TE Bvwg Erkenntnis 2019/9/16 W119 2136780-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 16.09.2019
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Entscheidungsdatum

16.09.2019

Norm

AsylG 2005 §10 Abs1 Z3
AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §57
AsylG 2005 §8 Abs1
BFA-VG §9
B-VG Art. 133 Abs4
FPG §52
FPG §55

Spruch

W119 2136780-1/14E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Richterin Mag.a EIGELSBERGER als Einzelrichterin über die Beschwerde der XXXX , geb. XXXX , StA. Volksrepublik China, vertreten durch den MigrantInnenverein Sankt Marx und dessen Obmann Rechtsanwalt Dr. Lennart Binder, LL.M., gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 16.2.2016, Zahl: IFA 1050272901 + VZ 150066535, nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung zu Recht erkannt:

A)

Die Beschwerde wird gemäß §§ 3 Abs. 1, 8 Abs. 1, 10 Abs. 1 Z 3, 57 AsylG 2005 idgF, § 9 BFA-VG idgF und §§ 52, 55 FPG idgF mit der Maßgabe als unbegründet abgewiesen, dass der erste Satz des Spruchpunktes III. des angefochtenen Bescheides wie folgt zu lauten hat:

Eine Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz gem. § 57 AsylG wird nicht erteilt.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang:

Die Beschwerdeführerin, eine Staatsangehörige der Volksrepublik China, reiste illegal in das österreichische Bundesgebiet ein und stellte am 19.1.2015 einen Antrag auf internationalen Schutz.

Dazu gab sie anlässlich ihrer Erstbefragung vor einem Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes am 21.1.2015 zunächst an, der Volksgruppe der Han anzugehören, chinesische Staatsangehörige, standesamtlich und traditionell verheiratet und in Ulaanbaatar geboren zu sein, wo sie auch vor ihrer Ausreise gelebt habe. Von 1978 bis 1983 habe sie in der Inneren Mongolei die Grundschule besucht und sei zuletzt Landwirtin gewesen. Im Herkunftsland würden noch ihr Ehemann und Ihr Sohn Leben, ihre Eltern seien verstorben.

Zu ihrem Fluchtgrund brachte sie vor, dass ihnen wegen der nicht genehmigten Erweiterung ihres landwirtschaftlichen Grundstücks von den Behörden eine Geldstrafe von 30 000 RMB auferlegt worden sei. Die Beschwerdeführerin und ihr Ehemann hätten versucht, bei der zuständigen Behörde mit dem Beamten die Sache zu klären, wobei es jedoch zu Handgreiflichkeiten gekommen sei. Im Zuge des Konfliktes habe die Beschwerdeführerin einen Beamten mit einem Stein auf dem Kopf verletzt und sei daraufhin davongelaufen. Um einer Festnahme zu entgehen, habe sie die Heimat verlassen. Dies sei ihr einziger Fluchtgrund.

Am 21.7.2016 wurde die Beschwerdeführerin niederschriftlich vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (Bundesamt) einvernommen. Dabei brachte sie zunächst vor, seit 1990 verheiratet zu sein, ihr Ehemann und ihr Sohn würden in der Volksrepublik China leben, ihre Eltern seien verstorben. Vor der Ausreise habe die Beschwerdeführerin im Jänner 2015 mit ihrem Ehemann telefoniert, das letzte Mal hätte sie vor einem halben Jahr telefonischen Kontakt zu ihm gehabt. Da der Empfang sehr schlecht gewesen sei, stünden sie seitdem nicht mehr in Verbindung. Zuletzt hätte sie in Ulaanbaatar in der Inneren Mongolei gelebt und sei Landwirtin gewesen. Am 17.1.2015 habe sie die Heimat mit einem Flugzeug von Peking über Moskau nach Österreich verlassen, am 18. Jänner sei sie in Wien angekommen. Die Reise habe ein Schlepper organisiert. Für die dafür notwendigen 80 000 RMB habe sie ihr Haus verkauft und zum Teil auch Geld von den Nachbarn ausgeborgt. Nachgefragt, was ihr Ehemann und ihr Sohn unternommen hätten, als sie die Unterkunft verkauft habe, erklärte die Beschwerdeführerin, sie hätten woanders gearbeitet.

Zu ihrem Fluchtgrund erklärte sie, die Regierung habe ihr Grundstück entschädigungslos enteignen wollen. Da die Beschwerdeführerin damit nicht einverstanden gewesen sei, sei es zwischen ihrem Ehemann und den Beamten zu Handgreiflichkeiten gekommen. Anwesend seien acht bis neun Personen, davon vier bis fünf Beamte, gewesen. Anschließend seien andere Nachbarn, die dort gearbeitet hätten, dazugekommen. Um ihrem Ehemann zu helfen, habe die Beschwerdeführerin einen Stein, der so groß wie eine Kokosnuss gewesen sei, genommen und damit auf den Hinterkopf eines Beamten geschlagen. Dieser habe sehr stark geblutet und die Beschwerdeführerin deshalb große Angst bekommen. Sie sei zur Busstation gelaufen und mit dem Bus in einen anderen Ort gefahren, wo sie in einer Pension Unterkunft genommen habe. Weglaufen habe sie deswegen können, weil die Nachbarn versucht hätten, die Beamten aufzuhalten. Der Vorfall habe sich im Juli 2014 zugetragen. Dies seien alle ihre Fluchtgründe.

Der verletzte Beamte sei ins Krankenhaus gebracht worden, wie es ihm jetzt gehe, wisse sie nicht. Ihr Ehemann sei festgenommen und für sieben Tage eingesperrt worden. Knapp vor der Ausreise sei die Beschwerdeführerin noch einmal zu Hause gewesen und habe sich das Geld für die Ausreise beschafft. Nachgefragt, wie sie genug Zeit gehabt habe, auf der Flucht das Haus zu verkaufen, erwiderte die Beschwerdeführerin, eigentlich hätte sie ihr Haus nicht verkauft, sondern es den Nachbarn als Sicherheit gegeben, von denen sie sich das Geld für die Ausreise geborgt hätte. Dies sehe sie auch als verkauft an. Weiters nachgefragt, wieso sie trotz des Vorfalls von Juli 2014 bis Jänner 2015 noch in China habe leben können, gab die Beschwerdeführerin an, dass sie die ganze Zeit gesucht worden sei. Dies hätte sie von ihrem Ehemann erfahren. Gearbeitet habe sie in dieser Zeit als Tellerwäscherin. Bei der Rückkehr befürchte sie eine Haftstrafe. Ihr Ehemann habe nach seiner Haft keine Probleme mehr wegen der Enteignung gehabt.

Im Bundesgebiet arbeite sie ab und zu als Sexarbeiterin, je nach ihrem Gesundheitszustand, durchschnittlich zwei bis drei Tage in der Woche.

Am 11.8.2016 langte beim Bundesamt eine Stellungnahme zur niederschriftlichen Einvernahme vom 21.7.2016 und den Länderberichten ein. Darin wurde im Wesentlichen vorgebracht, dass für Rückkehrer wie die Beschwerdeführerin die große Gefahr bestehe, inhaftiert zu werden und in ein Umerziehungslager zu kommen. Der Aufenthalt im westlichen Ausland würde ihr im Falle einer Rückkehr als oppositionelle Gesinnung ausgelegt werden.

Mit dem gegenständlichen, im Spruch angeführten, Bescheid wurde der Antrag der Beschwerdeführerin auf internationalen Schutz hinsichtlich der Zuerkennung des Status der Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 i.V.m. § 2 Abs. 1 Z 13 Asylgesetz (Spruchpunkt I.) und gemäß § 8 Abs. 1 i.V.m. § 2 Abs. 1 Z 13 Asylgesetz hinsichtlich der Zuerkennung des Status der subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Volksrepublik China abgewiesen (Spruchpunkt II.). Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen wurde der Beschwerdeführerin gemäß §§ 57 und 55 Asylgesetz nicht erteilt. Gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 Asylgesetz i.V.m. § 9 BFA-Verfahrensgesetz wurde gegen die Beschwerdeführerin eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG erlassen. Gemäß § 52 Abs. 9 FPG wurde festgestellt, dass die Abschiebung der Beschwerdeführerin gemäß § 46 FPG in die Volksrepublik China zulässig sei (Spruchpunkt III.). Unter Spruchpunkt IV. wurde festgelegt, dass gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG die Frist für die freiwillige Ausreise zwei Wochen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung beträgt.

Dagegen wurde in vollem Umfang Beschwerde erhoben, in der im Wesentlichen ausgeführt wurde, dass die Beschwerdeführerin Verfolgung aus politischen Gründen bzw. wegen Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe angegeben hätte. Ihr Grundstück hätte gegen eine nicht ausreichende Entschädigung enteignet werden sollen. Zwischen ihrem Ehemann und einer der handelnden Personen sei es zu einem Handgemenge gekommen, infolgedessen die Beschwerdeführerin einen der Beamten aus Notwehr verletzt hätte. Aus Furcht vor Verhaftung unter unmenschlichen Bedingungen sei sie nach Österreich geflüchtet, um hier einen Antrag auf internationalen Schutz zu stellen.

Am 2.12.2016 reiste die Beschwerdeführerin freiwillig in die Volksrepublik China aus.

Am 6.8.2018 reiste die Beschwerdeführerin erneut in das Bundesgebiet ein.

Am 16.8.2018 wurde die Beschwerdeführerin erneut niederschriftlich vor dem Bundesamt einvernommen. Dabei gab sie im Wesentlichen an, über € 200 Bargeld zu verfügen und - wenn möglich - zukünftig als Sexarbeiterin arbeiten zu wollen. Mit der Chefin des Lokales habe sie schon gesprochen, diese habe ihr erlaubt, sich dort anzumelden und an besagter Adresse auch tatsächlich Unterkunft zu nehmen. Verwandte habe sie im Bundesgebiet keine, legitimieren könne sie sich nur mit ihrer Asylkarte. Zuletzt sei sie am 2.12.2016 von Österreich nach China ausgereist und bis zum 6.8.2018 in ihrer Heimat aufhältig gewesen.

Sie habe Hepatitis B, jedoch sei sie in China nicht versichert. In Österreich bekomme sie Tabletten dafür. Während ihres Aufenthalts in der Volksrepublik China habe sie keinen Konflikt mit der Regierung, der Polizei oder ähnlichem gehabt.

Am 26.8.2019 hielt das Bundesverwaltungsgericht im Beisein einer Dolmetscherin für die Sprache Chinesisch eine öffentliche mündliche Verhandlung ab, an der das Bundesamt als Verfahrenspartei nicht teilnahm.

Dabei erklärte die Beschwerdeführerin zunächst, in der Stadt XXXX geboren zu sein. Ihre früheren Angaben vorgehalten, wonach sie in Ulaanbaatar geboren sei, erwiderte die Beschwerdeführerin, heute die richtige Adresse zu nennen. Nachgefragt, warum sie zuerst eine falsche Adresse angegeben habe erklärte sie: "Ich habe immer die gleiche Adresse gesagt." Nochmals nachgefragt, warum sie behaupte, dass sie heute die richtige Adresse nenne, erwiderte sie nochmals, immer das Gleiche gesagt zu haben.

In China lebe noch ihr Sohn. Nachgefragt, wo ihr Ehemann lebe, gab die Beschwerdeführerin an, geschieden zu sein. Auf Nachfrage hin, seit wann, erklärte sie zunächst, keinen Kontakt zu ihm zu haben. Nochmals nachgefragt, brachte die Beschwerdeführerin vor, seit ca. 19 Jahren geschieden zu sein, sie hätten aber trotzdem zusammengelebt. Wiederholt nachgefragt, warum sie ausgesagt habe, verheiratet zu sein, erwiderte sie, sie hätten immer zusammengelebt.

Zu ihrem Fluchtgrund erklärte sie, ihr Grundstück zum Bearbeiten verwendet zu haben, obwohl es dafür keine Erlaubnis gegeben hätte. Es sei ein Beamter gekommen, sie hätten gestritten, sie habe ihn geschlagen und verletzt. Im Falle einer Rückkehr würde er sie vielleicht suchen. Ihre Angaben beim Bundesamt vorgehalten, dass dieses Grundstück hätte zwangsenteignet werden sollen, meinte die Beschwerdeführerin, dass dies dasselbe sei. Sie hätte das Grundstück vorbereitet, dass sie etwas anpflanzen könne. Dann sei es ihr weggenommen worden. Haus habe sich darauf keines befunden, nur Gemüse. Sie hätte auch kein Haus besessen. An ihrer Wohnadresse habe sie jedoch ein kleines Haus gehabt.

Nochmals konkret zu diesem Vorfall befragt, brachte die Beschwerdeführerin vor, sie hätten ein Grundstück gehabt, dass sie und ihr Ehemann zum Gemüseanbau verwendet hätten. Sie hätten mit einem Beamten gestritten und dann mit Schlägen begonnen. Er habe ihren Ehemann zuerst geschlagen, worauf die Beschwerdeführerin den Beamten mit einem Stein auf den Kopf getroffen habe, sodass dieser geblutet habe und sie davongelaufen sei. Deswegen hätte sie Angst und sei in das Ausland gekommen.

Ihre Angaben vor dem Bundesamt vorgehalten, dass sie vier oder fünf Beamte aufgesucht hätten, meinte die Beschwerdeführerin, es wären Polizisten gekommen, die den Beamten geholfen hätten, und dann sei sie davongelaufen. Nachgefragt, ob noch andere Personen anwesend gewesen wären, verneinte dies die Beschwerdeführerin dahingehend, nur sie und ihr Ehemann. Die anderen Bauern würden sich nicht darum kümmern. Ihre Angaben vom Bundesamt vorgehalten, dass auch Nachbarn vor Ort gewesen wären, antwortete die Beschwerdeführerin: "Ja, doch". Nachgefragt, warum sie dies nicht gesagt habe, erwiderte sie, sie hätten zugeschaut. Passiert sei dies im Jahr 2014, wahrscheinlich im Herbst. Vorgehalten, dass sie vor dem Bundesamt Juli 2014 gesagt habe, meinte die Beschwerdeführerin: "Ja, doch so ungefähr."

Dann sei sie in eine andere Stadt geflüchtet, wo sie ihre Ausreise vorbereitet habe. Für die Ausreise habe sie sich einem Privatkredit genommen. Ihr Vorbringen vor dem Bundesamt vorgehalten, dass sie ihr Haus verkauft hätte, erklärte die Beschwerdeführerin, sie habe es verkauft, um diesen Kredit zurückzuzahlen. Nachgefragt, warum sie trotzdem am 2.12.2016 nach China zurückgekehrt sei, erklärte die Beschwerdeführerin: "Es ist mir sehr schlecht gegangen und bin dann nach China zurückgeflogen und dann hat jemand an ein Fester geschlagen. Dieses Medikament gegen Hepatitis bekomme ich in China nicht." Nachgefragt, wer gegen das Fenster geschlagen habe, meinte sie, sie hätte Angst, dass sie wieder jemand suche. Deswegen sei sie nach Wien zurück. Sie wisse nicht, warum es ihr schlecht gegangen sei. Dann habe sie von "Anderen" gehört, dass sie gesucht werde und sie sei deshalb wieder nach Wien gegangen. Sie hätte keinen Konflikt mit der Regierung, der Polizei oder ähnlichen Behörden.

Von ihrer Hepatitis B Erkrankung habe sie seit sieben oder acht Jahren Kenntnis. In China habe sie kein Geld gehabt und Medikamente zu kaufen. Außer dem Medikament für ihre Hepatitis-Erkrankung nehme sie noch welche für das Herz. Weitere Behandlungen habe sie nicht.

Wo ihr Mann im Gefängnis gewesen sei, wisse sie nicht, sie habe keinen Kontakt zu ihm. Daran, dass er für eine Woche festgenommen worden sei, erinnere sie sich nicht.

Im Jahr 2016 sei sie in ein kleines Dorf in der Stadt Shenyang, Provinz: Liaoning zurückgekehrt, habe dort eine Wohnung gemietet und als Abwäscherin gearbeitet.

In Österreich habe sie Deutschkurse besucht und arbeite als Masseurin. Dazu legte sie einen Ausweis in Kopie vor. Partner habe sie in Österreich keinen. Sie besuche den buddhistischen Tempel, österreichische Freunde habe sie nicht. Seitens der erkennenden Richterin wurde festgehalten, dass die Beschwerdeführerin über rudimentäre Deutschkenntnisse verfügt.

Der Beschwerdeführerin wurden die in das Verfahren eingeführten Länderberichte (LIB vom 14.11.2017, letzte Kurzinformation eingefügt am 10. 7. 2019) übergeben und ihr eine Frist von zwei Wochen zur Abgabe einer Stellungnahme gewährt.

Am 2.9.2019 langten beim Bundesverwaltungsgericht ein internistischer Befundbericht (Diagnose Palpitationen, Empfehlungen: Ausdauersport, 2 l Flüssigkeit, Concor, Magnesium) sowie medizinische Unterlagen der Beschwerdeführerin zu ihrer Hepatitiserkrankung ein. Demnach wurde eine Hepatitis B Virus Nukleinsäure in geringer Menge nachgewiesen (unterhalb des inneren Bereichs des Assays) und eine Weiterverschreibung eines entsprechenden Medikamentes über den Hausarzt angeordnet.

Angefügt war auch ein ÖSD Zertifikat A 2 vom 18.5.2016 der Beschwerdeführerin.

Am 9.9.2019 langten beim Bundesverwaltungsgericht nochmals dieselben Unterlagen bezüglich der Hepatitis Erkrankung der Beschwerdeführerin ein.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

Die Beschwerdeführerin ist Staatsangehörige der Volksrepublik China und gehört der Volksgruppe der Han an. Nach illegaler Einreise in das österreichische Bundesgebiet stellte sie am 19.1.2015 einen Antrag auf internationalen Schutz. Am 2.12.2016 reiste die Beschwerdeführerin freiwillig in die Volksrepublik China aus und am 6.8.2018 erneut in das Bundesgebiet ein.

In der VR China besuchte die Beschwerdeführerin die Grundschule und war als Landwirtin in der familieneigenen Wirtschaft und zuletzt auch als Abwäscherin tätig. Die Beschwerdeführerin war in der Lage, durch eigene Erwerbstätigkeit in China ihren Unterhalt zu sichern.

In der Volksrepublik China befinden sich noch ihr - mittlerweile erwachsener - Sohn sowie ihr Ehemann.

Die Beschwerdeführerin leidet seit sieben oder acht Jahren an Hepatitis B, wogegen sie Medikamente einnimmt. Zudem liegt bei der Beschwerdeführerin eine (Herz-) Palpitation vor, wofür sie ebenfalls medikamentös eingestellt ist. Es liegen jedoch weder Anhaltspunkte für eine Lebensbedrohung noch eine sonstige schwere Beeinträchtigung vor.

Die Beschwerdeführerin verfügt über rudimentäre Deutschkenntnisse, wozu sie jedoch ein ÖSD Zertifikat Niveau A zwei vom 18.5.2016 vorlegte.

Die Beschwerdeführerin führt in Österreich weder ein Familienleben noch besitzt sie hier Verwandte. Sie besucht einen buddhistischen Tempel, ist ansonsten aber kein Mitglied in Vereinen. Sie verfügt auch nicht über einen österreichischen Freundeskreis.

Die Beschwerdeführerin ist als Sexarbeiterin tätig und konnte dazu einen Ausweis gemäß § 2 BGBl. 198/2015 in Kopie vorlegen. Gegen die Beschwerdeführerin wurde seitens der Staatsanwaltschaft Wien am XXXX zu AZ: XXXX wegen § 178 StGB Anklage wegen vorsätzlich begangener strafbarer Handlungen erhoben.

Die Beschwerdeführerin konnte nicht glaubhaft machen, in der Heimat ernsthaft von Verfolgung bedroht zu sein.

Feststellungen zur Situation in der Volksrepublik China:

(Länderinformationsblatt der Staatendokumentation, Gesamtaktualisierung am 14.11.2017, letzte Kurzinformation eingefügt am 10. 7. 2019)

Sicherheitslage

Proteste auf lokaler Ebene haben in ganz China stark zugenommen. Sie richten sich vor allem gegen steigende Arbeitslosigkeit und Vorenthaltung von Löhnen, hauptsächlich von Wanderarbeitern. Bei den bäuerlichen Protesten auf dem Land geht es meistens um die (entschädigungslose oder unzureichend entschädigte) Enteignung von Land und fehlende Rechtsmittel. Auch stellen die chemische Verseuchung der Felder durch Industriebetriebe oder Umweltkatastrophen Gründe für Proteste dar. Nachdem die Anzahl sogenannter. "Massenzwischenfälle" über Jahre hinweg rasch zunahm, werden hierzu seit 2008 (mehr als 200.000 Proteste) keine Statistiken mehr veröffentlicht. Zwei Aktivisten, die seit 2013 durch eigene, über Twitter veröffentlichte Statistiken diese Lücke zu schließen versuchten, wurden im Juni 2016 verhaftet. Die lokalen Behörden verfolgen in Reaktion zumeist eine Mischstrategie aus engmaschiger Kontrolle, die ein Übergreifen nach außen verhindern soll, gepaart mit einem zumindest partiellen Eingehen auf die Anliegen (USDOS 3.3.2017; vgl. AA 15.12.2016)

Quellen:

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AA - Auswärtiges Amt (15.12.2016): Bericht über die asyl- und abschieberelevante Lage in der Volksrepublik China

-

USDOS - US Department of State (3.3.2017): Country Reports on Human Rights Practices 2016 - China (includes Tibet, Hong Kong, and Macau), http://www.ecoi.net/local_link/337277/480051_de.html, Zugriff 31.8.2017

Rechtsschutz/Justizwesen

Die Führung unternimmt Anstrengungen, das Rechtssystem auszubauen. Dem steht jedoch der Anspruch der Kommunistischen Partei (KP) auf ungeteilte Macht gegenüber. Gewaltenteilung und Mehrparteiendemokratie werden ausdrücklich abgelehnt. Von der Verwirklichung rechtsstaatlicher Normen und einem Verfassungsstaat ist China noch weit entfernt. Im Alltag sind viele Chinesen weiterhin mit Willkür und Rechtlosigkeit konfrontiert (AA 4.2017a). Eine unabhängige Strafjustiz existiert in China folglich nicht. Strafrichter und Staatsanwälte unterliegen der politischen Kontrolle von staatlichen Stellen und Parteigremien (AA 15.12.2016). Die Kontrolle der Gerichte durch politische Institutionen ist ein verfassungsrechtlich verankertes Prinzip (ÖB 11.2016). Die KP dominiert das Rechtssystem auf allen Ebenen und erlaubt Parteifunktionären, Urteile und Verurteilungen zu beeinflussen. Die Aufsicht der KP zeigt sich besonders in politisch heiklen Fällen durch die Anwendung sog. "Leitlinien". Während Bürger in nicht-politischen Fällen ein gewisses Maß an fairer Entscheidung erwarten können, unterliegen diejenigen, die politisch sensible Fragen oder die Interessen mächtiger Gruppen berühren, diesen "Leitlinien" der politisch-juristischen Ausschüsse (FH 1.2017a). Seit dem vierten Jahresplenum des 18. Zentralkomitees 2014 betont die Führung die Rolle des Rechts und ergriff Maßnahmen zur Verbesserung der Qualität gerichtlicher Verfahren und zum Aufbau eines "sozialistisches Rechtssystem chinesischer Prägung" unter dem Motto "yi fa zhi guo", wörtlich "den Gesetzen entsprechend das Land regieren". Echte Rechtsstaatlichkeit im Sinne der Achtung des Legalitätsprinzips in der Verwaltung und der Unabhängigkeit der Gerichtsbarkeit wird dabei aber dezidiert abgelehnt. Das in den Beschlüssen reflektierte Verständnis von Recht soll die Macht des Staates, dh. der Partei, keinesfalls einschränken, sondern vielmehr stärken (ÖB 11.2016).

Die wichtigste Einrichtung der KP zur Kontrolle des Rechtssystems ist die Kommission des Zentralkomitees für Politik und Recht (ZKPR). Das ZKPR ist in unterschiedlichen Unter-Formaten auf jeder gerichtlichen Ebene verankert, wobei die jeweiligen Ebenen der übergeordneten Ebene verantwortlich sind. Die Macht des Komitees, das auf allen Ebenen auf Verfahren Einfluss nimmt, wurde auch seit den Beschlüssen des Vierten Plenums der KP im Oktober 2014 bewusst nicht angetastet (ÖB 11.2016).

Die Richter-Ernennung erfolgt auf Provinzebene durch Rechtskomitees, welchen hochrangige Partei-Funktionäre angehören und welche von einem KP-Inspektorat überwacht werden. Richter sind verpflichtet, über Einflussnahmen seitens lokaler Politiker auf Verfahren Bericht zu erstatten. Es ist für Richter schwierig, zwischen "Unabhängigkeit" von lokalen politischen Einflüssen, und Loyalität zur KP-Linie (welche regelmäßig miteinander und mit einflussreichen Wirtschafts- und Privatinteressen verbunden sind) zu navigieren. Trotz laufender Reformbemühungen gibt es - vor allem auf unterer Gerichtsebene - noch immer einen Mangel an gut ausgebildeten Richtern (ÖB 11.2016).

Ein umfassender Regelungsrahmen unterhalb der gesetzlichen Ebene soll "Fehlverhalten" von Justizbeamten und Staatsanwälten in juristischen Prozessen unterbinden. Das Oberste Volksgericht (OVG) unter seinem als besonders "linientreu" geltenden Präsidenten und die Oberste Staatsanwaltschaft haben in ihren Berichten an den Nationalen Volkskongress im März 2014 in erster Linie gefordert, "Falschurteile" der Gerichte zu verhindern, die Richterschaft an das Verfassungsverbot von Folter und anderen Zwangsmaßnahmen bei Vernehmungen zu erinnern und darauf hinzuweisen, dass Verurteilungen sich nicht allein auf Geständnisse stützen dürfen. Die Regierung widmet sowohl der juristischen Ausbildung als auch der institutionellen Stärkung von Gerichten und Staatsanwaltschaften seit mehreren Jahren große Aufmerksamkeit (AA 15.12.2016).

Das umstrittene System der "Umerziehung durch Arbeit" ("laojiao") wurde aufgrund entsprechender Beschlüsse des 3. Plenums des ZK im November 2013 offiziell am 28.12.2013 abgeschafft. Es liegen Erkenntnisse vor, wonach diese Haftanstalten lediglich umbenannt wurden, etwa in Lager für Drogenrehabilitation, rechtliche Erziehungszentren oder diese als schwarze Gefängnisse weiter genutzt werden (AA 15.12.2016).

Mit der letzten großen Novellierung 2013 sieht die Strafprozessordnung genaue Regeln für Festnahmen vor, führt den "Schutz der Menschenrechte" an und verbietet Folter und Bedrohung bzw. Anwendung anderer illegaler Methoden zur Beweisermittlung. Es besteht jedoch eine teilweise erhebliche Divergenz zwischen den Rechtsvorschriften und deren Umsetzung, und werden diese zum Zwecke der Unterdrückung von politisch unliebsamen Personen instrumentalisiert. Laut Strafprozessordnung müssen auch im Falle einer Festnahme wegen Terrorismus, der Gefährdung der Staatssicherheit oder der schwerwiegenden Korruption die Angehörigen von in Untersuchungshaft sitzenden Personen innerhalb von 24 Stunden über die Festnahme informiert werden, nicht jedoch über den Grund der Festnahme oder über den Aufenthaltsort. Zudem besteht diese Informationspflicht nicht, wenn durch diese Information die Ermittlungen behindert würden - in diesen Fällen müssen Angehörige erst nach 37 Tagen informiert werden. Was eine "Behinderung der Ermittlung" bedeutet, liegt im Ermessen der Polizei, es gibt kein Rechtsmittel dagegen. Da Verdächtige sich formell in Untersuchungshaft befindet, muss der Ort der Festhaltung laut Gesetz auch in diesen Fällen eine offizielle Einrichtung sein. Der Aufenthaltsort kann auch außerhalb offizieller Einrichtungen liegen. Diese Möglichkeit wurde mit der Strafprozessnovelle 2012 eingeführt und von Rechtsexperten wie dem Rapporteur der UN-Working Group on Enforced or Involuntary Disappearances wegen des inhärenten Folterrisikos als völkerrechtswidrig kritisiert (ÖB 11.2016; vgl. AI 22.2.2017).

Willkürliche Verhaftungen oder Hausarrest ("soft detention") ohne gerichtliche Verfahren kommen häufig vor. Die Staatsorgane griffen verstärkt auf den "Hausarrest an einem festgelegten Ort" zurück - eine Form der geheimen Inhaftierung ohne Kontakt zur Außenwelt, die es der Polizei erlaubt, eine Person für die Dauer von bis zu sechs Monaten außerhalb des formellen Systems, das die Inhaftierung von Personen regelt, und ohne Zugang zu einem Rechtsbeistand der eigenen Wahl, zu Familienangehörigen oder anderen Personen der Außenwelt festzuhalten. Dadurch wurden diese Personen der Gefahr ausgesetzt, gefoltert oder anderweitig misshandelt zu werden. Diese Inhaftierungspraxis dient dazu, die Tätigkeit von Menschenrechtsverteidigern - einschließlich der von Rechtsanwälten, politisch engagierten Bürgern und Angehörigen von Religionsgemeinschaften - zu unterbinden (ÖB 11.2016; vgl. AA 15.12.2016, AI 22.2.2017).

Im Zusammenhang mit verwaltungsstrafrechtlich bewehrten rechtswidrigen Handlungen kann die Polizei zudem "Verwaltungsstrafen" verhängen. Diese Strafen reichen von Ermahnungen über Geldbußen bis hin zu einer "Verwaltungshaft" (ohne richterliche Entscheidung) von bis zu 15 Tagen. Der Aufenthalt in den offiziell nicht existenten "black jails" kann zwischen wenigen Tagen und in einigen Fällen langjährigen Haftaufenthalten variieren (AA 15.12.2016).

Das 2013 in Kraft getretene revidierte Strafverfahrensgesetz verbessert v.a. die Stellung des Verdächtigen/Angeklagten und der Verteidigung im Strafprozess; die Umsetzung steht aber in der Praxis in weiten Teilen noch aus. Auch der Zeugenschutz wird gestärkt. Chinesische Experten gehen davon aus, dass die Durchsetzung dieser Regeln viele Jahre erfordern wird (AA 15.12.2016). Der Schutz jugendlicher Straftäter wurde erhöht (ÖB 11.2014).

2014 wurden schrittweise weitere Reformen eingeleitet, darunter die Anordnung an Richter, Entscheidungen über ein öffentliches Onlineportal zugänglich zu machen sowie ein Pilotprojekt in sechs Provinzen um die Aufsicht über Bestellungen und Gehälter auf eine höhere bürokratische Ebene zu verlagern. Beim vierten Parteiplenum im Oktober 2014 standen Rechtsreformen im Mittelpunkt. Die Betonung der Vorherrschaft der Partei über das Rechtssystem und die Ablehnung von Aktionen, die die Unabhängigkeit der Justiz erhöhen würden, wurde jedoch beibehalten. Dies führte zu Skepsis hinsichtlich der tatsächlichen Bedeutung der Reform (FH 1.2015a).

Das chinesische Strafgesetz hat die früher festgeschriebenen "konterrevolutionären Straftaten" abgeschafft und im Wesentlichen durch Tatbestände der "Straftaten, welche die Sicherheit des Staates gefährden" (Art. 102-114 chin. StG) ersetzt. Danach können vor allem Personen bestraft werden, die einen politischen Umsturz/Separatismus anstreben oder das Ansehen der VR China beeinträchtigen. Gerade dieser Teil des Strafgesetzes fällt durch eine Vielzahl unbestimmter Rechtsbegriffe auf (AA 15.12.2016). Die Regierung hat weitere Gesetze zur nationalen Sicherheit ausgearbeitet und verabschieden lassen, die eine ernste Gefahr für den Schutz der Menschenrechte darstellen. Das massive landesweite Vorgehen gegen Menschenrechtsanwälte und politisch engagierte Bürger hielt das ganze Jahr über an (AI 22.2.2017). Prozesse, bei denen die Anklage auf Terrorismus oder "Verrat von Staatsgeheimnissen" lautet, werden unter Ausschluss der Öffentlichkeit geführt. Was ein Staatsgeheimnis ist, kann nach chinesischer Gesetzeslage auch rückwirkend festgelegt werden. Angeklagte werden in diesen Prozessen weiterhin in erheblichem Umfang bei der Wahrnehmung ihrer Rechte beschränkt. U.a. wird dem Beschuldigten meist nicht erlaubt, Verteidiger seiner Wahl zu beauftragen; nur in seltenen Ausnahmefällen wird vom Gericht überhaupt eine Verteidigung bestellt (AA 15.12.2016).

Auch 2016 setzten sich die Übergriffe der Behörden auf Menschenrechtsanwälte das ganze Jahr hindurch mit Verhaftungen und strafrechtlichen Verfolgungen fort (FH 1.2017a). Rechtsanwälte, die in kontroversen Fällen tätig wurden, mussten mit Drangsalierungen und Drohungen seitens der Behörden rechnen, und in einigen Fällen wurde ihnen die weitere berufliche Tätigkeit verboten. Dies hatte zur Konsequenz, dass der Zugang der Bürger zu einem gerechten Gerichtsverfahren sehr stark eingeschränkt war. Mangelhafte nationale Gesetze und systemische Probleme im Strafrechtssystem hatten weitverbreitete Folter und anderweitige Misshandlungen sowie unfaire Gerichtsverfahren zur Folge (AI 22.2.2017).

Seit der offiziellen Abschaffung der administrativen "Umerziehung durch Arbeit" im Jänner 2014 werden Menschenrechtsaktivisten vermehrt auf Basis der Strafrechtstatbestände der Unruhestiftung oder des Separatismus verurteilt und somit in Strafhaft gesperrt, wobei aufgrund der vagen Tatbestände ein strafrechtsrelevanter Sachverhalt relativ leicht kreiert werden kann (ÖB 11.2016). Häufig wurden Anklagen wegen "Untergrabung der staatlichen Ordnung", "Untergrabung der Staatsmacht", "Anstiftung zum Separatismus" "Anstiftung zu Subversion" oder "Weitergabe von Staatsgeheimnissen", sowie "Weitergabe nachrichtendienstlicher Informationen an das Ausland" erhoben und langjährige Gefängnisstrafen verhängt (ÖB 11.2016; vgl. AI 22.2.2017).

Wegen der mangelnden Unabhängigkeit der Justiz wählen viele Betroffene von Behördenwillkür den Weg der Petition bei einer übergeordneten Behörde (z.B. Provinz- oder Zentralregierung). Petitionen von Bürgern gegen Rechtsbrüche lokaler Kader in den Provinzen nehmen zu. Allein in Peking versammeln sich täglich Hunderte von Petenten vor den Toren des staatlichen Petitionsamts, um ihre Beschwerde vorzutragen. Chinesischen Zeitungsberichten zufolge werden pro Jahr landesweit ca. 10 Mio. Eingaben eingereicht. Petenten aus den verschiedenen Provinzen werden häufig von Schlägertrupps im Auftrag der Provinzregierungen aufgespürt und in ihre Heimatregionen zurückgebracht. Zwischen Februar und April 2014 wurden verschiedene Reformen des Petitionssystems verabschiedet, die eine schnellere Bearbeitung und Umstellung auf mehr Online-Plattformen beinhaltet. Das4. Plenum des Zentralkomitees der KP hat im Oktober 2014 weitere Schritte zur Regelung des Petitionswesens getroffen, deren Umsetzung aber noch aussteht. Diese Reformen werden von Beobachtern dafür kritisiert, dass sie die Effektivität der Bearbeitung der Petitionen kaum steigern, sondern vor allem dazu dienen, Petitionäre von den Straßen Pekings fernzuhalten (AA 15.12.2016).

Quellen:

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AA - Auswärtiges Amt (4.2017a): China - Innenpolitik, http://www.auswaertiges-amt.de/DE/Aussenpolitik/Laender/Laenderinfos/China/Innenpolitik_node.html#doc334570bodyText5, Zugriff 2.8.2017

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AA - Auswärtiges Amt (15.12.2016): Bericht über die asyl- und abschieberelevante Lage in der Volksrepublik China

-

AI - Amnesty International (22.2.2017): Amnesty International Report 2016/17 - The State of the World's Human Rights - China, http://www.ecoi.net/local_link/336465/479116_de.html, Zugriff am 18.8.2017

-

FH - Freedom House (1.2017a): Freedom in the World 2017 - China, https://freedomhouse.org/report/freedom-world/2017/china, Zugriff 17.8.2017

-

FH - Freedom House (1.2015a): Freedom in the World 2015 - China, http://www.ecoi.net/local_link/295269/430276_de.html, Zugriff 20.8.2015

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ÖB Peking (11.2016): Asylländerbericht Volksrepublik China

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ÖB Peking (11.2014): Asylländerbericht Volksrepublik China

Sicherheitsbehörden

Sicherheitsbehörden sind das Ministerium für Staatssicherheit, das Ministerium für Öffentliche Sicherheit, und die Bewaffnete Volkspolizei (BVP) der Volksbefreiungsarmee. Das Ministerium für Staatssicherheit soll vor Staatsfeinden, Spionen und konterrevolutionären Aktivitäten zur Sabotage oder dem Sturz des chinesischen sozialistischen Systems schützen. In die Zuständigkeit dieses Ministeriums fallen auch der Inlands- und Auslandsgeheimdienst. Die BVP ist in 45 Divisionen unterteilt, bestehend aus Innensicherheitspolizei, Grenzüberwachung, Regierungs- und Botschaftsbewachung, sowie Funk- und Kommunikationsspezialisten. Ein wesentlicher Anteil der in den letzten Jahren vorgenommenen Truppenreduktionen in der Volksbefreiungsarmee war in Wahrheit eine Umschichtung von den Linientruppen zur BVP. Darüber hinaus beschäftigen zahlreiche lokale Kader u.a. entlassene Militärangehörige in paramilitärischen Schlägertrupps. Diese Banden gehen häufig bei Zwangsaussiedlung im Zuge von Immobilienspekulation durchaus auch im Zusammenspiel mit der BVP gegen Zivilisten vor. Das Ministerium für Öffentliche Sicherheit beaufsichtigt alle innerstaatlichen Aktivitäten der zivilen Sicherheitsbehörden (außer derjenigen, die in die Zuständigkeit des Staatssicherheitsministeriums fallen), sowie die BVP. Konkret umfassen seine Aufgaben innere Sicherheit, Wirtschaft und Kommunikationssicherheit, neben der Zuständigkeit für Polizeieinsätze und Gefängnisverwaltung. Die Organisationseinheit auf niedrigster Ebene sind die lokalen Polizeikommissariate, die für den alltäglichen Umgang mit der Bevölkerung verantwortlich sind und die Aufgaben von Polizeistationen erfüllen. Darüber hinaus besteht ein enges Netz an lokalen Partei-Büros welche mittels freiwilliger "Blockwarte" die Bewegungen der Bewohner einzelner Viertel überwachen und mit der Polizei zusammenarbeiten (ÖB 11.2016).

Die Behörde für Staatssicherheit kann seit Mitte April 2017 Beträge zwischen 10.000 und 500.000 Yuan (etwa 68.000 Euro) für nützliche Hinweise an Informanten auszahlen, welche durch ihre Mitarbeit bei der Enttarnung von ausländischen Spionen helfen. Informationen können über eine speziell eingerichtete Hotline, Briefe oder bei einem persönlichen Besuch bei der Behörde gegeben werden. So sich die Hinweise als zweckdienlichen herausstellen, soll der Informant das Geld erhalten (FAZ 11.4.2017).

Zivile Behörden behalten die Kontrolle über Militär- und Sicherheitskräfte bei (USDOS 3.3.2017). Die Zentrale Militärkommission (ZMK) der Partei leitet die Streitkräfte des Landes (AA 15.12.2016). Nach dem Gesetz zur Landesverteidigung von 1997 sind die Streitkräfte nicht dem Staatsrat, sondern der Partei unterstellt (AA 4.2017a).

Für die innere Sicherheit sind zuständig sind (1) Polizei und Staatsanwaltschaften, die Rechtsverstöße des Normalbürgers verfolgen; (2) Disziplinar-Kontrollkommission der KPCh, die gegen Verstöße von KP-Mitgliedern einschreitet; (3) Einheiten des Ministeriums für Verwaltungskontrolle, die für Pflichtverletzungen im Amt zuständig sind; (4) Staatsschutz (Guobao) für die Beobachtung und Verfolgung politischer bzw. als potentiell staatsgefährdend wahrgenommener Aktivitäten von Bürgern und Ausländern (AA 15.12.2016).

Für den Bereich der Gefahrenabwehr ist primär das dem Staatsrat unterstehende Ministerium für Öffentliche Sicherheit mit seinen Polizeikräften verantwortlich, das daneben auch noch für Strafverfolgung zuständig ist und in Teilbereichen mit nachrichtendienstlichen Mitteln arbeitet. Aufgaben der Polizei sind sowohl die Gefahrenabwehr als auch die Strafverfolgung, bei der ihr u. a. die Anordnung von Administrativhaft als Zwangsmaßnahme zur Verfügung steht. Im Bereich der Strafverfolgung ist sie für die Durchführung von strafrechtlichen Ermittlungsverfahren originär zuständig. Bei Delikten, die von Polizisten aufgrund ihrer Amtsstellung begangen werden, ermittelt die Staatsanwaltschaft selbst, während sie sonst primär die Tätigkeit der polizeilichen Ermittlungsorgane beaufsichtigt und auf Grundlage deren Empfehlung über die Erhebung der Anklage entscheidet (AA 15.12.2016).

Das Ministerium für Staatssicherheit (MSS) ist u.a. zuständig für die Auslandsaufklärung sowie für die Überwachung von Auslandschinesen und von Organisationen oder Gruppierungen, welche die Sicherheit der VR China beeinträchtigen könnten. Es überwacht die Opposition im eigenen Land, betreibt aber auch Spionageabwehr und beobachtet hierbei vielfach auch die Kontakte zwischen ausländischen Journalisten und chinesischen Bürgern. Darüber hinaus verfügen auch die Streitkräfte über einen eigenen, sorgfältig durchstrukturierten Nachrichtendienst, die 2. Hauptverwaltung im Generalstab. Zudem sind viele Arbeitseinheiten parallel mit der Beschaffung von Informationen bzw. mit Überwachungsaufgaben von in- und ausländischen Bürgern befasst. Vor allem das Internationale Verbindungsbüro unter der politischen 1. Hauptverwaltung des Generalstabs ist zuständig für Informationen aus dem Ausland, für die Entsendung von Agenten in Auslandseinsätze, meist unter diplomatischer "Tarnung", und für die Überwachung des eigenen diplomatischen Personals. Zahlreiche "Think tanks" sind für die Beschaffung von Auslandsinformationen zuständig (AA 15.12.2016).

Quellen:

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AA - Auswärtiges Amt (4.2017a): China - Innenpolitik, http://www.auswaertiges-amt.de/DE/Aussenpolitik/Laender/Laenderinfos/China/Innenpolitik_node.html%20-%20doc334570bodyText5, Zugriff 9.8.2017

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AA - Auswärtiges Amt (15.12.2016): Bericht über die asyl- und abschieberelevante Lage in der Volksrepublik China

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FAZ - Frankfurter Allgemeine Zeitung (11.4.2017): Peking belohnt Bürger für Enttarnung ausländischer Spione, http://www.faz.net/aktuell/politik/china-bezahlt-buerger-fuer-enttarnung-auslaendischer-spione-14967307.html, Zugriff 14.9.2017

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ÖB Peking (11.2016): Asylländerbericht Volksrepublik China

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USDOS - US Department of State (3.3.2017): Country Report on Human Rights Practices 2016 - China (includes Tibet, Hong Kong, and Macau), http://www.ecoi.net/local_link/337277/480051_de.html, Zugriff 17.8.2017

Folter und unmenschliche Behandlung

China ratifizierte bereits 1988 die UN-Konvention gegen Folter. Nach Art. 247 und 248 StGB wird Folter zur Erzwingung eines Geständnisses oder zu anderen Zwecken in schweren Fällen mit bis zu drei Jahren Freiheitsstrafe, in besonders schweren Fällen mit bis zu lebenslänglicher Freiheitsstrafe oder Todesstrafe geahndet (AA 15.12.2016). In den letzten Jahren wurden außerdem einige Verordnungen erlassen, die formell für Tatverdächtige im Ermittlungsverfahren einen besseren Schutz vor Folter bieten sollen. Ein großes Problem bleibt jedoch die mangelnde Umsetzung dieser Rechtsinstrumente, die Sicherheitsbehörden genießen weiterhin auch aufgrund des Mangels an Kontrolle und Transparenz einen großen Handlungsspielraum. Sicherheitskräfte setzen sich routinemäßig über rechtliche Schutzbestimmungen hinweg. Für die Polizei stellt Straflosigkeit im Falle von Brutalität und von verdächtigen Todesfälle in Gewahrsam die Norm dar (ÖB 11.2016; vgl. FH 1.2017a).

Das Problem der Folter ist nach einem im Dezember 2015 veröffentlichten Bericht eines UN-Komitees gegen Folter "systembedingt": Zwar wurden einige Verbesserungen - wie die breitere Nutzung von Überwachungs-Kameras während der Befragung - anerkannt, doch zeigt der Bericht auch auf, inwieweit Folter in das chinesische Strafrechtsystem eingebettet ist (USDOS 3.3.2017). Die chinesische Führung erklärte am 4. Parteiplenum 2014 zum Ziel, die Rechtsstaatlichkeit zu verbessern und Folter, Misshandlungen und Missstände in der Justiz zu verhindern. Gleichzeitig wird radikal gegen unabhängige Rechtsanwälte, Menschenrechtsverteidiger, und Medien vorgegangen, sodass das Ziel einer Verbesserung der Rechtsstaatlichkeit in Frage gestellt wird. Neben politischen Absichtserklärungen und einigen wenigen "Vorzeigefällen", in denen Fehlurteile - etwa nach vollzogener Todesstrafe posthum - revidiert wurden, ist jedoch nicht bekannt, dass strukturelle Maßnahmen getroffen werden, um das Risiko von Folter und Misshandlungen zu vermindern (ÖB 11.2016; vgl. AI 22.2.2017).

Das revidierte Strafverfahrensrecht schließt die Verwendung unter Folter oder anderweitig mit illegalen Mitteln zustande gekommener Geständnisse und Zeugenaussagen (neuer Art. 53) und illegal erlangter Beweismittel (Art. 54) im Strafprozess ausdrücklich aus. Trotzdem soll Folter in der Untersuchungshaft häufiger vorkommen als in regulären Gefängnissen (AA 15.12.2016). Die Anwendung von Folter zur Erzwingung von Geständnissen ist nach wie vor weit verbreitet und wird eingesetzt, um Geständnisse zu erhalten oder politische und religiöse Dissidenten zu zwingen, ihre Überzeugungen zu widerrufen (FH 1.2017a). Soweit die chinesische Regierung und die staatlich gelenkte Presse Folterfälle einräumen, stellen sie diese als vereinzelte Übergriffe "unterer Amtsträger" dar, gegen die man energisch vorgehe (AA 15.12.2016).

In einem seltenen Fall bestätigte ein Berufungsgericht in Harbin, Provinz Heilongjiang, im August 2014 die Schuldsprüche gegen vier Personen wegen Folter. Sie waren zusammen mit drei anderen Personen von einem Gericht der ersten Instanz für schuldig befunden worden, im März 2013 mehrere Straftatverdächtige gefoltert zu haben. Die Täter erhielten Haftstrafen von einem bis zu zweieinhalb Jahren. Nur drei der sieben Personen waren Polizeibeamte; bei den übrigen handelte es sich um "Sonderinformanten" - gewöhnliche Bürger, die der Polizei bei der Aufklärung von Straftaten "behilflich" sein sollen. Eines der Opfer starb in der Haft an den Folgen der Folter (AI 25.2.2015). Im Dezember 2016 entschied ein Gericht, keine Anklage gegen fünf Polizisten zu erheben, welche im Mai 2016 am Tod eines in Gewahrsam befindlichen Verhafteten involviert waren (FH 1.2017a).

Quellen:

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AA - Auswärtiges Amt (15.12.2016): Bericht über die asyl- und abschieberelevante Lage in der Volksrepublik China

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AI - Amnesty International (22.2.2017): Amnesty International Report 2016/17 - The State of the World's Human Rights - China, http://www.ecoi.net/local_link/336465/479116_de.html, Zugriff am 24.8.2017

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AI - Amnesty International (25.2.2015): Amnesty International Report 2014/15 - The State of the World's Human Rights - China, http://www.ecoi.net/local_link/297304/434266_de.html, Zugriff 20.8.2015

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FH - Freedom House (1.2017a): Freedom in the World 2017 - China, https://freedomhouse.org/report/freedom-world/2017/china, Zugriff 17.8.2017

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ÖB Peking (11.2016): Asylländerbericht Volksrepublik China

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USDOS - US Department of State (3.3.2017): Country Report on Human Rights Practices 2016 - China (includes Tibet, Hong Kong, and Macau), http://www.ecoi.net/local_link/337277/480051_de.html, Zugriff 24.8.2017

Korruption

Korruption ist auf allen Ebenen weit verbreitet. Die Beamtenschaft der öffentlichen Sicherheit und der städtischen Verwaltung sind an Erpressungen, außergerichtlichen Inhaftierungen, und Übergriffen beteiligt. In vielen Fällen auch in stark von der Regierung regulierten Bereichen wie Landnutzung, Immobilien, Bergbau und Entwicklung der Infrastruktur - die anfällig für Betrug, Bestechung und Schmiergeld sind. Trotz der Bemühungen der Regierung die Korruption zu bekämpfen, bleibt diese bestehen. Die Strafverfolgung ist sehr selektiv und undurchsichtig, sodass persönliche Netzwerke und interne Machtkämpfe innerhalb der Kommunistischen Partei (KP) die Ausgänge der Verfahren beeinflussen (USDOS 3.3.2017; vgl. HRW 12.1.2017).

Seit der Übernahme der Führung der KP im Jahre 2012, verfolgte Xi Jinping eine der umfangreichsten Kampagnen zur Korruptionsbekämpfung. Gegen Parteifunktionäre und Beamte der Partei einschließlich des Sicherheits-Apparates, des Militärs, des Außenministeriums, staatlicher Unternehmen und staatlicher Medien wurden bis Ende 2016 Untersuchungen eingeleitet und Strafen verhängt (FH 1.2017a). Während des gesamten Jahres 2014 setzte der Präsident die mit großem Aufwand betriebene Kampagne zur Korruptionsbekämpfung fort, die sowohl niedere als auch ranghohe Staatsbedienstete ins Visier nahm (AI 22.2.2017).

Im Jahr 2013 langten bei der Zentralen Kommission für Disziplinaruntersuchungen 1,95 Millionen Korruptionsvorwürfe ein,

172.532 Fälle wurden untersucht und 182.038 Disziplinarverfahren verhängt (USDOS 25.6.2015). Diese Zahlen sind im Jahr 2015 auf 2,8 Millionen eingebrachte Korruptionsvorwürfe, 330.000 untersuchte Fälle und 336.000 Disziplinierungsmaßnahmen gestiegen (USDOS 3.3.2017).

Die Regierung ist bestrebt, durch den Abschluss von Rechtshilfe- und Auslieferungsabkommen in Strafsachen die Verfolgung von Tatverdächtigen im Ausland zu erleichtern. Dabei geht es der chinesischen Regierung vor allem darum, ihre Korruptionsbekämpfung im Rahmen der Aktionen "Fuchsjagd" und "Himmelsnetz" auf das Ausland auszuweiten (AA 15.12.2016).

Quellen:

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AA - Auswärtiges Amt (15.12.2016): Bericht über die asyl- und abschieberelevante Lage in der Volksrepublik China

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AI - Amnesty International (22.2.2017): Amnesty International Report 2016/17 - The State of the World's Human Rights - China, http://www.ecoi.net/local_link/336465/479116_de.html, Zugriff am 24.8.2017

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FH - Freedom House (1.2017a): Freedom in the World 2017 - China, https://freedomhouse.org/report/freedom-world/2017/china, Zugriff 28.8.2017

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HRW - Human Rights Watch (12.1.2017): World Report 2017 - China, http://www.ecoi.net/local_link/334766/476520_de.html, Zugriff 24.8.2017

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USDOS - US Department of State (3.3.2017): Country Report on Human Rights Practices 2016 - China (includes Tibet, Hong Kong, and Macau), http:

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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