Entscheidungsdatum
09.09.2019Norm
AsylG 2005 §3 Abs1Spruch
W159 2158507-1/13E
IM NAMEN DER REPUBLIK!
Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Dr. Clemens KUZMINSKI als Einzelrichter über die Beschwerde des XXXX , geb. XXXX , StA. Afghanistan, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 05.04.2017, Zl. 1099166804-152004293, nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 25.07.2019, zu Recht erkannt:
A)
Der Beschwerde wird stattgegeben und XXXX gemäß § 3 Absatz 1 Asylgesetz idgF der Status einer Asylberechtigten zuerkannt. Gemäß § 3 Absatz 5 Asylgesetz 2005 idgF wird festgestellt, dass XXXX damit kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukommt.
B)
Die Revision ist gemäß Artikel 133 Absatz 4 B-VG nicht zulässig.
Text
ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:
I. Verfahrensgang:
Der Beschwerdeführer, ein Staatsangehöriger von Afghanistan, der Volksgruppe der Hazara zugehörig, verheiratet und schiitischer Moslem gelangte (spätestens) am 15.12.2015 unter Umgehung der Grenzkontrolle nach Österreich und stellte einen Antrag auf internationalen Schutz. Am nächsten Tag erfolgte die Erstbefragung durch die XXXX .
Zu den Fluchtgründen führte er aus, dass er auf Grund des Krieges und der Taliban Afghanistan verlassen habe, obwohl seine finanzielle Situation gut gewesen sei. Er werde wegen der Zugehörigkeit zur Volksgruppe der Hazara von den Taliban verfolgt.
In der Niederschrift im Verfahren vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl des Beschwerdeführers am 05.07.2016 gab der Beschwerdeführer an, er sei Staatsangehöriger von Afghanistan, gehöre der Volksgruppe der Hazara an, sei schiitischer Moslem, verheiratet und habe Kinder. Er sei Analphabet, habe jedoch in Österreich ein wenig lesen und schreiben gelernt.
Zu seinem Fluchtgrund befragt erzählte der Beschwerdeführer, er sei aus seiner Heimatprovinz wegen einer homosexuellen Liebschaft nach Ghazni geflohen. Dort hätte er ein Geschäft eröffnet, welches er etwa eineinhalb Jahre geführt hätte. In Ghazni sei es seiner Familie sehr gut gegangen. Er habe sogar begonnen dort ein Haus zu bauen. Als ihn die Taliban festnehmen hätten wollen, sei er aus Afghanistan geflohen. Seine Ehefrau sei zu ihrer Tante nach XXXX gezogen. Die Söhne der Tante hätten dort ein Lebensmittel- und ein Bekleidungsgeschäft. So sei das Überleben der Familie gesichert. Nach der Flucht des Beschwerdeführers hätte sich seine Ehefrau um alles Weitere gekümmert.
Nachgefragt gab der Beschwerdeführer auch an, er habe Probleme in Afghanistan wegen seines Religionsbekenntnisses und der Volksgruppenzugehörigkeit gehabt. Nachgefragt erläuterte der Beschwerdeführer seinen Fluchtgrund: Er sei zehn Jahre alt gewesen, als er für sich festgestellt hätte, dass er Männer lieber habe als Frauen und mit etwa zwölf Jahren habe er das erste Mal mit einem Mann geschlafen. Als er das letzte Mal mit seinem Freund XXXX in den Bergen gewesen sei, hätte dessen Vater sie beim Sex erwischt. Der Vater von XXXX hätte dem Beschwerdeführer gedroht, er würde es dem Iman erzählen und seine Steinigung veranlassen. Er habe ihn aufgefordert XXXX zu verlassen.
Zuhause habe der Beschwerdeführer seiner Frau alles erzählt, welche ihn beschimpft hätte. Da der Beschwerdeführer große Angst gehabt hätte, sei er am selben Tag nach Ghazni geflohen. Er habe seiner Frau die Rechte übertragen, alle seine Grundstücke, welche er von seinem Vater geerbt hätte, zu verkaufen. Nach zwei Wochen hätte er das Geld bekommen und habe für seine Familie ein Haus gebaut und ein Geschäft angemietet. Nach einem Jahr sei seine Frau nachgekommen und sie hätten zusammengelebt. Sexueller Kontakt mit einem Mann werde in Afghanistan mit dem Tode bedroht. Er hätte in Ghazni sehr gut bis zehn Tage vor seiner Ausreise gelebt. Eines Tages seien die Taliban vor seiner Haustüre gestanden und hätten ihm unterstellt mit der Regierung zusammenzuarbeiten. Sie hätten den Beschwerdeführer aufgefordert ein Selbstmordattentat auszuüben, ansonsten würden sie seine gesamte Familie töten. Nach drei Tagen seien sie neuerlich erschienen und hätten dem Beschwerdeführer so fest auf die Finger getreten, bis diese schwarz gewesen seien. Noch in der gleichen Nacht habe der Beschwerdeführer die Flucht angetreten. In Griechenland habe der Beschwerdeführer mit seiner Frau, welche zurückgeblieben sei, telefonieren können. Diese habe ihm erzählt, dass die Taliban erneut gekommen seien und weil sie den Beschwerdeführer nicht vorgefunden hätten, seine Frau vergewaltigt hätten. Deswegen seien seine Frau und die Kinder nach XXXX gezogen.
Der Beschwerdeführer brachte eine Teilnahmebestätigung am Kurs Alpha Teil1 für AsylwerberInnen in Vorlage.
Mit dem angefochtenen Bescheid vom 05.04.2017 wurde der Antrag auf internationalen Schutz hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 und des Status des subsidiär Schutzberechtigen gemäß § 8 Abs. 1 AsylG 2005 abgewiesen. Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigenden Gründen wurde dem Beschwerdeführer nicht erteilt. Gegen den Beschwerdeführer wurde eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs 2 FPG 2005 erlassen. Die Abschiebung nach Afghanistan sei gemäß § 46 FPG 2005 zulässig. Die Frist für die freiwillige Ausreise betrage zwei Wochen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung.
Die belangte Behörde führte beweiswürdigend aus, dass nicht festgestellt werden hätte können, dass der Beschwerdeführer mehrmals von den Taliban bedroht und zu einem Selbstmordattentat aufgefordert worden sei. Er habe auch die behauptete Homosexualität nicht glaubhaft machen können. Dem Beschwerdeführer sei es nicht gelungen, begründete Furcht vor Verfolgung glaubhaft zu machen.
Mit Verfahrensanordnung vom 13.04.2017 wurde dem Beschwerdeführer gemäß §52 Abs. 1 BFA-VG die XXXX als juristische Person für das Beschwerdeverfahren als Rechtsberater amtswegig zur Seite gestellt.
Der Beschwerdeführer erhob durch seine Rechtsvertretung ( XXXX ) im vollem Umfang fristgerecht Beschwerde und erhob sein gesamtes bisheriges Vorbringen zum integrierenden Bestandteil dieses Beschwerdeschriftsatzes, es hätte jedoch bei richtiger rechtlicher Beurteilung eine inhaltlich anderslautende Entscheidung ergehen müssen. Es sei verständlich und nachvollziehbar, dass der Beschwerdeführer bei seiner ersten Befragung vor einer Polizeistation ein für ihn derart heikles Thema nicht sofort angesprochen hätte, zumal in seinem Heimatland die Scharia noch angewendet werde und er zum Tode verurteilt worden wäre. Es wäre unglaubhaft gewesen, wenn er bei der ersten Gelegenheit vor Organen der Polizei seine höchstpersönlichen, sensiblen Fluchtgründe geschildert hätte. Der Beschwerdeführer habe grundsätzlich richtige und wahrheitsgemäße Angaben gemacht, da letztlich die vorgebrachte Bedrohung durch die Taliban aus den Problemen rund um die Homosexualität entstanden seien. Es sei auch hier nachvollziehbar, dass der Beschwerdeführer nicht unmittelbar zu Beginn seiner Befragung auf das Thema Homosexualität eingegangen sei, dass dies naturgemäß einem Menschen eher unangenehm sei, da nicht immer vorhersehbar sei, wie andere Menschen auf diese Neigung reagieren würden. Es sei nach der allgemeinen Lebenserfahrung nach ziemlich untypisch, dass ein Asylwerber aus Afghanistan, der ein Fluchtvorbringen konstruieren wolle, sich gerade auf das heikle Thema der Homosexualität berufe, denn es bringe in Afghanistan eine Stigmatisierung in einem enormen Ausmaß mit sich, sodass sich jemand wahrheitswidrig diese persönliche Eigenart nicht anlaste.
Am 25.07.2019 fand vor dem Bundesverwaltungsbericht eine öffentliche, mündliche Verhandlung statt, an der der Beschwerdeführer, seine Rechtsvertretung und ein Dolmetscher teilnahmen. Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl nahm entschuldigt nicht teil. Der Beschwerdeführer hielt seine Beschwerde und sein bisheriges Vorbringen aufrecht.
Er sei Staatsangehöriger von Afghanistan, gehöre der Volksgruppe der Hazara an und sei schiitischer Moslem. Der muttersprachliche Dolmetscher bestätigte, dass der Beschwerdeführer eindeutig Dari spricht (Und nicht Farsi wie in der Erstbefragung festgehalten AS1). Er stamme aus XXXX . Da er selbst Vieh besessen und als Hirte tätig gewesen sei und danach ein Lebensmittelgeschäft in Ghazni besessen habe, sei es ihm in Afghanistan wirtschaftlich gut gegangen.
Auf die Frage des Richters antworte der Beschwerdeführer, dass er sich schon als Kind zu den anderen männlichen Kindern mehr hingezogen gefühlt hätte. Er hätte immer schon lieber mit männlichen Kindern spielen wollen. Er sei etwa zehn Jahre alt gewesen, als er das erste homosexuelle Erlebnis hatte. Anfänglich hätten sie nur miteinander gespielt. Sie hätten sich dann von den anderen getrennt und seien in den Wald gegangen, wo sie noch an diesem Tag miteinander geschlafen hätten. Sie hätten die aktive und passive Rolle getauscht. Bei seinem ersten homosexuellen Erlebnis habe das Schamgefühl überwogen. Später hätte er als Jugendlicher XXXX , einen anderen Hirten als einen festen homosexuellen Partner gehabt.
Auf das Ersuchen der Rechtsvertretung, der Richter und der Dolmetscher möge aufgrund des einfachen Bildungsniveaus des Beschwerdeführers eine sehr einfache Sprache zu verwenden, antwortete der Richter, dass die Fragen zur Homosexualität sich am Artikel von Berlit, Dörig und Storey, Glaubhaftigkeitsprüfung bei Asylklagen aufgrund religiöser Konversion oder Homosexualität, Teil 2, deutsche Zeitschrift für Ausländerrecht 10/201 orientieren.
Basierend auf eine internalisierte Homophobiefalle es dem Beschwerdeführer schwer über seine Homosexualität zu sprechen, er habe bisher auch noch keinen Kontakt zu Beratungsstellen, wo er über seine Homosexualität sprechen hätte können.
Der Beschwerdeführer erklärte dem Richter, obwohl in Afghanistan die Homosexualität verpönt sei und sogar mit dem Tod bestraft werden könne, seien seine Gefühle stärker als seine Angst gewesen. Er hätte sich nie für Mädchen interessiert, habe er zur Zeit der Taliban vor einem Mullah ein Mädchen geheiratet und nunmehr vier Kinder. Es hätte ja auch keine Möglichkeit gegeben einen Mann zu heiraten. Der Beschwerdeführer erzählte: "Ich musste das tun. Erstens waren wir verheiratet und wenn keine Männer da waren, habe ich mit meiner Frau geschlafen. Es gab auch fast keine Möglichkeit nach homosexuellen Männern zu suchen. Afghanistan ist nicht wie Österreich, dass man sofort jemanden finden kann." Seine Frau hätte am Anfang nichts von seiner homosexuellen Neigung gewusst, später habe er ihr davon erzählt, denn der Vater seines Freundes hätte gedroht hat, es dem Mullah zu erzählen. Seine Frau sei sehr traurig, aber auch außer sich und böse auf den Beschwerdeführer gewesen. Letztendlich meinte sie, dass es besser wäre, wenn er flüchten würde. Wenn die Geschichte der Mullah erfahren hätte, hätte der Beschwerdeführer nicht nur sein Gesicht verloren, sondern er wäre auch große Gefahr gewesen.
Sein homosexueller Partner XXXX sei Hirte gewesen so wie der Beschwerdeführer. XXXX habe auch immer sein Vieh zum Weiden ins Gebirge gebracht. Zuerst hätten sie nur miteinander geredet. An einem Tag, als sie miteinander Sex gehabt hätten, hätte der Vater von XXXX das Essen hingebracht. Der Vater hätte vor Zorn das Essen hingeworfen und sei gegangen. XXXX sei dann zu seinem Vater gelaufen und hätte behauptet, dass der Beschwerdeführer ihm zum Sex gezwungen hätte. Auf den Vorhalt des Richters: "Beim BFA haben Sie angegeben, dass der Vater von XXXX auf sie beide einen bzw. mehrere Steine nach ihnen geworfen hätte. Heute sprechen Sie davon, dass er nur das Essen nach Ihnen geworfen hätte.", antworte der Beschwerdeführer, er habe auch angegeben, dass der Vater von XXXX mit Steinen geworfen hätte. Der Dolmetscher verneinte dies.
Der Beschwerdeführer gab an, dass er wisse, dass Homosexuelle, die beim Sex erwischt werden, in Afghanistan gesteinigt werden würden, es gäbe auch keine homosexuelle Szene in Afghanistan.
Nachdem der Vater von XXXX sie beim Sex erwischt hätte, sei der Beschwerdeführer nach Hause gegangen, hätte die Geschichte seiner Frau erzählt und auch gesagt, dass der Vater von XXXX damit drohe, die Geschichte dem Mullah zu erzählen. Seine Frau hätte gemeint, sobald der Mullah von der Geschichte wisse, wisse es das ganze Dorf. Es wäre besser für den Beschwerdeführer, wenn er das Dorf verlassen würde. In der Nacht nach dem Vorfall sei er ohne Familie nach Ghazni geflohen. Der Beschwerdeführer hätte von Ghazni seine Frau benachrichtigt, dass sie alles verkaufen solle und zu ihm nach Ghazni kommen solle. Mit diesem Geld hätte er das Lebensmittelgeschäft eröffnet.
Nachgefragt erzählte der Beschwerdeführer, sein damaliger Partner XXXX , sei sechzehn Jahre alt gewesen, ein sehr guter Junge und Hirte. Sie beide, seien dicke Freunde gewesen. XXXX sei auch homosexuell orientiert gewesen. Der Beschwerdeführer verstehe deshalb nicht, dass er seinem Vater gegenüber behauptet hat, dass der Beschwerdeführer ihn zum Sex gezwungen hätte.
Auf die Frage des Richters, warum der Beschwerdeführer bei der Erstbefragung seine Homosexualität mit keinem Wort erwähnt hätte, antwortete der Beschwerdeführer, er sei an diesem Tag sehr krank gewesen. Er sei auf der Flucht ins Meer gefallen und hätte sich sehr stark erkältet. Vor der Einvernahme hätte er noch eine Injektion bekommen.
In Ghazni hätte der Beschwerdeführer nach etwa zwei Jahren Probleme mit den Taliban bekommen. Er hätte sich um seinen schiitischen Glauben zu tarnen, immer als Usbeke, die Sunniten seien, vorgestellt, da er wie ein Usbeke ausschaue. In Ghazni hätte der Beschwerdeführer auch nicht die Möglichkeit gehabt seinen homosexuellen Neigungen nachzugehen, er hätte nicht einmal darüber sprechen können.
Es seien fünf Taliban zum Beschwerdeführer gekommen und hätten behauptet, dass der Beschwerdeführer mit dem Staat und der afghanischen Armee zusammenarbeiten würde. Beim ersten Mal hätten die Taliban nur das Gespräch gesucht. Die Taliban hätten dem Beschwerdeführer mitgeteilt, dass er als Hazare bei einem Selbstmordanschlag nicht auffallen würde, da kaum ein Hazara sich in die Luft sprengen würde. Beim zweiten Mal hätten die Taliban nachgefragt, ob der Beschwerdeführer über das vorige Gespräch nachgedacht hätte und sie hätten das Verlangen noch einmal zum Ausdruck gebracht, dass er mit ihnen zusammenarbeiten solle. Sie hätten den Beschwerdeführer auf den Boden gedrückt und beide Taliban seien auf seinen Händen gestanden. Er hätte große Schmerzen gehabt, aber er hätte den Taliban trotzdem gesagt, dass er als Selbstmordattentäter nicht zur Verfügung stehen würde. Die Hände des Beschwerdeführers seien, bis er in Griechenland angekommen sei, blau unterlaufen gewesen. Das Büro der Vereinten Nationen hätte einen Brief für seine Weiterreise sofort ausgestellt. In der Nacht nach dem zweiten Überfall der Taliban sei der Beschwerdeführer aus Afghanistan ausgereist. Seine Ehefrau und seine Kinder würden bei der Tante der Ehefrau väterlicherseits in XXXX leben, weil sie nicht mehr nach XXXX zurückkehren könnten. Seine Ehefrau hätte ihm erzählt, dass nachdem sie den Taliban erzählt hätte, dass der Beschwerdeführer nach Pakistan geflüchtet sei, sie von den Taliban mit der Begründung vergewaltigt worden sei, sie würde lügen. Der Beschwerdeführer vermute, dass der Vater von XXXX durch Schmiergeld die Taliban auf ihn aufmerksam gemacht hätte.
In Österreich gehe es ihm zurzeit nicht so schlecht. Gegen seinen Bluthochdruck habe er ein Medikament verschrieben bekommen. Er würde lernen, weil er noch nicht arbeiten dürfe. Die Rechtsvertretung wies daraufhin, dass der Beschwerdeführer gemeinnützige Arbeit im Rahmen der Zuverdienstgrenze verrichten würde.
Er habe in Österreich eine neue Partnerschaft, er habe eine homosexuelle Beziehung. Es würde in Linz einen Treffpunkt geben, ein Kino und dort fahre er öfters hin, um bevorzugt zwei Männer zu treffen. Sie würden so wie andere auch homosexuellen Kontakt haben. Er könne aufgrund der teuren Fahrt und des Eintritts nicht so oft hinfahren. Die XXXX hätte ihm noch einen anderen Treffpunkt für Homosexuelle in Linz mitgeteilt. Als er hinfahren wollte, sei diese Organisation gerade im Umzug gewesen. Er hätte nicht früher, mit Hilfe eines Dolmetschers mit diesem Verein Kontakt aufgenommen, weil er kein Vertrauen zu den Dolmetschern gehabt hätte. Die Rechtsvertretung ergänzte, dass heute im Rahmen eines Beratungsgesprächs der Kontakt mit dem XXXX hergestellt worden sei. Auf die Frage seiner Rechtsvertretung antwortete der Beschwerdeführer, dass er zukünftig schon plane, seine sexuelle Orientierung frei und offen zu leben. Er würde nicht regelmäßig beten und fasten, denn im Islam sei Homosexualität strikt verboten und auf der anderen Seite hätte er in Afghanistan ohne Erfolg gebetet und gefastet. Auf die Frage des Richters erklärte der Beschwerdeführer, dass er gern mit einem Mann zusammenleben würde.
Er hätte die Deutschkurse bis A1 gemacht, jedoch kein Deutschdiplom A1. Er hätte bei der Gemeinde XXXX gearbeitet. Sie hätten die Straßen gesäubert, die Wiesen gemäht und ausgemalt, z.B Schulen. Bei Veranstaltungen hätten Sesseln und Tische hingestellt.
In der Stellungnahme eingebracht durch die Rechtsvertretung, eingelangt am 09.08.2019 beim Bundesverwaltungsgericht wurde darauf hingewiesen, dass es augenscheinlich sei, dass der Beschwerdeführer in seinem Coming Out Prozess und in der Entwicklung seines Selbstbewusstseins und seiner Identität als schwuler Mann noch nicht weit fortgeschritten sei. Der Beschwerdeführer würde aus einer zutiefst homophoben Kultur stammen, in der Homosexuelle mit dem Tod bedroht werden würden. Er selbst würde auch homophobe Vorurteile internalisiert haben, die erst in einer intensiven Coming Out Beratung und die Integration in die Schwulencommunity überwunden werden hätten können. Der Beschwerdeführer sei schüchtern und zurückhaltend und das Thema Homosexualität sei für ihn schambesetzt. Auch das geringe Bildungsniveau des Beschwerdeführers trage dazu bei, dass er Schwierigkeiten mit der Selbstidentifikation hätte. Begriffe wie Homo- und Bisexualität seien ihm nicht bekannt. Er wisse, dass er sich zu Männern hingezogen fühle, ein starkes Bedürfnis hätte mit ihnen zu schlafen und dieses Bedürfnis nicht unterdrücken oder ablegen könne. Benennen könne er es jedoch nicht. Er hätte auch schon vor der belangten Behörde vorgebracht, dass er sich schon seit etwa dem zehnten Lebensjahr zu Männern hingezogen gefühlt und sehr früh schon seine homosexuellen Erfahrungen gemacht hätte. Er hätte in Afghanistan mehrere gleichgeschlechtliche Beziehungen unterhalten. Aufgrund der Tradition hätte er jedoch keine Möglichkeit gehabt sich einer Heirat zu entziehen, jedoch unterhielt er auch während seiner Ehe Kontakt zu einem anderen Mann. Seine Frau wisse darüber Bescheid, akzeptiere es nicht, wolle aber keine Scheidung, um ihr Gesicht nicht zu verlieren.
Der Beschwerdeführer hätte erst vor wenigen Tagen von der Existenz des XXXX erfahren, einem Verein für die Integration von LGBTI Flüchtlingen, Coming Out Beratung und Stärkung des Selbstvertrauens. Es würde feststehen, dass der Beschwerdeführer seinen Wunsch nach Beziehungen zu Männern nicht unterdrücken könne, obwohl er es versucht hätte. Er würde auch seine Homosexualität intensiv in Österreich ausleben, indem er u.a. ein Gay-Sexkino besuche.
Es wurde auf die UNHCR-Richtlinien und die Schwierigkeit des Coming-Out für den Beschwerdeführer verwiesen. In dem jährlichen Bericht der ILGA (International Lesbian, Gay, Bisexual, Trans and Intersex Association), Mai 2017, werde beschrieben wie die aktuellen Straftatbestände auf Homosexuelle in Afghanistan angewendet werden würden und wie Afghanistan bereits 2014 im Rahmen der Universal Periodic Review des UN-Menschrechtsrates dafür kritisiert worden sei. Auch der aktuelle Länderbericht des US Department of State beschreibe die äußerst problematische Situation für LGBTI Personen in Afghanistan.
Es wurde auf folgende Quellen verwiesen:
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Rechtsprechung EUGH vom 02.12.2014 C-184/13 bis C-150/13, A, B, C gegen die Niederlande, Rn. 69 bis 71
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VwGH vom 16.11.2016, RA 2015/18/0295 (Unter Bezugnahme auf EuGH vom 07.11.2013, C-199/12 bis C201/12, X, Y, Z, Rn. 71)
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International Lesbian, Gay, Bisexual, Trans and Intersex Association: Caroll, A. and Mendos, L.R., State Sponsored Homophobia 2017: A world survey of sexual orientation laws: criminalisation, protection and recognition (Geneva; ILGA, May 2017). Abrufbar unter:
http://www.ecoi.net/file_upload/90-1495430692_ilga-state-sponsored-homophobia-2017-web.corr.pdf
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USDOS - US Department of State: Country Report of Human Rights Practices 2016 - Afghanistan. 3. März 2017 (verfügbar auf ecoi.net) http://www.ecoi.net/local_link/337140/479904_de.html (Zugriff am 25.04.2017)
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Übersetzung des zitierten Bericht in: UNHCR - UN High Commissioner for Refugees: UNHCR Eligibility Guidelines for Assessing the International Protection Needs of Asylum-Seekers from Afghanistan, 19. April 2016 (verfügbar auf ecoi.net) http://www.ecoi.net/file_upload/90_1471846055_unhcr-20160419-afg-richtlinien-de.pdf (Memo von UNHCR Berlin) (Zugriff am 25.04.2017) S. 84-84
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UK Home Office: Country Policy and Information Note Afghanistan:
sexual orientation and gender identiy, Januar 2017 (verfügbar auf ecoi.net)
http://www.ecoi.net/file_upload/126_1484659040_afghanistan_sogi.cpin-january-2017.pdf (Zugriff am 25.04.2017)
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WPR - Institute for War and Peace Reporting: Boys Sold for Sex in Afghan Province - Activists warn of flourishing trade in male prostituion and "bacha bazi" or boy play., 02.März.2017, abrufbar unter: http://www.ecoi.net/local_link/337743/480588_de.html;
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Afghanistan LGBT community living under threat of death;
07.10.2016, abrufbar unter:
http://www.bbc.com/news/world-asia-36884732;
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Country Information and Guidance Afghanistan: Sexual orentation and gender identity, Februar 2016; abrufbar unter:
www.ecoi.net/file_upload/1226_1456815898_cig-afg-sexual-orientation-and-gender-identity.pdf
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ACCORD - Austrian Centre for Country of Origin and Asylum Research and Dcumentation: Anfragebeantwortun zu Afghanistan: Informationen zu Vergewaltigungen von Männern/Jungen durch Männer (Umgang in der Gesellschaft mit diesem Thema: Konsequenzen für den vergewaltigten Mann/Jungen; Schutzwilligkeit/-fähigkeit der Polizei in solchen Fällen), abrufbar unter:
http://www.ecoi.net/local_link/313595/451884_de.html.
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat wie folgt festgestellt und erwogen:
1. Feststellungen:
1.1 Feststellungen zur Person des Beschwerdeführers:
Der Beschwerdeführer ist Staatsangehöriger von Afghanistan, Angehöriger der Volksgruppe der Hazara, schiitischen muslimischen Glaubens und verheiratet. Er ist bi- bzw. homosexuell.
Der Beschwerdeführer gab glaubhaft an, dass er bereits in der Kindheit entdeckte, dass er das männliche vor dem weiblichen Geschlecht bevorzuge. Bereits im Alter von etwa zehn Jahren hat er seine erste homosexuelle Erfahrung gemacht. Aus traditionellen Gründen musste er trotzdem heiraten. Danach hatte er heimlich einen männlichen Geschlechtspartner. Der Vater seines Freundes erwischte die beiden zu Mittag beim Sex, als er das Essen vorbeibrachte. Der Beschwerdeführer erzählte seiner Frau in der Not von seiner sexuellen Neigung, da der Vater des Freundes drohte dem Iman alles zu erzählen.
Der Beschwerdeführer floh nach Ghazni und baute sich ein neues Leben auf. Der Vater seines Freundes hat vermutlich die Taliban mit Schmiergeld auf den Beschwerdeführer aufmerksam gemacht. Die Taliban versuchten ihn unter Zwang für ein Selbstmordattentat zu rekrutieren. Der Beschwerdeführer floh nach Österreich. Seine Frau und seine Kinder zogen, nachdem seine Frau von den Taliban vergewaltigt wurde, zu der Tante der Frau väterlicherseits nach XXXX und sind versorgt. Sie lehnt eine Scheidung ab, um nicht ihr Gesicht zu verlieren.
Der Beschwerdeführer ist sehr schüchtern und vorerst in der homophoben afghanischen Kultur sowie dem islamischen Glauben, welcher Homosexualität verbietet, gefangen. Er konnte lange nicht über seine sexuelle Neigung sprechen, weil er kein Vertrauen hatte. Nunmehr wurde Kontakt zu der LGBTI Community hergestellt und in einer Coming Out Beratung sein Selbstvertrauen gestärkt. Er lernt in Österreich zu seiner sexuellen Neigung zu stehen und beginnt sie vorerst mit Hilfe des Besuchs in einschlägigen Lokalitäten auszuleben. Er strebt einen Neubeginn und eine Partnerschaft mit einem Mann an.
Der Beschwerdeführer ist bi- bzw. homosexuell und konnte glaubhaft vorbringen, dass er in seinem Heimatland wegen Homosexualität (bestimmte soziale Gruppe) einer persönlichen Verfolgung unterliegt. Er wird im Fall einer Rückkehr nach Afghanistan mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit einer asylrelevanten Verfolgung und einer existentiellen Bedrohung ausgesetzt sein.
1.2 Länderfeststellungen
1.2.1 Zu Afghanistan wird verfahrensbezogen festgestellt (Auszüge aus den Länderberichten des BFA):
18. Homosexuelle
Die afghanische Verfassung kennt kein Verbot der Diskriminierung aufgrund sexueller Orientierung. Entsprechende Forderungen im Rahmen des Universal Periodic Review-Verfahrens im Jänner 2014 in Genf, gleichgeschlechtliche Paare zu schützen und nicht zu diskriminieren, wies die afghanische Vertretung (als eine der wenigen nicht akzeptierten Forderungen) zurück (AA 5.2018).
Das afghanische Strafgesetzbuch, das am 15.2.2018 in Kraft getreten ist, verbietet in den Artikeln 645 und 649 die Praktiken des Tafkhez, [Geschlechtsverkehr zwischen zwei Männern, Anm.], und der Mosahiqah, [Geschlechtsverkehr zwischen zwei Frauen, Anm.] (MoJ 15.5.2017). Neben der sozialen Ächtung von Bisexuellen, Homosexuellen und Transsexuellen verstärken Bestimmungen und Auslegung des islamischen Rechts (der Scharia, die z.T. von noch konservativeren vorislamischen Stammestraditionen beeinflusst wird) mit Androhungen von Strafen bis hin zur Todesstrafe den Druck auf die Betroffenen (AA 5.2018). Homosexualität wird weitverbreitet tabuisiert und als unanständig betrachtet. Mitglieder der LGBTI-Gemeinschaft haben keinen Zugang zu bestimmten gesundheitlichen Dienstleistungen und können wegen ihrer sexuellen Orientierung ihre Arbeit verlieren (USDOS 20.4.2018). Organisationen, die sich für die Rechte von LGBTI-Personen einsetzen, agieren im Untergrund und sind nicht registriert (AA 5.2018; vgl. USDOS 3.3.2017). Mitglieder der LGBTI-Gemeinschaft werden auch weiterhin diskriminiert, misshandelt, vergewaltigt und verhaftet (USDOS 20.4.2018).
Eine systematische Verfolgung durch staatliche Organe kann nicht nachgewiesen werden, was allerdings an der vollkommenen Tabuisierung des Themas liegt. Es wird jedoch von gewalttätigen Übergriffen bis hin zu Vergewaltigungen homosexueller Männer durch die afghanische Polizei berichtet. Vor allem aufgrund der starken Geschlechtertrennung kommt es immer wieder zu freiwilligen oder erzwungenen homosexuellen Handlungen zwischen heterosexuellen Männern. Auch existieren zahlreiche traditionelle Praktiken, die zwar nicht offiziell anerkannt sind, jedoch teilweise im Stillen geduldet werden. Beispiele dafür sind die Bacha Push [Anm.: auch Bacha Posh; "Bacha" heißt auf Dari "Kinder"], junge Mädchen, die sich als Jungen ausgeben, um bestimmten, den Frauen vorenthaltenen Tätigkeiten nachzugehen (AA 5.2018) und die Bacha Bazi [Anm.: auch Bacha Baazi], Buben oder transsexuelle Kinder, die sexuellem Missbrauch und/oder dem Zwang, bei öffentlichen oder privaten Ereignissen zu tanzen, ausgesetzt sind (MoJ 15.5.2017: Art. 653). Bei den Bacha Push handelt es sich i. d. R. nicht um eine transsexuelle, sondern eine indirekt gesellschaftlich bedingte Lebensweise. Bei Entdeckung droht Verfolgung durch konservative oder religiöse Kreise, da ein Mädchen bestimmte Geschlechtergrenzen überschritten und sich in Männerkreisen bewegt hat (AA 5.2018; vgl. NGI 6.3.2018). Sobald sie volljährig werden, müssen sich die Bacha Posh wieder wie "ordentliche" afghanische Frauen verhalten (AB 27.10.2016). Das Anheuern von Bacha Bazi wird nun durch das revidierte Strafgesetzbuch als Straftat definiert und im Artikel 653 mit Strafe bedroht (HRC 21.2.2018; vgl. MoJ 15.5.2017).
Aufgrund des Scharia-Vorbehalts im afghanischen Recht gibt es keine dem deutschen Transsexuellengesetz vergleichbare Regelung. Unter der Scharia ist bereits die Annäherung des äußeren Erscheinungsbilds etwa durch Kleidung an das andere Geschlecht verboten. Die Scharia verbietet daher auch die Änderung des Vornamens und der Geschlechtszugehörigkeit transsexueller Personen (AA 5.2018).
Quellen:
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AA - Auswärtiges Amt (5.2018): Bericht über die asyl- und abschieberelevante Lage in der Islamischen Republik Afghanistan, https://www.ecoi.net/en/file/local/1434081/4598_1528111899_auswaertiges-amt-bericht-asyl-und-abschiebungsrelevante-lage-in-der-islamischen-republik-afghanistan-stand-mai-2018-31-05-2018.pdf, Zugriff 5.6.2018
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AB - Al-Bawaba (27.10.2016): New video sheds light on Afghanistan's Bacha Posh - The young women disguising themselves as boys,
http://www.albawaba.com/loop/new-video-sheds-light-afghanistans-bacha-posh-young-women-disguising-themselves-boys-897936, Zugriff 10.4.2018
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HRC - Human Right Council (21.2.2018): Situation of Human Rights in Afghanistan and technical assistance achievements in the field of human rights,
https://www.ecoi.net/en/file/local/1427314/1930_1521636767_a-hrc-37-45.doc, Zugriff 4.4.2018
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MoJ - Ministry of Justice (15.5.2017): Strafgesetz:
http://moj.gov.af/content/files/OfficialGazette/01201/OG_01260.pdf, Zugriff 4.4.2018
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NGI - National Geographic Italia (6.3.2018): Afghanistan, le ragazze che crescono come maschi, http://www.nationalgeographic.it/wallpaper/2018/03/06/foto/afghanistan_ragazze_vestite_da_ragazzo-3888228/1/?refresh_ce, Zugriff 4.4.2018
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USDOS - U.S. Department of State (20.4.2018): 2017 Country Report on Human Rights Practices,
http://www.state.gov/j/drl/rls/hrrpt/humanrightsreport/index.htm?year=2017&dlid=277275, Zugriff 5.6.2018
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USDOS - U.S. Department of State (3.3.2017): 2016 Country Report on Human Rights Practices,
https://www.state.gov/j/drl/rls/hrrpt/2016/sca/265530.htm, Zugriff 4.4.2018
Beweis wurde erhoben durch:
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Erstbefragung des Beschwerdeführers durch die XXXX
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durch Einvernahme durch das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl am 05.07.2016
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durch Befragung durch das Bundesverwaltungsgericht am 25.07.2019,
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durch Heranziehung folgender Quellen:
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Rechtsprechung EUGH vom 02.12.2014 C-184/13 bis C-150/13, A, B, C gegen die Niederlande, Rn. 69 bis 71
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International Lesbian, Gay, Bisexual, Trans and Intersex Association: Caroll, A. and Mendos, L.R., State Sponsored Homophobia 2017: A world survey of sexual orientation laws: criminalisation, protection and recognition (Geneva; ILGA, May 2017). Abrufbar unter:
http://www.ecoi.net/file_upload/90-1495430692_ilga-state-sponsored-homophobia-2017-web.corr.pdf
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USDOS - US Department of State: Country Report of Human Rights Practices 2016 - Afghanistan. 3. März 2017 (verfügbar auf ecoi.net) http://www.ecoi.net/local_link/337140/479904_de.html (Zugriff am 25.04.2017)
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Übersetzung des zitierten Bericht in: UNHCR - UN High Commissioner for Refugees: UNHCR Eligibility Guidelines for Assessing the International Protection Needs of Asylum-Seekers from Afghanistan, 19. April 2016 (verfügbar auf ecoi.net) http://www.ecoi.net/file_upload/90_1471846055_unhcr-20160419-afg-richtlinien-de.pdf (Memo von UNHCR Berlin) (Zugriff am 25.04.2017) S. 84-84
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UK Home Office: Country Policy and Information Note Afghanistan:
sexual orientation and gender identiy, Januar 2017 (verfügbar auf ecoi.net)
http://www.ecoi.net/file_upload/126_1484659040_afghanistan_sogi.cpin-january-2017.pdf (Zugriff am 25.04.2017)
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WPR - Institute for War and Peace Reporting: Boys Sold for Sex in Afghan Province - Activists warn of flourishing trade in male prostituion and "bacha bazi" or boy play., 02.März.2017, abrufbar unter: http://www.ecoi.net/local_link/337743/480588_de.html;
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Afghanistan LGBT community living under threat of death;
07.10.2016, abrufbar unter:
http://www.bbc.com/news/world-asia-36884732;
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Country Information and Guidance Afghanistan: Sexual orentation and gender identity, Februar 2016; abrufbar unter:
www.ecoi.net/file_upload/1226_1456815898_cig-afg-sexual-orientation-and-gender-identity.pdf
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ACCORD - Austrian Centre for Country of Origin and Asylum Research and Dcumentation: Anfragebeantwortun zu Afghanistan: Informationen zu Vergewaltigungen von Männern/Jungen durch Männer (Umgang in der Gesellschaft mit diesem Thema: Konsequenzen für den vergewaltigten Mann/Jungen; Schutzwilligkeit/-fähigkeit der Polizei in solchen Fällen), abrufbar unter:
http://www.ecoi.net/local_link/313595/451884_de.html.
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sowie Einsichtnahme in den, den Beschwerdeführer betreffenden Strafregisterauszug.
2. Beweiswürdigung:
Die allgemeinen länderspezifischen Feststellungen entstammen einer aktuellen Zusammenstellung der Staatendokumentation (die nicht nur für die Länderinformation des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl, sondern auch für das Bundesverwaltungsgericht zuständig ist), welche auf einer ausgewogenen Sammlung zahlreicher seriöser, aktueller, internationaler, staatlicher und nicht staatlicher Quellen beruht.
Das Vorbringen des Beschwerdeführers wird wie folgt gewürdigt:
Das Vorbringen eines Asylwerbers ist dann glaubhaft, wenn es vier Grunderfordernisse erfüllt (diesbezüglich ist auf die Materialien zum AsylG 1991 [RV 270 BlgNR 18. GP; AB 328 BlgNR 18. GP] zu verweisen, die wiederum der VwGH-Judikatur entnommen wurden).
1. Das Vorbringen des Asylwerbers ist genügend substantiiert. Dieses Erfordernis ist insbesondere dann nicht erfüllt, wenn der Asylwerber den Sachverhalt sehr vage schildert oder sich auf Gemeinplätze beschränkt, nicht aber in der Lage ist, konkrete und detaillierte Angaben über seine Erlebnisse zu machen.
2. Das Vorbringen muss, um als glaubhaft zu gelten, in sich schlüssig sein.
Der Asylwerber darf sich nicht in wesentlichen Aussagen widersprechen.
3. Das Vorbringen muss plausibel sein, d.h. mit den Tatsachen oder der allgemeinen Erfahrung übereinstimmen. Diese Voraussetzung ist u. a. dann nicht erfüllt, wenn die Darlegungen mit den allgemeinen Verhältnissen im Heimatland nicht zu vereinbaren sind oder sonst unmöglich erscheinen und
4. Der Asylwerber muss persönlich glaubwürdig sein. Das wird dann nicht der Fall sein, wenn sein Vorbringen auf gefälschte oder verfälschte Beweismittel abgestützt ist, aber auch dann, wenn er wichtige Tatsachen verheimlicht oder bewusst falsch darstellt, im Laufe des Verfahrens das Vorbringen auswechselt oder unbegründet einsilbig und verspätet erstattet oder mangelndes Interesse am Verfahrensablauf zeigt und die nötige Mitwirkung verweigert.
Der Verwaltungsgerichtshof hat in zahlreichen Erkenntnissen betont, wie wichtig der persönliche Eindruck, den das zur Entscheidung berufene Mitglied der Berufungsbehörde im Rahmen der Berufungsverhandlung von dem Berufungswerber gewinnt, ist (siehe z. B. VwGH vom 24.06.1999, 98/20/0435, VwGH vom 20.05.1999, 98/20/0505, u.v.a.m.).
Vorausgeschickt wird, dass im Asylverfahren das Vorbringen des Asylwerbers als zentrales Entscheidungskriterium herangezogen werden muss (so schon VwGH vom 23.10.2018 Ra 2018/20/0043u.v.a.m.)
Der Beschwerdeführer ist Staatsangehöriger von Afghanistan, der Volksgruppe der Hazara zugehörig, verheiratet, Bi- bzw. homosexuell und schiitischen moslemischen Glaubens. Er ist nicht straffällig.
Der Beschwerdeführer hat aus Scham und Schüchternheit, sowie homophoben Vorurteilen, in der Ersteinvernahme nicht von seiner Bi- bzw. Homosexualität erzählt. Erst vor der belangten Behörde hat er angegeben, dass er trotzdem er aus traditionellen Gründen verheiratet wurde, von jeher das männliche Geschlecht bevorzugte. Das Bundesverwaltungsgericht konnte keine Steigerung des Fluchtvorbringens feststellen. Der Beschwerdeführer hat sein Vorbringen schlüssig, lebensnahe, sehr ausführlich, konkret, emotionsvoll und nachvollziehbar vor dem Bundesverwaltungsgericht geschildert, obwohl er nur über wenig Schulbildung verfügt. Bereits in der Kindheit hat er seine homosexuelle Neigung entdeckt und angefangen zu leben. Trotz seiner Heirat hatte er sexuellen Kontakt zu einem befreundeten jungen Hirten. Der Vater des Sexualpartners erwischte die beiden und drohte dem Beschwerdeführer dem Iman über das Gesehene zu berichten. Der Beschwerdeführer floh nach Ghazni, wurde aber dort von den Taliban angesprochen um ein Selbstmordattentat zu verüben. Der Beschwerdeführer vermutete, dass der Vater seines ehemaligen Sexualpartners die Taliban anstiftete, ihn zu rekrutieren. Die Ehefrau lebt mit den Kindern in XXXX , nachdem sie von den Taliban vergewaltigt wurde, bei ihrer Tante, weil sie über den Aufenthaltsort des Beschwerdeführers keine Auskunft geben konnte. Sie weiß über die homosexuelle Orientierung ihres Mannes Bescheid, sieht aber von einer Scheidung ab um nicht ihr Gesicht bzw. Ansehen zu verlieren.
Die Angaben des Beschwerdeführers wurden durch die LIB und zahlreiche vorgelegte Berichte (wie zitiert) belegt.
Es ist auch nichts hervorgekommen, dass er wichtige Tatsachen verheimlicht oder bewusst falsch dargestellt hat, im Laufe des Verfahrens das Vorbringen ausgewechselt, unbegründet einsilbig, verspätet oder ersteigert hatte, ebenso wenig kann ihm ein mangelndes Interesse am Verfahrensablauf oder eine Unterlassung der nötigen Mitwirkung nachgesagt werden. Der Beschwerdeführer hat auch hinsichtlich seiner Fluchtgründe persönlich einen äußerst glaubwürdigen Eindruck hinterlassen, was auch dadurch verstärkt wird, dass er das Vorbringen nicht aufgebauscht hat und etwa keineswegs von (nicht stattgefundenen) Misshandlungen oder Missbräuchen berichtet hat.
Zusammenfassend ist daher festzuhalten, dass das Vorbringen des Beschwerdeführers zu seinen Fluchtgründen Glaubwürdigkeit zugebilligt wird.
3. Rechtliche Beurteilung:
Das Verfahren der Verwaltungsgerichte mit Ausnahme des Bundesfinanzgerichtes ist durch das VwGVG, BGBl. I 33/2013 idF BGBl. I 122/2013, geregelt (§ 1 leg.cit.). Gemäß § 58 Abs. 2 VwGVG bleiben entgegenstehende Bestimmungen, die zum Zeitpunkt des Inkrafttretens dieses Bundesgesetzes bereits kundgemacht wurden, in Kraft. Gemäß § 17 VwGVG sind, soweit in diesem Bundesgesetz nicht anderes bestimmt ist, auf das Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 B-VG die Bestimmungen des AVG mit Ausnahme der §§ 1 bis 5 sowie des IV. Teiles, die Bestimmungen der Bundesabgabenordnung - BAO, BGBl. Nr. 194/1961, des Agrarverfahrensgesetzes - AgrVG, BGBl. Nr. 173/1950, und des Dienstrechtsverfahrensgesetzes 1984 - DVG, BGBl. Nr. 29/1984, und im Übrigen jene verfahrensrechtlichen Bestimmungen in Bundes- oder Landesgesetzen sinngemäß anzuwenden, die die Behörde in dem dem Verfahren vor dem Verwaltungsgericht vorangegangenen Verfahren angewendet hat oder anzuwenden gehabt hätte. Gemäß § 6 BVwGG entscheidet das Bundesverwaltungsgericht durch Einzelrichter, sofern nicht in Bundes- oder Landesgesetzen die Entscheidung durch Senate vorgesehen ist. Eine derartige Regelung wird in den einschlägigen Normen (VwGVG, BFA-VG, AsylG) nicht getroffen.
Zu A)
Gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 ist einem Fremden, der in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, soweit der Antrag nicht wegen Drittstaatsicherheit oder wegen Zuständigkeit eines anderen Staates zurückzuweisen ist, der Status des Asylberechtigten zuzuerkennen, wenn glaubhaft ist, dass ihm im Herkunftsstaat Verfolgung iSd Art. 1 Abschnitt A Z 2 der Konvention