TE Vwgh Beschluss 2019/12/17 Ra 2019/18/0398

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Veröffentlicht am 17.12.2019
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Index

10/01 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG)
10/07 Verwaltungsgerichtshof

Norm

B-VG Art133 Abs4
VwGG §28 Abs3
VwGG §34 Abs1
VwGG §34 Abs1a

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Vizepräsidentin Dr.in Sporrer, den Hofrat Dr. Sutter und die Hofrätin Dr.in Sembacher als Richterinnen und Richter, unter Mitwirkung des Schriftführers Mag. Wuketich, über die Revision des B M, vertreten durch Schmelz Rechtsanwälte OG in 3400 Klosterneuburg, Martinstraße 58a, Stiege 2, Top 17, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 12. September 2019, Zl. W257 2171746-1/12E, betreffend eine Asylangelegenheit (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl), den Beschluss gefasst:

Spruch

Die Revision wird zurückgewiesen.

Begründung

1 Der Revisionswerber ist Staatsangehöriger Afghanistans und Angehöriger der Volksgruppe der Hazara sowie Mitglied der schiitischen Glaubensrichtung. Er stellte am 7. Juli 2016 den gegenständlichen Antrag auf internationalen Schutz, den er im Rahmen der Erstbefragung mit Problemen mit der Familie seiner Frau sowie mit der Sicherheitslage in Afghanistan begründete. Seinen Heimatort gab er mit Kunduz an. Im Rahmen der niederschriftlichen Einvernahme am 4. September 2017 gab der Revisionswerber an, im Iran aufgewachsen zu sein und in einem Flüchtlingslager gelebt zu haben. Seine Angaben zu Kunduz seien falsch gewesen. Seine Frau und seine Kinder würden in Athen leben. Die Familie sei aus dem Iran über Afghanistan nach Europa gereist und dabei sowohl von der iranischen Polizei als auch von den Taliban angehalten worden. 2 Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) wies diesen Antrag mit Bescheid vom 5. September 2017 ab und begründete dies mit der mangelnden Glaubhaftigkeit des Fluchtvorbringens, dem Offenstehen einer innerstaatlichen Fluchtalternative in Kabul sowie dem Überwiegen der öffentlichen Interessen an der Außerlandesbringung des Revisionswerbers.

3 Das Bundesverwaltungsgericht (BVwG) entschied über die dagegen erhobene Beschwerde nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 19. Juli 2019.

Im Rahmen der Verhandlung gab der Revisionswerber an, dass er den Iran verlassen habe, da seine Frau von einem Nachbarn vergewaltigt worden sei; auch habe er nicht nach Syrien in den Krieg ziehen wollen. Er sei von seiner Familie verstoßen worden. Seine Frau und seine Kinder würden seit circa acht bis neun Monaten in Finnland leben, er kenne den genauen Aufenthaltsort nicht, stehe lediglich in SMS-Kontakt mit der Familie. Er wolle seine Familie mit einem negativen Asylverfahren in Österreich nicht belasten. Das BVwG hielt zu den persönlichen Umständen des Revisionswerbers fest, dass dieser im Iran geboren, dort aufgewachsen sei, für 10 Jahre die Schule besucht und sodann als Bauarbeiter gearbeitet habe. Im Iran seien zumindest drei seiner Brüder verblieben, die ihn unterstützen könnten. Die Ehefrau und die beiden Kinder des Revisionswerbers hätten die letzten beiden Jahre vor der Ausreise aus dem Iran zusammen mit dem Revisionswerber in Mashad im Iran gewohnt und würden sich nun seit acht oder neun Monaten in Finnland aufhalten, der Kontakt sei aber lose. Der Revisionswerber sei mit den kulturellen Gepflogenheiten und der Sprache seines Herkunftsstaats vertraut, er habe Jahrzehnte in einem afghanischen Camp im Iran gelebt und sei dadurch mit der afghanischen Kultur vertraut.

Ebenso trifft das BVwG Feststellungen zur Situation von Rückkehrern nach Afghanistan, insbesondere zu den Unterstützungsmöglichkeiten durch den afghanischen Staat, internationale Organisationen sowie Nichtregierungsorganisationen sowie durch die Familie wie auch zur Lage in Mazar-e Sharif hinsichtlich der Sicherheit und der allgemeinen Versorgungslage. In der Beweiswürdigung hält das BVwG fest, dass aufgrund der widersprüchlichen Angaben des Revisionswerbers im Verfahren über die Feststellungen zu den drei Brüdern sowie die Ehefrau und die Kinder des Revisionswerbers hinaus keine weiteren Feststellungen mit der notwendigen Sicherheit getroffen werden könnten. Auch sei nicht nachvollziehbar, dass der Revisionswerber von seiner Familie verstoßen worden sei, vielmehr gehe es davon aus, dass der Revisionswerber damit seine Position verbessern habe wollen. Die Brüder seien nach den Angaben des Revisionswerbers auch in der Baubranche tätig und könnten ihm über das funktionierende Bankensystem auch Geld überweisen. Im Rahmen der rechtlichen Beurteilung hält das BVwG fest, dass das Fluchtvorbringen hinsichtlich des Irans außer Acht bleiben könne und zu Afghanistan keine individuellen Verfolgungsgründe im Sinne der GFK geltend gemacht worden wären, eine Gruppenverfolgung liege nicht vor. Nach Auseinandersetzung mit der persönlichen Situation des Revisionswerbers sowie der Erreichbarkeit von und der Versorgungs- und Sicherheitslage sowie dem Wohn- und Arbeitsmarkt in Mazar-e Sharif ging das BVwG unter Einbeziehung der Richtlinien des UNHCR zur Feststellung des internationalen Schutzbedarfs afghanischer Asylsuchender vom 30. August 2018 sowie der Vorgaben der EASO Country Guidance Notes zu Afghanistan von einer zumutbaren innerstaatlichen Fluchtalternative in Mazar-e Sharif aus; es bestehe kein "real risk" einer Verletzung seiner Rechte nach Art. 2 oder 3 EMRK. Die öffentlichen Interessen an der Durchführung der Rückkehrentscheidung würden überwiegen. Die Familie halte sich zwar in Finnland auf, die Bindung sei jedoch auffallend lose. So bestehe lediglich Kontakt über SMS-Nachrichten und habe der Revisionswerber keine Initiative gesetzt, nach Finnland zu gelangen. Er habe keinen Deutschkurs absolviert und keine wirtschaftliche Integration nachgewiesen. Sein Aufenthalt sei von kurzer Dauer, wobei er sich auch seines unsicheren Aufenthalts bewusst sein habe müssen. Das BVwG erklärte die Revision schließlich für nicht zulässig. Die schriftliche Ausfertigung wurde dem Revisionswerber am 13. September 2019 zugestellt.

4 Mit Eingabe vom 25. September 2019 stellte der Revisionswerber einen Antrag auf Bewilligung der Verfahrenshilfe zur Einbringung einer außerordentlichen Revision. Seiner Ehefrau sei mittlerweile in Finnland Asyl gewährt worden, er kenne niemanden in Afghanistan. Im Iran bestehe ein Einreiseverbot gegen ihn, seine Frau sei im Iran vergewaltigt worden.

5 Der Verwaltungsgerichtshof wies diesen Antrag mit Beschluss vom 21. Oktober 2019, zugestellt am 29. Oktober 2019, ab. 6 Am 27. November 2019 erhob der nunmehr anwaltlich vertretene Revisionswerber eine außerordentliche Revision gegen das oben bezeichnete Erkenntnis des BVwG. Unter einem stellte er einen Antrag auf Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung. Zur Zulässigkeit der Revision führte der Revisionswerber aus, das BVwG sei von der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes abgewichen, da es sich mit seinen besonderen Umständen in Bezug auf Geburtsort, Sozialisierung und bisherigem Lebenslauf nicht hinreichend konkret auseinandergesetzt und es verabsäumt habe, sich mit der Situation im als innerstaatliche Fluchtalternative angenommenen Gebiet auseinanderzusetzen und hinreichend begründete Feststellungen dazu zu treffen.

7 Mit Beschluss vom 29. November 2019 erkannte das BVwG die aufschiebende Wirkung gemäß § 30 Abs. 2 VwGG iVm § 30a Abs. 3 VwGG nicht zu und legte die außerordentliche Revision am 5. Dezember 2019 dem Verwaltungsgerichtshof vor.

8 Mit Eingabe vom 5. Dezember 2019 stellte der Revisionswerber einen neuerlichen Antrag auf Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung. Die Ehefrau des Revisionswerbers habe nach zwischenzeitlichem Abbruch des Kontaktes am 4. Dezember 2019 erneut Kontakt aufgenommen und Kopien der finnischen Dokumente der Familie, so auch einer Aufenthaltsgenehmigung gültig von 18. Juni 2019 bis 18. Juni 2023, übermittelt. Eine Überstellung des Revisionswerbers nach Finnland stehe im Raum.

9 Die Revision erweist sich als nicht zulässig. 10 Nach Art. 133 Abs. 4 B-VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird. Auf Beschlüsse der Verwaltungsgerichte ist Art. 133 Abs. 4 B-VG sinngemäß anzuwenden (Art. 133 Abs. 9 B-VG). 11 Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegens der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung mit Beschluss zurückzuweisen. 12 Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden. Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG hat der Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen. 13 Die Revision wendet sich gegen die vom BVwG angenommene Zumutbarkeit der innerstaatlichen Fluchtalternative in Mazare Sharif und bringt dazu vor, es mangle sowohl an Feststellungen zu Situation und Versorgungslage in Mazar-e Sharif als auch an einer hinreichenden Auseinandersetzung mit der persönlichen Situation des Revisionswerbers.

14 Der Verwaltungsgerichtshof hat in seiner Rechtsprechung bereits mehrfach erkannt, welche Kriterien erfüllt sein müssen, um von einer zumutbaren innerstaatlichen Fluchtalternative sprechen zu können. Demzufolge reicht es nicht aus, dem Asylwerber entgegen zu halten, dass er in diesem Gebiet keine Folter oder unmenschliche oder erniedrigende Behandlung zu erwarten hat. Es muss ihm vielmehr möglich sein, im Gebiet der innerstaatlichen Fluchtalternative nach allfälligen anfänglichen Schwierigkeiten Fuß zu fassen und dort ein Leben ohne unbillige Härten zu führen, wie es auch andere Landsleute führen können. Ob dies der Fall ist, erfordert eine Beurteilung der allgemeinen Gegebenheiten im Herkunftsstaat und der persönlichen Umstände des Asylwerbers. Es handelt sich letztlich um eine Entscheidung im Einzelfall, die auf der Grundlage ausreichender Feststellungen über die zu erwartende Lage des Asylwerbers in dem in Frage kommenden Gebiet sowie dessen sichere und legale Erreichbarkeit getroffen werden muss (vgl. VwGH 13.12.2018, Ra 2018/18/0533, mwN). Dabei hat sich das BVwG auch mit den Richtlinien des UNHCR zur Feststellung des internationalen Schutzbedarfs afghanischer Asylsuchender vom 30. August 2018 sowie den Vorgaben der EASO Country Guidance Notes zu Afghanistan in adäquater Weise auseinanderzusetzen (VwGH 17.9.2019, Ra 2019/14/0160, Rn. 42 ff, mwN).

15 Wie der Verwaltungsgerichtshof bereits festgehalten hat, gehen weder EASO noch UNHCR von der Notwendigkeit der Existenz eines sozialen Netzwerkes in Mazar-e Sharif für einen alleinstehenden, gesunden, erwachsenen Mann ohne besondere Vulnerabilität für die Verfügbarkeit einer innerstaatlichen Fluchtalternative aus. Es entspricht zudem der - auch zu dieser Berichtslage ergangenen - Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes, dass allein die Tatsache, dass ein Asylwerber in seinem Herkunftsstaat über keine familiären Kontakte verfüge, die Annahme einer innerstaatlichen Fluchtalternative nicht hindere, und zwar selbst dann, wenn er nicht in Afghanistan geboren wurde, dort nie gelebt und keine Angehörigen in Afghanistan hat, sondern im Iran aufgewachsen und dort in die Schule gegangen ist (vgl. VwGH 17.9.2019, Ra 2019/14/0160, Rn. 40 ff, mwN).

16 Dem angefochtenen Erkenntnis lagen fallbezogen - wenn auch disloziert im Rahmen der Beweiswürdigung und rechtliche Beurteilung getroffene - Feststellungen zugrunde, dass es sich beim Revisionswerber um einen im Iran geborenen, gesunden, 39- jährigen Mann handle, der zehn Jahre im Iran die Schule besucht habe und sodann Berufserfahrung als Bauarbeiter gesammelt habe. Er sei mit den kulturellen Gepflogenheiten und der Sprache seines Herkunftsstaates vertraut, habe Jahrzehnte in einem afghanischen Camp im Iran gelebt und sei dadurch mit der afghanischen Kultur vertraut. Des Weiteren prüfte das BVwG die Zumutbarkeit der innerstaatlichen Fluchtalternative unter Einbeziehung der Vorgaben der UNHCR-Richtlinien vom 30. August 2018 sowie der EASO Guidance Notes zu Afghanistan im Rahmen der von der Rechtsprechung geforderten Einzelfallprüfung mit dem Ergebnis einer zumutbaren innerstaatlichen Fluchtalternative in Mazar-e Sharif (vgl. dazu auch VwGH 17.9.2019, Ra 2019/20/0438; 9.9.2019, Ra 2019/18/0169; 12.8.2019, 2019/20/0089), wobei es sowohl die getroffenen Feststellungen zum Aufenthalt im Iran, die Schulbildung, die Arbeitserfahrung, den Kontakt zu seinen Brüdern und die durch diese mögliche finanzielle Unterstützung ebenso in seine Abwägung miteinbezog wie auch die Vertrautheit mit der Sprache und den kulturellen Gepflogenheiten seines Herkunftsstaats. 17 Die Revision vermag nicht darzutun, dass das BVwG mit dieser Begründung von der oben genannten Rechtsprechung abgegangen ist.

18 In der Revision werden somit keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B-VG grundsätzliche Bedeutung zukäme. Die Revision war daher gemäß § 34 Abs. 1 VwGG zurückzuweisen.

Wien, am 17. Dezember 2019

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2019:RA2019180398.L00

Im RIS seit

31.01.2020

Zuletzt aktualisiert am

31.01.2020
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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