RS Vfgh 2019/12/3 G234/2019

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Veröffentlicht am 03.12.2019
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Index

22/02 Zivilprozessordnung

Norm

B-VG Art7 / Gesetz
B-VG Art140 Abs1 Z1 litd
EMRK Art6 Abs1 / Verfahrensgarantien
ZPO §41 Abs1
VfGG §7 Abs1

Leitsatz

Keine Verletzung im Gleichheitsrecht durch eine Bestimmung der ZPO betreffend den Ausschluss der Kostenersatzpflicht des einfachen Nebenintervenienten im Fall des Unterliegens der Hauptpartei mangels eigenständigen Einflusses auf den Ausgang des Verfahrens; Bindungswirkung zur Prozessbeteiligung nach Streitverkündung steht angesichts der Möglichkeit zur effektiven Rechtsverteidigung und Einleitung eines Zwischenverfahrens zur Zurückweisung der Nebenintervention im Einklang mit dem Recht auf ein faires Verfahren

Rechtssatz

Abweisung eines - zulässigen - Parteiantrags auf Aufhebung der Wortfolge "sowie dem diesem beigetretenen Nebenintervenienten" in §41 Abs1 erster Satz ZPO.

Soweit die antragstellenden Parteien eine sachlich nicht gerechtfertigte Ungleichbehandlung darin erblicken, dass der Nebenintervenient zwar im Falle eines Obsiegens der Hauptpartei einen Kostenersatzanspruch gegen die unterlegene Partei hat, umgekehrt aber im Falle des Unterliegens der Hauptpartei keine Kosten ersetzen muss, ist zunächst auszuführen, dass dieses Argument jedenfalls nicht auf den streitgenössischen Nebenintervenienten zutrifft, weil diesen im Falle des Unterliegens ebenfalls eine Kostenersatzpflicht treffen kann. Der einfache Nebenintervenient hat im Falle des vollständigen Obsiegens der Hauptpartei Anspruch auf Kostenersatz gemäß §41 Abs1 erster Satz ZPO, im Falle eines Prozessverlustes hat er hingegen die Kosten des Verfahrens nicht zu ersetzen.

Diese Regelung betreffend den einfachen Nebenintervenienten ist vor dem Hintergrund zu sehen, dass dieser von den Verfahrenshandlungen der von ihm unterstützten Hauptpartei abhängig ist: Dem einfachen Nebenintervenienten sind eigene Sachdispositionen verwehrt, und ein Vorbringen, das den Prozessstandpunkt der Hauptpartei nicht unterstützt, ist unbeachtlich. Bei widersprechenden Prozesshandlungen gehen jene der Hauptpartei vor. Es kann dem Gesetzgeber deshalb aus verfassungsrechtlicher Sicht nicht entgegengetreten werden, wenn er für den einfachen Nebenintervenienten keine Pflicht zum Ersatz der Prozesskosten normiert, weil dieser keinen eigenständigen Einfluss auf den Ausgang des Verfahrens ausüben kann. Ihn dennoch die Kosten der obsiegenden gegnerischen Partei tragen zu lassen, bedeutete, ihn für Umstände zur Verantwortung zu ziehen, die sich außerhalb seiner Einflusssphäre befinden.

Kein Verstoß gegen die Grundsätze des fairen Verfahrens und der Waffengleichheit iSd Art6 EMRK:

Es entspricht den Grundsätzen eines fairen Verfahrens iSd Art6 EMRK, dass jene Personen, die ein rechtliches Interesse am Ausgang des Prozesses haben, auch das Recht haben, sich an diesem Verfahren zu beteiligen und rechtliches Gehör zu finden. Diese Erwägung trifft einerseits bereits hinsichtlich desjenigen zu, der sich aus eigenem an einem Prozess beteiligt, an dessen Ausgang er ein rechtliches Interesse hat. Sie gilt aber umso mehr angesichts der Rsp des OGH, der eine Bindungswirkung der Tatsachenfeststellungen gegenüber demjenigen annimmt, der sich trotz Streitverkündigung nicht an dem Prozess beteiligt. Diese Bindungswirkung steht im Einklang mit Art6 EMRK, weil der Dritte nach erfolgter Streitverkündigung seine Rechte im Prozess effektiv geltend machen kann.

Derjenige, dem der Streit verkündet wurde, ist damit angehalten, sich am Prozess zu beteiligen, um eine negative Beeinflussung seiner Rechtssphäre in Folgeprozessen hintanzuhalten. Die Bindungswirkung dient der Prozessökonomie und der Rechtssicherheit. In diesem Sinne soll ein zusammenhängender Lebenssachverhalt möglichst durch ein Gericht mit einheitlichen Feststellungen und unter Beteiligung aller betroffenen Personen rechtskräftig geklärt werden. Auf diesem Weg werden teure Folgeprozesse vermieden, die darüber hinaus die Gefahr eines abweichenden Prozessausganges mit sich bringen, sollte das später entscheidende Gericht etwa zu abweichenden Feststellungen gelangen. In diesem Zusammenhang ist ferner zu bedenken, dass diese Bindungswirkung auch dem Gegner der Hauptpartei zugutekommen kann, etwa wenn eine solidarische Haftung der Hauptpartei und des Nebenintervenienten festgestellt wird.

Im Übrigen übersehen die antragstellenden Parteien mit ihrem Vorbringen, ihnen komme kein Einfluss auf die Zulassung des Nebenintervenienten im Prozess zu, die Möglichkeit, einen Antrag auf Zurückweisung der Nebenintervention zu stellen. Diesfalls kommt es zu einem Zwischenverfahren, in dem das Gericht das rechtliche Interesse des Nebenintervenienten am Ausgang des Rechtsstreites zu beurteilen hat. Auf diese Weise wird sichergestellt, dass nur jene Dritte als Nebenintervenienten des Rechtsstreites zugelassen werden, denen ein rechtliches Interesse am Ausgang des Verfahrens zukommt. Ein bloß wirtschaftliches Interesse am Ausgang des Verfahrens genügt nicht. Auf diese Weise wird gewährleistet, dass die Anzahl der am Verfahren beteiligten Nebenintervenienten (nach sachlichen Gesichtspunkten) begrenzt wird.

Die von den antragstellenden Parteien als Verstoß gegen Art6 EMRK gerügte Kostenersatzpflicht auch gegenüber dem Nebenintervenienten, der auf Seiten der vollständig obsiegenden Hauptpartei in den Rechtsstreit eingetreten ist, entspricht auch dem in der Zivilprozessordnung generell vorherrschenden Erfolgsprinzip, wonach die unterlegene Partei grundsätzlich der gegnerischen Partei die Kosten des Verfahrens zu ersetzen hat. In einem solchen System ist es sachgerecht, der vollständig unterlegenen Partei auch die Kosten des gegnerischen Nebenintervenienten aufzuerlegen.

Entscheidungstexte

Schlagworte

Zivilprozess, fair trial, Prozesskosten, Bindung (der Gerichte), rechtliches Gehör

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:2019:G234.2019

Zuletzt aktualisiert am

12.01.2021
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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