TE OGH 2019/11/28 2Ob3/19h

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Veröffentlicht am 28.11.2019
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Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Dr. Veith als Vorsitzenden und den Hofrat Dr. Musger, die Hofrätin Dr. Solé und die Hofräte Dr. Nowotny und Mag. Pertmayr als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei J***** M*****, vertreten durch PHH Prochaska Havranek Rechtsanwälte GmbH & Co KG in Wien, gegen die beklagte Partei M***** M*****, vertreten durch Mag. Patrick Thun-Hohenstein, Rechtsanwalt in Salzburg, wegen 45.669,11 EUR sA und Feststellung (Streitwert 5.000 EUR), über die außerordentliche Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Linz als Berufungsgericht vom 7. November 2018, GZ 4 R 129/18w-81, mit welchem das Urteil des Landesgerichts Salzburg vom 25. Juli 2018, GZ 8 Cg 21/15d-74, teilweise abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung beschlossen und zu Recht erkannt:

Spruch

Der außerordentlichen Revision wird teilweise Folge gegeben.

Das angefochtene Urteil, das im Zuspruch von 4.650,36 EUR samt Zinsen rechtskräftig geworden ist, wird in der Abweisung eines Begehrens von 27.325,41 EUR samt Zinsen als Teilurteil bestätigt.

Die Entscheidung über die auf diesen Teil des Streitgegenstands entfallenden Kosten des Verfahrens aller drei Instanzen bleibt dem Endurteil vorbehalten.

Hingegen werden die Urteile der Vorinstanzen über das weitere Zahlungsbegehren von 13.693,34 EUR samt Zinsen aufgehoben, und die Rechtssache wird insofern zur neuerlichen Entscheidung nach Verfahrensergänzung an das Erstgericht zurückverwiesen.

Die Entscheidung über die auf diesen Teil des Streitgegenstands entfallenden Kosten des Revisionsverfahrens sind weitere Verfahrenskosten.

Text

Entscheidungsgründe:

Die Parteien sind Söhne des 2012 verstorbenen Erblassers. Der Kläger macht gegen den Beklagten als Alleinerben den Nachlasspflichtteil geltend. Im Revisionsverfahren ist unstrittig, dass

-   die Aktiva des Nachlasses jedenfalls 652.444,24 EUR betragen, wobei darin der Wert eines Wasserbezugsrechts mit 35.679,84 EUR enthalten ist,

-   die Passiva des Nachlasses 37.517,95 EUR betragen,

-   der Pflichtteil des Klägers ein Zwölftel beträgt,

-   der Kläger bereits 46.593,50 EUR auf den Pflichtteil erhalten hat.

Strittig sind demgegenüber der Wert des Wasserbezugsrechts und die Nichtberücksichtigung eines (angeblichen) Anspruchs des Beklagten auf Zahlung eines Benutzungsentgelts für einen unter einer Nachlassliegenschaft gegrabenen Stollen. Der Kläger behauptet insofern Barwerte von 200.000 EUR (Wasserbezugsrecht) und 400.000 EUR (Benutzungsentgelt), die die Aktiva entsprechend erhöhten. Dem liegt folgender Sachverhalt zugrunde:

Zum Nachlass gehört eine Liegenschaft mit mehreren Gebäuden, darunter eine „Brathendlstation“, und einer Grundfläche von 56.378 m2. Die Liegenschaft ist nicht an die Ortswasserleitung angeschlossen. Früher erfolgte die Wasserversorgung durch Eigenquellen, die jedoch mit dem Bau eines Salinenstollens versiegten. Daher verpflichtete sich der Betreiber der Saline zur Ersatzlieferung von 24 m³ Wasser pro Tag. Diese Verpflichtung wird laufend erfüllt, wobei das Wasser als Trinkwasser geeignet ist. In der wasserrechtlichen Bewilligung sind als nutzungsberechtigt der Betreiber der Saline und als Mitbenützungsberechtigte die Nachlassliegenschaft und eine „Klostermühle“ genannt.

Der maximale Wasserbedarf für die Liegenschaft beträgt 1.184 m³ pro Jahr. Die nicht verbrauchte Wassermenge wird nicht verwertet und fließt ab. Sie steht „theoretisch als verfügbare Menge zur Disposition, derzeit gibt es dafür aber keine Abnehmer“. Auf Basis der derzeitigen wasserrechtlichen Bewilligung ist eine Nutzung des Wassers durch Dritte nicht zulässig.

Unter der Liegenschaft befinden sich Teile eines Stollens, der im Jahr 1944 im Auftrag und auf Rechnung des Deutschen Reiches errichtet worden war. Der Erblasser hatte 1994 die Republik Österreich auf Zuschütten dieses Stollen geklagt. In einem Aufhebungsbeschluss (6 Ob 2164/96w) qualifizierte der Oberste Gerichtshof den Stollen als sonderrechtsfähiges unterirdisches Bauwerk, an dem das Deutsche Reich durch Bauführung originär Eigentum erworben habe. Dieses Eigentum sei im Weg der Einzelrechtsnachfolge auf die Republik Österreich übergegangen. Mit Beendigung des Krieges und Aufhebung der einschlägigen Rechtsvorschriften sei das Benutzungsrecht an der Liegenschaft erloschen. Da es an weiteren gesetzlichen Regelungen und auch an einer privatrechtlichen Vereinbarung über das weitere Schicksal des Stollens fehle, sei dessen Schicksal nach Privatrecht zu beurteilen. Nach § 863 ABGB sei nach den Grundsätzen von Treu und Glauben zu ermitteln, wie Parteien im redlichen Verkehr die hier unterlassene Regelung für die Zeit nach Ende der Benutzungsberechtigung getroffen hätten. Vernünftige Vertragsparteien hätten angesichts der an wirtschaftliche Unmöglichkeit grenzenden Kosten einer Beseitigung die Belassung des unterirdischen Stollens vereinbart, solange der Grundeigentümer dadurch nicht beeinträchtigt werde. Bis zu einem solchen Zeitpunkt sei ein auf § 523 ABGB gestützter Beseitigungsanspruch rechtsmissbräuchlich.

Das Verfahren ruht seit diesem Aufhebungsbeschluss. Das Eigentum am Stollen ging in weiterer Folge auf die B*****gesellschaft mbH über. Diese verweigert die Zahlung eines Benutzungsentgelts. Auswirkungen des Stollens auf die Liegenschaft sind ausgeschlossen. Das Gebirge ist standfest und übernimmt die „Spannungsumlagerungen“, die sich aus dem Bau des Stollens ergeben haben.

Der Kläger macht, soweit für das Revisionsverfahren relevant, einen Pflichtteilsergänzungsanspruch von 45.669,11 EUR geltend. Das Wasserbezugsrecht sei nicht nach der tatsächlichen Nutzung, sondern nach der Berechtigung zu bewerten. Daraus ergebe sich ein Wert von 200.000 EUR. Das Belassen des Stollens sei als Nutzung der Liegenschaft zu qualifizieren, wofür der Eigentümer des Stollens ein Benutzungsentgelt zu leisten habe. Dieses Entgelt habe einen kapitalisierten Wert von 400.000 EUR. Die Aktiva der Verlassenschaft seien entsprechend höher, sodass das Klagebegehren jedenfalls berechtigt sei.

Der Beklagte wendet dazu ein, dass der Wasserbezug nur nach der tatsächlichen Nutzung zu bewerten sei und kein Anspruch auf Leistung eines Benutzungsentgelts bestehe. Daher seien in die Bemessungsgrundlage nicht die vom Kläger angeführten Beträge, sondern lediglich der der tatsächlichen Nutzung entsprechende Wert des Wasserbezugsrechts einzubeziehen.

Das Erstgericht verpflichtete den Beklagten zur Zahlung von 3.900,36 EUR samt Zinsen und wies das Mehrbegehren ab. Das Wasserbezugsrecht sei nach der tatsächlichen Nutzung (nur) mit 35.679,84 EUR zu bewerten. Da die Eigentümerin des Stollens nicht zu dessen Beseitigung verpflichtet sei, bestehe insofern auch kein Anspruch auf Benutzungsentgelt.

Das von beiden Parteien angerufene Berufungsgericht änderte diese Entscheidung dahin ab, dass es dem Kläger 4.650,36 EUR samt Zinsen zusprach und das Mehrbegehren von 41.018,75 EUR abwies. Die ordentliche Revision ließ es nicht zu.

Der über das Ersturteil hinausgehende Zuspruch beruht auf der Einbeziehung eines Servitutsentgelts in die Aktiva der Verlassenschaft und ist im Revisionsverfahren nicht strittig. Zum Wasserbezugsrecht und zum Benutzungsentgelt teilte das Berufungsgericht die Rechtsansicht des Erstgerichts. Bei aufschiebend bedingten oder sonst unsicheren Rechten gebühre der Pflichtteil erst mit Eintritt der Bedingung oder Einbringung oder Sicherstellung der Forderung. Beim Wasserbezugsrecht stehe fest, dass es derzeit keine Abnehmer gebe und die nicht verbrauchte Menge nicht verwertet werde; weiters fehle eine wasserrechtliche Bewilligung für eine weitere Nutzung. Die bloße Verwertungsmöglichkeit – also ein unsicheres Recht – sei nicht zu berücksichtigen. In Bezug auf den Stollen, den dessen Eigentümerin tatsächlich nicht nutze, sei ein Beseitigungsbegehren nach der zitierten Entscheidung des Obersten Gerichtshofs rechtsmissbräuchlich, weil der Stollen nach den Feststellungen keine negativen Auswirkungen auf die Liegenschaft habe. Damit bestehe aber auch kein Anspruch auf Benutzungsentgelt. Die Revision sei wegen der Einzelfallbezogenheit nicht zulässig.

Mit seiner außerordentlichen Revision begehrt der Kläger eine zur Gänze stattgebende Entscheidung über das Zahlungsbegehren, hilfsweise stellt er einen Aufhebungsantrag. Er vertritt weiterhin die Auffassung, dass das Wasserbezugsrecht nach der Berechtigung und nicht nach der tatsächlichen Nutzung zu bewerten sei und dass dem Beklagten für das Belassen des Stollens ein Benutzungsentgelt zustehe, das in kapitalisierter Form in die Bemessungsgrundlage für den Pflichtteil einzubeziehen sei. Dies führe zu einem das Begehren übersteigenden Pflichtteilsergänzungsanspruch.

Der Beklagte verweist in der ihm vom Obersten Gerichtshof freigestellten Revisionsbeantwortung auf die seiner Ansicht nach zutreffende Rechtsansicht des Berufungsgerichts und beantragt, die Revision zurückzuweisen, hilfsweise ihr nicht Folge zu geben.

Die außerordentliche Revision des Klägers ist zulässig, weil die Einbeziehung unsicherer Rechte in die Bemessungsgrundlage für den Pflichtteil einer Klarstellung bedarf. Sie ist teilweise im Sinn des Aufhebungsantrags berechtigt.

Rechtliche Beurteilung

1. Die Auffassung der Vorinstanzen, dass in die Bemessungsgrundlage für den Pflichtteil kein kapitalisiertes Benutzungsentgelt für das Belassen des Stollens aufzunehmen ist, trifft zu.

1.1. Der Oberste Gerichtshof hat in den Entscheidungen

1 Ob 513/93 und 6 Ob 2164/96w die Rechtsverhältnisse am hier strittigen Stollen dargelegt. Es handelt sich dabei um ein sonderrechtsfähiges Bauwerk, das mangels ursprünglicher Belassungsabsicht einem Superädifikat gleichzuhalten ist und zunächst im Eigentum des Deutschen Reiches stand; nach Art 22 des Staatsvertrags von Wien (BGBl 1955/152) und § 3 des 1. Staatsvertragsdurchführungsgesetzes (BGBl 1956/165) ging das Eigentum (zunächst) auf die Republik Österreich über (1 Ob 513/93). Zwar ist das Recht des Stolleneigentümers, die Liegenschaft zu nutzen, mit Außerkrafttreten der diesbezüglichen Regelungen des (reichs)deutschen Rechts erloschen. Angesichts der an wirtschaftliche Unmöglichkeit grenzenden Kosten einer Beseitigung hätten aber vernünftige Parteien für diesen Fall die Weiterbelassung des Stollens vereinbart, solange das Grundeigentum dadurch nicht beeinträchtigt wird. Bis zu einem solchen Zeitpunkt wäre ein auf § 523 ABGB gestützter Beseitigungsanspruch rechtsmissbräuchlich (6 Ob 2164/96w).

1.2. Nach den im vorliegenden Verfahren getroffenen Feststellungen ist eine Beeinträchtigung der Liegenschaft durch den Stollen ausgeschlossen. Es ist auch nicht erkennbar, dass der Beklagte in irgendeiner Weise an der Nutzung seiner Liegenschaft gehindert würde. Damit besteht kein Beseitigungsanspruch des Beklagten.

1.3. Der Beklagte hat auch keinen Anspruch auf das hier strittige Benutzungsentgelt.

(a) Mangels Leistung durch den Beklagten könnte Anspruchsgrundlage für ein Benutzungsentgelt nur § 1041 ABGB sein. Diese bereicherungsrechtliche Bestimmung dient dem Ausgleich einer Vermögensverschiebung durch zuweisungswidrige Nutzung eines Rechtsguts (Apathy in Schwimann/Kodek4 § 1041 Rz 2; Koziol/Spitzer in KBB5 § 1041 Rz 1; Meissel in Rummel/Lukas4 § 1041 Rz 1). Sie setzt zwar weder einen Schaden des Gläubigers noch ein Verschulden des Schuldners voraus (7 Ob 540/92 SZ 65/6; 4 Ob 258/98i SZ 71/169; 4 Ob 106/09f; Apathy und Meissel aaO), wohl aber – da sonst keine zuweisungswidrige Vermögensverschiebung vorliegt – einen zumindest objektiv vorhandenen Nutzen des Schuldners (1 Ob 39/03x; 4 Ob 163/09p; 4 Ob 126/10y; Apathy in Schwimann/Kodek4 § 1041 Rz 4 [Vorteile aus der Sache]; Meissel in Rummel/Lukas4 § 1041 Rz 5 [in Geld schätzbarer Vorteil]; Koziol/Spitzer in KBB5 § 1041 Rz 1 [Vorteile gezogen]).

(b) Im vorliegenden Fall ist kein solcher Nutzen oder Vorteil des Stolleneigentümers erkennbar. Zwar zeigt die Revision richtig auf, dass das bloße Vorhandensein des Stollens als Verwendung der Liegenschaft des Beklagten verstanden werden kann. Der Stollen wird aber von seinem Eigentümer nicht mehr für eigene Zwecke betrieben, sodass er daraus keinen wie immer gearteten Vorteil zieht. Damit fehlt eine Vermögensverschiebung, die nach § 1041 ABGB rückgängig zu machen wäre.

(c) Der in der Revision angestellte Vergleich mit einem nach Ablauf des Benutzungsrechts nicht entfernten Superädifikat im eigentlichen Sinn hilft dem Kläger nicht weiter. Denn in diesem Fall beeinträchtigte das rechtswidrige Belassen des Bauwerks die Nutzung der Liegenschaft, was zu einem Schadenersatzanspruch des Eigentümers führte, der auf den Entgang des Erlöses einer solchen Nutzung gerichtet sein könnte. Ein vergleichbarer Fall liegt hier mangels Beeinträchtigung der Nutzungsmöglichkeiten nicht vor. Auf die Frage, ob die Rechtsmissbräuchlichkeit des Beseitigungsbegehrens einen Ersatzanspruch von vornherein ausschlösse, kommt es daher nicht an.

2. Hingegen ist das Verfahren in Bezug auf den Wert des Wasserbezugsrechts nicht spruchreif.

2.1. Wegen des Erbfalls vor dem 1. Jänner 2017 sind auf den Pflichtteilsanspruch des Klägers noch die erbrechtlichen Vorschriften vor Inkrafttreten des ErbRÄG 2015 anzuwenden. Danach war der Nachlass bis zur „wirklichen Zuteilung“ des Pflichtteils ein gemeinschaftliches Gut von Erben und Pflichtteilsberechtigten (§ 786 S 2 ABGB aF). Daher nahmen die Pflichtteilsberechtigten bis dahin an der wirtschaftlichen Entwicklung des Nachlasses teil. Im Ergebnis bestimmte sich die Höhe des Pflichtteils daher nach dem Wert der Verlassenschaft zu diesem Zeitpunkt (3 Ob 315/05b SZ 2006/45; RS0012933 [T7]). Maßgebend war im Pflichtteilsprozess der Schluss der Verhandlung erster Instanz (3 Ob 315/05b; 2 Ob 208/09s).

2.2. Im vorliegenden Fall haben die Vorinstanzen den Wert des Wasserbezugsrechts nach der Nutzung zu diesem Zeitpunkt ermittelt, wobei sie den vom Sachverständigen ermittelten Bedarf der Liegenschaft (1.184 m³ pro Jahr) zugrunde legten. Dass der Wert des Bezugsrechts zumindest in dieser Höhe in die Bemessungsgrundlage einzufließen hat, ist unstrittig. Das Recht als solches besteht allerdings im Umfang von 8.760 m³ pro Jahr (365 x 24 m³). Den Feststellungen ist nicht zu entnehmen, dass eine weitergehende Nutzung geradezu ausgeschlossen wäre. Es ist daher zu prüfen, ob und unter welchen Voraussetzungen eine bloße Nutzungsmöglichkeit in die Bewertung des Rechts einzufließen hat. Zwar ist das Recht als solches nicht unsicher, wohl aber ist unsicher, ob das Recht tatsächlich im vollen Umfang genutzt werden kann.

2.3. Im Schrifttum werden zur Bewertung eines aufschiebend bedingten oder „unsicheren“ Rechts zwei Ansätze vertreten: Nach einer Ansicht gebührt der Pflichtteil in diesem Fall erst bei Eintritt der Bedingung bzw Einbringung oder Sicherstellung des Rechts (Ehrenzweig, System II/22 Familien- und Erbrecht [1937] 587; Gschnitzer/Faistenberger, Erbrecht2 [1983] 103; Welser in Rummel/Lukas4 § 784 Rz 4; ders, Erbrechtskommentar § 779 Rz 8), nach der anderen ist das Recht nach Wahrscheinlichkeitskriterien zu bewerten (Kralik, Erbrecht [1983] 292; Weiß in Klang III2 903 f [beide für aufschiebend bedingte Rechte]; Nemeth in Schwimann/Kodek4 § 802 Rz 23). Der Oberste Gerichtshof ist in einer älteren Entscheidung (4 Ob 550, 551/73 NZ 1974, 91) für „einfache Fälle“ eines unsicheren Rechts der zweitgenannten Ansicht gefolgt.

2.4. Nach der erstgenannten Ansicht könnten weitere Pflichtteilsansprüche auch noch Jahre nach dem Tod des Erblassers entstehen. Das sprach schon nach altem Recht gegen die Berücksichtigung unsicherer oder aufschiebend bedingter Rechte erst mit Einbringung bzw Eintritt der Bedingung (Weiß, Kralik aaO). Nach dem hier noch nicht anzuwendenden neuen Recht wäre auch die Wertung des § 762 ABGB zu berücksichtigen, wonach einer Zuwendung anhaftende Bedingungen der Eignung zur Pflichtteilsdeckung nicht entgegenstehen, sondern nur – notwendigerweise nach Wahrscheinlichkeitskriterien – bei der Bewertung der Zuwendung zu berücksichtigen sind. Das spricht dafür, aufschiebend bedingte oder unsichere Rechte auch in Bezug auf die Bemessungsgrundlage nicht unberücksichtigt zu lassen, sondern mit einem Schätzwert anzusetzen.

2.5. Diese Überlegungen sind auf den vorliegenden Fall zu übertragen, in dem zwar das Recht als solches sicher ist, seine Ausübung in der Zukunft aber unsicher. Ein bloßes Abstellen auf die aktuelle Nutzung benachteiligte den Pflichtteilsberechtigten, dessen Anspruch vom subjektiven Verhalten des Erben abhinge. Die Maßgeblichkeit allein der rechtlich möglichen Nutzung benachteiligte demgegenüber den Erben, da der Pflichtteilsanspruch dann nicht nur unabhängig von seinen subjektiven Verhältnissen (konkrete Nutzung) zu bemessen wäre, sondern auch losgelöst von den objektiven Nutzungsmöglichkeiten. Den Interessen beider Seiten wird daher nur eine an den objektiven Nutzungsmöglichkeiten orientierte Schätzung des Rechts gerecht.

2.6. Aufgrund dieser Erwägungen ist der Wert des Wasserbezugsrechts nicht allein aufgrund der derzeitigen Nutzung, sondern auch aufgrund objektiver Nutzungsmöglichkeiten durch einen vernünftigen Liegenschaftseigentümer zu ermitteln. Dabei werden insbesondere mögliche Änderungen der wasserrechtlichen Bewilligung, ein durch eine mögliche andere Nutzung der Liegenschaft erhöhter Wasserbedarf und die allfällige Möglichkeit der Verwertung des Wassers zur Versorgung Dritter zu berücksichtigen sein. Wie diese Elemente in die Bewertung einfließen, ist dann eine auf der Tatsachenebene zu lösende Frage. Unter Umständen wäre es auch möglich, den Wert des Rechts aus einer durch die Möglichkeit einer weitergehenden Nutzung bedingten Erhöhung des Verkehrswerts der Liegenschaft abzuleiten. Insofern ist die Sache jedenfalls noch nicht spruchreif.

3. Diese Erwägungen führen zu einer teilweisen Aufhebung des angefochtenen Urteils.

3.1. Der vom Kläger behauptete Wert des Wasserbezugsrecht von 200.000 EUR erhöhte die Aktiva um 164.320,16 EUR auf 816.764,40 EUR, was unter Berücksichtigung der unstrittigen Passiva von 46.593,50 EUR zu einem Pflichtteil von 64.937,20 EUR führte. Abzüglich bereits geleisteter Zahlungen ergäbe sich ein Anspruch von 18.343,70 EUR, wovon dem Kläger bereits ein Teilbetrag von 4.650,36 EUR rechtskräftig zugesprochen wurde. Hätte der Kläger zur Gänze Erfolg, erhöhte sich sein Anspruch daher um 13.693,34 EUR. In diesem Umfang sind die abweisenden Entscheidungen der Vorinstanzen aufzuheben, und dem Erstgericht ist die neuerliche Entscheidung nach Verfahrensergänzung aufzutragen. Im Übrigen ist die Abweisung, die insofern auf dem Nichtansetzen eines Benutzungsentgelts für den Stollen beruht, als Teilurteil zu bestätigen.

3.2. Im fortgesetzten Verfahren wird das Erstgericht den Kläger zu einem konkreten Vorbringen zu den objektiven Nutzungsmöglichkeiten des Wasserbezugsrechts (oben 2.6.) aufzufordern haben. Auf der Grundlage des darüber geführten Beweisverfahrens wird der Wert des Rechts gegebenenfalls neu zu ermitteln sein.

4. Die Kostenentscheidung gründet sich für den Aufhebungsbeschluss auf § 52 Abs 1 S 3 ZPO und für das Teilurteil auf § 52 Abs 4 ZPO.

Textnummer

E127106

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:2019:0020OB00003.19H.1128.000

Im RIS seit

24.01.2020

Zuletzt aktualisiert am

25.03.2020
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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