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001 Verwaltungsrecht allgemeinNorm
AVG §56Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Köhler sowie die Hofräte Dr. Mayr und Mag. Berger als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag.a Strasser, in der Revisionssache der T C, vertreten durch Mag. Florian Draxler, Rechtsanwalt in 1010 Wien, Reichsratsstraße 11/11, gegen das am 20. Februar 2018 mündlich verkündete und mit Datum vom 28. Februar 2018 schriftlich ausgefertigte Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes Wien vom 28. Februar 2018, Zl. VGW-151/011/16449/2017-7, betreffend Aufenthaltsbewilligung (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Landeshauptmann von Wien), den Beschluss gefasst:
Spruch
Die Revision wird zurückgewiesen.
Begründung
1 Die am 2. Juli 2017 in das Bundesgebiet eingereiste Revisionswerberin, eine georgische Staatsangehörige, stellte am 1. August 2017 bei der belangten Behörde einen Erstantrag auf Erteilung einer Aufenthaltsbewilligung „Schüler“ gemäß § 63 Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz (NAG). Mit der Einreichbestätigung sowie mit Schreiben vom 21. August 2017 wurde der Revisionswerberin aufgetragen, verschiedene näher angeführte Nachweise nachzureichen. Als „letzter visumsfreier Tag“ wurde der 29. September 2017 angegeben. Die Revisionswerberin legte zu den von der belangten Behörde angesprochenen Erteilungsvoraussetzungen jeweils Unterlagen vor.
2 Mit Bescheid vom 27. September 2017 wies die belangte Behörde den Antrag der Revisionswerberin gestützt auf § 11 Abs. 2 Z 4 in Verbindung mit Abs. 3 und 5 NAG ab.
Nach den Ausführungen in diesem Bescheid seien mit den nachgereichten Unterlagen die Bedenken hinsichtlich der Erteilungsvoraussetzungen betreffend die ortsübliche Unterkunft, den Krankenversicherungsschutz und den Schulbesuch ausgeräumt worden. Die vorgelegten Unterlagen betreffend die Herkunft der - der Revisionswerberin von ihrer Mutter zur Verfügung gestellten - finanziellen Mittel erachtete die belangte Behörde hingegen nicht als ausreichend. Der Lebensunterhalt der Revisionswerberin sei daher nicht als gesichert anzusehen. Die Abwägung nach § 11 Abs. 3 NAG erfolgte zuungunsten der Revisionswerberin.
3 Mit dem angefochtenen Erkenntnis wies das Verwaltungsgericht Wien die dagegen erhobene Beschwerde der Revisionswerberin als unbegründet ab und bestätigte den Bescheid der belangten Behörde. Die ordentliche Revision an den Verwaltungsgerichtshof nach Art. 133 Abs. 4 B-VG wurde für zulässig erklärt.
Das Verwaltungsgericht legte seiner Entscheidung zugrunde, dass sich aktuell die (seit dem 29. September 2017 gegebene) Überschreitung des sichtvermerksfreien Zeitraums als einziger Abweisungsgrund ergebe. Es liege somit ein zwingendes Erteilungshindernis vor, weshalb die Beschwerde keine Erfolgsaussichten habe.
Auf Grund der „besonderen Fallkonstellation“ hat das Verwaltungsgericht die ordentliche Revision zugelassen. Diesbezüglich führte das Verwaltungsgericht ins Treffen, dass die belangte Behörde ihr Verfahren besonders - letztlich bis zur völligen Ausschöpfung der sichtvermerksfreien Zeit - verzögert habe. Die im Bescheid der belangten Behörde herangezogenen Abweisungsgründe seien nicht mehr relevant, weshalb außer der Überschreitung der sichtvermerksfreien Zeit kein Abweisungsgrund bestehe. Zudem verwies das Verwaltungsgericht darauf, dass die Revisionswerberin auffallend gute Deutschkenntnisse habe und ihre Studien (als Schülerin) ernsthaft betreibe. Es sei somit zu klären, ob bei einer Ausschöpfung der sichtvermerksfreien Zeit durch die belangte Behörde, die in ihrem Bescheid offenkundig zu Unrecht Abweisungsgründe herangezogen habe, die Überschreitung dieser Zeit der Revisionswerberin als einziges Erteilungshindernis vorzuwerfen sei.
4 Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die vorliegende ordentliche Revision.
Darin wird vorgebracht, dass sich die Behörde (bzw. das Verwaltungsgericht) nicht auf ein Erteilungshindernis - vorliegend die Überschreitung der sichtvermerksfreien Zeit - berufen könne, dessen Eintritt nicht von der Antragstellerin verschuldet worden sei, sondern auf einem Fehlverhalten der belangten Behörde beruhe.
5 Revisionsbeantwortung wurde keine erstattet.
6 Nach Art. 133 Abs. 4 B-VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.
Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegen der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung mit Beschluss zurückzuweisen.
Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden.
Auch in der ordentlichen Revision hat der Revisionswerber von sich aus die maßgeblichen Gründe der Zulässigkeit der Revision darzulegen, wenn er der Ansicht ist, dass die Begründung des Verwaltungsgerichtes für die Zulässigkeit der Revision nicht ausreicht, oder er andere Rechtsfragen grundsätzlicher Bedeutung für relevant erachtet (vgl. etwa VwGH 25.10.2017, Ro 2017/22/0006, mwN).
7 Gemäß § 11 Abs. 1 Z 5 NAG dürfen einem Fremden Aufenthaltstitel nicht erteilt werden, wenn eine Überschreitung der Dauer des erlaubten visumfreien oder visumpflichtigen Aufenthalts im Zusammenhang mit § 21 Abs. 6 NAG vorliegt. § 21 Abs. 6 NAG wiederum bestimmt, dass eine Inlandsantragstellung (ua.) während eines rechtmäßigen Aufenthalts kein über den erlaubten visumfreien oder visumpflichten Aufenthalt hinausgehendes Bleiberecht schafft.
8 Die Erläuterungen zu § 11 Abs. 1 Z 5 NAG (RV 952 BlgNR 22. GP 121) führen Folgendes aus:
„In Z 5 sollen jene Fälle erfasst werden, die zwar zur Inlandsantragstellung berechtigt sind, aber dann rechtswidrig länger im Bundesgebiet bleiben, um das Ergebnis des Niederlassungsverfahrens abzuwarten. Diese Fremden sollen nach der rechtmäßigen Inlandsantragstellung ausreisen und dann im Ausland ihr Verfahren abwarten. Es soll so - in Zusammenschau mit § 21 Abs. 4 - verhindert werden, dass Fremde ihren Aufenthalt im Bundesgebiet durch das Stellen eines Antrags nach diesem Bundesgesetz über den Zeitraum, der von der Sichtvermerkspflicht ausgenommen ist, hinaus legalisieren. Das Risiko einer nicht fristgerechten Entscheidung der Behörde soll, insbesondere bei später Antragstellung, beim Fremden liegen.“
9 Der Verwaltungsgerichtshof hat bereits ausgesprochen, dass der Versagungsgrund des § 11 Abs. 1 Z 5 NAG einerseits einen sichtvermerkfreien Aufenthalt des Antragstellers und andererseits die Überschreitung der Dauer des so erlaubten Aufenthalts voraussetzt. Der Zweck der Bestimmung des § 11 Abs. 1 Z 5 NAG liegt darin, zu verhindern, dass Fremde ihren Aufenthalt im Bundesgebiet durch das Stellen eines Antrags nach dem NAG über den sichtvermerkfreien Zeitraum hinaus ohne Vorliegen eines Aufenthaltstitels ausdehnen. Das Verfahren ist daher nach rechtmäßiger Antragstellung im Inland und nach Ablauf des sichtvermerkfreien Zeitraums im Ausland abzuwarten. Ein Zuwiderhandeln steht der Erteilung des begehrten Aufenthaltstitels grundsätzlich entgegen, auch wenn zwischenzeitlich eine Ausreise erfolgt ist (siehe zu allem VwGH 28.5.2019, Ro 2016/22/0016, Pkt. 6.2., mwN).
10 Vorliegend ist unstrittig, dass die Revisionswerberin über den visumfreien Aufenthalt hinaus im Bundesgebiet verblieben ist.
11 Dem Vorhalt der „Ausschöpfung der visumfreien Aufenthaltsdauer“ durch die belangte Behörde bzw. der Verzögerung des Verfahrens durch diese ist entgegenzuhalten, dass die Behörde innerhalb von zwei Monaten entschieden hat. Eine Verpflichtung der Behörde, über einen Erstantrag innerhalb eines erlaubten visumfreien Aufenthaltes zu entscheiden, ist dem Gesetz nicht zu entnehmen (vgl. VwGH 25.7.2019, Ra 2019/22/0085). Auch die zitierten Erläuterungen (Rn. 8) sprechen davon, dass das Risiko einer nicht fristgerechten Entscheidung der Behörde beim Fremden liegen soll. Die Revisionswerberin war daher jedenfalls nach Ablauf des rechtmäßigen Aufenthaltes verpflichtet, das Bundesgebiet zu verlassen.
12 Sowohl das Verwaltungsgericht als auch die Revisionswerberin äußern Bedenken gegen eine Heranziehung des Versagungsgrundes nach § 11 Abs. 1 Z 5 NAG in einer Konstellation, in welcher der Überschreitung des erlaubten visumfreien Aufenthaltes eine Abweisung des Antrags durch die Behörde zugrunde liege, die wiederum auf zu Unrecht herangezogenen (und jedenfalls zum Zeitpunkt der Entscheidung durch das Verwaltungsgericht nicht mehr vorliegenden) Versagungsgründen beruhe. Dazu ist Folgendes anzumerken:
13 Zunächst stützte sich der Bescheid der belangten Behörde vom 27. September 2017 entgegen der im angefochtenen Erkenntnis zum Ausdruck gebrachten Auffassung nicht auf mehrere Erteilungshindernisse, sondern einzig auf das Fehlen der Erteilungsvoraussetzung nach § 11 Abs. 2 Z 4 in Verbindung mit Abs. 5 NAG. Es ist im vorliegenden Zusammenhang nicht relevant, ob sich die belangte Behörde zu ihrem Entscheidungszeitpunkt zu Recht auf diesen Hinderungsgrund gestützt hat. § 11 Abs. 1 Z 5 NAG ist nämlich nicht zu entnehmen, dass die Heranziehung dieses Versagungsgrundes davon abhängig wäre, ob die durch die Behörde (allenfalls noch während des erlaubten visumfreien Aufenthaltes) erfolgte Abweisung eines Antrags letztlich zu Recht oder zu Unrecht erfolgt ist.
14 Entgegen der vom Verwaltungsgericht offenbar vertretenen Auffassung handelt es sich beim Erteilungshindernis nach § 11 Abs. 1 Z 5 NAG nicht um einen absoluten Versagungsgrund, weil - trotz Vorliegens dieses Erteilungshindernisses - unter den in § 11 Abs. 3 NAG genannten Voraussetzungen ein Aufenthaltstitel zu erteilen ist. Der Verwaltungsgerichtshof hat zwar dem Grunde nach anerkannt, dass bei einer Interessenabwägung nach § 11 Abs. 3 NAG auch der konkrete Verfahrensablauf miteinzubeziehen sein kann (vgl. VwGH 24.2.2011, 2010/21/0460). Dass die hier zugrunde liegende Verfahrenskonstellation zu einem Überwiegen der persönlichen Interessen der Revisionswerberin bei einer derartigen Abwägung hätte führen müssen, wird aber in der Revision nicht vorgebracht und ist auch sonst nicht ersichtlich.
15 In der Revision wird somit keine Rechtsfrage aufgeworfen, der im Sinn des Art. 133 Abs. 4 B-VG grundsätzliche Bedeutung zukäme. Die Revision war daher gemäß § 34 Abs. 1 VwGG zurückzuweisen.
Wien, am 10. Dezember 2019
Schlagworte
Anspruch auf bescheidmäßige Erledigung und auf Zustellung, Recht der Behörde zur Bescheiderlassung konstitutive Bescheide Rechtsgrundsätze Fristen VwRallg6/5European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2019:RO2018220015.J00Im RIS seit
14.12.2020Zuletzt aktualisiert am
15.12.2020