TE Bvwg Erkenntnis 2019/7/23 W111 1313014-2

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 23.07.2019
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Entscheidungsdatum

23.07.2019

Norm

AsylG 2005 §10 Abs1 Z3
AsylG 2005 §57
AsylG 2005 §8 Abs1
BFA-VG §9
B-VG Art. 133 Abs4
FPG §52
FPG §55

Spruch

W111 1313014-2/12E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Mag. Dr. Dajani, LL.M., als Einzelrichter über die Beschwerde der XXXX geb. XXXX , StA. Weißrussland, gegen die Spruchpunkte II. und III. des Bescheides des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 30.01.2015, Zl. 386977500-14942740, nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 23.05.2019 zu Recht erkannt:

A) Die Beschwerde wird gemäß den §§ 8 Abs. 1, 10 Abs. 1 Z. 3, 57

AsylG 2005 idgF, § 9 BFA-VG idgF, §§ 52, 55 FPG idgF mit der Maßgabe als unbegründet abgewiesen, dass der erste Satz des Spruchpunktes III. des angefochtenen Bescheides wie folgt zu lauten hat:

"Eine Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz gemäß § 57 AsylG wird nicht erteilt."

B) Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang:

1. Erstes Verfahren auf internationalen Schutz:

1.1. Die Beschwerdeführerin, eine Staatsangehörige Weißrusslands, reiste gemeinsam mit ihren beiden damals minderjährigen Söhnen illegal ins österreichische Staatsgebiet ein und stellte am 05.09.2006 einen ersten Antrag auf internationalen Schutz. Zur Begründung ihres Antrages berief sich die Beschwerdeführerin im Wesentlichen auf eine ihr drohende Verfolgung durch die Behörden Weißrusslands aufgrund ihres Engagements für die Oppositionspartei Weißrussische Volksfront (BNF).

1.2. Mit Bescheid des Bundesasylamtes vom 23.05.2007 wurde der Antrag auf internationalen Schutz der Beschwerdeführerin abgewiesen und dieser weder der Status der Asylberechtigten noch der Status der subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf Weißrussland zuerkannt. Die Beschwerdeführerin wurde aus dem österreichischen Bundesgebiet nach Weißrussland ausgewiesen.

1.3. Mit rechtskräftigen Erkenntnis des Asylgerichtshofes vom 01.03.2011, Zahl D4 313014-1/2009/26E, wurde die gegen den dargestellten Bescheid fristgerecht eingebrachte Beschwerde nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 idF BGBl I 100/2005, §§ 8 Abs. 1 Z. 1 und 10 Abs. 1 Z. 2 AsylG 2005 idF BGBl I 122/2009 als unbegründet abgewiesen.

Der erkennende Senat des Asylgerichtshofes hielt begründend fest, es habe nicht festgestellt werden können, dass der Beschwerdeführerin im Herkunftsstaat Weißrussland asylrelevante Verfolgung oder eine reale Gefahr einer Verletzung von Art. 2 oder 3 EMRK oder der Prot. Nr. 6 oder Nr. 13 zur Konvention drohe. Hierzu wurden insbesondere die folgenden beweiswürdigenden Erwägungen getroffen:

"(...) Die Beschwerdeführerin hinterließ in der öffentlich-mündlichen Beschwerdeverhandlung einen persönlich nicht glaubwürdigen Eindruck.

Wie auch bereits das Bundesasylamt in seiner Beweiswürdigung zutreffend ausgeführt hat, widersprach sich die Beschwerdeführerin in weiten Teilen. Im Rahmen der Einvernahme beim Asylgerichtshof traten noch weitere Widersprüche zu Tage.

Die Beschwerdeführerin behauptete im gesamten erstinstanzlichen Verfahren mit ihrem Mann einer Partei, der BNF, beigetreten zu sein. Bei den ihr übertragenen Aufgaben hätte es sich um die Verteilung von Flugzetteln, Büchern und die Teilnahme an Demonstrationen gehandelt. Es erfolgte aus diesem Grund eine Befragung zur BNF: Den Grund für die Gründung der BNF, das Gründungsdatum der BNF, den Gründer bzw. dessen Aufenthalt, den derzeitige Anführer der BNF, die Ziele der BNF, die Parteistruktur - Aufteilung in die Partei und die Bewegung bzw. die Frage, ob sie der Partei oder der Bewegung angehöre - und den Namen der Jugendorganisation der BNF konnte die Beschwerdeführerin nicht angeben. Als Ursache für ihre Unkenntnis führte sie aus, dass sie die Aufgaben nur übernommen hätte, um Geld zu verdienen, während sie beim Bundesasylamt ausgeführt hatte, unentgeltlich für die BNF tätig gewesen zu sein. Unglaubwürdig ist auch, dass sie nach eigenen Angaben die von ihr verteilten Flugzettel nie gelesen hätte.

Während sie vor dem erkennenden Senat ausführte, dass maskierte Personen zu ihr und ihrem Mann nach Hause gekommen seien, um sie einzuschüchtern, damit sie für die Partei nicht mehr tätig seien, führte sie beim Bundesasylamt am 02.03.2007 dazu konträr aus, bei der ersten Mitgliederanwerbung mitgenommen und drei Tage in einem unbekannten Gebäude angehalten worden zu sein. Auf den Widerspruch hingewiesen rechtfertigte sie sich dahingehend, nie Mitglieder angeworben zu haben. In der Beschwerde gegen den Bescheid des BAA gab sie als dritte Variante an, während einer Demonstration mitgenommen und am selben Tag freigelassen worden zu sein.

Zu einem anderen Zeitpunkt sagte sie vor dem Bundesasylamt aus, nach einer Demonstration am Abend von zu Hause mitgenommen und am selben Tag freigelassen worden zu sein. Konkret befragt, ob sie während der Demonstration oder nach der Demonstration mitgenommen worden sei, gab sie - wiederum widersprüchlich zur Beschwerde - an, immer von zu Hause und niemals während einer Demonstration mitgenommen worden zu sein.

Die Glaubwürdigkeit der Beschwerdeführerin erschüttert auch die Aussage vor dem Asylgerichtshof beim ersten Mal "schnell" freigelassen worden zu sein und beim zweiten Mal einige Monate angehalten worden zu sein, wobei sie sich nicht genau erinnern könne, während sie beim Bundesasylamt der Meinung war, dass sie, nachdem sie am Abend mitgenommen worden wäre, ein Monat lang in einer Zelle angehalten worden sei und in der Beschwerde, für deren Verfassung ihr doch ein ausreichender Zeitraum zur Verfügung gestanden war, wiederum die Dauer als drei Tage angab. Im Rahmen der Verhandlung vor dem Unabhängigen Bundesasylsenates behauptete sie wiederum eine Anhaltedauer von drei Monaten.

Nach ihren Angaben beim Asylgerichtshof wurde sie während einer Demonstration mitgenommen und lange angehalten, wobei sie als genaue Dauer der Anhaltung diese erst auf wiederholtes Fragen mit drei bis sechs Monaten konkretisierte, sofort jedoch ausführte, dass sie vielleicht auch gleich freigelassen worden sei. Darauf hingewiesen, in der Beschwerde geschrieben zu haben, am selben Tag freigelassen worden zu sein, gab sie an, dass es wahrscheinlich doch so gewesen sei, dass man sie nach der Demonstration freigelassen hätte und sie mit ihrem Mann am Abend von zu Hause mitgenommen und länger festgehalten worden sei.

Auf die unterschiedlichen Zeiträume hingewiesen und auf die Frage, welcher davon jetzt stimme, gab sie an, dazu nichts sagen zu können und versuchte sich dahingehend zu erklären, mit dem Kopf gegen die Wand geschlagen worden zu sein.

Unterschiede gab es auch in den Aussagen, ob sie mit ihrem Ehemann gemeinsam oder jeder einzeln von zu Hause mitgenommen worden seien.

Der Vollständigkeit halber wird auch darauf hingewiesen, dass sich die Beschwerdeführerin nicht nur selbst, sondern auch der Aussage ihres Sohnes (...) beim Bundesasylamt widersprach, der meinte, dass die Beschwerdeführerin kein einziges Mal im Gefängnis gewesen sei. Dieser gab allerdings auch vor dem erkennenden Senat an, dass die Beschwerdeführerin ca. 20 oder 30 Mal mitgenommen und nach unterschiedlichen Zeiträumen freigelassen worden sei und versuchte sich auf den Vorhalt zu den unterschiedlichen Aussagen dahingehend zu rechtfertigen, dass er ja nicht gewusst hätte, wo seine Mutter hingebracht worden sei.

Auf die weitern Widersprüche über die zeitlichen Ungereimtheiten hinsichtlich der Brandverletzung des Sohnes und dem Parteibeitritt und auch darauf, dass die Beschwerdeführerin in der öffentlichen Verhandlung vom 06.08.2010 den beim Bundesasylamt auch als Ausreisegrund namhaft gemachte Autounfall nicht erwähnte, wird in weiterer Folge nicht mehr eingegangen.

Der Inhalt des unbedenklichen Gutachtens des länderkundlichen Sachverständigen bestätigt die Ansicht des erkennenden Senates ebenso wie die Mitteilung der Dolmetscherin, die die geltend gemachten Videos erfolglos auf Aufnahmen der Beschwerdeführerin überprüfte.

Die Beschwerdeführerin macht auf den zur Entscheidung berufenen Senat somit insgesamt keinen glaubwürdigen Eindruck. Zusammenfassend ist daher festzuhalten, dass das Vorbringen der Beschwerdeführerin zu ihren Asylgründen vom Asylgerichtshof - ebenso wie von der Behörde erster Instanz - als nicht glaubwürdig beurteilt wurde.

Die Feststellungen über den Gesundheitszustand gründen sich auf das eingeholte Gutachten.

Dass die Beschwerdeführerin an Gedächtnisschwierigkeiten bzw. Amnesie leide - wie sie behauptete, um die Widersprüche zu erklären - ist aus dem Gutachten nicht ersichtlich. In diesem wurde keine Bewusstseinsstörung, Orientierungsstörung, Aufmerksamkeits- und Gedächtnisstörung und hinsichtlich formaler Denkstörungen ausschließlich eine mittelgradige Einengung festgestellt. Ebenso wenig wurden Befürchtungen und Zwänge, Wahn, Sinnestäuschungen und Ich-Störungen diagnostiziert.

Der erkennende Senat verkennt nicht die Lage Oppositioneller in Weißrussland, da die oppositionelle Tätigkeit der Beschwerdeführerin jedoch ausgeschlossen wird, ist daraus kein Nachteil für die Beschwerdeführerin erkennbar.

Dass die Beschwerdeführerin nie behauptet hätte, auf den Videos erkennbar zu sein, entbehrt jeglicher Grundlage: Ihre Angaben mit ihrem Mann bei einer Demonstration aufgenommen worden zu sein, wurden in der Verhandlungsschrift festgehalten und die Dolmetscherin aus eben diesem Grund während der Verhandlung beauftragt, in die Videos Einsicht zu nehmen, ob die Beschwerdeführerin darauf erkennbar ist. (...)"

2. Zweites Verfahren auf internationalen Schutz:

2.1. Die Beschwerdeführerin verblieb trotz der rechtskräftigen Ausreiseverpflichtung illegal im Bundesgebiet und stellte am 05.09.2014 den gegenständlichen zweiten Antrag auf internationalen Schutz, welchen sie im Zuge der am gleichen Datum abgehaltenen niederschriftlichen Erstbefragung im Wesentlichen damit begründete, sich seit ihrer Asylantragstellung im Jahr 2006 durchgehend im österreichischen Bundesgebiet aufgehalten und keinerlei Kontakte in ihre Heimat zu haben; es gebe daher keine neuen Asylgründe. Sie könne nirgendwo hinfahren, da sie keine Besitztümer mehr habe. Zu ihren Rückkehrbefürchtungen brachte die Beschwerdeführerin vor, vor acht Jahren habe in der Heimat Todesgefahr für sie bestanden, diese Gefahr bestünde zu 100% nach wie vor. Im Falle einer Rückkehr hätte sie mit Sanktionen durch die Behörden zu rechnen. Die Politik in ihrer Heimat habe sich noch nicht geändert. Sie stelle erst jetzt einen neuen Antrag, da sie sich vor einer abermaligen Antragstellung gefürchtet hätte.

Am 07.10.2014 erfolgte im Rahmen des Parteiengehörs eine niederschriftliche Einvernahme der Beschwerdeführerin vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, anlässlich derer die Beschwerdeführerin ärztliche Unterlagen vorlegte, ihre aktuellen Lebensumstände im Bundesgebiet beschrieb und zu den Gründen ihrer neuerlichen Antragstellung auf internationalen Schutz im Wesentlichen ausführte, sie möchte hier gerne normal leben und arbeiten dürfen; sie wisse nicht, wohin sie sonst solle. Sie habe Angst, in ihr Heimatland zurückzukehren. Weitere Angaben hinsichtlich allfälliger Neuerungen in Bezug auf ihre Rückkehrbefürchtungen wurden von der Beschwerdeführerin nicht dargelegt.

Im Rahmen einer am 28.01.2015 abgehaltenen ergänzenden Einvernahme vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl wiederholte die Beschwerdeführerin zum Grund ihrer neuerlichen Antragstellung, dass sie nirgendwohin fahren könne und in ihrer Heimat niemanden mehr hätte. Sie glaube nicht, dass sich hinsichtlich ihrer Beziehung zu ihrem Heimatland seit ihrem letzten Asylverfahren Änderungen ergeben hätten.

2.2. Mit dem nunmehr angefochtenen Bescheid vom 30.01.2015 hat das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl den Antrag der beschwerdeführenden Partei auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status der Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 abgewiesen (Spruchpunkt I.) und den Antrag gemäß § 8 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 bezüglich der Zuerkennung des Status der subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Weißrussland abgewiesen (Spruchpunkt II.). Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen wurde gemäß §§ 57 und 55 AsylG nicht erteilt. Gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG iVm § 9 BFA-Verfahrensgesetz, BGBl. I Nr. 87/2012 (BFA-VG) idgF, wurde gegen die Beschwerdeführerin eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 Fremdenpolizeigesetz 2005, BGBl. I Nr. 100/2005 (FPG) idgF, erlassen und wurde gemäß § 52 Abs. 9 FPG unter einem festgestellt, dass die Abschiebung der Beschwerdeführerin nach Weißrussland gemäß § 46 FPG zulässig ist und die Frist für die freiwillige Ausreise gemäß § 55 FPG zwei Wochen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung beträgt (Spruchpunkt III.).

Im Rahmen der Bescheidbegründung wurde im Wesentlichen festgehalten, dass von der Beschwerdeführerin keine asylrelevanten Gründe glaubhaft gemacht worden seien und nicht festgestellt werden habe können, dass diese in Weißrussland mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit eine an asylrelevante Merkmale anknüpfende aktuelle Verfolgung oder sonstige Gefährdung befürchten müsste. Die Beschwerdeführerin habe sich neuerlich auf Gründe berufen, die bereits Gegenstand ihres Vorverfahrens gewesen und in diesem einer umfassenden Prüfung unterzogen worden seien. Ebensowenig könne festgestellt werden, dass der Beschwerdeführerin, welche an keinen lebensbedrohlichen Erkrankungen leide, in Weißrussland die Existenzgrundlage völlig entzogen wäre, auch ergebe sich in Bezug auf Weißrussland eine landesweite extreme Gefährdungslage, welche eine Abschiebung unzulässig machen würde. Die Beschwerdeführerin verfüge über kein schützenswertes Familien- oder Privatleben im Bundesgebiet, ihre beiden Söhne seien ebenfalls nicht zum Aufenthalt in Österreich berechtigt. Die Beschwerdeführerin sei nicht selbsterhaltungsfähig, habe sich keine nennenswerten Deutschkenntnisse angeeignet und auch sonst keine erkennbaren Integrationsschritte gesetzt.

2.3. Mit Eingabe vom 17.02.2015 wurde fristgerecht die verfahrensgegenständliche Beschwerde gegen Spruchpunkt II. und III. des dargestellten Bescheides erhoben, in welcher zusammenfassend ausgeführt wurde, die Beschwerdeführerin verfüge abgesehen von ihrer Staatsbürgerschaft über keinen Bezug mehr zu ihrem Heimatland, aufgrund der langjährigen Abwesenheit ohne jegliche Anknüpfungspunkte sei gegenständlich von einer kompletten Entwurzelung auszugehen. Im Falle einer Rückkehr würde die Beschwerdeführerin angesichts des fehlenden sozialen Netzes im Heimatland in eine existenzbedrohende Lage geraten. Der Mittelpunkt der Lebensinteressen der Beschwerdeführerin befinde sich in Österreich, zumal sich die Beschwerdeführerin seit acht Jahren hier aufhalte und auch ihre mittlerweile volljährigen Kinder hier leben würden. Es werde daher beantragt, der Beschwerdeführerin den Status einer subsidiär Schutzberechtigten zuzuerkennen, in eventu eine Rückkehrentscheidung für dauerhaft unzulässig zu erklären.

2.4. Die Beschwerdevorlage des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl langte am 25.02.2015 beim Bundesverwaltungsgericht ein.

2.5. Am 23.05.2019 fand vor dem Bundesverwaltungsgericht eine öffentliche mündliche Beschwerdeverhandlung statt, an welcher die Beschwerdeführerin sowie eine Dolmetscherin für die russische Sprache teilgenommen haben (siehe Verhandlungsprotokoll). Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl war ordnungsgemäß geladen worden, hatte aber bereits zuvor mit Eingabe vom 29.04.2019 schriftlich mitgeteilt, auf eine Teilnahme an der Verhandlung zu verzichten. Zu Beginn der Verhandlung erklärte die Beschwerdeführerin, sie habe im Vorfeld keinen Rechtsberater kontaktiert und sei einverstanden, dass die Verhandlung ohne Beisein eines Rechtsberaters abgehalten werde; sie sei auch nicht anwaltlich vertreten. Die weitere Befragung der Beschwerdeführerin vernahm in ihren entscheidungsmaßgeblichen Teilen den folgenden Verlauf:

"(...) R: Haben Sie Unterlagen, die Ihre Identität bestätigen?

BF: Nein, wenn ich etwas hätte, hätte ich es schon vorgelegt.

R: Wieso haben Sie die Todesanzeigen Ihrer Eltern da und sonst nichts?

BF: Ich bin froh, dass ich wenigstens das per Fax bekommen habe. Ich habe das aus Russland bekommen. Mein Vater hat in Russland gelebt, meine Mutter lebt in Israel. Ich habe die Todesanzeige meines Vaters und meines Bruders da.

R: Möchten Sie bezüglich Ihrer Angaben im erstinstanzlichen Verfahren etwas hinzufügen oder korrigieren? Wurden Sie korrekt behandelt?

BF: Ich wurde korrekt behandelt, es gibt nichts hinzuzufügen, meine Aussagen waren vollständig und korrekt.

R: Können Sie bestätigen, dass es seit dem Ende des ersten Asylverfahrens (Rechtskraft 14.03.2011) keine neuen Sachverhalte gab bzw. gibt, die asylrelevant sind?

BF: Es gibt keine neuen Sachverhalte. Nachgefragt gebe ich an, dass ich Österreich seit 2006 nicht verlassen habe.

R: Leiden Sie unter schweren oder chronischen Krankheiten?

BF: Ja, ich habe Rückenprobleme. Ich habe chronische Probleme mit dem Kopf und Gedächtnis. Jetzt sehe ich auch immer schlechter.

R: Haben Sie diesbezüglich ärztliche Bestätigungen?

BF: Nein, habe ich nicht.

R: Sind Sie in ärztlicher Behandlung?

BF: Im Sommer werde ich eine komplette Durchuntersuchung haben, ich nehme jetzt nur Tabletten, die mir verschrieben werden.

R: Welche Tabletten hat Ihnen der Arzt verschrieben?

BF: Augentropfen und auch Tabletten, es handelt sich um Vitamine für die Augen.

Nach Einsichtnahme in den Akt finden sich hier zu ihrer gesundheitlichen Situation:

? Ein Schreiben des Krankenhauses (...) über eine geplante Aufnahme am 16.10.2014

? Ein Ambulanzbericht vom 13.8.2014, Krankenhaus siehe oben, Diagnose: Verdacht auf degenerativen Bandscheibenschaden unterer LWS-Bereich sowie ISG-Gelenksarthrose rechts, Adhäsionskrankheit nach mehrfachen Bauchoperationen, Kontrastmittelalergie

? Ambulanzbericht vom 29.7.2014, Krankenhaus siehe oben, Einweisungsdiagnose: Bauchschmerzen, Therapieempfehlung chirurgische Intervention nicht indiziert, keine Besserung unter Novalgin

? Ärztlicher Befundbericht vom 17.10.2014, Krankenhaus siehe oben,

Diagnosen: Degenerativer Bandscheiben-LWS, Bandscheibenprotrusion L4/5, Lumbolischialgie, Jodallergie

BF: Ich war im Krankenhaus, weil mein Bein ganz schwarz war, ich hatte Schmerzen und ich bekam eine Spritze in den Rücken gegen Schmerzen.

R: Aus den vorliegenden Unterlagen lässt sich eine schwere Krankheit, die für das gegenständliche Verfahren relevant wäre, unter Berücksichtigung der Länderfeststellungen nicht erkennen. Sie werden aufgefordert, innerhalb von 14 Tagen allfällige weitere Unterlagen beizubringen, um Ihre gesundheitliche Situation belegen zu können.

BF: Ich habe das verstanden.

R: Sprechen Sie Deutsch?

BF auf Deutsch: Ja.

R: Haben Sie Prüfungen über Ihre Kenntnisse der deutschen Sprache abgelegt?

BF: Nein, ich bin angetreten, aber durchgefallen. Ich bin ca. vor sechs Jahren angetreten. Ich müsste für die Kurse zahlen und ich hatte kein Geld. Ich spreche aber im privaten Umfeld immer wieder Deutsch, glaube, dass ich genügend Deutsch beherrsche und werde in den nächsten zwei bis drei Wochen eine Deutschprüfung ablegen.

R: Sollten Sie zu der Prüfung antreten bzw. ein Deutschzeugnis erwerben, werden Sie aufgefordert dieses umgehend an das BVwG zu übermitteln.

BF: Habe ich verstanden.

R: Wovon bestreiten Sie Ihren Lebensunterhalt?

BF: Ich bekomme Geld von der Caritas und manchmal habe ich auch Gelegenheitsarbeiten.

R: Wo leben Sie?

BF: In XXXX . Ich wohne in einer Privatwohnung alleine. Mein Sohn wohnt in XXXX . Er ist aber bei mir angemeldet. Er hat dort Familie. Der Sohn hat dort ein Kind mit einer daueraufenthaltsberechtigten ukrainischen Staatsbürgerin.

R: Haben Sie in Österreich familiäre Kontakte?

BF: In Österreich leben mein volljähriger Sohn, meine beiden anderen Söhne haben Österreich verlassen. Sonst habe ich in Österreich keine familiären Beziehungen, meine Schwester ist in Deutschland. Sie lebt dort schon seit 29 Jahren und ist dort verheiratet.

R: Haben Sie in Österreich private Bindungen?

BF: Lebenspartner nicht, aber Freunde habe ich.

R: Haben Sie Beziehungen nach Weißrussland?

BF: Nein. Ich habe dort niemanden mehr. Meine Eltern, der Vater war aus Russland und die Mutter aus der Ukraine, die waren beide nicht aus Weißrussland, die haben dort nur gelebt.

Die BF legt eine Sterbeurkunde Ihres Vaters vor (...).

BF: Meine Eltern ließen sich vor dem Zusammenbruch der Sowjetunion scheiden und mein Vater ist nach Russland gezogen und ich blieb bei meiner Mutter. Als mein Bruder 2007 verstarb, ist meine Mutter nach Israel gezogen. Mein Bruder war auch russischer Staatsbürger. Ich habe nach der Scheidung mit meiner Mutter in XXXX im Oblast Minsk zusammengelebt, dann habe ich geheiratet. Meine Mutter und ich hatten die weißrussische Staatsbürgerschaft bekommen, meine Mutter war lediglich ukrainischer Nationalität. Bei mir stand auch, obwohl ich die weißrussische Staatsbürgerschaft hatte, Russin auf den Dokumenten als Nationalität. Meine Mutter lebt nach wie vor in Israel, ich bin mit ihr nach wie vor in Kontakt.

R: Wie heißt Ihre Mutter heute?

BF: Sie heißt XXXX , weil sie wieder geheiratet hat. Ich bin mit meiner Mutter in Kontakt. Ich werde versuchen, in den nächsten drei Wochen ein Dokument an das BVwG zu übermitteln.

R: Im Akt liegt ein Schreiben der Finanzpolizei vor, aus dem hervorgeht, dass Sie bei einer illegalen Erwerbstätigkeit im Jahr 2017 betreten wurden. Kam es diesbezüglich zu einem Verfahren?

BF: Ich arbeitete an dem Tag nicht, ich bin an dem Tag nur gekommen, um etwas zu sagen und es war eine Kontrolle. Ich wurde diesbezüglich nie bestraft.

Vorgelegt wird das LIB der Staatendokumentation betreffend Weißrussland (Stand 5.12.2017). Ein Exemplar wir der BF übergeben und ihr drei Wochen Frist zur Abfassung einer Stellungnahme eingeräumt.

Einsicht genommen wird in den Strafregisterauszug vom heutigen Tag. Die BF ist nicht vorbestraft.

Die BF bringt eine Kopie einer Sterbeurkunde Ihres Vaters sowie Ihres Bruders bei. Die Kopie wird zum Akt genommen. Darüber hinaus werden drei Schreiben, zwei von Dr. XXXX sowie eines von Herrn XXXX im Original zum Akt genommen.

R: Was machen Sie in Ihrer Freizeit?

BF: XXXX bringe ich Russisch bei und er mir Deutsch.

R: Gibt es etwas, was Sie an Österreich bindet und Sie noch nicht erwähnt haben?

BF: Mein Enkelkind, es lebt in XXXX .

R: Möchten Sie noch etwas hinzufügen bzw. ergänzen?

BF: Nein. (...)"

Mit Email vom 29.5.2019 langten beim BVwG unter Anführung der Geschäftszahl zwei eingescannte Dokumente ein. Es sind dies ein "Ausweis Nr. 19" über eine Ausbildung sowie eine Geburtsurkunde.

Beide Urkunden betreffen eine " XXXX ". Das Geburtsdatum dieser Person wird mit XXXX , der Geburtsort mit " XXXX " angegeben.

Der Einbringer dieser Dokumente firmiert unter " XXXX " bzw. laut

Email-Adresse: " XXXX XXXX ".

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen

1.1. Die Beschwerdeführerin ist Staatsangehörige Weißrusslands, sie gehört der weißrussischen Volksgruppe an und bekennt sich zum christlichen Glauben. Ihre Identität steht nicht fest. Die im Spruch angeführte Identität dient lediglich zur Identifizierung im gegenständlichen Verfahren. Die Beschwerdeführerin reiste im Jahr 2006 gemeinsam mit ihren Söhnen illegal in das österreichische Bundesgebiet ein und stellte am 05.09.2006 einen ersten Antrag auf internationalen Schutz, der mit Bescheid des damaligen Bundesasylamtes vom 23.05.2007 sowohl hinsichtlich der Zuerkennung von Asyl als auch hinsichtlich der Gewährung subsidiären Schutzes abgewiesen und die Ausweisung der Beschwerdeführerin aus dem österreichischen Bundesgebiet nach Weißrussland verfügt wurde. Eine gegen diesen Bescheid fristgerecht eingebrachte Beschwerde wurde mit rechtskräftigem Erkenntnis des Asylgerichtshofes vom 01.03.2011, Zl. D4 313014-1/2009, als unbegründet abgewiesen. Die Beschwerdeführerin verblieb trotz der rechtskräftigen Ausreiseverpflichtung illegal im Bundesgebiet und stellte am 05.09.2014 den vorliegenden Folgeantrag auf internationalen Schutz, welchen sie im Wesentlichen mit einem Fortbestehen ihrer ursprünglichen Ausreisegründe begründete.

Da sich die gegenständliche Beschwerde ausdrücklich lediglich gegen die Spruchpunkte II. und III. der angefochtenen Entscheidung richtet, ist deren Spruchpunkt I. über die Nichtzuerkennung des Status der Asylberechtigten mit insofern ungenutztem Ablauf der Rechtsmittelfrist in Rechtskraft erwachsen.

1.2. Nicht festgestellt werden kann, dass die Beschwerdeführerin im Fall ihrer Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung nach Weißrussland in ihrem Recht auf Leben gefährdet, der Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Strafe oder Behandlung unterworfen oder von der Todesstrafe bedroht wäre.

Die Beschwerdeführerin gab zuletzt an, an Rückenproblemen, an chronischen Problemen mit dem Kopf und dem Gedächtnis sowie an einem sich verschlechternden Sehvermögen zu leiden. Aktuelle Befunde, aus denen sich eine konkrete Diagnose oder eine aktuell im Bundesgebiet durchlaufene Behandlung entnehmen ließe, brachte die Beschwerdeführerin nicht in Vorlage. Die Beschwerdeführerin befindet sich zum Entscheidungszeitpunkt in keinem schwerwiegenden oder lebensbedrohlichen Krankheitszustand, welcher einer Rückkehr in ihren Herkunftsstaat entgegenstehen würde. In Weißrussland bestehen eine ausreichende medizinische Grundversorgung sowie Behandlungsmöglichkeiten für die bei ihr vorliegenden Beschwerdebilder. Es bestehen keine substantiierten Anhaltspunkte dahingehend, dass die Beschwerdeführerin aufgrund ihrer persönlichen Umstände im Herkunftsstaat keinen Zugang zu einer benötigten Behandlung hätte.

Die unbescholtene Beschwerdeführerin verfügt in Österreich über kein schützenswertes Privat- oder Familienleben. Im Bundesgebiet hält sich ein volljähriger Sohn der Beschwerdeführerin gemeinsam mit seiner Lebensgefährtin und deren gemeinsamem minderjährigen Kind auf. Die Beschwerdeführerin lebt mit den genannten Angehörigen in keinem gemeinsamen Haushalt und hat auch sonst kein besonderes Nahe- oder Abhängigkeitsverhältnis zu denselben zur Sprache gebracht. Diese ist nicht selbsterhaltungsfähig und bestreitet ihren Lebensunterhalt im Rahmen der Grundversorgung. Sie verfügt über keine nachgewiesenen Deutschkenntnisse, geht keiner ehrenamtlichen Tätigkeit nach und ist in keinem Verein Mitglied. Eine tiefgreifende Verwurzelung der Beschwerdeführerin im Bundesgebiet konnte nicht erkannt werden. Eine die Beschwerdeführerin betreffende aufenthaltsbeendende Maßnahme würde keinen ungerechtfertigten Eingriff in deren gemäß Art. 8 EMRK geschützte Rechte auf Privat- und Familienleben darstellen.

1.3. Insbesondere zur allgemeinen Situation und Sicherheitslage, zur allgemeinen Menschenrechtslage, zum Rechtschutz- und Justizwesen, zur medizinischen Versorgungssituation und zur Lage von Rückkehrern wird Folgendes festgestellt:

1. Politische Lage

Die Republik Belarus hat bei einer Landesfläche von 207.600 Quadratkilometern eine Bevölkerung von 9,5 Millionen (Stand 1.7.2014). Staatsoberhaupt ist seit 20.7.1994 Präsident Alexander Grigorjewitsch Lukaschenko, der diktatorisch herrscht. Er wurde zuletzt am 11.10.2015 für weitere 5 Jahre gewählt. Regierungschef ist Andrej Kobjakow. Das weißrussische Parlament (Nationalversammlung) umfasst 110 Abgeordnete in der Repräsentantenkammer und 64 Deputierte im Rat der Republik. Die Mitglieder der Repräsentantenkammer wurden zuletzt am 11.9.2016 gewählt (AA 3.2017a).

Ihre staatliche Unabhängigkeit erhielt die Republik Belarus im Dezember 1991 mit der Auflösung der Sowjetunion. Im Sommer 1994 fanden erstmals Präsidentschaftswahlen statt, aus denen Alexander Lukaschenko mit über 80% der Stimmen als Sieger hervorging (AA 3.2017b). Seit Anfang der 1990er Jahre und besonders nach 1996 hat Belarus ein parteiloses politisches System gefördert (FH 29.3.2017). Eine Regierungspartei im eigentlichen Sinn gibt es in Weißrussland nicht. Mehr als 95% der Abgeordneten des belarussischen Parlaments sind parteilos. Im November 2007 wurde die pro-Lukaschenko-Sammelbewegung "Belaja Rus" gegründet, die sich nach ihrem Statut in eine Partei umwandeln könnte, was jedoch bisher nicht geschehen ist (AA 3.2017a). Politischen Parteien und nichtstaatlichen Organisationen (NGOs) wird keine wichtige Rolle bei der Entscheidungsfindung zuerkannt (FH 29.3.2017).

Im November 1996 ließ Präsident Lukaschenko ein Referendum zur Änderung der Verfassung abhalten, das ihm erheblich erweiterte Machtbefugnisse zu Lasten der demokratischen Gewaltenteilung einräumte. Der Präsident verfügt über umfangreiche legislative Rechte und kann präsidiale Dekrete, Erlässe und Anordnungen mit bindender, de facto den Gesetzen übergeordneter Wirkung, erlassen. Die Präsidentschaftswahlen am 19. Dezember 2010 entsprachen nicht den OSZE-Standards. Noch am Wahlabend folgten gewalttätige Übergriffe der Ordnungskräfte gegen Demonstranten. Es erfolgten über 700 Festnahmen und in weiterer Folge eine umfassende Repressionswelle gegen die Opposition sowie gegen unabhängige Medien und die Zivilgesellschaft. Die EU reagierte mit Sanktionen. Die Präsidentschaftswahl am 11. Oktober 2015 gewann Staatspräsident Lukaschenko erneut mit über 80% der Stimmen. Nachdem die Präsidentschaftswahl zwar mit erheblichen Mängeln, aber im Vergleich zu 2010 gewalt- und repressionsfrei und unter umfassender internationaler Beobachtung erfolgt war, wurden die von der EU verhängten Sanktionen gegen Weißrussland zunächst suspendiert und dann Ende Februar 2016 weitgehend aufgehoben. Auch die Parlamentswahlen am 11. September 2016 verliefen trotz bestehender Kritikpunkte weitgehend repressionsfrei (AA 3.2017b).

Bemerkenswert ist, dass bei den Parlamentswahlen am 11. September 2016 erstmals seit 20 Jahren nun auch oppositionelle Abgeordnete gewählt wurden. Die junge Anwältin Anna Kanopazkaja gewann einen Sitz für die liberale Vereinigte Bürgerpartei und Jelena Anisim von der Gesellschaft für Weißrussische Sprache trat als Unabhängige an, gilt jedoch ideologisch der gegen Ende der Sowjetunion gegründeten Weißrussischen Nationalen Front (BNF) nahe und setzt sich für eine Stärkung der weißrussischen Sprache ein. Die restlichen der insgesamt 110 Mandate gingen an regimetreue Kandidaten. Nach Angaben der Wahlkommission lag die Wahlbeteiligung bei knapp 75%. Beobachter werten die Wahl der beiden Oppositionellen als Zeichen für eine gewisse Kooperationsbereitschaft von Machthaber Alexander Lukaschenko mit dem Westen, der sich in diesem Zusammenhang wohl auch eine Stärkung der wirtschaftlichen Beziehungen erhofft, um sein Land aus der tiefen Wirtschaftskrise führen zu können. Manche Beobachter vertreten auch die Auffassung, Lukaschenko habe die beiden Oppositionellen ins Parlament einziehen lassen, um die Kritik von EU und Vereinigten Staaten zu neutralisieren, dass es in Weißrussland keine demokratischen Wahlen gäbe (ZO 12.9.2016; vgl. RFE/RL 11.9.2016 und NZZ 12.9.2016). Tatsächlich kritisierte die OSZE die Wahlen wegen mangelnder demokratischer Standards (OSZE 11.9.2016; vgl. NZZ 12.9.2016). Neben ungleichen Bedingungen für die Kandidaten und der staatlichen Dominanz der Medien bestand ein entscheidender Mangel an Transparenz, der Zweifel an den offiziellen Ergebnissen aufkommen ließ (FH 29.3.2017).

Insgesamt betrachtet hat Weißrussland seit Anfang der 1990er Jahre keine Wahl abgehalten, die als frei und demokratisch bewertet wurde (RFE/RL 11.9.2016).

Obwohl die politische Opposition unter ungünstigen Bedingungen operiert und regelmäßig mit administrativem Druck oder Unterdrückung konfrontiert ist, hat sich das allgemeine politische Klima in den letzten beiden Jahren insgesamt etwas verbessert. Die wirtschaftliche Situation bleibt schwierig, die außenpolitischen Beziehungen zur Europäischen Union und zu den Vereinigten Staaten haben sich zuletzt deutlich entspannt (FH 29.3.2017). Allerdings hat sich im Zuge massiver Proteste gegen einen Gesetzesvorschlag im März 2017 ("Antiparasitismus"-Steuer) gezeigt, dass die Regierung zumindest zwischenzeitlich zu ihren Praktiken der Massenverhaftungen und gefälschten Anschuldigungen zurückgekehrt ist. Die Tatsache, dass der Präsident allerdings kurz nach den Demonstrationen beschlossen hat, die Einziehung der "Antiparasitismus"-Steuer auszusetzen, lässt den Schluss zu, dass er und seine Regierung sehr wohl auf die öffentlichen Widerstand hören können, wenn dieser eine bestimmte Schwelle erreicht. Nach Ansicht des Sonderberichterstatters zeigt die weitgehend unterdrückungszentrierte offizielle Reaktion auf die Ereignisse jedoch, dass die Regierungsführung in Belarus darauf abzielt, die Konsolidierung der Macht in den Händen des Präsidenten und seiner Verwaltung zu schützen, anstatt Orte für alternative Ideen zu schaffen (UN 22.9.2017).

Trotz traditionell enger Beziehungen zwischen Russland und Weißrussland gehört Minsk inzwischen zu Moskaus schwierigsten postsowjetischen Partnern. Seit mindestens drei Jahren ändert Lukaschenko schleichend seinen prorussischen Kurs. Schlüsselmoment dafür war die Annexion der Krim, die Weißrussland bis heute nicht als russisches Territorium anerkennt. Vielmehr wird offen die territoriale Integrität der Ukraine unterstützt. Als Reaktion auf die von Minsk eingeführte Visa-Freiheit für Kurzbesuche von EU-Bürgern führte Russland nach beinahe 20 Jahren wieder Grenzkontrollen zu Weißrussland ein. Linienflüge aus Weißrussland, zuvor wie Inlandsflüge behandelt, werden in Russland nun in internationalen Terminals abgefertigt. Allmählich machen sich Lukaschenkos Behörden Positionen zu eigen, die zuvor seinen Gegnern vorbehalten und vom Staat unterdrückt waren, wie die Betonung der Rolle der weißrussischen Sprache oder den kritischen Zugang zum Erbe von Sowjetunion und Romanow-Reich (WeltN24 18.11.2017 und 11.2.2015, vgl. CoE 6.6.2017).

Quellen:

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AA - Auswärtiges Amt (3.2017a): Belarus, https://www.auswaertiges-amt.de/de/aussenpolitik/laender/belarus-node, Zugriff 17.10.2017

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AA - Auswärtiges Amt (10.2017b): Innenpolitik, https://www.auswaertiges-amt.de/de/aussenpolitik/laender/belarus-node/-/202924, Zugriff 17.10.2017

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AA - Auswärtiges Amt (10.2017c): Außenpolitik, https://www.auswaertiges-amt.de/de/aussenpolitik/laender/belarus-node/-/202922, Zugriff 17.10.2017

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CoE - Council of Europe Parlamentary Assembly (6.6.2017): Bericht zu Menschenrechten sowie zu bürgerlichen und politischen Rechten in Belarus (Lage nach Präsidentschafts- und Parlamentswahlen, die 2015 bzw. 2016 abgehalten wurden; Menschenrechtslage und neue Welle von Repressalien mit Stand März 2017; Außenbeziehungen, https://www.ecoi.net/file_upload/1226_1497354295_the-situation-in-belarus.pdf, Zugriff 20.11.2017

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FH - Freedom House (29.3.2017): Nations in Transit 2017, https://www.ecoi.net/local_link/338522/481524_de.html, Zugriff 18.10.2017.

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NZZ - Neue Zürcher Zeitung (12.9.2016): Zwei Oppositionelle gewählt,

http://www.nzz.ch/international/europa/weissrussland-zwei-oppositionelle-gewaehlt-ld.116368, Zugriff 17.10.2017

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OSZE - Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (11.9.2016): International Election Observation Mission, Republic of Belarus - Parliamentary Elections, 11.9.2016, http://www.osce.org/odihr/elections/263656?download=true, Zugriff 23.10.2017

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RFE/RL - Radio Free Europe / Radio Liberty (11.9.2016):Opposition Figures Win Seats In Belarusian Parliament, http://www.rferl.org/content/article/27980719.html, Zugriff 18.10.2017

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UN General Assembly (22.9.2017): Report of the Special Rapporteur on the situation of human rights in Belarus, https://www.ecoi.net/file_upload/1226_1508760889_n1729738.pdf, Zugriff 22.11.2017

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WeltN24 (18.11.2017): Putins widerpenstiger Bruder, https://www.welt.de/politik/ausland/article170709919/Putins-widerspenstiger-Bruder.html, Zugriff 20.11.2017

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WeltN24 (11.2.2015): Kämpfen, auch wenn der Gegner Putin heißt, https://www.welt.de/politik/ausland/article137355346/Kaempfen-auch-wenn-der-Gegner-Putin-heisst.html, Zugriff 20.11.2017

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ZO - Zeit Online (12.9.2016): Oppositionelle schaffen es ins Parlament von Belarus,

http://www.zeit.de/politik/ausland/2016-09/alexander-lukaschenko-belarus-wahl-opposition-parlament, Zugriff 18.10.2017

2. Sicherheitslage

Die Sicherheitslage in Weißrussland ist gut (BMEIA 3.10.2017).

Quelle:

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BMEIA - Bundesministerium für Europa, Integration und Äußeres (3.10.2017): Belarus. Sicherheit und Kriminalität, https://www.bmeia.gv.at/reise-aufenthalt/reiseinformation/land/belarus/, Zugriff 4.12.2017

3. Rechtsschutz/Justizwesen

Die Justiz in Weißrussland ist nicht unabhängig. Die volle Exekutivgewalt und auch ein bedeutender Teil der Gesetzgebungsbefugnis liegen beim Präsidenten, der auf eigene Initiative Dekrete erlassen kann, denen eine größere Rechtskraft zukommt als der gewöhnlichen Gesetzgebung. Außerdem hat der Präsident praktisch unbegrenzte Befugnisse bei der Ernennung von Richtern und bei der Neuordnung von Gerichten (FH 29.3.2017).

Das Verfassungsgericht ist nicht unabhängig. Vor allem dann nicht, wenn es Entscheidungen zu fällen hat, die für den Präsidenten von wesentlicher Bedeutung sind. Letzterer ernennt die Verfassungsrichter, wobei er gemäß Verfassung über sechs Richter allein entscheiden kann, während die übrigen sechs Richter die Zustimmung des Oberhauses der Nationalversammlung (Rat der Republik) benötigen. Alle Richterernennungen (nicht nur für die obersten Gerichte) erfolgen grundsätzlich per Präsidialerlass (AA 21.6.2017).

Korruption, Ineffizienz und politische Einmischung in Gerichtsentscheidungen sind weit verbreitet. Gerichte verurteilen Personen aufgrund falscher und politisch motivierter Anklagen. Beobachtern zufolge diktieren hohe Regierungsvertreter und Behörden die Urteile. Menschenrechtsorganisationen beklagen, dass Staatsanwälte zu viel Macht hätten und somit beispielsweise die Haft ohne Hinzuziehung eines Richters verlängern können. Auch ist zwischen Staatsanwaltschaft und Verteidigung ein Machtgefälle gegeben. Verteidiger können Ermittlungsakten nicht einsehen, bei Verhören nicht anwesend sein oder Beweise gegen Angeklagte prüfen, bis ein Staatsanwalt den Fall förmlich vor Gericht gebracht hat. Das alles gilt besonders für Fälle mit einem politischen Hintergrund. Rechtsanwälte unterstehen dem Justizministerium und müssen ihre Lizenz alle fünf Jahre erneuern lassen. Laut Gesetz gilt die Unschuldsvermutung. Der Mangel an richterlicher Unabhängigkeit, Vorverurteilung durch die staatlichen Medien und weit verbreitete Einschränkungen der Verteidigungsrechte bringen es aber mit sich, dass es tatsächlich häufig dem Angeklagten obliegt, seine Unschuld zu beweisen. Obwohl die Gesetze öffentliche Verfahren garantieren, wird die Öffentlichkeit gelegentlich ausgeschlossen. Es gibt keine Geschworenenprozesse. Richter entscheiden alleine oder in schweren Fällen im Kollegium mit zwei Laienrichtern. Die Rechte der Verteidigung werden nicht in vollem Maße respektiert. Auch das Recht des Angeklagten auf Durchführung des Prozesses in belarussischer Sprache und auf freie Wahl des Verteidigers wird immer wieder eingeschränkt. NGO-Anwälte dürfen etwa nur Mitglieder ihrer NGO vertreten. Anwälte, die politisch heikle Fälle übernehmen, erhalten regelmäßig Berufsverbote. Auch müssen Verteidiger häufig Geheimhaltungsvereinbarungen unterschreiben, die es erschweren, Informationen über das Verfahren nach außen dringen zu lassen. Überdies werden von den Gerichten Aussagen zugelassen, die durch die Androhung körperlicher Gewalt während der Verhöre zustande gekommen waren. Das Beschwerderecht gegen Gerichtsentscheidungen wird von den meisten Verurteilten genutzt; trotzdem werden Urteile in der Mehrheit der Fälle bestätigt (USDOS 3.3.2017).

Richter genießen zwar eine gewisse Autonomie, doch besteht - insbesondere wenn ein Fall wesentliche Interessen der Behörden betrifft - die Möglichkeit, direkt Einfluss auf die Richter zu nehmen und endgültige gerichtliche Entscheidungen zu revidieren. Dies gilt sowohl für strafrechtliche als auch verwaltungsrechtliche Fälle, einschließlich derjenigen, die sich auf die Unterdrückung politischer Aktivitäten im Land beziehen, sowie auf Zivilsachen, die die wirtschaftlichen Interessen der herrschenden Kreise oder staatseigener Unternehmen betreffen. Die Einflussnahme erfolgt in der Regel durch direkte Weisungen von Exekutivbeamten an Gerichtshöfe, die den Richtern dann die entsprechenden Anweisungen übermitteln (FH 29.3.2017).

2016 war die politische Abhängigkeit der Gerichte in Verwaltungsverfahren gegen die Organisatoren von Straßenprotesten deutlich sichtbar. Menschenrechtsorganisationen wiesen auf die Verwendung von Gerichten hin, um politische Aktivisten, Journalisten und Vertreter der Zivilgesellschaft während des Jahres zu bestrafen. Der offensichtlichste Indikator für die Politisierung von Gerichten ist die rasche Revision der Strafverfolgungspolitik nach einer Änderung der politischen Situation. Bei der Prüfung der Mehrheit der Wahlstreitigkeiten nehmen die Gerichte auch die Seite der Behörden ein (FH 29.3.2017).

Quellen:

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AA - Auswärtiges Amt (21.6.2017): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Belarus, per E-Mail

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FH - Freedom House (29.3.2017): Nations in Transit 2017 - Belarus, https://www.ecoi.net/local_link/338522/481524_de.html, Zugriff 20.10.2017

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USDOS - US Department of State (3.3.2017): Country Report on Human Rights Practices 2016 - Belarus, https://www.ecoi.net/local_link/337124/479884_de.html, Zugriff 17.10.2017

4. Sicherheitsbehörden

Die Sicherheitsbehörden wie das Innenministerium, das Komitee für Staatssicherheit (KGB) und das 2012 neu aufgestellte Ermittlungskomitee, unterliegen keiner effektiven unabhängigen parlamentarischen oder sonstigen Kontrolle. Sie unterstehen unmittelbar dem Präsidenten. Die Sicherheitsorgane werden für die gezielte Einschüchterung politischer Gegner - vor allem bei nicht genehmigten Demonstrationen - instrumentalisiert. Ein im Juli 2012 in Kraft getretenes neues Gesetz gibt dem Geheimdienst KGB polizeiliche Befugnisse, die er aber de facto auch schon vorher ausübte. Durchsuchungen von Wohnungen und Büros, Festnahmen und falls erforderlich auch Anwendung von Waffengewalt liegen nunmehr ausdrücklich auch in der Befugnis des KGB. Die Justiz trägt nicht zur Mäßigung der Sicherheitsorgane bei, vielmehr wird das Rechtssystem zur staatlich geleiteten Repression und Einschüchterung aktiv genutzt. Die Streitkräfte sind grundsätzlich nicht mit polizeilichen Aufgaben betraut (AA 21.5.2017).

Die zivilen Behörden, insbesondere Präsident Lukaschenko, üben die tatsächliche Kontrolle über die Sicherheitskräfte aus. Der Präsident hat das Recht, alle Sicherheitsorgane seinem persönlichen Kommando zu unterstellen. Die Polizei untersteht dem Innenministerium. Der KGB, die Abteilung für Finanzuntersuchungen des Staatlichen Kontrollkomitees, das Untersuchungskomitee und die präsidentiellen Sicherheitsdienste üben ebenfalls Polizeifunktionen aus. Einzelpersonen können Polizeiübergriffe zwar der Staatsanwaltschaft anzeigen, aber die Regierung geht diesen oft nicht nach bzw. bestraft die Täter nicht. Die Behörden agieren generell in einem Klima der Straflosigkeit (USDOS 3.3.2017).

Quellen:

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AA- Auswärtiges Amt (21.6.2017): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Belarus, per E-Mail

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USDOS - US Department of State (3.3.2017): Country Report on Human Rights Practices 2016 - Belarus, https://www.ecoi.net/local_link/337124/479884_de.html, Zugriff 17.10.2017

5. Folter und unmenschliche Behandlung

Die Verfassung von 1996 verbietet Folter und andere Arten unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung.

Menschenrechtsaktivisten und Anwälte sowie unabhängige weißrussische Medien berichteten demgegenüber mehrfach, dass Untersuchungsbehörden durch physischen und psychischen Druck versuchen, Geständnisse zustande zu bringen. Bei Festnahmen und Vernehmungen durch die Miliz kommt es mitunter auch zu schweren körperlichen Übergriffen. Die dafür Verantwortlichen innerhalb der Sicherheitskräfte müssen kaum mit Verfolgung rechnen (AA 21.6.2017).

Inhaftierte werden von Mitarbeitern der Staatssicherheit (KGB), der Bereitschaftspolizei und anderer Sicherheitskräfte, die oft in zivil auftreten, regelmäßig geschlagen. Die Sicherheitskräfte sollen Berichten zufolge auch Personen während der Ermittlungen misshandeln. Menschenrechtsverteidiger, Oppositionsführer und Aktivisten, die aus Haftanstalten entlassen wurden, berichteten weiterhin von Misshandlung und anderen Formen körperlichen und psychischen Missbrauchs von Verdächtigen während strafrechtlicher und administrativer Ermittlungen. Angriffe auf neue Rekruten sollen in der Armee weiterhin vorkommen, mit Schlägen und anderen Formen physischer und psychischer Misshandlung. Beobachter sprechen davon, dass es im Vergleich zu den Vorjahren weniger derartige Fälle gegeben haben mag, da die Regierung die Verfolgung der Täter verstärkt hat. So berichteten beispielsweise am 12.1.2017 verschiedene Medien, dass ein Landgericht in Hrodna zwei hochrangige Polizeibeamte in geschlossenen Anhörungen zu vier Jahren bzw. sechs Jahren Gefängnis verurteilt hat, weil sie "Verbrechen im Zusammenhang mit Gewalt, Folter oder Missbrauch vo

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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