TE Bvwg Erkenntnis 2019/10/23 W234 1404500-4

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 23.10.2019
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Entscheidungsdatum

23.10.2019

Norm

AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §57
AsylG 2005 §8 Abs1
BFA-VG §18 Abs2 Z1
B-VG Art. 133 Abs4
FPG §53 Abs1
FPG §53 Abs3 Z1
FPG §55 Abs4

Spruch

W234 1404500-4/38E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch den Richter Dr. Thomas HORVATH über die Beschwerde von XXXX , geb. XXXX , StA. Russische Föderation, vertreten durch den Verein Menschenrechte Österreich, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 13.04.2018, Zl. XXXX , nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 23.07.2019, zu Recht:

A)

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang:

1. Der Beschwerdeführer brachte - damals minderjährig - erstmals am 18.09.2008 gemeinsam mit seinen zwei Brüdern und seiner Mutter einen Antrag auf internationalen Schutz ein, welcher am 25.03.2009 rechtskräftig gemäß § 5 AsylG zurückgewiesen wurde. Zur Begründung dieses Asylantrages führte seine Mutter aus, dass der Onkel des Beschwerdeführers dessen Vater angezeigt hätte, weil dieser den Untergrundkämpfern geholfen habe. Daraufhin sei der Vater des Beschwerdeführers von Russen abgeholt worden. Der Onkel hätte dann auch die Mutter angezeigt und ihr überdies ihre Kinder, den Beschwerdeführer und seine beiden Brüder, wegnehmen wollen, sodass sie schlussendlich geflüchtet seien.

2. Am 31.03.2009 brachte der Beschwerdeführer gemeinsam mit seiner Mutter und seinen zwei Brüdern einen weiteren Antrag auf internationalen Schutz ein. Das betreffende Verfahren wurde am 16.06.2009 wegen unbekannten Aufenthalts eingestellt.

3. Am 17.06.2009 stellte der Beschwerdeführer in der Schweiz und am 04.10.2010 in Belgien gemeinsam mit seiner Mutter und seinen zwei Brüdern weitere Asylanträge.

4. Letztlich stellte der Beschwerdeführer am 07.10.2011 - gemeinsam mit seinen Brüdern, aber ohne seine Mutter (die sich damals noch nicht wieder in Österreich aufhielt) - den hier maßgeblichen Antrag auf internationalen Schutz. Diesen begründete er im Wesentlichen damit, seine Mutter wünsche, dass er sich bei seiner Tante, ihrer Schwester, in Österreich aufhalte, weil er in der Heimat Probleme mit seinem Onkel väterlicherseits gehabt hätte.

5. Dieser Antrag wurde zunächst mit Bescheid des Bundesasylamts vom 15.11.2013 für den Status des Asyl- wie des subsidiär Schutzberechtigten abgewiesen; unter einem wurde der Beschwerdeführer aus dem österreichischen Bundesgebiet in die Russische Föderation ausgewiesen.

6. Gegen diesen Bescheid führte der Beschwerdeführer erfolgreich Beschwerde, sodass der Bescheid mit Beschluss des Bundesverwaltungsgerichts vom 31.01.2017 aufgehoben und die Angelegenheit gemäß § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG zur Erlassung eines neuen Bescheids an das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (im Folgenden: Bundesamt) zurückverwiesen wurde. Denn - so das Bundeverwaltungsgericht - die belangte Behörde hätte sich nicht mit der Einvernahme seiner Tante und seines Bruders XXXX begnügen dürfen, sondern hätte auch den Beschwerdeführer zu seinem Antrag auf internationalen Schutz einzuvernehmen gehabt.

7. In seiner Einvernahme vor dem Bundesamt am 11.04.2018 führte der Beschwerdeführer zu seinen Fluchtgründen befragt aus, dass er als 10-Jähriger mit seiner Mutter aufgrund von Problemen mit der Polizei aus Tschetschenien ausgereist sei. Sein Vater habe vielleicht wegen des Krieges Probleme gehabt. Weitere Fluchtgründe habe er nicht. Sein Vater sei im Jahr 2017 in der Russischen Föderation verstorben. Seine Mutter sei im Bezirk XXXX aufhältig und lebe in einem Haushalt mit seinem jüngeren Bruder. Zu diesen habe er Kontakt. Zu seinem älteren Bruder, der in der Justizanstalt XXXX in Haft sei, stehe er nicht in Kontakt. Persönliche Probleme habe er in Tschetschenien als Schüler gehabt, weil er an Schlägereien beteiligt gewesen sei.

8. Das Bundesamt wies mit dem hier angefochtenen Bescheid seinen Antrag auf internationalen Schutz vom 07.10.2011 für den Status des Asyl- wie des subsidiär Schutzberechtigten ab (Spruchpunkt I. und II.). Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG 2005 wurde dem Beschwerdeführer nicht erteilt (Spruchpunkt III.). Eine Rückkehrentscheidung wurde gegen ihn erlassen (Spruchpunkt IV.) und festgestellt, dass seine Abschiebung in die Russische Föderation zulässig sei (Spruchpunkt V.). Eine Frist für seine freiwillige Ausreise wurde gemäß § 55 Abs. 4 FPG 2005 nicht gewährt (Spruchpunkt VI.). Ferner wurde ein auf die Dauer von fünf Jahren befristetes Einreiseverbot gemäß § 53 Abs. 1 iVm Abs. 3 Z 1 FPG 2005 gegen den Beschwerdeführer erlassen (Spruchpunkt VII.). Schließlich wurde der Beschwerde gegen die Rückkehrentscheidung gemäß § 18 Abs. 2 Z 1 BFA-VG die aufschiebende Wirkung aberkannt (Spruchpunkt VIII.).

Dies begründet das Bundesamt im Wesentlichen damit, dass das Fluchtvorbringen des Beschwerdeführers nicht glaubhaft sei. Ferner würden ihm im Herkunftsstaat keine Rechtsverletzungen drohen, welche die Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten gebieten würden. Zudem sei er in Österreich nicht derart intensiv integriert, dass dies der Beendigung seines Aufenthalts hier dauerhaft entgegenstehen würde. Ferner würde der Beschwerdeführer wegen seiner wiederholten strafrechtlichen Verurteilungen eine Gefahr für die öffentliche Ordnung und Sicherheit darstellen, weswegen das genannte Einreiseverbot gegen ihn zu verhängen sei. Zudem sei seine sofortige Ausreise im Interesse der öffentlichen Ordnung und Sicherheit erforderlich, sodass einer Beschwerde gegen die Rückkehr-entscheidung die aufschiebende Wirkung abzuerkennen sei.

9. Gegen diesen Bescheid wurde vom Beschwerdeführer - durch seine bevollmächtigte Rechtsberatungsorganisation - die vorliegende Beschwerde erhoben. Der Bescheid wird in vollem Umfang wegen inhaltlicher Rechtswidrigkeit, unrichtiger rechtlicher Beurteilung und Mangelhaftigkeit des Verfahrens wegen fehlerhafter bzw. unzureichender Ermittlungen und mangelhafter Beweiswürdigung angefochten.

10. Mit Schriftsatz des Bundesamtes vom 11.04.2018, eingelangt am 17.05.2018, wurde die Beschwerde samt den dazugehörigen Verwaltungsakten dem Bundesverwaltungsgericht zur Entscheidung vorgelegt.

11. Am 07.01.2019 führte das Bundesverwaltungsgericht unter Beiziehung einer Dolmetscherin für die Sprache Russisch eine öffentliche mündliche Verhandlung durch, an welcher der Beschwerdeführer teilnahm. Der Rechtsvertreter des Beschwerdeführers erschien unentschuldigt nicht. Der Beschwerdeführer führte aus, dass er es vorziehen würde, die Verhandlung in Anwesenheit eines Rechtsvertreters durchzuführen. Die Verhandlung wurde vertagt.

12. Mit Schreiben vom 05.07.2019 legte der Beschwerdeführer Unterlagen zu seiner Berufsausbildung während der Haft und der Teilnahme an psychosozialer Beratung und Betreuung vor.

13. Am 23.07.2019 führte das Bundesverwaltungsgericht unter Beiziehung einer Dolmetscherin für die Sprache Russisch eine öffentliche mündliche Verhandlung durch, an welcher der Beschwerdeführer, sein Rechtsvertreter, seine Mutter und Tante als Zeuginnen und ein Vertreter des Bundesamtes teilnahmen. In der mündlichen Verhandlung brachte der Beschwerdeführer vor, dass er gemeinsam mit seinem jüngeren Bruder in einem Haushalt in Niederösterreich lebe. Seine Mutter sei in Wien aufhältig. Er beziehe Arbeitslosengeld und suche derzeit eine Arbeit. In Österreich würde auch seine Tante mütterlicherseits mit ihren drei Söhnen leben. In Tschetschenien sei er zuletzt im Jahr 2008 gewesen. Seine Mutter und Geschwister hätten in Tschetschenien bei den Großeltern mütterlicherseits gelebt. In Tschetschenien habe er noch Verwandte, darunter einen Onkel väterlicherseits und einen Onkel mütterlicherseits. Sein Vater sei bereits verstorben. Zu seinen Fluchtgründen befragt gab er an, dass er auf die Frage keine Antwort hätte. Er wolle in Österreich arbeiten, leben und heiraten. Bei einer Rückkehr befürchte er, dass er inhaftiert werden würde, weil er keinen russischen Reisepass besitzen würde. Warum seine Familie Tschetschenien verlassen habe, wisse er nicht.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

Der entscheidungsrelevante Sachverhalt steht fest. Auf Grund des Antrags auf internationalen Schutz vom 07.10.2011, der Befragung des Beschwerdeführers durch die Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes, seiner Einvernahme durch das Bundesamt vom 11.04.2018, der Beschwerde gegen den angefochtenen Bescheid, der Ergebnisse der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht, der Stellungnahmen der Parteien im Verfahren, der Einsichtnahme in den Verwaltungsakt sowie der Einsichtnahme in das Zentrale Melderegister, das Fremdeninformationssystem, das Strafregister und das Grundversorgungs-Informationssystem werden folgende Feststellungen getroffen und der Entscheidung zugrunde gelegt:

1.1. Zur Person des Beschwerdeführers

1.1.1. Der Beschwerdeführer ist Staatsangehöriger der Russischen Föderation. Er wurde in Atschchoi-Martan, Russische Föderation, geboren, wo er die Grundschule bis zur 4. Klasse besuchte. Der Beschwerdeführer ist Angehöriger der Volksgruppe der Tschetschenen und sunnitischer Moslem.

1.1.2. Der Beschwerdeführer verließ die Russische Föderation im Jahr 2008; bis dahin lebte er in Tschetschenien und besuchte dort vier Jahre lang die Schule. Der Beschwerdeführer und seine Mutter und Geschwister lebten bei den Großeltern mütterlicherseits in Katar-Jurt, Tschetschenien. Der Beschwerdeführer beherrscht die tschetschenische und russische Sprache. Der Beschwerdeführer hat nie einen Deutschkurs absolviert, versteht die deutsche Sprache jedoch ausnahmslos und ist in der Lage, sich auf Deutsch verbal sehr gut auszudrücken.

Der Beschwerdeführer hielt sich während der Jahre 2008 und 2009 in Summe etwa sieben Monate (unterbrochen durch einen kurzen Aufenthalt in Polen nach einer Abschiebung) im österreichischen Bundesgebiet und danach in der Schweiz und Belgien auf. Seit Oktober 2011 hält sich der Beschwerdeführer durchgehend im österreichischen Bundesgebiet auf.

Dem Beschwerdeführer kam nie ein anderes Aufenthaltsrecht als jenes als Asylwerber zu.

1.1.3. Die Mutter und die zwei Brüder des Beschwerdeführers sind in Österreich aufhältig.

Die Mutter des Beschwerdeführers ( XXXX ) lebt als Asylwerberin in Wien. Über die Abweisung ihres Antrags auf internationalen Schutz (verbunden mit einer Rückkehrentscheidung und der Feststellungen, dass ihre Abschiebung in die Russische Föderation zulässig ist) ist ein Beschwerdeverfahren beim Bundesverwaltungsgericht anhängig.

Der ältere Bruder des Beschwerdeführers ( XXXX ) befindet sich derzeit in Strafhaft; gegen Ihn wurde eine rechtskräftige Rückkehrentscheidung erlassen.

Der Beschwerdeführer lebt mit seinem jüngeren Bruder ( XXXX ) in einem Haushalt in Niederösterreich. Gegen den jüngeren Bruder des Beschwerdeführers wurde mit Bescheid des Bundesamts vom 24.07.2019 - verbunden mit einer Abweisung seines Antrags auf Zuerkennung eines Aufenthaltstitels aus Gründen des Art. 8 EMRK - eine Rückkehrentscheidung erlassen und festgestellt, dass seine Abschiebung in die Russische Föderation zulässig sei. Gegen diesen Bescheid ist eine Beschwerde beim Bundesverwaltungsgericht anhängig. In der Vergangenheit kam XXXX bereits eine "Aufenthaltsberechtigung plus aus Gründen des Art. 8 EMRK" zuletzt gültig bis zum 04.09.2018 zu. Auch er stellte gemeinsam mit dem Beschwerdeführer am 07.10.2011 seinen einzigen Antrag auf internationalen Schutz, der in der Sache erledigt wurde. Dieser Antrag wurde mit Bescheid des Bundesasylamts vom 15.11.2013 für die Zuerkennung des Status des Asyl- wie subsidiär Schutzberechtigten abgewiesen; insoweit erwuchs dieser Bescheid des Bundesasylamts in Rechtskraft, weil die gegen ihn gerichtete Beschwerde insoweit zurückgezogen wurde.

Ferner lebt die Tante mütterlicherseits des Beschwerdeführers ( XXXX) mit ihren drei Kindern in Österreich. Die Tante des Beschwerdeführers und deren Kinder sind in Österreich anerkannte Flüchtlinge. Nach der Wiedereinreise des Beschwerdeführers im Jahr 2011 wurde die Tante zu seiner Obsorgeberechtigten bis zum Erreichen der Volljährigkeit bestellt.

Der Beschwerdeführer besucht seine Mutter sowie seine Tante und deren Kinder ca. einmal wöchentlich.

Der Vater des Beschwerdeführers ist bereits verstorben. Der Beschwerdeführer verfügt über Verwandte in der Russischen Föderation, in Tschetschenien. Darunter befinden sich zwei Onkel mütterlicherseits und ein Onkel väterlicherseits. Der Beschwerdeführer steht zu diesen nicht in Kontakt. Der Beschwerdeführer hat unregelmäßigen telefonischen Kontakt zu einem seiner Cousins mütterlicherseits in Tschetschenien. Die Mutter und die Tante des Beschwerdeführers haben regelmäßig telefonischen Kontakt zu ihren Geschwistern in Tschetschenien.

1.1.4. Der Beschwerdeführer ist ledig und kinderlos. Er ist gesund und arbeitsfähig.

1.1.5. Der Beschwerdeführer weist folgende strafgerichtliche Verurteilungen auf:

1) Landesgericht XXXX vom XXXX rechtskräftig am XXXX , wegen §§ 127, 129 Z 2 StGB § 15 StGB, § 91 (2) StGB (Verbrechen des Diebstahls teils durch Einbruch und das Vergehen des Raufhandels) zu einer bedingten Freiheitsstrafe von XXXX Monaten und einer Probezeit von drei Jahren sowie Anordnung der Bewährungshilfe.

Denn der Beschwerdeführer hat mit weiteren Mittäter in sieben Angriffen sieben Zeitungskassen der Mediaprint abgerissen und in der Folge aufgebrochen. Ferner hat der Beschwerdeführer an einem Angriff mehrerer tätlich teilgenommen, wobei der Angriff eine Körperverletzung eines Opfers nach sich zog.

Für die Strafbemessung mildernd wurden das Geständnis, der bisherige ordentliche Lebenswandel, der Umstand, dass es teilweise beim Versuch blieb, und erschwerend das Zusammentreffen eines Verbrechens und eines Vergehens berücksichtigt.

2) Landesgericht XXXX vom XXXX , rechtskräftig am XXXX , wegen § 142

(2) StGB, §§ 105 (1), 106 (1) Z 1 1. Fall StGB (Verbrechen des Raubes und der schweren Nötigung) zu einer Freiheitsstrafe von XXXX Monaten, davon XXXX Monate bedingt und einer Probezeit von drei Jahren sowie Anordnung der Bewährungshilfe:

Denn der Beschwerdeführer hat sich mit weiteren Mittätern in numerischer Überlegenheit den Opfern gegenüber aufgestellt, diese scheinhalber zum Ankauf von Suchtgift bei ihnen aufgefordert, diesen hernach Bargeld weggenommen und die Rückforderung desselben durch Inaussichtstellen eines Übels, ein Mittäter dadurch, dass er eine Gasdruckpistole gegen die Opfer richtete, unterbunden. Der Beschwerdeführer hat den Raub ohne Anwendung erheblicher Gewalt an einer Sache geringen Wertes begangen und die Tat hat nur unbedeutende Folgen nach sich gezogen.

Ferner hat der Beschwerdeführer gemeinsam mit anderen Mittätern ein Opfer zur Handlung des Wegwerfens ihres Mobiltelefons durch gefährliche Drohung, nämlich durch Aufrechterhaltung desselben Bedrohungsszenarios sowie durch eine Todesdrohung, wobei ein Mittäter nach wie vor eine Gasdruckpistole gegen das Opfer richtete, genötigt.

Für die Strafbemessung als erschwerend wurden das Zusammentreffen zweier Verbrechen, eine einschlägige Vorstrafe sowie die Tatbegehung in offener Probezeit gewertet; ein Milderungsgrund lag nicht vor.

3) Landesgericht XXXX vom XXXX , rechtskräftig am XXXX , wegen §§ 127, 129 (1) Z 2 StGB (Vergehen des Diebstahls durch Einbruch) zu einer Freiheitsstrafe von XXXX Monaten

Denn der Beschwerdeführer und weitere Mittäter haben einer Firma Bargeld iHv € 200 mit Bereicherungsvorsatz weggenommen, indem sie mit einem Brecheisen einen Spielautomaten aufbrachen und das Bargeld entnahmen.

Für die Strafbemessung mildernd wurden das Geständnis und die Tatbegehung im Alter von unter 21 Jahren, erschwerend die Tatbegehung in offener Probezeit und eine einschlägige Vorstrafe berücksichtigt.

4) Landesgericht XXXX vom XXXX , rechtskräftig am XXXX , wegen § 146 StGB, § 127 StGB (Vergehen des Diebstahls und des Betruges) zu einer Freiheitsstrafe von XXXX Monaten

Denn der Beschwerdeführer hat mit Bereicherungsvorsatz einem anderen zwei Packungen Cannabiskraut weggenommen. Ferner hat der Beschwerdeführer gemeinsam mit weiteren Mittätern einen anderen unter dem Vorwand dessen Mobiltelefon im Wert von ca. € 500 ansehen zu wollen, dazu veranlasst, ihnen dieses zu übergeben und dieses für sich einbehalten.

Für die Strafbemessung mildernd wurden der geringe Beutewert, das volle Geständnis, das teilweise Vorliegen der Voraussetzungen nach §§ 31 und 40 StGB sowie die Tatbegehung im Alter von unter 21 Jahren berücksichtigt. Erschwerend wurden beim Beschwerdeführer die drei einschlägigen Vorstrafen, der rasche Rückfall, die Tatbegehung in offener Probezeit und das Zusammentreffen von zwei Vergehen berücksichtigt.

5) Landesgericht XXXX vom XXXX , rechtskräftig am XXXX , wegen § 84

(4) StGB (Verbrechen der schweren Körperverletzung) zu einer Freiheitsstrafe von XXXX Monaten:

Denn der Beschwerdeführer hat einem anderen durch einen Schlag mit der Faust, in welcher er einen nicht mehr feststellbaren Gegenstand hielt, gegen das Gesicht versetzt, und dadurch, wenn auch nur fahrlässig, eine schwere Körperverletzung des Opfers, nämlich einen Nasenbeinbruch mit Verschiebung der Bruchstücke mit Hämatombildung im Nasenbereich herbeigeführt.

Für die Strafbemessung mildernd wurden das Alter des Beschwerdeführers von unter 21 Jahren, erschwerend der rasche Rückfall, die Tatbegehung während des Vollzuges und zwei einschlägige Vorstrafen berücksichtigt.

Zuletzt wurde der Beschwerdeführer am 29.05.2019 nach Verbüßung von 32 Monaten und 8 Tagen Freiheitsstrafe (von insgesamt verhängten 48 Monaten und 8 Tagen) bedingt aus der Strafhaft entlassen. Im Beschluss über die bedingte Entlassung wird ausgeführt, dass der Beschwerdeführer zwar eine durchwachsene Führung aufweise, jedoch ein Festnahmeauftrag des Bundesamts und die Voraussetzungen für die Verhängung der Schubhaft vorliegen würden, sodass die Voraussetzungen gemäß § 46 StGB gegeben seien.

1.1.6. Der Beschwerdeführer nahm während seiner Haft regelmäßig an psychosozialer Beratung und Betreuung durch den psychologischen Dienst der Justizanstalt teil, wobei unter anderem sein Suchtmittelkonsum thematisiert wurde.

1.1.7. Der Beschwerdeführer ist in Österreich nicht erwerbstätig. In der Vergangenheit assistierte er seiner Tante für etwa ein Jahr dabei, Zeitungen auszutragen. Der Beschwerdeführer bezieht seit 05.06.2019 Arbeitslosengeld in Höhe von € 25,24 täglich. Das voraussichtliche Leistungsende ist der 22.10.2019. Der Beschwerdeführer wird durch seine Tante gelegentlich mit kleineren Geldbeträgen zwischen 20 und 50 Euro, die er sich mit seinem jüngeren Bruder teilen muss, unterstützt. Ferner unterstützt ihn seine Mutter gelegentlich durch Lebensmittel, die er sich mit seinem jüngeren Bruder teilen muss. Der Beschwerdeführer bezahlt die Miete der Wohnung, die er gemeinsam mit seinem jüngeren Bruder bewohnt.

1.1.8. Der Beschwerdeführer absolvierte während seiner Haft die erste Fachklasse der Berufsschule des Bundes in XXXX für den Lehrberuf Karosseriebautechnik. Derzeit ist er mit Unterstützung des Arbeitsmarktservices XXXX auf der Suche nach einer Lehrstelle.

1.1.9. Der Beschwerdeführer unterhält Freundschaften zu dauerhaft in Österreich aufenthaltsberechtigten Personen.

1.2. Zu den Fluchtgründen des Beschwerdeführers

Es kann nicht festgestellt werden, dass der Beschwerdeführer im Fall seiner Rückkehr in die Russische Föderation mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit zielgerichtet gegen ihn gerichtete Übergriffe staatlicher Organe oder Privater mit hinreichender Wahrscheinlichkeit zu erwarten hätte:

Insbesondere kann nicht festgestellt werden, dass der Beschwerdeführer nach seiner Rückkehr mit hinreichender Wahrscheinlichkeit Übergriffe seines Onkels väterlicherseits namens XXXX zu erwarten hätte.

Insbesondere kann ferner nicht festgestellt werden, dass der Beschwerdeführer nach seiner Rückkehr mit hinreichender Wahrscheinlichkeit Übergriffe seines Onkels mütterlicherseits namens XXXX zu erwarten hätte.

Schließlich kann insbesondere nicht festgestellt werden, dass der Beschwerdeführer Übergriffe der Behörden ernstlich zu erwarten hätte, weil sein Vater und seine Mutter vor der Ausreise des Beschwerdeführers tschetschenische Kämpfer unterstützt haben und deswegen angezeigt worden sein sollen.

1.3. Zur Situation in der Russischen Föderation enthält das Länderinformationsblatt der Staatendokumentation vom 31.08.2018 in der Fassung der letzten Kurzinformation vom 28.02.2019 folgende - mit Blick auf das Vorbringen des Beschwerdeführers maßgebliche - Ausführungen, die das Bundesverwaltungsgericht als örtliche Gegebenheiten im Herkunftsstaat feststellt:

1. Neueste Ereignisse - Integrierte Kurzinformationen

Der Inhalt dieser Kurzinformation wird mit heutigem Datum in das LIB Russische Föderation übernommen (Abschnitt 1/Relevant für Abschnitt 18.4 Homosexuelle).

Ende 2018 kam es in Tschetschenien wieder zur Verhaftung von Homosexuellen. Laut Angaben des russischen LGBT-Netzwerkes wurden mindestens 40 Frauen und Männer inhaftiert, mindestens zwei sollen im Zuge von Folter getötet worden sein (LGBT Netzwerk 14.1.2019, vgl. Nowaja Gaseta 18.1.2019). Laut dem Leiter des LGBT-Netzwerkes, Igor Kotschetkow, kam es nicht nur zur physischen Bedrohung bis zur Inkaufnahme des Todes der Festgehaltenen, sondern die Sicherheitskräfte sollen auch versucht haben, die Frauen und Männer daran zu hindern, aus der Teilrepublik auszureisen oder vor Gericht zu ziehen (NZZ 18.1.2019, vgl. UN News 13.2.2019). Die Kampagne, deren Muster und auch der Ort der Inhaftierung, eine Anlage in der Stadt Argun, erinnern an eine erste Welle an Verhaftungen von tschetschenischen Homosexuellen vor zwei Jahren. Nach Einschätzung von Menschenrechtsaktivisten gingen die Einschüchterungen, Festnahmen und Gewalttaten gegen Lesben, Schwule, Bisexuelle und Transgender weiter. Im Frühsommer 2017 hatte das Ermittlungskomitee von höchster Stelle in Moskau aus wegen starken internationalen Drucks eine Untersuchung der schwerwiegenden Vorwürfe angeordnet. Diese brachte allerdings nie konkrete Resultate (NZZ 18.1.2019, vgl. Nowaja Gaseta 18.1.2019).

Quellen:

-

Russisches LGBT-Netzwerk (14.1.2019): New wave of persecution against LGBT people in Chechnya: around 40 people detained, at least two killed,

https://lgbtnet.org/en/newseng/newwave-persecution-against-lgbt-people-chechnya-around-40-people-detained-least-two-killed, Zugriff 28.2.2019

-

Nowaja Gaseta (18.1.2019): ,

https://www.novayagazeta.ru/articles/2019/01/16/79205-legitimnye-zhertvy, Zugriff 28.2.2019

-

NZZ - Neue Zürcher Zeitung (18.1.2019): In Tschetschenien hat eine neue Welle der Verfolgung Homosexueller begonnen, https://www.nzz.ch/international/in-tschetschenien-hat-eine-neue-welleder-verfolgung-homosexueller-begonnen-ld.1452401, Zugriff 28.2.2019

-

UN News (13.2.2019): LGBT community in Chechnya faces 'new wave of persecution': UN human rights experts, https://news.un.org/en/story/2019/02/1032641, Zugriff 28.2.2019

Der Inhalt dieser Kurzinformation wird mit heutigem Datum in das LIB RUSS übernommen (Abschnitt 1/Relevant für Abschnitt 16.3. Zeugen Jehovas).

Änderungen seit Mai 2018:

Erstens wurde weitere, die Zeugen Jehovas betreffende Literatur in die "Föderale Liste extremistischer Materialien" des Justizministeriums der RF

(http://minjust.ru/ru/extremistmaterials?field_extremist_content_value) aufgenommen. Es handelt sich dabei um die Positionen 4471, 4472, 4485 bis 4488 und 4502, die aufgrund der Entscheidungen diverser russischer Gerichte am 5.7.2018 bzw. am 31.8.2018 in die Liste aufgenommen wurden. Zweitens wurde der Erlass N 11 "Über die gerichtliche Praxis in Strafsachen zu Verbrechen mit extremistischer Ausrichtung" des Plenums des Obersten Gerichts vom 28.6.2011 am 20.9.2018 novelliert, die Definition der Z 20 Abs. 2, was unter einer Teilnahme an einer extremistischen Organisation iSd Art. 282.2 russ. StGB zu verstehen ist, ist aber ebenso unverändert geblieben wie der Art. 282.2 russ. StGB ("Organisation der Tätigkeit einer extremistischen Organisation") selbst. Auch die Entscheidung des Obersten Gerichts der RF N AKPI 17-238 vom 20. April 2017, mit der das "Leitungszentrum der Zeugen Jehovas in Russland" als extremistische Organisation eingestuft und verboten wurde, ist unverändert gültig.

Unter dem Link http://gorod-che.ru/new/2018/10/10/58877 findet sich ein Artikel vom 10.10.2018, wonach fünf Bewohner der Kirowsker Oblast festgenommen wurden wegen des Versuches, die Tätigkeit einer religiösen Organisation, die die Glaubenslehre der Zeugen Jehovas weiterverbreitet, wieder aufzunehmen. Trotz der Verbotsentscheidung des Obersten Gerichts vom 20.4.2017 hätten die Festgenommenen laut Untersuchungskomitee - in voller Kenntnis der Gerichtsentscheidung - in der Zeit vom 16.8.2017 bis zum 29.9.2018 beschlossen, die religiöse Tätigkeit wieder aufzunehmen.

Unter Beachtung aller konspirativen Maßnahmen hätten sie jedes Mal in neuen Wohnungen Treffen von Jüngern und Teilnehmern der religiösen Vereinigung organisiert. Dort hätten sie biblische Lieder gesungen, die Fertigkeiten bei der Durchführung der missionarischen Tätigkeit vervollkommnet und in der Extremismus-Liste aufgeführte verbotene Literatur studiert (New World Translation of the Holy Scriptures, Nr. 4488 der Liste). Außerdem hätten sie eine verbotene religiöse Organisation finanziert, indem sie ca. 500.000 RUB von den Glaubensanhängern gesammelt hätten. Dieses Geld sei zwischen den Führern der Organisation für die Miete der Räumlichkeiten, für den Erwerb und die Wartung von Computern aufgewendet worden. Der Rest der Summe sei dem Leitungszentrum überwiesen worden.

Art. 282.3 des russ. StGB

(http://www.consultant.ru/document/cons_doc_LAW_10699/51346ce1f845bc43ee6f3eadfa69f6511 9c941fa/) stellt die Finanzierung einer extremistischen Tätigkeit unter gerichtliche Strafe. Er lautet:

"Art. 282.3 Finanzierung einer extremistischen Tätigkeit

1. Die Zurverfügungstellung oder Sammlung von Mitteln oder die Erbringung finanzieller Dienstleistungen, wissentlich bestimmt für die Finanzierung der Organisation, der Vorbereitung und Begehung zumindest eines der Verbrechen extremistischer Ausrichtung oder für die Sicherstellung der Tätigkeit einer extremistischen Vereinigung oder extremistischen Organisation wird mit einer Geldstrafe in der Höhe von 300.000 bis 700.000 RUB bestraft oder in der Höhe des Arbeits- oder eines anderen Einkommens des Verurteilten für einen Zeitraum von 2 bis 4 Jahren oder mit Zwangsarbeiten für einen Zeitraum von 1 bis 4 Jahren mit dem Entzug des Rechts, bestimmte Positionen einzunehmen oder bestimmte Tätigkeiten auszuüben mit einer Frist bis zu 3 Jahren oder ohne einen solchen und mit einer Beschränkung der Freiheit mit einer Frist bis zu 1 Jahr oder mit Freiheitsstrafe von 3 bis 8 Jahren.

2. Diese Taten, begangen von einer Person unter Ausnutzung ihrer Amtsstellung wird mit einer Geldstrafe in der Höhe von 300.000 bis 700.000 RUB bestraft oder in der Höhe des Arbeits- oder eines anderen Einkommens des Verurteilten für einen Zeitraum von 2 bis 4 Jahren oder ohne eine solche oder mit Zwangsarbeiten für einen Zeitraum von 2 bis 5 Jahren mit dem Entzug des Rechts, bestimmte Positionen einzunehmen oder bestimmte Tätigkeiten auszuüben mit einer Frist bis zu 5 Jahren oder ohne einen solchen und mit einer Beschränkung der Freiheit mit einer Frist von 1 bis zu 2 Jahren oder mit Freiheitsstrafe von 5 bis 10 Jahren.

Anmerkung: Eine Person, die erstmals ein Verbrechen gemäß dieses Art. begangen hat, wird von der strafrechtlichen Verantwortlichkeit frei, wenn sie mittels rechtzeitiger Benachrichtigung der Behörden oder auf andere Weise die Verhinderung des Verbrechens, das sie finanziert hat, sichergestellt hat, ebenso wenn sie die Verhinderung der Tätigkeit der extremistischen Gesellschaft oder der extremistischen Organisation sichergestellt hat, für deren Sicherstellung der Tätigkeit sie Mittel zur Verfügung gestellt oder gesammelt oder finanzielle Dienstleistungen erbracht hat, wenn in ihren Handlungen kein anderer Straftatbestand enthalten ist."

Teilnahmen an gemeinschaftlichen Zusammenkünften bzw. Missionierungen oder öffentlichen Handlungen (der Zeugen Jehovas) werden also von den russischen Behörden im Lichte der Verbotsentscheidung des Obersten Gerichts, des Auslegungserlasses und der Extremismus-Liste des russischen Justizministeriums im Rahmen der russischen Strafgesetze weiterhin verfolgt.

Eine nochmalige Internetrecherche der ÖB Moskau hat aber weiterhin keine Hinweise erbracht, dass einfache Gläubige der Zeugen Jehovas, die nicht an gemeinschaftlichen Zusammenkünften bzw. Missionierungen oder öffentlichen Handlungen teilnehmen, von legalen Repressionen betroffen wären.

Quellen:

-

ÖB Moskau (23.10.2018): Information per Email

Der Inhalt dieser Kurzinformation wird mit heutigem Datum in das LIB Russische Föderation übernommen (Abschnitt 1/Relevant für Abschnitt 19. Bewegungsfreiheit bzw. 19.2. Tschetschenen in der Russischen Föderation außerhalb Tschetscheniens).

Bekanntlich werden innerstaatliche Fluchtmöglichkeiten innerhalb Russlands seitens renommierter Menschenrechtseinrichtungen meist unter Verweis auf die Umtriebe der Schergen des tschetschenischen Machthabers Kadyrow im ganzen Land in Abrede gestellt. Der medialen Berichterstattung zufolge scheint das Netzwerk von Kadyrow auch in der tschetschenischen Diaspora im Ausland tätig zu sein. Dem ist entgegenzuhalten, dass renommierte Denkfabriken auf die hauptsächlich ökonomischen Gründe für die Migration aus dem Nordkaukasus und die Grenzen der Macht von Kadyrow außerhalb Tschetscheniens hinweisen. So sollen laut einer Analyse des Moskauer Carnegie-Zentrums die meisten Tschetschenen derzeit aus rein ökonomischen Gründen emigrieren: Tschetschenien bleibe zwar unter der Kontrolle von Kadyrow, seine Macht reiche allerdings nicht über die Grenzen der Teilrepublik hinaus. Zur Förderung der sozio-ökonomischen Entwicklung des Nordkaukasus dient ein eigenständiges Ministerium, das sich dabei gezielt um die Zusammenarbeit mit dem Ausland bemüht (ÖB Moskau 10.10.2018).

Quellen:

-

ÖB Moskau (10.10.2018): Information per Email

Der Inhalt dieser Kurzinformation wird mit heutigem Datum in das LIB Russische Föderation übernommen (Abschnitt 1/Relevant für Abschnitt 4. Rechtsschutz / Justizwesen).

Die russischen Behörden zeigen sich durchaus bemüht, den Vorwürfen der Verfolgung von bestimmten Personengruppen in Tschetschenien nachzugehen. Bei einem Treffen mit Präsident Putin Anfang Mai 2017 betonte die russische Ombudsfrau für Menschenrechte allerdings, dass zur Inanspruchnahme von staatlichem Schutz eine gewisse Kooperationsbereitschaft der mutmaßlichen Opfer erforderlich sei. Das von der Ombudsfrau Moskalkova gegenüber Präsident Putin genannte Gesetz sieht staatlichen Schutz von Opfern, Zeugen, Experten und anderen Teilnehmern von Strafverfahren sowie deren Angehörigen vor. Unter den Schutzmaßnahmen sind im Gesetz Bewachung der betroffenen Personen und deren Wohnungen, strengere Schutzmaßnahmen in Bezug auf die personenbezogenen Daten der Betroffenen sowie vorläufige Unterbringung an einem sicheren Ort vorgesehen. Wenn es sich um schwere oder besonders schwere Verbrechen handelt, sind auch Schutzmaßnahmen wie Umsiedlung in andere Regionen, Ausstellung neuer Dokumente, Veränderung des Aussehens etc. möglich. Die Möglichkeiten des russischen Staates zum Schutz von Teilnehmern von Strafverfahren beschränken sich allerdings nicht nur auf den innerstaatlichen Bereich. So wurde im Rahmen der GUS ein internationales Abkommen über den Schutz von Teilnehmern im Strafverfahren erarbeitet, das im Jahr 2006 in Minsk unterzeichnet, im Jahr 2008 von Russland ratifiziert und im Jahr 2009 in Kraft getreten ist. Das Dokument sieht vor, dass die Teilnehmerstaaten einander um Hilfe beim Schutz von Opfern, Zeugen und anderen Teilnehmern von Strafverfahren ersuchen können. Unter den Schutzmaßnahmen sind vorläufige Unterbringungen an einem sicheren Ort in einem der Teilnehmerstaaten, die Umsiedlung der betroffenen Personen in einen der Teilnehmerstaaten, etc. vorgesehen (ÖB Moskau 10.10.2018).

Quellen:

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ÖB Moskau (10.10.2018): Information per Email

2. Politische Lage

Die Russische Föderation hat ca. 143 Millionen Einwohner (CIA 12.7.2018, vgl. GIZ 7.2018c). Russland ist eine Präsidialdemokratie mit föderativem Staatsaufbau. Der Präsident verfügt über weitreichende exekutive Vollmachten, insbesondere in der Außen- und Sicherheitspolitik (GIZ 7.2018a, vgl. EASO 3.2017). Er ernennt auf Vorschlag der Staatsduma den Vorsitzenden der Regierung, die stellvertretenden Vorsitzenden und die Minister und entlässt sie (GIZ 7.2018a). Wladimir Putin ist im März 2018, bei der Präsidentschaftswahl im Amt mit 76,7% bestätigt worden. Die Wahlbeteiligung lag der Nachrichtenagentur TASS zufolge bei knapp 67% und erfüllte damit nicht ganz die Erwartungen der Präsidialadministration (Standard.at 19.3.2018). Putins wohl ärgster Widersacher Alexej Nawalny durfte nicht bei der Wahl kandidieren. Er war zuvor in einem von vielen als politisch motivierten Prozess verurteilt worden und rief daraufhin zum Boykott der Abstimmung auf, um die Wahlbeteiligung zu drücken (Presse.at 19.3.2018). Oppositionelle Politiker und die Wahlbeobachtergruppe Golos hatten mehr als 2.400 Verstöße gezählt, darunter mehrfach abgegebene Stimmen und die Behinderung von Wahlbeobachtern. Wähler waren demnach auch massiv unter Druck gesetzt worden, um an der Wahl teilzunehmen. Auch die Wahlkommission wies auf mutmaßliche Manipulationen hin (Tagesschau.de 19.3.2018, FH 1.2018). Putin kann dem Ergebnis zufolge nach 18 Jahren an der Staatsspitze weitere sechs Jahre das Land führen. Gemäß der Verfassung darf er nach dem Ende seiner sechsjährigen Amtszeit nicht erneut antreten, da es eine Beschränkung auf zwei aufeinander folgende Amtszeiten gibt (Tagesschau.de 19.3.2018, vgl. OSCE/ODIHR 18.3.2018).

Die Verfassung wurde per Referendum am 12.12.1993 mit 58,4% der Stimmen angenommen. Sie garantiert die Menschen- und Bürgerrechte. Das Prinzip der Gewaltenteilung ist zwar in der Verfassung verankert, jedoch verfügt der Präsident über eine Machtfülle, die ihn weitgehend unabhängig regieren lässt. Er ist Oberbefehlshaber der Streitkräfte, trägt die Verantwortung für die Innen- und Außenpolitik und kann die Gesetzentwürfe des Parlaments blockieren. Die Regierung ist dem Präsidenten untergeordnet, der den Premierminister mit Zustimmung der Staatsduma ernennt. Das Parlament - Staatsduma und Föderationsrat - ist in seinem Einfluss stark beschränkt. Der Föderationsrat ist als "obere Parlamentskammer" das Verfassungsorgan, das die Föderationssubjekte auf föderaler Ebene vertritt. Er besteht aus 178 Abgeordneten: Jedes Föderationssubjekt entsendet je einen Vertreter aus der Exekutive und Legislative in den Föderationsrat. Die Staatsduma mit 450 Sitzen wird für vier Jahre nach dem Verhältniswahlrecht auf der Basis von Parteilisten gewählt. Es gibt eine Siebenprozentklausel. Wichtige Parteien sind die regierungsnahen Einiges Russland (Jedinaja Rossija) mit 1,9 Millionen Mitgliedern und Gerechtes Russland (Spravedlivaja Rossija) mit 400.000 Mitgliedern. Die Kommunistische Partei der Russischen Föderation (KPRF) mit 150.000 Mitgliedern, die die Nachfolgepartei der früheren KP ist. Die Liberaldemokratische Partei (LDPR) mit 185.000 Mitgliedern, die populistisch und nationalistisch ausgerichtet ist, die Wachstumspartei (Partija Rosta), die sich zum Neoliberalismus bekennt; Jabloko, eine demokratisch-liberale Partei mit 55.000 Mitgliedern, die Patrioten Russlands (Patrioty Rossii), linkszentristisch, mit 85.000 Mitgliedern, die Partei der Volksfreiheit (PARNAS) und die demokratisch-liberale Partei mit 58.000 Mitgliedern (GIZ 7.2018a). Die Zusammensetzung der Staatsduma nach Parteimitgliedschaft gliedert sich wie folgt: Einiges Russland (339 Sitze), Kommunistische Partei Russlands (42 Sitze), Liberaldemokratische Partei Russlands (40 Sitze), Gerechtes Russland (23 Sitze), Vaterland-Partei (1 Sitz), Bürgerplattform (1 Sitz) (AA 5.2018b).

Russland ist eine Föderation, die aus 85 Föderationssubjekten (einschließlich der international umstrittenen Einordnung der Republik Krim und der Stadt föderalen Ranges, Sewastopol) mit unterschiedlichem Autonomiegrad besteht. Die Föderationssubjekte (Republiken, Autonome Gebiete, Autonome Kreise, Gebiete, Regionen und Föderale Städte) verfügen über jeweils eine eigene Legislative und Exekutive (GIZ 7.2018a, vgl. AA 5.2018b). Die Gouverneure der Föderationssubjekte werden auf Vorschlag der jeweils stärksten Fraktion der regionalen Parlamente vom Staatspräsidenten ernannt. Dabei wählt der Präsident aus einer Liste dreier vorgeschlagener Kandidaten den Gouverneur aus (GIZ 7.2018a).

Es wurden acht Föderationskreise (Nordwestrussland, Zentralrussland, Südrussland, Nordkaukasus, Wolga, Ural, Sibirien, Ferner Osten) geschaffen, denen jeweils ein Bevollmächtigter des Präsidenten vorsteht. Der Staatsrat der Gouverneure tagt unter Leitung des Präsidenten und gibt der Exekutive Empfehlungen zu aktuellen politischen Fragen und zu Gesetzesprojekten. Nach der Eingliederung der Republik Krim und der Stadt Sewastopol in die Russische Föderation wurde am 21.3.2014 der neunte Föderationskreis Krim gegründet. Die konsequente Rezentralisierung der Staatsverwaltung führt seit 2000 zu politischer und wirtschaftlicher Abhängigkeit der Regionen vom Zentrum. Diese Tendenzen wurden bei der Abschaffung der Direktwahl der Gouverneure in den Regionen und der erneuten Unterordnung der regionalen und kommunalen Machtorgane unter das föderale Zentrum ("exekutive Machtvertikale") deutlich (GIZ 7.2018a).

Quellen:

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AA - Auswärtiges Amt (5.2018b): Russische Föderation - Außen- und Europapolitik,

https://www.auswaertiges-amt.de/de/aussenpolitik/laender/russischefoederation-node/ russischefoederation/201534, Zugriff 1.8.2018

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CIA - Central Intelligence Agency (12.7.2018): The World Factbook, https://www.cia.gov/library/

publications/the-world-factbook/geos/rs.html, Zugriff 1.8.2018

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EASO - European Asylum Support Office (3.2017): COI-Report Russian Federation - State Actors of Protection, http://www.ecoi.net/file_upload/1226_1489999668_easocoi-russia-stateactors-of-protection.pdf, Zugriff 1.8.2018

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FH - Freedom House (1.2018): Freedom in the World 2017 - Russia, https://www.ecoi.net/de/dokument/1428824.html, Zugriff 1.8.2018

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GIZ - Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit GmbH (7.2018a): Russland, Geschichte und Staat, https://www.liportal.de/russland/geschichte-staat/#c17836, Zugriff 1.8.2018

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GIZ - Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit GmbH (7.2018c): Russland, Gesellschaft, https://www.liportal.de/russland/gesellschaft/, Zugriff 1.8.2018

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OSCE/ODIHR - Organization for Security and Co-operation in Europe/Office for Democratic Institutions and Human Rights (18.3.2018): Russian Federation Presidential Election Observation Mission Final Report, https://www.osce.org/odihr/elections/383577? download=true, Zugriff 29.8.2018

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Presse.at (19.3.2018): Putin: "Das russische Volk schließt sich um Machtzentrum zusammen",

https://diepresse.com/home/ausland/aussenpolitik/5391213/Putin_Das-russische-Volkschliesst-sich-um-Machtzentrum-zusammen, Zugriff 1.8.2018

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Standard.at (19.3.2018): Putin sichert sich vierte Amtszeit als Russlands Präsident,

https://derstandard.at/2000076383332/Putin-sichert-sich-vierte-Amtszeit-als-Praesident, Zugriff 1.8.2018

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Tagesschau.de (19.3.2018): Klarer Sieg für Putin, https://www.tagesschau.de/ausland/russland-wahl-putin-101.html, Zugriff 1.8.2018

2.1. Tschetschenien

Die Tschetschenische Republik ist eine der 22 Republiken der Russischen Föderation. Die Fläche beträgt 15.647 km2 (Rüdisser 11.2012) und laut offizieller Bevölkerungsstatistik der Russischen Föderation zum 1.1.2018 beläuft sich die Einwohnerzahl Tschetscheniens auf 1,4 Millionen (GKS 25.1.2018), wobei die offiziellen Angaben von unabhängigen Medien infrage gestellt werden. Laut Aussagen des Republiksoberhauptes Ramzan Kadyrow sollen rund 600.000 TschetschenInnen außerhalb der Region leben, die eine Hälfte davon in der Russischen Föderation, die andere Hälfte im Ausland. Experten zufolge hat die Hälfte Tschetschenien während der Kriege nach dem Zerfall der Sowjetunion verlassen, bei der anderen Hälfte handle es sich um Siedlungsgebiete außerhalb Tschetscheniens, die bereits vor über einem Jahrhundert entstanden seien, teilweise durch Migration aus dem Russischen in das Osmanische Reich, und zwar über Anatolien bis in den arabischen Raum (ÖB Moskau 12.2017). In Bezug auf Fläche und Einwohnerzahl ist Tschetschenien somit mit der Steiermark vergleichbar. Etwa die Hälfte des tschetschenischen Territoriums besteht aus Ebenen im Norden und Zentrum der Republik.

Heutzutage ist die Republik eine nahezu monoethnische: 95,3% der Bewohner/innen Tschetscheniens gaben [bei der letzten Volkszählung] 2010 an, ethnische Tschetschenen/innen zu sein. Der Anteil ethnischer Russen/innen an der Gesamtbevölkerung liegt bei 1,9%. Rund 1% sind ethnische Kumyk/innen, des Weiteren leben einige Awar/innen, Nogaier/innen, Tabasar/innen, Türk/innen, Inguschet/innen und Tatar/innen in der Republik (Rüdisser 11.2012).

In Tschetschenien gilt Ramzan Kadyrow als Garant Moskaus für Stabilität. Mit Duldung der russischen Staatsführung hat er in der Republik ein autoritäres Herrschaftssystem geschaffen, das vollkommen auf seine eigene Person ausgerichtet ist und weitgehend außerhalb des föderalen Rechtsrahmens funktioniert (ÖB Moskau 12.2017, vgl. AA 21.5.2018). So musste im Mai 2016 der Vorsitzende des Obersten Gerichts Tschetscheniens nach Kritik von Kadyrow zurücktreten, obwohl die Ernennung/Entlassung der Richter grundsätzlich in föderale Kompetenz fällt. Fraglich bleibt auch die föderale Kontrolle über die tschetschenischen Sicherheitskräfte, deren faktische Loyalität vorrangig dem Oberhaupt der Republik gilt. Im Juni 2016 beschloss das tschetschenische Parlament die vorzeitige Selbstauflösung, um vorgezogene Neuwahlen parallel zu den Wahlen zum Oberhaupt der Republik durchzuführen. Bei den Wahlen vom 18.9.2016 lag die Wahlbeteiligung in Tschetschenien weit über dem landesweiten Durchschnitt. Kadyrow wurde laut offiziellen Angaben bei hoher Wahlbeteiligung mit überwältigender Mehrheit für eine weitere Amtszeit von fünf Jahren gewählt. Unabhängige Medien berichteten über Unregelmäßigen bei den Wahlen, in deren Vorfeld Human Rights Watch über massive Druckausübung auf Kritiker des derzeitigen Machthabers berichtet hatte. Das tschetschenische Oberhaupt bekundet immer wieder seine absolute Loyalität gegenüber dem Kreml (ÖB Moskau 12.2017). Vertreter russischer und internationaler NGOs berichten immer wieder von Gewalt und Menschenrechtsverletzungen, einem Klima der Angst und Einschüchterung (AA 21.5.2018). Gegen vermeintliche Extremisten und deren Angehörige, aber auch gegen politische Gegner, wird rigoros vorgegangen. Anfang 2016 sorgte Kadyrow landesweit für Aufregung, als er die liberale Opposition in Moskau als Staatsfeinde bezeichnete, die danach trachteten, Russland zu zerstören. Nachdem er dafür von Menschenrechtsaktivisten sowie von Vertretern des präsidentiellen Menschenrechtsrats scharf kritisiert worden war, wurde in Grozny eine Massendemonstration zur Unterstützung Kadyrows organisiert (ÖB Moskau 12.2017).

Während der mittlerweile über zehn Jahre dauernden Herrschaft des amtierenden Republikführers Ramzan Kadyrow gestaltete sich Tschetscheniens Verhältnis zur Russischen Föderation ambivalent. Einerseits ist Kadyrow bemüht, die Zugehörigkeit der Republik zu Russland mit Nachdruck zu bekunden, tschetschenischen Nationalismus mit russischem Patriotismus zu verbinden, Russlands Präsidenten in der tschetschenischen Hauptstadt Grozny als Staatsikone auszustellen und sich als "Fußsoldat Putins" zu präsentieren. Andererseits hat er das Föderationssubjekt Tschetschenien so weit in einen Privatstaat verwandelt, dass in der Umgebung des russischen Präsidenten die Frage gestellt wird, inwieweit sich die von Wladimir Putin ausgebaute föderale Machtvertikale dorthin erstreckt. Zu Kadyrows Eigenmächtigkeit gehört auch eine Außenpolitik, die sich vor allem an den Mittleren Osten und die gesamte islamische Welt richtet. Kein anderer regionaler Führer beansprucht eine vergleichbare, über sein eigenes Verwaltungsgebiet und die Grenzen Russlands hinausreichende Rolle. Kadyrow inszeniert Tschetschenien als Anwalt eines russländischen Vielvölker-Zusammenhalts, ist aber längst zum "inneren Ausland" Russlands geworden. Deutlichster Ausdruck dieser Entwicklung ist ein eigener Rechtszustand, in dem islamische und gewohnheitsrechtliche Regelungssysteme sowie die Willkür des Republikführers in Widerspruch zur Gesetzgebung Russlands geraten (SWP 3.2018).

Quellen:

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AA - Auswärtiges Amt (21.5.2018): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Russischen Föderation

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GKS - Staatliches Statistikamt (25.1.2018): Bevölkerungsverteilung zum 1.1.2018,

http://www.gks.ru/free_doc/new_site/population/demo/PrPopul2018.xlsx, Zugriff 1.8.2018

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ÖB Moskau (12.2017): Asylländerbericht Russische Föderation - Rüdisser, V. (11.2012): Russische Föderation/Tschetschenische Republik. In: Länderinformation n°15, Österreichischer Integrationsfonds,

http://www.integrationsfonds.at/themen/publikationen/oeif-laenderinformation/, Zugriff 1.8.2018

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SWP - Stiftung Wissenschaft und Politik (3.2018): Tschetscheniens Stellung in der Russischen Föderation. Ramsan Kadyrows Privatstaat und Wladimir Putins föderale Machtvertikale, https:// www.swp-berlin.org/fileadmin/contents/products/studien/2018S01_hlb.pdf, Zugriff 1.8.2018

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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