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001 Verwaltungsrecht allgemeinNorm
AsylG 1997Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Vizepräsidentin Dr.in Sporrer und die Hofräte Dr. Pelant, Dr. Sulzbacher und Dr. Pfiel sowie die Hofrätin Dr. Julcher als Richterinnen und Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag.a Eraslan, über die Revision des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom 30. September 2019, I415 1409293-3/3E, betreffend ersatzlose Behebung eines Bescheides in einer fremdenrechtlichen Angelegenheit (mitbeteiligte Partei: M A M, (alias F M F, auch: E), derzeit in Italien, im Verfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht vertreten durch Mag. Helmut Hawranek, Rechtsanwalt in 8010 Graz, Joanneumring 16/5, und durch die Diakonie Flüchtlingsdienst gem. GmbH, 1170 Wien, Wattgasse 48/3. Stock), zu Recht erkannt:
Spruch
Die Revision wird als unbegründet abgewiesen.
Begründung
1 Der Mitbeteiligte, ein ägyptischer Staatsangehöriger, stellte erstmals im März 2009 (unter einer Aliasidentität) in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz, der letztlich mit Erkenntnis des Asylgerichtshofes vom 20. Oktober 2009 zur Gänze abgewiesen wurde. Unter einem wurde die Ausweisung des Mitbeteiligten aus dem österreichischen Bundesgebiet verfügt. 2 Der Mitbeteiligte wurde am 18. August 2019 in Graz einer Verkehrskontrolle unterzogen und in der Folge festgenommen. Er verfügte über einen gültigen ägyptischen Reisepass und einen (abgelaufenen) italienischen Aufenthaltstitel. Nach seiner Einvernahme wurde über ihn mit Mandatsbescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl (BFA) vom 19. August 2019 die Schubhaft verhängt. Während dieser Anhaltung stellte der Mitbeteiligte am 21. August 2019 gegenüber einem Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes (neuerlich) einen Antrag auf internationalen Schutz. Unmittelbar vor Durchführung der Erstbefragung zu diesem Antrag durch ein Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes am 22. August 2019 erklärte der Mitbeteiligte (unter Beteiligung des Dolmetschers), dass er kein Asyl in Österreich, sondern in Italien wolle und somit den Antrag auf internationalen Schutz zurückziehe. 3 Hierauf sprach das BFA mit Bescheid vom 23. August 2019 aus, dass dem Mitbeteiligten ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG 2005 (von Amts wegen) nicht erteilt werde. Es erließ gegen ihn im Hinblick auf seinen unrechtmäßigen Aufenthalt gemäß § 10 Abs. 2 AsylG 2005 iVm § 9 BFA-VG eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 1 Z 1 FPG und es stellte gemäß § 52 Abs. 9 FPG fest, dass seine Abschiebung nach Ägypten zulässig sei. Gemäß § 53 Abs. 1 iVm Abs. 2 Z 6 FPG verhängte das BFA des Weiteren über den Mitbeteiligten wegen dessen Mittellosigkeit ein mit fünf Jahren befristetes Einreiseverbot. Überdies wurde ausgesprochen, dass einer Beschwerde gegen die Rückkehrentscheidung gemäß § 18 Abs. 2 Z 1 BFA-VG die aufschiebende Wirkung aberkannt werde. 4 Der Mitbeteiligte wurde am 3. September 2019 aus der Schubhaft entlassen und reiste anschließend nach Italien aus. 5 "In Erledigung der Beschwerde", die der Mitbeteiligte gegen den in Rn. 3 dargestellten Bescheid des BFA erhoben hatte, hob das Bundesverwaltungsgericht (BVwG) mit dem angefochtenen Erkenntnis vom 30. September 2019 diesen Bescheid ersatzlos auf. Das BVwG vertrat zusammengefasst die Meinung, gemäß § 25 Abs. 2 AsylG 2005 sei die Zurückziehung des Antrags auf internationalen Schutz nicht zulässig gewesen, weshalb das BFA über diesen Antrag inhaltlich hätte entscheiden müssen. Die Erlassung einer Rückkehrentscheidung sei nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes (Hinweis auf VwGH 4.8.2016, Ra 2016/21/0162) vor der Entscheidung über einen Antrag auf internationalen Schutz nicht zulässig. In diesem Fall sei eine bereits erlassene erstinstanzliche, mit Beschwerde bekämpfte Rückkehrentscheidung (samt den Nebenaussprüchen und dem Einreiseverbot) vom BVwG ersatzlos zu beheben. Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG sprach das BVwG noch aus, die Revision sei - wegen bestehender Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zu allen erheblichen Rechtsfragen bzw. ohnehin klarer Rechtslage - gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.
6 Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die vorliegende außerordentliche Revision des BFA, über die der Verwaltungsgerichtshof erwogen hat:
7 In der Amtsrevision weist das BFA darauf hin, dass der Antrag des Mitbeteiligten im Zeitpunkt der Zurückziehungserklärung zwar gestellt, aber noch nicht eingebracht gewesen sei, weil dies nach § 17 Abs. 6 AsylG 2005 iVm § 43 Abs. 2 Z 1 BFA-VG bei einem in Schubhaft angehaltenen Fremden erst nach Durchführung der (gemäß § 42 Abs. 1 BFA-VG von den Organen des öffentlichen Sicherheitsdienstes vorzunehmenden) ersten Befragung iSd § 19 Abs. 1 AsylG 2005 der Fall sei. Der Mitbeteiligte sei daher kein Asylwerber gewesen, was definitionsgemäß nach § 2 Abs. 1 Z 14 AsylG 2005 die Einbringung eines Antrags auf internationalen Schutz vorausgesetzt hätte. Das diesbezügliche Verfahren sei auch noch nicht "beim" bzw. "vor" dem BFA anhängig gewesen, weil gemäß § 17 Abs. 4 AsylG 2005 (Hinweis auch auf § 29 Abs. 1 AsylG 2005) das Verfahren erst nach der Einbringung des Antrags auf internationalen Schutz mit dem Zulassungsverfahren zu beginnen ist. § 25 Abs. 2 AsylG 2005 erfasse nach seinem Wortlaut jedoch nur "Asylwerber" und Zurückziehungserklärungen "im Verfahren vor dem Bundesamt", sodass diese Bestimmung im vorliegenden Fall nicht anwendbar und dem Mitbeteiligten die Zurückziehung seines Antrags auf internationalen Schutz nach der allgemeinen Bestimmung des § 13 Abs. 7 AVG (noch) möglich gewesen sei. Mangels Antrags habe das BFA daher nicht über internationalen Schutz abzusprechen gehabt, sondern es habe den Mitbeteiligten als unrechtmäßig aufhältigen Drittstaatsangehörigen betrachten und gegen ihn eine Rückkehrentscheidung (samt Nebenaussprüchen und befristetem Einreiseverbot) erlassen dürfen. Die Begründung des BVwG für die ersatzlose Behebung des Bescheides des BFA vom 23. August 2019 sei daher nicht tragfähig und das angefochtene Erkenntnis somit rechtswidrig.
8 Entgegen dem gemäß § 34 Abs. 1a erster Satz VwGG nicht bindenden Ausspruch des BVwG erweist sich die Amtsrevision - wegen Fehlens von Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zu der in der Amtsrevision aufgeworfenen entscheidungswesentlichen Frage der Auslegung des § 25 Abs. 2 AsylG 2005 - unter dem Gesichtspunkt des Art. 133 Abs. 4 B-VG als zulässig; sie ist allerdings nicht berechtigt.
9 Anders als das BFA in der Amtsrevision offenbar meint, ist bei der Auslegung des § 25 Abs. 2 AsylG 2005 nicht nur auf den Wortlaut der aktuellen Fassung abzustellen, sondern zur Deutung des Inhalts dieser Bestimmung vor dem Hintergrund des mit ihr verfolgten Zwecks auch die historische Entwicklung einzubeziehen. 10 Eine Bestimmung, mit der die Unzulässigkeit der Zurückziehung eines Asylantrages normiert wurde, fand sich erstmals in dem durch die AsylG-Novelle 2003 angefügten und mit Wirksamkeit ab 1. Mai 2004 in Kraft getretenen Abs. 3 des § 23 AsylG 1997; sie lautete:
"(3) Die Zurückziehung eines Asylantrages ist unzulässig (§ 31 Abs. 2); die Behörde hat jedenfalls über den Asylantrag abzusprechen, es sei denn, das Verfahren wird eingestellt oder der Antrag wird als gegenstandslos abgelegt (§ 40a Abs. 3). Eine Zurückziehung des Asylantrages im Stadium der Berufung gilt als Zurückziehung der Berufung."
Der angesprochene, auch erst mit der AsylG-Novelle 2003 angefügte Abs. 2 des § 31 AsylG 1997 normierte dazu ergänzend, "Anträge auf Zurückziehung des Asylantrages sind nach entsprechender Belehrung des Asylwerbers über die Rechtsfolgen als gegenstandslos abzulegen".
11 Diese (neue) Anordnung betreffend die Unzulässigkeit einer Zurückziehung des Asylantrages wurde in den ErläutRV zur AsylG-Novelle 2003 (120 BlgNR 22. GP 17) wie folgt begründet:
"Die Abs. 3 und 5 sind notwendig, um den Asylmissbrauch hintanzuhalten, der seine Ausformung dadurch gewinnt, dass Asylanträge willkürlich zurückgezogen und neu eingebracht werden könnten. Diese Vorgangsweise führt zu einer Lähmung der Asylbehörden, die auch durch verstärkten Ressourceneinsatz nicht wettgemacht werden kann."
12 Mit der Frage der Verfassungskonformität insbesondere des ersten Satzes des § 23 Abs. 3 AsylG 1997 hatte sich der Verfassungsgerichtshof in seinem Erkenntnis VfGH 15.10.2004, G 273/03 u.a., zu befassen. Er führte dazu unter Punkt III.6.5. der Entscheidungsgründe Folgendes aus:
"§ 23 Abs. 3 AsylG geht davon aus, dass die Behörde auch bei Rückziehung des Asylantrages über den Asylantrag abzusprechen hat, es sei denn, das Verfahren wird eingestellt oder der Antrag als gegenstandslos abgelegt. In § 23 Abs. 3 AsylG wird bei der Erwähnung der Ablegung als gegenstandslos § 40a Abs. 3 AsylG zitiert. § 40a AsylG, der die Rückkehrhilfe und nicht die Gegenstandslosigkeit eines Asylantrages regelt, hat nur zwei Absätze, sodass der Verweis auf einen dritten Absatz des § 40a AsylG durch § 23 Abs. 3 AsylG ins Leere geht.
Die Ablegung eines Antrages nach § 23 Abs. 3 bezieht sich auf den Asylantrag selbst und nicht auf den in § 31 Abs. 2 genannten 'Antrag auf Zurückziehung des Asylantrages', sodass letztlich trotz der sprachlichen Unzukömmlichkeiten in § 23 Abs. 3 (Verweis auf eine nicht existente Bestimmung) und § 31 Abs. 2 ('Antrag auf Zurückziehung des Asylantrages') der Inhalt beider Bestimmungen klar wird: Wird ein Asylantrag zurückgezogen, ist die Zurückziehung als gegenstandslos abzulegen und das Asylverfahren fortzusetzen.
Damit soll nach Absicht des Gesetzgebers verhindert werden, dass Asylwerber den Aufenthalt in Österreich verlängern, indem sie bei erwartetem negativen Ausgang ihres Verfahrens den Antrag zurückziehen, so dass über ihn zunächst nicht entschieden werden kann, und dann einen neuen Asylantrag einbringen, der ein neues Verfahren in Gang setzt. Diese Absicht des Gesetzgebers, die er mit unzureichendem Gesetzestext umzusetzen versucht, ergibt sich auch aus den Erläuterungen (RV 120 BlgNR XXII. GP, 17)."
Vor diesem Hintergrund kam der Verfassungsgerichtshof zu dem Schluss, insoweit liege kein Verstoß gegen Art. 11 Abs. 2 B-VG oder gegen das Rechtsstaatsgebot oder Art. 13 EMRK vor. Das begründete er ergänzend wie folgt:
"Im Asylrecht gibt es aber die Besonderheit, dass nach Stellung des Asylantrages faktischer Abschiebeschutz besteht (§ 19 Abs. 1 AsylG). Ein Asylwerber kann also, wenn er erkennt, keine Aussicht auf Asylerteilung und damit die Möglichkeit des ständigen Aufenthaltes in Österreich zu haben, durch verfahrensverzögernde Maßnahmen sein Ziel wenigstens teilweise erreichen, da er während des Verfahrens nicht abgeschoben werden kann und somit wenigstens einen zeitlich begrenzten Aufenthalt im Inland erlangt."
13 Zu § 23 Abs. 3 AsylG 1997 idF der AsylG-Novelle 2003 hielt der Verwaltungsgerichtshof in seinem Erkenntnis VwGH 8.6.2006, 2004/01/0289, fest, die Zurückziehung eines Asylantrages sei nach dieser Rechtslage unzulässig und im erstinstanzlichen Verfahren wirkungslos. Erfolge die Antragszurückziehung im Berufungsverfahren, so bleibe sie hingegen nicht folgenlos. Die Partei werde (nämlich) so behandelt, als ob sie statt des verfahrenseinleitenden Antrages die Berufung zurückgezogen hätte. Unter Bezugnahme auf die wiedergegebenen Gesetzesmaterialien führte der Verwaltungsgerichtshof in diesem Erkenntnis dann noch mit Verweis auf VfGH 15.10.2004, G 273/03 u.a., aus, die Regelung des § 23 Abs. 3 AsylG 1997 beruhe auf einem Missbrauchsverdacht gegenüber Personen, die einen Asylantrag zurückziehen. Sie bezwecke, die "Sperrwirkung der Rechtskraft" für weitere Folgeverfahren zu erhalten (so VwGH 26.6.2007, 2007/01/0513, 0514).
14 Nach der bis dahin geltenden Rechtslage konnten nämlich Asylanträge gemäß § 23 Abs. 1 AsylG 1997 iVm § 13 Abs. 7 AVG in jeder Lage des Verfahrens bis zur Erlassung des Bescheides, im Fall einer Berufung auch bis zur Erlassung des Berufungsbescheides, zurückgezogen werden (siehe dazu VwGH 29.3.2001, 2000/20/0473, 2001/20/0089, Punkt I.2.2. der Entscheidungsgründe). Die Antragsrückziehung im erstinstanzlichen Verfahren bewirkte, ohne dass es einer behördlichen Entscheidung bedurfte, "jedenfalls automatisch" das Ende des Verfahrens (vgl. VwGH 21.10.2005, 2002/12/0294, und darauf Bezug nehmend VwGH 25.7.2013, 2013/07/0099). Durch die Zurückziehung des verfahrenseinleitenden Antrages nach Erhebung der Berufung wurde allerdings der schon erlassene Bescheid der Behörde erster Instanz nicht beseitigt. Es fehlte dann aber eine Voraussetzung für die Erlassung eines antragsbedürftigen Verwaltungsaktes, wie dies die Gewährung von Asyl darstellt. Für den (damaligen) unabhängigen Bundesasylsenat als Berufungsbehörde bestand demnach in einem solchen Fall die Pflicht, über die Berufung in der Form zu entscheiden, dass der angefochtene erstinstanzliche Bescheid aufzuheben (ersatzlos zu beheben) war (vgl. neuerlich VwGH 29.3.2001, 2000/20/0473, 2001/20/0089, Punkt I.2.2. der Entscheidungsgründe, und darauf Bezug nehmend etwa VwGH 30.3.2006, 2003/20/0345). Demnach konnte nach der Zurückziehung des Asylantrages ohne Weiteres später ein neuer Erstantrag auf Gewährung von Asyl gestellt werden (vgl. auch VwGH 26.4.2001, 2000/20/0022, Punkt 1. der Entscheidungsgründe).
15 Dieser Konsequenz sollte die Neuregelung entgegenwirken. Die Zurückziehung des Asylantrages während des erstinstanzlichen Verfahrens war demnach wirkungslos und hatte zur Folge, dass das Bundesasylamt jedenfalls - außer das Verfahren wurde eingestellt oder der Antrag wurde als gegenstandslos abgelegt - über den Asylantrag abzusprechen hatte, sodass darüber, aber gegebenenfalls auch über die Zulässigkeit der Abschiebung und die Ausweisung, letztlich rechtskräftig - bei typisierender Betrachtung in der Regel zu Lasten des Antragstellers - entschieden wurde. Ein später gestellter weiterer Antrag war daher als Folgeantrag - mit grundsätzlich eingeschränktem Bleiberecht während des Verfahrens - zu behandeln. Zum selben Ergebnis sollte die Zurückziehung des Asylantrages im Berufungsstadium führen, die nach sich zog, dass infolge der gesetzlich normierten Umdeutung als Berufungszurückziehung die gesamte erstinstanzliche - den Asylantrag abweisende sowie gegebenenfalls die Zulässigkeit der Abschiebung feststellende und die Ausweisung verfügende - Entscheidung (sofort) rechtskräftig wurde.
16 Bereits an dieser Stelle ist darauf hinzuweisen, dass schon damals ausdrücklich zwischen einem (erst) gestellten Asylantrag und einem (bereits) eingebrachten Asylantrag unterschieden wurde. In § 3 AsylG 1997 idF der AsylG-Novelle 2003 war nämlich normiert, dass ein Asylantrag gestellt ist, wenn Fremde auf welche Weise immer gegenüber einer Sicherheitsbehörde oder einem Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes zu erkennen geben, in Österreich Schutz vor Verfolgung zu suchen (Abs. 2), während ein Asylantrag eingebracht ist, wenn der Fremde entweder persönlich in einer Erstaufnahmestelle den Antrag stellt oder von einem Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes der Erstaufnahmestelle vorgeführt wird (Abs. 3; vgl. auch § 24 Abs. 1 und 3 AsylG 1997 idF der AsylG-Novelle 2003). Wie nach der aktuellen Rechtslage war schon damals unter "Asylwerber(in)" nach der Begriffsdefinition in § 1 Z 3 AsylG 1997 idF der AsylG-Novelle 2003 "ein Fremder ab Einbringung eines Asylantrages" bis zum rechtskräftigen Abschluss des Verfahrens oder bis zu dessen Einstellung zu verstehen. 17 Weder aus dem Gesetzestext noch aus den diesbezüglichen Materialien oder aus der dazu ergangenen Judikatur lassen sich allerdings Anhaltspunkte entnehmen, dass sich die Regelung des § 23 Abs. 3 AsylG 1997 nur auf Anträge beziehen sollte, die (bereits) eingebracht waren. Demnach handelt es sich bei der Verwendung des Begriffs "Asylwerber" in § 31 Abs. 2 AsylG 1997 nur um eine (weitere) Ungenauigkeit; davon sollten in diesem Zusammenhang erkennbar auch Fremde umfasst sein, die einen Asylantrag (erst) gestellt hatten.
18 Für dieses Ergebnis spricht schließlich auch der Inhalt der Äußerung der Bundesregierung, wie sie insoweit wörtlich im schon erwähnten Erkenntnis VfGH 15.10.2004, G 273/03 ua., unter Punkt III.6.3. der Entscheidungsgründe wiedergegeben wurde. Dort wurde von der Bundesregierung nämlich einleitend festgehalten, "§ 23 Abs. 3 AsylG 1997 unterscheidet zwei Fälle; die Zurückziehung des Asylantrages vor und nach einer allfälligen Berufungserhebung." Werde versucht, den Asylantrag "vor der Entscheidung der ersten Instanz" zurückzuziehen, so sei dies unzulässig und der "Antrag (auf Zurückziehung des Antrags) wird als gegenstandslos abgelegt". Dieser Deutung der in Rede stehenden Bestimmung lässt sich nicht einmal ansatzweise entnehmen, die zitierten Ausführungen würden sich nur auf einen (bereits) eingebrachten Asylantrag beziehen und für einen (erst) gestellten Asylantrag nicht gelten.
19 Die Nachfolgebestimmung in dem am 1. Jänner 2006 in Kraft getretenen AsylG 2005 lautete in dessen § 25 Abs. 2 (in der bis 31. März 2009 geltenden Stammfassung) wie folgt:
"(2) Das Zurückziehen eines Antrags auf internationalen Schutz ist im Verfahren erster Instanz nicht möglich, es sei denn, der Asylwerber ist in Österreich rechtmäßig niedergelassen (§ 2 Abs. 2 NAG). Das Zurückziehen eines Antrags auf internationalen Schutz in Verfahren zweiter Instanz gilt als Zurückziehung der Berufung. Anbringen, mit denen Anträge auf internationalen Schutz zurückgezogen werden sollen, sind nach Belehrung des Asylwerbers über die Rechtsfolgen als gegenstandslos abzulegen, wenn das Anbringen nicht als Zurückziehen der Berufung gilt."
20 Die ErläutRV zum Fremdenrechtspaket 2005 (952 BlgNR 22. GP 48) hielten dazu fest:
"Abs. 2 normiert, dass die Zurückziehung eines Antrags auf internationalen Schutz im Verfahren vor dem Bundesasylamt normalerweise nicht möglich ist. Damit soll verhindert werden, dass auf Grund einer Zurückziehung die - dann ungeprüfte - Behauptung im Raum stehen würde, dass der Fremde Flüchtling sei und Österreich seinen Verpflichtungen aus der Genfer Flüchtlingskonvention nicht nachkomme. Das ist aber nicht notwendig, wenn sich der Asylwerber rechtmäßig in Österreich niedergelassen hat und - auch ohne die Zuerkennung des Status des Asylberechtigten - unbefristet in Österreich leben darf.
Darüber hinaus soll eine Verschleppung des Verfahrens durch wiederholte Zurückziehungen und Neuantragsstellungen verhindert werden. Anders stellt sich die Situation vor dem unabhängigen Bundesasylsenat dar. Hier ist die Zurückziehung des Antrags möglich, gilt aber als Zurückziehung der Berufung, sodass der Bescheid 1. Instanz in Rechtskraft erwächst. Auch mit dieser Regelung sollten ungerechtfertigte Folgeanträge hintangehalten werden."
21 Diesen Gesetzesmaterialien lässt sich nicht entnehmen, dass im Verhältnis zur Vorgängerregelung im AsylG 1997 eine inhaltliche Änderung beabsichtigt war. Es sollte offenbar nur eine - der Sache nach der Kritik des Verfassungsgerichtshofes Rechnung tragende - klarere Formulierung gewählt werden. Überdies wurde lediglich die davor dislozierte Bestimmung über die Behandlung der Zurückziehungserklärung als gegenstandslos und über die davor vorzunehmende Belehrung - ausdrücklich eingeschränkt auf nicht als Berufungszurückziehung geltende Anbringen - in diese Norm aufgenommen. Ziel ist entsprechend den zitierten Gesetzesmaterialien nach wie vor, dass "ungerechtfertigte Folgeanträge hintangehalten werden", was voraussetzt, dass die (unwirksam zurückgezogenen) Anträge auf internationalen Schutz einer Erledigung - entweder in Form eines Abspruchs darüber durch das Bundesasylamt oder durch die Zurückziehungsfiktion in Bezug auf eine Berufung gegen den bereits erlassenen erstinstanzlichen Bescheid - zugeführt werden, die letztlich in Rechtskraft erwächst.
22 In der ab 1. April 2009 geltenden Fassung des § 25 Abs. 2 AsylG 2005 wurden durch BGBl. I Nr. 29/2009 lediglich im ersten Satz die Wortfolge "erster Instanz" durch die Wortfolge "vor dem Bundesasylamt" und im zweiten Satz die Wortfolge "in Verfahren zweiter Instanz" durch die Wortfolge "im Verfahren vor dem Asylgerichtshof" ersetzt. Dem entsprechend wurde durch das FNG mit Wirksamkeit ab 1. Jänner 2014 im ersten Satz dann nur das Wort "Bundesasylamt" durch das Wort "Bundesamt" und im zweiten Satz das Wort "Asylgerichtshof" durch das Wort "Bundesverwaltungsgericht" ersetzt. Damit sollte offenbar keine inhaltliche Änderung herbeigeführt werden, sondern nach dem Inhalt der Gesetzesmaterialien handelte es sich bloß um "redaktionelle Anpassungen" (so die ErläutRV 88 BlgNR 24. GP 4), mit denen durch die ausdrückliche Anführung der Behörde erster Instanz und des Asylgerichtshofes der Neuschaffung einer Gerichtsinstanz Rechnung getragen wurde, bzw. um "eine terminologische Anpassung", die aufgrund der geplanten Einführung des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl und des Bundesverwaltungsgerichtes zu erfolgen hatte (so die ErläutRV 1803 BlgNR 24. GP 36).
23 Die geltende Fassung des § 25 Abs. 2 AsylG 2005 lautet daher wie folgt:
"(2) Das Zurückziehen eines Antrags auf internationalen Schutz ist im Verfahren vor dem Bundesamt nicht möglich, es sei denn, der Asylwerber ist in Österreich rechtmäßig niedergelassen (§ 2 Abs. 2 NAG). Das Zurückziehen eines Antrags auf internationalen Schutz im Verfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht gilt als Zurückziehung der Beschwerde. Anbringen, mit denen Anträge auf internationalen Schutz zurückgezogen werden sollen, sind nach Belehrung des Asylwerbers über die Rechtsfolgen als gegenstandslos abzulegen, wenn das Anbringen nicht als Zurückziehen der Beschwerde gilt."
24 Nun ließe sich der Wortlaut der zitierten Bestimmung im Sinne der Ausführungen in der Amtsrevision tatsächlich dahin deuten, dass nur in einem Verfahren vor dem BFA, das erst nach Einbringung des Antrags auf internationalen Schutz mit dem Zulassungsverfahren beginne, die Zurückziehung des Antrags nicht "möglich" und damit wirkungslos sei. Das greift aber insofern zu kurz, als in der Stammfassung des FPG ganz generell auf das Zurückziehen eines Antrags auf internationalen Schutz "im Verfahren erster Instanz" abgestellt wurde und durch die danach gewählten Formulierungen "im Verfahren vor dem Bundesasylamt" bzw. "im Verfahren vor dem Bundesamt" - wie bereits dargelegt - offensichtlich keine inhaltliche Änderung beabsichtigt war. Insbesondere bestehen dafür, dass dadurch eine Differenzierung zwischen nur gestellten und bereits eingebrachten Anträgen auf internationalen Schutz getroffen werden sollte, überhaupt keine Anhaltspunkte. Das gilt auch - wie oben dargelegt (siehe Rn. 17) - für die Vorgängerregelung im AsylG 1997, wobei - was ebenfalls schon ausgeführt wurde (siehe Rn. 21) - nicht erkennbar ist, der Gesetzgeber habe im AsylG 2005 dann eine davon abweichende Regelung treffen wollen.
25 Dagegen spricht überdies auch, dass der schon mit § 23 Abs. 3 AsylG 1997 verfolgte und auch mit § 25 Abs. 2 AsylG 2005 beabsichtigte Zweck der Verhinderung von Missbrauch (siehe oben Rn. 11 bis 15) auch für einen erst gestellten Antrag auf internationalen Schutz gilt. Das trifft auch für das weitere Motiv zu, trotz einer Antragszurückziehung über die Gewährung von internationalem Schutz abzusprechen, um den Verpflichtungen aus der Genfer Flüchtlingskonvention zu entsprechen. Eine Begründung für eine diesbezüglich gerechtfertigte Einschränkung nur auf die Fälle eines eingebrachten Antrags auf internationalen Schutz ist nicht erkennbar und wird auch in der Amtsrevision nicht dargetan. Somit lässt sich allein aus der Verwendung des Begriffs "Asylwerber" in § 25 Abs. 2 AsylG 2005 nicht das Gegenteil ableiten. Vielmehr handelt es sich offenbar nur um eine Übernahme des - schon damals in diesem Zusammenhang in § 31 Abs. 2 AsylG 1997 ungenau verwendeten - Begriffs "Asylwerber". Unter den in § 25 Abs. 2 AsylG 2005 genannten "Asylwerbern" sind daher - wie schon bei der Vorgängerregelung (siehe oben Rn.17) - sowohl Asylwerber iSd § 2 Abs. 1 Z 14 AsylG 2005 zu verstehen als auch Fremde, die einen Antrag auf internationalen Schutz (erst) gestellt haben.
26 Zusammenfassend folgt daraus, dass das BVwG die Zurückziehung des Antrags auf internationalen Schutz durch den Mitbeteiligten zu Recht gemäß § 25 Abs. 2 AsylG 2005 für unwirksam angesehen und zutreffend von einem anhängigen Asylverfahren ausgegangen ist. Am Maßstab der vom BVwG zitierten und in der Amtsrevision nicht in Frage gestellten Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes (zu Asylfolgeanträgen siehe überdies VwGH 25.9.2018, Ra 2018/21/0107, Rn. 12 bis 14, mwN) war demnach auch die ersatzlose Behebung des Bescheides des BFA vom 23. August 2019 nicht rechtswidrig.
27 Die Amtsrevision war daher gemäß § 35 Abs. 1 VwGG ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung als unbegründet abzuweisen.
Wien, am 19. Dezember 2019
Schlagworte
Anzuwendendes Recht Maßgebende Rechtslage VwRallg2Auslegung Anwendung der Auslegungsmethoden Verhältnis der wörtlichen Auslegung zur teleologischen und historischen Auslegung Bedeutung der Gesetzesmaterialien VwRallg3/2/2European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2019:RA2019210340.L00Im RIS seit
11.02.2020Zuletzt aktualisiert am
11.02.2020