TE Bvwg Erkenntnis 2019/9/10 W251 2171370-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 10.09.2019
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Entscheidungsdatum

10.09.2019

Norm

AsylG 2005 §10 Abs1 Z3
AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §55
AsylG 2005 §57
AsylG 2005 §8 Abs1
BFA-VG §9
B-VG Art. 133 Abs4
FPG §46
FPG §50
FPG §52 Abs2 Z2
FPG §52 Abs9
FPG §55 Abs1
FPG §55 Abs2
FPG §55 Abs3

Spruch

W251 2171369-1/15E

W251 2171370-1/17E

W251 2171366-1/13E

W251 2171364-1/21E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch die Richterin Dr. Angelika SENFT als Einzelrichterin über die Beschwerden von 1.) XXXX , geb. XXXX , 2.) XXXX , geb. XXXX , 3.) mj. XXXX , geb. XXXX , und

4.) mj. XXXX , geb. XXXX , alle StA. Afghanistan und vertreten durch den MigrantInnenverein St. Marx, gegen die Bescheide des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 13.09.2017 zu 1.) Zl. 1089354403 - 151463375, 2.) Zl. 1089354305 - 151463338, 3.) Zl. 1089353406 - 151463451, und 4.) Zl. 1157540010 - 170737973, nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung zu Recht:

A)

Die Beschwerden werden als unbegründet abgewiesen.

B)

Die Revision ist nicht zulässig.

Text

BEGRÜNDUNG:

I. Verfahrensgang:

1. Die Beschwerdeführer, alle Staatsangehörige Afghanistans, reisten - abgesehen vom Viertbeschwerdeführer - gemeinsam in das Bundesgebiet ein und stellten am 30.09.2015 bzw. am 21.06.2017 (Viertbeschwerdeführer) die gegenständlichen Anträge auf internationalen Schutz. Der Erstbeschwerdeführer ist mit der Zweitbeschwerdeführerin verheiratet. Diese haben zwei leibliche Söhne, den Dritt- und den Viertbeschwerdeführer.

2. Die niederschriftliche Erstbefragung des Erst- und der Zweitbeschwerdeführerin fand am 30.09.2015 vor einem Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes statt. Sie gaben zu ihren Fluchtgründen befragt im Wesentlichen an, dass sie in Afghanistan ohne Einverständnis ihrer Eltern heimlich geheiratet hätten und deshalb nicht mehr in Afghanistan haben leben können. Sie hätten die Ehre ihrer Familie verletzt und seien von ihren Familien beschimpft, bespuckt und sehr schlecht behandelt worden, weshalb sie schließlich Afghanistan verlassen haben.

3. Am 30.05.2017 wurden der Erst- und die Zweitbeschwerdeführerin vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (in Folge: Bundesamt) niederschriftlich einvernommen. Der Erst- und die Zweitbeschwerdeführerin gaben zu ihren Fluchtgründen im Wesentlichen an, dass die Zweitbeschwerdeführerin in Afghanistan von ihrem Onkel geschlagen worden sei und dieser ihr den Schulbesuch verboten habe. Zudem hätte sie einen seiner Söhne heiraten sollen. Da der Erstbeschwerdeführer gemerkt habe, wie die Zweitbeschwerdeführerin unter ihrem Onkel gelitten habe, habe er sie entführt bzw. sei sie mit ihm zu seiner Familie geflohen. Sie hätten dann heimlich ohne Einverständnis ihrer Familien geheiratet und bei der Familie des Erstbeschwerdeführers gewohnt. Nach ca. einem bzw. eineinhalb Monaten habe die Zweitbeschwerdeführerin ihrer Mutter von den Ereignissen erzählt und sie habe ihre Familie immer wieder besucht. Eines Tages habe ihr Onkel herausgefunden, wo die Zweitbeschwerde-führerin lebe. Er habe sie dann untertags - als der Erstbeschwerdeführer arbeiten gewesen sei - öfters aufgesucht und geschlagen. Die Zweitbeschwerdeführerin habe ihrem Mann zunächst nichts davon erzählt. Aus Angst ihr Onkel werde ihrem Kind etwas antun, habe sie schließlich Afghanistan mit ihrem Mann verlassen.

Hinsichtlich des Drittbeschwerdeführers wurden keine eigenen Fluchtgründe geltend gemacht.

4. Am XXXX wurde der Viertbeschwerdeführer in Österreich geboren. Er ist der Sohn des Erst- und der Zweitbeschwerdeführerin. Für ihn wurde mit Schriftsatz vom 21.06.2017 ein Antrag auf internationalen Schutz gestellt. Zugleich wurde in der Stellungnahme ausgeführt, dass sich die Sicherheitslage im gesamten Staatsgebiet Afghanistans äußerst prekär darstelle. Der Familie sei aufgrund der asylrelevanten Verfolgung als Mitglieder der sozialen Gruppe derjenigen, die sich häuslicher Gewalt, Diskriminierung von Frauen und Mädchen und unfreiwilliger Eheschließungen widersetzt hätten und deswegen bedroht worden seien, Asyl zu gewähren. In eventu sei ihnen zumindest jedoch subsidiärer Schutz zu gewähren.

5. Das Bundesamt wies die Anträge der Beschwerdeführer auf internationalen Schutz mit oben genannten Bescheiden sowohl bezüglich der Zuerkennung des Status der Asylberechtigten (Spruchpunkt I.) als auch bezüglich der Zuerkennung des Status der subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Afghanistan (Spruchpunkt II.) ab und erteilte den Beschwerdeführern keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen. Gegen die Beschwerdeführer wurde eine Rückkehrentscheidung erlassen und festgestellt, dass ihre Abschiebung nach Afghanistan zulässig sei (Spruchpunkt III.). Die Frist für die freiwillige Ausreise wurde mit 14 Tagen ab Rechtskraft der Entscheidung festgesetzt (Spruchpunkt IV.).

Begründend wurde im Wesentlichen ausgeführt, dass die Beschwerdeführer keine asylrelevanten Fluchtgründe geltend bzw. glaubhaft gemacht hätten. Es drohe den Beschwerdeführern auch keine Gefahr, die die Erteilung eines subsidiären Schutzes rechtfertigen würde. Die Beschwerdeführer verfügen über familiäre Anknüpfungspunkte in Afghanistan und sei es dem Erstbeschwerdeführer als junger gesunder Mann durchaus zumutbar durch Aufnahme von Tätigkeiten auch außerhalb seiner Heimatprovinz den Lebensunterhalt zu bestreiten. Die Beschwerdeführer würden in Österreich - abgesehen voneinander - zudem über kein schützenswertes Privat- und Familienleben, das einer Rückkehrentscheidung entgegenstehe, verfügen.

6. Die Beschwerdeführer erhoben gegen oben genannte Bescheide fristgerecht Beschwerde und brachten im Wesentlichen vor, dass es unzulässig sei ihnen eine Steigerung ihres Vorbringens vorzuwerfen, weil ihre Aussagen zu ihren Fluchtgründen in der Einvernahme beim Bundesamt zwangsläufig detaillierter und umfassender gewesen seien als ihre diesbezüglich knappen Angaben in der Erstbefragung. Zudem habe das Bundesamt die Stellungnahme der Beschwerdeführer vom 21.06.2017 ignoriert, wodurch das Recht der Beschwerdeführer auf Wahrung des rechtlichen Gehörs verletzt worden sei. Das Bundesamt habe sich nicht damit beschäftigt, dass die Verfolgung der Zweitbeschwerdeführerin als politisch motiviert zu betrachten sei, denn ihr Handeln sei zweifelsohne Ausdruck einer Haltung, die entschieden der in Afghanistan üblichen Tradition, dass Familien bestimmen, wen ein Mädchen zu heiraten habe, widersprechen. Zudem sei sie als Angehörige einer eigenen sozialen Gruppe der Genfer Flüchtlingskonvention zu subsumieren. Eine Rückkehr nach Afghanistan würde für die gesamte Familie eine Verletzung der Art. 2 und 3 EMRK darstellen, weswegen den Beschwerdeführern jedenfalls subsidiärer Schutz zu gewähren sei.

7. Das Bundesverwaltungsgericht führte am 04.03.2019 in Anwesenheit einer Dolmetscherin sowie im Beisein des Rechtsvertreters der Beschwerdeführer eine öffentliche mündliche Verhandlung durch. Die Verfahren der Beschwerdeführer wurden zur gemeinsamen Verhandlung verbunden.

8. Mit Stellungnahme vom 11.03.2019 wurde vorgebracht, dass die Zweitbeschwerdeführerin in der Beschwerdeverhandlung gestresst und überfordert gewesen sei, weshalb es zu Irrtümern bezüglich der medizinischen, notwenidgen Untersuchungen des Viertbeschwerdeführers gekommen sei. Der Drittbeschwerdeführer mache wegen einer Entwicklungsverzögerung eine Physiotherapie. Die Beschwerdeführer würden in Afghanistan über keine relevanten Netzwerke verfügen, die sie tatsächlich und realistisch unterstützen könnten. Mit einer Rückschiebung wären die Kinder in ihren verfassungsrechtlich gewährleisteten Rechten verletzt. Zudem sei zu bezweifeln, dass der Erstbeschwerdeführer als Alleinverdiener in der Lage sei, sowohl sich als auch seine Familie zu ernähren. Den Beschwerdeführern sei aufgrund ihrer westlichen Wertehaltung Asyl zu gewähren, jedenfalls sei ihnen subsidiärer Schutz zu gewähren oder eine Rückkehrentscheidung auf Dauer für unzulässig zu erklären. Unter einem wurden medizinische Unterlagen betreffend den Dritt- und Viertbeschwerdeführer vorgelegt.

9. Mit Beschluss des Bundesverwaltungsgerichts vom 22.03.2019 wurde ein Sachverständiger aus dem Fachgebiet Kinder- und Jugendheilkunde, Kinderkardiologie, zur schriftlichen Gutachtenserstellung betreffend den Viertbeschwerdführer, der ein XXXX und eine geringfügige Insuffizienz der XXXX aufweist, die als nicht relevant eingestuft wurde, bestellt. Gemäß dem erstatteten medizinischen Gutachten vom 02.05.2019 sind in aller Regel keine spezifischen Behandlungen, sondern lediglich regelmäßige kinderkardiologische Kontrollen inklusive Herzultraschall erforderlich. Es besteht beim Viertbeschwerdeführer keinerlei körperliche oder geistige Einschränkung, lediglich Tiefseetauchen ist nicht erlaubt. Es ist weder mit nachteiligen Folgen zu rechnen noch ist eine spezifische medizinische Behandlung, Operation oder Therapie erforderlich.

Mit Parteiengehör vom 09.05.2019 wurde den Parteien das medizinische Gutachten zur Stellungnahme übermittelt. Mit Schriftsatz vom 20.05.2019 brachten die Beschwerdeführer vor, dass eine Abschiebung nach Afghanistan in Anbetracht der Erkrankung des Viertbeschwerdeführers und der mangelnden Behandlungsmöglichkeiten jedenfalls zu einer gravierenden Reduzierung seiner Lebenserwartung, möglicherweise auch zu einer akut lebensbedrohlichen Verschlechterung seines Gesundheitszustandes führen würde.

10. Mit Parteiengehör vom 20.05.2019 wurde den Parteien die Möglichkeit gegeben zur Anfragebeantwortung der Staatendokumentation betreffend Anzahl an Kindern in den Städten Kabul, Herat und Mazar-e Sharif vom 03.05.2019 Stellung zu nehmen sowie aufgetragen bekannt zu geben, ob sich seit der letzten Verhandlung etwas an ihren Angaben, an ihrer Situation in Österreich bzw. im Herkunftsland oder an der Situation in Afghanistan geändert hat.

Mit Stellungnahme der Beschwerdeführer vom 29.05.2019 wurde vorgebracht, dass viele Menschenrechtsverletzungen betreffend Kinder in Afghanistan aus den Länderberichten hervorgehen würden. Den Kindern wäre keine Bildungsmöglichkeit oder eine entsprechende medizinische oder psychosoziale Leistung gewährleistet. Die Verwandten der Beschwerdeführer - zu denen kein bzw. ein nur sehr begrenzter Kontakt bestehe - seien nicht willig die Beschwerdeführer zu unterstützen. Es sei fraglich, ob die Beschwerdeführer Zugang zu ihrem Eigentumshaus aufgrund der hohen Korruptionsrate in Afghanistan erlangen könnten.

Das Bundesamt führte mit Stellungnahme vom 29.05.2019 aus, dass aus den Länderberichten keine aktuelle Bedrohung für die Volksgruppe der Hazara in Afghanistan zu entnehmen sei.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

1.1. Zur Person der Beschwerdeführer:

1.1.1. Der Erstbeschwerdeführer führt den Namen XXXX und das Geburtsdatum XXXX . Die Zweitbeschwerdeführerin führt den Namen XXXX und das Geburtsdatum XXXX . Der Erstbeschwerdeführer ist mit der Zweitbeschwerdeführerin traditionell verheiratet. Diese haben zwei leibliche Söhne, den Drittbeschwerdeführer, der den Namen XXXX und das Geburtsdatum XXXX führt, und den Viertbeschwerdeführer, der den Namen XXXX und das Geburtsdatum XXXX führt. Die Beschwerdeführer sind afghanische Staatsangehörige, gehören der Volksgruppe der Hazara an und bekennen sich zum schiitisch-muslimischen Glauben. Die Beschwerdeführer sprechen Dari als Muttersprache (Verwaltungsakt des Erstbeschwerdeführers - BF 1 AS 1, 139 ff; Verwaltungsakt der Zweitbeschwerdeführerin - BF 2 AS 1, 141 ff; Verhandlungsprotokoll vom 04.03.2019 = VP, S. 10 f, 34).

Der Dritt- und der Viertbeschwerdeführer wurden nach den afghanischen Gepflogenheiten und der afghanischen Kultur sozialisiert, sie sind mit den afghanischen Gepflogenheiten vertraut.

1.1.2. Der Erstbeschwerdeführer wurde in der Stadt Kabul geboren und ist dort im Bezirk XXXX gemeinsam mit seinen Eltern und seinen drei Geschwistern (ein Bruder und zwei Schwestern) in einem Eigentumshaus aufgewachsen (BF 1 AS 5, 139; VP, S. 12 f). Er ist mit seiner Familie nicht umgezogen. Der Erstbeschwerdeführer hat fünf Jahre lang eine Schule in Kabul besucht. Danach hat er den Beruf des Schweißers gelernt und hat zwölf Jahre diesen Beruf als Selbständiger ausgeübt. Er hatte einige Verträge mit Organisationen für die er Arbeiten durchgeführt hat (BF 1 AS 1, 143, 151; VP, S. 11). Der Beschwerdeführer ist in seiner Freizeit viel gereist (nach Pakistan, in den Iran, nach Syrien, in den Irak und nach Dubai) (VP, S. 13). Seine finanzielle Situation war durchschnittlich. Der Erstbeschwerdeführer hat sich in Kabul ein Grundstück gekauft und darauf ein Haus gebaut (VP, S. 11).

1.1.3. Die Zweitbeschwerdeführerin wurde in der Stadt Kabul geboren und ist dort im Stadtteil XXXX gemeinsam mit ihren Eltern und ihren zwei Geschwistern (ein Bruder und eine Schwester) im Eigentumshaus ihres Vaters aufgewachsen (VP, S. 37). Sie ist mit ihrer Familie nicht umgezogen. Der angebliche Onkel väterlicherseits der Zweitbeschwerdeführer hat nie im Haus ihrer Familie gewohnt. Die Zweitbeschwerdeführerin hat keine Schule besucht, sie ist Analphabetin. Ihr Vater und ihr Bruder sind für den Lebensunterhalt ihrer Familie aufgekommen. Sie selbst hat nicht gearbeitet (BF 2 AS 1, 145 f; VP, S. 34, 36).

1.1.4. Der Erst- und die Zweitbeschwerdeführerin haben ca. Ende 2012/Anfang 2013 traditionell geheiratet (BF 1 AS 155; BF 2 AS 157). Es hat sich dabei nicht um eine heimliche, gegen den Willen der Familien erfolgte Eheschließung gehandelt. Die Familien des Erst- und der Zweitbeschwerdeführerin waren mit der Heirat einverstanden. Die Zweitbeschwerdeführerin ist nach der Heirat zum Erstbeschwerdeführer ins Haus seiner Familie für ca. ein bis zwei Monate gezogen. Danach sind der Erst- und die Zweitbeschwerdeführerin in das Eigentumshaus des Erstbeschwerdeführers gezogen. Der Sohn des Erst- und der Zweitbeschwerdeführerin - der Drittbeschwerdeführer - wurde am XXXX in Afghanistan geboren. Der Erstbeschwerdeführer hat den Unterhalt für seine Ehefrau und seinen Sohn bestritten. Die Erst- bis Drittbeschwerdeführer haben Afghanistan ca. im August 2015 verlassen (BF 1 AS 7; BF 2 AS 7; VP, S. 14, 37).

Die Erst- bis Drittbeschwerdeführer sind unter Umgehung der Grenzkontrollen nach Österreich eingereist und stellten am 30.09.2015 die gegenständlichen Anträge auf internationalen Schutz in Österreich. Am XXXX wurde der Viertbeschwerdeführer in Österreich geboren.

1.1.5. Der Erstbeschwerdeführer verfügt in Kabul im XXXX Bezirk XXXX im Ort XXXX noch über sein Grundstück und sein darauf befindliches Eigentumshaus. Das gesamte Grundstück ist ca. 300 m2 groß. Das darauf gelegene Eigentumshaus des Erstbeschwerdeführers verfügt über zwei Zimmer und Wasserleitungen und fließendem Wasser im Haus. Im Garten gibt es Bäume. Derzeit wohnt die Schwester des Beschwerdeführers samt ihrer Familie darin. Die Schwester des Erstbeschwerdeführers baut Gemüse für den Eigengebrauch im Garten an (VP, S. 11, 18, 40).

1.1.6. Die Eltern des Erstbeschwerdeführers leben nach wie vor in Kabul in ihrem Eigentumshaus (VP, S. 17). Der Vater des Erstbeschwerdeführers hatte ein Geschäftslokal in dem er gebrauchte Kleidung neu einfärbte. Die Mutter des Erstbeschwerdeführers hat gearbeitet, sie hat Falten (Plisee) in Burkas gelegt (VP, S. 17). Die derzeitige finanzielle Situation der Eltern des Erstbeschwerdeführers ist durchschnittlich (VP, S. 16).

Die ältere Schwester des Erstbeschwerdeführers ist verheiratet und wohnt samt ihrem Ehemann und ihrem Sohn im Eigentumshaus des Erstbeschwerdeführers. Sie ist Hausfrau und kümmert sich um ihren Sohn (VP, S. 14 f), ihr Ehemann arbeitet als Autolackierer (VP, S. 18).

Die jüngere Schwester des Erstbeschwerdeführers ist nicht verheiratet und lebt bei ihren Eltern. Sie besucht die Schule sowie Englischkurse (VP, S. 14 f).

Weder der Bruder des Erstbeschwerdeführers noch dessen Ehefrau sind bereits verstorben. Der Bruder des Erstbeschwerdeführers lebt mit seiner Frau und seinen vier Kindern im Haus seiner Eltern (VP, S. 15 f). Die Schwägerin des Erstbeschwerdeführers ist die älteste Tochter seines noch lebenden Onkels väterlicherseits. Sie ist Hausfrau und kümmert sich um ihre Kinder (VP, S. 15). Der Bruder des Erstbeschwerdeführers ist berufstätig. Die finanzielle Situation seines Bruders ist durchschnittlich (VP, S. 16). Der älteste Sohn des Bruders des Erstbeschwerdeführers ist gelernter Autolackierer und hat sich ein eigenes Geschäftslokal organisiert (VP, S. 16).

Der Onkel väterlicherseits des Erstbeschwerdeführers lebt in der Stadt Kabul im Bezirk XXXX . Er hat drei Töchter und drei Söhne im Alter von (jungen) Erwachsenen (VP, S. 15).

Der andere Onkel väterlicherseits des Erstbeschwerdeführers ist bereits verstorben. Er hat ebenfalls in der Stadt Kabul im Bezirk XXXX gelebt. Dieser hatte drei Söhne und sehr viele Töchter (VP, S. 16).

Die zwei Onkeln mütterlicherseits des Erstbeschwerdeführers sind bereits verstorben. Ein Onkel mütterlicherseits hatte drei Söhne und mindestens drei Töchter. Der andere Onkel mütterlicherseits hatte einen Sohn und drei Töchter. Alle Cousinen und Cousins mütterlicherseits des Erstbeschwerdeführers haben zum Zeitpunkt der Ausreise des Erstbeschwerdeführers in Kabul im Stadtteil XXXX gelebt. Bis auf einen Cousin mütterlicherseits sind alle verheiratet (VP, S. 17).

Der Erstbeschwerdeführer hat ein gutes Verhältnis und regelmäßig Kontakt zu seinen Eltern und Geschwistern sowie insbesondere zum ältesten Sohn seines Bruders (VP, S. 16).

1.1.7. Die Eltern der Zweitbeschwerdeführerin sowie ihr Bruder leben nach wie vor in Kabul in ihrem Eigentumshaus (BF 2 AS 153 ff; VP, S. 37). Der Vater der Zweitbeschwerdeführerin besitzt ein landwirtschaftliches Grundstück (BF 2 AS 153; VP, S. 39). Er hatte ein Bekleidungsgeschäft, die Mutter der Zweitbeschwerdeführerin ist Hausfrau (VP, S. 38 f). Die Zweitbeschwerdeführerin hat regelmäßig Kontakt zu ihren Eltern.

Die Schwester der Zweitbeschwerdeführerin ist weder zwangsverheiratet worden noch befindet sie sich gegen ihren Willen im Iran. Es können keine weiteren Feststellungen zu den persönlichen Umständen der Schwester der Zweitbeschwerdeführerin getroffen werden.

Die Zweitbeschwerdeführerin hat keinen Onkel väterlicherseits (in Kabul).

1.1.8. Der Erst- und die Zweitbeschwerdeführerin leiden an keinen schwerwiegenden oder lebensbedrohlichen Krankheiten. Sie sind gesund und arbeitsfähig (VP, S. 7, 21). Der Erstbeschwerdeführer weist eine XXXX ) auf und nimmt deshalb seit 27.03.2018 psychotherapeutische Behandlung in Anspruch (Beilage ./B). Die Zweitbeschwerdeführerin weist eine XXXX auf und nimmt seit 20.11.2018 psychotherapeutische Behandlung in Anspruch (Beilage ./A)

Der Drittbeschwerdeführer weist eine XXXX aufgrund XXXX auf. Es ist eine intensive Sprachförderung (im Kindergarten) empfohlen (Beilage ./E; BF 1 Beilage zu OZ 8). Motorisch ist der Drittbeschwerdeführer im Normbereich. Es besteht kein physiotherapeutischer Förderbedarf (BF 1 Beilage zu OZ 8). Der Drittbeschwerdeführer leidet an keinen schwerwiegenden oder lebensbedrohlichen Krankheiten.

Der Viertbeschwerdeführer weist ein XXXX und eine geringfügige Insuffizienz der XXXX auf, die als nicht relevant eingestuft wurde. Bis zu 25% aller Menschen leben mit einem XXXX Kinder sind dadurch nicht beeinträchtigt und auch im Erwachsenenalter ist eine Behandlung üblicherweise nicht erforderlich. Eine geringfügige Insuffizienz der XXXX wird sehr häufig beobachtet und ist unbedenklich. Es sind keine spezifischen Behandlungen, sondern lediglich regelmäßige kinderkardiologische Kontrollen inklusive Herzultraschall erforderlich. Es besteht keinerlei körperliche oder geistige Einschränkung des Viertbeschwerdeführers, lediglich Tiefseetauchen ist aus medizinischer Sicht nicht erlaubt. Es ist weder mit nachteiligen Folgen zu rechnen noch ist eine spezifische Therapie, Behandlung oder Operation zu erwarten. Die nächste Kontrolluntersuchung des Viertbeschwerdeführers ist im Jahr 2021 - im Abstand von zwei Jahren zur letzten Kontrolle im Jahr 2019 - erforderlich (medizinisches Sachverständigengutachten vom 02.05.2019; Beilage ./D; OZ 7 bei BF4). Der Viertbeschwerdeführer leidet an keinen schwerwiegenden oder lebensbedrohlichen Krankheiten.

1.2. Zu den Fluchtgründen der Beschwerdeführer:

Das von den Beschwerdeführern ins Treffen geführte Verfolgungsvorbringen kann nicht festgestellt werden.

1.2.1. Die Zweitbeschwerdeführerin wurde in Afghanistan von ihrem angeblichen Onkel väterlicherseits weder geschlagen, noch wurde ihr von diesem der Schulbesuch verboten. Die Zweitbeschwerdeführerin war in Afghanistan keinen Misshandlungen ausgesetzt. Die Zweitbeschwerdeführerin hat keinen Onkel väterlicherseits.

Der Erst- und die Zweitbeschwerdeführerin werden aufgrund ihrer Heirat weder von ihren Eltern noch vom angeblichen Onkel väterlicherseits der Zweitbeschwerdeführerin verfolgt.

Die Beschwerdeführer haben Afghanistan weder aus Furcht vor konkreten Eingriffen in ihre körperliche Integrität noch wegen Lebensgefahr verlassen.

1.2.2. Der Erstbeschwerdeführer wurde in Afghanistan niemals konkret bedroht und war keiner Verfolgung durch die Taliban, staatliche Organe oder durch andere Gruppierungen ausgesetzt. Der Bombenanschlag in Kabul, bei dem der Erstbeschwerdeführer Splitter abbekommen hat, war weder gezielt auf diesen gerichtet noch war er davor oder danach einer individuellen und konkreten Bedrohung ausgesetzt.

Im Falle der Rückkehr nach Afghanistan droht den Beschwerdeführern weder Lebensgefahr noch ein Eingriff in ihre körperliche Integrität durch die Taliban, staatliche Organe oder durch andere Gruppierungen.

1.2.3. Die Beschwerdeführer hatten in Afghanistan keine konkret und individuell gegen sie gerichteten Probleme aufgrund ihrer Volksgruppen- oder Religionszugehörigkeit zu den schiitischen Hazara.

1.2.4. Die Zweitbeschwerdeführerin ist in Afghanistan allein aufgrund ihres Geschlechts keinen psychischen oder physischen Eingriffen in ihre körperliche Integrität oder Lebensgefahr ausgesetzt.

Bei der Zweitbeschwerdeführerin handelt es sich nicht um eine auf Eigenständigkeit bedachte Frau, die in ihrer persönlichen Wertehaltung und in ihrer Lebensweise an dem in Europa mehrheitlich gelebten, allgemein als westlich bezeichneten Frauen- und Gesellschaftsbild orientiert ist. Sie spricht zwar ausreichend Deutsch und absolviert Basisbildungskurse, diese wurden ihr jedoch von ihrem Unterkunftgeber empfohlen und sie hat diesbezüglich keine Eigeninitiative gezeigt. Zudem kümmert sie sich in ihrer Freizeit primär um den Haushalt und ihre Kinder. Die Zweitbeschwerdeführerin bewegt sich hauptsächlich in ihrem räumlichen Nahebereich und hat lediglich Kontakte zu einer Deutschlehrerin sowie zu einem Mitarbeiter der Caritas und einer Frau aus der Volkshochschule. Die Zweitbeschwerdeführerin ist - insbesondere betreffend der Vereinbarung von Kontroll- und Arztterminen für ihren Sohn - nicht selbständig, sondern auf (die Unterstützung durch) ihren Unterkunftgeber angewiesen.

1.2.5. Dem Dritt- und dem Viertbeschwerdeführer ist es möglich, sich (wieder) in das afghanische Gesellschaftssystem zu integrieren. Ihnen droht aufgrund ihres Alters bzw. vor dem Hintergrund der Situation der Kinder in Afghanistan weder physische oder psychische Gewalt noch sind sie deswegen einer Verfolgung oder Lebensgefahr ausgesetzt.

In Afghanistan besteht Schulpflicht, ein Schulangebot ist insbesondere in Kabul faktisch auch vorhanden. Es besteht daher keine Gefahr einer Verfolgung, wenn dem Dritt- und dem Viertbeschwerdeführer eine grundlegende Bildung zukommt. Die Eltern würden den Dritt- und Viertbeschwerdeführer in Kabul in die Schule schicken und diesen eine Schulbildung ermöglichen. Dem Dritt- und Viertbeschwerdeführer drohen in Kabul weder Kinderarbeit noch eine Zwangsheirat oder sexuelle Ausbeutung (allenfalls als Bacha-Bazi) oder Misshandlungen.

1.3. Zu einer möglichen Rückkehr der Beschwerdeführer in ihren Herkunftsstaat:

Den Beschwerdeführern droht bei einer Rückkehr nach Afghanistan in die Stadt Kabul kein Eingriff in ihre körperliche Unversehrtheit.

Der Erst- und die Zweitbeschwerdeführerin können in der Stadt Kabul ihre grundlegenden und notwendigen Lebensbedürfnisse, wie Nahrung, Kleidung sowie Unterkunft für sich sowie für den Dritt- und den Viertbeschwerdeführer, befriedigen, ohne in eine ausweglose bzw. existenzbedrohende Situation zu geraten. Die Beschwerdeführer sind mit den Gepflogenheiten in Afghanistan vertraut. Die Beschwerdeführer können in Kabul im Eigentumshaus des Erstbeschwerdeführers wohnen, wo die Versorgung der Beschwerdeführer mit Trinkwasser sichergestellt ist. Die Beschwerdeführer können von ihrem familiären Netzwerk in Kabul, insbesondere bei der Arbeitssuche, der Verpflegung und der Kinderbetreuung, unterstützt werden. Das familiäre Netzwerk der Beschwerdeführer in Kabul verfügt über durchschnittliche finanzielle Einnahmen und Häuser in Kabul, sodass dieses auch finanziell tragfähig ist. Der Erst- und die Zweitbeschwerdeführerin können für ihr Auskommen und Fortkommen sowie für das des Dritt- und des Viertbeschwerdeführers sorgen.

Dem Dritt- und dem Viertbeschwerdeführer ist es möglich in der Stadt Kabul eine Schule zu besuchen und sich an die sozialen und kulturellen Gegebenheiten in Afghanistan anzupassen, nämlich neue Kontakte knüpfen, die Schule besuchen, einen Beruf lernen und die Sprachkenntnisse über die Muttersprache vertiefen.

Dem Dritt- und Viertbeschwerdeführer droht in der Stadt Kabul weder Kinderarbeit noch eine Zwangsheirat. Es droht diesen dort auch weder Missbrauch noch sexuelle Übergriffe oder Ausbeutungen.

Es ist den Beschwerdeführern somit möglich nach anfänglichen Schwierigkeiten nach einer Rückkehr nach Afghanistan in der Stadt Kabul Fuß zu fassen und dort ein Leben ohne unbillige Härten zu führen, wie es auch andere Landsleute führen können.

1.4. Zum (Privat)Leben der Beschwerdeführer in Österreich:

Die Beschwerdeführer sind unter Umgehung der Grenzkontrollen nach Österreich eingereist und halten sich seit zumindest 30.09.2015 durchgehend in Österreich auf.

Die Beschwerdeführer verfügen über keine Verwandte in Österreich.

1.4.1. Der Erstbeschwerdeführer:

Der Erstbeschwerdeführer hat zwar Deutschkurse besucht (BF 1 AS 109-111; Beilage ./F, ./M [ident mit BF 1 AS 127], ./Q, ./S und ./T). Er hat die ÖSD Deutschprüfung am 22.05.2017 für die Stufe A1 nicht bestanden (BF 1 AS 117 ff). Der Erstbeschwerdeführer verfügt nur über sehr geringe Deutschkenntnisse.

Der Erstbeschwerdeführer hat das Basismodul Fremdsprache A1-Politische Bildung (BF 1 AS 107) absolviert und an der Informationsveranstaltung betreffend Bildungszugang in Österreich (BF 1 AS 113) sowie an einem Orientierungskurs "Leben in Österreich" (16 Einheiten) (BF 1 AS 115) und am Workshop "Berufe vorstellen" (Beilage ./R) teilgenommen.

Der Erstbeschwerdeführer geht keiner beruflichen Tätigkeit nach und lebt von der Grundversorgung (Beilage ./I; BF 1 AS 153; VP, S. 20).

Er hat ehrenamtlich im Winter die Schneeräumung einer Pfarre übernommen (Beilage ./C) und in seiner Unterkunft an einem Projekt zur Gartengestaltung mitgemacht sowie die Aufgabe der Mülltrennung für die gesamte Unterkunft übernommen (Beilage ./i).

Der Erstbeschwerdeführer hat in Österreich freundschaftliche Kontakte knüpfen können (VP, S. 22) und wird von den Betreuern der Unterkunft und seinen Deutschlehrern sehr geschätzt (BF 1 AS 99, 121-127; Beilage ./F; ./i und ./ N [ident mit AS BF 1 AS 125]). Es besteht jedoch keine enge soziale Bindung zu diesen.

Der Erstbeschwerdeführer ist in Österreich strafgerichtlich unbescholten (Beilage ./I).

1.4.2. Die Zweitbeschwerdeführerin:

Die Zweitbeschwerdeführerin hat Deutschkurse besucht (BF 2 AS 119, 127; Beilage ./C, ./D und ./Z; BF 2 Beilage zu OZ 25). Sie hat die ÖSD Deutschprüfung am 22.05.2017 für die Stufe A1 nicht bestanden (BF 2 AS 129 ff). Die Zweitbeschwerdeführerin verfügt über ausreichende Deutschkenntnisse um auf elementarer Ebene in einfachen, routinemäßigen Situationen des Alltags- und Berufslebens auf Deutsch zu kommunizieren.

Die Zweitbeschwerdeführerin geht keiner beruflichen Tätigkeit nach und lebt von der Grundversorgung (Beilage ./I; BF 2 AS 155; VP, S. 42).

Die Zweitbeschwerdeführerin hat am Projekt "Caritas Chor" (BF 2 AS 117), an einem wöchentlichen Strickkaffe (BF 2 AS 109, 159), an einer Informationsveranstaltung betreffend den Bildungszugang in Österreich (BF 2 AS 133), an einem Orientierungskurs "Leben in Österreich" (16 Einheiten) (BF 2 AS 135), an einem Vortrag betreffend Verhütung (BF 2 AS 137) und einem Vortrag betreffend Brustkrebs (BF 2 AS 139) sowie an einem Workshop "Berufe vorstellen" (Beilage ./J) teilgenommen. Sie hat an der Volkshochschule den Kurs Deutsch als Fremdsprache (DaF) A1 Modul 1 und 2 mit politischer Bildung von 03.10.2017 bis 03.04.2018 (Beilage ./G und K) sowie den Kurs Basisbildung Deutsch - Mathematik - Politische Bildung - Englisch von 02.05.2018 bis 28.09.2018 (Beilage ./H) absolviert. Von 08.10.2018 bis Februar 2019 hat die Zweitbeschwerdeführerin Brückenmodule an der Volkshochschule in Deutsch, Mathematik, Englisch und Politischer Bildung besucht. Im Anschluss startet der Pflichtschulabschlusslehrgang für den die Zweitbeschwerdeführerin aufgenommen wurde (VP, S. 41; Beilage ./i)

Die Zweitbeschwerdeführerin wird von den Betreuern in der Unterkunft, ihren Deutschlehrern sehr geschätzt (BF 2 AS 109, 121; Beilage ./F, ./i und ./ N [ident mit AS BF 2 AS 127]). Sie hat in Österreich freundschaftliche Kontakte zu einer Deutschlehrerin, einem Mitarbeiter der Caritas und einer Frau aus der Volkshochschule geknüpft (VP, S. 44). Es besteht jedoch keine enge soziale Bindung zu diesen.

Die Zweitbeschwerdeführerin ist in Österreich strafgerichtlich unbescholten (Beilage ./I).

1.4.3. Der Dritt- und der Viertbeschwerdeführer:

Der XXXX Drittbeschwerdeführer besucht in Österreich den Kindergarten seit er 2 1/2 Jahre alt ist.

Der XXXX Viertbeschwerdeführer wird von dem Erst- und der Zweitbeschwerdeführerin zuhause betreut. Der Erstbeschwerdeführer betreut den Viertbeschwerdeführer, während die Zweitbeschwerdeführerin Basisbildungskurse besucht. Diese kocht jedoch das Mittagessen für die Familie und beschäftigt den Dritt- und Viertbeschwerdeführer am Nachmittag.

Der Dritt- und der Viertbeschwerdeführer sind in Österreich strafgerichtlich unbescholten.

1.5. Zur maßgeblichen Situation in Afghanistan:

Sicherheitslage

Wegen einer Serie von öffentlichkeitswirksamen (high-profile) Angriffen in städtischen Zentren, die von regierungsfeindlichen Elementen ausgeführt wurden, erklärten die Vereinten Nationen (UN) im Februar 2018 die Sicherheitslage für sehr instabil (Länderinformationsblatt für Afghanistan vom 29.06.2018 mit Kurzinformation vom 08.01.2019 - LIB 08.01.2019, S. 44).

Für das Jahr 2017 registrierte die Nichtregierungsorganisation INSO (International NGO Safety Organisation) landesweit 29.824 sicherheitsrelevante Vorfälle. Im Jahresvergleich wurden von INSO 2016 landesweit 28.838 sicherheitsrelevante Vorfälle registriert und für das Jahr 2015 25.288. Zu sicherheitsrelevanten Vorfällen zählt INSO Drohungen, Überfälle, direkter Beschuss, Entführungen, Vorfälle mit IEDs (Sprengfallen/ Unkonventionelle Spreng- oder Brandvorrichtung - USBV) und andere Arten von Vorfällen (LIB 08.01.2019, S.44).

Afghanistan ist nach wie vor mit einem aus dem Ausland unterstützten und widerstandsfähigen Aufstand konfrontiert. Nichtsdestotrotz haben die afghanischen Sicherheitskräfte ihre Entschlossenheit und wachsenden Fähigkeiten im Kampf gegen den von den Taliban geführten Aufstand gezeigt. So behält die afghanische Regierung auch weiterhin Kontrolle über Kabul, größere Bevölkerungszentren, die wichtigsten Verkehrsrouten und den Großteil der Distriktzentren. Zwar umkämpften die Taliban Distriktzentren, sie konnten aber keine Provinzhauptstädte (bis auf Farah-Stadt) bedrohen. Dies ist den intensiven Luftangriffen durch die afghanische Nationalarmee und der Luftwaffe sowie verstärkter Nachtrazzien durch afghanische Spezialeinheiten zuzuschreiben (LIB 08.01.2019, S. 47).

Im Jänner 2018 waren 56.3% der Distrikte unter der Kontrolle bzw. dem Einfluss der afghanischen Regierung, während Aufständische 14.5% der Distrikte kontrollierten bzw. unter ihrem Einfluss hatten. Die übriggebliebenen 29.2% der Distrikte waren umkämpft. Die Provinzen mit der höchsten Anzahl an Distrikten, die von Aufständischen kontrolliert werden, waren mit Stand Jänner 2018 Uruzgan, Kunduz und Helmand. Alle Provinzhauptstädte befanden sich unter der Kontrolle bzw. dem Einfluss der afghanischen Regierung (LIB 08.01.2019, S. 55).

Die Anzahl der öffentlichkeitswirksamen (high-profile) Angriffe hatte sich von 1.6. - 20.11.2017 im Gegensatz zum Vergleichszeitraum des Vorjahres erhöht. In den ersten Monaten des Jahres 2018 wurden verstärkt Angriffe bzw. Anschläge durch die Taliban und den IS in verschiedenen Teilen Kabuls ausgeführt. Als Antwort auf die zunehmenden Angriffe wurden Luftangriffe und Sicherheits-operationen verstärkt, wodurch Aufständische in einigen Gegenden zurückgedrängt wurden; auch wurden in der Hauptstadt verstärkt Spezialoperationen durchgeführt, wie auch die Bemühungen der US-Amerikaner, Terroristen zu identifizieren und zu lokalisieren (LIB 08.01.2019, S. 48).

Die Taliban und weitere aufständische Gruppierungen wie der Islamische Staat (IS) verübten "high-profile"-Angriffe, speziell im Bereich der Hauptstadt, mit dem Ziel, eine Medienwirksamkeit zu erlangen und damit ein Gefühl der Unsicherheit hervorzurufen und so die Legitimität der afghanischen Regierung zu untergraben (LIB 08.01.2019, S. 48). Die Auflistung der high-profile Angriffe zeigt, dass die Anschläge in großen Städten, auch Kabul, hauptsächlich im Nahebereich von Einrichtungen mit Symbolcharakter (Moscheen, Tempel bzw. andere Anbetungsorte), auf Botschaften oder auf staatliche Einrichtungen stattfinden. Diese richten sich mehrheitlich gezielt gegen die Regierung, ausländische Regierungen und internationale Organisationen (LIB 08.01.2019, S. 49 ff).

Provinz Kabul:

Die Provinzhauptstadt von Kabul und gleichzeitig Hauptstadt von Afghanistan ist Kabul-Stadt. Die Stadt hat 22 Stadtgemeinden und 14 administrative Einheiten. Die Bevölkerungszahl der Provinz wird auf

4.679.648 geschätzt. In der Hauptstadt Kabul leben unterschiedliche Ethnien: Paschtunen, Tadschiken, Hazara, Usbeken, Turkmenen, Belutschen, Sikhs und Hindus. Ein Großteil der Bevölkerung gehört dem sunnitischen Glauben an, dennoch lebt eine Anzahl von Schiiten, Sikhs und Hindus nebeneinander. Kabul verfügt über einen internationalen Flughafen (LIB 08.01.2019, S. 69f).

Einst als relativ sicher erachtet, ist die Hauptstadt Kabul von öffentlichkeitswirksamen (high-profile) Angriffen der Taliban betroffen, die darauf abzielen, die Autorität der afghanischen Regierung zu untergraben. Regierungsfeindliche, bewaffnete Gruppierungen inklusive des IS versuchen in Schlüsselprovinzen und -distrikten, wie auch in der Hauptstadt Kabul, Angriffe auszuführen. Im Zeitraum 1.1.2017- 30.4.2018 wurden in der Provinz 410 sicherheitsrelevante Vorfälle registriert, die sich überwiegend in der Hauptstadt Kabul ereigneten (LIB 08.01.2019, S. 70).

Im Jahr 2017 war die höchste Anzahl ziviler Opfer Afghanistans in der Provinz Kabul zu verzeichnen, die hauptsächlich auf willkürliche Angriffe in der Stadt Kabul zurückzuführen waren; 16% aller zivilen Opfer in Afghanistan sind in Kabul zu verzeichnen.

Selbstmordangriffe und komplexe Attacken, aber auch andere Vorfallsarten, in denen auch IEDs verwendet wurden, erhöhten die Anzahl ziviler Opfer in Kabul. Dieser öffentlichkeitswirksame (high-profile) Angriff im Mai 2017 war alleine für ein Drittel ziviler Opfer in der Stadt Kabul im Jahr 2017 verantwortlich (LIB 08.01.2019, S. 71).

Regelmäßig werden in der Hauptstadt Sicherheitsoperationen durch die Regierung in unterschiedlichen Gebieten ausgeführt. Im Rahmen des neuen Sicherheitsplanes sollen außerdem Hausdurchsuchungen ausgeführt werden. Die engmaschigen Sicherheitsmaßnahmen beinhalten auch eine erhöhte Anzahl an Sicherheitskräften und eine Verbesserung der Infrastruktur rund um Schlüsselbereiche der Stadt. Auch übernimmt die ANA einige der porösen Kontrollpunkte innerhalb der Stadt und bildet spezialisierte Soldaten aus, um Wache zu stehen. Des Weiteren soll ein kreisförmiger innerer Sicherheitsmantel entstehen, der an einen äußeren Sicherheitsring nahtlos anschließt (LIB 08.01.2019, S. 71 f).

Sowohl die Taliban als auch der IS verüben öffentlichkeitswirksame (high-profile) Angriffe in der Stadt Kabul, auch das Haqqani-Netzwerk soll Angriffe in der Stadt Kabul verübt haben. So existieren in der Hauptstadt Kabul scheinbar eine Infrastruktur, Logistik und möglicherweise auch Personal ("terrorists to hire"), die vom Haqqani-Netzwerk oder anderen Taliban-Gruppierungen, Splittergruppen, die unter der Flagge des IS stehen, und gewaltbereiten pakistanischen sektiererischen (anti-schiitischen) Gruppierungen verwendet werden (LIB 08.01.2019, S. 72).

Religionsfreiheit

Etwa 99,7% der afghanischen Bevölkerung sind Muslime, davon zwischen 84,7 und 89,7% Sunniten. Laut Verfassung ist der Islam die Staatsreligion Afghanistans. Anhänger anderer Religionen sind frei, ihren Glauben im Rahmen der gesetzlichen Vorschriften auszuüben (LIB 08.01.2019, S. 289).

Hindus, Sikhs und Schiiten, speziell jene, die den ethnischen Hazara angehören, sind Diskriminierung durch die sunnitische Mehrheit ausgesetzt (LIB 08.01.2019, S. 291).

Schiiten

Die Bevölkerung schiitischer Muslime wird auf 10 - 15% geschätzt. Zur schiitischen Bevölkerung zählen die Ismailiten und ein Großteil der ethnischen Hazara. Die meisten Hazara-Schiiten gehören der Jafari-Sekte (Zwölfer-Sekte) an (LIB 08.01.2019, S. 292).

Die politische Repräsentation und die Beteiligung an den nationalen Institutionen seitens der traditionell marginalisierten schiitischen Minderheit, der hauptsächlich ethnische Hazara angehören, ist seit 2001 gestiegen. Einige schiitische Muslime bekleiden höhere Regierungsposten. Im Ulema-Rat, der nationalen Versammlung von Religionsgelehrten, die u. a. dem Präsidenten in der Festlegung neuer Gesetze und Rechtsprechung beisteht, beträgt die Quote der schiitischen Muslime ca. 30%. Des Weiteren tagen rechtliche, konstitutionelle und menschenrechtliche Kommissionen, welche aus Mitgliedern der sunnitischen und schiitischen Gemeinschaften bestehen und von der Regierung unterstützt werden, regelmäßig, um die interkonfessionelle Schlichtung zu fördern. Die Diskriminierung der schiitischen Minderheit durch die sunnitische Mehrheit ist zurückgegangen (LIB 08.10.2019, S. 292).

Afghanischen Schiiten ist es möglich, ihre Feste öffentlich zu feiern; einige Paschtunen sind jedoch wegen der Feierlichkeiten missgestimmt, was gelegentlich in Auseinandersetzungen mündet. In den Jahren 2016 und 2017 wurden schiitische Muslime, hauptsächlich ethnische Hazara, oftmals Opfer von terroristischen Angriffen u.a. der Taliban und des IS (LIB 08.01.2019, S. 293).

Angehörige der Schiiten sind in Afghanistan allein aufgrund ihrer Religionszugehörigkeit keiner psychischen und/oder physischen Gewalt ausgesetzt.

Ethnische Minderheiten

In Afghanistan leben mehr als 34.1 Millionen Menschen. Es sind ca. 40% Pashtunen, rund 30% Tadschiken, ca. 10% Hazara und 9% Usbeken. Die afghanische Verfassung schützt sämtliche ethnische Minderheiten. Neben den offiziellen Landessprachen Dari und Paschtu wird in der Verfassung sechs weiteren Sprachen ein offizieller Status in jenen Gebieten eingeräumt (LIB 08.01.2019, S. 299).

Hazara

Die schiitische Minderheit der Hazara macht etwa 10% der Bevölkerung aus. Wichtige Merkmale der ethnischen Identität der Hazara sind die schiitische Konfession (mehrheitlich Zwölfer-Schiiten) und ihre ethnisch-asiatisches Erscheinungsbild, woraus gern Schlussfolgerungen über eine turko-mongolische Abstammung der Hazara gezogen werden. Nicht weniger wichtig als Religion und Abstammung ist für das ethnische Selbstverständnis der Hazara eine lange Geschichte von Unterdrückung, Vertreibung und Marginalisierung. Jahrzehntelange Kriege und schwere Lebensbedingungen haben viele Hazara aus ihrer Heimatregion in die afghanischen Städte, insbesondere nach Kabul, getrieben (08.01.2019, S. 301 f).

Ihre Gesellschaft ist traditionell strukturiert und basiert auf der Familie bzw. dem Klan. Die sozialen Strukturen der Hazara werden manchmal als Stammesstrukturen bezeichnet; dennoch bestehen in Wirklichkeit keine sozialen und politischen Stammesstrukturen. Das traditionelle soziale Netz der Hazara besteht größtenteils aus der Familie, obwohl gelegentlich auch politische Führer einbezogen werden können (LIB 08.01.2019, S. 302).

Für die während der Taliban-Herrschaft besonders verfolgten Hazara hat sich die Lage grundsätzlich verbessert; sie haben sich ökonomisch und politisch durch Bildung verbessert. Hazara in Kabul gehören jetzt zu den am besten gebildeten Bevölkerungsgruppen und haben auch eine Reihe von Dichtern und Schriftstellern hervorgebracht. Auch wenn es nicht allen Hazara möglich war diese Möglichkeiten zu nutzen, so haben sie sich dennoch in den Bereichen Bildung, öffentliche Verwaltung und Wirtschaft etabliert. So haben Hazara eine neue afghanische Mittelklasse gegründet. Im Allgemeinen haben sie, wie andere ethnische Gruppen auch, gleichwertigen Zugang zum Arbeitsmarkt. Nichtsdestotrotz, sind sie von einer allgemein wirtschaftlichen Verschlechterung mehr betroffen als andere, da für sie der Zugang zu Regierungsstellen schwieriger ist (LIB 08.01.2019, S. 302).

Angehörige der Hazara sind in Afghanistan allein aufgrund ihrer Volksgruppenzugehörigkeit keiner psychischen und/oder physischen Gewalt ausgesetzt.

Medizinische Versorgung

Es gibt keine staatliche Krankenkasse und die privaten Anbieter sind überschaubar und teuer, somit für die einheimische Bevölkerung nicht erschwinglich. Eine begrenzte Zahl staatlich geförderter öffentlicher Krankenhäuser bieten kostenfreie medizinische Versorgung. Alle Staatsbürger haben Zugang zu medizinischer Versorgung und Medikamenten. Die Kosten für Medikamente in diesen Einrichtungen weichen vom lokalen Marktpreis ab. Privatkrankenhäuser gibt es zumeist in größeren Städten wie Kabul, Jalalabad, Mazar-e-Sharif, Herat und Kandahar. Medikamente sind auf jedem Markt in Afghanistan erwerblich, Preise variieren je nach Marke und Qualität des Produktes (LIB 08.01.2019, S. 343 ff).

Psychische Erkrankungen sind in öffentlichen und privaten Klinken grundsätzlich behandelbar. Die Behandlung in privaten Kliniken ist für Menschen mit durchschnittlichen Einkommen nicht leistbar. In öffentlichen Krankenhäusern müssen die Patienten nichts für ihre Aufnahme bezahlen. In Kabul gibt es zwei psychiatrische Einrichtungen: das Mental Health Hospital und die Universitätsklinik Aliabad. Zwar gibt es traditionelle Methoden bei denen psychisch Kranke in spirituellen Schreinen unmenschlich behandelt werden. Es gibt jedoch aktuelle Bemühungen, die Akzeptanz und Kapazitäten für psychiatrische Behandlungsmöglichkeiten zu stärken und auch Aufklärung zu betreiben. Die Bundesregierung finanziert Projekte zur Verbesserung der Möglichkeiten psychiatrischer Behandlung und psychologischer Begleitung in Afghanistan (LIB 08.01.2019, S. 344 f).

Wirtschaft

Angesichts des langsamen Wachstums, sicherheitsbedingter Versorgungsunterbrechungen und schwacher landwirtschaftlicher Leistungen, nimmt die Armut weiterhin zu (LIB 08.01.2019, S. 338).

Für ca. ein Drittel der Bevölkerung ist die Landwirtschaft (inklusive Tiernutzung) die Haupteinnahmequelle. Die Arbeitslosigkeit betrifft hauptsächlich gering qualifizierte bildungsferne Personen; diese sind auch am meisten armutsgefährdet. Es müssten jährlich geschätzte 400.000 neue Arbeitsplätze geschaffen werden, um Neueinsteiger in den Arbeitsmarkt integrieren zu können. Mehr als ein Drittel der männlichen Bevölkerung (34,3%) Afghanistans und mehr als die Hälfte der weiblichen Bevölkerung (51,1%) sind nicht in der Lage, eine passende Stelle zu finden (LIB 08.01.2019, S. 338 ).

Der Zugang zum Arbeitsmarkt ist angespannt und die Arbeitslosigkeit ist hoch. Sogar für gut ausgebildete und gut qualifizierte Personen ist es schwierig ohne ein Netzwerk einen Arbeitsplatz zu finden, wenn man nicht empfohlen wird oder dem Arbeitgeber nicht vorgestellt wird. Vetternwirtschaft ist gang und gebe. Arbeitgeber bewerten persönliche Beziehungen und Netzwerke höher als formelle Qualifikationen. Es gibt lokale Webseiten, die offene Stellen im öffentlichen und privaten Sektor annoncieren. Die meisten Afghanen sind unqualifiziert und Teil des informellen, nicht-regulierten Arbeitsmarktes. Der Arbeitsmarkt besteht Großteiles aus manueller Arbeit ohne Anforderungen an eine formelle Ausbildung und spiegelt das niedrige Bildungsniveau wieder. In Kabul gibt es öffentliche Plätze, wo sich Arbeitssuchende und Nachfragende treffen. Viele bewerben sich, nicht jeder wird engagiert. Der Lohn beträgt für Hilfsarbeiter meist USD 4,3 und für angelernte Kräfte bis zu USD 14,5 pro Tag (Bericht, EASO, Afghanistan Netzwerke, Jänner 2018 - Beilage./IV, S. 29 - 30).

In Kabul und in großen Städten stehen Häuser und Wohnungen zur Verfügung. Es ist auch möglich an Stelle einer Wohnung ein Zimmer zu mieten. Dies ist billiger als eine Wohnung zu mieten. Heimkehrer mit Geld können Grund und Boden erwerben und langfristig ein eigenes Haus bauen. Vertriebene in Kabul, die keine Familienanbindung haben und kein Haus anmieten konnten, landen in Lagern, Zeltsiedlungen und provisorischen Hütten oder besetzen aufgelassene Regierungsgebäude. In Städten gibt es Hotels und Pensionen unterschiedlichster Preiskategorien. Für Tagelöhner, Jugendliche, Fahrer, unverheiratete Männer und andere Personen, ohne permanenten Wohnsitz in der jeweiligen Gegend, gibt es im ganzen Land Angebote geringerer Qualität, sogenannte chai khana (Teehaus). Dabei handelt es sich um einfache große Zimmer in denen Tee und Essen aufgetischt wird. Der Preis für eine Übernachtung beträgt zwischen 0,4 und 1,4 USD. In Kabul und anderen großen Städten gibt es viele solche chai khana und wenn ein derartiges Haus voll ist, lässt sich Kost und Logis leicht anderswo finden. Man muss niemanden kennen um dort eingelassen zu werden (Beilage ./IV, S. 31).

Rückkehrer:

Im Jahr 2017 kehrten sowohl freiwillig, als auch zwangsweise insgesamt 98.191 Personen aus Pakistan und 462.361 Personen aus Iran zurück. Bis Juli 2017 kehrten aus Europa und der Türkei 41.803 Personen nach Afghanistan zurück (LIB 08.01.2019, S. 351).

Auch wenn scheinbar kein koordinierter Mechanismus existiert, der garantiert, dass alle Rückkehrer die Unterstützung erhalten, die sie benötigen, und dass eine umfassende Überprüfung stattfindet, können Personen, die freiwillig oder zwangsweise nach Afghanistan zurückgekehrt sind, dennoch verschiedene Unterstützungsformen in Anspruch nehmen. Eine Reihe unterschiedlicher Organisationen ist für Rückkehrer und Binnenvertriebene (IDP) in Afghanistan zuständig. Außerdem erhalten Rückkehrer Unterstützung von der afghanischen Regierung, den Ländern, aus denen sie zurückkehren, und internationalen Organisationen (z.B. IOM) sowie lokalen Nichtregierungsorganisationen (NGO) (z. B. IPSO und AMASO). Nichtsdestotrotz scheint das Sozialkapital die wichtigste Ressource zu sein, die Rückkehrer zur Verfügung steht, da keine dezidiert staatlichen Unterbringungen für Rückkehrer existieren und familiäre Unterbringungsmöglichkeiten für Rückkehrer daher als die zuverlässigste und sicherste Möglichkeit erachtet werden. So kehrt der Großteil der (freiwilligen bzw. zwangsweisen) Rückkehrer direkt zu ihren Familien oder in ihre Gemeinschaften zurück. Für jene, die diese Möglichkeit nicht haben sollten, stellen die Regierung und IOM eine temporäre Unterkunft zur Verfügung, wo Rückkehrer für maximal zwei Wochen untergebracht werden können (LIB 08.01.2019, S. 352 f).

IOM, IRARA, ACE und AKAH bieten Unterstützung und nachhaltige Begleitung bei der Reintegration einschließlich Unterstützung bei der Suche nach einer Beschäftigung oder Schulungen an. NRC bietet Rückkehrer aus Pakistan, Iran und anderen Ländern Unterkunft sowie Haushaltsgegenstände und Informationen zur Sicherheit an und hilft bei Grundstücksstreitigkeiten. Das Internationale Komitee des Roten Kreuzes (ICRC) unterstützt Rückkehrer/innen dabei, ihre Familien zu finden (LIB 08.01.2019, S. 353 f).

Psychologische Unterstützung von Rückkehrer wird über die Organisation IPSO betrieben - alle Leistungen sind kostenfrei. Diejenigen, die es benötigen und in abgelegene Provinzen zurückkehren, erhalten bis zu fünf Skype-Sitzungen von IPSO. Für psychologische Unterstützung könnte auch ein Krankenhaus aufgesucht werden; möglicherweise mangelt es diesen aber an Kapazitäten (LIB 08.01.2019, S. 354 f).

Die Großfamilie ist die zentrale soziale Institution in Afghanistan und bildet das wichtigste soziale Sicherheitsnetz der Afghanen. Alle Familienmitglieder sind Teil des familiären Netzes. Die Großfamilie trägt zu Schutz, Betreuung und Versorgung ihrer Mitglieder bei. Sie bildet auch eine wirtschaftliche Einheit; die Männer der Familie sind verpflichtet, die Mitglieder der Großfamilie zu unterstützen und die Familie in der Öffentlichkeit zu repräsentieren. Auslandsafghanen pflegen zumeist enge Kontakte mit ihren Verwandten in Afghanistan. Nur sehr wenige Afghanen in Europa verlieren den Kontakt zu ihrer Familie. Die Qualität des Kontakts mit der Familie hängt möglicherweise auch davon ab, wie lange die betreffende Person im Ausland war bzw. wie lange sie tatsächlich in Afghanistan lebte, bevor sie nach Europa migrierte. Der Faktor geographische Nähe verliert durch technologische Entwicklungen sogar an Wichtigkeit. Der Besitz von Mobiltelefonen ist mittlerweile "universell" geworden und digitale Kommunikation wird eine zunehmende Selbstverständlichkeit, vor allem in den Städten. Ein fehlendes familiäres Netzwerk stellt eine Herausforderung für die Reintegration von Migranten in Afghanistan dar. Dennoch haben alleinstehende afghanische Männer, egal ob sie sich kürzer oder länger außerhalb der Landesgrenzen aufhielten, sehr wahrscheinlich eine Familie in Afghanistan, zu der sie zurückkehren können. Eine Ausnahme stellen möglicherweise jene Fälle dar, deren familiäre Netze in den Nachbarstaaten Iran oder Pakistan liegen (LIB 08.01.2019, S. 355 f).

Familien in Afghanistan halten in der Regel Kontakt zu ihrem nach Europa ausgewanderten Familienmitglied und wissen genau Bescheid, wo sich dieses aufhält und wie es ihm in Europa ergeht. Dieser Faktor wird in Asylinterviews meist heruntergespielt und viele Migranten, vor allem Minderjährige, sind instruiert zu behaupten, sie hätten keine lebenden Verwandten mehr oder jeglichen Kontakt zu diesen verloren (LIB 08.01.2019, S. 356).

Ein Netzwerk ist für das Überleben in Afghanistan wichtig. So sind einige Rückkehrer auf soziale Netzwerke angewiesen, wenn es ihnen nicht möglich ist, auf das familiäre Netz zurückzugreifen. Die Rolle sozialer Netzwerke - der Familie, der Freunde und der Bekannten - ist für junge Rückkehrer besonders ausschlaggebend, um sich an das Leben in Afghanistan anzupassen. Sollten diese Netzwerke im Einzelfall schwach ausgeprägt sein, kann die Unterstützung verschiedener Organisationen und Institutionen in Afghanistan in Anspruch genommen werden (LIB 08.01.2019, S. 356).

Frauen

Die konkrete Situation von Frauen in Afghanistan ist erheblich von Faktoren wie Herkunft, Familie, Bildungsstand, finanzieller Situation und Religiosität abhängig. Obwohl sich die Lage afghanischer Frauen in den letzten Jahren erheblich verbessert hat, kämpfen viele weiterhin mit Diskriminierung auf einer Vielzahl von Ebenen, wie rechtlich beruflich, politisch und sozial. Gewalt gegen Frauen bleibt weiterhin ein ernsthaftes Problem. Frauen im Berufsleben und in der Öffentlichkeit müssen oft gegen Belästigung und Schikane kämpfen und sehen sich oft Drohungen ausgesetzt (Anfragebeantwortung der Staatendokumentation betreffend Frauen in urbanen Zentren vom 18.09.2017 - Beilage ./V, S. 10).

Frauenkleidung umfasst in Afghanistan ein breit gefächertes Spektrum, von moderner westlicher Kleidung, über farbenreiche volkstümliche Trachten, bis hin zur Burka und Vollverschleierung - diese unterscheiden sich je nach Bevölkerungsgruppe. Während Frauen in urbanen Zentren wie Kabul, Mazar-e Sharif und Herat häufig den sogenannten "Manteau shalwar" tragen, d.h. Hosen und Mantel mit verschiedenen Arten der Kopfbedeckung, bleiben konservativere Arten der Verschleierung, wie der Chador und die Burka (in Afghanistan Chadri genannt) weiterhin, auch in urbanen Gebieten, vertreten (Beilage ./V, S. 2).

Das Recht auf Bildung wurde den Frauen nach dem Fall der Taliban im Jahr 2001 eingeräumt. Laut Verfassung haben alle afghanischen Staatsbürger/innen das Recht auf Bildung. Öffentliche Kindergärten und Schulen sind bis zur Hochschulebene kostenlos. Private Bildungseinrichtungen und Universitäten sind kostenpflichtig (LIB 19.10.2018, S. 299). Im Mai 2016 eröffnete in Kabul die erste Privatuniversität für Frauen im Moraa Educational Complex, mit dazugehörendem Kindergarten und Schule für Kinder der Studentinnen. Die Universität bietet unter anderem Lehrveranstaltungen für Medizin, Geburtshilfe etc. an (LIB 08.01.2019, S. 309).

Frauen in urbanen Zentren wie Kabul, Herat und Mazar-e Sharif sind in einer Vielzahl von beruflichen Feldern aktiv. Frauen arbeiten sowohl im öffentlichen Dienst, als auch in der Privatwirtschaft. Sie arbeiten im Gesundheitsbereich, in der Bildung, den Medien, als Polizistinnen und Beamtinnen, usw. Sie sind jedoch mannigfaltigen Schwierigkeiten im Berufsleben ausgesetzt, die von Diskriminierung in der Einstellung und im Gehalt, über Schikane und Drohungen bis zur sexuellen Belästigung reichen. Frauen der Mittel- und Unterschicht kämpfen mit erschwertem Zugang zum Arbeitsmarkt und Lohnungleichheit. Dazu müssen Frauen unverhältnismäßig oft unbezahlte Arbeit leisten (Beilage ./V, S. 22). In urbanen Zentren werden zudem vermehrt Freizeitangebote speziell für Frauen angeboten (Beilage ./V, S. 29 ff).

Die Einstellung gegenüber der Berufstätigkeit von Frauen hat sich in Afghanistan in den letzten Jahren geändert; dies hängt auch mit den NGOs und den privaten Firmen zusammen, die in Afghanistan aktiv sind. Die städtische Bevölkerung hat kaum ein Problem mit der Berufstätigkeit ihrer Ehefrauen oder Töchter. In den meisten ländlichen Gemeinschaften sind konservative Einstellungen nach wie vor präsent, weshalb viele Frauen im ländlichen Afghanistan, aus Furcht vor sozialer Ächtung, keiner Arbeit außerhalb des Hauses nachgehen (LIB 08.01.2019, S. 311).

Sexualisierte und geschlechtsspezifische Gewalt ist weit verbreitet. Gewalttaten gegen Frauen und Mädchen finden zu über 90% innerhalb der Familienstrukturen statt. Die Gewalttaten reichen von Körperverletzung und Misshandlung über Zwangsehen bis hin zu Vergewaltigung und Mord. Zu geschlechtsspezifischer und sexueller Gewalt zählen außerdem noch die Praxis der badal-Hochzeiten (Frauen und Mädchen, die im Rahmen von Heiratsabmachungen zwischen Familien getauscht werden) bzw. des ba'ad (Mädchen, die zur Konfliktlösung abgegeben werden) (LIB 08.01.2019, S. 315 f).

Kinder

Die Stadt Kabul hat über vier Millionen Einwohner. Die Bevölkerungszahl für die Stadt Herat beträgt 507.000 Einwohner, für die Stadt Mazar-e Sharif 428.000 Einwohner. In der Provinz Kabul sind ca. 41% der Bevölkerung zwischen 0 und 14 Jahren alt, 24% entfallen

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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