TE Vwgh Erkenntnis 2019/12/17 Ra 2019/18/0201

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Veröffentlicht am 17.12.2019
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Index

19/05 Menschenrechte
41/02 Passrecht Fremdenrecht

Norm

AsylG 2005 §8 Abs1
MRK Art2
MRK Art3

Beachte

Miterledigung (miterledigt bzw zur gemeinsamen Entscheidung verbunden):Ra 2019/18/0202Ra 2019/18/0203

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Vizepräsidentin Dr.in Sporrer, den Hofrat Mag. Nedwed, den Hofrat Dr. Sutter, die Hofrätin MMag. Ginthör und die Hofrätin Dr.in Sembacher als Richterinnen und Richter, unter Mitwirkung des Schriftführers Mag. Wuketich, über die Revision 1. A Y, 2. B T, und 3. V T, alle in W und vertreten durch Mag. Dr. Helmut Blum, Rechtsanwalt in 4020 Linz, Mozartstraße 11/6, gegen das am 4. Dezember 2018 mündlich verkündete und am 14. Dezember 2018 schriftlich ausgefertigte Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts, L518 2202765-1/22E, L518 2202763-1/12E und L518 2202764-1/11E, betreffend Asylangelegenheiten (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl),

Spruch

I. den Beschluss gefasst:

Die Revision wird zurückgewiesen, soweit sie sich gegen die Abweisung der Beschwerde hinsichtlich des Status von Asylberechtigten richtet.

II. zu Recht erkannt:

In seinem übrigen Umfang wird das angefochtene Erkenntnis wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat den revisionswerbenden Parteien Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.346,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

1 Die revisionswerbenden Parteien sind armenische Staatsangehörige und Mitglieder einer Familie. Die Erstrevisionswerberin ist die Mutter der (mittlerweile) volljährigen Zweitrevisionswerberin und der minderjährigen Drittrevisionswerberin.

2 Am 7. Oktober 2016 stellten die revisionswerbenden Parteien die gegenständlichen Anträge auf internationalen Schutz und brachten vor, sie seien an einer Erbkrankheit, dem Familiären Mittelmeerfieber, erkrankt. Dieses könne im Herkunftsstaat nicht behandelt werden.

3 Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) wies diese Anträge mit den Bescheiden vom 2. Juli 2018 zur Gänze ab, erteilte keine Aufenthaltstitel gemäß § 57 Asylgesetz 2005 (AsylG 2005), erließ Rückkehrentscheidungen und stellte fest, dass die Abschiebung der revisionswerbenden Parteien nach Armenien zulässig sei. Weiters hielt die Behörde fest, dass gemäß § 55 Abs. 1a Fremdenpolizeigesetz 2005 (FPG 2005) keine Frist für die freiwillige Ausreise bestehe, und erkannte einer Beschwerde gemäß § 18 Abs. 1 Z 1 BFA-VG die aufschiebende Wirkung ab. 4 In der dagegen erhobenen Beschwerde brachten die revisionswerbenden Parteien vor, dass insbesondere die Erstrevisionswerberin aufgrund ihrer Erkrankung auf bestimmte näher genannte Medikamente, die im Herkunftsstaat nicht erhältlich seien, angewiesen sei. Eine Umstellung der Behandlung auf die in Armenien erhältlichen Präparate würde die revisionswerbenden Parteien gefährden. Die gesetzlichen Voraussetzungen für die Gewährung subsidiären Schutzes lägen daher zweifellos vor. 5 Diese Beschwerde wies das Bundesverwaltungsgericht (BVwG) nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung mit dem angefochtenen Erkenntnis als unbegründet ab und erklärte die Revision für nicht zulässig.

6 Begründend führte das BVwG im Wesentlichen aus, es sei keine asylrelevante Verfolgung glaubhaft gemacht worden, zudem sei der Herkunftsstaat schutzfähig und -willig. Hinsichtlich der Nichtgewährung subsidiären Schutzes führte das BVwG aus, dass § 8 Abs. 1 AsylG 2005 im Hinblick auf das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 6. November 2018, Ra 2018/01/0106, unionsrechtskonform so auszulegen sei, dass er "- ungeachtet ihres unterschiedslos auf Verletzungen von Art. 2 und 3 EMRK abstellenden Wortlautes - nur in jenen Fällen die Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten" vorsehe, "in denen dies nach Art. 15 lit. a-c Statusrichtlinie iVm Art. 3 Statusrichtlinie geboten" sei. Demnach sei dafür erforderlich, dass der ernsthafte Schaden von einem Dritten, dem Akteur, oder von einer Bedrohung in einem bewaffneten Konflikt ausgehe. Es gebe keine Hinweise auf das Vorliegen einer allgemeinen existenzbedrohenden Notlage oder eines Zustandes willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes in Bezug auf den Herkunftsstaat. Auch weitere in den Personen der revisionswerbenden Parteien begründete Rückkehrhindernisse könnten bei Berücksichtigung sämtlicher bekannter Tatsachen nicht festgestellt werden. 7 Betreffend die Zulässigkeit der Abschiebung führte das BVwG aus, eine Partei habe Beeinträchtigungen der Gesundheit hinzunehmen, soweit sie noch keinen Eingriff in die durch Art. 3 EMRK gewährleisteten Rechte darstellten. Dass die Erstrevisionswerberin nunmehr auf einen Wirkstoff umgestellt worden sei, welcher in Armenien nicht verfügbar sei, stelle keinesfalls ein Abschiebungshindernis dar. Dem Antrag auf Einholung eines Sachverständigengutachtens sei nicht stattzugeben gewesen, da die Krankheit nicht verkannt werde und andere Medikamente im Heimatstaat ohnehin vorlägen. Es bestehe aktuell keine lebensbedrohliche Erkrankung, welche das Risiko berge, im Falle der Rückkehr unter qualvollen Umständen in Armenien zu sterben. Im Herkunftsstaat gebe es Behandlungsmöglichkeiten. Es müsse zwar eventuell mit einer Verschlechterung gerechnet werden, diese sei jedoch nicht unwiederbringlich und es könne auch nicht davon ausgegangen werden, dass sie zu einer erheblichen Verkürzung der Lebenserwartung führe.

8 Gegen dieses Erkenntnis erhoben die revisionswerbenden Parteien Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof, der mit Beschluss vom 25. Februar 2019, Zl. E 5022-5024/2018-8, gemäß Art. 144 Abs. 2 B-VG die Behandlung der Beschwerde ablehnte und diese mit Beschluss vom 21. März 2019, Zl. E 5022-5024/2018-10, dem Verwaltungsgerichtshof gemäß Art. 144 Abs. 3 B-VG zur Entscheidung abtrat.

9 Die vorliegende außerordentliche Revision macht zusammengefasst geltend, das BVwG habe gegen die amtswegige Ermittlungspflicht verstoßen. Es hätte insbesondere eines medizinischen Fachgutachtens bedurft, um Klarheit über die medizinischen Belange und Konsequenzen einer allfälligen Abschiebung nach Armenien zu schaffen. Zudem bedürfe es klarstellender Rechtsprechung zur Frage der Voraussetzungen für die Gewährung subsidiären Schutzes im Falle einer Krankheit. 10 Das BFA hat keine Revisionsbeantwortung erstattet.

11 Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

12 Zu Spruchpunkt I:

13 Die Revision wendet sich zwar gegen das angefochtene Erkenntnis im vollen Umfang, die Revisionspunkte nennen jedoch lediglich die Verletzung des Rechts auf Gewährung subsidiären Schutzes. Weiters bringt die Revision auch in ihrer Begründung keine Umstände vor, die eine Asylgewährung rechtfertigen würden. Sofern das BVwG daher die Beschwerde der revisionswerbenden Parteien gegen die Nichtzuerkennung des Status von Asylberechtigten abgewiesen hat, war der Revision kein Erfolg beschieden und war sie daher in diesem Punkt zurückzuweisen. 14 Zu Spruchpunkt II.:

15 Berechtigung kommt der Revision jedoch insoweit zu, als sie sich gegen die Nichtzuerkennung des Status von subsidiär Schutzberechtigten richtet.

16 Voranzustellen ist, dass die Rechtsansicht des BVwG, subsidiärer Schutz komme entgegen dem Wortlaut des § 8 Abs. 1 AsylG 2005 und der dazu ergangenen ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes bei realer Gefahr einer Verletzung von Art. 2 und/oder 3 EMRK (ohne Zutun eines Akteurs) nicht in Betracht, nicht geteilt wird. Diesbezüglich ist gemäß § 43 Abs. 2 VwGG auf die Ausführungen im hg. Erkenntnis vom 21. Mai 2019, Ro 2019/19/0006, zu verweisen, in dem mit ausführlicher Begründung dargestellt wurde, dass und warum der Verwaltungsgerichtshof an seiner bisherigen Rechtsprechung festhält.

17 Die revisionswerbenden Parteien leiden unstrittig an Familiärem Mittelmeerfieber. Nach den dem angefochtenen Erkenntnis zugrunde liegenden Feststellungen sei die Erstrevisionswerberin aufgrund des mangelnden Erfolges der Behandlung mit einem näher genannten Medikament zuletzt auf einen anderen, näher genannten Wirkstoff umgestellt worden, der in Armenien nicht erhältlich sei. 18 Ausgehend von diesem festgestellten Sachverhalt hätte bereits im Rahmen der Prüfung des Anspruchs der Revisionswerberinnen auf subsidiären Schutz darauf Bedacht genommen werden müssen, ob ihnen bei Rückkehr in den Herkunftsstaat eine reale Gefahr der Verletzung ihrer durch Art. 2 und/oder 3 EMRK geschützten Rechte drohe, und zwar auch dann, wenn diese Gefahren nicht auf das Verhalten eines Akteurs zurückzuführen sind oder die Bedrohungen in einem bewaffneten Konflikt verursacht werden (vgl. dazu auch VwGH 18.9.2019, Ra 2019/18/0038; 30.10.2019, Ra 2019/14/0436 bis 0438). Diese Prüfung hat das BVwG unterlassen und sein Erkenntnis dadurch vorrangig mit Rechtswidrigkeit des Inhaltes belastet. 19 Zutreffend weist die Revision zudem darauf hin, dass sich das BVwG mit der Erkrankung der Revisionswerberinnen nur unzureichend auseinander gesetzt hat. Insbesondere mangelt es dem angefochtenen Erkenntnis an Feststellungen über die Art der Erkrankung, deren Symptome und Heilungschancen, sowie die notwendige Behandlung und die zu erwartenden Auswirkungen einer Abschiebung auf den Gesundheitszustand der Revisionswerberinnen. Dabei hat es das BVwG insbesondere unterlassen, sich mit dem in Vorlage gebrachten Befund betreffend die Erstrevisionswerberin, wonach eine Therapieumstellung auf andere (im Herkunftsstaat erhältliche) Wirkstoffe eine "Gefährdung" der Erstrevisionswerberin darstelle, ausreichend auseinanderzusetzen, wozu es der Beiziehung eines medizinischen Sachverständigen bedurft hätte. In Unkenntnis der näheren Umstände der Erkrankung und der erforderlichen Therapie lässt sich nicht überprüfen, ob die revisionswerbenden Parteien in Armenien die notwendige Behandlung der Erkrankung tatsächlich fortsetzen könnten; verneinendenfalls, welche Konsequenzen ein Abbruch oder eine Änderung der Behandlung auf ihre gesundheitliche Situation hätte. 20 Ausgehend davon lässt sich noch nicht abschließend beurteilen, ob die revisionswerbenden Parteien bei einer Rückkehr in den Herkunftsstaat im Sinne der zuvor zitierten Rechtsprechung wegen des Fehlens angemessener Behandlung oder des fehlenden Zugangs zu einer solchen Behandlung der Gefahr einer ernsten, raschen und unwiederbringlichen Verschlechterung ihres Gesundheitszustandes ausgesetzt wären, die zu intensivem Leiden oder einer erheblichen Verkürzung der Lebenserwartung führt. 21 Das angefochtene Erkenntnis war daher in Bezug auf die Nichtzuerkennung des Status von subsidiär Schutzberechtigten und die darauf aufbauenden Spruchpunkte vorrangig wegen Rechtswidrigkeit des Inhalts gemäß § 42 Abs. 1 VwGG aufzuheben, insoweit sich die Revision gegen die Nichtgewährung des Status von Asylberechtigten wendet, war die Revision aber gemäß § 34 Abs. 1 VwGG zurückzuweisen.

22 Die Kostenentscheidung gründet sich auf §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2014.

Wien, am 17. Dezember 2019

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2019:RA2019180201.L01

Im RIS seit

31.01.2020

Zuletzt aktualisiert am

31.01.2020
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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