RS Vfgh 2019/12/11 G40/2019 ua

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Veröffentlicht am 11.12.2019
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Index

20/06 Konsumentenschutz

Norm

B-VG Art7 Abs1 / Gesetz
B-VG Art10 Abs1 Z6
B-VG Art18
B-VG Art140 Abs1 Z1 litc
StGG Art5
StGG Art6
EMRK 1. ZP Art1
KSchG §27d Abs1
Wr ChancengleichheitsG §6, §12
VfGG §7 Abs1

Leitsatz

Keine Verletzung im Gleichheitsrecht und dem Bestimmtheitsgebot durch konsumentenschutzgesetzliche Verpflichtungen bei der Vertragsgestaltung von Heimträgern im Bereich der Sozial- und Behindertenhilfe zum Zweck bestmöglicher Kostentransparenz für die Betreuten; Eingriff in Vertragsfreiheit durch verpflichtende Angabe der von der Sozial- oder Behindertenhilfe gedeckten Leistungen verhältnismäßig zum Verbraucherschutz

Rechtssatz

Abweisung von Individualanträgen auf Aufhebung der Wortfolge "sowie die vom Träger der Sozial- oder Behindertenhilfe gedeckten Leistungen" in §27d Abs1 Z6 KSchG idF BGBl I 58/2018.

Die Bestimmung greift mit der angefochtenen Wortfolge unmittelbar und aktuell in die Rechtssphäre der antragstellenden Parteien ein, die im Rahmen ihrer geschäftlichen Tätigkeit Heimverträge iSd §§27b ff KSchG abschließen. Sie sind dabei verpflichtet, die Vorgaben des §27d Abs1 Z6 KSchG zu beachten. Im Falle eines Zuwiderhandelns könnten die ordentlichen Gerichte entsprechende Vertragsklauseln als unwirksam beurteilen, was den (teilweisen) Entfall des Entgeltanspruches der antragstellenden Parteien zur Folge haben könnte. Darüber hinaus besteht die Möglichkeit, als Beklagte einer Verbandsklage gemäß §§28a iVm §29 KSchG in Anspruch genommen zu werden. Es steht auch kein anderer zumutbarer Weg zur Verfügung: Insbesondere ist es nicht zumutbar, durch die Unterlassung der Einhaltung der angefochtenen Wortfolge eine Verbandsklage gemäß §§28a iVm §29 KSchG zu provozieren.

Kein Verstoß gegen den Gleichheitssatz und das Bestimmtheitsgebot durch §27d Abs1 Z6 KSchG:

§27d Abs1 Z6 KSchG verfolgt den Zweck der Kostentransparenz. Die Bestimmung ist so zu verstehen, dass eine Aufschlüsselung des Entgeltes in Teilentgelte für Unterkunft, Verpflegung und Grundbetreuung (allenfalls weiters für besondere Pflegeleistungen und sonstige zusätzliche Leistungen) zu erfolgen hat. Diese Aufschlüsselung ist insbesondere erforderlich, um die Höhe eines Gewährleistungsanspruches bestimmen zu können.

Zusätzlich ist anzugeben, welche Leistungen vom Träger der Sozial- oder Behindertenhilfe gedeckt werden. Damit soll es für den Verbraucher nachvollziehbar sein, für welche Leistungen der Träger der Sozial- oder Behindertenhilfe aufkommt und welche Leistungen er selbst bezahlen muss. Durch die Regelung sollen Doppelverrechnungen verhindert und die Kontrolle der Entgeltgebarung durch den Heimträger ermöglicht werden.

Heimträger sind in Entsprechung dieses Zweckes des §27d Abs1 Z6 KSchG (lediglich) verpflichtet, sich um bestmögliche Kostentransparenz zu bemühen. Sie müssen die in Anwendung der landesgesetzlichen Regelungen gewährten Leistungen in ihre Heimverträge aufnehmen bzw deren Inhalt umschreiben. Sollte es von Seiten der zuständigen Organe des Landes keine (bezifferbare) Aufstellung der vom Träger der Sozial- oder Behindertenhilfe übernommenen Leistungen geben, ist der in §27d Abs1 Z6 KSchG enthaltenen Verpflichtung bereits dadurch Genüge getan, dass der Heimträger den Verbraucher im Heimvertrag angemessen über den Inhalt der bestehenden landesrechtlichen Regelungen und deren Anwendung informiert.

In diesem Sinne hat das OLG Wien jüngst in einem einschlägigen Fall dargelegt, wie Heimträger vorgehen müssen, um der gesetzlichen Verpflichtung des §27d Abs1 Z6 letzter Halbsatz KSchG nachzukommen. Heimträgern ist es dementsprechend jedenfalls möglich, die dargestellten Anforderungen an die Vertragsgestaltung zu erfüllen. §27d Abs1 Z6 letzter Halbsatz KSchG verstößt nicht gegen Art7 B-VG und Art2 StGG.

Kein Verstoß gegen die bundesverfassungsrechtliche Kompetenzverteilung:

Mit §27d Abs1 Z6 KSchG hat der Bundesgesetzgeber eine dem Kompetenztatbestand des Zivilrechtswesens gemäß Art10 Abs1 Z6 B-VG, der in Gesetzgebung und Vollziehung Bundessache ist, zuzuordnende Regelung getroffen. Die antragstellenden Parteien verkennen, dass der Bundesgesetzgeber den Landesgesetzgeber mit dieser Bestimmung keineswegs zu einer (bestimmten) Regelung zwingt, sondern vielmehr nur Heimträger dazu verpflichtet werden, bestehende landesrechtliche Regelungen möglichst transparent in ihren Heimverträgen abzubilden. Über diese - zivilrechtliche - Verpflichtung haben die ordentlichen Gerichte im Rahmen ihrer Zuständigkeit zu entscheiden. Eine Kompetenzwidrigkeit ist in dieser Regelung nicht zu erblicken.

Kein Verstoß gegen das Recht auf Unversehrtheit des Eigentums sowie auf Freiheit der Erwerbsausübung:

§27d Abs1 Z6 letzter Halbsatz KSchG dient - einen Eingriff in den Schutzbereich dieser Grundrechte vorausgesetzt - aus den dargestellten Gründen dem Konsumentenschutz und liegt somit im öffentlichen Interesse. Konkret sollen Verbraucher in die Lage versetzt werden, die Gebarung ihres Heimträgers zu kontrollieren und gegebenenfalls gegen Doppelverrechnungen vorzugehen. Die Verpflichtung, Verbraucher in Heimverträgen über die vom Träger der Sozial- oder Behindertenhilfe übernommenen Leistungen aufzuklären, ist zur Erreichung dieses Zieles geeignet, weil der Konsument erst durch diese Informationen in die Lage versetzt wird, seine Rechte effektiv durchzusetzen. Ein gelinderes Mittel zur effektiven Zielerreichung ist nicht ersichtlich. Darüber hinaus besteht auch ein angemessenes Verhältnis zwischen dem Eingriff in die Vertragsfreiheit der antragstellenden Parteien und dem Schutz der Verbraucher, zumal es Heimträgern auf Grund ihrer unternehmerischen Tätigkeit zumutbar ist, die Anforderung des §27d Abs1 Z6 letzter Halbsatz KSchG, nämlich die Angabe der vom Träger der Sozial- oder Behindertenhilfe gedeckten Leistungen, zu erfüllen.

Entscheidungstexte

  • G40/2019 ua
    Entscheidungstext VfGH Erkenntnis 11.12.2019 G40/2019 ua

Schlagworte

Pflegeheime, Konsumentenschutz, Kostentragung, Verhältnismäßigkeit

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:2019:G40.2019

Zuletzt aktualisiert am

12.01.2021
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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