TE Vfgh Erkenntnis 2019/12/3 V83/2019 (V83/2019-10)

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 03.12.2019
beobachten
merken

Index

L1000 Gemeindeordnung

Norm

B-VG Art117 Abs4, Art139 Abs3, Art139 Abs5
Tir GemeindeO 2001 §35, §36, §46, §60
Tir StraßenG §13
V des Gemeinderates der Marktgemeinde Zirl vom 20.11.2014 über die Erklärung einer Straße zur Gemeindestraße (Freiungweg)
VfGG §7 Abs1

Leitsatz

Gesetzwidrigkeit einer Verordnung betreffend die Erklärung einer Straße zur Gemeindestraße wegen erheblichen Verfahrensmangels bei der Erlassung; Verletzung des Öffentlichkeitsgebots mangels Aufnahme eines eigenen Tagesordnungspunktes für die Behandlung der zu erlassenden Verordnung

Spruch

I. Die "Verordnung über die Erklärung einer Straße zur Gemeindestraße gem. §13 Tiroler Straßengesetz (Freiungweg)" des Gemeinderates der Marktgemeinde Zirl vom 20. November 2014, kundgemacht durch Anschlag an der Amtstafel in der Zeit von 24. November 2014 bis 9. Dezember 2014, wird als gesetzwidrig aufgehoben.

II. Die Aufhebung tritt mit Ablauf des 31. März 2020 in Kraft.

III. Die Tiroler Landesregierung ist zur unverzüglichen Kundmachung dieser Aussprüche im Landesgesetzblatt verpflichtet.

Begründung

Entscheidungsgründe

I. Anlassverfahren, Prüfungsbeschluss und Vorverfahren

1. Beim Verfassungsgerichtshof ist zur Zahl E252/2019 eine auf Art144 B-VG gestützte Beschwerde anhängig, der folgender Sachverhalt zugrunde liegt:

1.1. Die Beschwerdeführerin ist Eigentümerin des in EZ 1502 vorgetragenen Grundstückes Nr 363/6 und des in EZ 719 vorgetragenen Grundstückes Nr 362/1, beide KG 81313 Zirl. Mit Bescheid des Bürgermeisters der Marktgemeinde Zirl vom 18. Dezember 2012 wurde der Gemeinde die Straßenbaubewilligung für das Straßenbauvorhaben "Verbreiterung Freiungweg" unter Vorschreibung von Auflagen und Bedingungen erteilt. Gegen diesen Bescheid erhob unter anderem die Beschwerdeführerin Berufung an den Gemeindevorstand der Marktgemeinde Zirl, der dieser mit Bescheid vom 14. Juni 2013 keine Folge gab. Die gegen den Bescheid des Gemeindevorstandes der Marktgemeinde Zirl erhobene Vorstellung wurde von der Tiroler Landesregierung als Vorstellungsbehörde mit Bescheid vom 9. September 2013 als unbegründet abgewiesen. Die dagegen erhobene Beschwerde wies der Verwaltungsgerichtshof mit Erkenntnis vom 4. August 2015 als unbegründet ab. Die Straßenbaubewilligung erwuchs in Rechtskraft.

1.2. Am 20. November 2014 beschloss der Gemeinderat der Marktgemeinde Zirl die "Verordnung über die Erklärung einer Straße zur Gemeindestraße gem. §13 Tiroler Straßengesetz (Freiungweg)", die durch Anschlag an der Amtstafel in der Zeit von 24. November 2014 bis 9. Dezember 2014 kundgemacht wurde.

1.3. Der Verfassungsgerichtshof wies einen von der Beschwerdeführerin gegen diese Verordnung erhobenen Individualantrag auf Normenkontrolle mit Be-schluss vom 10. Juni 2016, V16/2016-4, zurück.

1.4. Am 16. Oktober 2015 beantragte die Marktgemeinde Zirl bei der Tiroler Landesregierung als zuständige Enteignungsbehörde zur Verwirklichung des Straßenbauvorhabens die Einleitung des Enteignungsverfahrens. Im Verlauf des Enteignungsverfahrens konnten sich die Marktgemeinde Zirl und die Beschwer-deführerin auf eine Entschädigungsvereinbarung einigen, die die Entscheidung der Behörde über die Vergütung gemäß §68 Abs3 des Gesetzes vom 16. No-vember 1988 über die öffentlichen Straßen und Wege (Tiroler Straßengesetz), LGBl 13/1989, (im Folgenden: Tir StraßenG), ersetzte. Mit Bescheid der Tiroler Landesregierung vom 29. August 2017 wurde je eine Teilfläche der beiden Grundstücke der Beschwerdeführerin enteignet. Die dauerhaft beanspruchten Teilflächen wurden für dauernd lastenfrei erklärt. Für die Vergütung der enteigneten Grundstücksteile wurde gemäß §69 Abs3 Tir StraßenG eine Entschädigungsvereinbarung zwischen der Marktgemeinde Zirl und der Beschwerdeführerin abgeschlossen, welche die Entscheidung der Behörde über die Vergütung ersetzt. Diese Entschädigungsvereinbarung wurde dem Enteignungsbescheid zugrunde gelegt. Die Leistungsfrist für die Marktgemeinde Zirl für die Entrichtung des festgelegten Vergütungsbetrages an die Beschwerdeführerin wurde mit vier Wochen nach Eintritt der Rechtskraft des Enteignungsbescheides festgesetzt. Die gegen diesen Bescheid gerichtete Beschwerde wies das Landesverwal-tungsgericht Tirol ohne Durchführung einer mündlichen Verhandlung mit Er-kenntnis vom 3. Dezember 2018 als unbegründet ab.

2. Bei der Behandlung der gegen diese Entscheidung gerichteten Beschwerde sind im Verfassungsgerichtshof Bedenken ob der Gesetzmäßigkeit der Zahlenfolge "363/6, 362/1," in §1 der "Verordnung über die Erklärung einer Straße zur Gemeindestraße gem. §13 Tiroler Straßengesetz (Freiungweg)" des Gemeinderates der Marktgemeinde Zirl vom 20. November 2014, kundgemacht durch Anschlag an der Amtstafel in der Zeit von 24. November 2014 bis 9. Dezember 2014 entstanden. Der Verfassungsgerichtshof hat daher am 23. September 2019 beschlossen, diese Verordnungsstellen von Amts wegen auf ihre Gesetzmäßigkeit zu prüfen.

3. Der Verfassungsgerichtshof legte seine Bedenken, die ihn zur Einleitung des Verordnungsprüfungsverfahrens bestimmt haben, in seinem Prüfungsbeschluss wie folgt dar:

"[…]

3.1. Verfahrensmängel im Verordnungserlassungsverfahren bewirken nach der Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes dann die Gesetzwidrigkeit der Verordnung, wenn sie beachtlich sind (vgl VfSlg 16.031/2000). In seinem Er-kenntnis VfSlg 12.398/1990 stellte der Verfassungsgerichtshof fest, dass es die Erlassung der in Prüfung gezogenen Verordnung mit Gesetzwidrigkeit belastet, wenn sie unter dem Tagesordnungspunkt 'Allfälliges' beschlossen wurde, ohne dass das Thema vorausgehend in die Tagesordnung aufgenommen worden war. Der Verfassungsgerichtshof nahm an, dies gelte insbesondere auch im Hinblick auf das Öffentlichkeitsgebot des Art117 Abs4 B-VG, aus welchem sich ergebe, dass dem Geschehen im Gemeinderat eine unmittelbar über die Mitglieder des Gemeinderates hinausgehende, potentiell alle Gemeindebürger betreffende Bedeutung zukomme. Der Verfassungsgerichtshof geht zudem von einer grund-sätzlichen Bindung an die kundgemachte Tagesordnung aus (vgl VfSlg 19.839/2013).

3.2. Der Verfassungsgerichtshof ist vor dem Hintergrund dieser Rechtsprechung vorläufig der Ansicht, dass die Verordnungserlassung im vorliegenden Fall mit Gesetzwidrigkeit belastet ist:

3.3. Die Beschlussfassung über die 'Verordnung über die Erklärung einer Straße zur Gemeindestraße gem. §13 Tiroler Straßengesetz (Freiungweg)' erfolgte im nichtöffentlichen Teil einer am 20. November 2014 durchgeführten Sitzung durch den Gemeinderat der Marktgemeinde Zirl. Dies ist der Fassung der Nieder-schrift, die die Marktgemeinde Zirl dem Verfassungsgerichtshof übermittelte – im Gegensatz zu jener, die auf der Website der Marktgemeinde Zirl abrufbar ist und jener entspricht, die die Beschwerdeführerin einbrachte –, zu entnehmen.

3.4. Der Verfassungsgerichtshof geht vorläufig davon aus, dass die Tagesord-nung, die für diese Gemeinderatssitzung vorgesehen war, keinen eigenen Tages-ordnungspunkt zur Behandlung der nachfolgend beschlossenen Verordnung enthalten haben dürfte (vgl §35 TGO); dies legt die Einladung zu einer öffentli-chen Sitzung des Gemeinderates der Marktgemeinde Zirl am 20. November 2014 vom 14. November 2014 nahe. Vielmehr scheint die Beratung und Beschlussfas-sung unter dem Tagesordnungspunkt 'Allfälliges' ohne Beschluss über die Aufnahme des Themas in die Tagesordnung erfolgt zu sein.

[…]"

4. Die verordnungserlassende Behörde hat die Akten betreffend das Zustandekommen der in Prüfung gezogenen Verordnung vorgelegt und eine Äußerung erstattet.

4.1. Den im Prüfungsbeschluss dargelegten Bedenken wird in der Stellungnahme der Marktgemeinde Zirl vom 28. Oktober 2019 wie folgt entgegengetreten:

"[…]

Aus den zu übermittelnden Unterlagen geht hervor, dass die in der öffentlichen Sitzung behandelten Tagesordnungspunkte sowohl ausgehängt als auch den Mitgliedern des GR im Rahmen der Einladung zur Kenntnis gebracht worden sind.

Der in der nichtöffentlichen Sitzung behandelte Teil der Tagesordnung war den GR-Mitgliedern darüber hinaus bereits bekannt. Der Inhalt des nicht öffentlichen Teiles wurde vorab in geeigneter Weise kommuniziert, bzw waren die Mitglieder des Gemeinderats aufgrund der vorangegangenen Beschlüsse hinsichtlich dem Straßenbauvorhaben informiert, dies zeigt schon die relativ kurze Diskussion zum Tagesordnungspunkt, sodass es zu keiner Überraschungsabstimmung gekommen ist.

Faktum ist, dass sich der hier zu beurteilende Vorgang sowohl im Tatsächlichen als auch von den Rechtsgrundlagen her von der zitierten Vorjudikatur des Gerichtshofes in einigen Details unterscheidet.

[...]"

4.2. Bei den durch die Marktgemeinde Zirl dem Verfassungsgerichtshof vorgelegten und in ihrer Stellungnahme genannten Unterlagen handelt es sich um eine Einladung vom 14. November 2014 zur Gemeinderatssitzung am 20. November 2014, die eine Tagesordnung enthält, sowie um eine Niederschrift über die Sitzung des Gemeinderates am 20. November 2014.

5. Die Tiroler Landesregierung hat die bezughabenden Verwaltungsakten vorgelegt, von der Erstattung einer Äußerung aber abgesehen.

6. Die im Anlassfall beschwerdeführende Partei hat als beteiligte Partei eine Äußerung erstattet, in der im Wesentlichen vorgebracht wird, nach Kenntnisstand der Beschwerdeführerin sei die zur Diskussion stehende Verordnung nicht auf der Tagesordnung der damaligen Sitzung gewesen und es habe auch keine Beschlussfassung dahingehend stattgefunden, dass eine Aufnahme als Tagesordnungspunkt mit qualifizierter Mehrheit stattgefunden hätte. Die Verordnung sei unter Ausschluss der Öffentlichkeit ohne jegliche Notwendigkeit beschlossen worden. Auch hier sei nach Ansicht der Beschwerdeführerin ein separater Beschluss mit qualifizierter Mehrheit erforderlich gewesen. Die Öffentlichkeit von Sitzungen gehöre zum Wesen des allgemeinen Vertretungskörpers. Der Ausschluss der Öffentlichkeit sei nur in Ausnahmefällen möglich. Der Beschwerdeführerin sei "eine Aufsichtsbeschwerde gem. §115 TGO" einer "Gemeindebürgerin" "zugespielt" worden. Ausschlüsse der Öffentlichkeit schienen "demnach sogar System" zu haben. Dem Beschluss des Verfassungsgerichtshofes vom 23. September 2019 sei zu entnehmen, dass die Gemeinde Zirl in deren Gegenschrift unter Beilage einer Fotodokumentation angegeben habe, dass ein Baubeginn bereits erfolgt sei. Die Beschwerdeführerin erlaube sich darauf hinzuweisen, dass in diesem Bereich tatsächlich drei "Straßenbauprojekte", nämlich "Franz-Plattner-Straße Mitte", "Verbreiterung Freiungweg" sowie "Franz-Plattner-Straße Süd" geplant worden seien. Beim Straßenbauprojekt "Franz-Plattner-Straße Mitte" gehe es um die den Freiungweg querende Ost-Westverbindung, welche als einziges durchgeführt worden sei. Unter Vorlage von Lichtbildern, die den Bereich der Liegenschaft der Beschwerdeführerin zeigen sollen, gibt die Beschwerdeführerin an, eine bauliche Veränderung oder ein Straßenbau sei bislang weder begonnen noch verwirklicht worden. Selbiges gelte für den Bauabschnitt unterhalb, nämlich die geplante Verlängerung in die "Franz-Plattner-Straße Süd". Für diesen Bereich sei die Straßenbaubewilligung des Bürgermeisters vom Landesverwaltungsgericht Tirol am 17. Februar 2014 aufgehoben worden.

II. Rechtslage

1. Die "Verordnung über die Erklärung einer Straße zur Gemeindestraße gem. §13 Tiroler Straßengesetz (Freiungweg)" des Gemeinderates der Marktgemeinde Zirl vom 20. November 2014 lautet wie folgt (die in Prüfung gezogene Zahlenfolge ist hervorgehoben):

"§1

Erklärung zur Gemeindestraße

Die Teile der Grundstücke Nr 366/1, 364/3, 363/6, 362/1, 360/3, 357 und 356/3 in erforderlicher Breite (laut beiliegendem Plan Nr TStG_13 – Freiungweg vom 24.11.2014) gemeinsam mit Gst. 3308 (öffentliches Gut/Straßenverkehrsanlage) werden zur Gemeindestraße erklärt.

§2

Bezeichnung und Verlauf der Gemeindestraße

Die Gemeindestraße wird bezeichnet mit 'Freiungweg' laut Gemeinderatsbe-schluss vom 20.11.2014.

Der Verlauf der Gemeindestraße ist in der planlichen Erläuterung (Beilage 1) dargestellt.

§3

Benützungsbeschränkungen

Benützungsbeschränkungen nach §4 Absatz 2 Tiroler Straßengesetz werden nicht festgelegt.

§4

Inkrafttreten

Diese Verordnung tritt mit dem Ablauf der Kundmachungsfrist in Kraft.

[…]"

2. §13 Tir StraßenG lautet in der Stammfassung, LGBl 13/1989:

"§13

Widmung

(1) Die Erklärung einer Straße zur Gemeindestraße erfolgt durch Verordnung der Gemeinde.

(2) Zu Gemeindestraßen können jene Straßen erklärt werden, die überwiegend

a) für den örtlichen Verkehr der Gemeinde oder größerer Teile der Gemeinde,

b) für die Herstellung der Verbindung zwischen benachbarten Gemeinden oder zwischen größeren Teilen der Gemeinde oder

c) für eine Erschließung, die in einem örtlichen Raumordnungsinteresse der Gemeinde gelegen ist,

von Bedeutung sind.

(3) Eine öffentliche Interessentenstraße, eine öffentliche Privatstraße nach §34 Abs1 litb oder eine aufgelassene Bundes- oder Landesstraße im Sinne des §34 Abs2 ist zur Gemeindestraße zu erklären, wenn diese Straße eine Verkehrsbedeutung nach Abs2 lita oder b hat.

(4) In der Verordnung über die Erklärung einer Straße zur Gemeindestraße sind ihre Bezeichnung und ihr Verlauf sowie allfällige Benützungsbeschränkungen nach §4 Abs2 festzulegen.

(5) Landesstraßen dürfen nicht zu Gemeindestraßen erklärt werden.

(6) Wird eine private Straße zur Gemeindestraße erklärt, so steht der Gemeingebrauch erst ab dem Erwerb des Eigentums oder eines entsprechenden sonstigen Verfügungsrechtes am Straßengrund durch die Gemeinde offen. Der Bürgermeister hat den Zeitpunkt des Beginnes des Gemeingebrauches durch Anschlag an der Amtstafel der Gemeinde während zweier Wochen bekanntzumachen."

3. Die Bestimmungen des Gesetzes vom 21. März 2001 über die Regelung des Gemeindewesens in Tirol (Tiroler Gemeindeordnung 2001 – TGO), LGBl 36, lauten in der jeweils maßgeblichen Fassung:

3.1. §35 TGO idF LGBl 36/2001 lautet:

"§35

Tagesordnung

(1) Die Tagesordnung hat die Verhandlungsgegenstände hinreichend genau zu bezeichnen.

(2) Die Festsetzung der Tagesordnung obliegt dem Bürgermeister. Er hat einen Verhandlungsgegenstand auf die Tagesordnung zu setzen, wenn dies wenigstens ein Drittel der Mitglieder des Gemeinderates oder die Mehrheit der Mitglieder eines Ausschusses verlangt.

(3) Über Verhandlungsgegenstände, die nicht in der bekannt gegebenen Tagesordnung enthalten sind, darf nur abgestimmt werden, wenn der Gemeinderat mit einer Mehrheit von zwei Dritteln der anwesenden Mitglieder die Dringlichkeit zuerkennt. Über einen Antrag auf Selbstauflösung des Gemeinderates darf nur dann abgestimmt werden, wenn dieser in der in der Einladung bekannt gegebenen Tagesordnung enthalten ist.

(4) Die Tagesordnung einer öffentlichen Sitzung des Gemeinderates ist mit dem Punkt 'Anträge, Anfragen und Allfälliges' abzuschließen."

3.2. §36 TGO idF LGBl 36/2001 lautet:

"§36

Öffentlichkeit

(1) Die Sitzungen des Gemeinderates sind öffentlich. Jedermann ist nach Maßgabe des vorhandenen Platzes berechtigt, zuzuhören und sich Aufzeichnungen zu machen. Fernseh- und Hörfunkaufnahmen und -übertragungen sowie Film- und Lichtbildaufnahmen sind nur mit Genehmigung des Bürgermeisters zulässig.

(2) Die Einberufung zu einer Sitzung des Gemeinderates ist gleichzeitig mit der Einladung der Mitglieder des Gemeinderates unter Bekanntgabe des Ortes, des Tages und der Uhrzeit des Sitzungsbeginnes sowie der Tagesordnung durch öffentlichen Anschlag nach §60 Abs1 kundzumachen.

(3) In Ausnahmefällen ist die Öffentlichkeit von einer Sitzung für die Dauer der Beratung und Beschlussfassung über einen Verhandlungsgegenstand auszuschließen, wenn es der Gemeinderat mit einer Mehrheit von zwei Dritteln der anwesenden Mitglieder beschließt. Bei der Beratung und Beschlussfassung über den Voranschlag und den Rechnungsabschluss der Gemeinde, über die Ausschreibung der Gemeindeabgaben und über die Bezüge der Gemeindefunktionäre darf die Öffentlichkeit nicht ausgeschlossen werden. Beschlüsse des Gemeinderates, die entgegen dieser Bestimmung gefasst werden, sind nichtig."

3.3. §46 TGO idF LGBl 36/2001 lautet:

"§46

Niederschrift über die Sitzungen des Gemeinderates

(1) Über jede Sitzung des Gemeinderates ist eine Niederschrift aufzunehmen. Die Niederschrift hat zu enthalten:

a) den Tag, den Beginn und das Ende der Sitzung,

b) die Namen des Vorsitzenden, der übrigen anwesenden und der entschuldigt und unentschuldigt ferngebliebenen Mitglieder des Gemeinderates,

c) die Tagesordnung und

d) den wesentlichen Verlauf der Beratungen, insbesondere alle in der Sitzung gestellten Anträge und die darüber gefassten Beschlüsse unter Anführung des Abstimmungsergebnisses.

(2) Mitglieder des Gemeinderates, die einem Beschluss nicht zugestimmt haben, können verlangen, dass dies in der Niederschrift festgehalten wird.

(3) Wurde die Öffentlichkeit von einer Sitzung des Gemeinderates oder von einzelnen Teilen ausgeschlossen, so darf die Niederschrift von den Angaben nach Abs1 litd nur den Wortlaut der gefassten Beschlüsse enthalten. Das Weitere ist in einer gesonderten Niederschrift festzuhalten.

(4) Die Niederschrift ist vom Vorsitzenden, von zwei weiteren Mitgliedern des Gemeinderates und vom Schriftführer zu unterfertigen und bei den Gemeindeakten zu verwahren. Jeder Gemeinderatspartei ist eine Ausfertigung der Niederschrift zu übermitteln.

(5) Jedermann kann während der Amtsstunden des Gemeindeamtes in die Niederschrift Einsicht nehmen. Die Einsichtnahme in die gesonderte Niederschrift ist auf die Mitglieder des Gemeinderates beschränkt."

3.4. §60 TGO idF LGBl 36/2001 lautet:

"§60

Kundmachung von Verordnungen, sonstigen Rechtsakten und Mitteilungen

(1) Verordnungen von Gemeindeorganen und Rechtsakte, die einer aufsichtsbehördlichen Genehmigung bedürfen, sowie alle an die Allgemeinheit gerichteten Mitteilungen sind, soweit gesetzlich nichts anderes bestimmt ist, unverzüglich durch öffentlichen Anschlag

a) an der Amtstafel der Gemeinde für die Dauer von zwei Wochen und

b) in sonst ortsüblicher Weise kundzumachen. Besteht eine Gemeinde aus mehreren Ortschaften, so ist die Kundmachung in jeder Ortschaft vorzunehmen.

(2) Enthalten Verordnungen, Rechtsakte oder Mitteilungen im Sinne des Abs1 Teile wie Pläne, Karten und dergleichen, deren Anschlag wegen ihres Umfanges oder ihrer technischen Gestaltung einen nicht vertretbaren Aufwand verursachen würde, so sind diese Teile durch Auflage zur öffentlichen Einsichtnahme im Gemeindeamt während der für den Parteienverkehr bestimmten Amtsstunden zu verlautbaren. Jedermann hat das Recht, beim Gemeindeamt gegen Ersatz der Gestehungskosten eine Kopie dieser Teile zu verlangen, sofern die Herstellung der Kopie mit einem wirtschaftlich vertretbaren Aufwand technisch möglich ist. […]"

III. Erwägungen

1. Zur Zulässigkeit des Verfahrens

Im Verfahren hat sich nichts ergeben, was an der Präjudizialität der in Prüfung gezogenen Zahlenfolge zweifeln ließe. Da auch sonst keine Prozesshindernisse hervorgekommen sind, erweist sich das Verordnungsprüfungsverfahren insgesamt als zulässig.

2. In der Sache

2.1. Die im Prüfungsbeschluss dargelegten Bedenken des Verfassungsgerichtshofes konnten im Verordnungsprüfungsverfahren nicht zerstreut werden:

2.2. Verfahrensmängel im Verordnungserlassungsverfahren bewirken nach der Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes dann die Gesetzwidrigkeit der Verordnung, wenn sie beachtlich sind (vgl VfSlg 16.031/2000). In seinem Er-kenntnis VfSlg 12.398/1990 stellte der Verfassungsgerichtshof fest, dass es die Erlassung der in Prüfung gezogenen Verordnung mit Gesetzwidrigkeit belastet, wenn sie unter dem Tagesordnungspunkt "Allfälliges" beschlossen wurde, ohne dass das Thema vorausgehend in die Tagesordnung aufgenommen worden war. Der Verfassungsgerichtshof nahm an, dies gelte insbesondere auch im Hinblick auf das Öffentlichkeitsgebot des Art117 Abs4 B-VG, aus welchem sich ergebe, dass dem Geschehen im Gemeinderat eine unmittelbar über die Mitglieder des Gemeinderates hinausgehende, potentiell alle Gemeindebürger betreffende Bedeutung zukomme. Der Verfassungsgerichtshof geht zudem von einer grund-sätzlichen Bindung an die kundgemachte Tagesordnung aus (vgl VfSlg 19.839/2013).

2.3. Vor dem Hintergrund dieser Rechtsprechung ist die Verordnungserlassung im vorliegenden Fall mit Gesetzwidrigkeit belastet.

2.3.1. Die Beschlussfassung über die "Verordnung über die Erklärung einer Straße zur Gemeindestraße gem. §13 Tiroler Straßengesetz (Freiungweg)" erfolgte im nichtöffentlichen Teil einer am 20. November 2014 durchgeführten Sitzung durch den Gemeinderat der Marktgemeinde Zirl. Dies ist der Fassung der Niederschrift, die die Marktgemeinde Zirl dem Verfassungsgerichtshof im Verordnungsprüfungsverfahren übermittelte und gleichermaßen dem Auszug aus der Niederschrift zu dieser Sitzung, die die Tiroler Landesregierung beim Verfassungsgerichtshof einbrachte – im Gegensatz zu jener Niederschrift zur Sitzung vom 20. November 2014, die auf der Website der Marktgemeinde Zirl abrufbar ist und jener entspricht, die die Beschwerdeführerin im Anlassverfahren einbrachte –, zu entnehmen.

2.3.2. Im Verordnungsprüfungsverfahren wurde die Annahme des Verfassungsgerichtshofes, dass die Tagesordnung, die für diese Gemeinderatssitzung vorgesehen war, keinen eigenen Tagesordnungspunkt zur Behandlung der nachfolgend beschlossenen Verordnung enthielt (vgl §35 TGO), bestätigt. Die von der verordnungserlassenden Behörde im Verordnungsprüfungsverfahren vorgelegte Einladung vom 14. November 2014 zu einer öffentlichen Sitzung des Gemeinderates der Marktgemeinde Zirl am 20. November 2014, die laut der von der Marktgemeinde Zirl eingebrachten Stellungnahme sowohl ausgehängt als auch den Mitgliedern des Gemeinderates zur Kenntnis gebracht worden war, lässt dies erkennen.

2.4. Der Verfassungsgerichtshof geht – dies wurde im Verordnungsprüfungsverfahren ebenso wenig widerlegt – vor diesem Hintergrund davon aus, dass die Beratung und Beschlussfassung unter dem Tagesordnungspunkt "Allfälliges" ohne Beschluss über die Aufnahme des Themas in die Tagesordnung erfolgt ist.

2.5. Nach der dargestellten Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes liegt damit ein erheblicher Verfahrensmangel (vgl VfSlg 16.031/2000) vor, der die Erlassung der Verordnung mit Gesetzwidrigkeit belastet (vgl VfSlg 12.398/1990).

2.6. Wenn die verordnungserlassende Behörde meint, der in der nichtöffentlichen Sitzung behandelte Teil der Tagesordnung sei den Mitgliedern des Gemeinderates bereits bekannt gewesen und sie seien auf Grund vorangegangener Beschlüsse hinsichtlich des Straßenbauvorhabens informiert gewesen, so ist dem entgegenzuhalten, dass dies die Gesetzmäßigkeit der im vorliegenden Fall vorgenommenen Beschlussfassung vor dem Hintergrund der Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes nicht zu begründen vermag. Der Verfassungsgerichtshof geht davon aus, dass sich aus dem Öffentlichkeitsgebot des Art117 Abs4 B-VG ergebe, dass dem Geschehen im Gemeinderat eine unmittelbar über die Mitglieder des Gemeinderates hinausgehende, potentiell alle Gemeindebürger betreffende Bedeutung zukomme (vgl VfSlg 12.398/1990) und eine grundsätzliche Bindung an die kundgemachte Tagesordnung bestehe (vgl VfSlg 19.839/2013). Der Umstand, dass der Inhalt des nichtöffentlichen Teiles der Gemeinderatssitzung den Mitgliedern des Gemeinderates bekannt war, vermag die Gesetzwidrigkeit, die dadurch begründet wird, dass die Beschlussfassung auf der öffentlich einsehbaren Tagesordnung nicht erkennbar war und sie dennoch (im nichtöffentlichen Teil der Sitzung des Gemeinderates) durchgeführt wurde, im Lichte dieser Rechtsprechung nicht zu vermeiden.

2.7. Aus den dargelegten Erwägungen folgt, dass sich die Gesetzwidrigkeit der Verordnungserlassung im vorliegenden Fall nicht auf die in Prüfung gezogene präjudizielle Zahlenfolge beschränkt, sondern die gesamte Verordnung betrifft. Vor dem Hintergrund, dass Art139 Abs3 B-VG nach der Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes von dem Gedanken getragen ist, den Verfassungsgerichtshof in die Lage zu versetzen, in all jenen Fällen, in denen die festgestellte Gesetzwidrigkeit der präjudiziellen Verordnungsstelle offenkundig auch alle übrigen Verordnungsbestimmungen erfasst, die ganze Verordnung als gesetzwidrig aufzuheben (vgl VfSlg 8213/1977, 15.765/2000), eine am Zweck des Gesetzes orientierte Auslegung ergibt, dass der im vorliegenden Verfahren festgestellte Mangel den im Art139 Abs3 Z1 bis 3 B-VG ausdrücklich genannten Fällen gleichzuhalten ist (vgl VfSlg 8213/1977, 13.707/1994, 14.140/1995, 15.765/2000, 17.166/2004; VfGH 26.9.2019, V57/2018) und Umstände, die diesem Vorgehen im Sinne des Art139 Abs3 letzter Satz B-VG entgegenstünden, im Verfahren nicht hervorgekommen sind, ist die gesamte Verordnung als gesetzwidrig aufzuheben (vgl VfSlg 8213/1977, 13.707/1994, 14.679/1996; VfGH 26.9.2019, V57/2018).

IV. Ergebnis

1. Die "Verordnung über die Erklärung einer Straße zur Gemeindestraße gem. §13 Tiroler Straßengesetz (Freiungweg)" des Gemeinderates der Marktgemeinde Zirl vom 20. November 2014, kundgemacht durch Anschlag an der Amtstafel in der Zeit von 24. November 2014 bis 9. Dezember 2014, ist daher wegen eines erheblichen Verfahrensmangels als gesetzwidrig aufzuheben.

2. Die Bestimmung einer Frist für die Außerkraftsetzung der aufgehobenen Verordnung gründet sich auf Art139 Abs5 letzter Satz B-VG.

3. Die Verpflichtung der Tiroler Landesregierung zur unverzüglichen Kundmachung der Aufhebung und der damit im Zusammenhang stehenden sonstigen Aussprüche erfließt aus Art139 Abs5 erster Satz B-VG und §59 Abs2 VfGG iVm §2 Abs1 litj) Gesetz vom 2. Oktober 2013 über das Landesgesetzblatt und das Amtsblatt "Bote für Tirol" (Landes-Verlautbarungsgesetz 2013), LGBl 125 idF LGBl 144/2018.

4. Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs4 VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.

Schlagworte

Öffentlichkeitsprinzip, Verordnungserlassung, Kundmachung, Straßenverwaltung, Gemeindestraße

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:2019:V83.2019

Zuletzt aktualisiert am

12.01.2021
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
Zurück Haftungsausschluss Vernetzungsmöglichkeiten

Sofortabfrage ohne Anmeldung!

Jetzt Abfrage starten