TE Vwgh Beschluss 2019/12/30 Ra 2019/18/0125

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Veröffentlicht am 30.12.2019
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Index

41/02 Passrecht Fremdenrecht

Norm

AsylG 2005 §6 Abs1 Z4

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Vizepräsidentin Dr.in Sporrer sowie den Hofrat Mag. Nedwed und die Hofrätin MMag. Ginthör als Richterinnen und Richter, unter Mitwirkung des Schriftführers Mag. Wuketich, über die Revision des Bundesamts für Fremdenwesen und Asyl gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 4. März 2019, Zl. W224 2214993-1/2E, betreffend eine Asylangelegenheit (mitbeteiligte Partei: K S), den Beschluss gefasst:

Spruch

Die Revision wird zurückgewiesen.

Begründung

1 Der Mitbeteiligte ist syrischer Staatsangehöriger. Ihm wurde aufgrund seines Antrages vom 10. Jänner 2015 mit Bescheid des Bundesamts für Fremdenwesen und Asyl (BFA) vom 28. November 2015 der Status des Asylberechtigten zuerkannt.

2 Mit rechtskräftigem Urteil des Landesgerichts Innsbruck vom 8. November 2018 wurde der Mitbeteiligte des Vergehens der Nötigung nach § 105 Abs. 1 StGB, des Vergehens der Sachbeschädigung nach § 125 StGB, des Vergehens der Körperverletzung nach § 83 Abs. 1 StGB, des Verbrechens der schweren Körperverletzung nach §§ 15, 84 Abs. 4 StGB sowie des Vergehens der gefährlichen Drohung nach § 107 Abs. 1 StGB schuldig gesprochen.

3 Hierfür wurde er unter Anwendung des § 28 sowie des § 43a Abs. 3 StGB nach dem Strafsatz des § 84 Abs. 4 StGB zu einer Freiheitsstrafe von neun Monaten sowie gemäß § 369 Abs. 1 StPO zur Zahlung eines Teilschmerzengeldbetrages bzw. Teilschadenersatzes in der Höhe von EUR 1.000,-- binnen zwei Wochen ab Rechtskraft an die Privatbeteiligte G verurteilt. Gemäß § 43 Abs. 1 StGB wurde ein Teil der Freiheitsstrafe in der Höhe von sechs Monaten unter Bestimmung einer Probezeit von drei Jahren bedingt nachgesehen. 4 Mildernd wertete das Landesgericht die Unbescholtenheit des Mitbeteiligten sowie das teilweise Geständnis und den Umstand, dass es hinsichtlich einer Tat nur beim Versuch geblieben sei. Erschwerend wurden das Zusammentreffen mehrerer Vergehen und eines Verbrechens sowie die Tatwiederholung bei gefährlicher Drohung berücksichtigt.

5 Mit Bescheid vom 24. Jänner 2019 erkannte das BFA dem Mitbeteiligten den Status des Asylberechtigten gemäß § 7 Abs. 1 Z 1 AsylG 2005 ab. Gemäß § 7 Abs. 4 AsylG 2005 wurde festgestellt, dass ihm die Flüchtlingseigenschaft kraft Gesetzes nicht mehr zukomme. Es wurde ihm der Status des subsidiär Schutzberechtigten nicht zuerkannt, ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen

Gründen nicht erteilt sowie eine Rückkehrentscheidung erlassen. Weiters stellte das BFA fest, dass die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Mitbeteiligten aus dem österreichischen Bundesgebiet nach Syrien unzulässig sei. Zudem wurde eine Frist für die freiwillige Ausreise festgelegt.

6 Der Mitbeteiligte erhob Beschwerde.

7 Mit dem angefochtenen Erkenntnis gab das Bundesverwaltungsgericht (BVwG) der Beschwerde statt und hob den Bescheid vom 24. Jänner 2019 ersatzlos auf. Die Revision nach Art. 133 Abs. 4 B-VG erklärte das Gericht für nicht zulässig. 8 Begründend führte das BVwG aus, die Begehung des Verbrechens der schweren Körperverletzung gemäß § 84 Abs. 4 StGB sei mit Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu fünf Jahren bedroht. Der Mitbeteiligte sei aufgrund eines typischerweise schweren Delikts zu einer neunmonatigen Freiheitsstrafe verurteilt worden. Ein Teil der Freiheitsstrafe in der Höhe von sechs Monaten sei bedingt nachgesehen worden. Es könne auch in Anbetracht der vom Landesgericht herangezogenen Milderungs- und Erschwerungsgründe nur bei Hinzutreten besonderer Umstände angenommen werden, dass der in Rede stehenden Straftat die für ein "besonders schweres Verbrechen" erforderliche außerordentliche Schwere anhafte. 9 Besondere Umstände, aus denen sich ergebe, dass sich das begangene Delikt als objektiv und subjektiv besonders schwerwiegend erwiesen habe, träten fallbezogen aber nicht hinzu, wobei dies bereits durch die Höhe der verhängten Strafe und ihre Relation zur Strafdrohung zum Ausdruck komme. Aus den im Strafurteil genannten erschwerenden Umständen könne eine besondere Schwere "der Verbrechen" nicht abgeleitet werden; dies insbesondere vor dem Hintergrund, dass das Zusammentreffen mit mehreren Vergehen die Schwere des Verbrechens an sich nicht zu beeinflussen vermöge. Darüber hinaus seien auch im Bescheid des BFA keinerlei Gründe dargelegt worden, aufgrund derer sich die betreffende Tat als objektiv und subjektiv besonders schwerwiegend erwiesen hätte. Ergänzend sei festzuhalten, dass fallbezogen aus näher genannten Gründen von einer "Gemeingefährlichkeit" des Mitbeteiligten nicht auszugehen sei. Es sei daher weder eine Verurteilung zu einem besonders schweren Verbrechen im Sinne des § 6 Abs. 1 Z 4 AsylG 2005 noch ein anderer Asylausschlussgrund nach § 6 AsylG 2005 vorgelegen. Die Aberkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 7 Abs. 1 Z 1 AsylG 2005 sei daher zu Unrecht erfolgt.

10 Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die vorliegende außerordentliche Amtsrevision, die zur Begründung ihrer Zulässigkeit u.a. geltend macht, das BVwG sei insofern von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abgewichen, als es nicht auf die konkreten Umstände der vom Mitbeteiligten verübten Straftat eingegangen sei, sondern lediglich auf eine abstrahierte Darstellung der Tat, das Strafausmaß und die Strafzumessungsgründe abgestellt habe. Das BVwG habe nicht einmal die im Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Innsbruck wiedergegebenen Tathandlungen festgestellt, welche von der Amtsrevision im Folgenden näher dargestellt werden. Zudem seien nach der Rechtsprechung bei der Bewertung eines Verbrechens, das mit mehreren Vergehen zusammentreffe, einschlägige Vergehen miteinzubeziehen. Die Rechtsansicht des BVwG, wonach das Zusammentreffen mit mehreren Vergehen die Schwere des Verbrechens an sich nicht beeinflusse, weiche von der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes ab.

11 Der Mitbeteiligte erstattete keine Revisionsbeantwortung. Die Voraussetzungen nach Art. 133 Abs. 4 B-VG liegen nicht vor:

12 Nach Art. 133 Abs. 4 B-VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

13 Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegen der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung mit Beschluss zurückzuweisen. 14 Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden. Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG hat der Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen. 15 Die Aberkennung des Status des Asylberechtigten wegen Straffälligkeit setzt nach § 6 Abs. 1 Z 4 AsylG 2005 eine rechtskräftige Verurteilung wegen eines besonders schweren Verbrechens voraus. Das entspricht der unionsrechtlichen Vorgabe des Art. 14 Abs. 4 lit. b der Richtlinie 2011/95/EU (Statusrichtlinie), wonach die Aberkennung erfolgen kann, wenn der Flüchtling eine Gefahr für die Allgemeinheit dieses Mitgliedstaates darstellt, weil er wegen einer besonders schweren Straftat rechtskräftig verurteilt wurde.

16 Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes fallen unter den Begriff des "besonders schweren Verbrechens" nur Straftaten, die objektiv besonders wichtige Rechtsgüter verletzen. Typischerweise schwere Verbrechen sind etwa Tötungsdelikte, Vergewaltigung, Kindesmisshandlung, Brandstiftung, Drogenhandel, bewaffneter Raub und dergleichen. Auf die Strafdrohung allein kommt es bei der Beurteilung, ob ein "besonders schweres Verbrechen" vorliegt, nicht an. Die Tat muss sich im konkreten Einzelfall als objektiv und subjektiv besonders schwerwiegend erweisen, wobei unter anderem auf Milderungsgründe Bedacht zu nehmen ist. Bei der Beurteilung, ob ein "besonders schweres Verbrechen" vorliegt, ist daher eine konkrete fallbezogene Prüfung vorzunehmen und sind insbesondere die Tatumstände zu berücksichtigen (vgl. etwa zuletzt VwGH 18.11.2019, Ra 2019/18/0418, mwN).

17 Der Verwaltungsgerichtshof hat ferner zum Ausdruck gebracht, dass auch im Fall einer Vielzahl einschlägiger rechtskräftiger Verurteilungen und insofern verhängter, beträchtlicher und überwiegend unbedingter Freiheitsstrafen, verwirklichte Delikte in einer Gesamtbetrachtung als "besonders schweres Verbrechen" qualifiziert werden können (vgl. VwGH 18.10.2018, Ra 2017/19/0109). Gegen den Mitbeteiligten liegt jedoch lediglich eine rechtskräftige strafgerichtliche Verurteilung vor und es wurden über ihn keine beträchtlichen und überwiegend unbedingten Freiheitsstrafen verhängt. Auch dem in der Revision zitierten hg. Erkenntnis vom 26. Februar 2019, Ra 2018/18/0493, lag ein mit der vorliegenden Situation nicht vergleichbarer, nämlich ein typischerweise als besonders schwer einzustufendes Verbrechen betreffender Sachverhalt (Drogenhandel; Verurteilung zu einer achtzehnmonatigen unbedingten Freiheitsstrafe) zugrunde.

18 Das BVwG vertrat im vorliegenden Fall die Ansicht, es fehle an objektiven und subjektiven Gesichtspunkten, die auf eine außerordentliche Schwere der vom Mitbeteiligten verübten Straftat schließen ließen.

19 Nun trifft es zwar zu, dass das angefochtene Erkenntnis den in der höchstgerichtlichen Rechtsprechung entwickelten Anforderungen nicht in jeder Hinsicht gerecht wird, und es das BVwG insbesondere verabsäumt hat, die konkreten Umstände der vom Mitbeteiligten verübten Taten festzustellen und diese in seine Erwägungen erkennbar miteinzubeziehen.

20 Soweit die Amtsrevision in diesem Zusammenhang jedoch Feststellungs- und Begründungsmängel geltend macht, wird deren Relevanz nicht dargelegt.

21 Es ist nämlich auch unter Berücksichtigung der von der revisionswerbenden Behörde angesprochenen Tatumstände nicht ersichtlich, dass die im Rahmen einer einzelfallbezogenen Gesamtbeurteilung getroffene Einschätzung des BVwG, wonach im konkreten Fall objektive und subjektive Gründe, welche die Tat als besonders schwerwiegend erscheinen ließen, zu verneinen seien, unvertretbar wäre und diese Bewertung mit den Leitlinien der Judikatur in Widerspruch stünde.

22 Dabei verkennt der Verwaltungsgerichtshof nicht, dass der Mitbeteiligte nach den von der Amtsrevision unter Bezugnahme auf das Strafurteil angesprochenen Tatumständen seine ehemalige Freundin einmal leicht verletzt hat und einmal körperlich schwer verletzen wollte (wobei es beim Versuch dieses Delikts blieb); dass er sie zweimal telefonisch gefährlich bedrohte und ihr überdies das Mobiltelefon gewaltsam entrissen und es anschließend beschädigt hatte. Für alle diese Straftaten wurde der Mitbeteiligte vom Strafgericht nach Abwägung der Milderungs- und Erschwerungsgründe - bei einem Strafrahmen von sechs Monaten bis zu fünf Jahren Freiheitsstrafe - mit einer Freiheitsstrafe von neun Monaten bestraft, die überdies im Umfang von sechs Monaten unter Setzung einer Probezeit bedingt nachgesehen wurde. 23 Der Mitbeteiligte hat dadurch zweifellos massive Straftaten begangen. Dass diese aber die hohe Schwelle eines "besonders schweren Verbrechens" im Sinne des § 6 Abs. 1 Z 4 AsylG 2005 erreicht hätten und das BVwG bei seiner Entscheidung seinen Beurteilungsspielraum überschritten hätte, vermag die Amtsrevision nicht darzulegen.

24 Vor diesem Hintergrund erweisen sich die Mängel, welche die Amtsrevision im Zusammenhang mit den vom BVwG lediglich hilfsweise angestellten Erwägungen zu der (durch das Gericht ebenfalls verneinten) "Gemeingefährlichkeit" geltend macht, für den Ausgang des vorliegenden Revisionsverfahrens von Vornherein als nicht ausschlaggebend.

25 In der Revision werden somit keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B-VG grundsätzliche Bedeutung zukäme. Die Revision war daher zurückzuweisen.

Wien, am 30. Dezember 2019

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2019:RA2019180125.L00

Im RIS seit

11.02.2020

Zuletzt aktualisiert am

11.02.2020
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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