TE Vfgh Erkenntnis 2019/12/13 E2855/2019 ua

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Veröffentlicht am 13.12.2019
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Index

41/02 Staatsbürgerschaft, Pass- und Melderecht, Fremdenrecht, Asylrecht

Norm

BVG-Rassendiskriminierung ArtI Abs1
AsylG 2005 §8, §10, §57
FremdenpolizeiG 2005 §46, §52, §55
VwGVG §29 Abs4, §29 Abs5
VfGG §7 Abs1

Leitsatz

Verletzung im Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander durch Nichtzuerkennung des Status subsidiär Schutzberechtigter und Erlassung von Rückkehrentscheidungen betreffend eine Familie ägyptischer Staatsangehöriger mangels Begründung der - mündlich verkündeten - Entscheidung

Spruch

I. 1. Die Beschwerdeführer sind durch das angefochtene Erkenntnis, soweit damit die Beschwerde gegen die Abweisung der Anträge auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status von subsidiär Schutzberechtigten, gegen die Nichterteilung von Aufenthaltstiteln sowie gegen die erlassenen Rückkehrentscheidungen und den Ausspruch der Zulässigkeit der Abschiebung in den Herkunftsstaat Ägypten unter Setzung einer zweiwöchigen Frist für die freiwillige Ausreise abgewiesen wird, im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander (ArtI Abs1 Bundesverfassungsgesetz BGBl Nr 390/1973) verletzt worden.

Das Erkenntnis wird insoweit aufgehoben.

2. Im Übrigen wird die Behandlung der Beschwerde abgelehnt.

Insoweit wird die Beschwerde dem Verwaltungsgerichtshof zur Entscheidung abgetreten.

II. Der Bund (Bundesminister für Inneres) ist schuldig, dem Beschwerdeführer zuhanden seines Rechtsvertreters die mit € 2.877,60 bestimmten Prozesskosten binnen 14 Tagen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Entscheidungsgründe

I. Sachverhalt, Beschwerde und Vorverfahren

1. Die Beschwerdeführer sind Staatsangehörige von Ägypten und koptische Christen. Der Erstbeschwerdeführer ist der Vater der minderjährigen Zweitbeschwerdeführerin. Am 14. August 2017 stellte er für sich und seine Tochter in Österreich Anträge auf internationalen Schutz und führte dazu aus, seine Ehefrau und die Mutter seiner Tochter sei vor drei Jahren verstorben. Nach ägyptischem Recht habe seine Schwägerin, die Tante der Tochter, das Sorgerecht für das Kind erhalten. Der Erstbeschwerdeführer habe erneut heiraten und seine Tochter zu sich nehmen wollen, die Familie der Mutter habe dies aber nicht akzeptiert. Schließlich habe er erfahren, dass es seiner Tochter im Haushalt der Tante nicht gut gehe und sie dort geschlagen werde. Der Erstbeschwerdeführer habe keine Möglichkeit gehabt, das Sorgerecht für die Tochter nach ägyptischem Recht zurückzuerhalten. Dies habe ihm auch ein Anwalt bestätigt, der ihm geraten habe, die Tochter zu sich zu nehmen. Der Erstbeschwerdeführer habe seine Tochter bei einem Fest mitgenommen und das Land verlassen. Der Zweitbeschwerdeführerin gehe es psychisch nicht gut.

2. Mit Bescheiden jeweils vom 21. März 2019 wies das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl die Anträge bezüglich der Zuerkennung des Status von Asylberechtigten gemäß §3 Abs1 iVm §2 Abs1 Z13 AsylG 2005 ab; ebenso wurden die Anträge hinsichtlich der Zuerkennung des Status von subsidiär Schutzberechtigten gemäß §8 Abs1 iVm §2 Abs1 Z13 AsylG 2005 in Bezug auf den Herkunftsstaat Ägypten abgewiesen. Weiters wurden Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß §57 AsylG 2005 nicht erteilt, gemäß §10 Abs1 Z3 AsylG 2005 iVm §9 BFA-VG Rückkehrentscheidungen nach §52 Abs2 Z2 FPG erlassen und festgestellt, dass die Abschiebung der Beschwerdeführer nach Ägypten gemäß §46 FPG zulässig sei. Schließlich wurde eine zweiwöchige Frist zur freiwilligen Ausreise gemäß §55 Abs1 bis 3 FPG ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung gesetzt.

3. Die gegen diese Bescheide erhobene Beschwerde wurde durch das Bundesverwaltungsgericht mit der nunmehr angefochtenen, am 19. Juni 2019 mündlich verkündeten Entscheidung abgewiesen.

Begründend führt das Bundesverwaltungsgericht aus, das vom Erstbeschwerdeführer geltend gemachte Fluchtmotiv basiere auf einem Sorgerechtsstreit um die minderjährige Zweitbeschwerdeführerin, der im privaten Bereich der Familie liege. Eine Verfolgung durch die ägyptische Regierung oder die heimatstaatlichen Behörden sei ebensowenig geltend gemacht worden wie eine staatliche Verfolgung auf Grund der Religionszugehörigkeit zu den koptischen Christen. Es sei kein asylrelevantes Vorbringen im Sinne der Genfer Flüchtlingskonvention erstattet worden und es habe ein derartiges weder aus dem Akteninhalt noch aus dem Vorbringen der Beschwerdeführer erkannt werden können.

4. Mit Schriftsatz vom 30. Juni 2019 beantragten die Beschwerdeführer per E-Mail und per Post die schriftliche Ausfertigung des Erkenntnisses.

5. Am 4. Juli 2019 erließ das Bundesverwaltungsgericht eine gekürzte Ausfertigung des mündlich verkündeten Erkenntnisses und führte aus, ein Antrag auf Ausfertigung gemäß §29 Abs4 VwGVG sei nicht gestellt worden. Der mittels E-Mail eingebrachte Schriftsatz, mit dem die Ausfertigung beantragt werde, könne keine Rechtswirkung entfalten, weil eine E-Mail keine zulässige Form der Einbringung sei.

6. Mit Schriftsatz vom 31. Juli 2019 erhoben die Beschwerdeführer die vorliegende, auf Art144 B-VG gestützte Beschwerde gegen das mündlich verkündete Erkenntnis vom 19. Juni 2019, in der die Verletzung in näher bezeichneten verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten behauptet und die kostenpflichtige Aufhebung des angefochtenen Erkenntnisses, in eventu die Abtretung der Beschwerde an den Verwaltungsgerichtshof, beantragt wird. Begründend wird im Wesentlichen vorgebracht, es sei vom Bundesverwaltungsgericht nur darüber abgesprochen worden, ob Gründe im Sinne der Genfer Flüchtlingskonvention berührt seien. Es habe sich aber nicht damit beschäftigt, ob im Sinne der Art2 oder 3 EMRK Gründe vorhanden seien, die gegen eine Ausweisung oder Abschiebung der beiden Beschwerdeführer nach Ägypten sprächen, obwohl Gefahren für Leben und Gesundheit konkret vorgebracht worden seien. Des Weiteren werde die minderjährige Zweitbeschwerdeführerin in Österreich psychologisch behandelt und betreut. Eine Beurteilung der vorgelegten Unterlagen finde sich in der mündlich verkündeten Entscheidung nicht. Das Bundesverwaltungsgericht habe auch nicht dargelegt, warum die im Falle der Abschiebung nach Ägypten unbestritten drohende Trennung von Vater und Tochter trotz Art8 EMRK zumutbar und verhältnismäßig wäre. Auch insoweit leide die Entscheidung unter einem Begründungsmangel.

Zur Zulässigkeit der Beschwerde wird ausgeführt, die schriftliche Ausfertigung der mündlich verkündeten Entscheidung sei fristgerecht beantragt worden; der Antrag sei vorab per E-Mail übermittelt und mit der Post geschickt worden. Dazu wurde die Kopie eines Aufgabescheines der Österreichischen Post vorgelegt.

7. Auf Grund von Nachforschungen seitens des Verfassungsgerichtshofes wurde der Antrag auf schriftliche Ausfertigung im Bundesverwaltungsgericht aufgefunden.

8. Am 16. September 2019 erging eine schriftliche Ausfertigung des angefochtenen Erkenntnisses, die eine Begründung (auch) hinsichtlich der Nichtzuerkennung von subsidiärem Schutz, der Nichterteilung von Aufenthaltstiteln sowie der erlassenen Rückkehrentscheidungen sowie des Ausspruches der Zulässigkeit der Abschiebung in den Herkunftsstaat Ägypten unter Setzung einer zweiwöchigen Frist für die freiwillige Ausreise enthält.

9. Das Bundesverwaltungsgericht hat die Verwaltungs- und Gerichtsakten vorgelegt und eine Stellungnahme erstattet.

II. Erwägungen

Die vorliegende Beschwerde ist zulässig.

A. Soweit sie sich gegen die Abweisung der Beschwerde gegen die Nichtzuerkennung des Status von subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Ägypten, die Nichterteilung von Aufenthaltstiteln aus berücksichtigungswürdigen Gründen, die Erlassung von Rückkehrentscheidungen, die Feststellung der Zulässigkeit der Abschiebung sowie die Festsetzung der Frist für die freiwillige Ausreise richtet, ist sie auch begründet.

1. Nach der mit VfSlg 13.836/1994 beginnenden, nunmehr ständigen Rechtspre-chung des Verfassungsgerichtshofes (s etwa VfSlg 14.650/1996 und die dort angeführte Vorjudikatur; weiters VfSlg 16.080/2001 und 17.026/2003) enthält ArtI Abs1 Bundesverfassungsgesetz zur Durchführung des Internationalen Übereinkommens über die Beseitigung aller Formen rassischer Diskriminierung, BGBl 390/1973, das allgemeine, sowohl an die Gesetzgebung als auch an die Vollziehung gerichtete Verbot, sachlich nicht begründbare Unterscheidungen zwischen Fremden vorzunehmen. Diese Verfassungsnorm enthält ein – auch das Sachlichkeitsgebot einschließendes – Gebot der Gleichbehandlung von Fremden untereinander; deren Ungleichbehandlung ist also nur dann und insoweit zulässig, als hiefür ein vernünftiger Grund erkennbar und die Ungleichbehandlung nicht unverhältnismäßig ist.

Diesem einem Fremden durch ArtI Abs1 leg.cit. gewährleisteten subjektiven Recht widerstreitet eine Entscheidung, wenn sie auf einem gegen diese Bestimmung verstoßenden Gesetz beruht (vgl zB VfSlg 16.214/2001), wenn das Verwaltungsgericht dem angewendeten einfachen Gesetz fälschlicherweise einen Inhalt unterstellt hat, der – hätte ihn das Gesetz – dieses als in Widerspruch zum Bundesverfassungsgesetz zur Durchführung des Internationalen Übereinkommens über die Beseitigung aller Formen rassischer Diskriminierung, BGBl 390/1973, stehend erscheinen ließe (s etwa VfSlg 14.393/1995, 16.314/2001) oder wenn es bei Erlassung der Entscheidung Willkür geübt hat (zB VfSlg 15.451/1999, 16.297/2001, 16.354/2001 sowie 18.614/2008).

Ein willkürliches Verhalten des Verwaltungsgerichtes, das in die Verfassungssphäre eingreift, liegt unter anderem in einer gehäuften Verkennung der Rechtslage, aber auch im Unterlassen jeglicher Ermittlungstätigkeit in einem entscheidenden Punkt oder dem Unterlassen eines ordnungsgemäßen Ermittlungsverfahrens überhaupt, insbesondere in Verbindung mit einem Ignorieren des Parteivorbringens und einem leichtfertigen Abgehen vom Inhalt der Akten oder dem Außerachtlassen des konkreten Sachverhaltes (zB VfSlg 15.451/1999, 15.743/2000, 16.354/2001, 16.383/2001).

2. Ein solcher Fehler ist dem Bundesverwaltungsgericht unterlaufen:

2.1. Gemäß §29 Abs1 VwGVG sind Erkenntnisse im Namen der Republik zu verkünden und auszufertigen und sind zu begründen. Nach Abs2 leg.cit. hat das Verwaltungsgericht in der Regel, sofern eine Verhandlung in Anwesenheit von Parteien stattgefunden hat, das Erkenntnis mit den wesentlichen Entscheidungsgründen sogleich zu verkünden. Gemäß Abs4 leg.cit. ist den Parteien eine schriftliche Ausfertigung des Erkenntnisses zuzustellen.

2.2. Daraus ergibt sich, dass ein mündlich verkündetes Erkenntnis die tragenden Elemente der Begründung zu enthalten hat. Im Rahmen der Begründung des angefochtenen mündlich verkündeten Erkenntnisses vom 19. Juni 2019 hat sich das Bundesverwaltungsgericht mit den vorgebrachten Fluchtmotiven der Beschwerdeführer auseinandergesetzt, hat es jedoch unterlassen, die wesentlichen Entscheidungsgründe zur Abweisung der Beschwerde hinsichtlich der weiteren Spruchpunkte der angefochtenen Bescheide, insbesondere der Nichtzuerkennung von subsidiärem Schutz, der Erlassung von Rückkehrentscheidungen sowie der Feststellung der Zulässigkeit der Abschiebung zu verkünden. Die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichtes lässt jegliche Begründung in Hinblick auf die vorgebrachte Verletzung in Rechten nach Art3 und 8 EMRK ebenso wie eine Auseinandersetzung mit aktuellen Länderberichten zur Situation im Herkunftsstaat sowie zu den vorgelegten Befunden hinsichtlich des Gesundheitszustandes der Zweitbeschwerdeführerin vermissen und ist daher mit Willkür belastet.

2.3. Die schriftliche Ausfertigung des Erkenntnisses erfolgte im Zuge des verfassungsgerichtlichen Vorverfahrens und enthält Begründungselemente zu diesen Punkten; dies kann aber den Mangel des Fehlens der wesentlichen Entscheidungsgründe in der mündlichen Verkündung nicht beseitigen. Insgesamt widerspricht eine derartige Vorgangsweise den rechtsstaatlichen Anforderungen an die Begründung gerichtlicher Entscheidungen (vgl VfSlg 20.267/2018).

B. Im Übrigen – soweit sich die Beschwerde gegen die durch das Bundesverwaltungsgericht bestätigte Nichtzuerkennung des Status von Asylberechtigten richtet – wird die Behandlung der Beschwerde abgelehnt:

Der Verfassungsgerichtshof kann die Behandlung einer Beschwerde gemäß Art144 B-VG ablehnen, wenn von der Entscheidung die Klärung einer verfassungsrechtlichen Frage nicht zu erwarten ist (Art144 Abs2 B-VG). Ein solcher Fall liegt vor, wenn zur Beantwortung der maßgebenden Fragen spezifisch verfassungsrechtliche Überlegungen nicht erforderlich sind.

Die gerügten Rechtsverletzungen wären im vorliegenden Fall aber nur die Folge einer – allenfalls grob – unrichtigen Anwendung des einfachen Gesetzes. Spezifisch verfassungsrechtliche Überlegungen sind zur Beantwortung der aufgeworfenen Fragen, insbesondere der Frage, ob das Bundesverwaltungsgericht zu Recht davon ausgeht, dass ein asylrelevantes Fluchtvorbringen nicht erstattet wurde, nicht anzustellen.

Demgemäß wurde beschlossen, von einer Behandlung der Beschwerde, soweit sie sich gegen die Abweisung des Antrages auf Zuerkennung des Asylstatus richtet, abzusehen und sie gemäß Art144 Abs3 B-VG dem Verwaltungsgerichtshof abzutreten (§19 Abs3 Z1 iVm §31 letzter Satz VfGG).

III. Ergebnis

1. Die Beschwerdeführer sind somit durch das angefochtene Erkenntnis, soweit damit die Beschwerde gegen die Nichtzuerkennung des Status von subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Ägypten, die Nichterteilung von Aufenthaltstiteln aus berücksichtigungswürdigen Gründen, die Erlassung von Rückkehrentscheidungen, die Feststellung der Zulässigkeit der Abschiebung sowie die Festsetzung der Frist für die freiwillige Ausreise abgewiesen wird, in dem durch das Bundesverfassungsgesetz BGBl 390/1973 verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander verletzt worden.

2. Das Erkenntnis ist daher in diesem Umfang aufzuheben, ohne dass auf das weitere Beschwerdevorbringen einzugehen ist.

3. Im Übrigen wird von der Behandlung der Beschwerde abgesehen und diese gemäß Art144 Abs3 B-VG dem Verwaltungsgerichtshof abgetreten.

4. Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs4 bzw §19 Abs3 Z1 iVm §31 letzter Satz VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.

5. Die Kostenentscheidung beruht auf §88 VfGG. In den zugesprochenen Kosten ist ein Streitgenossenzuschlag in der Höhe von € 218,– und Umsatzsteuer in der Höhe von € 479,60 enthalten. Da die Beschwerdeführer gemeinsam durch eine Rechtsanwältin vertreten sind, ist der einfache Pauschalsatz, erhöht um einen Streitgenossenzuschlag, zuzusprechen.

Schlagworte

Asylrecht, Verhandlung mündliche, Entscheidungsverkündung, Entscheidungsbegründung, Rechtsstaatsprinzip, Rückkehrentscheidung

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:2019:E2855.2019

Zuletzt aktualisiert am

12.01.2021
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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