TE Bvwg Erkenntnis 2019/8/29 W271 2175243-1

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Veröffentlicht am 29.08.2019
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Entscheidungsdatum

29.08.2019

Norm

AsylG 2005 §10 Abs1 Z3
AsylG 2005 §3 Abs3 Z1
AsylG 2005 §55
AsylG 2005 §57
AsylG 2005 §8
BFA-VG §9
B-VG Art. 133 Abs4
FPG §46
FPG §50
FPG §52 Abs2 Z2
FPG §52 Abs9
FPG §55 Abs1
FPG §55 Abs2
FPG §55 Abs3

Spruch

W271 2175227-1/18E

W271 2175245-1/18E

W271 2175246-1/16E

W271 2175241-1/16E

W271 2175243-1/16E

W271 2214042-1/10E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

1.) Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch die Richterin Dr. Anna WALBERT-SATEK über die Beschwerde des XXXX , geb. XXXX alias

XXXX , StA. Afghanistan, vertreten durch den Verein Menschenrechte Österreich, gegen den Bescheid des Bundesamts für Fremdenwesen und Asyl vom XXXX , Zl. XXXX , nach Durchführung mündlicher Verhandlungen am XXXX und XXXX zu Recht:

A) Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

B) Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

2.) Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch die Richterin Dr. Anna WALBERT-SATEK über die Beschwerde der XXXX , geb. XXXX , StA. Afghanistan, vertreten durch den Verein Menschenrechte Österreich, gegen den Bescheid des Bundesamts für Fremdenwesen und Asyl vom XXXX , Zl. XXXX , nach Durchführung mündlicher Verhandlungen am XXXX und XXXX zu Recht:

A) Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

B) Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

3.) Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch die Richterin Dr. Anna WALBERT-SATEK über die Beschwerde der minderjährigen XXXX , geb. XXXX , StA. Afghanistan, gesetzliche Vertreter: XXXX , geb. XXXX alias XXXX , und XXXX , geb. XXXX , diese vertreten durch den Verein Menschenrechte Österreich, gegen den Bescheid des Bundesamts für Fremdenwesen und Asyl vom XXXX , Zl. XXXX , nach Durchführung mündlicher Verhandlungen am XXXX und XXXX zu Recht:

A) Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

B) Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

4.) Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch die Richterin Dr. Anna WALBERT-SATEK als Einzelrichterin über die Beschwerde des minderjährigen XXXX , geb. XXXX , StA. Afghanistan, gesetzliche Vertreter: XXXX , geb. XXXX alias XXXX , und XXXX , geb. XXXX , diese vertreten durch den Verein Menschenrechte Österreich, gegen den Bescheid des Bundesamts für Fremdenwesen und Asyl vom XXXX , Zl. XXXX , nach Durchführung mündlicher Verhandlungen am XXXX und XXXX zu Recht:

A) Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

B) Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

5.) Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch die Richterin Dr. Anna WALBERT-SATEK über die Beschwerde der minderjährigen XXXX , geb. XXXX , StA. Afghanistan, gesetzliche Vertreter: XXXX , geb. XXXX alias XXXX , und XXXX , geb. XXXX , diese vertreten durch den Verein Menschenrechte Österreich, gegen den Bescheid des Bundesamts für Fremdenwesen und Asyl vom XXXX , Zl. XXXX , nach Durchführung mündlicher Verhandlungen am XXXX und XXXX zu Recht:

A) Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

B) Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

6.) Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch die Richterin Dr. Anna WALBERT-SATEK als Einzelrichterin über die Beschwerde des minderjährigen XXXX , geb. XXXX , StA. Afghanistan, gesetzliche Vertreterin: XXXX , geb. XXXX , diese vertreten durch den Verein Menschenrechte Österreich, gegen den Bescheid des Bundesamts für Fremdenwesen und Asyl vom XXXX , Zl. XXXX , nach Durchführung mündlicher Verhandlungen am XXXX zu Recht:

A) Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

B) Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang

1. Der Erstbeschwerdeführer XXXX (in der Folge: "BF1") und die Zweitbeschwerdeführerin XXXX (in der Folge: "BF2") stellten am XXXX zusammen mit ihren drei minderjährigen Kindern (Drittbeschwerdeführerin XXXX , in der Folge: "BF3";

Viertbeschwerdeführer XXXX , in der Folge: "BF4";

Fünftbeschwerdeführerin XXXX , in der Folge: "BF5"), alle afghanische Staatsangehörige der Volksgruppe der Tadschiken, einen Antrag auf internationalen Schutz.

2. Am XXXX fand die Erstbefragung des BF1 und der BF2 im Beisein eines Dolmetschers für die Sprache Dari statt.

2. a. Der BF1 gab im Wesentlichen Folgendes an:

Er sei am XXXX in Kabul geboren worden und habe vier Jahre lang eine Grundschule besucht. Danach habe der BF1 etwa acht Jahre lang als Computertechniker (selbst beigebracht) gearbeitet. Dieser gab weiters an, über eine Familie im Herkunftsland zu verfügen: Diese bestehe aus seinen Eltern und seinen Geschwistern (zwei Brüder und vier Schwestern). Außerdem halte sich eine Schwester in Österreich auf.

Als Fluchtgrund führte der BF1 an, dass er durch seinen Beruf Kontakt zu diversen NGOs gehabt habe - er habe dort Drucker- und Computerreparaturen durchgeführt. Eines Tages, als der BF1 sein Geschäft habe schließen wollen, seien zwei Personen gekommen und hätten von ihm verlangt, einen Drucker in eine dieser Organisationen zu transportieren; dafür hätten diese ihm USD XXXX bezahlt. Der BF1 habe das Angebot abgelehnt und sei mit dem Umbringen bedroht worden. Anschließend sei er eine Woche lang nicht mehr in die Arbeit gegangen. Dann seien die Männer zum BF1 gekommen und hätten ihn abermals mit dem Umbringen bedroht, weshalb er in den Iran geflohen sei. Nach sechs Monaten habe die Polizei die Familie nach Afghanistan abschieben wollen, der BF1 habe aber Schmiergeld gezahlt und die Familie sei in die Türkei gereist. In der Türkei seien sie fünf Monate in einer Mietwohnung geblieben, der BF1 habe aber nicht arbeiten können und es habe keine finanzielle Hilfe vom Staat gegeben. Um seiner Familie ein besseres Leben zu bieten, habe dieser die Türkei verlassen.

2. b. Die BF2 führte im Wesentlichen Folgendes an:

Sie sei am XXXX in Kabul geboren worden, habe 12 Jahre lang eine Grundschule besucht und sei Hausfrau gewesen. Im Herkunftsstaat würden ihre Eltern sowie ihre Geschwister (drei Brüder und drei Schwestern) leben.

Als Fluchtgrund gab die BF2 zu Protokoll, dass ihr Ehemann in Afghanistan von den Taliban mit dem Umbringen bedroht worden sei. Diese hätten verlangt, dass er mit ihnen kooperiere; er habe irgendetwas transportieren sollen, habe sich aber geweigert und sei mit dem Umbringen bedroht worden. Deshalb sei die Familie in den Iran geflohen. Weil ihnen die Abschiebung gedroht habe, seien sie weiter in die Türkei gereist, wo sie sich fünf Monate aufgehalten hätten. Die Familie habe einen Asylantrag gestellt, aber die finanzielle Lage sei nicht gut gewesen. Sie hätten gehört, dass die finanzielle Unterstützung in Österreich besser sei, weswegen sie nach Österreich gewollt hätten.

3. Die Einvernahme des BF1 und der BF2 vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (in der Folge: "BFA") erfolgte am XXXX in Anwesenheit eines Dolmetschers für die Sprache Dari und einer Vertrauensperson.

Zu Beginn der Vernehmung wies der BF1 darauf hin, dass in der Erstbefragung nicht alles vollständig protokolliert worden sei und es gebe Stellen, die er nicht gesagt habe; dieser wolle ergänzen, dass es damals schon Vorfälle gegeben habe.

3. a. Der BF1 schilderte, dass er XXXX in Kabul geboren worden sei und aufgrund der Sicherheitslage keine Schule besucht habe. Als er 12 Jahre alt gewesen sei, habe er zwei Jahre in Pakistan gelebt und als Teppichknüpfer gearbeitet. Nach seiner Heirat habe der BF1 in einer Mietwohnung in Kabul gelebt. Er habe für elf Jahre als Computertechniker gearbeitet und drei Jahre sogar eine eigene Firma gehabt.

Zu seinen Fluchtgründen befragt schilderte der BF1 zusammengefasst, dass er in seinem Geschäft gearbeitet habe, als zwei unbekannte Männer gekommen seien und ihm einen Vertrag angeboten hätten. Laut diesem Vertrag hätte er eine Kopiermaschine von XXXX (NGO-Organisation), die bei ihm im Geschäft gewesen sei, austauschen und stattdessen eine HP-Kopiermaschine, die ihm diese Personen übergeben hätten, zu dem Gebäude der NGO bringen sollen. Dafür seien dem BF1 USD XXXX versprochen worden. Der BF1 habe dann nachgefragt, was sie damit bezwecken würden: Die Personen hätten gemeint, dass es nicht seine Sache wäre. Der BF1 habe daraufhin gesagt, dass er Zeit für eine Entscheidung benötige. Ab diesem Zeitpunkt sei er dann nicht mehr in die Arbeit gegangen. Eine Woche später sei der BF1 dann von Leuten bei seinem Haus aufgesucht und bedroht worden.

3. b. Die BF2 führte im Rahmen der Befragung zum Fluchtgrund an, in Kabul geboren worden zu sein und zehn Jahre lang eine Schule besucht zu haben, wo sie den Stoff von zwölf Jahren gelernt habe. Sie sei zuletzt Hausfrau gewesen.

Zum Fluchtgrund schilderte die BF2, dass sie keine eigenen Fluchtgründe habe. Sie sei nicht persönlich verfolgt worden. Die BF3 bis BF5 hätten ebenfalls keine eigenen Fluchtgründe. Die BF2 sei zusammen mit den Kindern nur ihrem Ehemann gefolgt. Die Bedrohung ihres Mannes sei der Grund für die Ausreise gewesen; die Taliban seien gekommen und hätten sie bedroht.

4. Mit Bescheiden vom jeweils XXXX wies das BFA die Anträge der BF1 bis BF5 auf internationalen Schutz gemäß §§ 3 und 8 AsylG 2005 ab, erließ Rückkehrentscheidungen und stellte fest, dass eine Abschiebung nach Afghanistan zulässig sei.

5. Die BF1 bis BF5 erhoben jeweils am XXXX gegen sämtliche Spruchpunkte Beschwerde. Insbesondere wurde dort vorgebracht, dass der BF1 wegen seiner Zusammenarbeit mit ausländischen Unternehmen/NGOs im Herkunftsstaat bedroht sowie verfolgt werden würde und der BF2 eine Gefahr wegen ihres westlichen Lebensstils drohe. In Afghanistan herrsche überdies eine schlechte Sicherheitslage und es stehe keine innerstaatliche Fluchtalternative für die Familie zur Verfügung.

6. Die Beschwerdevorlage erfolgte mit Schreiben vom XXXX . Am XXXX langten die Akten der BF1 bis BF5 beim Bundesverwaltungsgericht (in der Folge auch: "BVwG") ein.

7. Mit Schreiben vom XXXX brachten die BF1 bis BF5 mehrere Dokumente zum Leben der BF in Österreich in Vorlage.

8. Das BVwG führte am XXXX in Anwesenheit einer Dolmetscherin für die Sprache Dari und im Beisein einer Rechtsvertreterin der BF1 bis BF5 eine öffentliche mündliche Verhandlung durch. Im Zuge der mündlichen Verhandlung wurde auch eine Vertrauensperson der Familie als Zeuge einvernommen.

Zu Beginn seiner Einvernahme gab der BF1 bekannt, dass er bei der Erstbefragung über den Fall ausführlich gesprochen habe, aber alles ganz kurz niedergeschrieben worden sei. Die BF2 vermeinte, dass der Dolmetscher bei der Erstbefragung nicht alles verstanden habe. Daraufhin äußerte die Rechtsvertretung, dass diese im Rahmen der Vorbereitungen nicht bekannt gegeben habe, ob bzw. dass etwas falsch übersetzt worden sei.

9. Am XXXX wurde der Sechstbeschwerdeführer XXXX (in der Folge: "BF6") als Sohn des BF1 und der BF2 in Österreich geboren. Seine Mutter stellte für diesen als gesetzlicher Vertreterin am XXXX einen Antrag auf internationalen Schutz. Beigelegt wurden dem Ansuchen eine Meldebestätigung und eine Geburtsurkunde.

10. Mit Bescheid vom XXXX wies das BFA den Antrag des BF6 auf internationalen Schutz gemäß §§ 3 und 8 AsylG 2005 ab, erließ eine Rückkehrentscheidung und stellte fest, dass eine Abschiebung nach Afghanistan zulässig sei.

11. Der BF6 erhob gegen diesen Bescheid am XXXX Beschwerde in vollem Umfang. Vorgetragen wurde, dass dieser im Bundesgebiet geboren worden sei und folglich keine eigenen Fluchtgründe habe. Hinsichtlich der detaillierten Beschwerdegründe werde auf die Fluchtgründe der Mutter verwiesen.

12. Die Beschwerdevorlage erfolgte mit Schreiben vom XXXX . Am XXXX langte der Akt des BF6 beim BVwG ein.

13. Mit Schreiben vom XXXX übermittelten die BF1 bis BF5 weitere Dokumente betreffend ihre Integration.

14. Am XXXX fand eine weitere Verhandlung in der Sache in Anwesenheit eines Dolmetschers für die Sprache Dari und im Beisein einer Rechtsvertreterin der BF statt.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen

1.1. Zu den BF

1.1.1. Der BF1 trägt den Namen XXXX und führt das Geburtsdatum XXXX

.

Die BF2 trägt den Namen XXXX und führt das Geburtsdatum XXXX .

Der BF1 und die BF2 sind verheiratet und die Eltern der minderjährigen BF3 ( XXXX , geb. XXXX ), des minderjährigen BF4 ( XXXX , geb. XXXX ), der minderjährigen BF5 ( XXXX , geb. XXXX ) und des minderjährigen BF6 ( XXXX , geb. XXXX ). Alle sind afghanische Staatsbürger, Volksgruppenangehörige der Tadschiken und schiitische Moslems.

Die BF sprechen Dari als Muttersprache. BF1 und BF2 beherrschen die Sprache in Wort und Schrift. Der BF1 spricht auch etwas Englisch. Dari ist eine der Landessprachen Afghanistans.

1.1.2. Die BF1 bis BF5 wurden in Kabul geboren. Die Familie der BF lebte dort bis zu ihrer Ausreise aus Afghanistan in einem Mietshaus im XXXX . Kabuler Bezirk ( XXXX ). Der BF1 wuchs im Elternhaus im XXXX . Kabuler Bezirk ( XXXX ) auf. Der BF6 ist in Österreich auf die Welt gekommen. Die BF sind mit den familiären Gepflogenheiten in Afghanistan vertraut.

1.1.3. Der BF1 war für einige Jahre in der Grundschule. Er war in Kabul für zumindest acht Jahre als Computertechniker tätig und hatte für drei Jahre ein eigenes Geschäft. Er besaß daneben auch noch ein zweites Geschäft für Männerkleidung. In seiner Jugendzeit arbeitete der BF1 zwei Jahre als Teppichknüpfer in Pakistan und während des Iranaufenthaltes der Familie in einer Plastikfabrik. Die BF2 besuchte zumindest zehn Jahre lang die Schule und war Hausfrau.

1.1.4. Die Eltern des BF1 sowie zwei Brüder und zwei Schwestern, zu denen Kontakt besteht, halten sich nach wie vor in Kabul auf. Außerdem gibt es einen Onkel väterlicherseits in Afghanistan. Drei weitere Schwestern des BF1 leben im Iran, in Deutschland und in Österreich.

Zu den Verwandten des BF1 in Kabul: Die Eltern des BF1 leben gemeinsam mit einem Bruder des BF1 und zwei Brüdern des Vaters in einem eigenen Haus im XXXX . Kabuler Bezirk ( XXXX ). Dieses Haus gehörte dem Großvater des BF1; auch der BF1 wohnte darin. Der andere Bruder des BF1 lebt im XXXX . Kabuler Bezirk ( XXXX ), eine Schwester lebt in XXXX und die zweite in XXXX . Die finanzielle Situation der Familie ist mittelmäßig; der älteste Bruder des BF1 ist finanziell sehr gut aufgestellt und hat eine eigene Wohnung. Die anderen Geschwister des BF1 leben in Mietwohnungen. Der Vater des BF1 ist Angestellter bei einer Privatuniversität, seine Ehefrau ist Hausfrau. Die beiden Brüder des BF1 arbeiten als Chauffeure für eine internationale Bank bzw. für eine Sicherheitsbehörde. Eine Schwester des BF1 arbeitet als Gemeindebeamtin, die andere Schwester ist Hausfrau; ihre Ehemänner arbeiten.

Zu den Verwandten des BF1 außerhalb Afghanistans: Eine Schwester des BF1 ist in Österreich; ihr Mann ist österreichischer Staatsbürger und Taxifahrer. Zu den anderen Schwestern besteht kein Kontakt.

Die Verwandtschaft der BF2 (Eltern, vier Brüder und zwei Schwestern) befindet sich ebenfalls in Kabul und es besteht regelmäßiger Kontakt. Darüber hinaus leben drei Tanten mütterlicherseits in Afghanistan. Eine weitere Schwester der BF2 wohnt in Kanada.

Die Eltern der BF2 wohnen in einem Haus in XXXX , in dem auch die Brüder der BF2 leben. Der Vater der BF2 ist pensionierter Lehrer, seine Ehefrau ist Hausfrau. Die drei Brüder der BF2 sind arbeitslos, die zwei Schwestern Hausfrauen. Die Schwester aus Kanada unterstützt die Familie finanziell. Im Großen und Ganzen geht es der Familie gut.

1.1.5. Die BF1 bis BF5 haben Afghanistan frühestens im XXXX verlassen; danach wohnte die Familie mehrere Monate lang im Iran und in der Türkei. Diese stellten am XXXX in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz. Für die Schleppung, die vom BF1 finanziert wurde, wurden USD XXXX gezahlt. Für den in Österreich nachgeborenen BF6 wurde am XXXX ein Antrag auf internationalen Schutz gestellt.

1.1.6. In ihrem Herkunftsstaat sind die BF nicht vorbestraft, sie waren politisch nicht tätig und hatten keine Probleme mit den Behörden.

1.1.7. Die BF sind gesund.

1.1.8. Im Bundesgebiet verfügt der BF1 über eine Schwester und eine Tante väterlicherseits. Es besteht alle zwei Wochen telefonischer Kontakt zur Schwester. Gegenseitige Besuche sind aufgrund der weiten Wohndistanzen eher selten.

1.1.9. Die BF wohnen derzeit in einer Unterkunft in XXXX . Sie leben seit ihrer Ankunft in Österreich überwiegend aus Mitteln der Grundversorgung. Beginnend ab XXXX war der BF1 als Hausmeister in einem Altersheim für fünf Stunden pro Woche angestellt und verdiente pro Monat EUR XXXX ,00. Derzeit arbeitet er als Hausmeister in einem Gasthaus; nebenbei erlernt er das Kochen. Bei Asylerhalt wurde ihm eine 100%-Beschäftigung in Aussicht gestellt. Die BF2 hat für den Fall eines positiven Verfahrensausgangs ebenfalls eine Zusage erhalten, in einem Steakhouse als Küchenhilfe anfangen zu dürfen. Der BF1 übte seine Tätigkeiten stets zur Zufriedenheit seines Dienstgebers aus. Bekämen die BF einen Aufenthaltstitel, würde ein Unterstützer ihnen vorübergehend ein Quartier zur Verfügung stellen.

Der BF1 hat seit seiner Ankunft im Bundesgebiet mehrere Deutschkurse besucht und eine A2-Sprachprüfung absolviert. Dieser hat sich mehrfach für die Gemeinde ehrenamtlich betätigt (Rasenmähen) und spielt in seiner Freizeit Fuß- und Volleyball.

Die BF2 erhält regelmäßig ehrenamtlichen Deutschunterricht. Sie hat ebenfalls Deutschkurse absolviert und besuchte zusätzlich eine Frauengruppe in Deutsch. Sie geht in ihrer Freizeit spazieren und fährt mit dem Rad. Die BF2 nahm zweimal als Engel verkleidet an einem " XXXX " teil.

Für die Familie wurden mehrere Empfehlungsschreiben ausgestellt, die ihren Integrationswillen und ihre Bemühungen zur Teilhabe an der Gesellschaft unterstreichen. Dabei werden sie als aufgeschlossen, sehr nett und hilfsbereit beschrieben. Sie sind Mitglieder der " XXXX " und engagieren sich auch in der Pfarre XXXX , wobei ihnen hier ein respektvoller Umgang mit Andersgläubigen attestiert wird. Die BF2 und der BF1 besuchen Elternabende für ihre Kinder.

Hinsichtlich BF4 und BF5 wurde ausgeführt, dass diese im Kindergarten immer anwesend waren. Sie waren immer pünktlich und brachten alle erforderlichen Dinge (Turngewand, Hausschuhe, Geld, ...) mit. BF4 und BF5 haben sich gut in ihr soziales Umfeld im Kindergarten integriert. Die BF3, der BF4 sowie die BF5 besuchen nunmehr die Schule, der BF6 ist ein Kleinkind.

Die Familie hat mit mehreren österreichischen Freunden Kontakt, welche die Familie besuchen und die Kinder sowie die Eltern unterrichten. Die BF und diese Freunde gehen einander gegenseitig besuchen oder miteinander spazieren. Bei den Besuchen bei den BF wird gemeinsam gekocht, was die Freunde gerne haben.

Die Familie ist auch mit Afghanen befreundet, welche diese in der Unterkunft, in der die BF leben, kennengelernt haben. Sie besuchen einander gegenseitig zu verschiedenen Festen bzw. schiitisch-religiösen Festen, sie feiern die Geburtstage der Kinder zusammen und essen gemeinsam.

1.1.10. Die BF sind in Österreich nicht vorbestraft, sie waren nicht von einer gerichtlichen Untersuchung in Österreich betroffen und haben keine Verwaltungsstrafe begangen.

1.2. Gründe für das Verlassen des Herkunftsstaates/Nachfluchtgründe

1.2.1. Die BF2 und der BF1 sind nicht persönlich glaubwürdig. Der BF1 und seine Familie hatten im Herkunftsstaat keine Probleme mit den Taliban; auch nach der Ausreise der BF sind deren Familien nicht in den Fokus der Taliban geraten. Die von den BF geschilderten Vorfälle haben nicht stattgefunden: Der BF1 wurde nicht in seinem Computergeschäft unter Anbot eines Geldbetrages (USD XXXX ) und der Androhung des Todes zu einer Zusammenarbeit mit der regierungsfeindlichen Gruppierung angehalten. Dieser musste keinen präparierten Drucker/Kopierer zu einer NGO transportieren. Weder die Taliban noch sonst jemand bedrohte die BF zu irgendeinem Zeitpunkt zuhause und planten diese auch keine wie auch immer gearteten Übergriffe auf die BF. Weder der BF1, noch die übrigen Familienmitglieder wurden in Afghanistan von den Taliban oder sonst jemanden bedroht; eine solche Bedrohung stand nicht unmittelbar bevor und ist im Fall einer Rückkehr auch nicht zu befürchten.

Die BF hatten in Afghanistan auch sonst keine Probleme mit regierungsfeindlichen Gruppierungen, dem Staat oder Privaten. Insbesondere hatten sie in Afghanistan keine Probleme wegen ihrer Nationalität, Religion, Ethnie, politischen Überzeugung oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppierung und sind solche Probleme im Fall ihrer Rückkehr auch nicht speziell zu befürchten.

1.2.2. In Afghanistan war die BF2 Hausfrau. Diese hat in ihrem Herkunftsstaat bereits insofern "frei" gelebt, als sie weder von ihrer "liberalen" Familie noch von ihrem Mann Vorschriften erhalten hat und ihr volle Entscheidungsfreiheit zugestanden wurde: Die BF2 durfte sich kleiden, wie sie wollte (zumeist trug sie ein Kopftuch mit einer Hose und einer Bluse), arbeiten gehen, alleine das Haus verlassen, hat Geld zur freien Verfügung erhalten etc. Die BF2 hat in ihrer Wohngegend oder sonst wo noch nie Taliban gesehen. Einer Arbeit ist sie nicht nachgegangen. Grundsätzlich ist es Frauen in Kabul möglich, sich ohne männliche Begleitung und ohne Burka frei zu bewegen, sich zu bilden sowie einem Beruf nachzugehen. Die BF2 hätte damit bereits an ihrem Herkunftsort die genannten Freiheiten genießen können, ohne damit Verfolgung, Gefahr oder Bedrohung auf sich zu ziehen, auch wenn von Seiten der Gesellschaft womöglich Beschimpfungen und Belästigungen gegenüber selbstständigeren Frauen drohten. Diese Nachteile erreichen dabei kein identitäts- und integritätsbedrohendes oder unerträgliches Ausmaß.

In Österreich hat die BF2 etwas mehr Selbstständigkeit erlangt. Sie erledigt tägliche Wege (Einkaufen oder Deutschkurs) überwiegend alleine und hat soziale Kontakte. In ihrer Freizeit geht die BF2 spazieren und Rad fahren. Ihr Bewegungsradius ist bei all diesen Aktivitäten jedoch eher gering, auch weil sie ihre vier Kinder betreut.

Die BF2 möchte später als Friseurin oder Kellnerin arbeiten, hat sich mit den geäußerten Berufswünschen aber noch nicht näher auseinandergesetzt, obwohl sie eine Zusage für eine Teilzeitarbeit in einem Steakhaus hat. Mit der Aufnahme einer Arbeit will sie nämlich solange zuwarten, bis ihr kleinstes Kind nach seinem dritten Lebensjahr einen Kindergarten besucht (somit erst in gut zwei Jahren). Der BF1 würde seine Frau nach Möglichkeit in Afghanistan bei Bestrebungen, einen Beruf zu ergreifen und eine Ausbildung zu machen, weiterhin unterstützen und ihr keine Kleidervorschriften machen. Die BF2 hätte auch keine Repressalien seitens der dort ansässigen Familie zu befürchten, die sowohl auf Seite des BF1, als auch der BF2, "liberal" eingestellt ist.

Die BF2 spricht nur rudimentär Deutsch und kümmert sich auch in Österreich hauptsächlich um ihre Kinder und den Haushalt. Die Elternsprechtage für die Kinder besucht zumeist BF1.

Im Herkunftsstaat hat die BF2 ein Kopftuch getragen, in Österreich trägt sie inzwischen kein Kopftuch mehr und schminkt sich. Sie schätzt im Bundesgebiet vor allem die Sicherheit und die Bewegungsfreiheit.

Die Veränderung, die die BF2 in Österreich durchlaufen hat, ist - weil sie auch in der Herkunftsstadt schon überdurchschnittlich viele Freiheiten (insbesondere seitens ihrer "liberal" eingestellten Familie) genossen hat - nicht groß. Sie hat auch keine Lebensweise angenommen oder Werthaltung verinnerlicht, in der die Anerkennung, die Inanspruchnahme oder die Ausübung von Grundrechten in einer Weise zum Ausdruck kommt, wie sie in der Herkunftsstadt der BF2 nicht möglich wäre. Der BF2 droht bei Beibehaltung ihrer Interessen und ihres Lebensstils in Kabul keine lebensbedrohliche Gefahr oder integritätsgefährdende Bedrohung, auch wenn Teile der Gesellschaft, auch in den liberaleren Städten, selbstständigere und arbeitende Frauen diskriminieren oder auf sie herabblicken.

Bei BF3 bis BF6 konnte wegen ihres kindlichen Alters keine derart fortgeschrittene Persönlichkeitsentwicklung erkannt werden, dass die Verinnerlichung einer westlichen Lebensführung als wesentlicher Bestandteil ihrer Identität hätte angenommen werden können. Es handelt sich bei ihnen zudem um Kinder im anpassungsfähigen Alter.

1.2.3. Es konnte nicht festgestellt werden, dass die minderjährigen BF aufgrund persönlicher Eigenschaften, insbesondere ihrer Eigenschaft als Kinder, im Falle ihrer Rückkehr nach Afghanistan - konkret nach Kabul - eine speziell gegen sie gerichtete Bedrohung zu befürchten hätten. Die weiblichen BF laufen insbesondere nicht Gefahr, Opfer von (häuslicher) Gewalt, Bedrohung, Entführung, Elend oder einer Zwangsheirat zu werden.

Der BF1 und die BF2 umsorgen ihre Kinder liebevoll, legen großen Wert auf die Ausbildung ihrer Kinder und haben nicht vor, diese durch Zwang zu verheiraten sowie lassen diesen die Entscheidungsfreiheit über ihr Leben.

Im Herkunftsland besteht Schulpflicht und es ist auch ein reichhaltiges Schulangebot in Kabul vorhanden. Es gibt dort keine systematische Verweigerung von Bildung, auch wenn es vereinzelt zu Angriffen auf Schulen in Kabul kommt. BF1 hat sich vor der Ausreise schon mit der Überlegung auseinandergesetzt, seine Kinder Privatschulen besuchen zu lassen.

Es gibt in Kabul für die BF sanitäre und medizinische Versorgung sowie Unterkunft. Die BF3 bis BF6 würden im liebevollen Familienverband miteinander leben. Die Familie weist keine Merkmale auf, welche diese, insbesondere die BF3 bis BF6, der konkreten Möglichkeit einer Entführung oder einem erhöhten Risiko, Opfer einer Gewalttat oder sonst eines Schadens zu werden, aussetzen.

1.3. Situation im Herkunftsstaat

1.3.1. Integrierte Kurzinformationen

KI vom 4.6.2019, politische Ereignisse, zivile Opfer, Anschläge in Kabul, IOM (relevant für Abschnitt 3/Sicherheitslage; Abschnitt 2/Politische Lage; Abschnitt 23/Rückkehr)

Politische Ereignisse: Friedensgespräche, Loya Jirga, Ergebnisse Parlamentswahl Ende Mai 2019 fand in Moskau die zweite Runde der Friedensgespräche zwischen den Taliban und afghanischen Politikern (nicht der Regierung, Anm.) statt. Bei dem Treffen äußerte ein Mitglied der Taliban, Amir Khan Muttaqi, den Wunsch der Gruppierung nach Einheit der afghanischen Bevölkerung und nach einer "inklusiven" zukünftigen Regierung. Des Weiteren behauptete Muttaqi, die Taliban würden die Frauenrechte respektieren wollen. Ein ehemaliges Mitglied des afghanischen Parlaments, Fawzia Koofi, äußerte dennoch ihre Bedenken und behauptete, die Taliban hätten kein Interesse daran, Teil der aktuellen Regierung zu sein, und dass die Gruppierung weiterhin für ein islamisches Emirat stünde. (Tolonews 31.5.2019a).

Vom 29.4.2019 bis 3.5.2019 tagte in Kabul die "große Ratsversammlung" (Loya Jirga). Dabei verabschiedeten deren Mitglieder eine Resolution mit dem Ziel, einen Friedensschluss mit den Taliban zu erreichen und den inner-afghanischen Dialog zu fördern. Auch bot Präsident Ghani den Taliban einen Waffenstillstand während des Ramadan von 6.5.2019 bis 4.6.2019 an, betonte aber dennoch, dass dieser nicht einseitig sein würde. Des Weiteren sollten 175 gefangene Talibankämpfer freigelassen werden (BAMF 6.5.2019). Einer weiteren Quelle zufolge wurden die kritischen Äußerungen zahlreicher Jirga-Teilnehmer zu den nächtlichen Militäroperationen der USA nicht in den Endbericht aufgenommen, um die Beziehungen zwischen den beiden Staaten nicht zu gefährden. Die Taliban nahmen an dieser von der Regierung einberufenen Friedensveranstaltung nicht teil, was wahrscheinlich u.a. mit dem gescheiterten Dialogtreffen, das für Mitte April 2019 in Katar geplant war, zusammenhängt. Dort wäre die Regierung zum ersten Mal an den Friedensgesprächen mit den Taliban beteiligt gewesen. Nachdem erstere jedoch ihre Teilnahme an die Bedingung geknüpft hatte, 250 Repräsentanten nach Doha zu entsenden und die Taliban mit Spott darauf reagierten, nahm letztendlich kein Regierungsmitarbeiter an der Veranstaltung teil. So fanden Gespräche zwischen den Taliban und Exil-Afghanen statt, bei denen viele dieser das Verhalten der Regierung öffentlich kritisierten (Heise 16.5.2019).

Anfang Mai 2019 fand in Katar auch die sechste Gesprächsrunde zwischen den Taliban und den USA statt. Der Sprecher der Taliban in Doha, Mohammad Sohail Shaheen, betonte, dass weiterhin Hoffnung hinsichtlich der inner-afghanischen Gespräche bestünde. Auch konnten sich der Quellezufolge die Teilnehmer zwar bezüglich einiger Punkte einigen, dennoch müssten andere "wichtige Dinge" noch behandelt werden (Heise 16.5.2019).

Am 14.5.2019 hat die unabhängige Wahlkommission (Independent Electoral Commission, IEC) die Wahlergebnisse der Provinz Kabul für das afghanische Unterhaus (Wolesi Jirga) veröffentlicht (AAN 17.5.2019; vgl. IEC 14.5.2019, IEC 15.5.2019). Somit wurde nach fast sieben Monaten (die Parlamentswahlen fanden am 20.10.2018 und 21.10.2018 statt) die Stimmenauszählung für 33 der 34 Provinzen vervollständigt. In der Provinz Ghazni soll die Wahl zusammen mit den Präsidentschafts- und Provinzialratswahlen am 28.9.2019 stattfinden. In seiner Ansprache zur Angelobung der Parlamentsmitglieder der Provinzen Kabul und Paktya am 15.5.2019 bezeichnete Ghani die siebenmonatige Wahl als "Katastrophe" und die beiden Wahlkommissionen, die IEC und die Electoral Complaints Commission (ECC), als "ineffizient" (AAN 17.5.2019).

Zivile-Opfer, UNAMA-Bericht

Die United Nations Assistance Mission in Afghanistan (UNAMA) registrierte im ersten Quartal 2019 (1.1.2019 - 31.3.2019) 1.773 zivile Opfer (581 Tote und 1.192 Verletzte), darunter waren 582 der Opfer Kinder (150 Tote und 432 Verletzte). Dies entspricht einem Rückgang der gesamten Opferzahl um 23% gegenüber dem gleichen Zeitraum des Vorjahres, welches somit der niedrigste Wert für das erste Jahresquartal seit 2013 ist (UNAMA 24.4.2019).

Diese Verringerung wurde durch einen Rückgang der Zahl ziviler Opfer von Selbstmordanschlägen mit IED (Improvised Explosive Devices - unkonventionelle Spreng- und Brandvorrichtung/Sprengfallen) verursacht. Der Quelle zufolge könnten die besonders harten Winterverhältnisse in den ersten drei Monaten des Jahres 2019 zu diesem Trend beigetragen haben. Es ist unklar, ob der Rückgang der zivilen Opfer wegen Maßnahmen der Konfliktparteien zur Verbesserung des Schutzes der Zivilbevölkerung oder durch die laufenden Gespräche zwischen den Konfliktparteien beeinflusst wurde (UNAMA 24.4.2019).

Die Zahl der zivilen Opfer aufgrund von Nicht-Selbstmord-Anschlägen mit IEDs durch regierungsfeindliche Gruppierungen und Luft- sowie Suchoperationen durch regierungsfreundliche Gruppierungen ist gestiegen. Die Zahl der getöteten Zivilisten, die regierungsfreundlichen Gruppierungen zugeschrieben wurden, übertraf im ersten Quartal 2019 die zivilen Todesfälle, welche von regierungsfeindlichen Elementen verursacht wurden (UNAMA 24.4.2019).

Kampfhandlungen am Boden waren die Hauptursache ziviler Opfer und machten etwa ein Drittel der Gesamtzahl aus. Der Einsatz von IEDs war die zweithäufigste Ursache für zivile Opfer: Im Gegensatz zu den Trends von 2017 und 2018 wurde die Mehrheit der zivilen Opfer von IEDs nicht durch Selbstmordanschläge verursacht, sondern durch Angriffe, bei denen der Angreifer nicht seinen eigenen Tod herbeiführen wollte. Luftangriffe waren die Hauptursache für zivile Todesfälle und die dritthäufigste Ursache für zivile Opfer (Verletzte werden auch mitgezählt, Anm.), gefolgt von gezielten Morden und explosiven Kampfmittelrückständen (UXO - unexploded ordnance). Am stärksten betroffen waren Zivilisten in den Provinzen Kabul, Helmand, Nangarhar, Faryab und Kunduz (in dieser Reihenfolge) (UNAMA 24.4.2019).

Anschläge in Kabul-Stadt

Ende Mai 2019 fanden in Kabul-Stadt einige Anschläge und gezielte Tötungen in kurzen Abständen zu einander statt: Am 26.5.2019 wurde ein leitender Mitarbeiter einer NGO in Kart-e Naw (PD5, Police District 5) durch unbekannte bewaffnete Männer erschossen (Tolonews 27.5.2019a). Am 27.5.2019 wurden nach der Explosion einer Magnetbombe, die gegen einen Bus von Mitarbeitern des Ministeriums für Hadsch und religiöse Angelegenheiten gerichtet war, zehn Menschen verletzt. Die Explosion fand in Parwana-e Do (PD2) statt. Zum Vorfall hat sich keine Gruppierung bekannt (Tolonews 27.5.2019b).

Des Weiteren wurden im Laufe der letzten zwei Maiwochen vier Kontrollpunkte der afghanischen Sicherheitskräfte durch unbekannte bewaffnete Männer angegriffen (Tolonews 31.5.2019b). Am 30.5.2019 wurden in Folge eines Selbstmordangriffes nahe der Militärakademie Marshal Fahim im Stadtteil Char Rahi Qambar (PD5) sechs Personen getötet und 16 Personen, darunter vier Zivilisten, verletzt. Die Explosion erfolgte, während die Kadetten die Universität verließen (1 TV NEWS 30.5.2019). Der Islamische Staat (IS) bekannte sich zu dem Anschlag (AJ 30.5.2019). Am 31.5.2019 wurden sechs Personen, darunter vier Zivilisten, getötet und fünf Personen, darunter vier Mitglieder der US-Sicherheitskräfte, verletzt, nachdem ein mit Sprengstoff beladenes Auto in Qala-e Wazir (PD9) detonierte. Quellen zufolge war das ursprüngliche Ziel des Angriffs ein Konvoi ausländischer Sicherheitskräfte (Tolonews 31.5.2019c).

Am 2.6.2019 kam nach der Detonation von mehreren Bomben eine Person ums Leben und 17 weitere wurden verletzt. Die Angriffe fanden im Westen der Stadt statt, und einer davon wurde von einer Klebebombe, die an einem Bus befestigt war, verursacht. Einer Quelle zufolge transportierte der Bus Studenten der Kabul Polytechnic University (TW 2.6.2019). Der IS bekannte sich zu den

Anschlägen und beanspruchte den Tod von "mehr als 30 Schiiten und Mitgliedern der afghanischen Sicherheitskräfte" für sich. Die Operation erfolgte in zwei Phasen: Zuerst wurde ein Bus, der 25 Schiiten transportierte, angegriffen, und darauf folgend detonierten zwei weitere Bomben, als sich "Sicherheitselemente" um den Bus herum versammelten. Vertreter des IS haben u.a. in Afghanistan bewusst und wiederholt schiitische Zivilisten ins Visier genommen und sie als "Polytheisten" bezeichnet. (LWJ 2.6.2019).

Am 3.6.2019 kamen nach einer Explosion auf der Darul Aman Road in der Nähe der American University of Afghanistan fünf Menschen ums Leben und zehn weitere wurden verletzt. Der Anschlag richtete sich gegen einen Bus mit Mitarbeitern der Independent Administrative Reform and Civil Service Commission (Tolonews 3.6.2019)

US-Angaben zufolge ist die Zahl der IS-Anhänger in Afghanistan auf ca. 5.000 gestiegen, fünfmal so viel wie vor einem Jahr. Gemäß einer Quelle profitiert die Gruppierung vom "zahlenmäßigen Anstieg der Kämpfer in Pakistan und Usbekistan und von aus Syrien geflohenen Kämpfern". Des Weiteren schließen sich enttäuschte Mitglieder der Taliban sowie junge Menschen ohne Zukunftsperspektive dem IS an, der in Kabul, Nangarhar und Kunar über Zellen verfügt (BAMF 3.6.2019). US-Angaben zufolge ist es "sehr wahrscheinlich", dass kleinere IS-Zellen auch in Teilen Afghanistans operieren, die unter der Kontrolle der Regierung oder der Taliban stehen (VOA 21.5.2019). Eine russische Quelle berichtet wiederum, dass ca. 5.000 IS-Kämpfer entlang der Nordgrenze tätig sind und die Nachbarländer bedrohen. Der Quelle zufolge handelt es sich dabei um Staatsbürger der ehemaligen sowjetischen Republiken, die mit dem IS in Syrien gekämpft haben (Newsweek 21.5.2019).

Rückkehr

Die International Organization for Migration (IOM) gewährt seit April 2019 keine temporäre Unterkunft für zwangsrückgeführte Afghanen mehr. Diese erhalten eine Barzuwendung von ca. 150 Euro sowie Informationen über mögliche Unterkunftsmöglichkeiten. Gemäß dem Europäischen Auswärtigen Amt (EAD) nutzten nur wenige Rückkehrer die Unterbringungsmöglichkeiten von IOM (BAMF 20.5.2019).

KI vom 1.3.2019 (relevant für Abschnitt 3/Sicherheitslage)

Die Sicherheitslage in Afghanistan bleibt volatil. Die Vereinten Nationen (UN) registrierten im Berichtszeitraum 16.8.2018 - 15.11.2018 5.854 sicherheitsrelevante Vorfälle, was einen Rückgang von 2% gegenüber dem Vergleichszeitraum des Vorjahres bedeutet. Bewaffnete Zusammenstöße gingen um 5% zurück, machten aber weiterhin den Großteil der sicherheitsrelevanten Vorfälle (63%) aus. Selbstmordanschläge gingen um 37% zurück, was möglicherweise an erfolgreichen Bekämpfungsmaßnahmen in Kabul-Stadt und Jalalabad liegt. Luftangriffe durch die afghanische Luftwaffe (AAF) sowie internationale Streitkräfte stiegen um 25%. Die am stärksten betroffenen Regionen waren der Süden, der Osten und der Süd-Osten. In der Provinz Kandahar entstand die Befürchtung, die Sicherheitsbedingungen könnten sich verschlechtern, nachdem der Polizeichef der Provinz und der Leiter des National Directorate for Security (NDS) im Oktober 2018 ermordet worden waren (UNGASC 7.12.2018). Gemäß dem Special Inspector General for Afghanistan Reconstruction (SIGAR) fanden bis Oktober 2018 die meisten Angriffe regierungsfeindlicher Gruppierungen in den Provinzen Badghis, Farah, Faryab, Ghazni, Helmand, Kandahar, Uruzgan und Herat statt. Von Oktober bis Dezember 2018 verzeichneten Farah, Helmand und Faryab die höchste Anzahl regierungsfeindlicher Angriffe (SIGAR 30.1.2019).

Nach dem Taliban-Angriff auf Ghazni-Stadt im August 2018, bestand weiterhin die Befürchtung, dass die Taliban großangelegte Angriffe im Südosten des Landes verüben könnten. Dies war zwar nicht der Fall, dennoch setzten Talibankämpfer die afghanischen Sicherheitskräfte am Stadtrand von Ghazni, in Distrikten entlang des Highway One nach Kabul und durch die Einnahme des Distrikts Andar in Ghazni im Oktober weiterhin unter Druck. Im Westen der Provinz Ghazni, wo die ethnische Gruppierung der Hazara eine Mehrheit bildet, verschlechterten sich die Sicherheitsbedingungen wegen großangelegter Angriffe der Taliban, was im November zur Vertreibung zahlreicher Personen führte.

In Folge eines weiteren Angriffs der Taliban im Distrikt Khas Uruzgan der Provinz Uruzgan im selben Monat wurden ebenfalls zahlreiche Hazara-Familien vertrieben. Des Weiteren nahmen Talibankämpfer in verschiedenen Regionen vorübergehend strategische Positionen entlang der Hauptstraßen ein und behinderten somit die Bewegungsfreiheit zwischen den betroffenen Provinzen. Beispiele dafür sind Angriffe entlang Hauptstraßen nach Kabul in den Distrikten Daymirdad und Sayyidabad in Wardak, der Route Mazar - Shirbingham und Maimana - Andkhoy in den nördlichen Provinzen Faryab, Jawzjan und Balkh und der Route Herat - Qala-e-Naw im westlichen Herat und Badghis (UNGASC 7.12.2018). Trotz verschiedener Kampfhandlungen und Bedrohungen blieben mit Stand Dezember 2018 gemäß SIGAR die Provinzzentren aller afghanischen Provinzen unter Kontrolle bzw. Einfluss der afghanischen Regierung (SIGAR 30.1.2019).

Im Laufe des Wahlregistrierungsprozesses und während der Wahl am 20. und am 21. Oktober wurden zahlreiche sicherheitsrelevante Vorfälle registriert, welche durch die Taliban und den Islamischen Staat - Provinz Khorasan (ISKP) beansprucht wurden (UNGASC 7.12.2018; vgl. UNAMA 10.10.2018, UNAMA 11.2018). Während der Wahl in der Provinz Kandahar, die wegen Sicherheitsbedenken auf den 27. Oktober verschoben worden war, wurden keine sicherheitsrelevanten Vorfälle registriert. Die afghanischen Sicherheitskräfte entdeckten und entschärften einige IED [Improvised Explosive Devices - Improvisierte Spreng- oder Brandvorrichtung/Sprengfallen] in Kandahar-Stadt und den naheliegenden Distrikten (UNAMA 11.2018). Die United Nations Assistance Mission in Afghanistan (UNAMA) hatte zwischen 1.1.2018 und 30.9.2018 im Zusammenhang mit den Parlamentswahlen insgesamt 366 zivile Opfer (126 Tote und 240 Verletzte) registriert (UNAMA 10.10.2018). Am offiziellen Wahltag, dem 20. Oktober, wurden 388 zivile Opfer (52 Tote und 336 Verletzte) registriert, darunter 117 Kinder (21 Tote und 96 Verletzte) und 48 Frauen (2 Tote und 46 Verletzte). Am folgenden Wahltag, dem 21. Oktober, wurden 47 weitere zivile Opfer (4 Tote und 43 Verletzte) verzeichnet, inklusive 17 Kinder (2 Tote und 15 Verletzte) und Frauen (3 Verletzte). Diese Zahlen beinhalten auch Opfer innerhalb der Afghan National Police (ANP) und der Independet Electoral Commission (IEC) (UNAMA 11.2018). Die am 20. Oktober am meisten von sicherheitsrelevanten Vorfällen betroffenen Städte waren Kunduz und Kabul. Auch wenn die Taliban in den von ihnen kontrollierten oder beeinflussten Regionen die Wählerschaft daran hinderten, am Wahlprozess teilzunehmen, konnten sie die Wahl in städtischen Gebieten dennoch nicht wesentlich beeinträchtigen (trotz der hohen Anzahl von Sicherheitsvorfällen) (UNGASC 7.12.2018).

Die Regierung kontrolliert bzw. beeinflusst - laut Angaben der Resolute Support (RS) Mission - mit Stand 22.10.2018 53,8% der Distrikte, was einen leichten Rückgang gegenüber dem Vergleichszeitraum 2017 bedeutet. 33,9% der Distrikte sind umkämpft und 12,3% befinden sich unter Einfluss oder Kontrolle von Aufständischen. Ca. 63,5% der Bevölkerung leben in Gebieten, die sich unter Regierungskontrolle oder -einfluss befinden; 10,8% in Gegenden unter Einfluss bzw. Kontrolle der Aufständischen und 25,6% leben in umkämpften Gebieten. Die Provinzen mit der höchsten Anzahl an Distrikten unter Kontrolle bzw. Einfluss von Aufständischen sind Kunduz, Uruzgan und Helmand (SIGAR 30.1.2019).

Der ISKP ist weiterhin im Osten des Landes präsent und bekennt sich zu Selbstmordanschlägen und komplexen Angriffen in Nangarhar und zu sechs Angriffen in Kabul-Stadt. Des Weiteren finden in den Provinzen Nangarhar und Kunar weiterhin Kämpfe zwischen ISKP- und Talibankämpfern statt. Die internationalen Streitkräfte führten Luftangriffe gegen den ISKP in den Distrikten Deh Bala, Achin, Khogyani, Nazyan und Chaparhar der Provinz Nangarhar aus (UNGASC 7.12.2018).

KI vom 31.1.2019, Friedensgespräche zwischen den USA und den Taliban (relevant für Abschnitt 2/Politische Lage und Abschnitt 3/Sicherheitslage)

Am Samstag dem 26.1.2019 endete die sechstägige Friedensgesprächsrunde in Doha, Katar, zwischen dem U.S.-Chefunterhändler Zalmay Khalilzad und den Taliban-Vertretern (DP 28.1.2019; vgl. NYT 28.1.2019, CNN 27.1.2019, Tolonews 28.1.2019). Quellen zufolge wurde ein erster Vertragsentwurf ausgehandelt, wonach sich die Taliban dazu verpflichten würden, ausländische Terrororganisationen von Afghanistan fernzuhalten, und die USA würden im Gegenzug dazu ihren Truppenabzug aus Afghanistan innerhalb von 18 Monaten garantieren. Dieser sei jedoch an weitere Bedingungen gebunden, die noch genau besprochen werden müssen, wie die Ausrufung eines Waffenstillstands zwischen den Taliban und der afghanischen Regierung sowie die Forderung von direkten Gesprächen zwischen diesen beiden Akteuren (NYT 28.1.2019; vgl. DP 28.1.2019, FP 29.1.2019). Inoffiziellen Quellen zufolge wurde bei den Gesprächen u.a. die Schaffung einer Interimsregierung, in der auch die Taliban vertreten sein sollen, angedacht, was jedoch von Khalilzad dementiert wurde (NYT 28.1.2019; vgl. DP 28.1.2019). Die nächste Friedensgesprächsrunde wird voraussichtlich Ende Februar 2019 stattfinden (NYT 28.1.2019; vgl. FP 29.1.2019). Der afghanische Präsident Ashraf Ghani äußerte während einer Fernsehansprache am 28.1.2019 sein Unbehagen bzgl. eines voreiligen Abzugs der U.S.-Truppen aus Afghanistan und erinnerte an die dramatischen Auswirkungen des sowjetischen Abzuges Ende der 1980er Jahre, dem Anarchie und die Ermordung des ehemaligen Präsidenten Mohammad Najibullah folgten (NYT 28.1.2019). Ghani, der die Taliban mehrmals dazu aufgefordert hatte, direkt mit seiner Regierung zu verhandeln, zeigte sich des Weiteren über den Ausschluss der afghanischen Regierung aus den Friedensgesprächen besorgt (NYT 28.1.2019; vgl. DP 28.1.2019, IM 28.01.2019). Während sich einige Quellen hinsichtlich gründlicher Friedensgespräche und eines effizient ausgehandelten Abkommens optimistisch zeigen (Internazionale 30.1.2019; vgl. WP 30.1.2019), fürchten andere, dass ein Abzug der amerikanischen Truppen den Zusammenbruch der afghanischen Regierung wegen der Taliban und vorhersehbarer Machtkämpfe zwischen den verschiedenen lokalen Akteuren zur Folge haben könnte (DP 28.1.2019; vgl. FP 29.1.2019).

KI vom 22.1.2019, Anschlag auf Ausbildungszentrum des National Directorate of Security (NDS) in der Provinz Wardak und weitere (relevant für Abschnitt 2/Politische Lage und Abschnitt 3/Sicherheitslage)

Bei einem Anschlag auf einen Stützpunk des afghanischen Sicherheitsdienstes (NDS, National Directorate of Security) in der zentralen Provinz Wardak (auch Maidan Wardak) kamen am 21.1.2019 zwischen zwölf und 126 NDS-Mitarbeiter ums Leben (TG 21.1.2019; vgl. IM 22.1.2019). Quellen zufolge begann der Angriff am Montagmorgen, als ein Humvee-Fahrzeug der U.S.- amerikanischen Streitkräfte in den Militärstützpunkt gefahren und in die Luft gesprengt wurde. Daraufhin eröffneten Angreifer das Feuer und wurden in der Folge von den Sicherheitskräften getötet (TG 21.1.2019; vgl. NYT 21.1.2019). Die Taliban bekannten sich zum Anschlag, der, Quellen zufolge, einer der tödlichsten Angriffe auf den afghanischen Geheimdienst der letzten 17 Jahre war (NYT 21.1.2019; IM 22.1.2019). Am selben Tag verkündeten die Taliban die Wiederaufnahme der Friedensgespräche mit den U.S.-amerikanischen Vertretern in Doha, Qatar (NYT 21.1.2019; vgl. IM 22.1.2019, Tolonews 21.1.2019).

Am Vortag, dem 20.1.2019, war der Konvoi des Provinzgouverneurs der Provinz Logar, Shahpoor Ahmadzai, auf dem Autobahnabschnitt zwischen Kabul und Logar durch eine Autobombe der Taliban angegriffen worden. Die Explosion verfehlte die hochrangigen Beamten, tötete jedoch acht afghanische Sicherheitskräfte und verletzte zehn weitere (AJ 20.1.2019; vgl. IM 22.1.2019).

Des Weiteren detonierte am 14.1.2019 vor dem gesicherten Green Village in Kabul, wo zahlreiche internationale Organisationen und NGOs angesiedelt sind, eine Autobombe (Reuters 15.1.2019). Quellen zufolge starben bei dem Anschlag fünf Menschen und über 100, darunter auch Zivilisten, wurden verletzt (TG 21.1.2019; vgl. Reuters 15.1.2019, RFE/RL 14.1.2019). Auch zu diesem Anschlag bekannten sich die Taliban (TN 15.1.2019; vgl. Reuters 15.1.2019).

KI vom 8.1.2019, Anschlag in Kabul und Verschiebung der Präsidentschaftswahl (relevant für Abschnitt 2/Politische Lage und Abschnitt 3/Sicherheitslage)

Anschlag auf Regierungsgebäude in Kabul

Am 24.12.2018 detonierte vor dem Ministerium für öffentliches Bauwesen im Osten Kabuls (PD 16) eine Autobombe; daraufhin stürmten Angreifer das nahe gelegene Gebäude des Ministeriums für Arbeit, Soziales, Märtyrer und Behinderte und beschossen weitere Regierungseinrichtungen in der Umgebung (ORF 24.12.2018; vgl. ZO 24.12.2018, Tolonews 25.12.2018). Nach einem mehrstündigen Gefecht zwischen den afghanischen Sicherheitskräften und den Angreifern konnten diese besiegt werden. Quellen zufolge kamen ca. 43 Menschen ums Leben (AJ 25.12.2018; vgl. Tolonews 25.12.2018, NYT 24.12.2018). Bisher bekannte sich keine Gruppierung zum Anschlag (Tolonews 25.12.2018; vgl. AJ 25.12.2018).

Problematische Stimmenauszählung nach Parlamentswahlen und Verschiebung der Präsidentschaftswahl

Am 6.12.2018 erklärte die afghanische Wahlbeschwerdekommission (IECC) alle in der Provinz Kabul abgegebenen Stimmen für ungültig (RFE/RL 6.12.2018). Somit wurden die Stimmen von ungefähr einer Million Kabulis annulliert (Telepolis 15.12.2018; vgl. TAZ 6.12.2018). Die Gründe für die Entscheidung der IECC seien mehrere, darunter Korruption, Wahlfälschung und die mangelhafte Durchführung der Wahl durch die Unabhängige Wahlkommission (IEC) (Telepolis 15.12.2018; vgl. RFE/RL 6.12.2018). Die Entscheidung wurde von der IEC als "politisch motiviert" und "illegal" bezeichnet (Tolonews 12.12.2018). Am 8.12.2018 erklärte die IECC dennoch, die Kommission würde ihre Entscheidung revidieren, wenn sich die IEC kooperationswillig zeige (Tolonews 8.12.2018). Einer Quelle zufolge einigten sich am 12.12.2018 die beiden Wahlkommissionen auf eine neue Methode zur Zählung der abgegebenen Stimmen, welche die Transparenz und Glaubhaftigkeit dieser wahren sollte; ca. 10% der Stimmen in Kabul sollen durch diese neue Methode nochmals gezählt werden (Tolonews 12.12.2018). Die Überprüfung der Wahlstimmen in der Provinz Kabul ist weiterhin im Gange (Tolonews 7.1.2019). Dem Gesetz zufolge müssen im Falle der Annullierung der Stimmen innerhalb von einer Woche Neuwahlen stattfinden, was jedoch unrealistisch zu sein scheint (Telepolis 15.12.2018). Bisher hat die IEC die vorläufigen Ergebnisse der Wahl für 32 Provinzen veröffentlicht (IEC o.D.).

Am 30.12.2018 wurde die Verschiebung der Präsidentschaftswahl vom 20.4.2019 auf den 20.7.2019 verkündet. Als Gründe dafür werden u.a. die zahlreichen Probleme während und nach den Parlamentswahlen im Oktober genannt (WP 30.12.2018; vgl. AJ 30.12.2018, Reuters 30.12.2018).

KI vom 23.11.2018, Anschläge in Kabul (relevant für Abschnitt 3/Sicherheitslage)

Bei einem Selbstmordanschlag in Kabul-Stadt kamen am 20.11.2018 ca. 55 Menschen ums Leben und ca. 94 weitere wurden verletzt (AJ 21.11.2018; vgl. NYT 20.11.2018, TS 21.11.2018, LE 21.08.2018). Der Anschlag fand in der Hochzeitshalle "Uranus" statt, wo sich Islamgelehrte aus ganz Afghanistan anlässlich des Nationalfeiertages zu Maulid an-Nabi, dem Geburtstag des Propheten Mohammed, versammelt hatten (AJ 21.11.2018; vgl. TS 21.11.2018, TNAE 21.11.2018, IFQ 20.11.2018, Tolonews 20.11.2018). Quellen zufolge befanden sich zum Zeitpunkt der Explosion zwischen 1.000 und 2.000 Personen, darunter hauptsächlich Islamgelehrte und Mitglieder des Ulemarates, aber auch Mitglieder der afghanischen Sufi-Gemeinschaft und andere Zivilisten, in der Hochzeitshalle (AJ 21.11.2018; vgl. LE 21.11.2018, NYT 20.11.2018, DZ 20.11.2018, IFQ 20.11.2018). Gemäß einer Quelle fand die Detonation im ersten Stock der Hochzeitshalle statt, wo sich zahlreiche Geistliche der afghanischen Sufi-Gemeinschaft versammelt hatten. Es ist nicht klar, ob das Ziel des Anschlags das Treffen der sufistischen Gemeinschaft oder das im Erdgeschoss stattfindende Treffen der Ulema und anderer Islamgelehrten war (LE 21.11.2018; vgl. TNAE 21.11.2018). Weder die Taliban, noch der Islamische Staat (IS) bekannten sich zum Angriff, der dennoch von den Taliban offiziell verurteilt wurde (LE 21.11.2018; vgl. AJ 21.11.2018, IFQ 20.11.2018).

Am 12.11.2018 kamen bei einem Selbstmordanschlag in Kabul-Stadt ca. sechs Personen ums Leben und 20 weitere wurden verletzt (Tolonews 12.11.2018; vgl. DZ 12.11.2018, ANSA 12.11.2018). Anlass dafür war eine Demonstration in der Nähe des "Pashtunistan Square" im Stadtzentrum, an der hunderte von Besuchern, darunter hauptsächlich Mitglieder und Unterstützer der Hazara-Gemeinschaft, teilnahmen, um gegen die während des Berichtszeitraums anhaltenden Kämpfe in den Provinzen Ghazni und Uruzgan zu demonstrieren (Tolonews 12.11.2018; vgl. DZ 12.11.2018, KP 12.11.2018). Der IS bekannte sich zum Anschlag (DZ 12.11.2018; vgl. AJ 12.11.2018). Bei einem Selbstmordanschlag in Kabul-Stadt kamen am 31.10.2018 ca. sieben Personen ums Leben und weitere acht wurden verletzt (Dawn 1.11.20181; vgl. 1TV 31.10.2018, Pajhwok 31.10.2018). Unter den Opfern befanden sich auch Zivilisten (Pajhwok 31.10.2018; vgl. 1TV 31.10.2018). Die Explosion fand in der Nähe des Kabuler Gefängnisses Pul-i-Charkhi statt und hatte dessen Mitarbeiter zum Ziel (Dawn 1.11.2018; vgl. 1TV 31.10.2018, Pajhwok 31.10.2018). Der IS bekannte sich zum Anschlag (Dawn 1.11.2018, vgl. 1TV 31.10.2018).

KI vom 29.10.2018, Parlamentswahlen und UNAMA-Update zu zivilen Opfern (relevant für Abschnitt 3/Sicherheitslage und Abschnitt 2/Politische Lage)

Am 20. und am 21.10.2018 fand in Afghanistan die Wahl für das Unterhaus (Wolesi Jirga, Anm.) in 32 der 34 Provinzen statt (AAN 21.10.2018b; vgl. LS 21.10.2018). In der Provinz Ghazni wurde die Parlamentswahl verschoben, voraussichtlich auf den 20.4.2019, wenn u. a. auch die Präsidentschafts- und Distriktwahlen stattfinden sollen (siehe hierzu KI der Staatendokumentation vom 19.10.2018). In der Provinz Kandahar fand die Wahl am 27.10.2018 mit Ausnahme der Distrikte Nesh und Maruf statt (AAN 26.10.2018; vgl. CNN 27.10.2018). Grund für die Verzögerung war die Ermordung u.a. des lokalen Polizeichefs General Abdul Raziq am 18.10.2018 (AJ 19.10.2018; vgl. LS 21.10.2018). Während der Wahl in der Provinz Kandahar wurden keine sicherheitsrelevanten Vorfälle gemeldet (CNN 27.10.2018). Die Wahl, die für den 20.10.2018 geplant war, wurde um einen Tag verlängert, weil die Wähler aus sicherheits- und technischen Gründen in zahlreichen Provinzen nicht wählen konnten:

Lange Wartezeiten vor den Wahllokalen sowie verspätete Öffnungszeiten, Mangel an Wahlunterlagen, Probleme bei der biometrischen Verifizierung der Wähler, sicherheitsrelevante Vorfälle usw. waren die Hauptprobleme während der beiden Wahltage (AAN 20.10.2018; vgl. AAN 21.10.2018a). Von den ca. neun Millionen Afghanen und Afghaninnen, die sich für die Wahl registriert hatten, wählten laut Schätzungen der Independent Election Commission (IEC) zwischen drei und vier Millionen (CNN 27.10.2018; vgl. RN 21.10.2018, AAN 21.10.2018b). In den Städten und Gebieten, die als sicherer gelten, war der Wahlandrang höher als in den ländlichen Gegenden, in denen die Taliban Einfluss ausüben (AAN 20.10.2018; vgl. RN 21.10.2018, AAN 21.10.2018a).

Während der beiden Wahltage fanden Quellen zufolge landesweit ca. 200 sicherheitsrelevante Vorfälle statt und ca. 170 Zivilsten kamen während des ersten Wahltages ums Leben bzw. wurden verwundet: In Kabul wurden 15 Tote, in Baghlan 12, in Nangarhar 11 und in Kunduz 3 Tote verzeichnet. Auch Mitglieder der afghanischen Sicherheitskräfte befanden sich unter den Opfern (vgl. AAN 21.10.2018a, RN 21.10.2018, AFP 20.10.2018). Die United Nations Assistance Mission in Afghanistan (UNAMA) registrierte zwischen 1.1.2018 und 30.9.2018 im Zusammenhang mit den Parlamentswahlen insgesamt 366 zivile Opfer (126 Tote und 240 Verletzte) (UNAMA 10.10.2018).

Zivile Opfer

Insgesamt wurden im selben Berichtszeitraum 8.050 zivile Opfer (2.798 Tote und 5.252 Verletzte) verzeichnet. Die meisten zivilen Opfer wurden durch Selbstmord- und Nicht-Selbstmord-IED [Improvisierte Spreng- oder Brandvorrichtung/Sprengfallen, Anm.] regierungsfeindlicher Gruppierungen verursacht. Zusammenstöße am Boden, gezielte Tötungen, Luftangriffe und explosive Kampfmittelrückstände waren weitere Ursachen für zivile Opfer (UNAMA 10.10.2018).

Zivilisten in den Provinzen Nangarhar, Kabul, Helmand, Ghazni und Faryab waren am stärksten betroffen. In Nangarhar wurde bis 30.9.2018 die höchste Zahl an zivilen Opfern (1.494) registriert:

davon 554 Tote und 940 Verletzte (UNAMA 10.10.2018). Regierungsfeindliche Gruppierungen verursachten 65% der zivilen Opfer (5.243): davon 1.743 Tote und 3.500 Verletze. 35% der Opfer wurden den Taliban, 25% dem Islamic State Khorasan Province (ISKP) und 5% unidentifizierten regierungsfeindlichen Gruppierungen zugeschrieben (darunter 1% selbsternannten Mitgliedern des ISKP) (UNAMA 10.10.2018). Regierungsfreundliche Gruppierungen waren für

1.753 (761 Tote und 992 Verletzte) zivile Opfer verantwortlich: 16% wurden durch die afghanischen, 5% durch die internationalen Sicherheitskräfte und 1% durch regierungsfreundliche bewaffnete Gruppierungen verursacht (UNAMA 10.10.2018).

KI vom 19.10.2018, Aktualisierung: Sicherheitslage in Afghanistan - Q3.2018 (relevant für Abschnitt 3/Sicherheitslage)

Allgemeine Sicherheitslage und sicherheitsrelevante Vor

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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