TE Bvwg Erkenntnis 2019/10/30 W202 2139784-2

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 30.10.2019
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Entscheidungsdatum

30.10.2019

Norm

AsylG 2005 §54
AsylG 2005 §55
BFA-VG §9
B-VG Art. 133 Abs4

Spruch

W202 2139784-2/13E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch den Richter Mag. Bernhard SCHLAFFER als Einzelrichter über die Beschwerde von XXXX , geb. XXXX , StA. Indien, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 23.06.2017, Zl. 800550302 - 150214780, nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 11.10.2019 zu Recht:

A)

Der Beschwerde wird stattgegeben und die Rückkehrentscheidung gemäß § 9 BFA-Verfahrensgesetz auf Dauer für unzulässig erklärt.

XXXX wird gemäß §§ 54 und 55 Abs. 1 Asylgesetz 2005 der Aufenthaltstitel "Aufenthaltsberechtigung plus" für die Dauer von zwölf Monaten erteilt.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang

Der Beschwerdeführer, ein indischer Staatsangehöriger, stellte am 24.10.2010 einen Antrag auf internationalen Schutz.

Nach Durchführung eines Ermittlungsverfahrens wies das Bundesasylamt (BAA) mit Bescheid vom 30.06.2010, 10 05.503-BAT, den Antrag auf internationalen Schutz ab und erkannte dem Beschwerdeführer den Status des Asylberechtigten (Spruchpunkt I.) sowie den Status des subsidiär Schutzberechtigten nicht zu (Spruchpunkt II.) und wies den Beschwerdeführer aus dem österreichischen Bundesgebiet nach Indien aus (Spruchpunkt III.).

Eine dagegen erhobene Beschwerde wies der Asylgerichtshof (AsylGH) mit Erkenntnis vom 04.02.2011, C4 414.306-1/2010/3E, ab.

Am 26.02.2015 stellte der Beschwerdeführer neuerlich einen Antrag auf internationalen Schutz.

Nach Durchführung eines Ermittlungsverfahrens wies das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) mit Bescheid vom 24.10.2016, 800550302-150214780, den Antrag des Beschwerdeführers hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten (Spruchpunkt I.) sowie bezüglich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten ab (Spruchpunkt II.), erteilte einen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen nicht, erließ gegen den Beschwerdeführer eine Rückkehrentscheidung, stellte fest, dass seine Abschiebung nach Indien zulässig sei (Spruchpunkt III.) und setzte die Frist für die freiwillige Ausreise mit 14 Tagen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung fest (Spruchpunkt IV.). Einer Beschwerde gegen diese Entscheidung erkannte es die aufschiebende Wirkung ab (Spruchpunkt V.).

Eine dagegen erhobene Beschwerde wurde mit hg. Erkenntnis vom 21.11.2016, W202 2139784-1, hinsichtlich der Spruchpunkte I. und II. als unbegründet abgewiesen. Mit unter einem gefassten Beschluss behob das Bundesverwaltungsgericht den Bescheid hinsichtlich der Spruchpunkte III. und IV. und verwies die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheides an das BFA zurück.

Nach Durchführung ergänzender Ermittlungen erteilte das BFA mit dem nunmehr in Beschwerde gezogenen und im Spruch bezeichneten Bescheid vom 23.06.2017 dem Beschwerdeführer einen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gem. § 57 AsylG 2005 nicht, erließ gem. § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG 2005 iVm § 9 BFA-VG gegen ihn eine Rückkehrentscheidung gem. § 52 Abs. 2 Z 2 FPG, stellte gem. § 52 Abs. 9 FPG fest, dass seine Abschiebung nach Indien zulässig sei (Spruchpunkt I.) und setzte die Frist für seine freiwillige Ausreise gem. § 55 Abs. 1-3 FPG mit 14 Tagen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung fest (Spruchpunkt II.).

Dagegen erhob der Beschwerdeführer durch seine rechtsfreundliche Vertretung innerhalb offener Frist gegenständliche Beschwerde.

Das Bundesverwaltungsgericht führte am 11.10.2019 eine öffentliche mündliche Beschwerdeverhandlung durch, im Rahmen derer der Beschwerdeführer unter Beiziehung eines Dolmetschers für die Sprache Punjabi einvernommen wurde. Darüber hinaus wurde die Ehefrau des Beschwerdeführers zeugenschaftlich befragt. Das BFA hatte bereits in der Beschwerdevorlage die Abstandnahme von der Teilnahme an der Beschwerdeverhandlung erklärt.

II. Erwägungen:

1. Feststellungen:

Der Beschwerdeführer ist Staatsangehöriger von Indien und stammt aus dem Punjab. In Indien halten sich die Mutter, eine Schwester, ein Bruder des Beschwerdeführers sowie deren Kinder auf.

Der Beschwerdeführer hält sich zumindest seit 24.10.2010, als er seinen ersten Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, durchgehend im Bundesgebiet auf. Er lebt in Österreich von der Grundversorgung und ist derzeit nicht erwerbstätig. Er hat bereits in Österreich gearbeitet und verfügt derzeit über einen Arbeitsvorvertrag, weiters hat er Deutschkurse besucht, ein A2-Zertifikat vom 31.08.2016 vorgelegt und im Bundesgebiet einige Freundschaften und Bekanntschaften geknüpft.

Der Beschwerdeführer hat am 10.10.2016 mit XXXX , geb. am XXXX , österreichische Staatsangehörige, die Ehe geschlossen. Ein gemeinsamer Wohnsitz besteht seit 25.04.2016. Der Beschwerdeführer wohnt mit seiner Ehefrau und zwei von deren Kindern in gemeinsamen Haushalt in einer Gemeindewohnung in Wien.

Die Ehefrau des Beschwerdeführers ist aufgrund von Astigmatismus, Glaukomverdacht, Myopie und Strabismus als blind einzustufen und bezieht Pflegegeld Stufe 4 sowie eine Berufsunfähigkeitspension. Die Haushaltstätigkeiten teilt sie sich mit dem Beschwerdeführer auf. Bei Tätigkeiten, bei denen Sehstärke erforderlich ist - wie beispielsweise dem Putzen von Fenstern oder dem Wischen von Staub - ist sie auf den Beschwerdeführer angewiesen. Der Beschwerdeführer hilft ihr in großem Ausmaß und besorgt auch die Kinderbetreuung. Aufgrund der faktischen Blindheit der Ehefrau des Beschwerdeführers könnte sie sich in Indien nicht zurechtfinden.

Der Beschwerdeführer ist vorbestraft. Mit Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Wien vom 04.04.2017, 35 Hv 14/17h, wurde der Beschwerdeführer wegen §§ 223 Abs. 2, 224 StGB zu einer Freiheitsstrafe in der Dauer von drei Monaten verurteilt, wobei der Vollzug dieser Freiheitsstrafe unter Setzung einer Probezeit für die Dauer von drei Jahren bedingt nachgesehen wurde. Der Beschwerdeführer hatte am 30.11.2016 einen falschen portugiesischen Führerschein durch Vorweisen bei einer Fahrzeug- und Lenkerkontrolle im Rechtsverkehr zum Beweis seiner Identität und seiner Fahrberechtigung gebraucht. Mit Urteil des Bezirksgerichts Favoriten vom 09.01.2019, 32 U 181/18y, wurde der Beschwerdeführer wegen § 223 Abs. 2 StGB zu einer Freiheitsstrafe in der Dauer von fünf Monaten verurteilt, wobei der Vollzug dieser Freiheitsstrafe unter Setzung einer Probezeit für die Dauer von drei Jahren bedingt nachgesehen wurde. Der Beschwerdeführer hatte am 15.11.2018 einen gefälschten indischen Führerschein durch Vorweisen bei einer Fahrzeug- und Lenkerkontrolle im Rechtsverkehr zum Beweis seiner Identität und seiner Fahrberechtigung gebraucht. Darüber hinaus wurde der Beschwerdeführer am 30.11.2016, am 28.12.2016 und am 07.03.2017 jeweils beim Lenken eines Kfz ohne Lenkberechtigung betreten und es wurden jeweils Verwaltungsstrafen verhängt.

Am 05.02.2019 hat der Beschwerdeführer den österreichischen Führerschein in den Klassen AM und B erworben.

2. Beweiswürdigung

Die Feststellungen ergeben sich aus der Aktenlage, insbesondere den im Akt liegenden Vorentscheidungen des BAA, des AsylGH, des BFA und des Bundesverwaltungsgerichts, den im Akt liegenden den Beschwerdeführer betreffenden strafgerichtlichen Verurteilungen, den zum Akt genommenen Auszügen aus dem Grundversorgungsinformationssystem, Zentralen Melderegister und dem Strafregister, den im Akt liegenden medizinischen Befunde betreffend die Ehefrau des Beschwerdeführers, der Heiratsurkunde, einem Auszug der PVA und nicht zuletzt aus den in der Beschwerdeverhandlung in Kopie vorgelegten Arbeitsvorvertrag und Führerschein. Die übereinstimmenden Ausführungen des Beschwerdeführers und seiner Ehefrau in der Beschwerdeverhandlung runden das sich aus der Aktenlage ergebende Bild ab und es sind keine Widersprüche zutage getreten.

3. Rechtliche Beurteilung:

Zu Spruchteil A:

Zur Rückkehrentscheidung:

Ob eine Rückkehrentscheidung auf Dauer unzulässig ist, ergibt sich aus § 9 Abs. 1 bis 3 BFA-VG. Dieser lautet:

"Schutz des Privat- und Familienlebens

§ 9. (1) Wird durch eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG, eine Anordnung zur Außerlandesbringung gemäß § 61 FPG, eine Ausweisung gemäß § 66 FPG oder ein Aufenthaltsverbot gemäß § 67 FPG in das Privat- oder Familienleben des Fremden eingegriffen, so ist die Erlassung der Entscheidung zulässig, wenn dies zur Erreichung der im Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten Ziele dringend geboten ist.

(2) Bei der Beurteilung des Privat- und Familienlebens im Sinne des Art. 8 EMRK sind insbesondere zu berücksichtigen:

1. die Art und Dauer des bisherigen Aufenthaltes und die Frage, ob der bisherige Aufenthalt des Fremden rechtswidrig war,

2. das tatsächliche Bestehen eines Familienlebens,

3. die Schutzwürdigkeit des Privatlebens,

4. der Grad der Integration,

5. die Bindungen zum Heimatstaat des Fremden,

6. die strafgerichtliche Unbescholtenheit,

7. Verstöße gegen die öffentliche Ordnung, insbesondere im Bereich des Asyl-, Fremdenpolizei- und Einwanderungsrechts,

8. die Frage, ob das Privat- und Familienleben des Fremden in einem Zeitpunkt entstand, in dem sich die Beteiligten ihres unsicheren Aufenthaltsstatus bewusst waren,

9. die Frage, ob die Dauer des bisherigen Aufenthaltes des Fremden in den Behörden zurechenbaren überlangen Verzögerungen begründet ist.

(3) Über die Zulässigkeit der Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG ist jedenfalls begründet, insbesondere im Hinblick darauf, ob diese gemäß Abs. 1 auf Dauer unzulässig ist, abzusprechen. Die Unzulässigkeit einer Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG ist nur dann auf Dauer, wenn die ansonsten drohende Verletzung des Privat- und Familienlebens auf Umständen beruht, die ihrem Wesen nach nicht bloß vorübergehend sind. Dies ist insbesondere dann der Fall, wenn die Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG schon allein auf Grund des Privat- und Familienlebens im Hinblick auf österreichische Staatsbürger oder Personen, die über ein unionsrechtliches Aufenthaltsrecht oder ein unbefristetes Niederlassungsrecht (§§ 45 und 48 oder §§ 51 ff Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz (NAG), BGBl. I Nr. 100/2005) verfügen, unzulässig wäre."

Nach Art. 8 Abs. 2 EMRK ist der Eingriff in die Ausübung dieses Rechts nur statthaft, insoweit dieser Eingriff gesetzlich vorgesehen ist und eine Maßnahme darstellt, die in einer demokratischen Gesellschaft für die nationale Sicherheit, die öffentliche Ruhe und Ordnung, das wirtschaftliche Wohl des Landes, die Verteidigung der Ordnung und zur Verhinderung von strafbaren Handlungen, zum Schutze der Gesundheit und der Moral oder zum Schutz der Rechte und Freiheiten anderer notwendig ist.

Ob eine Verletzung des Rechts auf Schutz des Privat- und Familienlebens im Sinne des Art. 8 EMRK vorliegt, hängt nach der ständigen Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte (EGMR) sowie des Verfassungs- und Verwaltungsgerichtshofes jeweils von den konkreten Umständen des Einzelfalles ab. Die Regelung erfordert eine Prüfung der Notwendigkeit und Verhältnismäßigkeit des staatlichen Eingriffes; letztere verlangt eine Abwägung der betroffenen Rechtsgüter und öffentlichen Interessen. In diesem Sinn wird eine Ausweisung nicht erlassen werden dürfen, wenn ihre Auswirkungen auf die Lebenssituation des Fremden (und seiner Familie) schwerer wiegen würden als die nachteiligen Folgen der Abstandnahme von ihrer Erlassung.

Die Verhältnismäßigkeit einer Ausweisung - nunmehr Rückkehrentscheidung - ist dann gegeben, wenn der Konventionsstaat bei seiner aufenthaltsbeendenden Maßnahme einen gerechten Ausgleich zwischen dem Interesse des Fremden auf Fortsetzung seines Privat- und Familienlebens einerseits und dem staatlichen Interesse auf Verteidigung der öffentlichen Ordnung andererseits, also dem Interesse des Einzelnen und jenem der Gemeinschaft als Ganzes gefunden hat. Dabei variiert der Ermessensspielraum des Staates je nach den Umständen des Einzelfalles und muss in einer nachvollziehbaren Verhältnismäßigkeitsprüfung in Form einer Interessenabwägung erfolgen.

Bei dieser Interessenabwägung sind - wie in § 9 Abs. 2 BFA-VG unter Berücksichtigung der Judikatur der Gerichtshöfe des öffentlichen Rechts ausdrücklich normiert wird - insbesondere die Art und Dauer des bisherigen Aufenthalts und die Frage, ob der bisherige Aufenthalt des Fremden rechtswidrig war, das tatsächliche Bestehen eines Familienlebens, die Schutzwürdigkeit des Privatlebens, der Grad der Integration des Fremden, die Bindungen zum Heimatstaat, die strafgerichtliche Unbescholtenheit, Verstöße gegen die öffentliche Ordnung, insbesondere im Bereich des Asyl-, Fremdenpolizei- und Einwanderungsrechts, die Frage, ob das Privat- und Familienleben in einem Zeitpunkt entstand, in dem sich die Beteiligten ihres unsicheren Aufenthaltsstatus bewusst waren sowie die Frage zu berücksichtigen, ob die Dauer des bisherigen Aufenthaltes des Fremden in den Behörden zurechenbaren überlangen Verzögerungen begründet ist (vgl. VfSlg. 18.224/2007, 18.135/2007; VwGH 26.06.2007, 2007/01/0479; 26.01.2006, 2002/20/0423).

Vom Prüfungsumfang des Begriffes des "Familienlebens" in Art. 8 EMRK ist nicht nur die Kernfamilie von Eltern und (minderjährigen) Kindern umfasst, sondern z.B. auch Beziehungen zwischen Geschwistern (EKMR 14.03.1980, B 8986/80, EuGRZ 1982, 311) und zwischen Eltern und erwachsenen Kindern (etwa EKMR 06.10.1981, B 9202/80, EuGRZ 1983, 215). Dies allerdings nur unter der Voraussetzung, dass eine gewisse Beziehungsintensität vorliegt. Es kann nämlich nicht von vornherein davon ausgegangen werden, dass zwischen Personen, welche miteinander verwandt sind, immer auch ein ausreichend intensives Familienleben im Sinne des Art. 8 EMRK besteht, vielmehr ist dies von den jeweils gegebenen Umständen, von der konkreten Lebenssituation abhängig. Der Begriff des "Familienlebens" in Art. 8 EMRK setzt daher neben der Verwandtschaft auch andere, engere Bindungen voraus; die Beziehungen müssen eine gewisse Intensität aufweisen. So ist etwa darauf abzustellen, ob die betreffenden Personen zusammengelebt haben, ein gemeinsamer Haushalt vorliegt oder ob sie (finanziell) voneinander abhängig sind (vgl. etwa VwGH 26.01.2006, 2002/20/0423; 08.06.2006, 2003/01/0600; 26.01.2006, 2002/20/0235, worin der VwGH feststellte, dass das Familienleben zwischen Eltern und minderjährigen Kindern nicht automatisch mit Erreichen der Volljährigkeit beendet wird, wenn das Kind weiter bei den Eltern lebt).

Unter dem "Privatleben" sind nach der Rechtsprechung des EGMR persönliche, soziale und wirtschaftliche Beziehungen, die für das Privatleben eines jeden Menschen konstitutiv sind, zu verstehen (vgl. EGMR 16.06.2005, Sisojeva ua gg Lettland, Nr. 60654/00, EuGRZ 2006, 554). In diesem Zusammenhang komme dem Grad der sozialen Integration des Betroffenen eine wichtige Bedeutung zu.

Der Aspekt der Bindungen zum Heimatstaat steht in direkter Beziehung zur Integration im Bundesgebiet: Je länger der Aufenthalt im Gastland, desto stärker wird der Verlust an Bindungen zum Heimatland sein. Mit der Abnahme von Bindungen zum Herkunftsstaat wird in der Regel auch der Integrationsgrad im Bundesgebiet zunehmen (Chvosta, Die Ausweisung von Asylwerbern und Art. 8 MRK, ÖJZ 2007/74, 858 f.).

Vor dem Hintergrund der in § 9 Abs. 1 bis 3 BFA-VG normierten Integrationstatbestände, die zur Beurteilung eines schützenswerten Privat- und Familienlebens im Sinne des Art. 8 EMRK zu berücksichtigen sind, ist in der gegenständlichen Rechtssache der Eingriff in das Privat- und Familienleben des Beschwerdeführer nicht durch die in Art. 8 Abs. 2 EMRK angeführten öffentlichen Interessen gerechtfertigt. Dies aus folgenden Gründen:

Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist eine Trennung von Ehepartnern nur gerechtfertigt, wenn dem öffentlichen Interesse an der Vornahme der aufenthaltsbeendenden Maßnahme sehr großes Gewicht beizumessen ist, wie etwa bei Straffälligkeit des Fremden oder bei einer von Anfang an beabsichtigten Umgehung der Regelungen über eine geordnete Zuwanderung und den "Familiennachzug" (VwGH 06.09.2018, Ra 2018/18/0026 mwN). Der Beschwerdeführer ist wie festgestellt seit 10.10.2016 mit einer österreichischen Staatsbürgerin verheiratet. Anhaltspunkte dafür, dass die Ehe zur Umgehung der Regelungen über eine geordnete Zuwanderung im Sinne der oben zitierten Judikatur geschlossen wurde, sind im Verfahren nicht hervorgekommen. Nach der Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes kommt weiter der Frage, ob das Familienleben in einem ungewissen Aufenthaltszustand entstanden ist, ein wesentliches Gewicht zu und auch die Frage der Zumutbarkeit der Fortführung des Familienlebens im Herkunftsstaat ist zu beachten (VfGH 03.10.2012, U119/12). Eine Weiterführung des Familienlebens des Beschwerdeführers mit seiner Ehefrau in Indien wäre im gegenständlichen Fall unverhältnismäßig bzw. unzumutbar, da die Ehefrau des Beschwerdeführers als österreichische Staatsbürgerin im Bundesgebiet verwurzelt ist, hier entsprechende soziale, familiäre und gesellschaftliche Kontakte hat und über keine relevanten Kenntnisse einer Amtssprache Indiens verfügt. Auch die Kinder der Ehefrau des Beschwerdeführers sind als österreichische Staatsbürger im Bundesgebiet durch ihre hier lebenden Familienangehörigen verwurzelt. In diesem Kontext bleibt zudem insbesondere zu berücksichtigen, dass angesichts der Augenerkrankung der Ehefrau des Beschwerdeführers eine Niederlassung dieser in Indien unzumutbar und ihr aufgrund ihrer faktischen Blindheit auch nicht zumutbar wäre, den Kontakt zum Beschwerdeführer durch regelmäßige Besuche in Indien aufrechtzuerhalten. Im Hinblick darauf, dass die Ehegattin aufgrund ihrer Erblindung auf den Beschwerdeführer im täglichen Leben angewiesen ist, wäre eine auch nur kurzfristige Trennung nicht verhältnismäßig.

Zu seiner Delinquenz, die ausschließlich das Fahren ohne Führerschein bzw. unter Zuhilfenahme gefälschter Führerscheine betrifft, ist festzuhalten, dass der Beschwerdeführer mittlerweile auf regulärem Weg einen österreichischen Führerschein erworben hat und daher nicht davon auszugehen ist, dass der Beschwerdeführer sein in der Vergangenheit gesetztes Fehlverhalten wiederholen wird, weswegen seine Delinquenz im konkreten Fall nicht maßgeblich ins Gewicht fällt.

Hinzu kommt, dass sich der BF mittlerweile seit neun Jahren, also schon nahe einer Aufenthaltszeit, bei der die Judikatur in der Regel von einem Überwiegen der privaten Interessen gegenüber den öffentlichen Interessen ausgeht, im Bundesgebiet aufhält und sich unzweifelhaft der Lebensmittelpunkt des BF nach Österreich verlagert hat. Aufgrund des Arbeitsvorvertrages ist überdies davon auszugehen, dass der BF neben der Berufsunfähigkeitspension der Gattin zum gemeinsamen Haushaltseinkommen wird beitragen können.

Dem öffentlichen Interesse an der Einhaltung der die Einreise und den Aufenthalt von Fremden regelnden Bestimmungen kommt im Interesse des Schutzes der öffentlichen Ordnung (Art. 8 Abs. 2 EMRK) zwar grundsätzlich ein hoher Stellenwert zu (vgl. etwa VfGH 01.07.2009, U992/08 bzw. VwGH 17.12.2007, 2006/01/0216; 26.06.2007, 2007/01/0479; 16.01.2007, 2006/18/0453; 08.11.2006, 2006/18/0336 bzw. 2006/18/0316; 22.06.2006, 2006/21/0109; 20.09.2006, 2005/01/0699), im gegenständlichen Fall überwiegen aber aufgrund der dargestellten Umstände in einer Gesamtabwägung aller Umstände dennoch die privaten bzw. familiären Interessen des Beschwerdeführers an einem Verbleib in Österreich das öffentliche Interesse an einer Aufenthaltsbeendigung, für die sich in der vorliegenden Konstellation keine begründeten Rechtfertigungen erkennen lassen (vgl. VwGH 22.02. 2005, 2003/21/0096; vgl. ferner VwGH 26.03. 2007, 2006/01/0595, sowie VfSlg 17.457/2005).

Da somit das Interesse an der Aufrechterhaltung des Privat- und Familienlebens des Beschwerdeführers im konkreten Fall die in Art. 8 Abs. 2 EMRK angeführten öffentlichen Interessen überwiegt, war in Erledigung der Beschwerde die angefochtene Rückkehrentscheidung in Bezug auf den Herkunftsstaat Indien für auf Dauer unzulässig zu erklären.

Zur Aufenthaltsberechtigung:

Zur Aufenthaltsberechtigung:

Gemäß § 54 Abs. 1 AsylG werden Drittstaatsangehörigen folgende

Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen erteilt:

1. "Aufenthaltsberechtigung plus", die zu einem Aufenthalt im Bundesgebiet und zur Ausübung einer selbständigen und unselbständigen Erwerbstätigkeit gemäß § 17 Ausländerbeschäftigungsgesetz (AuslBG), BGBl. Nr. 218/1975 berechtigt;

2. "Aufenthaltsberechtigung", die zu einem Aufenthalt im Bundesgebiet und zur Ausübung einer selbständigen und einer unselbständigen Erwerbstätigkeit, für die eine entsprechende Berechtigung nach dem AuslBG Voraussetzung ist, berechtigt;

3. "Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz", die zu einem Aufenthalt im Bundesgebiet und zur Ausübung einer selbständigen und einer unselbständigen Erwerbstätigkeit, für die eine entsprechende Berechtigung nach dem AuslBG Voraussetzung ist, berechtigt.

Gemäß Abs. 2 leg. cit. sind diese Aufenthaltstitel für die Dauer von zwölf Monaten beginnend mit dem Ausstellungsdatum auszustellen.

Im Bundesgebiet aufhältigen Drittstaatsangehörigen ist gemäß § 55 Abs. 1 AsylG von Amts wegen oder auf begründeten Antrag eine "Aufenthaltsberechtigung plus" zu erteilen, wenn dies gemäß § 9 Abs. 2 BFA-VG zur Aufrechterhaltung des Privat- und Familienlebens im Sinne des Art. 8 EMRK geboten ist (Z 1) und der Drittstaatangehörige das Modul 1 der Integrationsvereinbarung gemäß § 9 Integrationsgesetz erfüllt hat oder zum Entscheidungszeitpunkt eine erlaubte Erwerbstätigkeit ausübt, mit deren Einkommen die monatliche Geringfügigkeitsgrenze (§ 5 Abs. 2 ASVG) erreicht wird (Z 2). Liegt nur die Voraussetzung des Abs. 1 Z 1 vor, ist gemäß Abs. 2 eine "Aufenthaltsberechtigung" zu erteilen.

Die Übergangsbestimmung gemäß § 81 Abs. 36 NAG lautet:

"(36) Das Modul 1 der Integrationsvereinbarung gemäß § 9 IntG gilt als erfüllt, wenn Drittstaatsangehörige das Modul 1 der Integrationsvereinbarung gemäß § 14a in der Fassung vor dem Bundesgesetz BGBl. I Nr. 68/2017 vor dem Zeitpunkt des Inkrafttretens des Bundesgesetzes BGBl. I Nr. 68/2017 erfüllt haben oder von der Erfüllung ausgenommen waren."

§ 14a in der Fassung vor dem Bundesgesetz BGBl. I Nr. 68/2017 lautete:

(1) Drittstaatsangehörige sind mit erstmaliger Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß § 8 Abs. 1 Z 1, 2, 4, 5, 6 oder 8 zur Erfüllung des Moduls 1 der Integrationsvereinbarung verpflichtet. Diese Pflicht ist dem Drittstaatsangehörigen nachweislich zur Kenntnis zu bringen.

(2) Der Erfüllungspflicht gemäß Abs. 1 haben Drittstaatsangehörige binnen zwei Jahren ab erstmaliger Erteilung des Aufenthaltstitels gemäß § 8 Abs. 1 Z 1, 2, 4, 5, 6 oder 8 nachzukommen. Unter Bedachtnahme auf die persönlichen Lebensumstände des Drittstaatsangehörigen kann der Zeitraum der Erfüllungspflicht auf Antrag mit Bescheid verlängert werden. Diese Verlängerung darf die Dauer von jeweils zwölf Monaten nicht überschreiten; sie hemmt den Lauf der Fristen nach § 15.

(3) Für die Dauer von fünf Jahren ab Ablauf der Gültigkeit des zuletzt erteilten Aufenthaltstitels gemäß § 8 Abs. 1 Z 1, 2, 4, 5, 6 oder 8 werden bereits konsumierte Zeiten der Erfüllungspflicht auf den Zeitraum der Erfüllungspflicht gemäß Abs. 2 angerechnet.

(4) Das Modul 1 der Integrationsvereinbarung ist erfüllt, wenn der Drittstaatsangehörige

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1.-einen Deutsch-Integrationskurs besucht und einen Nachweis des Österreichischen Integrationsfonds über den erfolgreichen Abschluss des Deutsch-Integrationskurses vorlegt,

2.-einen allgemein anerkannten Nachweis über ausreichende Deutschkenntnisse gemäß § 14 Abs. 2 Z 1 vorlegt,

3.-über einen Schulabschluss verfügt, der der allgemeinen Universitätsreife im Sinne des § 64 Abs. 1 des Universitätsgesetzes 2002, BGBl. I Nr. 120, oder einem Abschluss einer berufsbildenden mittleren Schule entspricht oder

4.-einen Aufenthaltstitel "Rot-Weiß-Rot - Karte" gemäß § 41 Abs. 1 oder 2 besitzt.

Die Erfüllung des Moduls 2 (§ 14b) beinhaltet das Modul 1.

(5) Ausgenommen von der Erfüllungspflicht gemäß Abs. 1 sind Drittstaatsangehörige,

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1.-die zum Ende des Zeitraumes der Erfüllungspflicht (Abs. 2) unmündig sein werden;

2.-denen auf Grund ihres physischen oder psychischen Gesundheitszustandes die Erfüllung nicht zugemutet werden kann; der Drittstaatsangehörige hat dies durch ein amtsärztliches Gutachten nachzuweisen;

3.-wenn sie schriftlich erklären, dass ihr Aufenthalt die Dauer von zwölf Monaten innerhalb von zwei Jahren nicht überschreiten soll;

diese Erklärung beinhaltet den Verzicht auf die Stellung eines Verlängerungsantrages.

(6) Nähere Bestimmungen über die Durchführung von Deutsch-Integrationskursen und den Nachweis des Österreichischen Integrationsfonds über den erfolgreichen Abschluss des Deutsch-Integrationskurses gemäß Abs. 4 Z 1 sowie über die Nachweise gemäß Abs. 4 Z 2 hat der Bundesminister für Inneres durch Verordnung festzulegen.

(7) Die Behörde kann von Amts wegen mit Bescheid feststellen, dass trotz erfolgreichem Abschluss eines Deutsch-Integrationskurses gemäß Abs. 4 Z 1 oder trotz Vorliegen eines Nachweises gemäß Abs. 4 Z 2 der Drittstaatsangehörige das Modul 1 der Integrationsvereinbarung mangels erforderlicher Kenntnisse gemäß § 14 Abs. 2 Z 1 nicht erfüllt hat.

§ 14 in der Fassung vor dem Bundesgesetz BGBl. I Nr. 68/2017 lautete:

(1) Die Integrationsvereinbarung dient der Integration rechtmäßig im Bundesgebiet niedergelassener Drittstaatsangehöriger (§ 2 Abs. 2). Sie bezweckt den Erwerb von vertieften Kenntnissen der deutschen Sprache, um den Drittstaatsangehörigen zur Teilnahme am gesellschaftlichen, wirtschaftlichen und kulturellen Leben in Österreich zu befähigen.

(2) Die Integrationsvereinbarung besteht aus zwei aufeinander aufbauenden Modulen:

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1.-das Modul 1 dient dem Erwerb von Kenntnissen der deutschen Sprache zur vertieften elementaren Sprachverwendung;

2.-das Modul 2 dient dem Erwerb von Kenntnissen der deutschen Sprache zur selbständigen Sprachverwendung.

(3) Die näheren Bestimmungen zu den Inhalten der Module 1 und 2 der Integrationsvereinbarung hat der Bundesminister für Inneres durch Verordnung festzulegen.

Wie sich aus den obigen Ausführungen ergibt, ist dem BF aufgrund seines Antrages eine Aufenthaltsberechtigung Plus zu erteilen, da diese gemäß § 9 Abs. 2 BFA-VG zur Aufrechterhaltung des Privat- und Familienlebens iSd Art. 8 EMRK geboten ist und der BF das Modul 1 der Integrationsvereinbarung gem. § 14a NAG in der Fassung vor dem Bundesgesetz BGBl. I Nr. 68/2017 erfüllt hat, indem er ein entsprechendes Zeugnis vom 31.08.2016 hinsichtlich seiner Deutschkenntnisse vorlegte.

Zu Spruchteil B:

Gemäß § 25a Abs. 1 des Verwaltungsgerichtshofgesetzes 1985 (VwGG), BGBl. Nr. 10/1985 in der geltenden Fassung, hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Die Revision gegen die gegenständliche Entscheidung ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des VwGH ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des VwGH auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen.

Das Bundesverwaltungsgericht konnte sich bei allen erheblichen Rechtsfragen, insbesondere der Abwägung des Privat- und Familienlebens, auf eine ständige Rechtsprechung des VwGH bzw. auf eine ohnehin klare Rechtslage stützen. Die maßgebliche Rechtsprechung zu Fragen des Art. 8 EMRK wurde bei den Erwägungen unter Spruchteil A) wiedergegeben. Insoweit die dort angeführte Judikatur des VwGH zu früheren Rechtslagen ergangen ist, ist diese nach Ansicht des BVwG auf die inhaltlich weitgehend gleichlautenden Bestimmungen der nunmehr geltenden Rechtslage unverändert übertragbar.

Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.

Konkrete Rechtsfragen grundsätzlicher Bedeutung sind somit weder in der gegenständlichen Beschwerde vorgebracht worden, noch im Verfahren vor dem BVwG hervorgekommen, zumal im vorliegenden Fall vornehmlich die Klärung von Sachverhaltsfragen maßgeblich für die zu treffende Entscheidung war.

Schlagworte

Aufenthaltsberechtigung plus, Aufenthaltsdauer, Deutschkenntnisse,
Ehepartner, Erkrankung, Interessenabwägung, Privat- und
Familienleben, Rückkehrentscheidung auf Dauer unzulässig

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2019:W202.2139784.2.00

Zuletzt aktualisiert am

24.01.2020
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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