TE Bvwg Erkenntnis 2019/10/16 W150 2151604-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 16.10.2019
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Entscheidungsdatum

16.10.2019

Norm

AsylG 2005 §3
AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §3 Abs5
B-VG Art. 133 Abs4
VwGVG §24 Abs1
VwGVG §28 Abs1
VwGVG §28 Abs2

Spruch

W150 2151606-1/14E

W150 2151604-1/14E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Mag. KLEIN als Einzelrichter über die Beschwerden von (1.) XXXX , geb. XXXX 1941 und (2.) XXXX , geb. XXXX 1997, beide: StA. SYRIEN, vertreten durch:

MIGRANTINNENVEREIN ST. MARX gegen die Bescheide des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom (1.) 28.02.2017, Zl. XXXX und (2.) vom 02.03.2017, Zl. XXXX , nach öffentlicher mündlicher Verhandlung zu Recht erkannt:

A)

Den Beschwerden wird stattgegeben und XXXX und XXXX gemäß § 3 Abs. 1 Asylgesetz 2005, BGBl. I Nr. 100/2005, in der Fassung BGBl. I Nr. 53/2019 (AsylG 2005), der Status von Asylberechtigten zuerkannt.

Gemäß § 3 Abs. 5 AsylG 2005 wird festgestellt, dass XXXX sowie XXXX damit kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukommt.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang:

1. Die Beschwerdeführerinnen, syrische Staatsangehörige, stellten am 31.08.2015 die gegenständlichen Anträge auf internationalen Schutz.

2. Am 01.09.2015 wurden die Beschwerdeführerinnen durch ein Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes der Erstbefragung unterzogen.

Im Rahmen dieser Befragung gab die Erstbeschwerdeführerin (im Folgenden: BF1) im Wesentlichen an, dass sie in XXXX geboren worden und verheiratet sei. Sie sei Moslem und habe fünf Jahre lang die Grundschule in XXXX besucht. Es befänden sich noch ihr Sohn, zwei Enkelsöhne und drei Enkeltöchter in Österreich. Syrien verlassen habe sie gemeinsam mit ihrem Sohn und dessen Familie. Befragt zu ihrem Fluchtgrund gab die BF1 an, dass sie aufgrund des Krieges Syrien verlassen habe. Die Zustände seien beängstigend und sie lebe in ständiger Angst. Es würden permanent Bomben fallen und man müsse jederzeit mit dem Tod rechnen. Es habe kein Wasser und keine Nahrung mehr gegeben, der IS belagere Syrien und sie habe Angst, dass ihr Sohn und seine Familie getötet würden. Vorgelegt wurde ein syrischer Reisepass und ein syrischer Reisepass.

Die Zweitbeschwerdeführerin (im Folgenden: BF2) gab an, dass sie ledig und ebenfalls in XXXX geboren worden sei. Vorgelegt wurden ein syrischer Personalausweis, ein syrischer Reisepass und ein türkischer Ausweis. Auch die BF2 bekenne sich zum muslimischen Glauben und gehöre der Volksgruppe der Araber an. Sie habe 12 Jahre lang die Grundschule in XXXX besucht, bei ihrer Ausreise sei sie noch Schülerin gewesen. In Österreich befänden sich noch ihr Vater, ihre Mutter, die Großmutter (BF1), zwei Brüder und zwei Schwestern. Befragt zu ihrem Fluchtgrund gab die BF2 an, dass sie wegen des Krieges in Syrien geflohen seien. Es sei sehr gefährlich gewesen zur Schule zu gehen, da permanent bombardiert worden sei.

3. Am 27.02.2017 wurde die BF1 vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (im Folgenden: BFA), niederschriftlich einvernommen. Im Zuge dieser Einvernahme gab die BF1 an, dass sie in Syrien gemeinsam mit seinem Sohn und dessen Familie in XXXX gelebt habe. Ihr Sohn habe sie erhalten. Sie habe noch zwei Töchter in Syrien. Syrien verlassen müssen habe sie wegen dem IS. Dieser habe die Töchter ihres Sohnes enthaupten lassen wollen, da diese kein Kopftuch getragen haben. Die Luftangriffe seien ständig präsent gewesen. Die Regierung und die Freie Syrische Armee hätten ständig gekämpft. Sie hätten ihr Leben gerettet und seien geflohen. Die BF1 sei niemals persönlich verfolgt worden, sie seien aus Angst um die Mädchen ihres Sohnes geflohen. Ihr Sohn habe Probleme gehabt, da er Sunnite sei, der Schwiegersohn war Alewit, dieser sei verschwunden und sei nicht mehr gefunden worden.

4. Am 28.02.2017 wurde die BF2 niederschriftlich vor dem BFA einvernommen. Sie gab im Wesentlichsten an, dass sie wegen ihrer Religions- und Volksgruppenzugehörigkeit verfolgt worden sei. Sie habe in Syrien mit ihrer Großmutter (BF1) und ihrer Familie zusammengelebt, ihr Vater habe die Familie erhalten. Sie habe zwei Tanten in XXXX . Sie habe 12 Jahre die Schule besucht, und die Matura gemacht, habe aber keinen Beruf erlernt. Die BF2 gab an, dass sie die gleichen Fluchtgründe wie ihre Schwester habe. In XXXX habe es Kriegszustände zwischen der Opposition und der Regierung gegeben, deshalb hätten sie nach XXXX flüchten müssen. Dort wären sie über ein Jahr geblieben. Dort seien sie von der Schwester des Schwagers ihres Vaters bedroht worden, da ihr Vater für das Verschwinden des Bruders verantwortlich gemacht worden sei. Nach der Rückkehr nach

XXXX seien sie von der Cousine ihres Vaters aufgesucht worden, diese hätten über zehn Männer des IS mitgebracht um den Vater zu bedrohen. Sie hätten gefordert, dass sie traditionelle Kleidung tragen und der Vater sich ihnen anschließen sollte. Der IS habe die BF2 in der Türkei "haben wollen", nicht aber in XXXX . Sie hätte zwangsverheiratet werden sollen.

5. Mit Bescheid vom 28.02.2017 - zugestellt mit 02.03.2017 - wies das BFA den Antrag der BF1 auf internationalen Schutz hinsichtlich der Zuerkennung des Status einer Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 i. V.m. § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 ab (Spruchpunkt I). Gemäß § 8 Abs. 1 AsylG 2005 wurde der BF1 der Status einer subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt (Spruchpunkt II.) und ihr gemäß § 8 Abs. 4 AsylG 2005 eine befristete Aufenthaltsberechtigung erteilt (Spruchpunkt III.).

Festgestellt wurde, dass die BF1 die Mutter ihres Sohnes und verwitwet sei. Sie habe keine Verfolgung im Sinne der GFK geltend machen können. Ihr Fluchtgrund resultiere ausschließlich aus der allgemeinen Kriegs-/Bürgerkriegssituation in ihrem Herkunftsstaat ohne dass eine individuelle Verfolgungskomponente dazu getreten sei.

Begründend führte das BFA im Wesentlichsten dazu aus, dass dem Vorbringen der BF1 bezüglich der Gründe, warum Sie ihren Herkunftsstaat verlassen habe im Wesentlichen zu folgen sei. Ihre Furcht vor Auswirkungen der Kampfhandlungen sei nachvollziehbar und glaubhaft. Es habe sich aber aus den Darstellungen der BF1 keine individuelle Bedrohung oder Verfolgung mit asylrelevanten Relevanz bzw. Intensität ergeben. Die BF1 habe auch in der Einvernahme jede persönliche Verfolgung ausgeschlossen.

6. Mit Bescheid vom 02.03.2017, zugestellt am 07.03.2017, wurde der Antrag der BF2 hinsichtlich des Status einer Asylberechtigten ebenfalls abgewiesen und ihr der Status einer subsidiär Schutzberechtigten inklusive einer befristeten Aufenthaltsberechtigung zuerkannt.

Es habe nicht festgestellt werden können, dass die BF2 in Syrien der Gefahr einer individuellen, konkret gegen sie gerichteten Verfolgung aus Gründen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Gesinnung ausgesetzt sei. Sie habe keine asylrelevante Verfolgung glaubhaft machen können bzw. bestehe für sie eine innerstaatliche Fluchtalternative.

Begründend wurde ausgeführt, von einer innerstaatliche Fluchtalternative ausgegangen werden kann. Die behauptete Verfolgung aufgrund der sunnitischen Religionszugehörigkeit der BF2 in der Gegend von XXXX basiere nur auf Erzählungen der Bevölkerung dort. Persönliche Vorkommnisse habe die BF2 in diesem Zusammenhang ausgeschlossen. Auch die Verfolgung durch Angehörige des IS sei zwar grundsätzlich glaubhaft, jedoch sei auch in diesem Zusammenhang von einer innerstaatlichen Fluchtalternative auszugehen. Eine Verfolgung bei Wechsel des Wohnsitzes in eine Großstadt wie Bagdad sei maßgeblich auszuschließen, da der IS nicht über die Ressourcen verfüge um jede Person die nicht kooperiere im Irak zu suchen. Die Flucht der BF2 fuße gemäß ihren Angaben ausschließlich auf der Verweigerung des Vaters mit diesen Männern zu kooperieren. Der von der BF2 vorgebrachte Vorfall des Versuches einer Zwangsverheiratung der BF2 in der Türkei durch Männer des IS sei durch die Behörde nicht zu beurteilen, da dieser nicht im Heimatstaat der BF2 stattgefunden habe. Eine länderübergreifende Verfolgung könne auch in diesem Fall durch einen Wohnsitzwechsel in eine Großstadt wie Bagdad ausgeschlossen werden.

7. Gegen Spruchpunkt I. dieser Bescheide erhoben die Beschwerdeführerinnen fristgerecht am 27.03.2017 Beschwerde und brachten im Wesentlichsten vor, dass eine konkrete Verfolgung durch den IS und durch das Regime, bzw. Privatpersonen vorläge. Auch würden die Beschwerdeführerinnen eine geschlechtsspezifische Verfolgung als Frauen befürchten. Die Beschwerdeführerinnen wären als Frauen ohne männlichen Beistand in Gefahr in der Ausübung ihrer fundamentalen Menschenrechte eingeschränkt zu sein. Dies wäre vom BFA zu untersuchen gewesen.

8. Mit Schreiben vom 28.03.2017, eingelangt am 30.03.2017, legte das BFA die gegenständlichen Verfahrensakte - ohne von der Möglichkeit einer Beschwerdevorentscheidung Gebrauch zu machen - dem Bundesverwaltungsgericht zur Entscheidung vor.

9. Mit verfahrensleitender Anordnung des Verwaltungsgerichtshofes vom 21.08.2019 wurde aufgrund eines gestellten Fristsetzungsantrages dem Bundesverwaltungsgericht aufgetragen, binnen drei Monaten eine Entscheidung zu erlassen bzw. anzugeben, warum eine Verletzung der Entscheidungspflicht nicht vorliege.

10. Am 30.9.2019 fand eine öffentliche mündliche Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht statt, an der die Beschwerdeführerinnen sowie deren Rechtsvertreter teilnahmen.

In dieser Verhandlung gab die BF1 an, einer dauernden Einnahme von Medikamenten wegen Diabetes, der Schilddrüse und ihrem Rücken zu bedürfen. Weiters sei sie schwerhörig. Die BF1 gab ihre Familie betreffend an, dass sie zwar noch Familie in Syrien habe, aber "vergessen habe" wo sich diese befinde. Sie habe "40, 50, 60 Jahre in XXXX " gelebt, dann hätte sich die gesamte Familie "in alle Winde verstreut". Die BF1 gab an den Tag "zuhause" zu verbringen und froh zu sein, in Sicherheit zu sein.

Die BF2 gab unter anderem an, dass sie zwei Tanten in Syrien habe, die in XXXX leben würden. Sie seien von der Familie des Mannes der Tanten bedroht worden. Die gesamte Familie arbeite für das Regime und der Mann arbeite in XXXX als Sicherheitsoffizier. Dieser Mann der Tante sei von der Cousine des Vaters der Freien Syrischen Armee übergeben worden, da man damals Geld für jeden Alawiten bekommen habe, den man ausliefere. Es sei auch die Großmutter (die BF1) als Geisel genommen worden.

Die - ebenfalls in der Verhandlung anwesende - Schwester der BF2, also Enkelin der BF1, gab weiters an, dass der IS versucht habe Männer als Kämpfer zu rekrutieren und von den Frauen sei erwartet worden, dass sie Kämpfer heiraten und die sogenannte "Jihad-Ehe" vollziehen. Sie und ihre Schwester hätten nicht heiraten wollen, deswegen sei die Familie geflüchtet.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

1.1. Zur Person der Beschwerdeführerinnen:

Die Identität der Beschwerdeführerinnen steht fest. Sie tragen die im Spruch angeführten Namen und sind zu den dort angegebenen Daten geboren. Sie sind syrische Staatsangehörige, gehören der arabischen Volksgruppe an und sind Sunniten.

Die Beschwerdeführerinnen stammen aus XXXX und haben sich sie bis zu ihrer Ausreise ebendort bzw. kurzzeitig auch in XXXX aufgehalten.

Die Beschwerdeführerinnen sind gemeinsam mit ihren Eltern, der Großmutter sowie der Schwester der BF2 bzw. Enkelin der BF1 und den Brüdern nach Österreich gereist.

Die gesamte Familie lebt gemeinsam in Österreich. Dem Sohn der BF1 (=Vater der BF2) sowie den Geschwistern wurde bereits der Status von Asylberechtigten zuerkannt.

Es befinden sich zwar zwei Tanten der BF2(=Töchter der BF1) in Syrien, aber mit diesen besteht kein aufrechter Kontakt und somit auch nicht die Möglichkeit, dass sich diese um die BF2 bzw. deren 78jährige Großmutter (die BF1), kümmern. Es kam zu diversen Vorfällen und Verdächtigungen in der Familie, die eine Aufnahme der Beschwerdeführerinnen in den Familienverband verunmöglichen. Aus diesem Grund wären die Beschwerdeführerinnen bei einer Rückkehr nach Syrien ohne familiäre Unterstützung oder auch "männlichen Beistand" und somit als alleinstehende, unverheiratete/verwitwete Frauen ganz auf sich alleine gestellt. Zumal noch ergänzend dazu kommt, dass es sich bei der BF1 um eine betagte Frau handelt, die nichts mehr zum Lebensunterhalt beitragen kann und es somit der BF2 nicht zumutbar wäre, durch Arbeiten Geld zu verdienen und sich gleichzeitig um die Bedürfnisse der Großmutter (der BF1) zu kümmern.

Die Beschwerdeführerinnen sind in Österreich strafrechtlich unbescholten.

1.2. Zur Situation in Syrien:

Aus dem Länderinformationsblatt der Staatendokumentation zu Syrien (Gesamtaktualisierung am 13.05.2019, Aktualisierung eingefügt am 04.09.2019), wird, soweit für den gegenständlichen Fall maßgeblich, wie folgt angeführt:

Sicherheitslage:

Die militärische Intervention Russlands und die damit einhergehende Luftunterstützung für Assads Streitkräfte sowie die erheblich ausgeweitete indirekte Bodenintervention des Iran in Form eines Einsatzes ausländischer Milizen konnten 2015 den Zusammenbruch des syrischen Regimes abwenden (KAS 4.12.2018a). Mitte des Jahres 2016 kontrollierte die syrische Regierung ca. ein Drittel des syrischen Staatsgebietes, inklusive der "wichtigsten" Städte im Westen, in denen der Großteil der Syrer lebt (Reuters 13.4.2016).

Am Beginn des Jahres 2019 sind noch drei größere Gebiete außerhalb der Kontrolle der syrischen Regierung: die Provinz Idlib und angrenzende Gebiete im Westen der Provinz Aleppo und Norden der Provinz Hama; die Gebiete im Norden und Osten Syriens, die unter Kontrolle der kurdisch dominierten Syrian Democratic Forces (SDF) stehen; außerdem die Konfliktschutzzone (de- confliction zone) bei Tanf in Homs bzw. in der Nähe des Rukban Flüchtlingslagers (UNHRC 31.1.2019).

Trotz weitreichender militärischer Erfolge des syrischen Regimes und seiner Unterstützer sind Teile Syriens noch immer von Kampfhandlungen betroffen, allen voran die Provinzen Idlib, Teile Aleppos, Raqqas und Deir ez-Zours (AA 13.11.2018).

Laut UNMAS (United Nations Mine Action Service) sind 43% der besiedelten Gebiete Syriens mit Mienen und Fundmunition kontaminiert (AA 13.11.2018). Es kommt immer wieder zu Zwischenfällen mit derartigen Hinterlassenschaften des bewaffneten Konfliktes zum Beispiel im Osten der Stadt Aleppo, Ost-Ghouta und im Osten Hamas (DIS/DRC 2.2019).

Der sogenannte Islamische Staat (IS) kontrollierte im Sommer 2014 große Teile Syriens und des Irak (FAZ 10.3.2019). Ende März 2019 wurde mit Baghus die letzte Bastion des IS von den oppositionellen "Syrian Democratic Forces" erobert. Der IS ist zwar zerschlagen, verfügt aber noch immer über militärische Einheiten, die sich in den Wüstengebieten Syriens und des Irak versteckt halten (DZO 24.3.2019). Schläferzellen des IS sind sowohl im Irak als auch in Syrien weiterhin aktiv (FAZ 10.3.2019). Gegenwärtig sollen im Untergrund mehr als 20.000 IS-Kämpfer auf eine Gelegenheit zur Rückkehr warten (FAZ 22.3.2019). Auch IS-Führer Abu Bakr al-Bagdadi bleibt weiterhin verschwunden (FAZ 23.3.2019).

US-Präsident Donald Trump kündigte im Dezember 2018 an, alle 2.000 US-Soldaten aus Syrien abziehen zu wollen. Er erklärte jedoch später noch Soldaten vor Ort belassen zu wollen. Für die von den Amerikanern unterstützen Kurden ist ein Abzug der amerikanischen Truppen ein herber Schlag (Qantara 28.2.2019).

Die NGO Syrian Network for Human Rights (SNHR) versucht die Zahlen ziviler Todesopfer zu erfassen, für die einzelnen Monate des Jahres 2018 finden sich deren Daten in der unten befindlichen Grafik. Getötete Kämpfer werden in dem Bericht nicht berücksichtigt. Betont wird außerdem, dass die Organisation in vielen Fällen Vorkommnisse nicht dokumentieren konnte, besonders im Fall von Massakern, bei denen Städte und Dörfer komplett abgeriegelt wurden. Die hohe Zahl solcher Berichte lässt darauf schließen, dass die eigentlichen Zahlen ziviler Opfer weit höher als die unten angegebenen sind (SNHR 1.1.2019).

Allgemeine Menschenrechtslage:

Schätzungen besagen, dass etwa eine halbe Million Menschen im syrischen Bürgerkrieg getötet wurden (BS 2018).

Die syrische Verfassung sieht die Baath-Partei als die regierende Partei vor und stellt sicher, dass sie die Mehrheit in allen Regierungs- und Volksverbänden hat. Ein Dekret von 2011 erlaubt die Bildung anderer politischer Parteien, jedoch nicht auf Basis von Religion, Stammeszugehörigkeit oder regionalen Interessen. Die Regierung erlaubt nur regierungsnahen Gruppen offizielle Parteien zu gründen und zeigt wenig Toleranz gegenüber anderen politischen Parteien, auch jenen, die mit ihr verbündet sind. Parteien wie das Communist Union Movement, die Communist Action Party und die Arab Social Union werden schikaniert. Gesetze, welche die Mitgliedschaft in illegalen Organisationen verbieten, wurden auch verwendet um Hunderte Mitglieder von Menschenrechts¬und Studentenorganisationen zu verhaften. Es gibt auch zahlreiche Berichte zu anderen Formen der Belästigung von Menschenrechtsaktivisten, Oppositionellen oder Personen, die als oppositionell wahrgenommen werden, von Reiseverboten, Enteignung und Überwachung bis hin zu willkürlichen Festnahmen, "Verschwindenlassen" und Folter (USDOS 13.3.2019).

Es sind zahllose Fälle bekannt, bei denen Personen für als regierungsfeindlich angesehene Tätigkeiten ihrer Verwandten inhaftiert und gefoltert werden, darunter sollen auch Fälle sein, bei denen die gesuchten Personen ins Ausland geflüchtet sind (AA 13.11.2018). Frauen mit familiären Verbindungen zu Oppositionskämpfern werden z.B. als Vergeltung oder zur Informationsgewinnung festgenommen. Außerdem werden Personen festgenommen, die Kontakte zu Verwandten oder Freunden unterhalten, die in oppositionell kontrollierten Gebieten leben (UNHRC 31.1.2019).

Die Methoden der Folter, des Verschwindenlassens und der schlechten Bedingungen in den Haftanstalten sind keine Neuerung der letzten Jahre seit Ausbruch des Konfliktes, sondern waren bereits zuvor gängige Praxis der unterschiedlichen Nachrichtendienste und Sicherheitsbehörden in Syrien (SHRC 24.1.2019).

Russland, der Iran und die Türkei haben im Zusammenhang mit den Astana-Verhandlungen wiederholt zugesagt, sich um die Missstände bezüglich willkürlicher Verhaftungen und Verschwindenlassen zu kümmern. Im Dezember 2017 gründeten sie eine Arbeitsgruppe zu Inhaftierungen und Entführungen im syrischen Konflikt, es waren bisher jedoch nur geringe Fortschritte zu verzeichnen (HRW 17.1.2019).

Weitere schwere Menschenrechtsverletzungen, derer das Regime und seine Verbündeten beschuldigt werden, sind willkürliche und absichtliche Angriffe auf Zivilisten, darunter auch der Einsatz von chemischen Waffen; Massaker und Vergewaltigungen als Kriegstaktik; Einsatz von Kindersoldaten sowie übermäßige Einschränkungen der Bewegungs-, Meinungs-, Versammlungs-und Pressefreiheit, inklusive Zensur. Die Regierung überwacht die Kommunikation im Internet, inklusive E-Mails, greift in Internet- und Telefondienste ein und blockiert diese. Die Regierung setzt ausgereifte Technologien und Hunderte von Computerspezialisten für Überwachungszwecke ein (USDOS 13.3.2019).

Orte, die im Laufe der vergangenen Jahre wieder unter die Kontrolle der Regierung gelangt sind, erlebten organisierte und systematische Plünderungen durch die bewaffneten Einheiten der Regierung (SHRC 24.1.2019). Berichten zufolge sind Personen in Gebieten, die erst vor kurzer

Zeit durch die Regierung wiedererobert wurden, aus Angst vor Repressalien oft zurückhaltend über die Situation in diesen Gebieten zu berichten (USDOS 13.3.2019).

Bewaffnete terroristische Gruppierungen, wie die mit al-Qaida in Verbindung stehende Gruppe Hay'at Tahrir al-Sham (HTS), sind für weitverbreitete Menschenrechtsverletzungen wie Massaker, Beschuss, Entführung, unrechtmäßige Inhaftierung, Folter, Tötung und Zwangsvertreibung auf Basis der Konfession Betroffener, verantwortlich. Der sogenannte Islamische Staat (IS) agiert(e) mit Brutalität gegenüber Bewohnern des von ihm kontrollierten Territoriums. Ihm werden u.a. vorgeworfen: außergerichtliche Hinrichtungen und Verhaftungen, Haft unter unmenschlichen Bedingungen, Folter, Verschwindenlassen und Anwendung von Körperstrafen. Frauen erleb(t)en in vom IS gehaltenen Gebieten willkürliche und schwere Bestrafungen, inklusive Hinrichtung durch Steinigung (USDOS 13.3.2019). Sexuelle Versklavung und Zwangsverheiratung sind zentrale Elemente der Ideologie des IS. Mädchen und Frauen wurden zur Heirat mit Kämpfern gezwungen. Frauen und Mädchen, die Minderheiten angehören, wurden sexuell versklavt, zwangsverheiratet und anderen Formen sexueller Gewalt ausgesetzt (USDOS 20.6.2019; vgl. USDOS 13.3.2019). Im Bezug auf Kampfhandlungen wird dem IS der Einsatz von Kindersoldaten sowie von Zivilisten als menschliche Schutzschilde vorgeworfen. Außerhalb der (ehemals) kontrollierten Gebiete verübte der IS Entführungen und Anschläge (USDOS 13.3.2019).

Auch die oppositionellen bewaffneten Gruppen der Syrian Democratic Forces (SDF) werden für Menschenrechtsverletzungen verantwortlich gemacht, darunter die kurdischen Volksverteidigungskräfte (YPG). Es gibt Berichte über Verschwindenlassen von Gegnern der kurdischen Partei der Demokratischen Union (PYD) und deren Familien, unrechtmäßige Verhaftungen, Folter von politischen Gegnern, sowie vereinzelte Berichte über Festnahmen von Journalisten, Mitgliedern von Menschenrechtsorganisationen und Oppositionsparteien und Personen, die sich weigerten mit den kurdischen Gruppen zu kooperieren (USDOS 13.3.2019; vgl. HRW 10.9.2018).

Familienmitglieder von gesuchten Aktivisten, darunter auch Verwandte von Mitgliedern des IS, sollen von den SDF in den von ihnen kontrollierten Gebieten gefangen genommen worden sein, um Informationen zu erhalten oder um Druck auszuüben. Weiters gibt es Berichte über vermehrte Verhaftungen von Männern für versuchte Wehrdienstverweigerung und Einschränkungen der Bewegungsfreiheit in den befreiten Gebieten (USDOS 13.3.2019).

Berichten zufolge kam es 2017 auch zur Vertreibung von arabischen Bewohnern aus Gegenden, die durch kurdische Einheiten vom IS befreit worden waren (USDOS 20.4.2018; vgl. AA

13.11.2018) .

Die YPG gehört seit 2014 zu den vom VN-Generalsekretär gelisteten Konfliktparteien, die Kindersoldaten einsetzen und Kinderrechte verletzen (AA 13.11.2018). Nach Berichten zu Rekrutierungen von Kindern, auch unter Zwang, durch die SDF, verabschiedeten diese ein Verbot der Rekrutierung und Verwendung von Personen unter 18 Jahren zum Kampf. Verboten sind, unter

Androhung von Strafen für die Befehlshaber, auch Hilfsdienste wie Ausspähen, Wach- und Versorgungsdienste. Die kurdischen Gruppen erklärten ihre volle Unterstützung der Anordnung. Im Dezember 2018 wurden 56 Unter-18-Jährige ihren Eltern übergeben (USDOS 13.3.2019).

Die menschenrechtliche Situation in den kurdisch kontrollierten Gebieten stellt sich insgesamt deutlich weniger gravierend dar, als in den Gebieten, die sich unter Kontrolle des syrischen Regimes oder islamistischer bis jihadistischer Gruppen befinden (AA 13.11.2018).

Ein Charakteristikum des Bürgerkriegs in Syrien ist, dass in ganz Syrien bestimmte Personen aufgrund ihrer tatsächlichen oder wahrgenommenen bzw. zugeschriebenen politischen Meinung oder Zugehörigkeit direkt angegriffen werden oder ihnen auf andere Weise Schaden zugefügt wird. Diese Zuschreibung basiert oft nur auf den familiären Verbindungen der Person, ihrem religiösen oder ethnischen Hintergrund oder einfach auf ihrer Präsenz in oder Herkunft aus einem bestimmten Gebiet, das als "regierungsfreundlich" oder "regierungsfeindlich" gilt (UNHCR 11.2015).

Frauen:

Frauen in Syrien haben eine relativ lange Historie der Emanzipation. Vor dem Konflikt war Syrien eines der vergleichsweise fortschrittlicheren Länder der Arabischen Welt in Bezug auf Frauenrechte (BFA 8.2017). Dennoch werden Frauen - teilweise aufgrund der Interpretationen der religiösen Gesetze - von verschiedenen Teilen des Familien- und Strafrechts und der Gesetze zu Personenstand, Arbeit, Erbschaft, Pensionierung, sozialer Sicherheit und Staatsbürgerschaft, diskriminiert (USDOS 13.3.2019).

Die Situation von Frauen verschlechterte sich durch den andauernden Konflikt dramatisch. Da Frauen immer wieder Opfer unterschiedlicher Gewalthandlungen der verschiedenen

Konfliktparteien werden, zögern Familien, Frauen und Mädchen das Verlassen des Hauses zu erlauben. Sie nehmen diese aus der Schule, was zur Minderung der Rolle von Frauen und zu ihrer Isolation in der Gesellschaft führt (BFA 8.2017). Vor dem Konflikt nahmen 13% der Frauen am Arbeitsmarkt teil, verglichen mit 73% der Männer. Die Teilhabe sowohl von Männern als auch Frauen am Arbeitsmarkt hat durch Gewalt und Unsicherheit abgenommen. Zuletzt ist in einigen Gebieten, wie in Damaskus, Raqqa und Dara'a, die Beteiligung von Frauen am Arbeitsmarkt gezwungenermaßen wieder gestiegen, da viele Männer ihre Familien derzeit nicht unterstützen können (USDOS 13.3.2019).

Außerhalb der Gebiete, die unter der Kontrolle des Regimes stehen, unterscheiden sich die Bedingungen für Frauen sehr stark voneinander. Sie reichen von sexueller Versklavung und erdrückenden Kleidungsvorschriften in Gebieten unter Kontrolle von Extremisten einerseits, bis hin zu formaler Gleichberechtigung in den Gebieten unter Kontrolle der kurdischen Partei der Demokratischen Union (PYD), wo Regierungssitze immer von einer Frau und einem Mann besetzt sind (FH 1.2018). In jenen oppositionellen Gebieten, welche von radikal-islamistischen Gruppen kontrolliert werden, sind Frauen besonders eingeschränkt. Es ist schwer für sie, für einfache Erledigungen das Haus zu verlassen. Die Situation hängt jedoch von der Region ab (BFA 8.2017).

Extremistische Gruppierungen wie der sogenannte Islamische Staat (IS) oder Hay'at Tahrir al- Sham (HTS) setzen Frauen in den von ihnen kontrollierten Gebieten diskriminierenden Beschränkungen aus. Solche Beschränkungen sind z.B. strikte Kleidervorschriften, Einschränkungen bei der Teilnahme am öffentlichen Leben, bei der Bewegungsfreiheit und beim Zugang zu Bildung und Arbeitsmarkt (USDOS 13.3.2019, MRG 5.2018). Generell wird die Lage junger unverheirateter Frauen in Syrien allgemein, im Speziellen jedoch in den von radikal- islamistischen Gruppierungen kontrollierten Gebieten, als prekär bezeichnet (BFA 8.2017).

Sexuelle Gewalt

Mit keiner oder nur schwacher Rechtsdurchsetzung und begrenztem effektiven Schutz in diesem Bereich haben alle Arten von Gewalt gegen Frauen an Verbreitung und Intensität zugenommen, darunter Versklavung, Zwangsheirat mit Vertretern bewaffneter Gruppen, häusliche Gewalt und Vergewaltigung (WB 6.2.2019). Vergewaltigungen sind weit verbreitet, auch die Regierung und deren Verbündete setzten Vergewaltigung gegen Frauen, aber auch gegen Männer und Kinder, welche als der Opposition zugehörig wahrgenommen werden, ein, um diese zu terrorisieren oder zu bestrafen. Das tatsächliche Ausmaß von sexueller Gewalt in Syrien lässt sich nur schwer einschätzen, weil viele Vergehen nicht angezeigt werden (USDOS 13.3.2019). Vergewaltigungen und andere sexuelle Gewalt durch Wächter und Sicherheitskräfte sind Teil der Foltertechniken in Haftanstalten (USDOS 13.3.2019; vgl. SHRC 24.1.2019).

Vergewaltigung außerhalb der Ehe ist zwar laut Gesetz strafbar, die Regierung setzt diese Bestimmungen jedoch nicht effektiv um. Außerdem kann der Täter eine Strafminderung erlangen, wenn er das Opfer heiratet, um so das soziale Stigma einer Vergewaltigung zu vermeiden (USDOS 13.3.2019). Die gesellschaftliche Tabuisierung von sexueller Gewalt führt zu einer Stigmatisierung von Frauen, die in Haft waren, zur Erniedrigung von Opfern, Familien und Gemeinschaften und zu einer hohen Dunkelziffer bezüglich der Fälle von sexueller Gewalt. Eltern oder Ehemänner verstoßen oftmals Frauen, die während der Haft vergewaltigt wurden oder wenn eine Vergewaltigung auch nur vermutet wird (BFA 8.2017; vgl. USDOS 3.3.2017, SHRC

24.1.2019). Es gibt Fälle von Frauen, die nach einer Vergewaltigung Opfer von Ehrenmorden werden (USDOS 13.3.2019; vgl. SHRC 24.1.2019, MRG 5.2018). Berichten zufolge kam es seit dem Ausbruch des Konfliktes zu einem Anstieg an Ehrenmorden infolge weit verbreiteter Fälle von sexueller Gewalt und Gesetzlosigkeit (USDOS 13.3.2019). Bei sogenannten Ehrenverbrechen in der Familie, die in ländlichen Gebieten bei fast allen Glaubensgemeinschaften vorkommen, besteht kein effektiver staatlicher Schutz (AA 13.11.2018).

Alleinstehende Frauen

Alleinstehende Frauen sind in Syrien aufgrund des Konfliktes einem besonderen Risiko von Gewalt oder Schikane ausgesetzt, jedoch hängt dies von der sozialen Schicht und der Position der Frau bzw. ihrer Familie ab. Man kann die gesellschaftliche Akzeptanz von alleinstehenden Frauen aber in keinem Fall mit europäischen Standards vergleichen, und Frauen sind potentiell Belästigungen ausgesetzt. In Syrien ist es fast undenkbar als Frau alleine zu leben, da eine Frau ohne Familie keine gesellschaftlichen und sozialen Schutzmechanismen besitzt. Beispielsweise würde nach einer Scheidung eine Frau in den meisten Fällen wieder zurück zu ihrer Familie ziehen. Vor dem Konflikt war es für Frauen unter bestimmten Umständen möglich alleine zu leben, z.B. für berufstätige Frauen in urbanen Gebieten (BFA 8.2017).

Der Zugang von alleinstehenden Frauen zu Dokumenten hängt von deren Bildungsgrad, individueller Situation und bisherigen Erfahrungen ab. Beispielsweise werden ältere Frauen, die immer zu Hause waren, mangels vorhandener Begleitperson und behördlicher Erfahrung nur schwer Zugang zu Dokumenten bekommen können (BFA 8.2017). Die Wahrnehmung von alleinstehenden Frauen durch die Gesellschaft unterscheidet sich von Gebiet zu Gebiet. Damaskus-Stadt ist weniger konservativ als andere Gebiete und es wird von Frauen berichtet, die dort in der Vergangenheit alleine lebten. In konservativen Gegenden bekommen allein lebende Frauen jedoch "einen gewissen Ruf" (SD 30.7.2018).

Der Wegfall des Ernährers im Zuge des Konflikts stellt viele Frauen vor das Problem ihre Familien versorgen zu müssen. So stieg die Anzahl der Haushalte mit weiblichen Vorständen im Zuge des Konflikts (WB 6.2.2019)

Im Dezember 2017 hat das von Hay'at Tahrir al-Sham (HTS) gestützte Syrian Salvation Government (SSG) in der Provinz Idlib eine Entscheidung verkündet, laut welcher alle Witwen in ihrem Kontrollgebiet mit einem Scharia-konformen männlichen Familienangehörigen wohnen müssen. Die Meldung warnt auch vor Bestrafung für "jeden, der sich nicht nach dieser Regelung richtet", es ist jedoch unklar wie die Entscheidung umgesetzt wurde (SD 14.12.2017).

Grundversorgung und Wirtschaft:

Vor dem Krieg betrug das Bruttoinlandsprodukt (BIP) Syriens 60 Milliarden USD, aufgrund des Konfliktes verschlechterte sich die Wirtschaft und das BIP sank im Jahr 2017 auf 12 Milliarden USD. Schätzungen setzen die Kosten für den Wiederaufbau bei 250 Milliarden USD fest (TE 28.6.2018). Internationale Sanktionen, große strukturelle Schäden, der verringerte Konsum und die geminderte Produktion, reduzierte Subventionen und die hohe Inflation senken unter anderem den Wert des syrischen Pfund und die Kaufkraft privater Haushalte (CIA 3.4.2019).

Mit dem Abflauen des Konflikts dominiert mehr und mehr die katastrophale wirtschaftliche Lage und die Verarmung breiter Bevölkerungsschichten die öffentliche Wahrnehmung und Diskussion. Die Frustration entzündete sich zuletzt am Mangel an Benzin und Gas; es kommt auch wieder verstärkt zu Stromabschaltungen (ÖB 7.2019). Die sozialen und wirtschaftlichen Auswirkungen des Konflikts sind erheblich und verstärken sich weiterhin. Der fehlende Zugang zu Gesundheitsversorgung, Bildung, Unterkunft und Nahrung drängt Millionen Menschen in Arbeitslosigkeit und Armut (WB 11.10.2018). Über die Hälfte der arbeitsfähigen Bevölkerung sind arbeitslos, die Jugendarbeitslosigkeit wird auf über 75% geschätzt (AA 13.11.2018; vgl. WKO 11.2018). Die Arbeits- und Perspektivlosigkeit und der daraus entstehende finanzielle Druck führen dazu, dass sich Personen aus finanziellen Gründen (sowohl oppositionellen als auch regierungstreuen) bewaffneten Milizen anschließen. Während einem Experten zufolge Damaskus im Wesentlichen seinen Status als funktionierende Stadt behalten hat, wurden andere Städte wie Homs und Aleppo im Zuge der Kämpfe fast zerstört. Der finanzielle Druck trifft vor allem Personen in ländlichen Gegenden, aber auch dort gibt es regionale Unterschiede (FIS 14.12.2018). Der

Think Tank Middle East Institute berichtet, dass es in Damaskus immer schwieriger wird ohne Beziehungen (wasta) eine Arbeitsmöglichkeit zu finden (MEI 6.11.2018).

Die syrische Regierung kontrolliert den Zugang zu humanitärer Hilfe und die Sammlung von Daten. Die Organisationen können folglich weder eigene Überwachung und Evaluierungen, noch unabhängige Studien über die Bevölkerung oder deren Bedürfnisse durchführen. Davon ist auch UNHCR nicht ausgenommen. Dies führt dazu, dass in manchen Gebieten die Bedarfserhebungen unvollständig sind. In manchen Fällen ist UNHCR auch gezwungen die Untersuchungen durch andere NGOs durchführen zu lassen (EIP 6.2019).

13,1 Millionen Menschen in Syrien sind auf humanitäre Hilfe angewiesen (UNOCHA o.D.), davon leben etwa 1,16 Millionen Menschen in für Hilfsorganisationen schwer zu erreichenden Gebieten (UNOCHA 29.10.2018). In diesen Gebieten übersteigt der durchschnittliche Lebensmittelpreis den Durchschnittspreis in Damaskus um ein Vielfaches. In den zentralen Vierteln der Hauptstadt Damaskus und Teilen der Gouvernements Lattakia und Tartous ist die Versorgungslage dagegen besser. In Gebieten im Nordwesten und Nordosten Syriens sowie Landesteilen mit einem hohen Anteil an Binnenvertriebenen ist die humanitäre Lage besonders angespannt. Die kritische Versorgungslage hat in Regionen mit besonders hohem Anteil Binnenvertriebener (z.B. Provinz Idlib, aber auch Zufluchtsorte in den Provinzen Homs, Damaskus und Tartous) darüber hinaus vereinzelt zu Ablehnung und Abweisung von Neuankömmlingen geführt, die als Konkurrenten in Bezug auf die ohnehin sehr knappen Ressourcen gesehen werden. Nach wie vor verhindert das Regime Hilfslieferungen über die Konfliktlinien in Oppositionsgebiete. Die Zahl der von Hilfsleistungen abhängigen Personen ist laut UNOCHA in Tartous, Lattakia und Teilen Hassakahs am niedrigsten. Der Zugang zu Wasser, Elektrizität, Bildung und gesundheitlicher Versorgung ist dort grundlegend gewährleistet. Doch auch dort sind Teile der Bevölkerung vor allem Binnenvertriebene und vulnerable Aufnahmegemeinden in den ländlichen Gegenden, weiterhin von Lebensmittelhilfe abhängig (AA 13.11.2018).

Die Vertreibung großer Zahlen von Personen in Gebiete mit limitierten Unterbringungsmöglichkeiten treiben in von der Opposition gehaltenen Gebieten die Lebenshaltungskosten in die Höhe. Laut einem syrischen Menschenrechtsaktivisten und Wirtschaftswissenschafter beträgt die Miete für ein Haus mindestens 150 USD im Monat, während sie für ein Haus nahe der türkischen Grenze und damit entfernt von Bombenangriffen auf 300 USD gestiegen ist. Im Vergleich dazu liegt das durchschnittliche Einkommen in Syrien bei etwa 50 USD. Dies stellt ein Hindernis für Personen dar, die in diese Gebiete ziehen wollen. Die Häuser in den von der Regierung gehaltenen Gebieten blieben trotz steigender Preise "relativ leistbar", mit einem Durchschnittspreis von 100 USD (CHH 5.2018).

Im Zuge der Militäroperationen zur Wiedereroberung von zentralen Gebieten Syriens versucht die Regierung zudem neue demographische Verhältnisse zu schaffen, indem sie

Stadtplanungsgesetze ändert. So auch im Jahr 2018 mit Gesetz Nr. 10, das von Präsident Assad am 2. April 2018 verkündet wurde. Das Gesetz erlaubt den Behörden Zonen innerhalb ihrer Verwaltungsgrenzen für Entwicklung und Wiederaufbau vorzusehen und Immobilienentwicklungsgesellschaften zu gründen, die die Planung und Durchführung solcher Projekte überwachen (CMEC 9.5.2018). Im Zuge dessen ermöglicht das Gesetz die Enteignung von Flüchtlingen, denn gemäß dem Gesetz fallen sämtliche Grundstücke, Wohnungen und Häuser dem syrischen Staat zu, wenn deren Besitzer nicht Besitzurkunden bei der dementsprechenden, neu installierten Behörde vorlegen können (VB 24.4.2018). Dieser Besitznachweis musste ursprünglich innerhalb von 30 Tagen nach Deklaration einer "Entwicklungszone" erfolgen. Diese Frist wurde jedoch nach internationalen Protesten auf ein Jahr verlängert (LMD 12.7.2018). Personen, die ihren Besitz beanspruchen können, erhalten Aktien der neu eingerichteten Immobiliengesellschaften, die dem geschätzten Wert ihres Besitzes entsprechen, wobei es aufgrund der aktuellen Konfliktsituation wahrscheinlich ist, dass der geschätzte Wert weit niedriger als der tatsächliche Marktwert ist (CMEC 9.5.2018).

Das Bildungssystem wurde durch die Beschädigung von Schulgebäuden und die Nutzung von Schulen als militärische Einrichtungen stark beeinträchtigt (WB 10.7.2017). Laut UNICEF erhalten noch immer zwei Millionen Kinder in Syrien keine Schulbildung. Schulen, die nicht zerstört wurden, sind voll mit Schülern, obwohl es einigen der Schulen an Strom oder sogar Fenstern und Türen mangelt (AP 13.12.2018). Etwa 46% der Schulen sind teilweise oder gänzlich nicht funktionsfähig (SHRC 24.1.2019). In Gebieten, die zuvor unter Kontrolle des sogenannten Islamischen Staates (IS) von den Syrian Democratic Forces (SDF) wiedererobert wurden, konnten Schulen wiedereröffnet werden. Manche der Schulen benötigen jedoch noch umfangreiche Reparaturen und müssen von explosiven Kampfmittelrückständen gesäubert werden (USDOS 13.3.2019).

Die syrische Regierung bemüht sich den Wiederaufbau voranzutreiben, doch kann dieser im Hinblick auf die Dimension der Zerstörung im Land im Moment nur als sehr eingeschränkt und stark lokalisiert bezeichnet werden. Die Ankündigung von Projekten, dient demnach eher der internen Propaganda bzw. dem Versuch, vor allem in Gebieten, in denen die syrische Regierung erst seit Kurzem wieder die Kontrolle erlangt hat, ein politisches Signal zu setzen und die Präsenz des Staates zu bekräftigen (WKO 11.2018). Teile mancher Gebiete, wie z. B. Homs, Ost-Aleppo, Raqqa, Vororte von Damaskus, Deir ez-Zour, Dara'a und Idlib, sind auch mittel- bis langfristig nicht bewohnbar, da sie durch den Konflikt teils stark zerstört wurden. Im vom IS befreiten Raqqa ist das Ausmaß der Zerstörung sehr hoch, hinzu kommt die immense Kontaminierung durch nicht explodierte Munition und IS-Sprengfallen. Am wenigsten vom Konflikt betroffen sind neben dem Stadtzentrum der Hauptstadt Damaskus die Hafenstädte Tartous und Lattakia sowie Suweida und Hassakah (AA 13.11.2018). Die Stadt Damaskus erstreckt sich über eine große Fläche und der Beschädigungsgrad variiert stark. Es gibt Stadtteile, die dem Erdboden gleichgemacht wurden, andere weisen klare Spuren des Krieges auf und wiederum andere sehen mit Ausnahme der Checkpoints und der starken Militärpräsenz so aus wie vor dem Krieg (WKO 11.2018).

Der Konflikt in Syrien beschädigte große landwirtschaftlich nutzbare Gebiete, Tausende Landwirte wurden vertrieben. Dies verursachte einen starken Anstieg der Kosten für landwirtschaftliche Betriebsmittel (Dünger, etc.) (UNWFP 9.10.2018).

Extreme Wetterschwankungen im Jahr 2018 führten einerseits zu einem starken Rückgang der heimischen Lebensmittelproduktion, gleichzeitig sanken allerdings durch die verbesserte Sicherheit, Stabilität und Wiedereröffnung von Versorgungsrouten die Lebensmittelpreise im Jahr 2018 um etwa 40% im Vergleich zum Vorjahr. Die Preise bleiben damit aber etwa siebenmal so hoch wie noch vor dem Konflikt (UNWFP 9.10.2018). Die Wiedereroberung von vormals von Rebellen gehaltenen Gebieten durch die Regierung und damit Wiedereröffnung mancher Verkehrswege verbessert die Transportmöglichkeiten von Waren (und Personen) und wirkt sich damit positiv auf die Wirtschaft Syriens aus (Reuters 27.9.2018). Die Lebensmittelsicherheit hat sich im Jahr 2018 durch die verbesserte Sicherheit und besserem Marktzugang ein wenig verbessert. Es gibt jedoch noch immer Problemgebiete (UNWFP 9.10.2018). Millionen von Syrern in allen 14 Provinzen des Landes sind auf Nahrungsmittelhilfe angewiesen, die von verschiedenen Organisationen bereitgestellt wird. Vor allem in belagerten oder schwer zugänglichen Gebieten werden Lebensmittelkonvois von den syrischen Behörden aufgehalten, um politischen Druck auszuüben. Dies erschwert regelmäßig rechtzeitige und kontinuierliche Lieferungen. Hunger scheint zudem als militärische Taktik bei der Rückeroberung von belagerten Gebieten durch die syrische Regierung verwendet worden zu sein (MOFANL 7.2019). 6,5 Millionen Menschen sind von Nahrungsmittelunsicherheit betroffen, und weitere 2,5 Millionen sind gefährdet, ebenfalls von Nahrungsmittelunsicherheit in Mitleidenschaft gezogen zu werden (UNWFP 21.8.2019).

Der emiratischen Zeitung Gulf News zufolge wird die Versorgungssituation in von der Regierung gehaltenen Gebieten dadurch belastet, dass die Regierung nun auch für die Versorgung der befreiten Gebiete verantwortlich ist, die sich in den Vorjahren in den Händen der bewaffneten Opposition befanden (Gulf 17.1.2019). Im Frühjahr 2019 verschlechtern sich die

Lebensbedingungen trotz Rückgangs der Kampfhandlungen und es kommt selbst unter Loyalisten vermehrt zur Kritik an der syrischen Regierung (nicht jedoch an Präsident Assad selbst) aufgrund des Mangels an Treibstoff, Kochgas und Strom und auch der syrische Pfund verliert wieder an Wert (TWP 25.3.2019).

Die Trinkwasser- und Elektrizitätsversorgung ist infolge gezielter Zerstörung vor allem in umkämpften Gebieten eingeschränkt. 12,1 Millionen Menschen benötigen dringend Zugang zu (Trink-)Wasser, Sanitär- und Hygieneeinrichtungen. Insbesondere im Süden (Dara'a, Quneitra) sowie im Norden (Idlib, Aleppo) ist die Bevölkerung in hohem Maße auf durch Lastwagen im Rahmen der humanitären Hilfe geliefertes Wasser angewiesen (AA 13.11.2018).

2. Beweiswürdigung:

Die Feststellungen zur Person der Beschwerdeführerinnen ergeben sich aus den vorgelegten syrischen Reisepässen, den syrischen Personalausweisen sowie aus deren eigenen Angaben.

Die Feststellungen zur persönlichen und familiären Situation der Beschwerdeführerinnen ergeben sich aus deren glaubwürdigen Angaben im Laufe des gesamten Verfahrens.

Die Unbescholtenheit der Beschwerdeführerinnen ergibt sich aus der Einsichtnahme in das österreichische Strafregister.

Dass die Beschwerdeführerinnen bei einer Rückkehr nach Syrien nicht auf die Unterstützung der dort lebenden Angehörigen (zwei Tanten der BF2(=Töchter der BF1)) bauen können ergibt sich daraus, dass es innerhalb der Familie in Syrien zu Problemen gekommen ist, die ein Zusammenleben verunmöglichen. Auch der nicht mehr bestehende Kontakt zu den Familienmitgliedern in Syrien ist ein Indiz dafür, dass sich die Beschwerdeführerinnen bei einer Rückkehr nach Syrien nicht an diese wenden können um Unterstützung zu erhalten. Die BF2 ist in ihrem Heimatland auch keiner Erwerbstätigkeit nachgegangen bzw. hat auch keinen Beruf erlernt - sie war Schülerin, der es ihr ermöglichen würde sich alleine in Syrien zu versorgen. Die BF1 befindet sich in einem Alter und einem Gesundheitszustand, der eine Erwerbstätigkeit ausschließt. Somit kann diese auch nichts zu einem Lebensunterhalt in Syrien beitragen, im Gegenteil sie benötigt Hilfe und Pflege, was der BF2 das Nachgehen einer Berufstätigkeit und somit die Sicherung des Lebensunterhaltes für sich und ihre Großmutter verunmöglichen würde.

Wie sich aus den Länderberichten ergibt, ist eine alleinstehende, unverheiratete junge Frau (wie die BF2), sowie auch eine Witwe im Alter der BF1 ohne Familie in Syrien ohne gesellschaftliche und soziale Schutzmechanismen. Somit sind die Beschwerdeführerinnen der sozialen Gruppe der "alleinstehenden Frauen" zuzurechnen. Auch aus dem UNHCR-Papier zum "Schutzbedarf von Personen, die aus der Arabischen Republik Syrien fliehen" ergibt sich, dass Frauen die ohne familiäre Unterstützung nach Syrien zurückkehren müssen in erhöhtem Maße gefährdet sind Opfer von Übergriffen zu werden.

Die Feststellungen zur Situation in Syrien beruhen auf den genannten (nunmehr aktualisierten) Quellen, die schon das BFA seinem Bescheid zugrunde legte und die im Wesentlichen inhaltsgleich blieben. Es handelt sich um Berichte verschiedener anerkannter und teilweise vor Ort agierender staatlicher und nichtstaatlicher Institutionen und Personen, die in ihren Aussagen ein übereinstimmendes, schlüssiges Gesamtbild der Situation in Syrien ergeben. Angesichts der Seriosität der angeführten Erkenntnisquellen und der Plausibilität der überwiegend übereinstimmenden Aussagen besteht kein Grund, an der Richtigkeit der Angaben zu zweifeln.

3. Rechtliche Beurteilung:

Gemäß § 6 BVwGG entscheidet das Bundesverwaltungsgericht durch Einzelrichter, sofern nicht in Bundes- oder Landesgesetzen die Entscheidung durch Senate vorgesehen ist. Da eine Senatsentscheidung in den einschlägigen Bundesgesetzen nicht vorgesehen ist, liegt somit Einzelrichterzuständigkeit vor.

Das Verfahren der Verwaltungsgerichte mit Ausnahme des Bundesfinanzgerichtes ist durch das VwGVG, BGBl. I Nr. 33/2013 idF BGBl. I Nr. 122/2013, geregelt (§ 1 leg.cit.). Gemäß § 58 Abs. 2 VwGVG bleiben entgegenstehende Bestimmungen, die zum Zeitpunkt des Inkrafttretens dieses Bundesgesetzes bereits kundgemacht wurden, in Kraft.

Gemäß § 17 VwGVG sind, soweit in diesem Bundesgesetz nicht anderes bestimmt ist, auf das Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 B-VG die Bestimmungen des AVG mit Ausnahme der §§ 1 bis 5 sowie des IV. Teiles, die Bestimmungen der Bundesabgabenordnung - BAO, BGBl. Nr. 194/1961, des Agrarverfahrensgesetzes - AgrVG, BGBl. Nr. 173/1950, und des Dienstrechtsverfahrensgesetzes 1984 - DVG, BGBl. Nr. 29/1984, und im Übrigen jene verfahrensrechtlichen Bestimmungen in Bundes- oder Landesgesetzen sinngemäß anzuwenden, die die Behörde in dem dem Verfahren vor dem Verwaltungsgericht vorangegangenen Verfahren angewendet hat oder anzuwenden gehabt hätte.

Gemäß § 28 Abs. 1 VwGVG hat das Verwaltungsgericht die Rechtssache durch Erkenntnis zu erledigen, sofern die Beschwerde nicht zurückzuweisen oder das Verfahren einzustellen ist.

Gemäß § 28 Abs. 2 VwGVG hat das Verwaltungsgericht über Beschwerden dann in der Sache selbst zu entscheiden, wenn 1. der maßgebliche Sachverhalt feststeht oder 2. die Feststellung des maßgeblichen Sachverhaltes durch das Verwaltungsgericht selbst im Interesse der Raschheit gelegen oder mit einer eheblichen Kostenersparnis verbunden ist.

Zu Spruchpunkt A):

3.1. Gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 ist einem Fremden, der in Österreich einen Asylantrag gestellt hat, soweit der Antrag nicht wegen Drittstaatsicherheit oder wegen Zuständigkeit eines anderen Staates zurückzuweisen ist, der Status des Asylberechtigten zuzuerkennen, wenn glaubhaft ist, dass ihm im Herkunftsstaat Verfolgung iSd Art. 1 Abschnitt A Z 2 der Konvention über die Rechtsstellung der Flüchtlinge BGBl. 55/1955 (Genfer Flüchtlingskonvention, in der Folge: GFK) droht (vgl. auch die Verfolgungsdefinition in § 2 Abs. 1 Z 11 AsylG 2005, die auf Art. 9 der RL 2004/83/EG des Rates verweist). Gemäß § 3 Abs. 3 AsylG 2005 ist der Asylantrag bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten abzuweisen, wenn dem Fremden eine innerstaatliche Fluchtalternative (§ 11 AsylG 2005) offen steht oder wenn er einen Asylausschlussgrund (§ 6 AsylG 2005) gesetzt hat.

Flüchtling iSd Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK (idF des Art. 1 Abs. 2 des Protokolls über die Rechtsstellung der Flüchtlinge BGBl. 78/1974) - deren Bestimmungen gemäß § 74 AsylG 2005 unberührt bleiben - ist, wer sich "aus wohlbegründeter Furcht, aus Gründen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Gesinnung verfolgt zu werden, außerhalb seines Heimatlandes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, sich des Schutzes dieses Landes zu bedienen; oder wer staatenlos ist, sich außerhalb des Landes seines gewöhnlichen Aufenthaltes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, in dieses Land zurückzukehren."

Zentraler Aspekt des Flüchtlingsbegriffs der GFK ist die wohlbegründete Furcht vor Verfolgung. Wohlbegründet kann eine Furcht nur dann sein, wenn sie im Lichte der speziellen Situation des Asylwerbers und unter Berücksichtigung der Verhältnisse im Verfolgerstaat objektiv nachvollziehbar ist (vgl. zB VwGH 22.12.1999, 99/01/0334; 25.01.2001, 2001/20/0011). Es kommt nicht darauf an, ob sich eine bestimmte Person in einer konkreten Situation tatsächlich fürchtet, sondern ob sich eine mit Vernunft begabte Person in dieser Situation (aus Konventionsgründen) fürchten würde. Unter Verfolgung ist ein ungerechtfertigter Eingriff von erheblicher Intensität in die zu schützende persönliche Sphäre des Einzelnen zu verstehen. Erhebliche Intensität liegt vor, wenn der Eingriff geeignet ist, die Unzumutbarkeit der Inanspruchnahme des Schutzes des Heimatstaates bzw. der Rückkehr in das Land des vorigen Aufenthaltes zu begründen. Eine Verfolgungsgefahr ist dann anzunehmen, wenn eine Verfolgung mit einer maßgeblichen Wahrscheinlichkeit droht; die entfernte Möglichkeit einer Verfolgung genügt nicht (VwGH 21.12.2000, 2000/01/0131; 25.01.2001, 2001/20/0011). Die Verfolgungsgefahr muss ihre Ursache in einem der Gründe haben, welche Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK nennt (VwGH 09.09.1993, 93/01/0284; 23.11.2006, 2005/20/0551); sie muss Ursache dafür sein, dass sich der Asylwerber außerhalb seines Heimatlandes bzw. des Landes seines vorigen Aufenthaltes befindet.

Bei der Entscheidung, ob eine wohlbegründete Furcht vor Verfolgung besteht, handelt es sich immer um eine Prognoseentscheidung, die eine auf die Zukunft gerichtete Verfolgung verlangt. Das Wort "Furcht" bezieht sich dabei nicht nur auf Personen, die tatsächlich verfolgt wurden, sondern auch auf solche, die einer Situation aus dem Wege gehen möchten, die eine Gefahr der Verfolgung in sich birgt. (vgl. UNHCR, Ergänzende aktuelle Länderinformationen Syrien: Militärdienst, vom 30. November 2016, S. 1)

Wenn Asylsuchende in bestimmten Landesteilen vor Verfolgung sicher sind und ihnen insoweit auch zumutbar ist, den Schutz ihres Herkunftsstaates in Anspruch zu nehmen, bedürfen sie nicht des Schutzes durch Asyl (vgl. zB VwGH 24.03.1999, 98/01/0352 mwN; 15.03.2001, 99/20/0036). Damit ist nicht das Erfordernis einer landesweiten Verfolgung gemeint, sondern vielmehr, dass sich die asylrelevante Verfolgungsgefahr für den Betroffenen - mangels zumutbarer Ausweichmöglichkeit innerhalb des Herkunftsstaates - im gesamten Herkunftsstaat auswirken muss (VwSlg. 16.482 A/2004). Das Zumutbarkeitskalkül, das dem Konzept einer "internen Flucht- oder Schutzalternative" (VwSlg. 16.482 A/2004) innewohnt, setzt daher voraus, dass der Asylwerber dort nicht in eine ausweglose Lage gerät, zumal auch wirtschaftliche Benachteiligungen dann asylrelevant sein können, wenn sie jede Existenzgrundlage entziehen (VwGH 08.09.1999, 98/01/0614, 29.03.2001, 2000/20/0539; 17.03.2009, 2007/19/0459).

3.2. Wie bereits im Rahmen der Beweiswürdigung dargestellt wurde, ist es den Beschwerdeführerinnen gelungen, eine aktuelle bzw. drohende Verfolgungsgefahr - aufgrund der Tatsache, dass es sich bei der BF2 um eine junge, alleinstehende Frau handelt, deren gesamte Kernfamilie bereits in Österreich den Status von Asylberechtigten erhalten hat und bei der BF1 um eine 78jährige Witwe, also um alleinstehende Frau ohne familiäre Unterstützung in Syrien handelt - bei einer Rückkehr nach Syrien glaubhaft zu machen.

Den Beschwerden war daher stattzugeben.

Zu B) Unzulässigkeit der Revision:

Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer solchen Rechtsprechung, des Weiteren ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen.

Das Bundesverwaltungsgericht konnte sich bei allen erheblichen Rechtsfragen auf eine ständige Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes bzw. auf eine ohnehin klare Rechtslage stützen. Die maßgebliche Rechtsprechung wurde bei den Erwägungen zu den einzelnen Punkten bei Spruchteil A) wiedergegeben. Insoweit die in der rechtlichen Beurteilung angeführte Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes zu früheren Rechtslagen ergangen ist, ist diese nach Ansicht des Bundesverwaltungsgerichts auf die inhaltlich meist völlig gleichlautenden Bestimmungen der nunmehr geltenden Rechtslage unverändert übertragbar.

Es war sohin spruchgemäß zu entscheiden.

Schlagworte

alleinstehende Frau, Asylgewährung, asylrechtlich relevante
Verfolgung, Asylverfahren, begründete Furcht vor Verfolgung,
Bürgerkrieg, erhebliche Intensität, Fluchtgründe,
Flüchtlingseigenschaft, Glaubhaftmachung, Glaubwürdigkeit,
inländische Schutzalternative, innerstaatliche Fluchtalternative,
maßgebliche Wahrscheinlichkeit, mündliche Verhandlung,
Nachvollziehbarkeit, Prognose, Prognoseentscheidung, Unzumutbarkeit,
Verfolgungsgefahr, Verfolgungshandlung, wohlbegründete Furcht

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2019:W150.2151604.1.00

Zuletzt aktualisiert am

28.01.2020
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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