TE Vwgh Beschluss 2019/12/17 Ra 2018/04/0121

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Veröffentlicht am 17.12.2019
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Index

50/01 Gewerbeordnung
90/01 Straßenverkehrsordnung

Norm

GewO 1994 §74
GewO 1994 §74 Abs2 Z2
GewO 1994 §74 Abs3
GewO 1994 §77
GewO 1994 §77 Abs1
GewO 1994 §77 Abs2
StVO 1960 §1 Abs1

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Handstanger sowie Hofrat Dr. Mayr, Hofrätin Mag. Hainz-Sator sowie die Hofräte Dr. Pürgy und Mag. Brandl als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag.a Sowa, über die Revision der A E in J, vertreten durch Mag. Roland Reisch, Rechtsanwalt in 6370 Kitzbühel, Franz-Reisch-Straße 11a, gegen das Erkenntnis des Landesverwaltungsgerichts Tiro l vom 30. März 2018, Zl. LVwG-2017/16/1300-14, betreffend Genehmigung zur Änderung einer gewerblichen Betriebsanlage (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bezirkshauptmannschaft Kitzbühel), den Beschluss gefasst:

Spruch

Die Revision wird zurückgewiesen.

Begründung

1 1. Die Revisionswerberin betreibt an einem näher bezeichneten Standort eine gewerbebehördlich genehmigte Betriebsanlage in der Form eines Gastgewerbes/Bar.

2 Mit Bescheid der belangten Behörde vom 21. April 2017 wurde das Ansuchen der Revisionswerberin auf Genehmigung der Änderung dieser Betriebsanlage durch Erweiterung der bestehenden Terrasse um eine Außen-Bar und Erhöhung der Anzahl der Verabreichungsplätze abgewiesen.

3 2. Mit dem angefochtenen Erkenntnis wies das Landesverwaltungsgericht Tirol (Verwaltungsgericht) die Beschwerde der Revisionswerberin gegen den Bescheid der belangten Behörde als unbegründet ab (Spruchpunkt 1.) und erklärte die ordentliche Revision für nicht zulässig (Spruchpunkt 3.).

4 Das Verwaltungsgericht traf nach Einholung eines lärmtechnischen und eines medizinischen Gutachtens - teilweise disloziert - im Wesentlichen die Feststellungen, dass aufgrund der geplanten Erweiterung der Betriebsanlage hinsichtlich zweier Nachbargrundstücke während des Tageszeitraums mit einer Erhöhung der Lärmimmissionen von 3,5 dB, bei einer weiteren Nachbarparzelle mit einer Erhöhung von 1,8 dB zu rechnen sei. Bei Schibetrieb sei während des Tageszeitraums mit einer geringeren Erhöhung zu rechnen, wobei in Hinblick auf die Regelbetriebszeiten anzunehmen sei, dass spätestens ab 17.30 Uhr das Geschehen ohne Schibetrieb akustisch von Bedeutung sein werde. Insgesamt sei von sehr hohen Schwankungen sowohl des Umgebungslärms als auch der Emissionen der Betriebsanlage auszugehen. Bei ruhigem Pistenbetrieb würde der Terrassenbetrieb besonders gut wahrgenommen werden können, weshalb es hinsichtlich des ungünstigsten Immissionspunktes annähernd unmöglich sei, keine Belästigungen zu prognostizieren. Diese würden bis zu einem Pegelwert von 55 dB reichen, was nach den neuesten Gesichtspunkten der WHO "im Vorsorgewert" liege. Hinzu komme, dass im konkreten Fall eine Konzentration an informationshaltigen Geräuschen stattfinde, mit welcher erfahrungsgemäß ein höherer Grad an Belästigung einhergehe. Es sei davon auszugehen, dass es zahllose Betriebszustände geben werde, die eine erhebliche Belästigung nach sich ziehen würden. Bei der Beurteilung sei von einem fließenden Übergang von einer erheblichen Belästigung zu einer Gesundheitsgefährdung auszugehen. Es bestünden aufgrund der Gegebenheiten keine Minderungspotenziale für den Betriebslärm.

5 In rechtlicher Hinsicht folgerte das Verwaltungsgericht, es sei aufgrund der Feststellungen objektiviert, dass mit der Betriebsanlage eine Erhöhung des Ist-Maßes verbunden sei, die zu Belästigungen der Nachbarschaft führe und nicht durch schallmindernde Maßnahmen auf ein zumutbares Maß herabgesetzt werden könne.

6 3. Gegen dieses Erkenntnis richtet die außerordentliche Revision der Genehmigungswerberin.

7 4. Nach Art. 133 Abs. 4 B-VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

8 Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegen der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung mit Beschluss zurückzuweisen. 9 Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden. Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG hat der Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen. 10 4.1. Die Revision bringt zu ihrer Zulässigkeit unter Verweis auf das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofs vom 3. September 1996, Zl. 95/04/0189, vor, das angefochtene Erkenntnis weiche von dieser Rechtsprechung ab, weil die beigezogenen immissionstechnischen Sachverständigen dazu angehalten gewesen wären, zu sämtlichen relevanten Lärmfaktoren nach Möglichkeit Messungen vor Ort vorzunehmen.

11 4.1.1. Dem ist Folgendes zu entgegnen: Der Verwaltungsgerichtshof anerkennt in seiner Rechtsprechung, dass es nicht von vornherein erforderlich ist, an jedem möglichen Immissionspunkt eine entsprechende Messung durchzuführen. Es ist ausreichend, dass nach dem maßgeblichen Stand der Technik für die Lärmbeurteilung und den Immissionsschutz die relevanten repräsentativen Immissionspunkte identifiziert werden, dort gemessen und dann auf der Grundlage dieser Messungen mittels geeigneter Berechnungen die Lärmbeurteilung durchgeführt wird (vgl. VwGH 26.06.2019, Ra 2017/04/0013, mwN).

12 4.1.2. Fallbezogen führte der vom Verwaltungsgericht beigezogene lärmtechnische Sachverständige Messungen der von der in Rede stehenden Betriebsanlage tatsächlich ausgehenden und sich aus den unterschiedlichen Umgebungsgeräuschen ergebenden und auf die Nachbarschaft der Betriebsanlage einwirkenden Lärmimmissionen durch und legte das Ergebnis dieser Messungen, wie sich aus dem im angefochtenen Erkenntnis wiedergegebenen Gutachten ergibt, den Berechnungen der aus der projektierten Änderung der Betriebsanlage zu erwartenden Änderung der Lärmsituation zugrunde. Die gutachterlichen Schlussfolgerungen beruhten demnach keineswegs ausschließlich auf Berechnungen, sondern wurden auch auf die im Gutachten wiedergegebenen Messergebnisse an unterschiedlichen Immissionspunkten gestützt. Inwiefern das Verwaltungsgericht von der ins Treffen geführten Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs abgewichen sein sollte, ist daher nicht ersichtlich.

13 4.2. Die Revision führt in ihrer Zulässigkeitsbegründung unter Verweis auf Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs weiter aus, das Verwaltungsgericht verkenne, dass die Zu- und Abfahrtswege von der Schipiste zur Betriebsanlage und die von den diese Wege benützenden Personen zu erwartenden Immissionen nicht der Anlage zuzurechnen seien. Das Verhalten von Kunden und betriebsfremden Personen außerhalb der gewerblichen Betriebsanlage sei dieser nicht zuzuordnen. Insbesondere hätten Zugangswege außer Betracht zu bleiben.

14 4.2.1. Der Verwaltungsgerichtshof hat sich mit der Abgrenzung von Vorgängen, die einer gewerberechtlichen Betriebsanlage zuzurechnen sind, und solchen, die auf öffentlichen Straßen stattfinden und keinen Bezug zur Betriebsanlage haben, in mehreren den Immissionsschutz von Nachbarn nach der GewO 1994 betreffenden Erkenntnissen auseinandergesetzt. Dabei gelangte er zu dem Ergebnis, dass das bloße Vorbeifahren (ebenso wie das Anhalten, Halten oder Parken) von Betriebsfahrzeugen auf einer Straße mit öffentlichem Verkehr, auch wenn es sich um die einzige Zufahrtsstraße zur Betriebsanlage handelt, nicht mehr als zu einer gewerblichen Betriebsanlage gehörendes Geschehen gewertet werden könne. Als entscheidend wurde angesehen, ob die befahrene Verkehrsfläche einen Teil der gegenständlichen Betriebsanlage bildet oder als (unter anderem) bloß der Zufahrt zu dieser Betriebsanlage dienende Straße mit öffentlichem Verkehr anzusehen ist. Letzterenfalls könnten verkehrsbedingte Immissionen nicht mehr der Betriebsanlage zugerechnet werden (vgl. zu allem VwGH 16.03.2016, Ra 2016/04/0025, mwN). Auch für die Beurteilung der Frage, ob die von einer Aufschließungsstraße herrührenden, insbesondere durch das Zufahren der Kunden verursachten und auf die Liegenschaft des Nachbarn einwirkenden Lärmimmissionen der Betriebsanlage zuzurechnen sind, ist entscheidend, ob diese Aufschließungsstraße einen Teil der Betriebsanlage bildet oder als (unter anderem) bloß der Zufahrt zu dieser Betriebsanlage dienende Straße mit öffentlichem Verkehr anzusehen ist. Die Vorschreibung der Anlegung einer Aufschließungsstraße in einem Bescheid als Auflage spricht für die Annahme, dass es sich dabei um einen Teil der Betriebsanlage handelt (vgl. VwGH 25.6.2008, 2004/04/0039). 15 4.2.2. Der Ansicht der Revision, nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs seien die Zufahrtswege per se der Betriebsanlage nicht zuzurechnen, ist vor dem Hintergrund der oben wiedergegebenen Rechtsprechung der Boden entzogen. In dem von der Revision hierzu ins Treffen geführten Erkenntnis vom 11. November 1998, 98/04/0137, geht der Verwaltungsgerichtshof davon aus, dass "Sowohl die Parkplätze wie auch der gegenständliche Zufahrtsweg (seien) damit als Straßen mit öffentlichem Verkehr im Sinne der StVO zu qualifizieren seien, welche von jedermann genutzt und begangen werden können". 16 Fallbezogen sieht das Verwaltungsgericht die Zu- und Abfahrtswege von der Schipiste jedoch als zur Betriebsanlage gehörig an, weil dieser Weg in der Betriebsbeschreibung ausdrücklich angeführt sei und seitens der Revisionswerberin ein Dokument vorgelegt worden sei, dass ihr für diesen Weg eine Servitut garantiere. Die Revision tritt nun weder diesen Sachverhaltselementen entgegen noch der rechtlichen Schlussfolgerung des Verwaltungsgerichts, dass es sich bei dem Zugang über das betreffende Grundstück um einen Privatweg handle, der dem Betrieb der Revisionswerberin diene.

17 Die rechtliche Beurteilung des Verwaltungsgerichts steht damit auch nicht in Widerspruch zu der von der Revision ins Treffen geführten Rechtsprechung, es hätten solche Anlagen außer Betracht zu bleiben, die nicht Gegenstand des Genehmigungsansuchens seien.

18 4.3. Nach § 77 Abs. 1 GewO 1994 ist die Betriebsanlage zu genehmigen, wenn nach dem Stand der Technik (§ 71a) und dem Stand der medizinischen und der sonst in Betracht kommenden Wissenschaften zu erwarten ist, dass überhaupt oder bei Einhaltung der erforderlichenfalls vorzuschreibenden bestimmten geeigneten Auflagen die nach den Umständen des Einzelfalles voraussehbaren Gefährdungen im Sinne des § 74 Abs. 2 Z 1 GewO 1994 vermieden und Belästigungen, Beeinträchtigungen oder nachteilige Einwirkungen im Sinne des § 74 Abs. 2 Z 2 bis 5 GewO 1994 auf ein zumutbares Maß beschränkt werden. Ob Belästigungen der Nachbarn im Sinne des § 74 Abs. 2 Z 2 GewO 1994 zumutbar sind, ist zufolge § 77 Abs. 2 leg. cit. danach zu beurteilen, wie sich die durch die Betriebsanlage verursachten Änderungen der tatsächlichen örtlichen Verhältnisse auf ein gesundes, normal empfindendes Kind und auf einen gesunden, normal empfindenden Erwachsenen auswirken. 19 Wie der Verwaltungsgerichtshof in ständiger Rechtsprechung dargelegt hat, sind die Auswirkungen der von der zu genehmigenden Betriebsanlage ausgehenden Immissionen immer unter Zugrundelegung jener Situation zu beurteilen, in der diese Immissionen für den Nachbarn am ungünstigsten sind. Ist daher zu erwarten, dass von einer Betriebsanlage bei unterschiedlichen Betriebssituationen unterschiedlich hohe Immissionen auf die Nachbarn einwirken, so ist der Beurteilung im Rahmen der Prüfung des Genehmigungsantrages jene Betriebssituation zugrunde zu legen, die die höchsten Immissionen bei den Nachbarn erwarten lässt (vgl. VwGH 3.9.1996, 95/04/0189).

20 4.3.1. Vor dem Hintergrund dieser Rechtslage kann nicht erkannt werden, dass dem Verwaltungsgericht bei der rechtlichen Beurteilung des festgestellten Sachverhalts - insbesondere der Feststellungen, dass es zahllose Betriebszustände geben werde, die eine erhebliche Belästigung nach sich ziehen würden und aufgrund der Gegebenheiten keine Minderungspotenziale für den Betriebslärm vorliegen würden - ein Irrtum unterlaufen sei.

21 Insofern sich die Revision dagegen wendet, dass das Verwaltungsgericht subjektive Kriterien - sohin das individuelle Bedürfnis der Nachbarn - nicht berücksichtigen dürfe, ist sie darauf zu verweisen, dass das Verwaltungsgericht in seiner Begründung auf "subjektive" Kriterien nur insofern Bezug nimmt, als es feststellt, dass die von der Terrasse ausgehenden Emissionen eine Konzentration von informationshaltigen Geräuschen erwarten ließen, die mit einem höheren Grad an Belästigungen einhergehen würden. Das Verwaltungsgericht berücksichtigt hier daher keineswegs individuelle Bedürfnisse der Nachbarn, sondern stellt lediglich auf den Charakter der zu erwartenden Emissionen ab, den die Revision gar nicht in Abrede stellt.

22 4.4. In der Revision werden keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B-VG grundsätzliche Bedeutung zukäme. Die Revision war daher in einem gemäß § 12 Abs. 2 VwGG gebildeten Senat zurückzuweisen.

Wien, am 17. Dezember 2019

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2019:RA2018040121.L00

Im RIS seit

20.02.2020

Zuletzt aktualisiert am

20.02.2020
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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