TE Bvwg Erkenntnis 2019/9/6 W187 2193041-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 06.09.2019
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Entscheidungsdatum

06.09.2019

Norm

AsylG 2005 §10 Abs1 Z3
AsylG 2005 §13 Abs2
AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §57
AsylG 2005 §8 Abs1
BFA-VG §9
B-VG Art. 133 Abs4
FPG §52
FPG §53 Abs1
FPG §53 Abs3 Z1
FPG §55
VwGVG §28 Abs2

Spruch

W187 2193041-1/28E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Mag. Hubert REISNER als Einzelrichter über die Beschwerde von XXXX alias XXXX , geboren am XXXX , Staatsangehörigkeit Afghanistan, vertreten durch den Verein Menschenrechte Österreich, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom XXXX , XXXX , nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am XXXX zu Recht erkannt:

A)

Die Beschwerde wird gemäß § 28 Abs 2 VwGVG iVm §§ 3 Abs 1, 8 Abs 1 und § 10 Abs 1 Z 3 und § 57 AsylG 2005, iVm § 9 BFA-VG, §§ 52 und 55 FPG als unbegründet abgewiesen.

B)

Die Revision ist gemäß Art 133 Abs 4 B-VG nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE

I. Verfahrensgang

1. Der Beschwerdeführer, ein afghanischer Staatsangehöriger, reiste schlepperunterstützt und unter Umgehung der Einreisebestimmungen in das Bundesgebiet ein, wo er am XXXX einen Antrag auf internationalen Schutz stellte.

2. Im Rahmen seiner Erstbefragung am XXXX wurde der Beschwerdeführer im Beisein eines Dolmetschers zu seiner Identität, seiner Reiseroute und seinen Fluchtgründen einvernommen. Als Beweggrund für seine Ausreise gab er an, dass sein Cousin XXXX eine bekannte Person in XXXX sei. Dieser kämpfe gegen die Terrororganisation ISS. Eine Gruppe der ISS habe den Beschwerdeführer eingeladen und von ihm gefordert, dass er eine Bombe bei der Familie seines Cousins XXXX verstecken solle, dass diese bzw sein Cousin sterbe. Aus diesem Grund sei er geflüchtet.

3. Am XXXX wurde der Beschwerdeführer vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl niederschriftlich zu seinem Antrag auf internationalen Schutz einvernommen. Dabei wurde zu einer Antragstellung in Ungarn befragt. Mit Bescheid vom XXXX , XXXX , sprach das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl aus, dass der Antrag auf internationalen Schutz vom XXXX ohne in die Sache einzutreten gemäß § 5 Abs 1 AsylG 2005 als unzulässig zurückgewiesen werde und Ungarn gemäß Art 25/2 VO (EU) 604/2013 zuständig sei (Spruchpunkt I.). Die belangte Behörde ordnete die Außerlandesbringung gegen den Beschwerdeführer gemäß § 61 Abs 1 FPG an und sprach aus, dass die Abschiebung gemäß § 61 Abs 2 FPG zulässig sei. Gegen diesen Bescheid erhob der Beschwerde, der das Bundesverwaltungsgericht mit Erkenntnis vom 31.11.2016, W144 2135546-1/6E, gemäß § 21 Abs 3 erster Satz BFA-VG stattgab und aussprach, dass das Verfahren über den Antrag auf internationalen Schutz zugelassen und der bekämpfte Bescheid behoben werde.

4. Das Bezirksgericht XXXX verurteilte den Beschwerdeführer mit Urteil vom XXXX , XXXX , wegen des Vergehens der Urkundenfälschung zu einer Geldstrafe. Rechtsgrundlagen waren §§ 223 Abs 2, 15 und 149 Abs 1 StGB. Der Vorfall ereignete sich am XXXX .

5. Mit Verfahrensanordnung vom XXXX teilte die belangte Behörde dem Beschwerdeführer den Verlust seines Aufenthaltsrechts gemäß § 13 Abs 2 AsylG mit.

6. Das Landesgericht XXXX verurteilte den Beschwerdeführer mit Urteil vom XXXX, XXXX, wegen§ 27 Abs 2a SMG, §§ 27 Abs 1 Z 1 8. Fall, 27 Abs 3 1. Fall SMG und § 27 Abs 1 Z 1 2. Fall SMG. Das Oberlandesgericht XXXX bestätigte dieses Urteil mit Urteil vom XXXX, XXXX, mit der Maßgabe, dass es den Beschwerdeführer wegen § 27 Abs 2a SMG, §§ 27 Abs 1 Z 1 8. Fall, 27 Abs 3 1. Fall SMG und § 27 Abs 1 Z 1 2. Fall SMG zu einer Haftstrafe von drei Monaten verurteilte. Diese Strafe verbüßte der Beschwerdeführer bis XXXX.

7. Am XXXX wurde der Beschwerdeführer vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl niederschriftlich zu seinem Antrag auf internationalen Schutz einvernommen. Darin gab er im Wesentlichen an, dass seine ganze Familie Mitglied der XXXX sei, er selbst jedoch nicht. Er habe vor seiner Flucht gemeinsam mit seiner Familie im Haus seines Vaters in XXXX gelebt. Er habe zwölf Jahre die Schule besucht und zwei Jahre studiert (Bachelor of Business Administration). Er habe keinen Beruf gelernt, jedoch vor seiner Tätigkeit für die Polizei Marmorsteine verkauft. Er sei dann drei Jahre Polizist gewesen. Sein Vater sei zwölf Jahre zuvor verstorben, seine Mutter wohne bei einem Schwager in XXXX. Seine Frau und seine vier Kinder legten bei seinem Schwiegervater in XXXX. Der Hauptgrund für seine Flucht sei, dass er Cousin väterlicherseits des XXXX sei. Er sei sowohl von den Taliban als auch vom IS aufgefordert worden, den XXXX zu töten. Dieser habe ein paar von den IS Kämpfern enthauptet. Als dies geschehen sei, habe ihn der IS aufgefordert, den XXXX zu töten, weil der Beschwerdeführer leichter Zugang zum ihm hätte. Er sei aufgefordert worden, eine Bombe in seinem Haus zu legen. Der Beschwerdeführer habe dies jedoch nicht wollen. Aus diesem Grund sei er zur Polizei gegangen und seine Familie sei alleine gewesen. Dann sei er von den Taliban und vom IS gewarnt und aufgefordert worden, den Job bei der Polizei zu beenden und mit ihnen zusammenzuarbeiten. Deshalb sei er geflüchtet. Sein Cousin sei Abgeordneter im Parlament. Als der Beschwerdeführer von seinem Cousin Leibwächter und ein Einkommen gefordert habe, habe ihm dieser das nicht geben wollen. Bei einem Versuch, ihn aufzuhalten, sei er verletzt und im Krankenhaus versorgt worden.

8. Mit dem angefochtenen Bescheid wies die belangte Behörde den Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz sowohl bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten (Spruchpunkt I.) als auch bezüglich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Afghanistan (Spruchpunkt II.) ab. Einen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG 2005 erteilte sie dem Beschwerdeführer nicht (Spruchpunkt III.). Gemäß § 10 Abs 1 Z 3 AsylG iVm § 9 BFA-VG erließ die belangte Behörde gegen den Beschwerdeführer eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs 2 Z 3 FPG (Spruchpunkt IV.) und stellte fest, dass seine Abschiebung gemäß § 46 FPG nach Afghanistan zulässig ist (Spruchpunkt V.). Gemäß § 13 Abs 2 AsylG hat der Beschwerdeführer sein Recht zum Aufenthalt im Bundesgebiet ab dem 22.4.2017 verloren (Spruchpunkt VI.). Gemäß § 53 Abs 1 iVm Abs 3 Z 1 FPG erließ die belangte Behörde ein auf die Dauer von drei Jahren befristetes Einreiseverbot (Spruchpunkt VII.). Sie erkannte einer Beschwerde gegen den Bescheid gemäß § 18 Abs 1 Z 2 BFA-VG die aufschiebende Wirkung ab (Spruchpunkt VIII.).

9. Mit Schreiben vom XXXX erhob der Beschwerdeführer, unterstützt durch den amtswegig beigegebenen Rechtsberater, fristgerecht vollumfängliche Beschwerde gegen den spruchgegenständlichen Bescheid wegen Rechtswidrigkeit des Inhalts, mangelhafter bzw unrichtiger Begründung sowie wegen Rechtswidrigkeit infolge der Verletzung von Verfahrensvorschriften und beantragte die Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung. Der Beschwerdeführer habe seinen Fluchtgrund ausreichend dargestellt. Er habe eine wohlbegründete Furcht vor Verfolgung.

10. Mit Urteil vom XXXX, XXXX , verurteilte das Landesgericht XXXX den Beschwerdeführer wegen § 27 Abs 2a zweiter Fall und Abs 3 dritter Fall SMG; § 27 Abs 1 Z 1 zweiter Fall SMG und § 27 Abs 1 Z 1 zweiter Fall und Abs 2 SMG zu einer Freiheitsstrafe von acht Monaten.

11. Mit Beschluss vom 30.4.2018, W187 2193041-1/7Z erkannte das Bundesverwaltungsgericht der Beschwerde gemäß § 18 Abs 5 BFA-VG die aufschiebende Wirkung zu.

12. Am XXXX fand vor dem Bundesverwaltungsgericht eine öffentliche mündliche Verhandlung statt, im Zuge derer der Beschwerdeführer im Beisein des ausgewiesenen Rechtsvertreters und einer Dolmetscherin für die Sprache Dari vom erkennenden Richter zu seinem Antrag auf internationalen Schutz und seinen Beschwerdegründen einvernommen wurde. Die belangte Behörde verzichtete auf die Teilnahme an der mündlichen Verhandlung.

Die Verhandlungsschrift lautet auszugsweise:

"[...]

Richter: Verstehen Sie die Dolmetscherin gut?

Beschwerdeführer: Ja.

Richter: Sind Sie psychisch und physisch in der Lage, der heute stattfindenden mündlichen Verhandlung zu folgen? Liegen Gründe vor, die Sie daran hindern?

Beschwerdeführer: Ja, es geht mir gut.

Richter: Nehmen Sie regelmäßig Medikamente, befinden Sie sich in medizinischer Behandlung?

Beschwerdeführer: Nein. Ich nehme keine Medikamente.

[...]

Richter: Können Sie sich an Ihre Aussage vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl erinnern? Waren diese richtig, vollständig und wahrheitsgetreu?

Beschwerdeführer: Ja.

Richter: Geben Sie Ihr Geburtsdatum an. Wo sind Sie auf die Welt gekommen?

Beschwerdeführer: Ich bin am XXXX nach Ihrer Zeitrechnung geboren in der Stadt XXXX .

Richter: Welche Sprachen sprechen Sie? Können Sie diese lesen und schreiben?

Beschwerdeführer: Ich spreche Paschto, Dari und Englisch. Ich kann in allen Sprachen lesen und schreiben. Ich beherrsche auch Deutsch. Ich kann lesen und schreiben. Ich habe auch ein Zertifikat bekommen.

Richter: Geben Sie Ihre Volksgruppe, Religion und Ihren Familienstand an.

Beschwerdeführer: Ich bin Paschtune. Ich bin sunnitischer Moslem. Ich bin verheiratet.

Richter: Haben Sie Kinder?

Beschwerdeführer: Ja. Ich habe fünf Kinder.

Richter: Können Sie bitte soweit wie möglich chronologisch angeben, wann und wo Sie sich in Afghanistan aufgehalten haben.

Beschwerdeführer: Ich habe von Geburt an bis zur Ausreise nur in der Provinz Nangahar gelebt.

Richter: Wie haben Sie in Afghanistan gewohnt?

Beschwerdeführer: Das Haus hat uns gehört.

Richter: Was haben Sie in Afghanistan gemacht, gearbeitet, gelernt oder etwas Anderes?

Beschwerdeführer: Ich habe in Afghanistan die 12. Schulstufe abgeschlossen. Danach habe ich die Wirtschaftsuniversität besucht. Ich habe nebenbei nicht gearbeitet. Ich habe zwei Jahre studiert und konnte dann das Studium, das eigentlich 4 Jahre gedauert hätte, nicht abschließen. Ich habe dann eine Zeit lang Marmor aus Pakistan gekauft und in Afghanistan verkauft.

Richter: Wo und wie leben Ihre Verwandten?

Beschwerdeführer: Ich musste mein Haus verkaufen, um flüchten zu können. Meine Familie hat sich zuletzt in XXXX aufgehalten. Was mit ihnen passiert ist oder wohin sie geflüchtet sind, das weiß ich nicht.

Richter: Haben Sie in Afghanistan Verwandte oder sonstige wichtige Kontaktpersonen und wie heißen sie? Wo leben sie? Haben Sie zu ihnen Kontakt?

Beschwerdeführer: Ja, ich habe viele Verwandte in Afghanistan, habe aber keinen Kontakt zu ihnen.

Richter: Will Ihre Familie auch nach Österreich kommen?

Beschwerdeführer: Ja.

Richter: Haben Sie Freunde in Österreich?

Beschwerdeführer: Ja. Einen österreichischen Freund, mit dem ich auch Kontakt habe.

Richter: Sind Sie Mitglied in einem Verein?

Beschwerdeführer: Ich wollte ursprünglich für das rote Kreuz ehrenamtlich arbeiten. Ich habe dort auch einmal vorgesprochen. Sie haben mich auf einer Aufnahmeliste eingetragen.

Richter: Hatten Sie Probleme mit der Polizei oder einem Gericht?

Beschwerdeführer: Bevor ich anfange möchte ich Ihnen sagen, dass ich mich zutiefst über mich selbst schäme. Ich hatte früher nie Probleme mit dem Gericht. Ich habe meine Lektion gelernt. Ich bin in die falschen Kreise geraten. Eigentlich bin ich in einem Alter, wo man funktionieren sollte. Ich trage eigentlich sehr viel Verantwortung. Außer dass ich mich für meine Fehler, die ich zweimal begangen habe, entschuldigen kann, kann ich das sonst nicht ungeschehen machen.

Richter: Was war das für ein Vorfall am XXXX , weshalb Sie mit Urteil des Bezirksgerichts XXXX vom XXXX , XXXX , wegen §§ 223 (2), 15 und 149 StGB (Gebrauch einer gefälschten Urkunde, Versuch, Erschleichung einer Leistung) zu einer bedingten Geldstrafe verurteilt wurden?

Beschwerdeführer: Da ging es um eine Fahrkarte. Es war nicht meine Karte. Mein Zimmergenosse namens Aziz hat mir seine Karte geliehen, damit ich nach XXXX fahren kann. Es war eine Monatskarte.

Richter: Wie kommt es dazu, dass es eine gefälschte Urkunde war?

Beschwerdeführer: Ich wusste nichts davon, dass sein Ausweis/seine Monatskarte gefälscht ist. Ich habe ihn an dem Tag gesagt, dass ich nach XXXX fahren möchte. Er ist aus der Schule gekommen. Er hat zu mir gesagt, dass er seine Karte nicht braucht und ich sie benutzen kann. So ist das passiert.

Richter: Handeln Sie regelmäßig mit Suchtgift (Vorfälle XXXX , Urteil OLG XXXX , wegen § 27 Abs 2a SMG, § 27 Abs 1 Z 1, Abs 3 erster Fall SMG, § 27 Abs 1 Z 1 zweiter Fall SMG, drei Monate unbedingt; XXXX , Urteil XXXX , XXXX , wegen § 27 Abs 2a zweiter Fall und Abs 3 dritter Fall SMG, § 27 Abs 1 Z 1 zweiter Fall SMG, § 27 Abs 1 Z 1 zweiter Fall, Abs 2 SMG; acht Monate unbedingt)?

Beschwerdeführer: Im XXXX ist es zu dieser Tat gekommen. Ich habe diesen großen Fehler begangen. Bei dem weiteren Vorfall habe ich wirklich nichts gemacht. Ich habe mich in dem Park aufgehalten. Die Polizei hat dann bezeugt, dass ich mich am Verkauf beteiligt hätte.

Richter: Welchen Bezug hatten Sie zu dieser Tat oder zu dem Täter, wenn Sie sagen, Sie haben nichts gemacht?

Beschwerdeführer: Ich hatte nichts mit den anderen zu tun. Ich glaube, weil ich bereits XXXX gegen das Gesetz verstoßen habe, hat man das einfach angenommen.

Richter: Es waren 2 Vorfälle, wegen derer Sie bestraft wurden. Sie haben gerade über XXXX was gesagt, der zweite Vorfall war jedoch im XXXX .

Beschwerdeführer: Ja. XXXX habe ich nicht gegen das Gesetz verstoßen.

Richter: Dafür sitzen Sie aber jetzt.

Beschwerdeführer: Ich kann mich nicht mit der Polizei anlegen. Die Polizisten haben gesagt, sie hätten mich dort im Park gesehen. Mir wurde nahegelegt, alles zuzugeben, weil ich wirklich unschuldig bin, habe ich bis zur letzten Minute beim Gericht die Wahrheit gesagt. Ich habe wirklich bei diesem Vorfall nichts verbrochen.

Richter: Was war bei dem Vorfall im Jahr XXXX ?

Beschwerdeführer: Ich sage es Ihnen geradeaus: Ich war selbst drogensüchtig, canabissüchtig. Ich habe damals meine Lektion gelernt. Mir wurde erklärt, dass der Konsum und Verkauf eine Straftat sind. Ich habe damals die Gesetze nicht verstanden. Es war alles mein Fehler.

Richter: Sind der Konsum und Verkauf von Cannabis in Afghanistan legal?

Beschwerdeführer: Nein.

Richter: Warum sollte das in Österreich legal sein?

Beschwerdeführer: Ich habe einfach mich dumm verhalten, mich in falschen Kreisen bewegt.

Der Richter stellt fest, dass nach den Unterlagen des offenen Befehls über den Auftrag zur Ausführung des Beschwerdeführers festgehalten ist, dass die Haftentlassung für XXXX vorgesehen ist.

Richter: Schildern Sie den Vorfall, der zu Ihrer Flucht geführt hat!

Beschwerdeführer: Ich bin aus einer politischen Familie. Die Taliban und die Daesh haben mich aufgefordert, XXXX bei ihm eine Bombe zu platzieren. Er ist mein Cousin väterlicherseits. Unsere Väter sind Brüder, er ist mein Cousin ersten Grades. Ich komme aus einer Familie, wo es sehr schwierig ist, woanders in der Heimat Unterschlupf zu finden. Meine eigenen Angehörigen konnten mir keinen Schutz bieten. Viele von uns wurden getötet. Nachdem ich persönlich bedroht wurde, war ich bei meinem Cousin XXXX persönlich. Er hat mir gesagt, er kann mir nur eine Waffe anbieten. Wir müssen uns gegen diese Leute stellen und uns wehren. Ich dachte, wenn ich in eine andere Provinz gehe, wäre die Gefahr weniger. Ich bin nach XXXX gezogen und habe dort mich bei der Polizei gemeldet. Ich habe ungefähr ein Jahr gearbeitet. Meine eigenen Angehörigen wurden von diesen Leuten bedroht. Ich konnte mich in der Heimat nicht mehr frei bewegen. Ich habe dann ein Ansuchen gestellt, um in die Provinz Kabul in einen Distrikt namens XXXX versetzt zu werden. Ich habe dann 6 Monate in XXXX gearbeitet. Es war ein gefährlicher Dauerzustand. Weder meine Onkel, noch meine Cousins, die sich dort selbst schützten, um zu überleben, konnten mir Schutz bieten. Ich habe dann mein Haus verkaufen müssen, einfach um am Leben zu bleiben. Ich bin nach Europa geflüchtet.

Richter: Sind Sie jemals persönlich bedroht oder angegriffen worden?

Beschwerdeführer: Unmittelbar vor meinem Haus wurde eine Bombe gelegt. Neben unserem Haus, also in der unmittelbaren Umgebung, gibt es eine Polizeidienststelle. Bei der Explosion dieser Bombe, die für mich gedacht war, sind zahlreiche unschuldige Polizisten getötet worden. Ein Mann, den ich gekannt habe, der sich dann den Taliban angeschlossen hat, hat mich aufgesucht und mir den Auftrag übermittelt und gesagt, ich soll im Haus von XXXX die Bombe einschleusen. Ich kann nicht einen eigenen Angehörigen töten. Deswegen musste ich flüchten. Sie können alle Informationen über meine Angehörigen, also die Angriffe, über YouTube verfolgen. Ich habe erfahren, dass vor ca. 6 oder 7 Monaten das Haus meines Cousins angegriffen wurde. Seine Bodyguards wurden getötet. Auch wie meine anderen Onkel getötet worden sind können Sie bei YouTube verfolgen.

Die Dolmetscherin weist darauf hin, dass die Familie XXXX seit Generationen eine politisch aktive Familie ist. Bereits der Urgroßvater war der erste Außenminister. Die Familie hat sich auf westlicher Seite gegen Taliban und Daesh eingesetzt. Abdul Haq wurde getötet, nachdem er eine Einigung mit der Nordallianz herbeiführen wollte. Din Mohammad war Gouverneur der Provinz und Stadt Kabul. Derzeit ist ein Onkel, XXXX, Minister. Er ist die Ansprechperson von allen Ministern. Wenn er die Probleme nicht lösen kann, muss er sich an den Bundespräsidenten wenden. Er ist mehr Verwaltungskontrolle.

Richter: Wodurch sind Sie in Afghanistan bedroht?

Beschwerdeführer: Von den Taliban und den Daesh. Sie können sich mit XXXX nicht direkt anlegen, deswegen wollten sie mich zwingen, dass ich die Bombe in sein Haus bringe. Ich werde dort nicht kontrolliert.

Richter: Wie sind Sie nach Österreich gekommen?

Beschwerdeführer: Mein Schwager hat mit einem Schlepper gesprochen. Der Schlepper hat mich hierher gebracht.

Richter: Wie haben Sie die Reise bezahlt?

Beschwerdeführer: Ich habe mein Haus verkaufen müssen. Mein Schwager hat die Flucht eigentlich organisiert. Er hat dann das Geld dem Schlepper gegeben. Er hat mit ihm 6000 US-Dollar vereinbart gehabt. Ich wurde dann aus der Heimat weggebracht.

Richter: Schildern Sie bitte nochmals die Gründe Ihrer Beschwerde!

Beschwerdeführer: Weil ich dort sehr gefährdet bin und niemand mich beschützen kann.

Richter: Was würde passieren, wenn Sie jetzt nach Afghanistan zurückkehren müssten?

Beschwerdeführer: Es gibt nur zwei Wege. Entweder werde ich getötet oder ich muss durch eine Bombe meinen eigenen Cousin XXXX töten.

[...]

Rechtsvertreterin: Wie lange haben Sie bei der Polizei gearbeitet und bei welcher Einheit der Polizei haben Sie gearbeitet?

Beschwerdeführer: Ich habe für die Nationalpolizei gearbeitet. Etwa ein Jahr in XXXX. Sechs Monate bei der Sicherheitspolizei in XXXX.

Beschwerdeführer: Sollten Sie Recherchen in Afghanistan machen, möchte ich angeben, dass mein Vater XXXX heißt. In der Tazkira steht sein Name unter XXXX. Unter diesem Namen ist er auch in der gesamten Umgebung bekannt.

Die Rechtsvertreterin legt einen Kaufvertrag über ein Haus in der Provinz XXXX in der Stadt XXXX im XXXX Bezirk, XXXX, vom XXXX (D: entspricht XXXX) vor. Dieser wird in Kopie zum Akt genommen. Weiters legt der Beschwerdeführer ein Konvolut von Geldtransfers von und nach Afghanistan über XXXX vor. Diese werden nach Einsicht zurückgegeben.

Beschwerdeführer: Ich wollte damit nur festhalten, dass ich nicht hierher gekommen bin, um zu arbeiten und um meine Familie zu versorgen, sondern, weil ich aus einer Familie komme, die politisch hoch gefährdet ist. Ich möchte nochmal sagen, dass ich mich zutiefst für mein Verhalten schäme. Auch meine Angehörigen würden sich für mich schämen. Ich war in einer sehr perspektivlosen Situation, ohne Dokumente kann ich mir kein Geld schicken lassen. Ich möchte hier selbstständig arbeiten und bitte um eine Chance.

Richter: Ich möchte darauf hinweisen, dass sich aus den Überweisungsbelegen von XXXX, die Sie vorgelegt haben, ergibt, dass Sie bereits im Jahr XXXX Geld empfangen haben. Die Delikte waren in den Jahren XXXX und XXXX, also danach und Sie konnten bereits zuvor ohne weiteres Geld hier in Österreich empfangen.

Beschwerdeführer: Es ging mir nicht um das Geld, sondern auch, dass ich in falsche Kreise geraten bin und einfach dumm gehandelt habe. Ich habe versucht, meine Sorgen, meine Schmerzen zu betäuben. Ich habe auch jetzt Geld in Afghanistan. Ich darf die Hoffnung nicht aufgeben, dass nach der Zeit hier mich ein Lichtblick erwartet. Ich kann nur beten, dass ich Dokumente bekomme. Dann lasse ich mir das Geld aus Afghanistan hierher schicken und werde selbstständig.

Der Beschwerdeführer legt keine weiteren Beweisanträge vor.

Richter: Haben Sie die Dolmetscherin gut verstanden?

Beschwerdeführer: Ja."

13. Mit Schreiben vom XXXX ersuchte die Justizanstalt XXXX aus Anlass einer allfälligen Begnadigung um Auskünfte zu seinem Aufenthaltsstatus.

14. Der Beschwerdeführer wird verdächtigt, dass er am XXXX in XXXX die Vergehen nach § 27 Abs 2a SMG und § 27 Abs 1 iVm § 27 Abs 2 SMG begangen hat, indem er Marihuana zum Verkauf angeboten und selbst solches erworben und besessen habe.

15. Am XXXX nahmen Kräfte des Landeskriminalamts Steiermark den Beschwerdeführer in XXXX wegen § 27 Abs 2a SMG fest und überstellten ihn in die Justizanstalt XXXX Am 17.3.2019 nahm das Landesgericht

XXXX den Beschwerdeführer zur Zahl XXXX wegen § 27 Abs 2a SMG in Untersuchungshaft.

16. Mit Urteil vom XXXX, XXXX, verurteilte das Landesgericht XXXX den Beschwerdeführer wegen des Vorfalls am XXXX nach § 27 Abs 2a zweiter Fall SMG und § 27 Abs 1 Z 1 zweiter Fall und Abs 2 SMG unter Anrechnung der Vorhaft zu einer Freiheitsstrafe von zwölf Monaten und erklärte den aus dem Suchtgifthandel erlangten Erlös für verfallen. Das voraussichtliche Strafende ist der XXXX.

17. Mit Verständigung vom XXXX teilte die Staatsanwaltschaft XXXX mit, dass sie gegen den Beschwerdeführer Anklage wegen §§ 27 Abs 2a

1. Fall und 27 Abs 1 Z 2 1. Fall SMG erhebe.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen

Beweis wurde erhoben durch Einsicht in den dem Bundesverwaltungsgericht vorliegenden Verwaltungsakt des Bundesamts für Fremdenwesen und Asyl und den gegenständlichen Verfahrensakt betreffend den Beschwerdeführer sowie durch Durchführung einer mündlichen Verhandlung.

1. Feststellungen

1.1 Zur Person des Beschwerdeführers

Der Beschwerdeführer führt den im Spruch angeführten Namen, ist volljährig und afghanischer Staatsangehöriger. Seine Identität steht nicht fest. Er gehört der Volksgruppe der Paschtunen an und bekennt sich zur sunnitischen Glaubensrichtung des Islam. Er spricht Paschtu, Dari und Englisch sowie Deutsch. Er kann diese Sprachen lesen und schreiben.

Der Beschwerdeführer ist verheiratet und hat fünf Kinder.

Er wurde in der afghanischen Provinz XXXX, in XXXX geboren und lebte dort bis zu seiner Ausreise im XXXX gemeinsam mit seiner Familie im familieneigenen Haus. Der Beschwerdeführer besuchte in XXXX die Schule bis zur zwölften Schulstufe und studierte danach zwei Jahre an der Wirtschaftsuniversität. Das Studium, das vier Jahre gedauert hätte, schloss er nicht ab. Er handelte mit Marmor und arbeitete für die nationale afghanische Polizei. Die Familie des Beschwerdeführers lebt nach wie vor in der Heimatprovinz XXXX. Der Kontakt zur Familie in Afghanistan ist nicht mehr aufrecht.

Die Zugehörigkeit zu einer bedeutenden afghanischen Familie, die sich im Kampf gegen die Taliban und den Daesh engagiert, konnte nicht nachgewiesen werden.

1.2 Zu seinen Fluchtgründen und der Rückkehr nach Afghanistan

Der Beschwerdeführer stellte am XXXX gegenständlichen Antrag auf internationalen Schutz und begründete diesen mit der Bedrohung durch die Taliban und die Aufforderung, seinen Cousin zu töten.

Es kann nicht festgestellt werden, dass der Beschwerdeführer in Afghanistan aus Gründen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder politischen Überzeugung persönlich bedroht oder verfolgt wurde oder eine Verfolgung im Falle seiner Rückkehr nach Afghanistan zu befürchten hätte.

1.3 Zum Leben des Beschwerdeführers in Österreich

Der Beschwerdeführer hält sich seit XXXX durchgehend in Österreich auf. Er reiste schlepperunterstützt in das Bundesgebiet ein und hatte nie ein nicht auf das Asylverfahren gegründetes Aufenthaltsrecht in Österreich. Der Beschwerdeführer verbüßt derzeit eine gerichtliche Freiheitsstrafe in der Strafanstalt XXXX.

Der Beschwerdeführer hat seit seiner Ankunft in Österreich im Jahr XXXX wiederholt Geld aus seiner Heimat überwiesen bekommen.

Er besuchte mehrere Deutschkurse bis zum Niveau A2. Der Beschwerdeführer ist kein Mitglied in einem Verein und hat nach eigenen Angaben in Österreich einen Freund, zu dem er auch Kontakt hat.

Der Beschwerdeführer wurde in Österreich mehrfach strafrechtlich verurteilt.

* Das Bezirksgericht XXXX verurteilte den Beschwerdeführer mit Urteil vom XXXX , XXXX , wegen des Vergehens der Urkundenfälschung zu einer Geldstrafe. Rechtsgrundlagen waren §§ 223 Abs 2, 15 und 149 Abs 1 StGB. Der Vorfall ereignete sich am XXXX .

* Das Landesgericht XXXX verurteilte den Beschwerdeführer mit Urteil vom XXXX, XXXX, wegen§ 27 Abs 2a SMG, §§ 27 Abs 1 Z 1 8. Fall, 27 Abs 3 1. Fall SMG und § 27 Abs 1 Z 1 2. Fall SMG. Das Oberlandesgericht XXXX bestätigte dieses Urteil mit Urteil vom XXXX, XXXX, mit der Maßgabe, dass es den Beschwerdeführer wegen § 27 Abs 2a SMG, §§ 27 Abs 1 Z 1 8. Fall, 27 Abs 3 1. Fall SMG und § 27 Abs 1 Z 1 2. Fall SMG zu einer Haftstrafe von drei Monaten verurteilte. Diese Strafe verbüßte der Beschwerdeführer bis XXXX.

* Mit Urteil vom XXXX, XXXX , verurteilte das Landesgericht XXXX den Beschwerdeführer wegen § 27 Abs 2a zweiter Fall und Abs 3 dritter Fall SMG; § 27 Abs 1 Z 1 zweiter Fall SMG und § 27 Abs 1 Z 1 zweiter Fall und Abs 2 SMG zu einer Freiheitsstrafe von acht Monaten.

* Mit Urteil vom XXXX, XXXX, verurteilte das Landesgericht XXXX den Beschwerdeführer wegen des Vorfalls am XXXX nach § 27 Abs 2a zweiter Fall SMG und § 27 Abs 1 Z 1 zweiter Fall und Abs 2 SMG unter Anrechnung der Vorhaft zu einer Freiheitsstrafe von zwölf Monaten und erklärte den aus dem Suchtgifthandel erlangten Erlös für verfallen. Das voraussichtliche Strafende ist der XXXX.

Darüber hinaus wird der Beschwerdeführer verdächtigt, dass er am XXXX in XXXX die Vergehen nach § 27 Abs 2a SMG und § 27 Abs 1 iVm § 27 Abs 2 SMG begangen hat, indem er Marihuana zum Verkauf angeboten und selbst solches erworben und besessen habe. Die Staatsanwaltschaft XXXX hat wegen §§ 27 Abs 2a 1. Fall und 27 Abs 1 Z 1 2. Fall SMG Anklage wegen vorsätzlich begangener strafbarer Handlungen erhoben.

In Österreich leben keine Verwandten oder sonstige wichtige Bezugspersonen des Beschwerdeführers. Es besteht weder eine Lebensgemeinschaft des Beschwerdeführers in Österreich noch gibt es in Österreich geborene Kinder des Beschwerdeführers.

1.4 Zur Lage im Herkunftsstaat des Beschwerdeführers

Es werden folgende entscheidungsrelevante Feststellungen zum Herkunftsstaat des Beschwerdeführers getroffen:

1.4.1 Staatendokumentation (Stand 29.6.2018, außer wenn anders angegeben)

1.4.1.1 Neueste Ereignisse

1.4.1.1.1 Kurzinformation vom 4.6.2019

Politische Ereignisse: Friedensgespräche, Loya Jirga, Ergebnisse Parlamentswahl

Ende Mai 2019 fand in Moskau die zweite Runde der Friedensgespräche zwischen den Taliban und afghanischen Politikern (nicht der Regierung, Anm.) statt. Bei dem Treffen äußerte ein Mitglied der Taliban, Amir Khan Muttaqi, den Wunsch der Gruppierung nach Einheit der afghanischen Bevölkerung und nach einer "inklusiven" zukünftigen Regierung. Des Weiteren behauptete Muttaqi, die Taliban würden die Frauenrechte respektieren wollen. Ein ehemaliges Mitglied des afghanischen Parlaments, Fawzia Koofi, äußerte dennoch ihre Bedenken und behauptete, die Taliban hätten kein Interesse daran, Teil der aktuellen Regierung zu sein, und dass die Gruppierung weiterhin für ein islamisches Emirat stünde. (Tolonews 31.5.2019a).

Vom 29.4.2019 bis 3.5.2019 tagte in Kabul die "große Ratsversammlung" (Loya Jirga). Dabei verabschiedeten deren Mitglieder eine Resolution mit dem Ziel, einen Friedensschluss mit den Taliban zu erreichen und den inner-afghanischen Dialog zu fördern. Auch bot Präsident Ghani den Taliban einen Waffenstillstand während des Ramadan von 6.5.2019 bis 4.6.2019 an, betonte aber dennoch, dass dieser nicht einseitig sein würde. Des Weiteren sollten 175 gefangene Talibankämpfer freigelassen werden (BAMF 6.5.2019). Einer weiteren Quelle zufolge wurden die kritischen Äußerungen zahlreicher Jirga-Teilnehmer zu den nächtlichen Militäroperationen der USA nicht in den Endbericht aufgenommen, um die Beziehungen zwischen den beiden Staaten nicht zu gefährden. Die Taliban nahmen an dieser von der Regierung einberufenen Friedensveranstaltung nicht teil, was wahrscheinlich u.a. mit dem gescheiterten Dialogtreffen, das für Mitte April 2019 in Katar geplant war, zusammenhängt. Dort wäre die Regierung zum ersten Mal an den Friedensgesprächen mit den Taliban beteiligt gewesen. Nachdem erstere jedoch ihre Teilnahme an die Bedingung geknüpft hatte, 250 Repräsentanten nach Doha zu entsenden und die Taliban mit Spott darauf reagierten, nahm letztendlich kein Regierungsmitarbeiter an der Veranstaltung teil. So fanden Gespräche zwischen den Taliban und Exil-Afghanen statt, bei denen viele dieser das Verhalten der Regierung öffentlich kritisierten (Heise 16.5.2019).

Anfang Mai 2019 fand in Katar auch die sechste Gesprächsrunde zwischen den Taliban und den USA statt. Der Sprecher der Taliban in Doha, Mohammad Sohail Shaheen, betonte, dass weiterhin Hoffnung hinsichtlich der inner-afghanischen Gespräche bestünde. Auch konnten sich der Quelle zufolge die Teilnehmer zwar bezüglich einiger Punkte einigen, dennoch müssten andere "wichtige Dinge" noch behandelt werden (Heise 16.5.2019).

Am 14.5.2019 hat die unabhängige Wahlkommission (Independent Electoral Commission, IEC) die Wahlergebnisse der Provinz Kabul für das afghanische Unterhaus (Wolesi Jirga) veröffentlicht (AAN 17.5.2019; vgl. IEC 14.5.2019, IEC 15.5.2019). Somit wurde nach fast sieben Monaten (die Parlamentswahlen fanden am 20.10.2018 und 21.10.2018 statt) die Stimmenauszählung für 33 der 34 Provinzen vervollständigt. In der Provinz Ghazni soll die Wahl zusammen mit den Präsidentschafts- und Provinzialratswahlen am 28.9.2019 stattfinden. In seiner Ansprache zur Angelobung der Parlamentsmitglieder der Provinzen Kabul und Paktya am 15.5.2019 bezeichnete Ghani die siebenmonatige Wahl als "Katastrophe" und die beiden Wahlkommissionen, die IEC und die Electoral Complaints Commission (ECC), als "ineffizient" (AAN 17.5.2019).

Zivile-Opfer, UNAMA-Bericht

Die United Nations Assistance Mission in Afghanistan (UNAMA) registrierte im ersten Quartal 2019 (1.1.2019 - 31.3.2019) 1.773 zivile Opfer (581 Tote und 1.192 Verletzte), darunter waren 582 der Opfer Kinder (150 Tote und 432 Verletzte). Dies entspricht einem Rückgang der gesamten Opferzahl um 23% gegenüber dem gleichen Zeitraum des Vorjahres, welches somit der niedrigste Wert für das erste Jahresquartal seit 2013 ist (UNAMA 24.4.2019).

Diese Verringerung wurde durch einen Rückgang der Zahl ziviler Opfer von Selbstmordanschlägen mit IED (Improvised Explosive Devices - unkonventionelle Spreng- und Brandvorrichtung/Sprengfallen) verursacht. Der Quelle zufolge könnten die besonders harten Winterverhältnisse in den ersten drei Monaten des Jahres 2019 zu diesem Trend beigetragen haben. Es ist unklar, ob der Rückgang der zivilen Opfer wegen Maßnahmen der Konfliktparteien zur Verbesserung des Schutzes der Zivilbevölkerung oder durch die laufenden Gespräche zwischen den Konfliktparteien beeinflusst wurde (UNAMA 24.4.2019).

Die Zahl der zivilen Opfer aufgrund von Nicht-Selbstmord-Anschlägen mit IEDs durch regierungsfeindliche Gruppierungen und Luft- sowie Suchoperationen durch regierungsfreundliche Gruppierungen ist gestiegen. Die Zahl der getöteten Zivilisten, die regierungsfreundlichen Gruppierungen zugeschrieben wurden, übertraf im ersten Quartal 2019 die zivilen Todesfälle, welche von regierungsfeindlichen Elementen verursacht wurden (UNAMA 24.4.2019).

Kampfhandlungen am Boden waren die Hauptursache ziviler Opfer und machten etwa ein Drittel der Gesamtzahl aus. Der Einsatz von IEDs war die zweithäufigste Ursache für zivile Opfer: Im Gegensatz zu den Trends von 2017 und 2018 wurde die Mehrheit der zivilen Opfer von IEDs nicht durch Selbstmordanschläge verursacht, sondern durch Angriffe, bei denen der Angreifer nicht seinen eigenen Tod herbeiführen wollte. Luftangriffe waren die Hauptursache für zivile Todesfälle und die dritthäufigste Ursache für zivile Opfer (Verletzte werden auch mitgezählt, Anm.), gefolgt von gezielten Morden und explosiven Kampfmittelrückständen (UXO - unexploded ordnance). Am stärksten betroffen waren Zivilisten in den Provinzen Kabul, Helmand, Nangarhar, Faryab und Kunduz (in dieser Reihenfolge) (UNAMA 24.4.2019).

Anschläge in Kabul-Stadt

Ende Mai 2019 fanden in Kabul-Stadt einige Anschläge und gezielte Tötungen in kurzen Abständen zu einander statt: Am 26.5.2019 wurde ein leitender Mitarbeiter einer NGO in Kart-e Naw (PD5, Police District 5) durch unbekannte bewaffnete Männer erschossen (Tolonews 27.5.2019a). Am 27.5.2019 wurden nach der Explosion einer Magnetbombe, die gegen einen Bus von Mitarbeitern des Ministeriums für Hadsch und religiöse Angelegenheiten gerichtet war, zehn Menschen verletzt. Die Explosion fand in Parwana-e Do (PD2) statt. Zum Vorfall hat sich keine Gruppierung bekannt (Tolonews 27.5.2019b).

Des Weiteren wurden im Laufe der letzten zwei Maiwochen vier Kontrollpunkte der afghanischen Sicherheitskräfte durch unbekannte bewaffnete Männer angegriffen (Tolonews 31.5.2019b).

Am 30.5.2019 wurden in Folge eines Selbstmordangriffes nahe der Militärakademie Marshal Fahim im Stadtteil Char Rahi Qambar (PD5) sechs Personen getötet und 16 Personen, darunter vier Zivilisten, verletzt. Die Explosion erfolgte, während die Kadetten die Universität verließen (1 TV NEWS 30.5.2019). Der Islamische Staat (IS) bekannte sich zu dem Anschlag (AJ 30.5.2019).

Am 31.5.2019 wurden sechs Personen, darunter vier Zivilisten, getötet und fünf Personen, darunter vier Mitglieder der US-Sicherheitskräfte, verletzt, nachdem ein mit Sprengstoff beladenes Auto in Qala-e Wazir (PD9) detonierte. Quellen zufolge war das ursprüngliche Ziel des Angriffs ein Konvoi ausländischer Sicherheitskräfte (Tolonews 31.5.2019c).

Am 2.6.2019 kam nach der Detonation von mehreren Bomben eine Person ums Leben und 17 weitere wurden verletzt. Die Angriffe fanden im Westen der Stadt statt, und einer davon wurde von einer Klebebombe, die an einem Bus befestigt war, verursacht. Einer Quelle zufolge transportierte der Bus Studenten der Kabul Polytechnic University (TW 2.6.2019). Der IS bekannte sich zu den Anschlägen und beanspruchte den Tod von "mehr als 30 Schiiten und Mitgliedern der afghanischen Sicherheitskräfte" für sich. Die Operation erfolgte in zwei Phasen: Zuerst wurde ein Bus, der 25 Schiiten transportierte, angegriffen, und darauf folgend detonierten zwei weitere Bomben, als sich "Sicherheitselemente" um den Bus herum versammelten. Vertreter des IS haben u.a. in Afghanistan bewusst und wiederholt schiitische Zivilisten ins Visier genommen und sie als "Polytheisten" bezeichnet. (LWJ 2.6.2019).

Am 3.6.2019 kamen nach einer Explosion auf der Darul Aman Road in der Nähe der American University of Afghanistan fünf Menschen ums Leben und zehn weitere wurden verletzt. Der Anschlag richtete sich gegen einen Bus mit Mitarbeitern der Independent Administrative Reform and Civil Service Commission (Tolonews 3.6.2019)

US-Angaben zufolge ist die Zahl der IS-Anhänger in Afghanistan auf ca. 5.000 gestiegen, fünfmal so viel wie vor einem Jahr. Gemäß einer Quelle profitiert die Gruppierung vom "zahlenmäßigen Anstieg der Kämpfer in Pakistan und Usbekistan und von aus Syrien geflohenen Kämpfern". Des Weiteren schließen sich enttäuschte Mitglieder der Taliban sowie junge Menschen ohne Zukunftsperspektive dem IS an, der in Kabul, Nangarhar und Kunar über Zellen verfügt (BAMF 3.6.2019). US-Angaben zufolge ist es "sehr wahrscheinlich", dass kleinere IS-Zellen auch in Teilen Afghanistans operieren, die unter der Kontrolle der Regierung oder der Taliban stehen (VOA 21.5.2019). Eine russische Quelle berichtet wiederum, dass ca. 5.000 IS-Kämpfer entlang der Nordgrenze tätig sind und die Nachbarländer bedrohen. Der Quelle zufolge handelt es sich dabeium Staatsbürger der ehemaligen sowjetischen Republiken, die mit dem IS in Syrien gekämpft haben (Newsweek 21.5.2019).

Rückkehr

Die International Organization for Migration (IOM) gewährt seit April 2019 keine temporäre Unterkunft für zwangsrückgeführte Afghanen mehr. Diese erhalten eine Barzuwendung von ca. 150 Euro sowie Informationen über mögliche Unterkunftsmöglichkeiten. Gemäß dem Europäischen Auswärtigen Amt (EAD) nutzten nur wenige Rückkehrer die Unterbringungsmöglichkeiten von IOM (BAMF 20.5.2019).

1.4.1.1.2 Kurzinformation vom 26.3.2019

Anschläge in Kabul-Stadt

Bei einem Selbstmordanschlag während des persischen Neujahres-Fests Nowruz in Kabul-Stadt kamen am 21.3.2019 sechs Menschen ums Leben und weitere 23 wurden verletzt (AJ 21.3.2019, Reuters 21.3.2019). Die Detonation erfolgte in der Nähe der Universität Kabul und des Karte Sakhi Schreins, in einer mehrheitlich von Schiiten bewohnten Gegend. Quellen zufolge wurden dafür drei Bomben platziert: eine im Waschraum einer Moschee, eine weitere hinter einem Krankenhaus und die dritte in einem Stromzähler (TDP 21.3.2019; AJ 21.3.2019). Der ISKP (Islamische Staat - Provinz Khorasan) bekannte sich zum Anschlag (Reuters 21.3.2019).

Während eines Mörserangriffs auf eine Gedenkveranstaltung für den 1995 von den Taliban getöteten Hazara-Führer Abdul Ali Mazari im überwiegend von Hazara bewohnten Kabuler Stadtteil Dasht-e Barchi kamen am 7.3.2019 elf Menschen ums Leben und 95 weitere wurden verletzt. Der ISKP bekannte sich zum Anschlag (AJ 8.3.2019).

Überflutungen und Dürre

Nach schweren Regenfällen in 14 afghanischen Provinzen kamen mindestens 63 Menschen ums Leben. In den Provinzen Farah, Kandahar, Helmand, Herat, Kapisa, Parwan, Zabul und Kabul, wurden ca. 5.000 Häuser zerstört und 7.500 beschädigt (UN OCHA 19.3.2019). Dem Amt für die Koordinierung humanitärer Angelegenheiten der Vereinten Nationen (UN OCHA) zufolge waren mit Stand 19.3.2019 in der Provinz Herat die Distrikte Ghorvan, Zendejan, Pashtoon Zarghoon, Shindand, Guzarah und Baland Shahi betroffen (UN OCHA 19.3.2019). Die Überflutungen folgten einer im April 2018 begonnen Dürre, von der die Provinzen Badghis und Herat am meisten betroffen waren und von deren Folgen (z.B. Landflucht in die naheliegenden urbanen Zentren, Anm.) sie es weiterhin sind. Gemäß einer Quelle wurden in den beiden Provinzen am 13.9.2018 ca. 266.000 IDPs vertrieben: Davon zogen 84.000 Personen nach Herat-Stadt und 94.945 nach Qala-e-Naw, wo sie sich in den Randgebieten oder in Notunterkünften innerhalb der Städte ansiedelten und auf humanitäre Hilfe angewiesen sind (IFRCRCS 17.3.2019).

Friedensgespräche

Kurz nach der Friedensgesprächsrunde zwischen Taliban und Vertretern der USA in Katar Ende Jänner 2019 fand Anfang Februar in Moskau ein Treffen zwischen Taliban und bekannten afghanischen Politikern der Opposition, darunter der ehemalige Staatspräsident Hamid Karzai und mehrere "Warlords", statt (Qantara 12.2.201). Quellen zufolge wurde das Treffen von der afghanischen Diaspora in Russland organisiert. Taliban-Verhandlungsführer Sher Muhammad Abbas Stanaksai wiederholte während des Treffens schon bekannte Positionen wie die Verteidigung des "Dschihad" gegen die "US-Besatzer" und die gleichzeitige Weiterführung der Gespräche mit den USA. Des Weiteren verkündete er, dass die Taliban die Schaffung eines "islamischen Regierungssystems mit allen Afghanen" wollten, obwohl sie dennoch keine "exklusive Herrschaft" anstrebten. Auch bezeichnete er die bestehende afghanische Verfassung als "Haupthindernis für den Frieden", da sie "vom Westen aufgezwungen wurde"; Weiters forderten die Taliban die Aufhebung der Sanktionen gegen ihre Führer und die Freilassung ihrer gefangenen Kämpfer und bekannten sich zur Nichteinmischung in Angelegenheiten anderer Länder, zur Bekämpfung des Drogenhandels, zur Vermeidung ziviler Kriegsopfer und zu Frauenrechten. Diesbezüglich aber nur zu jenen, "die im Islam vorgesehen seien" (z.B. lernen, studieren und sich den Ehemann selbst auswählen). In dieser Hinsicht kritisierten sie dennoch, dass "im Namen der Frauenrechte Unmoral verbreitet und afghanische Werte untergraben würden" (Taz 6.2.2019).

Ende Februar 2019 fand eine weitere Friedensgesprächsrunde zwischen Taliban und US-Vertretern in Katar statt, bei denen die Taliban erneut den Abzug der US-Truppen aus Afghanistan forderten und betonten, die Planung von internationalen Angriffen auf afghanischem Territorium verhindern zu wollen. Letzterer Punkt führte jedoch zu Meinungsverschiedenheiten: Während die USA betonten, die Nutzung des afghanischen Territoriums durch "terroristische Gruppen" vermeiden zu wollen und in dieser Hinsicht eine Garantie der Taliban forderten, behaupteten die Taliban, es gebe keine universelle Definition von Terrorismus und weigerten sich gegen solch eine Spezifizierung. Sowohl die Taliban- als auch die US-Vertreter hielten sich gegenüber den Medien relativ bedeckt und betonten ausschließlich, dass die Friedensverhandlungen weiterhin stattfänden. Während es zu Beginn der Friedensgesprächsrunde noch Hoffnungen gab, wurde mit Voranschreiten der Verhandlungen immer klarer, dass sich eine Lösung des Konflikts als "frustrierend langsam" erweisen würde (NYT 7.3.2019).

Die afghanische Regierung war weder an den beiden Friedensgesprächen in Doha noch an dem Treffen in Moskau beteiligt (Qantara 12.2.2019; vgl. NYT 7.3.2019), was Unbehagen unter einigen Regierungsvertretern auslöste und die diplomatischen Beziehungen zwischen den beiden Regierungen beeinträchtigte (Reuters 18.3.2019; vgl. WP 18.3.2019). Beispielsweise erklärte US-Unterstaatssekretär David Hale am 18.3.2019 die Beendigung der Kontakte zwischen US-Vertretern und dem afghanischen nationalen Sicherheitsberater Hamdullah Mohib, nachdem dieser US-Chefunterhändler Zalmay Khalilzad und den Ausschluss der afghanischen Regierung aus den Friedensgesprächen öffentlich kritisiert hatte (Reuters 18.3.2019).

Verschiebung der Präsidentschaftswahl Die Präsidentschaftswahl, welche bereits von April auf Juni 2019 verschoben worden war, soll Quellen zufolge nun am 28.9.2019 stattfinden. Grund dafür seien "zahlreiche Probleme und Herausforderungen" welche vor dem Wahltermin gelöst werden müssten, um eine sichere und transparente Wahl sowie eine vollständige Wählerregistrierung sicherzustellen - so die unabhängige Wahlkommission (IEC) (VoA 20.3.2019; vgl. BAMF 25.3.2019).

1.4.1.1.3 Kurzinformation vom 1.3.2019

Allgemeine Sicherheitslage und sicherheitsrelevante Vorfälle

Die Sicherheitslage in Afghanistan bleibt volatil. Die Vereinten Nationen (UN) registrierten im Berichtszeitraum 16.8.2018 - 15.11.2018 5.854 sicherheitsrelevante Vorfälle, was einen Rückgang von 2% gegenüber dem Vergleichszeitraum des Vorjahres bedeutet. Bewaffnete Zusammenstöße gingen um 5% zurück, machten aber weiterhin den Großteil der sicherheitsrelevanten Vorfälle (63%) aus. Selbstmordanschläge gingen um 37% zurück, was möglicherweise an erfolgreichen Bekämpfungsmaßnahmen in Kabul-Stadt und Jalalabad liegt. Luftangriffe durch die afghanische Luftwaffe (AAF) sowie internationale Streitkräfte stiegen um 25%. Die am stärksten betroffenen Regionen waren der Süden, der Osten und der Süd-Osten. In der Provinz Kandahar entstand die Befürchtung, die Sicherheitsbedingungen könnten sich verschlechtern, nachdem der Polizeichef der Provinz und der Leiter des National Directorate for Security (NDS) im Oktober 2018 ermordet worden waren (UNGASC 7.12.2018). Gemäß dem Special Inspector General for Afghanistan Reconstruction (SIGAR) fanden bis Oktober 2018 die meisten Angriffe regierungsfeindlicher Gruppierungen in den Provinzen Badghis, Farah, Faryab, Ghazni, Helmand, Kandahar, Uruzgan und Herat statt. Von Oktober bis Dezember 2018 verzeichneten Farah, Helmand und Faryab die höchste Anzahl regierungsfeindlicher Angriffe (SIGAR 30.1.2019).

Nach dem Taliban-Angriff auf Ghazni-Stadt im August 2018, bestand weiterhin die Befürchtung, dass die Taliban großangelegte Angriffe im Südosten des Landes verüben könnten. Dies war zwar nicht der Fall, dennoch setzten Talibankämpfer die afghanischen Sicherheitskräfte am Stadtrand von Ghazni, in Distrikten entlang des Highway One nach Kabul und durch die Einnahme des Distrikts Andar in Ghazni im Oktober weiterhin unter Druck. Im Westen der Provinz Ghazni, wo die ethnische Gruppierung der Hazara eine Mehrheit bildet, verschlechterten sich die Sicherheitsbedingungen wegen großangelegter Angriffe der Taliban, was im November zur Vertreibung zahlreicher Personen führte. In Folge eines weiteren Angriffs der Taliban im Distrikt Khas Uruzgan der Provinz Uruzgan im selben Monat wurden ebenfalls zahlreiche Hazara-Familien vertrieben. Des Weiteren nahmen Talibankämpfer in verschiedenen Regionen vorübergehend strategische Positionen entlang der Hauptstraßen ein und behinderten somit die Bewegungsfreiheit zwischen den betroffenen Provinzen. Beispiele dafür sind Angriffe entlang Hauptstraßen nach Kabul in den Distrikten Daymirdad und Sayyidabad in Wardak, der Route Mazar - Shirbingham und Maimana - Andkhoy in den nördlichen Provinzen Faryab, Jawzjan und Balkh und der Route Herat - Qala-e-Naw im westlichen Herat und Badghis (UNGASC 7.12.2018). Trotz verschiedener Kampfhandlungen und Bedrohungen blieben mit Stand Dezember 2018 gemäß SIGAR die Provinzzentren aller afghanischen Provinzen unter Kontrolle bzw. Einfluss der afghanischen Regierung (SIGAR 30.1.2019).

Im Laufe des Wahlregistrierungsprozesses und während der Wahl am 20. und am 21. Oktober wurden zahlreiche sicherheitsrelevante Vorfälle registriert, welche durch die Taliban und den Islamischen Staat - Provinz Khorasan (ISKP) beansprucht wurden (UNGASC 7.12.2018; vgl. UNAMA 10.10.2018, UNAMA 11.2018). Während der Wahl in der Provinz Kandahar, die wegen Sicherheitsbedenken auf den 27. Oktober verschoben worden war, wurden keine sicherheitsrelevanten Vorfälle registriert. Die afghanischen Sicherheitskräfte entdeckten und entschärften einige IED [Improvised Explosive Devices - Improvisierte Spreng- oder Brandvorrichtung/Sprengfallen] in Kandahar-Stadt und den naheliegenden Distrikten (UNAMA 11.2018). Die United Nations Assistance Mission in Afghanistan (UNAMA) hatte zwischen 1.1.2018 und 30.9.2018 im Zusammenhang mit den Parlamentswahlen insgesamt 366 zivile Opfer (126 Tote und 240 Verletzte) registriert (UNAMA 10.10.2018). Am offiziellen Wahltag, dem 20. Oktober, wurden 388 zivile Opfer (52 Tote und 336 Verletzte) registriert, darunter 117 Kinder (21 Tote und 96 Verletzte) und 48 Frauen (2 Tote und 46 Verletzte). Am folgenden Wahltag, dem 21. Oktober, wurden 47 weitere zivile Opfer (4 Tote und 43 Verletzte) verzeichnet, inklusive 17 Kinder (2 Tote und 15 Verletzte) und Frauen (3 Verletzte). Diese Zahlen beinhalten auch Opfer innerhalb der Afghan National Police (ANP) und der Independet Electoral Commission (IEC) (UNAMA 11.2018). Die am 20. Oktober am meisten von sicherheitsrelevanten Vorfällen betroffenen Städte waren Kunduz und Kabul. Auch wenn die Taliban in den von ihnen kontrollierten oder beeinflussten Regionen die Wählerschaft daran hinderten, am Wahlprozess teilzunehmen, konnten sie die Wahl in städtischen Gebieten dennoch nicht wesentlich beeinträchtigen (trotz der hohen Anzahl von Sicherheitsvorfällen) (UNGASC 7.12.2018).

Die Regierung kontrolliert bzw. beeinflusst - laut Angaben der Resolute Support (RS) Mission - mit Stand 22.10.2018 53,8% der Distrikte, was einen leichten Rückgang gegenüber dem Vergleichszeitraum 2017 bedeutet. 33,9% der Distrikte sind umkämpft und 12,3% befinden sich unter Einfluss oder Kontrolle von Aufständischen. Ca. 63,5% der Bevölkerung leben in Gebieten, die sich unter Regierungskontrolle oder -einfluss befinden; 10,8% in Gegenden unter Einfluss bzw. Kontrolle der Aufständischen und 25,6% leben in umkämpften Gebieten. Die Provinzen mit der höchsten Anzahl an Distrikten unter Kontrolle bzw. Einfluss von Aufständischen sind Kunduz, Uruzgan und Helmand (SIGAR 30.1.2019).

Der ISKP ist weiterhin im Osten des Landes präsent und bekennt sich zu Selbstmordanschlägen und komplexen Angriffen in Nangarhar und zu sechs Angriffen in Kabul-Stadt. Des Weiteren finden in den Provinzen Nangarhar und Kunar weiterhin Kämpfe zwischen ISKP- und Talibankämpfern statt. Die internationalen Streitkräfte führten Luftangriffe gegen den ISKP in den Distrikten Deh Bala, Achin, Khogyani, Nazyan und Chaparhar der Provinz Nangarhar aus (UNGASC 7.12.2018). Global Incident Map zufolge wurden im Berichtszeitraum (1.1.2018 - 31.12.2018) 4.436 sicherheitsrelevante Vorfälle registriert.

Zivile Opfer

Die United Nations Assistance Mission in Afghanistan (UNAMA) registrierte im Berichtszeitraum (1.1.2018 - 31.12.2018) 10.993 zivile Opfer (3.804 Tote und 7.189 Verletzte), eine allgemeine Steigerung von 5% sowie eine Steigerung der Zahl der Toten um 11% gegenüber dem Vorjahreswert. 42% der zivilen Opfer (4.627 Opfer;

1.361 Tote und 3.266 Verletzte) wurden durch IED im Zuge von Anschlägen und Selbstmordanschlägen regierungsfeindlicher Gruppierungen (hauptsächlich ISKP) verursacht. Die Anzahl der Selbstmordanschläge unter Einsatz von IED stieg dabei um 22% und erreichte somit einen Rekordwert. Diese Art von Anschlägen verursachte 26% aller zivilen Opfer, während IED, die bei Nichtselbstmordanschlägen verwendet wurden, 16% der zivilen Opfer forderten. Kabul war mit insgesamt 1.866 Opfern (596 Tote und 1.270 Verletzte) die Provinz mit der höchsten Anzahl an Selbstmordanschlägen durch IED, während die Zahl der Opfer in Nangarhar mit insgesamt 1.815 (681 Tote und 1.134 Verletzte) zum ersten Mal fast die Werte von Kabul erreichte (hauptsächlich wegen des Einsatzes von IED bei Nichtselbstmordanschlägen). Kabul-Stadt verzeichnete insgesamt 1.686 zivile Opfer (554 Tote und 1.132 Verletzte) wegen komplexen und Selbstmordangriffen (UNAMA 24.2.2019).

Zusammenstöße am Boden (hauptsächlich zwischen regierungsfreundlichen und regierungsfeindlichen Gruppierungen) verursachten 31% der zivilen Opfer (insgesamt 3.382; davon 814 Tote und 2.568 Verletzte), was einen Rückgang um 3% im Vergleich mit dem Vorjahreswert bedeutet. Grund dafür war der Versuch regierungsfreundlicher Gruppierungen, die zivile Bevölkerung zu schonen. Die Verlagerung der Kämpfe in dünn besiedelte Gebiete, die Vorwarnung der lokalen Zivilbevölkerung bei Kampfhandlungen und die Implementierung von Strategien zum Schutz der Bevölkerung waren einige der bestimmenden Faktoren für den Rückgang bei zivilen Opfern. Jedoch ist die Opferzahl bei gezielt gegen die Zivilbevölkerung gerichteten komplexen Angriffen und Selbstmordanschlägen regierungsfeindlicher Gruppierungen gestiegen (plus 48% gegenüber 2017; 4.125 Opfer insgesamt, davon 1.404 Tote und 2.721 Verletzte). Sowohl der ISKP als auch die Taliban griffen gezielt Zivilisten an: Der ISKP war für 1.871 zivile Opfer verantwortlich, darunter waren u.a. Mitglieder der schiitischen Gemeinschaft, und die Taliban für 1.751. Obwohl die Gesamtzahl der zivilen Opfer durch gezielte Tötungen von Einzelpersonen (hauptsächlich durch Erschießung) zurückging, blieben Zivilisten inklusive religiöser Führer und Stammesältester weiterhin Ziele regierungsfeindlicher Gruppierungen. Die Gesamtzahl der durch Luftangriffe verursachten zivilen Opfer stieg im Vergleich mit dem Vorjahreswert um 61% und die Zahl der Todesopfer erreichte 82%. 9% aller zivilen Opfer wurden Luftangriffen (mehrheitlich der internationalen Luftwaffe) zugeschrieben, der höchste Wert seit 2009 (UNAMA 24.2.2019).

Regierungsfeindliche Gruppierungen waren im UNAMA-Berichtszeitraum (1.1.2018 - 31.12.2018) für 6.980 zivile Opfer (2.243 Tote und 4.737 Verletzte) verantwortlich. Das entspricht 63% der gesamten zivilen Opfer. 37% davon werden den Taliban, 20% dem ISKP und 6% unbestimmten regierungsfeindlichen Gruppierungen zugeschrieben. Im Laufe des Jahres 2018 wurden vermehrt Anschläge gegen Bildungseinrichtungen verzeichnet, meist durch Talibankämpfer, da in Schulen Registrierungs- und Wahlzentren untergebracht waren. Der ISKP attackierte und bedrohte Bildungseinrichtungen als Reaktion auf militärische Operationen afghanischer und internationaler Streitkräfte. UNAMA berichtet auch über anhaltende Angriffe auf Gesundheitseinrichtungen, welche Auswirkungen auf einen Großteil der zivilen Bevölkerung haben. Trotzdem die Taliban nach eigenen Angaben Maßnahmen zum Schutz der Zivilbevölkerung ergriffen haben, attackierten diese weiterhin Zivilisten, zivile Einrichtungen und regierungsfreundliche Gruppierungen in Zivilgebieten (UNAMA 24.2.2019).

Ungefähr 24% der zivilen Opfer (2.612, davon 1.185 Tote und 1.427 Verletzte), werden regierungsfreundlichen Gruppierungen zugeschrieben: 14% den afghani

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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