Entscheidungsdatum
10.01.2020Norm
NAG 2005 §46 Abs1 Z2 litcText
IM NAMEN DER REPUBLIK
Das Landesverwaltungsgericht Niederösterreich erkennt durch seinen Präsidenten über die Beschwerde der B, vertreten durch A & C, Rechtsanwalts-Partnerschaft in ***, ***, gegen den Bescheid der Landeshauptfrau von Niederösterreich vom 26. November 2018, Zl. ***, betreffend Abweisung des Antrages auf Erteilung eines Erstaufenthaltstitels, zu Recht:
1. Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.
2. Gegen dieses Erkenntnis ist eine ordentliche Revision zulässig.
Rechtsgrundlagen:
§ 46 Abs. 2 lit. c Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz – NAG
§§ 34 und 35 Asylgesetz 2005 – AsylG
§ 28 Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetz – VwGVG
§ 25a Verwaltungsgerichtshofgesetz 1985 – VwGG
Entscheidungsgründe:
1. Zum verwaltungsbehördlichen Verfahren:
1.1. Mit Bescheid vom 26. November 2018 zur Zl. *** wurde der Antrag vom 2. Oktober 2018 der nunmehrigen Beschwerdeführerin auf Erteilung eines Aufenthaltstitels „Rot-Weiß-Rot-Karte plus“ durch die Landeshauptfrau von NÖ abgewiesen. Begründend wurde insbesondere ausgeführt, es sei betreffend die nunmehrige Beschwerdeführerin ein Verfahren nach § 35 AsylG anhängig, weshalb gem. § 1 Abs. 2 NAG kein Aufenthaltstitel nach dem NAG erteilt werden könne.
1.2. In der gegen diesen Bescheid gerichteten Beschwerde wurde vorgebracht, dass das im Bescheid angezogene Verfahren gem. § 35 AsylG durch Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom 28.11.2016 rechtskräftig abgeschlossen wurde und daher der vorgebrachte Versagenstatbestand nicht vorliege.
2. Zum durchgeführten Ermittlungsverfahren:
Beweis wurde insbesondere erhoben durch Einsichtnahme in den Verwaltungsakt sowie durch mündliche Verhandlung am 29. Juli 2019 und Durchführung eines Parteiengehörs zur Anwendbarkeit des § 34 Abs. 2 AsylG, wobei trotz ausdrücklicher Fragestellung dahingehend von keiner Partei aus diesem Grund die Fortsetzung der mündlichen Verhandlung beantragt wurde.
3. Feststellungen:
3.1. Die Beschwerdeführerin, geboren am ***, ist syrische Staatsangehörige und lebt in ***. Sie stellte bei der österreichischen Botschaft Kuwait am 2. Oktober 2018 einen Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels „Rot-weiß-rot-Karte plus“ zum Zweck der Familienzusammenführung mit ihrem Ehegatten D (im Weiteren: Der Zusammenführende), geboren ***, ebenfalls syrischer Staatsangehöriger und Asylberechtigter in Österreich. Sie verfügt über einen Quotenplatz.
3.2. Die Beschwerdeführerin ist nicht vorbestraft. Sie ist Inhaberin eines syrischen Reisepasses Nummer ***, ausgestellt am 27. September 2014 und gültig bis 26 September 2020.
3.3. Die Ehe zwischen der Beschwerdeführerin und dem Zusammenzuführenden wurde am 26. Jänner 2015 in *** geschlossen. Es existiert weiters eine Heiratsurkunde der Republik Sudan betreffend die beiden Personen vom 19. September 2018.
3.4. Der Zusammenführende ist im Oktober 2015 nach Österreich eingereist und hat in Österreich aufgrund des Bescheides des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl, Zl *** vom 16. Juni 2016 den Status eines Asylberechtigten und kommt ihm die Flüchtlingseigenschaft zu. Gegen ihn ist kein Asylaberkennungsverfahren anhängig; er ist auch nicht vorbestraft.
3.5. Die Beschwerdeführerin hat am 22. Juni 2016 bei der Österreichischen Botschaft Kuwait einen Antrag auf Erteilung eines Einreisetitels nach § 35 AsylG gestellt. Dieser Antrag wurde durch Erkenntnis des BVwG vom 28. November 2016, ***, mangels Vorliegen einer gültigen Ehe zum nunmehrigen Zusammenführenden, rechtskräftig abgewiesen.
4. Beweiswürdigung:
4.1. Soweit nicht im Folgenden näher erläutert, ergeben sich die Feststellungen aus dem unbedenklichen und unbestritten gebliebenen Verwaltungsakt.
4.2. Dass gegen den Zusammenführenden kein Asylaberkennungsverfahren anhängig ist, ergibt sich aus dem diesbezüglichen Aktenvermerk des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 16. Oktober 2019.
4.3. Dass der Zusammenführende nicht straffällig geworden ist, ergibt sich aus einer eingeholten Strafregisterauskunft vom 7. Jänner 2020.
4.4. Aus dem im Akt inneliegenden „Heiratsvertrag“ vom 26. Jänner 2015, welcher auch von der Österreichischen Botschaft Kuwait (über-)beglaubigt wurde, in deutscher Übersetzung ergibt sich eindeutig, dass beide Eheleute bei der Eheschließung am 26. Jänner 2015 in *** anwesend waren, worauf auch die Stellungnahme der Österreichischen Botschaft Kuwait vom 28. Oktober 2018, Seite 6, hinweist. Eine „Stellvertreterehe“ liegt daher nicht vor. Auch die Anwesenheit des gesetzlichen Vertreters, des Vaters der nunmehrigen Beschwerdeführerin ergibt sich aus der Eheurkunde.
4.5. Das Einreisedatum des Zusammenführenden nach Österreich ergibt sich aus dem Zentralen Fremdenregister.
5. Rechtslage:
Zur Gültigkeit der am 26. Jänner 2015 geschlossenen Ehe
5.1. Entgegen der Rechtsansicht des BVwG in seiner Entscheidung W161 2132911-1/3E geht das Landesverwaltungsgericht Niederösterreich aus folgenden Gründen davon aus, dass zwischen der Beschwerdeführerin und ihrem zusammenführenden Ehemann bereits am 26. Jänner 2015, sohin bereits vor der Einreise des Gatten nach Österreich, in Kuwait rechtsgültig eine Ehe geschlossen wurde:
5.2. Da, wie festgestellt, beide Eheleute bei der Zeremonie anwesend waren, liegt keine „Stellvertreterehe“ vor. Zwar war die nunmehrige Beschwerdeführerin zum Zeitpunkt der Eheschließung erst 17 Jahre alt, es war jedoch ihr gesetzlicher Vertreter anwesend und hat seine Zustimmung erteilt. § 1 Abs 2 EheG erlaubt auch in Österreich unter gewissen Umständen eine Eheschließung ab dem vollendeten 16. Lebensjahr; mag auch das kuwaitische Eherecht nicht dieselben Zustimmungserfordernisse wie in Österreich dafür vorsehen, kann dennoch im konkreten Fall kein „ordre public“-Widerspruch festgestellt werden (eine gegen die „ordre public“-Klausel verstoßende Kinderehe liegt hier nämlich angesichts des Alters der Braut nicht vor). Ein sonstiger Hinweis auf „ordre public“-Umstände liegt nicht vor.
5.3. Der nochmaligen „Eheschließung“ im Sudan im Jahr 2018 kommt damit eine eigenständige eherechtliche Bedeutung nicht mehr zu und ist sie daher in Hinblick auf vorliegendes Verfahren nicht von rechtlicher Relevanz. Der entgegengesetzten Ansicht des Bundesverwaltungsgerichtes kommt für vorliegendes Verfahren keine Bindungswirkung zu, handelte es sich bei der Frage der Eheschließung doch dort ebenso wie hier lediglich um eine nicht bindende Vorfragenentscheidung.
Zum Verhältnis von § 46 Abs. 2 lit. c NAG zu § 34 Abs. 2 AsylG
5.4. § 46 Abs. 1 Z 2 lit. c NAG sieht vor, dass Familienangehörigen von Drittstaatsangehörigen unter den im NAG näher geregelten Voraussetzungen ein Aufenthaltstitel „Rot-Weiß-Rot-Karte Plus“ zu erteilen ist, wenn der Zusammenführende Asylberechtigter ist und § 34 Abs. 2 AsylG nicht gilt.
§ 34 Abs. 2 AsylG sieht wiederum vor, dass „die Behörde […] auf Grund eines Antrages eines Familienangehörigen eines Fremden, dem der Status des Asylberechtigten zuerkannt worden ist, dem Familienangehörigen mit Bescheid den Status eines Asylberechtigten zuzuerkennen [hat], wenn
1. dieser nicht straffällig geworden ist und
2. (entfallen)
3. gegen den Fremden, dem der Status des Asylberechtigten zuerkannt wurde, kein Verfahren zur Aberkennung dieses Status anhängig ist (§ 7).“
5.5. Der Verwaltungsgerichtshof hat in seiner Entscheidung zu Ra 2018/19/0568 vom 25. Juni 2019 zum Verhältnis dieser beiden Bestimmungen ausgesprochen, „dass der Gesetzgeber die Erteilung von Aufenthaltstiteln in jenen Konstellationen, die § 34 Abs. 2 AsylG 2005 unterliegen, nicht über das NAG 2005, sondern über das AsylG 2005 regeln wollte“ (Rn 25, aaO).
5.6. Im vorliegenden Fall unterliegt die verfahrensgegenständliche Konstellation dem § 34 Abs. 2 AsylG: Die Beschwerdeführerin ist – und war dies bereits im Zeitpunkt der Einreise ihres Ehemannes in das österreichische Staatsgebiet – Ehegattin des zusammenführenden, in Österreich Asylberechtigten und damit Familienangehörige iSd § 2 Z 22 AsylG. Dieser Asylberechtigte ist nicht vorbestraft und ist gegen ihn kein Asylaberkennungsverfahren anhängig.
5.7. Freilich ist festzuhalten, dass der – innerhalb von drei Monaten nach Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft an ihren Ehegatten gestellte – Antrag der nunmehrigen Beschwerdeführerin auf Erteilung eines Einreisetitels nach § 35 AsylG rechtskräftig abgewiesen wurde. Da ein Asylantrag gem. § 34 Abs. 2 AsylG nur im Inland gestellt werden kann, wäre die Erteilung eines Einreisetitels für die Inanspruchnahme der in dieser Bestimmung geregelten Rechte zwingend erforderlich (während umgekehrt der entsprechende Aufenthaltstitel nach dem NAG in der Regel nur aus dem Ausland beantragt werden kann). Der Verwaltungsgerichtshof scheint im genannten Erkenntnis in einer derartigen Konstellation, in der der betroffene Einreisewerber sein Recht nach § 35 AsylG verwirkt hat, diese Person auf einen Einreisetitel nach sonstigen fremdenpolizeilichen Bestimmungen (gegebenenfalls iVm mit dem NAG) zu verweisen (Rn 26, aaO).
5.8. Wenngleich sich die dargestellte Entscheidung des Verwaltungsgerichtshofes mit einer Konstellation beschäftigt, in welcher der Antrag nach § 35 AsylG – ohne Verschulden des Antragstellers – erst später als drei Monate nach Asylgewährung an den Zusammenführenden gestellt wurde, so sind die in dieser Entscheidung getroffenen Aussagen zum Verhältnis von § 34 AsylG zu § 46 Abs. 2 lit. c NAG genereller Natur und unabhängig vom Zeitpunkt der Antragstellung gem § 35 AsylG.
5.9. Vor dem Hintergrund dieser Ausführungen ist daher davon auszugehen, dass im Lichte der dargelegten Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs die Erteilung eines Aufenthaltstitels gem. § 46 Abs. 1 Z 2 lit. c NAG nicht in Frage kommt, weil die gegenständliche Konstellation unter § 34 Abs. 2 AsylG fällt. Die Abweisung des entsprechenden Antrags durch die Behörde erfolgte daher – im Ergebnis (wenngleich sich der im angefochtenen Bescheid angezogene Abweisungsgrund, es sei ein Verfahren nach § 35 AsylG anhängig, letztlich als unzutreffend herausgestellt hat) – zu Recht und war sie vom Verwaltungsgericht zu bestätigen.
5.10. Es kann dabei dahingestellt bleiben, ob die Abweisungsbegründung der belangten Behörde, es sei ein Verfahren nach § 35 AsylG anhängig und daher ein Antrag nach dem NAG nicht möglich, auch bei tatsächlichem Vorliegen dieses Sachverhaltes – wie festgestellt, war das entsprechende Verfahren schon im Zeitpunkt der behördlichen Entscheidung (wovon die Behörde aber keine Kenntnis hatte) abgeschlossen – zutreffend gewesen wäre, ist doch aus den genannten Gründen die Erteilung eines Aufenthaltstitels gem § 46 Abs. 1 Z 2 lit. c NAG ohnehin nicht zulässig.
6. Zur Zulässigkeit der ordentlichen Revision:
Die ordentliche Revision ist zulässig, da im gegenständlichen Verfahren eine Rechtsfrage zu lösen war, der im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B-VG grundsätzliche Bedeutung zukommt. In seiner Entscheidung zu Ra 2018/19/0568 war Verfahrensgegenstand die Erteilung eines Einreisetitels gem. § 35 AsylG, so dass entsprechende, die dort vertretene Rechtsansicht bestätigende Judikatur in Verfahren, deren Grundlage § 46 Abs. 2 lit. c NAG ist, nicht besteht. Insbesondere ist in der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes bislang nicht geklärt, ob der Umstand, dass ein Antrag auf Erteilung eines Einreisetitels nach § 35 AsylG rechtskräftig abgewiesen wurde, dazu führen würde, dass ein nachfolgendes Begehren auf Familienzusammenführung weiterhin zunächst nach § 34 Abs 2 AsylG zu beurteilen ist oder vielmehr in das Regime des NAG zu wechseln ist.
Schlagworte
Fremden- und Aufenthaltsrecht; Rot-Weiß-Rot-Karte-plus; Erstantrag; Eheschließung; Familienzusammenführung;European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:LVWGNI:2020:LVwG.AV.78.001.2019Zuletzt aktualisiert am
23.01.2020