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E000 EU- Recht allgemeinNorm
AsylG 2005 §3 Abs1Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Vizepräsidentin Dr.in Sporrer sowie die Hofräte Mag. Nedwed und Dr. Sutter und die Hofrätinnen MMag. Ginthör und Dr.in Sembacher als Richterinnen und Richter, unter Mitwirkung des Schriftführers Mag. Wuketich, über die Revision der Z N, vertreten durch Mag.a Nadja Lorenz, Rechtsanwältin in 1070 Wien, Burggasse 116, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 10. Mai 2019, W242 2191063-1/10E, betreffend eine Asylangelegenheit (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl), zu Recht erkannt:
Spruch
Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.
Der Bund hat der Revisionswerberin Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.106,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
1 Die Revisionswerberin, eine iranische Staatsangehörige, beantragte am 22. Juni 2017 internationalen Schutz und brachte dazu im Wesentlichen vor, vom Islam zum Christentum konvertiert zu sein und deshalb im Iran Verfolgung zu befürchten.
2 Mit dem angefochtenen Erkenntnis wies das Bundesverwaltungsgericht (BVwG) diesen Antrag in Bestätigung eines entsprechenden Bescheides des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 16. Februar 2018 zur Gänze ab, erteilte der Revisionswerberin keinen Aufenthaltstitel gemäß § 57 Asylgesetz 2005 (AsylG 2005), erließ gegen sie eine Rückkehrentscheidung, stellte fest, dass ihre Abschiebung in den Iran zulässig sei, und legte eine Frist für die freiwillige Ausreise fest. Die Revision erklärte das BVwG für nicht zulässig. 3 Begründend stellte das BVwG (unter anderem) fest, die Revisionswerberin sei seit 2. Oktober 2017 mit einem iranischen Staatsangehörigen verheiratet, dem in Österreich der Status des Asylberechtigten gewährt worden sei. Sie sei am 15. April 2018 in einer näher bezeichneten evangelikalen persischen Gemeinde getauft worden und besuche seit Oktober 2018 gemeinsam mit ihrem Ehemann regelmäßig religiöse Veranstaltungen der Freikirche Döbling. Die Revisionswerberin sei jedoch nicht aus innerer Überzeugung zum Christentum konvertiert und ihr drohten bei Rückkehr in den Iran wegen der behaupteten Konversion zum christlichen Glauben keine Verfolgung bzw. Lebensgefahr oder Eingriffe in die körperliche Integrität.
4 Im Einzelnen führte das BVwG aus, die Revisionswerberin mache zwar zutreffend geltend, dass Apostasie im Iran im schlimmsten Fall mit dem Tod bestraft werde. Wie die iranischen Behörden von der behaupteten Konversion zum Christentum erfahren sollten, sei für das BVwG aber nicht ersichtlich. Das BVwG verkenne nicht, dass sich die Revisionswerberin Kenntnisse des Christentums angeeignet habe. Beispielsweise könne sie den Aufbau der Bibel sowie einige biblische Charaktere und einige Feiertage aufzählen und beschreiben, warum diese gefeiert würden. Allerdings sei sie nicht in der Lage, zentrale Fragen des evangelischen Glaubens zu beantworten. So sei ihr nicht bekannt gewesen, welcher der wichtigste protestantische Feiertag sei und sie habe zum protestantischen Glauben lediglich oberflächliche Angaben gemacht. In dieses Bild passe auch, dass die Revisionswerberin noch nie etwas vom Augsburger Bekenntnis gehört habe, obwohl es sich dabei um die zentrale Bekenntnisschrift der evangelischen Kirche handle. Im Hinblick darauf, dass die Revisionswerberin regelmäßig Bibelkreise und Gottesdienste besuche, erscheine dies doch sehr auffällig. Insgesamt sei festzuhalten, dass sich die Revisionswerberin nur sehr oberflächlich mit dem christlichen Glauben auseinandergesetzt habe, wesentliche Fragen zum evangelischen Glauben nur vage habe beantworten können und zum Hergang ihrer Konversion innerhalb kurzer Zeit widersprüchliche Angaben gemacht habe. Das erkennende Gericht sei daher bei Gesamtbetrachtung der dargelegten Umstände zu dem Ergebnis gelangt, dass eine innere Hinwendung der Revisionswerberin zum Christentum nicht stattgefunden habe und die regelmäßigen Besuche der Bibelkreise und Gottesdienste lediglich der Aufrechterhaltung des Anscheins einer Hinwendung zum Christentum dienten. Auch das vorgelegte Taufzeugnis lasse keine Rückschlüsse auf die innere Überzeugung der Revisionswerberin zu. Die Revisionswerberin sei daher nur zum Schein konvertiert und es sei auszuschließen, dass sie den christlichen Glauben im Iran ausüben werde. Eine asylrelevante Verfolgung der Revisionswerberin bei Rückkehr in den Herkunftsstaat sei deshalb nicht glaubhaft. Auch drohten ihr keine Gefahren, die eine Zuerkennung von subsidiärem Schutz rechtfertigen würden.
5 Die Rückkehrentscheidung begründete das BVwG damit, dass die Revisionswerberin zwar mit einem asylberechtigten Ehemann verheiratet sei, die Intensität des Familienlebens sei aber nicht besonders ausgeprägt: Die gemeinsame Haushaltsbegründung sei erst vor rund zwei Jahren erfolgt, wobei sich die Revisionswerberin zu diesem Zeitpunkt ihres unsicheren Aufenthaltsstatus habe bewusst sein müssen. Es seien keine gemeinsamen Kinder vorhanden und ein Kinderwunsch sei nicht geäußert worden. Auch lägen keine außergewöhnlichen Umstände, wie etwa besondere Notlagen oder Pflegebedürftigkeit, vor. Die Revisionswerberin sei bei Rückkehr nicht auf die finanzielle Unterstützung ihres Ehemannes angewiesen und könne den Kontakt zu ihm beispielsweise telefonisch oder per Email aufrechterhalten. Mag ein Aufenthalt der Revisionswerberin in Österreich und somit in größerer Nähe zu ihrem Ehemann vorteilhafter sein, so würden bei der Interessenabwägung dennoch klar die Interessen an der öffentlichen Ordnung auf dem Gebiet des Fremden- und Asylwesens sowie am wirtschaftlichen Wohl des Landes überwiegen. Der Revisionswerberin sei zuzumuten, den Wunsch nach Familienzusammenführung in Österreich im Einklang mit den einschlägigen fremdenrechtlichen Rechtsvorschriften zu verwirklichen.
6 Gegen diese Entscheidung wendet sich die vorliegende außerordentliche Revision, in der im Wesentlichen geltend gemacht wird, das BVwG habe sich - abweichend von der höchstgerichtlichen Rechtsprechung - im Zusammenhang mit der geltend gemachten Konversion begründungslos über zentrale Beweisergebnisse (und zwar insbesondere die Aussage eines einvernommenen Zeugen) hinweggesetzt. Es habe in seiner Beweiswürdigung außer Acht gelassen, dass die Revisionswerberin einer evangelikalen Freikirche angehöre, die sich von anderen evangelischen Kirchen unterscheide und davon unterschiedliche Glaubensinhalte aufweise. Die Ausführungen des BVwG, wonach es sich beim Augsburger Bekenntnis um die zentrale Bekenntnisschrift aller evangelischen Kirchen handle, sei verfehlt. In der von der Revisionswerberin ausgeübten Religion spiele das Augsburger Bekenntnis keine zentrale Rolle. Das BVwG habe es unterlassen, konkrete Berichte zu den Glaubensinhalten der evangelikalen Religion einzuholen und die Glaubwürdigkeit der Revisionswerberin an diesem Maßstab zu messen. Hätte es dies getan, so wäre das BVwG zum Schluss gekommen, dass das Vorbringen der Revisionswerberin, aus innerer Überzeugung zum Christentum konvertiert zu sein, glaubwürdig sei. Das BVwG habe auch festgestellt, dass Konvertiten zum Christentum im Iran mit Verfolgung rechnen müssten. Die weitere Begründung des BVwG, wonach nicht davon auszugehen sei, dass die iranischen Behörden vom Glaubenswechsel der Revisionswerberin erfahren könnten, gehe vor dem Hintergrund der Rechtsprechung des EuGH C-71/11 und C- 99/11, wonach es Konvertiten nicht zugemutet werden könne, ihren Glauben zu verheimlichen, um eine Verfolgung zu vermeiden, ins Leere.
7 Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl hat zu dieser Revision keine Revisionsbeantwortung erstattet.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
8 Die Revision ist zulässig und begründet.
9 Der Verwaltungsgerichtshof hat unter Hinweis auf das Urteil
des EuGH vom 5. September 2012, Y und Z, C-71/11 und C-99/11, bereits erkannt, dass eine begründete Furcht des Antragstellers vor asylrelevanter Verfolgung vorliegt, sobald nach Auffassung der zuständigen Behörden im Hinblick auf die persönlichen Umstände des Antragstellers vernünftigerweise anzunehmen ist, dass er nach Rückkehr in sein Herkunftsland religiöse Betätigungen vornehmen wird, die ihn der tatsächlichen Gefahr einer Verfolgung aussetzen. Die Tatsache, dass einem Asylwerber im Herkunftsstaat etwa aufgrund eines Gesetzes über Apostasie eine Todes- oder Freiheitsstrafe droht, kann für sich genommen - wie der EuGH in seinem Urteil vom 4. Oktober 2018, Bahtiyaar Fathi, C-56/17, Rn. 94 bis 96, präzisiert hat - eine "Verfolgung" im Sinne von Art. 9 Abs. 1 der Statusrichtlinie darstellen, sofern eine solche Strafe in dem Herkunftsland, das eine solche Regelung erlassen hat, tatsächlich verhängt wird (vgl. zum Ganzen VwGH 13.12.2018, Ra 2018/18/0395).
10 Im gegenständlichen Fall scheint das BVwG davon auszugehen, dass der Revisionswerberin aufgrund einer Konversion vom Islam zum Christentum in ihrem Herkunftsstaat asylrelevante Verfolgung im Sinne des bisher Gesagten drohen könnte, wenn sie ihren christlichen Glauben im Iran tatsächlich ausüben würde. Das Verwaltungsgericht meint jedoch ausschließen zu können, dass Letzteres im gegenständlichen Fall geschehen könnte, und stützt sich dabei auf seine beweiswürdigenden Überlegungen, wonach die Konversion der Revisionswerberin zum Christentum nur zum Schein erfolgt sei. Dagegen wendet sich die vorliegende Revision. 11 Der Verwaltungsgerichtshof ist zwar zur Überprüfung der Beweiswürdigung im Allgemeinen nicht berufen. Eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung im Sinn des Art. 133 Abs. 4 B-VG liegt - als Abweichung von der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes - allerdings dann vor, wenn das Verwaltungsgericht die im Einzelfall vorgenommene Beweiswürdigung in einer die Rechtssicherheit beeinträchtigenden, unvertretbaren Weise vorgenommen hat.
12 Die Beweiswürdigung ist damit nur insofern einer Überprüfung durch den Verwaltungsgerichtshof zugänglich, als es sich um die Schlüssigkeit dieses Denkvorganges (nicht aber die konkrete Richtigkeit) handelt bzw. darum, ob die Beweisergebnisse, die in diesem Denkvorgang gewürdigt wurden, in einem ordnungsgemäßen Verfahren ermittelt worden sind. Unter Beachtung dieser Grundsätze hat der Verwaltungsgerichtshof auch zu prüfen, ob das Verwaltungsgericht im Rahmen seiner Beweiswürdigung alle in Betracht kommenden Umstände vollständig berücksichtigt hat (vgl. dazu etwa VwGH 21.3.2018, Ra 2018/18/0075, mwN). 13 Bei der Beurteilung eines behaupteten Religionswechsels und der Prüfung einer Scheinkonversion kommt es nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auf die aktuell bestehende Glaubensüberzeugung des Konvertiten an, die im Rahmen einer Gesamtbetrachtung anhand einer näheren Beurteilung von Zeugenaussagen und einer konkreten Befragung des Asylwerbers zu seinen religiösen Aktivitäten zu ermitteln ist (vgl. VwGH 22.2.2018, Ra 2017/18/0426, mwN).
14 Maßgebliche Indizien für einen aus innerer Überzeugung vollzogenen Religionswechsel sind beispielsweise das Wissen über die neue Religion, die Ernsthaftigkeit der Religionsausübung, welche sich etwa in regelmäßigen Gottesdienstbesuchen oder sonstigen religiösen Aktivitäten manifestiert, eine mit dem Religionswechsel einhergegangene Verhaltensbzw. Einstellungsänderung des Konvertiten sowie eine schlüssige Darlegung der Motivation bzw. des auslösenden Moments für den Glaubenswechsel (vgl. etwa VwGH 14.3.2019, Ra 2018/18/0441). 15 Im gegenständlichen Fall macht die Revision zu Recht geltend, dass sich das BVwG in seiner Beweiswürdigung mit den Angaben des in der mündlichen Verhandlung vom 15. April 2019 einvernommenen Zeugen G., der dem Ältestenrat der Freikirche Döbling angehört und zu den religiösen Tätigkeiten der Revisionswerberin in dieser religiösen Gemeinschaft sowie zu ihren - für ihn erkennbaren - Einstellungen ausgesagt hatte, überhaupt nicht auseinander gesetzt hat. Hinzu kommt, dass das Verwaltungsgericht der Revisionswerberin Wissensdefizite über Glaubensinhalte vorhält, ohne überprüft zu haben, ob diese Glaubensinhalte für jene Religionsgemeinschaft, der die Revisionswerberin angehört, tatsächlich die vom BVwG unterstellte zentrale Bedeutung haben. Dabei darf, wie die Revision zutreffend geltend macht, nicht unbeachtet bleiben, dass zwischen der gegenständlichen evangelikalen Freikirche und den vom BVwG erwähnten protestantischen Religionsgemeinschaften Unterschiede bestehen können, die bei der Beurteilung des zu erwartenden Wissens der Revisionswerberin über Glaubensinhalte nicht außer Acht hätte gelassen werden dürfen.
16 Die Beweiswürdigung des BVwG hat daher nicht alle in Betracht kommenden Umstände vollständig berücksichtigt und erweist sich deshalb als mangelhaft. Da nicht auszuschließen ist, dass das BVwG bei Vermeidung dieser Verfahrensmängel zu einem anderen Ergebnis hätte gelangen können, erweist sich dieser Verfahrensmangel als wesentlich, weshalb das angefochtene Erkenntnis keinen Bestand haben kann.
17 Abschließend ist darauf hinzuweisen, dass auch die Begründung des BVwG zur Rückkehrentscheidung nicht im Einklang mit der höchstgerichtlichen Rechtsprechung steht:
18 Im vorliegenden Fall steht fest, dass die Revisionswerberin mit einem in Österreich asylberechtigten iranischen Staatsangehörigen verheiratet ist, sodass die Fortführung des Familienlebens im Herkunftsstaat der Revisionswerberin von vornherein ausscheidet. In der höchstgerichtlichen Judikatur wurde wiederholt erkannt, dass eine Trennung der Ehepartner in solchen Fällen nur dann gerechtfertigt wäre, wenn dem öffentlichen Interesse an der Vornahme der aufenthaltsbeendenden Maßnahme ein sehr großes Gewicht beizumessen ist, wie etwa bei Straffälligkeit des Fremden oder bei einer von Anfang an beabsichtigten Umgehung der Regelungen über eine geordnete Zuwanderung und den "Familiennachzug" (vgl. etwa VwGH 6.9.2018, Ra 2018/18/0026, mwN). Dass diese Voraussetzungen im gegenständlichen Fall vorlägen, hat das BVwG nicht dargelegt.
19 Das angefochtene Erkenntnis war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 lit. b und c VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.
20 Von der beantragten mündlichen Verhandlung war gemäß § 39 Abs. 2 Z 3 VwGG abzusehen.
21 Der Ausspruch über den Kostenersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 20
14.
Wien, am 17. Dezember 2019
Gerichtsentscheidung
EuGH 62011CJ0071 Y und Z VORABSchlagworte
Gemeinschaftsrecht Richtlinie EURallg4European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2019:RA2019180350.L01Im RIS seit
31.01.2020Zuletzt aktualisiert am
31.01.2020