Index
40/01 VerwaltungsverfahrenNorm
AVG §37Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Köhler sowie die Hofräte Dr. Mayr und Mag. Berger als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag.a Thaler, in der Revisionssache des N S in Wien, vertreten durch Dr. Thomas Neugschwendtner, Rechtsanwalt in 1040 Wien, Schleifmühlgasse 5/8, gegen das am 11. Jänner 2017 mündlich verkündete und mit 23. Jänner 2017 schriftlich ausgefertigte Erkenntnis des Verwaltungsgerichts Wien, VGW-151/047/13465/2016- 10, betreffend Aufenthaltsbewilligung (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Landeshauptmann von Wien), den Beschluss gefasst:
Spruch
Die Revision wird zurückgewiesen.
Begründung
1. Nach Art. 133 Abs. 4 B-VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichts die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung nicht einheitlich beantwortet wird.
Gemäß § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegen der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung mit Beschluss zurückzuweisen. Gemäß § 34 Abs. 1a VwGG ist die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision nach Art. 133 Abs. 4 B-VG im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen.
2.1. Mit dem angefochtenen Erkenntnis bestätigte das Verwaltungsgericht den Bescheid der belangten Behörde vom 18. August 2016, mit dem der Antrag des Revisionswerbers, eines türkischen Staatsangehörigen, vom 23. Februar 2016 auf Verlängerung seiner - ihm erstmals ab dem 26. Februar 2013 erteilten und zuletzt bis zum 28. Februar 2016 verlängerten - Aufenthaltsbewilligung "Studierender" gemäß § 64 Abs. 1 und 3 Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz (NAG, in der fallbezogen maßgeblichen Fassung vor BGBl. I Nr. 56/2018) in Verbindung mit § 8 Z 7 lit. b Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz-Durchführungsverordnung (in der fallbezogen maßgeblichen Fassung vor BGBl. II Nr. 229/2018) wegen fehlenden Studienerfolgs abgewiesen wurde.
2.2. Das Verwaltungsgericht führte begründend aus, der Revisionswerber studiere seit März 2013 in Österreich und habe zunächst den Vorstudienlehrgang (mit Ablegung der Ergänzungsprüfung Deutsch im Februar 2015) absolviert. In der Folge sei er ab Oktober 2015 als ordentlicher Studierender für zwei Bachelorstudien gemeldet gewesen. Dabei habe er im zuletzt abgelaufenen Studienjahr 2015/2016 einen Studienerfolg von lediglich 4 ECTS-Punkten erzielt und damit den notwendigen Erfolgsnachweis nicht erbracht.
Was das behauptete Bestehen eines Hinderungsgrundes im Sinn des § 64 Abs. 3 dritter Satz NAG betreffe, so seien im vorgelegten klinisch-psychologischen Gutachten vom 15. Juli 2016 eine posttraumatische Belastungsstörung und eine mittelgradige depressive Episode diagnostiziert worden, dies verbunden mit einer unterdurchschnittlichen Konzentrationsleistung und einem unterdurchschnittlichen Arbeitstempo. Zur Aufarbeitung der Traumata und zur Stabilisierung sei eine Psychotherapie und eine Psychopharmakatherapie empfohlen worden; weiters sei eine physiotherapeutische Behandlung wegen eines Cervikalsyndroms erfolgt. Aus den dargelegten Gründen sei es dem Revisionswerber nicht möglich gewesen, den erforderlichen Studienerfolgsnachweis zu erbringen.
Nach der (näher erörterten) Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs könne von einem (beachtlichen) Hinderungsgrund im Sinn des § 64 Abs. 3 dritter Satz NAG nicht ausgegangen werden, wenn eine Erkrankung über einen längeren Zeitraum vorliege. Gegenständlich ergebe sich bereits aus dem eigenen Vorbringen des Revisionswerbers, dass seine gesundheitlichen Beeinträchtigungen nicht bloß vorübergehend (gewesen) seien. So habe er in seiner Stellungnahme vom 20. Juli 2016 und in der Beschwerde vom 20. September 2016 ausgeführt, dass er "in den letzten drei Semester(n)" an Schlafstörungen, Albträumen und Durchleben früherer Gewaltsituationen gelitten habe. Weiters habe er in der mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht am 11. Jänner 2017 angegeben, dass er (weiterhin) eine Psychotherapie absolviere. Ferner sei im Gutachten vom 15. Juli 2016 festgehalten worden, dass ihm bereits nach der Haftentlassung in der Türkei (im 21. Lebensjahr) eine Psychotherapie empfohlen worden sei, die er aber abgelehnt habe.
Aus den soeben dargelegten Gründen könne nicht davon ausgegangen werden, dass die gesundheitlichen Beeinträchtigungen bloß vorübergehender Natur (gewesen) seien. Vielmehr handle es sich um Hindernisse, die über einen längeren Zeitraum bestanden hätten (Hinweis auf VwGH 9.11.2011, 2010/22/0138). Folglich liege aber kein (beachtlicher) Hinderungsgrund im Sinn des § 64 Abs. 3 dritter Satz NAG vor, der Verlängerungsantrag sei daher abzuweisen.
2.3. Das Verwaltungsgericht sprach ferner aus, dass die Revision nicht zulässig sei.
3. Gegen dieses Erkenntnis wendet sich die außerordentliche Revision, in der keine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung im Sinn des Art. 133 Abs. 4 B-VG aufgezeigt wird.
4.1. Der Revisionswerber macht - unter dem Gesichtspunkt eines Abweichens von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs bzw. des Fehlens einer solchen Rechtsprechung - zusammengefasst im Wesentlichen geltend, das Verwaltungsgericht sei zu Unrecht von einer länger dauernden Erkrankung ausgegangen, die keinen Hinderungsgrund im Sinn des § 64 Abs. 3 dritter Satz NAG darstelle. Zwar habe der Revisionswerber seit längerer Zeit an psychischen Problemen gelitten, diese hätten ihn aber nur im Studienjahr 2015/2016 gehindert, einen entsprechenden Erfolgsnachweis zu erbringen. Insofern unterscheide sich der Fall vom Erkenntnis VwGH 2010/22/0138, wo es um eine seit der Kindheit bestehende und damit dauerhafte psychische Erkrankung gegangen sei. Indes sei hier der Revisionswerber vor und auch nach dem maßgeblichen Studienjahr 2015/2016 in der Lage gewesen, einen entsprechenden Studienerfolg zu erzielen, sodass das Hindernis nicht länger als ein (Studien)Jahr gedauert habe. Ein solches Hindernis sei aber (noch) nicht als dauerhaft und damit als Hinderungsgrund im Sinn des § 64 Abs. 3 dritter Satz NAG zu erachten.
5. Voranzustellen ist zunächst, dass das Verwaltungsgericht zutreffend das Studienjahr 2015/2016, das - unter Berücksichtigung der Dauer des Verlängerungsverfahrens bis zur verwaltungsgerichtlichen Entscheidung - als das zuletzt vollendete Studienjahr zu erachten ist, als vorangegangenes und damit für die Beurteilung des Studienerfolgs maßgebliches Studienjahr herangezogen hat (vgl. VwGH 13.6.2019, Ra 2018/22/0293). Für dieses Studienjahr konnte der Revisionswerber unstrittig keinen ausreichenden Studienerfolg nachweisen. Er macht jedoch geltend, § 64 Abs. 3 dritter Satz NAG komme zur Anwendung, wonach trotz Fehlen eines Studienerfolgs eine Aufenthaltsbewilligung verlängert werden könne, wenn ein Hinderungsgrund vorliege.
6.1. Gemäß § 64 Abs. 3 dritter Satz NAG in der hier maßgeblichen Fassung kann eine Aufenthaltsbewilligung "Studierender" trotz Fehlen eines Studienerfolgsnachweises verlängert werden, wenn Gründe vorliegen, die der Einflusssphäre des Drittstaatsangehörigen entzogen, unabwendbar oder unvorhersehbar sind. Das Bestehen solcher Gründe hat der Studierende konkret zu behaupten und ausreichend darzulegen (vgl. VwGH 21.1.2019, Ra 2019/22/0005).
Wie der Verwaltungsgerichtshof in ständiger Rechtsprechung erkennt, kann von einem unabwendbaren oder unvorhersehbaren Hinderungsgrund im soeben aufgezeigten Sinn freilich nicht die Rede sein, wenn der Hinderungsgrund dauerhaft ist (vgl. etwa VwGH 31.7.2019, Ra 2019/22/0145; 7.4.2011, 2009/22/0124). Ist es nämlich einem Fremden wegen einer fehlenden geistigen und/oder körperlichen Voraussetzung (dauerhaft) nicht möglich, ein Studium erfolgreich zu betreiben, so kann dies nicht als Hinderungsgrund im Sinn der genannten Bestimmung gewertet werden (vgl. VwGH 13.10.2011, 2009/22/0305).
6.2. Vorliegend ist das Verwaltungsgericht zum Ergebnis gelangt, dass die vom Revisionswerber relevierte Erkrankung (posttraumatische Belastungsstörung und mittelgradige depressiven Episode verbunden mit einer unterdurchschnittlichen Konzentrations- und Arbeitsleistung) als dauerhaft zu erachten sei und damit keinen (beachtlichen) Hinderungsgrund im Sinn des § 64 Abs. 3 dritter Satz NAG darstelle.
Das Verwaltungsgericht stützte sich bei dieser Beurteilung insbesondere auf die eigenen Angaben des Revisionswerbers in der Stellungnahme vom 20. Juli 2016 und in der Beschwerde vom 20. September 2016, wonach er "in den letzten drei Semester(n)" an Schlafstörungen, Albträumen und Durchleben früherer Gewaltsituationen gelitten habe und sich weiterhin (auch noch Anfang 2017) einer Psychotherapie unterziehe. Diese Angaben bestätigte der Revisionswerber in der Revision insoweit, als er unter anderem vorbrachte, dass er "vor dem Jahr 2015" nicht an einem Studienerfolg gehindert gewesen sei, sich sein Zustand jedoch "im Jahr 2015" verschlechtert habe und die (schon näher genannten) Beeinträchtigungen eingetreten seien, wobei ab Februar 2015 "zusätzlich" ein Zervikalsyndrom hinzugekommen sei.
6.3. Mit diesen Angaben räumte der Revisionswerber selbst ein, dass seine psychische Erkrankung bereits ab dem Sommersemester 2015 und auch im Studienjahr 2015/2016 weiterhin vorgelegen ist. Folglich ist von einem jedenfalls eineinhalbjährigen Zeitraum auszugehen, in dem der Revisionswerber krankheitsbedingt einen entsprechenden Studienerfolg nicht erbringen konnte. Ein solcher Zeitraum wurde aber in der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs bereits wiederholt als dauerhaft - und damit einen (beachtlichen) Hinderungsgrund im Sinn des § 64 Abs. 3 dritter Satz NAG ausschließend - erachtet (vgl. die Sachverhalte zu VwGH 29.7.2019, Ra 2017/22/0087; 22.3.2018, Ra 2017/22/0070; 13.12.2011, 2011/22/0274). Der Verwaltungsgerichtshof hat auch bereits ausdrücklich festgehalten (vgl. neuerlich Ra 2017/22/0087), dass aus der Rechtsprechung keineswegs abzuleiten ist, dass eine dauerhafte Verhinderung erst bei einer Erkrankung ab ungefähr zweijähriger Dauer anzunehmen wäre. Vielmehr kann eine gesundheitliche Beeinträchtigung auch bereits nach Ablauf eines kürzeren Zeitraums als dauerhaft erachtet werden.
Mit dieser Rechtsprechung steht auch das Erkenntnis VwGH 2010/22/0138 im Einklang.
6.4. Vor dem dargestellten Hintergrund ist das Verwaltungsgericht jedenfalls nicht unvertretbar zum Ergebnis gelangt, dass vorliegend kein bloß vorübergehender Hinderungsgrund, sondern eine (länger) andauernde Erkrankung vorlag, die die Annahme eines Hinderungsgrunds im Sinn des § 64 Abs. 3 dritter Satz NAG ausschließt.
7. Dem steht auch das weitere (urkundlich bescheinigte) Revisionsvorbringen, wonach zuletzt eine therapiebedingte Besserung eingetreten sei und der Revisionswerber im laufenden Studienjahr (2016/2017) bereits Prüfungen im Ausmaß von 16 ECTS-Punkten absolviert habe, nicht entgegen.
Diese Ausführungen sind einerseits im Hinblick auf das Neuerungsverbot unbeachtlich (§ 41 VwGG). Andererseits kommt es - wie schon gesagt (vgl. oben Punkt 5.) - für die Beurteilung des Studienerfolgs ausschließlich auf das vorangegangene im maßgeblichen Entscheidungszeitpunkt bereits abgeschlossene und nicht auf das erst aktuell laufende Studienjahr an (vgl. abermals VwGH Ra 2018/22/0293). Vorliegend handelt es sich dabei - mit Blick auf den Entscheidungszeitpunkt des Verwaltungsgerichts (11. Jänner 2017) - um das Studienjahr 2015/2016, in dem ein entsprechender Studienerfolg unstrittig nicht nachgewiesen wurde.
8. Insgesamt wird daher - in der für die Beurteilung der Zulässigkeit der Revision allein maßgeblichen gesonderten Zulässigkeitsbegründung (vgl. VwGH 21.3.2017, Ra 2015/22/0147) - keine Rechtsfrage aufgeworfen, der im Sinn des Art. 133 Abs. 4 B-VG grundsätzliche Bedeutung zukäme. Die Revision war deshalb gemäß § 34 Abs. 1 VwGG zurückzuweisen.
Wien, am 8. Jänner 2020
Schlagworte
Sachverhalt Sachverhaltsfeststellung BeweislastEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2020:RA2017220049.L00Im RIS seit
18.02.2020Zuletzt aktualisiert am
18.02.2020