Entscheidungsdatum
14.01.2020Index
10/01 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG)Norm
B-VG Art. 140 Abs1 Z1 litaText
Das Verwaltungsgericht Wien stellt durch sein Mitglied Dr. Gindl im Verfahren über die Beschwerde der Frau A. B. gegen den Bescheid des Magistrats der Stadt Wien, Magistratsabteilung 40, Soziales, Sozial- u. Gesundheitsrecht, Region ..., Sozialzentrum ..., vom 12.11.2019, Zl. ..., betreffend Wiener Mindestsicherungsgesetz (WMG) gemäß Art.140 Abs. 1 Z. 1 lit a B-VG den
A N T R A G
der Verfassungsgerichtshof möge
in § 5 Abs. 2 Z 3 Wiener Mindestsicherungsgesetz (WMG), LGBL. für Wien Nr. 38/2010 idF LGBL. für Wien Nr. 2/2018 erster Satz das Wort “ „Daueraufenthalt-EU“ “ als verfassungswidrig aufheben
in eventu
in § 5 Abs. 2 Z 3 Wiener Mindestsicherungsgesetz (WMG), LGBL. für Wien Nr. 38/2010 idF LGBL. für Wien Nr. 2/2018 erster Satz das Wort “ „Daueraufenthalt-EU“ “ und die Wortfolge “, sowie Personen mit einem vor dem 1.1.2014 ausgestellten Aufenthaltstitel „Daueraufenthalt – Familienangehöriger“ oder „Daueraufenthalt – EG“, welche gemäß § 81 Abs. 29 NAG als Aufenthaltstitel „Daueraufenthalt – EU“ weiter gelten“, als verfassungswidrig aufheben.
BEGRÜNDUNG
I. Anlassfall:
Mit Bescheid des Magistrates der Stadt Wien, Magistratsabteilung 40 (belangte Behörde) vom 12.11.2019, ..., wurde der Antrag der Frau A. B. vom 24.09.2019 auf Zuerkennung von Bedarfsorientierter Mindestsicherung abgewiesen. Begründend wurde nach Wiedergabe der hier maßgeblichen Bestimmungen des WMG im Wesentlichen ausgeführt, dass Frau A. B. mit Schreiben vom 17.10.2019 unter Hinweis auf die Rechtsfolgen des § 16 WMG aufgefordert worden sei, bis 07.11.2019 für die Beurteilung des Anspruches unerlässliche Angaben zu machen und/bzw. erforderliche Unterlagen zu erbringen. Nachweise über laufende bzw. beantragte Unterhaltszahlungen (Ehegattenunterhalt sei beim zuständigen Bezirksgericht geltend zu machen) seien nicht vorgelegt worden. Da die Behörde ohne die verpflichtende Mitwirkung praktisch außer Stande gesetzt gewesen sei, die für die Bemessung der Leistung rechtserheblichen Tatsachen festzustellen, seien die fehlenden Angaben zur Beurteilung des Anspruches „unerlässlich“ im Sinne des § 16 WMG gewiesen.
Frau A. B. erhob dagegen mit Schreiben vom 20.11.2019 fristgerecht Beschwerde und brachte zusammengefasst im Wesentlichen vor, dass sie alles abgegeben habe, so auch das Protokoll vom Gericht betreffend Zahlungen der Alimente.
Die belangte Behörde legte mit Schreiben vom 20.11.2019 die Beschwerde mit dem bezughabenden Akt dem Verwaltungsgericht Wien vor.
Zunächst erließ das Verwaltungsgericht Wien durch die zuständige Landesrechtspflegerin das Erkenntnis vom 12.12.201, VGW-42/010/RP13/15278/2019-2, mit welchem die Beschwerde als unbegründet abgewiesen wurde. Frau A. B. erhob dagegen mit E-Mail vom 23.12.2019 fristgerecht Vorstellung und führte zusammengefasst im Wesentlichen aus, dass sie nunmehr alles vorgelegt habe, was die Behörde verlangt habe und sie und ihre Kinder mit ihrem Einkommen nicht leben können.
Der nach Erhebung der Vorstellung zuständige Richter des Verwaltungsgerichts Wien geht aufgrund des Inhaltes des Behördenaktes von folgendem Sachverhalt aus:
Frau A. B. ist Staatsbürgerin von Nordmazedonien und ist mit
dem österreichischen Staatsbürger C. B. verheiratet. Sie ist seit 02.12.2014 durchgehend mit Hauptwohnsitz im Bundesgebiet gemeldet und verfügt über einen befristeten, aufrechten Aufenthaltstitel „Familienangehöriger“. Sie lebt von ihrem Ehegatten getrennt und wohnt mit den drei gemeinsamen minderjährigen Kindern, die österreichische Staatsbürger sind, in der Wohnung in Wien, D.-straße.. Frau A. B. bezieht Notstandshilfe vom AMS (2019 in der Höhe von 32,40 Euro täglich) und stellte am 24.09.2019 für sich und ihre drei minderjährigen Kinder einen Antrag auf Zuerkennung von Bedarfsorientierter Mindestsicherung. In weiterer Folge wurde Frau A. B. mit einem auf § 16 WMG gestützten Auftrag vom 17.10.2019, zugestellt am 23.10.2019, aufgefordert bis spätestens 07.11.2019 diverse Ansprüche geltend zu machen und Unterlagen darüber vorzulegen, u.a. ist der Ehegattenunterhalt beim zuständigen Bezirksgericht geltend zu machen und ein Nachweis darüber vorzulegen (Protokoll oder Beschluss). Bis auf die Vorlage des Protokolls bzw. Beschlusses des Bezirksgerichtes über die Geltendmachung des Ehegattenunterhaltes wurde dem Auftrag vom 17.10.2019 fristgerecht entsprochen. In dem der belangten Behörde am 07.11.2019 vorgelegten Protokoll des Bezirksgerichtes ... vom 05.11.2019 betreffend Pflegschaftssache der drei minderjährigen Kinder der Beschwerdeführerin ist unter anderem festgehalten, dass der Vater der Kinder (C. B.) Notstandshilfe bezieht und laut Beschluss des Bezirksgerichtes ... vom 10.06.2009 zu einer monatlichen Unterhaltsleistung in der Höhe von je 30 Euro für E. und F. verpflichtet ist. Festgehalten wurde, dass der Vater nicht leistungsfähig ist, jedoch davon ausgegangen werden kann, dass der Vater einen monatlichen Unterhalt von 30 Euro pro Kind bezahlt, da dies die Höhe des Familienzuschlages des AMS ist.
§ 16 WMG regelt auszugsweise Folgendes:
(1) Wenn eine Hilfe suchende oder empfangende Person trotz Aufforderung unter Setzung einer angemessenen Frist und nachweislichem Hinweis auf die Rechtsfolgen ohne triftigen Grund nicht rechtzeitig mitwirkt, indem sie
1. die zur Durchführung des Verfahrens von der Behörde verlangten Angaben nicht macht oder
2. die von der Behörde verlangten Unterlagen nicht vorlegt oder
3. gesetzliche oder vertragliche Ansprüche, die der zumindest teilweisen Deckung der Bedarfe nach § 3 dienen, nicht nachhaltig, auch verwaltungsbehördlich oder gerichtlich verfolgt, wobei eine offenbar aussichtslose unzumutbare oder mit unverhältnismäßigem Kostenrisiko verbundene Geltendmachung von Ansprüchen nicht verlangt werden kann,
ist die Leistung einzustellen oder abzulehnen. Eine Nachzahlung für die Zeit der Einstellung oder Ablehnung unterbleibt. Ein triftiger Verhinderungsgrund ist von der Hilfe suchenden oder empfangenden Person glaubhaft zu machen und entsprechend zu bescheinigen.
[…]
Fest steht zwar, dass Frau A. B. einen Protokoll/Beschluss des Bezirksgerichtes über die Geltendmachung des Ehegattenunterhaltes nicht fristgerecht vorgelegt hat, jedoch war die belangte Behörde mit Übermittlung des Protokolls des Bezirksgerichtes ... vom 05.11.2019 betreffend Pflegschaftssache der drei minderjährigen Kinder in Kenntnis davon, dass der Ehegatte von Frau A. B. Notstandshilfebezieher, unterhaltspflichtig für mehrere Kinder und, wie von der beim Bezirksgericht ... dafür zuständigen Diplomrechtspflegerin festgestellt worden ist, nicht leistungsfähig ist. Damit steht fest, dass eine gerichtliche Verfolgung von Unterhaltsansprüchen der Frau A. B. gegen ihren Ehegatten aussichtslos ist und von ihr nicht verlangt werden kann und war dies auch der belangten Behörde innerhalb der mit Auftrag vom 17.10.2019 gewährten Frist bekannt.
Da somit die belangte Behörde den Antrag von Frau A. B. vom 24.09.2019 zu Unrecht wegen Verletzung der Mitwirkungspflicht nach § 16 WMG abgewiesen hat, hat das Verwaltungsgericht Wien aufgrund des Antrages der Beschwerdeführerin vom 24.09.2019 zu prüfen, ob die Bedarfsgemeinschaft, bestehend aus Frau A. B. und ihren drei minderjährigen Kindern, Anspruch auf Bedarfsorientierte Mindestsicherung nach dem WMG hat. Frau A. B. hat am 21.11.2019 neuerlich einen Antrag auf Zuerkennung von Bedarfsorientierte Mindestsicherung gestellt, welcher mit Bescheid vom 13.12.2019 mangels Gleichstellung abgewiesen worden ist.
II. Rechtslage:
Die hier maßgeblichen Bestimmungen des WMG (die angefochtenen Wortfolgen sind hervorgeheben) lauten wie folgt:
1. Abschnitt
Allgemeines
Ziele und Grundsätze
§ 1. (1) Die Wiener Mindestsicherung hat zum Ziel, Armut und soziale Ausschließung verstärkt zu bekämpfen und zu vermeiden, die Existenz von alleinstehenden und in Familien lebenden Personen zu sichern, die dauerhafte Eingliederung oder Wiedereingliederung, insbesondere von volljährigen Personen bis zur Vollendung des 25. Lebensjahres, in das Erwerbsleben sowie die soziale Inklusion weitest möglich zu fördern. Die Gleichstellung von Männern und Frauen ist als durchgängiges Prinzip zu verfolgen.
(2) Die Wiener Mindestsicherung erfolgt durch Zuerkennung von pauschalierten Geldleistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts und Wohnbedarfs sowie von den bei Krankheit, Schwangerschaft und Entbindung erforderlichen Leistungen. Auf diese Leistungen besteht ein Rechtsanspruch.
(3) Die Zuerkennung von Leistungen der Wiener Mindestsicherung ist subsidiär. Sie erfolgt nur, wenn der Mindestbedarf nicht durch Einsatz eigener Arbeitskraft, eigener Mittel oder Leistungen Dritter gedeckt werden kann.
(4) Die Wiener Mindestsicherung dient der Beseitigung einer bestehenden Notlage. Sie erfolgt auch vorbeugend, wenn dadurch einer drohenden Notlage entgegengewirkt werden kann. Eine Fortsetzung ist solange möglich, als dies notwendig ist, um die Wirksamkeit und Nachhaltigkeit der Hilfeleistung zu sichern. Die Mindestsicherung hat rechtzeitig einzusetzen. Eine Zuerkennung von Leistungen für die Vergangenheit ist nicht möglich.
(5) Die Zuerkennung von Leistungen der Wiener Mindestsicherung erfolgt im Zusammenhang mit individueller Beratung und Betreuung, soweit diese zur Vermeidung und Überwindung von sozialen Notlagen, zur Verbesserung der Arbeitsfähigkeit oder Vermittelbarkeit und sozialen Inklusion sowie zur nachhaltigen sozialen Stabilisierung erforderlich sind. Dabei ist auf die Eigenart und Ursache der Notlage Rücksicht zu nehmen. Weiters ist darauf Bedacht zu nehmen, dass die familiären Beziehungen erhalten und gefestigt werden, die Kräfte zur Selbsthilfe angeregt und gefördert werden und Nachteilen bei der Geltendmachung von Rechten im Verfahren, insbesondere geschlechtsspezifischen und solchen, die sich aus familienspezifischen Lebensverhältnissen ergeben, entgegengewirkt wird. Es ist besonders darauf hinzuwirken, dass die Hilfe suchenden oder empfangenden Personen zur Beseitigung der Notlage beitragen und ihren Bedarf unabhängig von der Mindestsicherung decken können.
(6) Die mit der Durchführung von Aufgaben des Case Managements, der Sozialarbeit und der psychosozialen Beratung und Betreuung betrauten Personen müssen dafür fachlich und persönlich geeignet sein.
(7) Das Land Wien gewährt im Rahmen der Privatwirtschaftsverwaltung Förderungen als Hilfen in besonderen Lebenslagen.
2. Abschnitt
Leistungen der Wiener Mindestsicherung
Erfasste Bedarfsbereiche
§ 3. (1) Die Wiener Mindestsicherung deckt den Mindeststandard in den Bedarfsbereichen Lebensunterhalt, Wohnen, Krankheit, Schwangerschaft und Entbindung ab.
(2) Der Lebensunterhalt umfasst den Bedarf an Nahrung, Bekleidung, Körperpflege, Hausrat, Heizung und Energie sowie andere persönliche Bedürfnisse, zu denen auch die soziale und kulturelle Teilhabe zählt.
(3) Der Wohnbedarf umfasst den für die Gewährleistung einer angemessenen Wohnsituation erforderlichen Aufwand an Miete, Abgaben und allgemeinen Betriebskosten.
(4) Der Bedarf bei Krankheit, Schwangerschaft und Entbindung umfasst den Aufwand, der bei Bezieherinnen und Beziehern einer Ausgleichszulage aus der Pensionsversicherung durch die gesetzliche Krankenversicherung im Rahmen der Wiener Gebietskrankenkasse abgedeckt ist.
Allgemeine Anspruchsvoraussetzungen
§ 4. (1) Anspruch auf Leistungen der Wiener Mindestsicherung hat, wer
1. zum anspruchsberechtigten Personenkreis (§ 5 Abs. 1 und 2) gehört,
2. seinen Lebensmittelpunkt in Wien hat, sich tatsächlich in Wien aufhält und seinen Lebensunterhalt in Wien bestreiten muss,
3. die in § 3 definierten Bedarfe nicht durch den Einsatz seiner Arbeitskraft, mit eigenen Mitteln oder durch Leistungen Dritter abdecken kann,
4. einen Antrag stellt und am Verfahren und während des Bezuges von Leistungen der Bedarfsorientierten Mindestsicherung entsprechend mitwirkt.
(2) Ein Anspruch auf Mindestsicherung des Lebensunterhalts und Wohnbedarfs einschließlich Mietbeihilfe besteht ab einem errechneten Mindestbetrag von fünf Euro monatlich.
(3) Personen, die bereits eine für Erwerbszwecke geeignete abgeschlossene Ausbildung oder eine Schulausbildung auf Maturaniveau haben und ihre Arbeitskraft allein deshalb nicht voll einsetzen können, weil sie eine weiterführende Ausbildung absolvieren, steht ein Anspruch auf Leistungen aus der Wiener Mindestsicherung nicht zu.
Personenkreis
§ 5. (1) Leistungen nach diesem Gesetz stehen grundsätzlich nur volljährigen österreichischen Staatsbürgerinnen und Staatsbürgern zu.
(2) Den österreichischen Staatsbürgerinnen und Staatsbürgern sind folgende Personen gleichgestellt, wenn sie volljährig sind, sich rechtmäßig im Inland aufhalten und die Einreise nicht zum Zweck des Sozialhilfebezuges erfolgt ist:
1. Asylberechtigte und subsidiär Schutzberechtige, denen dieser Status nach den Bestimmungen des Bundesgesetzes über die Gewährung von Asyl (Asylgesetz 2005 – AsylG 2005) zuerkannt wurde sowie Personen, die Staatsangehörige eines EU- oder EWR-Staates oder der Schweiz und Opfer von Menschenhandel, grenzüberschreitenden Prostitutionshandel oder Opfer von Gewalt sind oder die über eine Aufenthaltsberechtigung als Opfer von Menschenhandel oder grenzüberschreitendem Prostitutionshandel oder als Opfer von Gewalt verfügen (§ 57 Abs.1 Z 2 und 3 AsylG 2005);
2. Staatsangehörige eines EU- oder EWR-Staates oder der Schweiz, wenn sie erwerbstätig sind oder die Erwerbstätigeneigenschaft nach § 51 Abs. 2 Bundesgesetz über die Niederlassung und den Aufenthalt in Österreich (Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz – NAG) erhalten bleibt oder sie das Recht auf Daueraufenthalt nach § 53a NAG erworben haben und deren Familienangehörige;
3. Personen mit einem Aufenthaltstitel „Daueraufenthalt - EU“ oder deren vor Inkrafttreten des NAG erteilte Aufenthalts- und Niederlassungsberechtigung als solche gemäß § 81 Abs. 2 NAG in Verbindung mit der NAG-DV weiter gilt, sowie Personen mit einem vor dem 1.1.2014 ausgestellten Aufenthaltstitel „Daueraufenthalt – Familienangehöriger“ oder „Daueraufenthalt – EG“, welche gemäß § 81 Abs. 29 NAG als Aufenthaltstitel „Daueraufenthalt – EU“ weiter gelten;
4. Personen mit einem Aufenthaltstitel „Daueraufenthalt – EU“ eines anderen Mitgliedstaates, denen ein Aufenthaltstitel nach § 49 Abs. 1, Abs. 2 oder Abs. 4 NAG erteilt wurde,
5. Ehegattinnen und Ehegatten, eingetragene Partnerinnen und eingetragene Partner von Personen gemäß Abs. 1 oder Abs. 2 Z 1 bis 4, die mit diesen in einem gemeinsamen Haushalt leben und sich rechtmäßig in Österreich aufhalten.
(3) Personen, die nach den Bestimmungen des AsylG 2005 einen Asylantrag gestellt haben, steht bis zum rechtskräftigen Abschluss des Verfahrens kein Anspruch auf Leistungen der Wiener Mindestsicherung zu.
Anspruch auf Mindestsicherung des Lebensunterhalts und Wohnbedarfs
§ 7. (1) Anspruch auf Mindestsicherung des Lebensunterhalts und Wohnbedarfs haben volljährige Personen bei Erfüllung der Voraussetzungen nach § 4 Abs. 1 und 2. Der Anspruch auf Mindestsicherung des Lebensunterhalts und Wohnbedarfs kann nur gemeinsam geltend gemacht werden und steht volljährigen Personen der Bedarfsgemeinschaft solidarisch zu. Die Abdeckung des Bedarfs von zur Bedarfsgemeinschaft gehörenden minderjährigen Personen erfolgt durch Zuerkennung des maßgeblichen Mindeststandards an die anspruchsberechtigten Personen der Bedarfsgemeinschaft, der sie angehören.
(2) Die Zurechnung zu einer Bedarfsgemeinschaft erfolgt nach folgenden Kriterien:
1. Volljährige Personen, zwischen denen keine unterhaltsrechtliche Beziehung oder Lebensgemeinschaft besteht, bilden jeweils eine eigene Bedarfsgemeinschaft, auch wenn sie mit anderen Personen in der Wohnung leben (Wohngemeinschaft), sofern nicht Z 2, 4 oder 5 anzuwenden ist.
2.Volljährige Personen, zwischen denen eine Ehe besteht oder volljährige Personen, zwischen denen eine eingetragene Partnerschaft oder Lebensgemeinschaft besteht und die im gemeinsamen Haushalt leben, bilden eine eigene Bedarfsgemeinschaft, auch wenn sie mit einem Eltern- oder Großelternteil in der Wohnung leben.
3. Minderjährige Personen im gemeinsamen Haushalt mit zumindest einem Eltern- oder Großelternteil oder mit einer zur Obsorge berechtigten Person bilden mit diesem oder dieser eine Bedarfsgemeinschaft.
4. Volljährige Personen bis zum vollendeten 25. Lebensjahr im gemeinsamen Haushalt mit zumindest einem Eltern- oder Großelternteil bilden mit diesem eine Bedarfsgemeinschaft.
5. Volljährige Personen ab dem vollendeten 25. Lebensjahr und volljährige auf Dauer arbeitsunfähige Personen bilden eine eigene Bedarfsgemeinschaft, auch wenn sie mit einem Eltern- oder Großelternteil in der Wohnung leben.
(3) Bezieht eine zur Bedarfsgemeinschaft gehörende minderjährige oder volljährige Person bis zum vollendeten 25. Lebensjahr eine Unterhaltsleistung von einer nicht zur Bedarfsgemeinschaft gehörenden Person, eine Lehrlingsentschädigung oder ein sonstiges Einkommen, die bzw. das die Höhe des für diese Person maßgeblichen Mindeststandards übersteigt, so ist diese Person bei der Bemessung nicht zu berücksichtigen.
(4) Ist die Verfolgung von Unterhaltsansprüchen einer minderjährigen Person nicht offenbar aussichtslos oder unzumutbar und ist die Höhe des Anspruchs nicht gerichtlich festgestellt oder nur frei vereinbart, so ist diese Person bei der Bemessung nicht zu berücksichtigen.
§ 45 Abs. 1 NAG, idF , und § 47 Abs. 1 und 2 NAG, idF , lauten:
Aufenthaltstitel „Daueraufenthalt – EU“
§ 45. (1) Drittstaatsangehörigen, die in den letzten fünf Jahren ununterbrochen tatsächlich niedergelassen waren, kann ein Aufenthaltstitel „Daueraufenthalt – EU“ erteilt werden, wenn sie
1. die Voraussetzungen des 1. Teiles erfüllen und
2. das Modul 2 der Integrationsvereinbarung (§10 IntG) erfüllt haben.
[…]
2. Hauptstück
Familienangehörige und andere Angehörige von dauernd in Österreich wohnhaften Zusammenführenden
Aufenthaltstitel „Familienangehöriger“ und „Niederlassungsbewilligung – Angehöriger“
§ 47. (1) Zusammenführende im Sinne der Abs2 bis 4 sind Österreicher oder EWR-Bürger oder Schweizer Bürger, die in Österreich dauernd wohnhaft sind und nicht ihr unionsrechtliches oder das ihnen auf Grund des Freizügigkeitsabkommens EG-Schweiz zukommende Aufenthaltsrecht von mehr als drei Monaten in Anspruch genommen haben.
(2) Drittstaatsangehörigen, die Familienangehörige von Zusammenführenden sind, ist ein Aufenthaltstitel „Familienangehöriger“ zu erteilen, wenn sie die Voraussetzungen des 1. Teiles erfüllen.
[...]
III. Zur Zulässigkeit des Antrages:
Wie oben dargestellt, hat nach Ansicht des Gerichtes die belangte Behörde den Antrag von Frau A. B. vom 24.09.2019 auf Zuerkennung von Bedarfsorientierter Mindestsicherung nach dem WMG zu Unrecht nach § 16 WMG abgewiesen und hat das Gericht daher zu prüfen, ob die Bedarfsgemeinschaft, bestehend aus Frau A. B. und ihren drei minderjährigen Kindern, Anspruch auf Zuerkennung von Bedarfsorientierter Mindestsicherung hat. Die minderjährigen Kinder gehören nicht zum Anspruchsberechtigten Personenkreis nach dem WMG. Frau A. B., die Drittstaatsangehöriger ist und von ihren Ehegatten getrennt lebt, hätte nur dann einen Anspruch auf Zuerkennung von Mindestsicherungsleistungen, wenn sie österreichischen Staatsbürgern gleichgestellt ist, was gegenständlich nach § 5 Abs. 2 Z. 3 WMG zu prüfen ist. Die Präjudizialität der in Prüfung gezogenen Norm liegt sohin vor. Die Aufhebung der angefochtenen Wortfolge in § 5 Abs. 2 Z. 3 WMG hätte zur Folge, dass Frau Frau A. B. zum anspruchsberechtigten Personenkreis gehören würde und die Bedarfsgemeinschaft somit dem Grunde nach Anspruch auf bedarfsorientierte Mindestsicherung hätte.
Der Umfang der Anfechtung orientiert sich an der Entscheidung des VfGH vom 27.06.2018, G415/2017, mit der ausgesprochen wurde, dass Wortfolgen in § 5 Abs. 2 Ziffer 3 WMG, LGBL für Wien Nr. 38/2010, verfassungswidrig waren und wurde so gewählt, um einerseits zu verhindern, dass Drittstaatsangehörige mit Aufenthaltstitel „Familienangehöriger“, welche für Kinder mit österreichischer Staatsbürgerschaft im Inland obsorgeberechtigt und -verpflichtend sind und mit diesen eine Bedarfsgemeinschaft bilden, in einer Notlage von Leistungen der Bedarfsorientierten Mindestsicherung ausgeschlossen werden und folglich Hilfe versagt ist und andererseits auch nach Aufhebung der im Hauptantrag bzw. Eventualantrag beantragten Wortes (Wörter) keine Schwierigkeit bezüglich der Anwendung des im Rechtsbestand verbleibenden Teiles des Gesetzes besteht.
IV. Zu den Bedenken:
Hinsichtlich der Bedenken betreffend die Verfassungsmäßigkeit der in Anfechtung gezogenen Norm wird auf die Entscheidung des VfGH vom 27.06.2018, G415/2017, insbesondere auf die dort geäußerten Bedenken, verwiesen, weil die mit dieser Entscheidung des VfGH teilweise aufgehobene und die nunmehr bekämpfte Rechtsvorschrift in den maßgeblichen Bestimmungen und auch in Ansehung des von ihnen erfassten Lebenssachverhaltes offenkundig gleich sind.
Diese Bedenken, übertragen auf den verfahrensgegenständlichen Antrag, lassen sich wie folgt zusammenfassen:
Anspruch auf Bedarfsorientierte Mindestsicherung nach dem WMG haben grundsätzlich nur volljährige österreichische Personen (§§ 7 Abs. 1 und § 5 Abs. 1 WMG). Die Abdeckung des Bedarfs von zur Bedarfsgemeinschaft gehörenden minderjährigen Personen erfolgt durch die Zuerkennung des maßgeblichen Mindeststandards an die anspruchsberechtigten volljährigen Personen der Bedarfsgemeinschaft (Vgl. VwGH vom 29.11.2018, Ro 2017/10/0033-4). Dies setzt aber voraus, dass die erwachsene Person, mit denen die Minderjährigen eine Bedarfsgemeinschaft bilden, Anspruch auf Bedarfsorientierte Mindestsicherung nach dem WMG hat. Frau A. B. ist Drittstaatsangehörige und lebt von ihrem Ehegatten getrennt und müsste, um zum anspruchsberechtigten Personenkreis für Bedarfsorientierte Mindestsicherung zu gehören, den Gleichstellungstatbestandes nach § 5 Abs. 2 Ziffer 3 WMG erfüllen, wobei der Verwaltungsgerichtshof im Erkenntnis vom 09.11.2016, RO 2014/10/0094 festgestellt hat, dass es dazu erforderlich ist, dass eine vorangegangene, konstitutive Zuerkennung einer in § 5 Abs. 2 Z 3 WMG aufgezählten Aufenthaltstitel vorliegt. Frau A. B. verfügt „nur“ über einen Aufenthaltstitel „Familienangehöriger“, welcher im § 5 Abs. 2 Ziffer 3 WMG nicht angeführt ist und sohin nicht geeignet ist, eine Gleichstellung mit österreichischen Staatsbürgern für den Bezug von bedarfsorientierter Mindestsicherung herbeizuführen und ist daher nicht anspruchsberechtigt. Somit würden bei geltender Rechtslage auch die minderjährigen Kinder, die österreichische Staatsbürger sind und sich in einer Notlage befinden, keine Leistungen aus der Bedarfsorientierten Mindestsicherung im Rahmen der Bedarfsgemeinschaft erhalten.
Der Gleichheitsgrundsatz gebietet dem Gesetzgeber, Gleiches gleich und ungleiches ungleich zu behandeln und setzt ihm insofern inhaltliche Schranken, als er verbietet, andere als sachlich begründbare Differenzierungen zwischen den Normadressaten zu schaffen (vgl. VfSlg 17.315/2004, 17.500/2005). Der Gesetzgeber ist zwar nicht gehalten, Leistungen der Mindestsicherung in unbeschränkter Weise zu gewähren, wenn dies eine Förderung rechtspolitisch unerwünschter Ziele zur Folge hätte (vgl. VfSlg 5972/1969 und 8541/1979); ist allerdings in einem vom Gesetzgeber eingerichteten System der Sicherung zur Gewährung eines zu einem menschenwürdigen Leben erforderlichen Mindeststandards der Zweck, dem betroffenen Personenkreis das Existenzminimum zu gewähren, nicht mehr gewährleistet, dann verfehlt ein solches Sicherungssystem offensichtlich insoweit seine Aufgabenstellung (VfSlg 19.698/2012; VfGH 7.3.2018, G136/2017 u.a.).
Gemäß § 1 WMG hat die Bedarfsorientierte Mindestsicherung zum Ziel, Armut und soziale Ausschließung zu bekämpfen und dient der Beseitigung einer bestehenden Notlage. Bilden minderjährige österreichische Staatsbürger und ihre Obsorgeberechtigte eine Bedarfsgemeinschaft und ist die Obsorgeberechtigte nicht in der Lage, den Lebensunterhalt durch Einsatz der eigenen Arbeitskraft, mit eigenen Mitteln oder durch Leistungen Dritter abzudecken (§ 4 Abs 1 Z 3 WMG), befinden sie sich in einer Notlage, unabhängig davon, ob die Obsorgeberechtigte zum Kreis der Anspruchsberechtigten nach dem WMG gehört. Indem der Wiener Landesgesetzgeber einerseits Personen mit dem Aufenthaltstitel "Familienangehöriger" gemäß § 47 Abs. 2 NAG vom Kreis der Anspruchsberechtigten nach dem WMG ausschließt und andererseits vorsieht, dass minderjährige österreichische Staatsbürger nur mittelbar über ihre nach dem WMG anspruchsberechtigten Obsorgeberechtigten versorgt werden können, hat er eine unsachliche Regelung geschaffen, die insofern ihren eigentlichen Zweck, nämlich die Beseitigung bestehender Notlagen, verfehlt.
Das Verwaltungsgericht Wien hält daher die Bestimmung des § 5 Abs. 2 Ziffer 3 WMG im angefochtenen Umfang für verfassungswidrig.
Schlagworte
Normprüfungsantrag; Gesetzesprüfung; Sozialhilfe; Mindestsicherung; GrundversorgungAnmerkung
VfGH v. 8.6.2020, G 15/2020; Feststellung eines Wortes als verfassungswidrigEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:LVWGWI:2020:VGW.242.010.16474.2019.VOR.4Zuletzt aktualisiert am
14.07.2020