde, ist weder die belangte Behörde gemäß § 35 Abs. 3 VwGVG noch die beschwerdeführende Partei obsiegend sodass beide Anträge abgewiesen werden mussten.

Zu Spruchpunkt B. (Unzulässigkeit der Revision):

Gemäß § 25a Abs. 1 des Verwaltungsgerichtshofgesetzes 1985 (VwGG), BGBl. Nr. 10/1985 idgF, hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Die Revision gegen die gegenständliche Entscheidung ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor. Konkrete Rechtsfragen grundsätzlicher Bedeutung sind weder in der gegenständlichen Beschwerde vorgebracht worden noch im Verfahren vor dem BVwG hervorgekommen.

Schlagworte

Interessenabwägung, Kostenersatz, öffentliche Interessen,
Rechtswidrigkeit, Schubhaft, Schubhaftbeschwerde, Voraussetzungen

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2019:G306.2222078.1.00

Zuletzt aktualisiert am

30.01.2020
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
Zurück Haftungsausschluss Vernetzungsmöglichkeiten

Sofortabfrage ohne Anmeldung!

Jetzt Abfrage starten