Index
40/01 Verwaltungsverfahren;Norm
AlVG 1977 §24 Abs2;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Knell und die Hofräte Dr. Müller, Dr. Novak, Dr. Sulyok und Dr. Nowakowski als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Hackl, über die Beschwerde der M in W, vertreten durch Dr. Hans Schwarz, Rechtsanwalt in Wien X, Favoritenstraße 108/3, gegen den aufgrund eines Beschlusses des Ausschusses für Leistungsangelegenheiten ausgefertigten Bescheid der Landesgeschäftsstelle des Arbeitsmarktservice Wien vom 6. Februar 1996, Zl. Abt. 12/7022/7100 B, betreffend Widerruf und Rückforderung von Karenzurlaubsgeld, zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.
Der Bund (Bundesminister für Arbeit, Gesundheit und Soziales) hat der Beschwerdeführerin Aufwendungen in der Höhe von S 13.040,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Das Kostenmehrbegehren wird abgewiesen.
Begründung
Die Beschwerdeführerin bezog nach der Geburt ihres Sohnes Andreas am 25. Oktober 1992 vom 18. Jänner 1993 bis zum 25. Oktober 1994 Karenzurlaubsgeld. In diesem Zeitraum befand sie sich nach dem Inhalt der von ihr vorgelegten Arbeitsbescheinigung des Dienstgebers vom 11. Jänner 1993 aus Anlaß der Mutterschaft im Karenzurlaub (Blatt 2 des Leistungsaktes).
Eine am 15. Juli 1994 durchgeführte Abfrage von Daten aus der zentralen Datenspeicherung des Hauptverbandes der österreichischen Sozialversicherungsträger ergab ein geringfügiges Beschäftigungsverhältnis der Beschwerdeführerin zu ihrem bisherigen Dienstgeber seit dem 16. Mai 1994 (Blatt 11 des Leistungsaktes).
Eine gleichartige Abfrage am 20. Juli 1995 (Blatt 13 des Leistungsaktes) ergab, daß das geringfügige Beschäftigungsverhältnis am 30. September 1994 geendet habe und die Beschwerdeführerin seither wieder pflichtversichert bei ihrem bisherigen Dienstgeber tätig gewesen sei (und tätig sei).
Mit Bescheid vom 29. August 1995 widerrief das Arbeitsmarktservice Versicherungsdienste die Zuerkennung des Karenzurlaubsgeldes für die Zeit vom 1. Oktober 1994 bis zum 25. Oktober 1994 und verpflichtete die Beschwerdeführerin zum Ersatz des unberechtigt Empfangenen in der Höhe von S 4.520,--. Begründend wurde im wesentlichen ausgeführt, das Ermittlungsverfahren (gemeint:
der EDV-Ausdruck) habe folgendes ergeben:
"Sie haben am 011094 ein Dienstverhältnis aufgenommen, jedoch
die Leistung aus der Arbeitslosenversicherung bis 251094 bezogen."
In ihrem als Berufung gewerteten (und auch zu wertenden)
Schreiben vom 1. September 1995 hielt die Beschwerdeführerin dem entgegen, aus der von ihr beigelegten Krankenkassenanmeldung sei ersichtlich, daß sie nicht - wie die Behörde schreibe - mit 1. Oktober 1994, sondern mit 25. Oktober 1994 angemeldet worden sei.
Eine neuerliche Abfrage beim Hauptverband der österreichischen Sozialversicherungsträger gespeicherter Daten am 15. September 1995 (Blatt 20 des Leistungsaktes) ergab keine relevanten Änderungen gegenüber der Abfrage vom 20. Juli 1995.
Mit dem angefochtenen Bescheid gab die belangte Behörde der Berufung keine Folge. Sie bestätigte den erstinstanzlichen Bescheid und begründete dies im wesentlichen wie folgt:
"Eine Überprüfung Ihrer Angelegenheit hat ergeben, daß Sie bis zum 25.10.94 - dem Tag des Höchstausmaßes - Karenzurlaubsgeld bezogen haben. Seit 16.5.94 waren Sie bei der Firma W., Ihrem früheren Dienstgeber, als geringfügig beschäftigt gemeldet.
Laut den vorliegenden Unterlagen erfolgte erst mit dem Ende des vereinbarten Karenzurlaubsgeldes ab 25.10.94 die Anmeldung als vollversicherte Angestellte. Seitens der Wiener Gebietskrankenkasse wurde jedoch eine rückwirkende Vollversicherung ab dem 1.10.94 vorgenommen.
Aufgrund des durch die Wiener Gebietskrankenkasse festgestellten Beginns des Dienstverhältnisses war Ihr Karenzurlaubsgeldbezug vom 1.10.94 bis 25.10.94 zu widerrufen.
Da Sie dem Arbeitsmarktservice weder die Aufnahme der geringfügigen Beschäftigung ab 16.5.94 noch den Wechsel in das vollversicherte Dienstverhältnis gemäß § 50 Abs. 1 AlVG gemeldet haben, war die für den obigen Zeitraum erhaltene Leistung zurückzufordern."
Dagegen richtet sich die vorliegende Beschwerde, über die der Verwaltungsgerichtshof - nach Vorlage der Akten und Erstattung einer Gegenschrift durch die belangte Behörde - erwogen hat:
Die Begründung des angefochtenen Bescheides würde - bei wörtlichem Verständnis des zweiten Absatzes der zuvor wiedergegebenen Ausführungen- auf die Rechtsansicht der belangten Behörde schließen lassen, ein bestimmtes Verhalten des Krankenversicherungsträgers, nämlich die "Vornahme" einer "rückwirkenden Vollversicherung", könne für das Arbeitsmarktservice Grund genug sein, um ohne eigene Ermittlungen den Widerruf der gewährten Leistung auszusprechen.
Diese Rechtsansicht fände auch Deckung in der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes, wenn der Krankenversicherungsträger die "rückwirkende Vollversicherung" in Bescheidform "vorgenommen" hätte und dieser Bescheid in Rechtskraft erwachsen wäre (vgl. dazu das Erkenntnis vom 30. Juni 1998, Zl. 98/08/0129).
Letzteres trifft auf den vorliegenden Fall zumindest nicht in dem Sinne zu, daß die Erlassung eines Bescheides über die Versicherungspflicht und der Inhalt eines solchen Bescheides der angefochtenen Entscheidung zugrunde gelegt worden oder - wie im Fall des Vorerkenntnisses - beim Verwaltungsgerichtshof notorisch wären.
Zumindest aus dem letzten Absatz der zuvor zitierten Ausführungen der belangten Behörde läßt sich aber auch deren Ansicht erschließen, die Beschwerdeführerin sei tatsächlich - entgegen dem Inhalt der von ihr vorgelegten Anmeldung - schon am 1. Oktober 1994 in das vollversicherte Dienstverhältnis zurückgekehrt (arg. "Wechsel in das vollversicherte Dienstverhältnis").
Diesen Umstand hätte die belangte Behörde angesichts der Tatsache, daß sich die Beschwerdeführerin in ihrem als Berufung zu wertenden Schreiben auf die Anmeldung nicht schon zum 1. Oktober 1994, sondern erst zum 25. Oktober 1994 gestützt hatte, als strittig ansehen müssen. Insoweit die belangte Behörde in der Gegenschrift davon auszugehen scheint, das Dienstverhältnis sei als nicht mehr geringfügiges "fortgesetzt" worden, ist ihr entgegenzuhalten, daß zwei voneinander zu unterscheidende Beschäftigungsverhältnisse vorliegen (vgl. § 15 Abs. 1a MSchG und zu den Rechtsfolgen etwa Teschner/Widlar, ASVG, S. 144/5 f). Mangels einer aus den festgestellten oder beim Verwaltungsgerichtshof notorischen Tatsachen ableitbaren Bindung an einen Bescheid über die Versicherungspflicht der Beschwerdeführerin in der Zeit vom 1. Oktober 1994 bis zum 25. Oktober 1994 hätte die belangte Behörde daher ermitteln und im einzelnen feststellen müssen, ob die Beschwerdeführerin und ihr Dienstgeber von der ursprünglich bescheinigten Vereinbarung eines Karenzurlaubes bis zum 25. Oktober 1994 im nachhinein ausdrücklich oder konkludent abgegangen waren.
Die belangte Behörde hat dies unterlassen, weshalb der Sachverhalt in einem wesentlichen Punkt einer Ergänzung bedarf. Der angefochtene Bescheid war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 lit. b VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.
Der Ausspruch über den Kostenersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994. Der zu ersetzende Schriftsatzaufwand für die Beschwerde beträgt danach nicht S 15.000,--, sondern S 12.500,--.
Wien, am 8. September 1998
European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:1998:1996080070.X00Im RIS seit
18.10.2001