TE Bvwg Erkenntnis 2019/8/8 W136 2198763-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 08.08.2019
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Entscheidungsdatum

08.08.2019

Norm

AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §3 Abs4
AsylG 2005 §3 Abs5
AsylG 2005 §34 Abs2
B-VG Art. 133 Abs4
VwGVG §28 Abs2

Spruch

W136 2198752-1/9E

W136 2198764-1/9E

W136 2198763-1/7E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch die Richterin Mag. Brigitte HABERMAYER-BINDER über die Beschwerde von 1. XXXX , geboren am XXXX , 2. XXXX , geboren am XXXX und 3. XXXX , geboren am XXXX , alle Staatsangehörige Afghanistans, gegen die Bescheide des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 28.05.2018, Zlen. 1. 1099948407-152042993, 2. 1099949502-152043221 und 3. 1151871604-170559994, nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 12.06.2019 zu Recht:

A)

Den Beschwerden wird gemäß § 28 Abs. 2 VwGVG stattgegeben und 1.) dem XXXX gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005, 2.) der XXXX und 3.) dem mj. XXXX , gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 34 Abs. 2 AsylG 2005 der Status von Asylberechtigten zuerkannt.

Gemäß § 3 Abs. 5 AsylG 2005 wird festgestellt, dass 1.) dem XXXX ,

2.) der XXXX und 3.) dem mj. XXXX , damit kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukommt.

B)

Die Revision ist gemäß Art 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang

1. Der Erst- und die Zweitbeschwerdeführerin, beide afghanische Staatsangehörige, reisten schlepperunterstützt in die Republik Österreich ein und stellten am 22.12.2015 gegenständliche Anträge auf internationalen Schutz.

Bei der am selben Tag durchgeführten Erstbefragung gab der Erstbeschwerdeführer zu seinen Ausreisegründen im Wesentlichen an, dass er bei der im Auftrag der Regierung durchgeführten Besichtigung und Vermessung des XXXX im Distrikt Paghman festgestellt habe, dass ein Großteil des dazugehörigen im Regierungseigentum befindlichen Grundes (360 Jarib) bereits mit Geschäften und Häusern bebaut gewesen sei. Nach Aussagen von ansässigen Geschäftsleuten seien die Bauten von einem gewissen XXXX , dem Neffen des berüchtigten und mächtigen Mujaheddin XXXX errichtet worden. Als er die Angelegenheit gemeldet habe, sei er in den folgenden Monaten mehrmals telefonisch bedroht worden. Anhänger von XXXX hätten ihn angewiesen, die Berichte nicht weiterzuleiten, wenn er weiterleben möchte. Da er diese aber bereits weitergeleitet gehabt hätte, habe er der Drohung nicht mehr nachgeben können. Als dessen Anhänger vor rund drei Monaten auch zu ihm nach Hause gekommen seien, habe er noch übers Dach fliehen können. Er sei sich sicher, dass sie ihn umgebracht hätten. Bei einer Rückkehr fürchte er, umgebracht zu werden. Die Zweitbeschwerdeführerin gab zu ihren Fluchtgründen zusammenfassend an, dass ihr Ehegatte für die Regierung als Ingenieur gearbeitet habe und dass Regierungsgegner (Taliban oder IS) verlangt hätten, dass er entweder für sie spioniert oder seinen Job aufgibt. Außerdem habe ihr Mann Zugang zu Regierungsgebäuden gehabt und hätten sie gewollt, dass er dort irgendetwas macht. Eines Abends seien dann Männer zu ihnen nach Hause gekommen und hätten das Haus nach ihrem Mann durchsucht. Sie wisse nicht, was diese Männer gewollt hätten. Die Männer ihrer Familie hätten glücklicherweise zuvor flüchten können. Bei einer Rückkehr fürchte sie, dass ihr Mann umgebracht wird.

Der Drittbeschwerdeführer wurde am XXXX in Österreich geboren.

2. Am 23.04.2018 wurden der Erst- und die Zweitbeschwerdeführerin vom Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl im Beisein eines Dolmetschers für die Sprache Dari niederschriftlich einvernommen.

Der Erstbeschwerdeführer gab zu seinen Fluchtgründen befragt, ergänzend zu seinen Angaben vor dem Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes an, dass sie am Ende ihrer zweimonatigen Arbeit festgestellt hätten, dass 180 Jerib des 540 Jerib großen (staatlichen) Grundstücks vom Kommandanten XXXX und älteren Personen beansprucht worden seien. Als der Kommandant von seinem Bericht an die Regierung erfahren habe, habe dieser ihn persönlich angerufen und mit dem Tod bedroht. Er hätte kooperieren und den Bericht widerrufen bzw. der Regierung mitteilen sollen, dass sie sich mit den Berechnungen geirrt hätten. XXXX habe sie als ganz kleine Menschen bezeichnet und erklärt, dass er durch ihren Bericht Millionen von Dollar verlieren würde. XXXX sei ein Sohn des Bruders des Jihadi-Führers. Er sei auch von dessen Leuten angerufen worden. Er sei öfters zur zuständigen Polizeistation gegangen und habe die Beamten über die Todesdrohungen informiert. Es sei aber nichts unternommen worden bzw. seine Anzeigen seien verschwunden. Er vermute, dass die mafiöse Organisation rund um XXXX über die Anzeigen informiert gewesen sei. Daraufhin habe er ein Schreiben an die Präsidialverwaltung geschickt, welche dieses an die Sicherheitspolizei von Kabul übermittelt habe. Diese habe dann die Polizeiinspektion seines Bezirks aufgefordert, für seine Sicherheit zu sorgen. Die wiederum rund ein Monat später erwidert habe, dass der Beschwerdeführer vom Kommandant XXXX bedroht würde, gegen den sie nichts unternehmen könnten. Anschließend habe er seinen Chef über die Angelegenheit informiert, der vor dem Hintergrund der Übernahme der Regierungsgeschäfte durch Ashraf Gani gemeint habe, dass sie mit dieser Person noch etwas spielen könnten. Gani habe bekanntlich viel von der Vernichtung der Mafia gesprochen. Die neue Regierung sei aber noch korrupter gewesen. Als seine Dokumente dann an die Medien gelangt seien, sei das Verhalten von XXXX noch aggressiver geworden. XXXX habe ihm telefonisch mitgeteilt, dass er noch mehr Geld verloren habe und dass der Beschwerdeführer eine Weile mit ihm gespielt habe. Es würde aber nur eine Lösung geben, nämlich ihn zu vernichten. Am XXXX sei schließlich ihr Haus um neun Uhr abends attackiert worden. Er und zwei seiner Brüder seien dabei über die Dächer zum Haus seines Onkels mütterlicherseits geflüchtet. Die Angreifer hätten seinen Vater schwer verletzt und das Haus nach ihm durchsucht. Die Zweitbeschwerdeführerin gab im Wesentlichen dieselbe Fluchtgeschichte wieder. Ergänzend teilte sie mit, dass insgesamt vier Bewaffnete gekommen seien, um ihren Mann zu töten. Es sei neun Uhr abends und für einen unangemeldeten Besuch eher unüblich gewesen. Auch sei bereits ein anderer Ingenieur getötet worden. Die Männer hätten es sehr eilig gehabt, nach ihrem Ehegatten gefragt und die Zimmer durchsucht.

3. Mit den nunmehr angefochtenen Bescheiden wurde der Antrag der Beschwerdeführer auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status von Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 (Spruchpunkt I.) und bezüglich der Zuerkennung des Status von subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Afghanistan gemäß § 8 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 (Spruchpunkt II.) abgewiesen. Gemäß § 57 AsylG 2005 wurde ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen nicht erteilt (Spruchpunkt III.) und gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG 2005 iVm § 9 BFA-VG gegen die Beschwerdeführer eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG erlassen (Spruchpunkt IV.). Es wurde festgestellt, dass die Abschiebung der Beschwerdeführer gemäß § 46 FPG nach Afghanistan zulässig sei (Spruchpunkt V.). Weiters wurde ausgesprochen, dass die Frist für die freiwillige Ausreise der Beschwerdeführer gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG 14 Tage ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung betrage (Spruchpunkt VI).

Zu den Gründen für das Verlassen des Herkunftsstaates bzw. zu der Situation im Falle einer Rückkehr stellte die belangte Behörde mit näherer Begründung insbesondere fest, dass der Erstbeschwerdeführer keine Gründe iSd GFK vorgebracht habe, sodass letztlich keine Verfolgung aus Konventionsgründen feststellbar gewesen sei. Sein Vorbringen zu den handelnden Personen würde sich zwar mit der laufenden Lagebeurteilung der US-Behörden decken, jedoch sei nicht er für die Aufdeckung des Landraubs ursächlich gewesen. Die Vorwürfe würden vielmehr bereits seit spätestens Dezember 2006 bestehen, sodass sich keine führende Rolle seiner Person in diesem Konflikt ableiten lassen würde. Er wäre nämlich erst im Jahr XXXX mit dem Sachverhalt konfrontiert worden. Sein Vorbringen würde in weiterer Folge als konstruiert erscheinen bzw. habe er sich offenkundig des bestehenden Sachverhalts bedient. Ein gewichtiges Indiz dafür seien die Aussagen seiner Ehegattin im Rahmen der Erstbefragung und der Einvernahme. Der vorgebrachte Sachverhalt würde daher als konstruiert und somit als nicht glaubhaft erscheinen. Hinsichtlich der Nichtzuerkennung von subsidiärem Schutz wurde ausgeführt, dass er über ein weitläufiges Familiennetzwerk im Herkunftsland verfügen, sodass eine entsprechende Unterstützung bei seiner Wiedereingliederung als gesichert erscheinen würde. Aber auch aufgrund seines Ausbildungsstandes würde die Wiederaufnahme einer gut bezahlten Arbeit als gesichert erscheinen. Zur Zweitbeschwerdeführerin wurde ausgeführt, dass sich ihr Vorbringen im Wesentlichen auf die Angaben ihres Ehegatten gründen würde. Bezüglich einer allfällig spontanen Entwicklung westlicher Orientierung habe sie ihr Kopftuch - ihren Angaben folgend - in Österreich in einem afghanischen Umfeld auch getragen und lediglich zeitweise abgelegt. Ebenso habe sie zu keinem Zeitpunkt behauptet, sich in Afghanistan politisch oder zumindest öffentlichkeitswirksam für Frauenrechte eingesetzt zu haben. Es würde daher auch bei einer zaghaften Annäherung - nicht zuletzt aufgrund ihrer bisherigen Aufenthaltsdauer - an die westliche Kultur, die Sphäre iSd GFK unberührt erscheinen, welche etwaige Verfolgungshandlungen - in ihrem Fall - auslösen könnte. Es würde somit keine Verfolgungssituation von privater oder staatlicher Seite in ihrem Herkunftsland vorliegen bzw. sei sie im Falle einer Rückkehr keiner Bedrohungssituation ausgesetzt.

4. Gegen diesen Bescheid brachten die Beschwerdeführer fristgerecht Beschwerde ein. Nach einer auszugsweisen Wiederholung des bisherigen Fluchtvorbringens wurde darauf verwiesen, dass die Beschwerdeführer wegen ihrer Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe einer Verfolgung aus politischen/religiösen Gründen ausgesetzt wären. Außerdem würde die Zweitbeschwerdeführerin eine Verfolgung aus geschlechtsspezifischen Gründen aufgrund der Situation von Frauen in Afghanistan und wegen ihrer westlichen Lebenseinstellung befürchten. Insoweit die Behörde vermeint, dass der Erstbeschwerdeführer für die Aufdeckung der von ihm dargestellten Vorgänge nicht ursächlich und sein Vorbringen daher konstruiert gewesen sei, wird ausgeführt, dass er den behaupteten Vorfall ausführlich erzählt und ein Konvolut an Beweismittel diesbezüglich vorgelegt habe, welches von der Behörde nicht näher untersucht worden sei. Davon abgesehen würde das Bundesamt dem Erstbeschwerdeführer in zentralen Teilen seines Vorbringens (Identität, Ausbildung und Tätigkeit des Erstbeschwerdeführers, Korruption der genannten Personen, beschriebene Vorfälle) Glaubwürdigkeit zugestehen, sodass letztlich unverständlich sei, weshalb ihm hinsichtlich der drohenden Verfolgungsgefahr nicht geglaubt wird. Auch die Meinung der Behörde, wonach aus den vorgelegten Behördenschriftstücken ein hohes Maß an Schutzwilligkeit abzuleiten sei und seitens des zuständigen Ministeriums versucht würde, Unterkünfte und Land für Rückkehrer zur Verfügung zu stellen, sei nicht verständlich, da die staatlichen Institutionen Afghanistans nicht in der Lage seien, Schutz zu gewähren. Nach Auszügen aus den UNHCR Richtlinien bezüglich afghanischer Flüchtlinge wird weiter ausgeführt, dass die Beschwerdeführer aufgrund ihres langjährigen Auslandsaufenthalts in Gefahr seien, als "verwestlicht" angesehen zu werden, insbesondere in Hinblick auf ihre innerliche Annahme der österreichischen Lebensart, die sich in ihrer tiefen Integration in Österreich zeigen würde. Ihre Verwestlichung sei ein zentraler Teil ihrer Fluchtgründe. Deshalb seien sie in Gefahr, zur Zielscheibe von Terroristen zu werden. Zur geschlechtsspezifischen Verfolgung der Zweitbeschwerdeführerin wird eine Entscheidung des BVwG auszugsweise zitiert (vgl. W 130 1425784-2, vom 02.03.2015). Sie wäre bei einer Rückkehr mit gravierenden Einschränkungen ihrer fundamentalen Menschenrechte konfrontiert, zumal sie durch die Verfahrensdauer in Österreich schon heimisch geworden sei, und die Rechte sowie die Lebensweise von Frauen in Österreich, als selbstverständlich angenommen habe. Schließlich werden umfangreiche Ausführungen bezüglich einer Gewährung von zumindest subsidiärem Schutz getroffen. Abschließend werden Auszüge internationaler Berichte bezüglich einer Offensive der Taliban, zur Sicherheitslage und die Gefahren bei einer allfälligen Abschiebung der Beschwerdeführer in ihre Heimat angeführt bzw. ihre Integrationsbemühungen geschildert.

5. Mit Schreiben vom 06.06.2019 wurde seitens der Beschwerdeführer eine Stellungnahme eingebracht, welche sich insbesondere mit der Verfolgungssituation der Frauen in Afghanistan bzw. mit der bei der Zweitbeschwerdeführerin inzwischen vorliegenden "westlichen Lebenseinstellung" beschäftigt. Weiters wird ausgeführt, dass sich die Glaubwürdigkeit der vorgebrachten Verfolgungssituation der Beschwerdeführer auch aus den auszugsweise angeführten UNHCR-Richtlinien bezüglich afghanischer Flüchtlinge ergeben würde. Die Zweitbeschwerdeführerin sei eine Frau, die die Einschränkung der grundlegenden Menschenrechte und die ungerechte Behandlung von Frauen erlebt habe, und die sich in ihrer Wertehaltung überwiegend an dem in Europa mehrheitlich gelebten, "westlichen" Frauen- und Gesellschaftsbild orientieren würde.

6. Im Rahmen der mündlichen Verhandlung vor dem BVwG am 12.06.2019 wurden der Erst- und die Zweitbeschwerdeführerin ausführlich zu ihren Fluchtgründen, ihren persönlichen Umständen im Herkunftsstaat sowie zu ihrer Lebenssituation und Integration in Österreich befragt.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

1.1. Der Erst- und die Zweitbeschwerdeführerin sind afghanische Staatsangehörige, gehören der Volksgruppe der Hazara an, sind schiitische Moslems und miteinander verheiratet. Sie stammen aus der Provinz Ghazni und sind die Eltern des mj. Drittbeschwerdeführers. Die Beschwerdeführer führen die im Spruch genannten Namen.

1.2. Der Erstbeschwerdeführer war im allgemeinen Verwaltungspräsidium des afghanischen XXXX beschäftigt und hat zuletzt an einem Projekt des Infrastrukturministeriums gearbeitet. Dabei ist es um die Fertigstellung des Palastes in XXXX für die Nawrozfeierlichkeiten gegangen. Bei den Vermessungsarbeiten hat er immer wieder Schwierigkeiten mit einem namentlich bekannten Kommandanten und einigen anderen Leuten gehabt. Als er schließlich herausgefunden hat, dass sich der Kommandant und andere ältere Dorfbewohner rund 180 Jirib des im Staatseigentum befindlichen, zum Schloss gehörenden Grundstücks (unrechtmäßig) angeeignet haben, und diesen Umstand in seinem Bericht an die Behörde erwähnt hat, wurde er in der Folge vom Kommandanten angerufen und aufgefordert, den Bericht zurückzurufen oder einen Fehler bei den Vermessungsarbeiten zu behaupten und seine Angaben zu korrigieren. Weiters wurde ihm angeraten, der Aufforderung schnellstmöglich nachzukommen, wenn er am Leben bleiben möchte. Die Drohungen haben täglich zugenommen und sind immer heftiger geworden bzw. sind schließlich auch seine Frau und seine übrigen Familienmitglieder betroffen gewesen. Auf seine Anzeigen beim zuständigen Polizeirevier wurde ihm jedes Mal mitgeteilt, dass sie nichts für ihn tun können und dass er sich vom Kommandanten fernhalten soll. Deshalb hat er an seinem Arbeitsplatz eine Anzeige abgegeben, die sein Büro an das Sicherheitskommando in Kabul weitergeleitet hat, welches diese wiederum dem Polizeirevier seines Wohnbezirks übermittelt hat. Dieses hat daraufhin geantwortet, dass der Beschwerdeführer Probleme mit einem namentlich genannten, dschihadistischen Kommandanten mit Verbindungen zur Mafia hätte, der zudem der Neffe von XXXX sei, sodass sie nicht in der Lage seien, ihn zu beschützen.

Der Erstbeschwerdeführer hat durch die Meldung der Grundstücksabweichungen bzw. seine mangelnde Bereitschaft, diese entsprechend abzuändern, und seine wiederholten Anzeigen bei den Sicherheitsbehörden dem namentlich bekannten Kommandanten und dessen extremistischen bzw. kriminellen Handlangern deutlich zum Ausdruck gebracht, dass er sich nicht einschüchtern lässt, deren Forderung nicht erfüllen wird und sie auch nicht unterstützen möchte, wodurch er sich letztlich als deren Feind und politischer Gegner dargestellt hat. Aus diesem Grund ist davon auszugehen, dass der Erstbeschwerdeführer in Afghanistan mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit eine für eine Asylgewährung hinreichend intensive Verfolgung durch den Kommandanten und dessen Anhänger zu befürchten hätte. Es wurde ihm nämlich telefonisch wiederholt mit seiner Ermordung gedroht und sein Wohnhaus auf der Suche nach ihm von Bewaffneten durchsucht bzw. zu guter Letzt ein Arbeitskollege, der mit ihm den Bericht an die Behörden verfasst hat, von einem Auto überfahren und getötet. Auch wenn es gegen ihn persönlich bislang noch zu keinen Übergriffen gekommen ist, ist vor dem Hintergrund der geschilderten Ereignisse von einer wohl begründeten Furcht des Erstbeschwerdeführers auszugehen. Schließlich ist auch nicht anzunehmen, dass die afghanischen Behörden den Erstbeschwerdeführer vor diesen Angriffen ausreichend schützen können.

Der Zweitbeschwerdeführerin hingegen droht mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit keine geschlechtsspezifische Verfolgung auf Grund der Zugehörigkeit zur sozialen Gruppe "westlich-orientierter Frauen". Weiters ist weder die Zweitbeschwerdeführerin auf Grund der Tatsache, dass sie sich mehrere Jahre in Europa aufgehalten und hier eine "westliche Wertehaltung" kennengelernt hat, noch ist jeder afghanische Staatsangehörige, der aus Europa nach Afghanistan zurückkehrt, in Afghanistan allein aus diesem Grund zwangsläufig physischer und/oder psychischer Gewalt ausgesetzt.

Bei der Zweitbeschwerdeführerin handelt es sich nicht um eine auf Eigen- und Selbstständigkeit bedachte Frau, die in ihrer persönlichen Wertehaltung und in ihrer Lebensweise an dem in Europa mehrheitlich gelebten, allgemein als "westlich" bezeichneten Frauen- und Gesellschaftsbild orientiert ist. Ihre aktuelle Lebensführung in Österreich unterscheidet sich insgesamt nicht wesentlich von jener, welche sie über Jahre in Afghanistan und im Iran führte.

Insgesamt war bei der Zweitbeschwerdeführerin keine derart fortgeschrittene Persönlichkeitsentwicklung zu erkennen, aufgrund derer eine Verinnerlichung eines "westlichen Verhaltens" oder eine "westliche Lebensführung" als wesentlicher Bestandteil ihrer Identität angenommen werden kann.

Die Beschwerdeführer sind in Österreich strafgerichtlich unbescholten.

1.3. Zur maßgeblichen Situation in Afghanistan:

Im Vorfeld der mündlichen Verhandlung wurden den Parteien aktuelle Länderfeststellungen zur Lage in AFGHANISTAN zur Kenntnis gebracht und im Folgenden diesem Erkenntnis zugrunde gelegt.

Auszug aus dem Länderinformationsblatt der Staatendokumentation vom 29.06.2018 mit Aktualisierungen bis 26.03.2019:

Zur Herkunftsprovinz der Beschwerdeführer:

Ghazni

Ghazni ist eine der wichtigsten Zentralprovinzen Afghanistans. Ghazni liegt 145 km südlich von Kabul Stadt entfernt und liegt an der Autobahn Kabul-Kandahar. Ghazni grenzt im Norden an die Provinzen (Maidan) Wardak und Bamyan, im Osten an Logar, Paktia und Paktika, im Süden an Zabul und im Westen an Uruzgan und Daikundi (UN-OCHA 4.2014; vgl. Pajhwok o.D.a). Laut dem afghanischen Statistikbüro (CSO) ist Ghazni die Provinz mit der zweithöchsten Bevölkerungszahl (Pajhwok o.D.a), die auf 1.270.3192 Bewohner/innen geschätzt wird (CSO 4.2017). Hauptsächlich besteht die Bevölkerung aus großen Stämmen der Paschtunen sowie Tadschiken und Hazara; Mitglieder der Bayat, Sadat und Sikh sind auch dort vertreten, wenngleich die Vielzahl der Bevölkerung Paschtunen sind (Pajhwok o. D.a).

Ghazni besteht aus den folgenden Distrikten: die Provinzhauptstadt Ghazni, sowie die Distrikte Andar, Muqur, Khugiani/Khugaini/Khogyani, Qara Bagh/Qarabagh, Gilan/Gelan/Gailan, Waghiz/Waghaz, Giro/Gairo, Deh Yak/Dehyak, Nawar/Nawur, Jaghori/Jaghuri, Malistan/Malestan, Rashidan, Ab Band/Abband, Khugiani, Nawa, Jaghato/Jaghato, Zankhan/Zanakhan, Ajeristan/Ajrestan und Khwaja Omari/Khwajaumari (Pajhwok o.D.a; vgl. UN OCHA 4.2014, GI o.D.). Ghazni ist eine der Schlüsselprovinz im Südosten, die die zentralen Provinzen inklusive der Hauptstadt Kabul mit anderen Provinzen im Süden und Westen verbindet (Khaama Press 2.7.2017; vgl. HoA 15.3.2016).

Nach mehr als zwei Jahrzehnten ohne Mohnanbau in der Provinz Ghazni (seit 1995), wird nun wieder Mohn angebaut. Mit Stand November 2017 wurden 1.027 Hektar Mohn angebaut: Opium/Mohn wurde insbesondere im Distrikt Ajrestan angebaut, in dem die Sicherheitslage schwach ist (UNODC 11.2017).

Allgemeine Information zur Sicherheitslage

Im Februar 2018 wurde verlautbart, dass die Provinz Ghazni zu den relativ volatilen Provinzen im südöstlichen Teil des Landes zählt; die Provinz selbst grenzt an unruhige Provinzen des Südens. Die Taliban und Aufständische anderer Gruppierungen sind in gewissen Distrikten aktiv (Khaama Press 1.2.2018; vgl. SD 1.2.2018). In der Provinz kommt es zu bewaffneten Zusammenstößen zwischen den Sicherheitskräften und Aufständischen (Xinhua 18.3.2018).

Wie in vielen Regionen in Südafghanistan, in denen die Paschtunen die Mehrheit stellen, konnten die Taliban in Ghazni nach dem Jahr 2001 an Einfluss gewinnen. Die harten Vorgehensweisen der Taliban - wie Schließungen von Schulen, der Stopp von Bauprojekten usw. - führten jedoch auch zu Gegenreaktionen. So organisierten Dorfbewohner eines Dorfes im Distrikt Andar ihre eigenen Milizen, um die Aufständischen fernzuhalten - auch andere Distrikte in Ghazni folgten. Die Sicherheitslage verbesserte sich, Schulen und Gesundheitskliniken öffneten wieder. Da diese Milizen, auch ALP (Afghan Local Police) genannt, der lokalen Gemeinschaft entstammen, genießen sie das Vertrauen der lokalen Menschen. Nichtsdestotrotz kommt es zu auch bei diesen Milizen zu Korruption und Missbrauch (IWPR 15.1.2018).

Im Berichtszeitraum der Vereinten Nationen (UN) (15.12.2017-15.2.2018) haben regierungsfeindliche Elemente auch weiterhin Druck auf die afghanischen Sicherheitskräfte ausgeübt, indem koordinierte Angriffe auf Kontrollpunkte der afghanischen Verteidigungs- und Sicherheitskräfte unter anderem in der Provinz Ghazni verübt wurden (UNGASC 27.2.2018).

Die meisten im Jahr 2017 registrierten Anschläge fanden - in absteigender Reihenfolge - in den Provinzen Nangarhar, Faryab, Helmand, Kandahar, Farah, Ghazni, Uruzgan, Logar, Jawzjan, Paktika und Kabul statt (Pajhwok 14.1.2018).

Im gesamten Jahr 2017 wurden 353 zivile Opfer in Ghazni (139 getötete Zivilisten und 214 Verletzte) registriert. Hauptursache waren Bodenoffensiven, gefolgt von IEDs und gezielten/willkürlichen Tötungen. Dies deutet einen Rückgang von 11% im Gegensatz zum Vergleichsjahr 2016 (UNAMA 2.2018).

Militärische Operationen in Ghazni

Miliärische Operationen werden in der Provinz Ghazni durchgeführt (Tolonews 17.3.2018; vgl. Xinhua 27.1.2018, ZNI 3.3.2018, Tolonews 5.2.2018, Tolonews 24.3.2018, MF 25.3.2018,

Tolonews 5.12.2017; MF 18.3.2018, VoA 22.10.2017); Aufständische werden getötet und festgenommen (Pajhwok 13.3.2018; vgl. MF 25.3.2018, Tolonews 5.12.2017, MF 18.3.2018, VoA 22.10.2017). Luftangriffe werden ebenso durchgeführt (Khaama Press 1.2.2018), bei denen auch Taliban getötet werden (Khaama Press 1.2.2018; vgl. Pajhwok 12.3.2018).

Zusammenstöße zwischen Taliban und afghanischen Sicherheitskräften finden statt (AJ 11.6.2018; vgl. AJ 21.5.2018, VoA 22.10.2017).

Regierungsfeindliche Gruppierungen in Ghazni

Sowohl Das Haqqani-Netzwerk, als auch die Taliban sind in manchen Regionen der Provinz aktiv (VoA 10.1.2018). Sicherheitsbeamte sprechen von mehreren Gruppierungen, die in der Provinz aktiv sind, während die Taliban selbst behaupten, die einzige Gruppierung in der Provinz Ghazni zu sein (Pajhwok 1.7.2017).

Basierend auf geheimdienstlichen Informationen, bestritt das afghanische Innenministerium im Jänner 2018, dass der IS in der Provinz Ghazni aktiv sei (VoA 10.1.2018). Für den Zeitraum 1.1.- 15.7.2017 wurden IS-bezogene Vorfälle in der Provinz gemeldet - insbesondere an der Grenze zu Paktika. Zwischen 16.7.2017 - 31.1.2018 wurden hingegen keine Vorfälle registriert (ACLED 23.2.2018).

Hazara

Die schiitische Minderheit der Hazara macht etwa 10% der Bevölkerung aus (CIA Factbook 18.1.2018; CRS 12.1.2015). Die Hazara besiedelten traditionell das Bergland in Zentralafghanistan, das sich zwischen Kabul im Osten und Herat im Westen erstreckt und unter der Bezeichnung Hazaradschat (azarajat) bekannt ist. Das Kernland dieser Region umfasst die Provinzen Bamyan, Ghazni, Daikundi und den Westen der Provinz Wardak. Es können auch einzelne Teile der Provinzen Ghor, Uruzgan, Parwan, Samangan, Baghlan, Balkh, Badghis, und Sar-e Pul dazugerechnet werden. Wichtige Merkmale der ethnischen Identität der Hazara sind einerseits ihr ethnisch-asiatisches Erscheinungsbild, woraus gern Schlussfolgerungen über eine turko-mongolische Abstammung der Hazara gezogen werden (BFA Staatendokumentation 7.2016); andererseits gehören ethnische Hazara hauptsäch dem schiitischen Islam an (mehrheitlich Zwölfer-Schiiten) (BFA Staatendokumentation 7.2016; vgl. AJ 27.6.2016, UNAMA 15.2.2018). Eine Minderheit der Hazara, die vor allem im nordöstlichen Teil des Hazaradschat leben, sind Ismailiten (BFA Staatendokumentation 7.2016).

Die Hazara-Gemeinschaft/Gesellschaft ist traditionell strukturiert und basiert auf der Familie bzw. dem Klan. Die sozialen Strukturen der Hazara werden manchmal als Stammesstrukturen bezeichnet; dennoch bestehen in Wirklichkeit keine sozialen und politischen Stammesstrukturen. Das traditionelle soziale Netz der Hazara besteht größtenteils aus der Familie, obwohl gelegentlich auch politische Führer einbezogen werden können (BFA Staatendokumentation 7.2016).

Nicht weniger wichtig als Religion und Abstammung ist für das ethnische Selbstverständnis der Hazara eine lange Geschichte von Unterdrückung, Vertreibung und Marginalisierung. Jahrzehntelange Kriege und schwere Lebensbedingungen haben viele Hazara aus ihrer Heimatregion in die afghanischen Städte, insbesondere nach Kabul, getrieben (BFA Staatendokumentation 7.2016). Dennoch hat sich die Lage der Hazara, die während der Taliban- Herrschaft besonders verfolgt waren, grundsätzlich verbessert (AA 5.2018; vgl. IaRBoC 20.4.2016); vornehmlich aufgrund von Bildung und vor allem auf ökonomischem und politischem Gebiet (CRS 12.1.2015; vgl. GD 2.10.2017). Hazara in Kabul gehören jetzt zu den am besten gebildeten Bevölkerungsgruppen und haben auch eine Reihe von Dichtern und Schriftstellern hervorgebracht (BFA Staatendokumentation 7.2016). Auch wenn es nicht allen Hazara möglich war diese Möglichkeiten zu nutzen, so haben sie sich dennoch in den Bereichen Bildung, öffentliche Verwaltung und Wirtschaft etabliert (GD 2.10.2017).

So haben Hazara eine neue afghanische Mittelklasse gegründet. Im Allgemeinen haben sie, wie andere ethnische Gruppen auch, gleichwertigen Zugang zum Arbeitsmarkt. Nichtsdestotrotz, sind sie von einer allgemein wirtschaftlichen Verschlechterung mehr betroffen als andere, da für sie der Zugang zu Regierungsstellen schwieriger ist - außer ein/e Hazara ist selbst Abteilungsleiter/in. Einer Quelle zufolge existiert in der afghanischen Gesellschaft die Auffassung, dass andere ethnische Gruppierungen schlecht bezahlte Jobs Hazara geben. Einer weiteren Quelle zufolge, beschweren sich Mitglieder der Hazara-Ethnie über Diskriminierung während des Bewerbungsprozesses, da sie anhand ihrer Namen leicht erkennbar sind. Die Ausnahme begründen Positionen bei NGOs und internationalen Organisationen, wo das Anwerben von neuen Mitarbeitern leistungsabhängig ist. Arbeit für NGOs war eine Einnahmequelle für Hazara - nachdem nun weniger Hilfsgelder ausbezahlt werden, schrauben auch NGOs Jobs und Bezahlung zurück, was unverhältnismäßig die Hazara trifft (IaRBoC 20.4.2016). So berichtet eine weitere Quelle, dass Arbeitsplatzanwerbung hauptsächlich über persönliche Netzwerke erfolgt (IaRBoC 20.4.2016; vgl. BFA/EASO 1.2018); Hazara haben aber aufgrund vergangener und anhaltender Diskriminierung eingeschränkte persönliche Netzwerke (IaRBoC 20.4.2016).

Gesellschaftliche Spannungen bestehen fort und leben lokal in unterschiedlicher Intensität gelegentlich wieder auf (AA 9.2016; vgl. USDOS 20.4.2018); soziale Diskriminierung gegen schiitische Hazara basierend auf Klasse, Ethnie oder religiösen Ansichten finden ihre Fortsetzung in Erpressungen (illegale Steuern), Zwangsrekrutierung, Zwangsarbeit, physischer Misshandlung und Festnahmen (USDOS 20.4.2018).

Die Hazara sind im nationalen Durchschnitt mit etwa 10% in der Afghan National Army und der Afghan National Police repräsentiert (Brookings 25.5.2017).

Frauen

Die Lage afghanischer Frauen hat sich in den letzten 15 Jahren zwar insgesamt ein wenig verbessert, jedoch nicht so sehr wie erhofft (BFA Staatendokumentation 4.2018). Wenngleich es in den unterschiedlichen Bereichen viele Fortschritte gab, bedarf die Lage afghanischer Frauen spezieller Beachtung (BFA Staatendokumentation 4.2018; vgl. TD 23.3.2016). Die afghanische Regierung ist bemüht, die Errungenschaften der letzten eineinhalb Jahrzehnte zu verfestigen - eine Institutionalisierung der Gleichberechtigung von Frauen in Afghanistan wird als wichtig für Stabilität und Entwicklung betrachtet (BFA Staatendokumentation 4.2018; vgl. UNAMA/OHCHR 5.2018). Trotzdem gilt Afghanistan weiterhin als eines der gefährlichsten Länder für Frauen weltweit (AF 13.12.2017). In einigen Bereichen hat der Fortschritt für Frauen stagniert, was großteils aus der Talibanzeit stammenden unnachgiebigen konservativen Einstellungen ihnen gegenüber geschuldet ist (BFA Staatendokumentation 4.2018; vgl. AF 13.12.2017). Viel hat sich dennoch seit dem Ende des Talibanregimes geändert: Frauen haben das verfassungsmäßige Recht an politischen Vorgängen teilzunehmen, sie streben nach Bildung und viele gehen einer Erwerbstätigkeit nach (TET 15.3.2018). Artikel 22 der afghanischen Verfassung besagt, dass jegliche Form von Benachteiligung oder Bevorzugung unter den Bürgern Afghanistans verboten ist. Die Bürger Afghanistans, sowohl Frauen als auch Männer, haben vor dem Gesetz gleiche Rechte und Pflichten (MPI 27.1.2004). In der Praxis mangelt es jedoch oftmals an der Umsetzung dieser Rechte (AA 5.2018; vgl. UNAMA/OHCHR 5.2018). Die konkrete Situation von Frauen kann sich allerdings je nach regionalem und sozialem Hintergrund stark unterscheiden (AA 9.2016; vgl. USDOS 20.4.2018). Traditionell diskriminierende Praktiken gegen Frauen existieren insbesondere in ländlichen und abgelegenen Regionen weiter (AA 5.2018).

Bildung

Das Recht auf Bildung wurde den Frauen nach dem Fall der Taliban im Jahr 2001 eingeräumt (BFA Staatendokumentation 3.7.2014). Laut Verfassung haben alle afghanischen Staatsbürger/innen das Recht auf Bildung (BFA Staatendokumentation 4.2018; vgl. MPI 27.1.2004). Öffentliche Kindergärten und Schulen sind bis zur Hochschulebene kostenlos. Private Bildungseinrichtungen und Universitäten sind kostenpflichtig (BFA Staatendokumentation 4.2018; vgl. IOM 2017). Aufgeschlossene und gebildete Afghanen, welche die finanziellen Mittel haben, schicken ihre Familien ins Ausland, damit sie dort leben und eine Ausbildung genießen können (z.B. in die Türkei); während die Familienväter oftmals in Afghanistan zurückbleiben (BFA Staatendokumentation 4.2018).

Eine der Herausforderungen für alle in Afghanistan tätigen Organisationen ist der Zugang zu jenen Gegenden, die außerhalb der Reichweite öffentlicher Bildung liegen. Der Bildungsstand der Kinder in solchen Gegenden ist unbekannt und Regierungsprogramme sind für sie unzugänglich; speziell, wenn die einzigen verfügbaren Bildungsstätten Madrassen sind (BFA Staatendokumentation 4.2018).

In den Jahren 2016 und 2017 wurden durch den United Nations Children's Fund (UNICEF) mit Unterstützung der United States Agency for International Development (USAID) landesweit 4.055 Dorfschulen errichtet - damit kann die Bildung von mehr als 119.000 Kindern in ländlichen Gebieten sichergestellt werden, darunter mehr als 58.000 Mädchen. Weitere 2.437 Ausbildungszentren in Afghanistan wurden mit Unterstützung von USAID errichtet, etwa für Personen, die ihre Ausbildung in frühen Bildungsjahren unterbrechen mussten. Mehr als 49.000 Student/innen sind in diesen Ausbildungszentren eingeschrieben (davon mehr als 23.000 Mädchen). USAID hat mehr als 154.000 Lehrer ausgebildet (davon mehr als 54.000 Lehrerinnen) sowie 17.000 Schuldirektoren bzw. Schulverwalter (mehr als 3.000 davon Frauen) (USAID 10.10.2017).

Sowohl Männer als auch Frauen schließen Hochschulstudien ab - derzeit sind etwa 300.000 Student/innen an afghanischen Hochschulen eingeschrieben - darunter 100.000 Frauen (USAID 10.10.2017).

Dem afghanischen Statistikbüro (CSO) zufolge gab es im Zeitraum 2016-2017 in den landesweit

16.049 Schulen, insgesamt 8.868.122 Schüler, davon waren 3.418.877 weiblich. Diese Zahlen beziehen sich auf Schüler/innen der Volks- und Mittelschulen, Abendschulen, Berufsschulen, Lehrerausbildungszentren sowie Religionsschulen. Im Vergleich mit den Zahlen aus dem Zeitraum 2015-2016 hat sich die Anzahl der Studentinnen um 5,8% verringert (CSO 2017). Die Gesamtzahl der Lehrer für den Zeitraum 2016-2017 betrug 197.160, davon waren 64.271 Frauen. Insgesamt existieren neun medizinische Fakultäten, an diesen sind 342.043 Studierende eingeschrieben, davon 77.909 weiblich. Verglichen mit dem Zeitraum 2015-2016 hat sich die Anzahl der Frauen um 18.7% erhöht (CSO 2017).

Im Mai 2016 eröffnete in Kabul die erste Privatuniversität für Frauen im Moraa Educational Complex, mit dazugehörendem Kindergarten und Schule für Kinder der Studentinnen. Die Universität bietet unter anderem Lehrveranstaltungen für Medizin, Geburtshilfe etc. an. (TE 13.8.2016; vgl. MORAA 31.5.2016). Im Jahr 2017 wurde ein Programm ins Leben gerufen, bei dem 70 Mädchen aus Waisenhäusern in Afghanistan, die Gelegenheit bekommen ihre höhere Bildung an der Moraa Universität genießen zu können (Tolonews 17.8.2017).

Im Herbst 2015 eröffnete an der Universität Kabul der Masterlehrgang für "Frauen- und Genderstudies" (KP 18.10.2015; vgl. UNDP 10.7.2016). Im Jahr 2017 haben die ersten Absolvent/innen des Masterprogramms den Lehrgang abgeschlossen: 15 Frauen und sieben Männer, haben sich in ihrem Studium zu Aspekten der Geschlechtergleichstellung und Frauenrechte ausbilden lassen; dazu zählen Bereiche wie der Rechtsschutz, die Rolle von Frauen bei der Armutsbekämpfung, Konfliktschlichtung etc. (UNDP 7.11.2017).

Berufstätigkeit

Berufstätige Frauen sind oft Ziel von sexueller Belästigung durch ihre männlichen Kollegen. Die Akzeptanz der Berufstätigkeit von Frauen variiert je nach Region und ethnischer bzw. Stammeszugehörigkeit (AA 5.2018). Aus einer Umfrage der Asia Foundation (AF) aus dem Jahr 2017 geht hervor, dass die Akzeptanz der Berufstätigkeit von Frauen außerhalb des Hauses unter den Hazara 82,5% beträgt und am höchsten ist. Es folgen die Usbeken (77,2%), die Tadschiken (75,5%) und die Paschtunen (63,4%). In der zentralen Region bzw. Hazarajat tragen 52,6% der Frauen zum Haushaltseinkommen bei, während es im Südwesten nur 12% sind. Insgesamt sind 72,4% der befragten Afghanen und Afghaninnen der Meinung, dass Frauen außerhalb ihres Hauses arbeiten sollen (AF 11.2017). Die Erwerbstätigkeit von Frauen hat sich seit dem Jahr 2001 stetig erhöht und betrug im Jahr 2016 19%. Frauen sind dennoch einer Vielzahl von Hindernissen ausgesetzt; dazu zählen Belästigung, Diskriminierung und Gewalt, aber auch praktische Hürden, wie z.B. fehlende Arbeitserfahrung, Fachkenntnisse und (Aus)Bildung (UNW o. D.).

Nichtsdestotrotz arbeiten viele afghanische Frauen grundlegend an der Veränderung patriarchaler Einstellungen mit. Viele von ihnen partizipieren an der afghanischen Zivilgesellschaft oder arbeiten im Dienstleistungssektor (BFA Staatendokumentation 4.2018; vgl. LobeLog 15.11.2017). Aber noch immer halten soziale und wirtschaftliche Hindernisse (Unsicherheit, hartnäckige soziale Normen, Analphabetismus, fehlende Arbeitsmöglichkeiten und mangelnder Zugang zu Märkten) viele afghanische Frauen davon ab, ihr volles Potential auszuschöpfen (BFA Staatendokumentation 4.2018; vgl. MENA FN 19.12.2017).

Die Einstellung gegenüber der Berufstätigkeit von Frauen hat sich in Afghanistan in den letzten Jahren geändert; dies hängt auch mit den NGOs und den privaten Firmen zusammen, die in Afghanistan aktiv sind. Die städtische Bevölkerung hat kaum ein Problem mit der Berufstätigkeit ihrer Ehefrauen oder Töchter. Davor war der Widerstand gegen arbeitende Frauen groß und wurde damit begründet, dass ein Arbeitsplatz ein schlechtes Umfeld für Frauen darstelle, etc. In den meisten ländlichen Gemeinschaften sind konservative Einstellungen nach wie vor präsent (BFA Staatendokumentation 4.2018) und afghanische Frauen sehen sich immer noch Hindernissen ausgesetzt, wenn es um Arbeit außerhalb ihres Heimes geht (BFA Staatendokumentation; vgl. IWPR 18.4.2017). Im ländlichen Afghanistan gehen viele Frauen, aus Furcht vor sozialer Ächtung, keiner Arbeit außerhalb des Hauses nach (BFA Staatendokumentation 4.2018; vgl. WB 28.8.2017).

Das Gesetz sieht zwar die Gleichstellung von Mann und Frau im Beruf vor, jedoch beinhaltet es keine egalitären Zahlungsvorschriften bei gleicher Arbeit. Das Gesetz kriminalisiert Eingriffe in das Recht auf Arbeit der Frauen; dennoch werden diese beim Zugang zu Beschäftigung und Anstellungsbedingungen diskriminiert (USDOS 20.4.2018).

Dennoch hat in Afghanistan aufgrund vieler Sensibilisierungsprogramme sowie Projekte zu Kapazitätsaufbau und Geschlechtergleichheit ein landesweiter Wandel stattgefunden, wie Frauen ihre Rolle in- und außerhalb des Hauses sehen. Immer mehr Frauen werden sich ihrer Möglichkeiten und Chancen bewusst. Sie beginnen auch wirtschaftliche Macht zu erlangen, indem eine wachsende Zahl Teil der Erwerbsbevölkerung wird - in den Städten mehr als in den ländlichen Gebieten (BFA Staatendokumentation 4.2018; vgl. WD 21.12.2017). Frauen als Ernährerinnen mit Verantwortung für die gesamte Familie während ihr Mann arbeitslos ist, sind keine Seltenheit mehr. Mittlerweile existieren in Afghanistan oft mehr Arbeitsmöglichkeiten für Frauen als für Männer, da Arbeitsstellen für letztere oftmals schon besetzt sind (BFA Staatendokumentation 4.2018). In und um Kabul eröffnen laufend neue Restaurants, die entweder von Frauen geführt werden oder in ihrem Besitz sind. Der Dienstleistungssektor ist zwar von Männern dominiert, dennoch arbeitet eine kleine, aber nicht unwesentliche Anzahl afghanischer Frauen in diesem Sektor und erledigt damit Arbeiten, die bis vor zehn Jahren für Frauen noch als unangebracht angesehen wurden (und teilweise heute noch werden) (BFA Staatendokumentation 4.2018; vgl. YM 11.12.2017). Auch soll die Anzahl der Mitarbeiterinnen im Finanzsektor erhöht werden (BFA Staatendokumentation; vgl. USAID 26.9.2017). In Kabul zum Beispiel eröffnete im Sommer 2017 eine Filiale der First MicroFinance Bank, Afghanistan (FMFB-A), die nur für Frauen gedacht ist und nur von diesen betrieben wird. Diese Initiative soll es Frauen ermöglichen, ihre Finanzen in einer sicheren und fördernden Umgebung zu verwalten, um soziale und kulturelle Hindernisse, die ihrem wirtschaftlichen Empowerment im Wege stehen, zu überwinden. Geplant sind zwei weitere Filialen in Mazar-e Sharif bis 2019 (BFA Staatendokumentation; vgl. AKDN 26.7.2017). In Kabul gibt es eine weitere Bank, die - ausschließlich von Frauen betrieben - hauptsächlich für Frauen da ist und in deren Filiale sogar ein eigener Spielbereich für Kinder eingerichtet wurde (BFA Staatendokumentation 4.2018; vgl. GABV 26.7.2017).

Eine Position in der Öffentlichkeit ist für Frauen in Afghanistan noch immer keine Selbstverständlichkeit (BFA Staatendokumentation 4.2018; vgl. NZZ 23.4.2017). Dass etwa der afghanische Präsident dies seiner Ehefrau zugesteht, ist Zeichen des Fortschritts (BFA Staatendokumentation 4.2018; vgl. WD 21.12.2017). Frauen in öffentlichen bzw. semi-öffentlichen Positionen sehen sich deshalb durchaus in einer gewissen Vorbildfunktion. So polarisiert die Talent-Show "Afghan Star" zwar einerseits das Land wegen ihrer weiblichen Teilnehmer und für viele Familien ist es inakzeptabel, ihre Töchter vor den Augen der Öffentlichkeit singen oder tanzen zu lassen. Dennoch gehört die Sendung zu den populärsten des Landes (BFA Staatendokumentation 4.2018; vgl. NZZ 23.4.2017).

Politische Partizipation und Öffentlichkeit

Die politische Partizipation von Frauen ist rechtlich verankert und hat sich deutlich verbessert. So sieht die afghanische Verfassung Frauenquoten für das Zweikammerparlament vor: Ein Drittel der 102 Sitze im Oberhaus (Meshrano Jirga) werden durch den Präsidenten vergeben; die Hälfte davon ist gemäß Verfassung für Frauen bestimmt (AA 9.2016; vgl. USDOS 20.4.2018). Zurzeit sind 18 Senatorinnen in der Meshrano Jirga vertreten. Im Unterhaus (Wolesi Jirga) sind 64 der 249 Sitze für Parlamentarierinnen reserviert; derzeit sind 67 Frauen Mitglied des Unterhauses. Das per Präsidialdekret erlassene Wahlgesetz sieht eine Frauenquote von min. 25% in den Provinzräten vor. Zudem sind min. zwei von sieben Sitzen in der einflussreichen Wahlkommission (Indpendent Electoral Commission, IEC) für Frauen vorgesehen. Die afghanische Regierung veröffentlichte im Jänner 2018 einen Strategieplan zur Erhöhung des Frauenanteils im öffentlichen Dienst um 2% für das Jahr 2018 (AA 5.2018). Drei Afghaninnen sind zu Botschafterinnen ernannt worden (UNW o.D.). Im Winter 2017 wurde mit Khojesta Fana Ebrahimkhel eine weitere Frau zur afghanischen Botschafterin (in Österreich) ernannt (APA 5.12.2017). Dennoch sehen sich Frauen, die in Regierungspositionen und in der Politik aktiv sind, weiterhin mit Bedrohungen und Gewalt konfrontiert und sind Ziele von Angriffen der Taliban und anderer aufständischer Gruppen. Traditionelle gesellschaftliche Praktiken schränken die Teilnahme der Frauen am politischen Geschehen und Aktivitäten außerhalb des Hauses und der Gemeinschaft weiterhin ein. Der Bedarf einer männlichen Begleitung bzw. einer Arbeitserlaubnis ist weiterhin gängig. Diese Faktoren sowie ein Mangel an Bildung und Arbeitserfahrung haben wahrscheinlich zu einer männlich dominierten Zusammensetzung der Zentralregierung beigetragen (USDOS 20.4.2018).

Kinder

Die Situation der Kinder hat sich in den vergangenen Jahren verbessert. So werden mittlerweile rund zwei Drittel aller Kinder eingeschult. Während Mädchen unter der Taliban-Herrschaft fast vollständig vom Bildungssystem ausgeschlossen waren, machen sie von den heute ca. acht Millionen Schulkindern rund drei Millionen aus. Der Anteil der Mädchen nimmt jedoch mit fortschreitender Klassen- und Bildungsstufe ab. Den geringsten Anteil findet man im Süden und Südwesten des Landes (Helmand, Uruzgan, Zabul und Paktika) (AA 5.2018). Landesweit gehen in den meisten Regionen Mädchen und Buben in der Volksschule in gemischten Klassen zur Schule; erst in der Mittel- und Oberstufe werden sie getrennt (USDOS 3.3.2017).

Bildungssystem in Afghanistan

Der Schulbesuch ist in Afghanistan bis zur Unterstufe der Sekundarbildung Pflicht (die Grundschule dauert sechs Jahre und die Unterstufe der Sekundarbildung drei Jahre). Das Gesetz sieht kostenlose Schulbildung bis zum Hochschulniveau vor (USDOS 20.4.2018).

Aufgrund von Unsicherheit, konservativen Einstellungen und Armut haben Millionen schulpflichtiger Kinder keinen Zugang zu Bildung - insbesondere in den südlichen und südwestlichen Provinzen. Manchmal fehlen auch Schulen in der Nähe des Wohnortes (USDOS 3.3.2017). Auch sind in von den Taliban kontrollierten Gegenden gewalttätige Übergriffe auf Schulkinder, insbesondere Mädchen, ein weiterer Hinderungsgrund beim Schulbesuch. Taliban und andere Extremisten bedrohen und greifen Lehrer/innen sowie Schüler/innen an und setzen Schulen in Brand (USDOS 20.4.2018). Nichtregierungsorganisationen sind im Bildungsbereich tätig, wie z. B. UNICEF, NRC, AWEC und Save the Children. Eine der Herausforderungen für alle Organisationen ist der Zugang zu jenen Gegenden, die außerhalb der Reichweite öffentlicher Bildung liegen. Der Bildungsstand der Kinder in solchen Gegenden ist unbekannt und Regierungsprogramme sind für sie unzugänglich - speziell, wenn die einzigen verfügbaren Bildungsstätten Madrassen sind. UNICEF unterstützt daher durch die Identifizierung von Dorfgemeinschaften, die mehr als drei Kilometer von einer ordentlichen Schule entfernt sind. Dort wird eine Dorfschule mit lediglich einer Klasse errichtet. UNICEF bezeichnet das als "classroom". Auf diese Art "kommt die Schule zu den Kindern". Auch wird eine Lehrkraft aus demselben, gegebenenfalls aus dem nächstgelegenen Dorf, ausgewählt - bevorzugt werden Frauen. Lehrkräfte müssen fortlaufend Tests des Provinzbüros des Bildungsministeriums absolvieren. Je nach Ausbildungsstand beträgt das monatliche Gehalt der Lehrkräfte zwischen US$ 90 und 120. Die Infrastruktur für diese Schulen wird von der Dorfgemeinschaft zur Verfügung gestellt, UNICEF stellt die Unterrichtsmaterialien. Aufgrund mangelnder Finanzierung sind Schulbücher knapp. Wenn keine geeignete Lehrperson gefunden werden kann, wendet sich UNICEF an den lokalen Mullah, um den Kindern des Dorfes doch noch den Zugang zu Bildung zu ermöglichen. UNICEF zufolge ist es wichtig, Kindern die Möglichkeit zu geben, auch später einem öffentlichen Schulplan folgen zu können (BFA Staatendokumentation 4.2018).

In Afghanistan existieren zwei parallele Bildungssysteme; religiöse Bildung liegt in der Verantwortung des Klerus in den Moscheen, während die Regierung kostenfreie Bildung an staatlichen Einrichtungen bietet (BFA Staatendokumentation 4.2018). Nachdem in den meisten ländlichen Gemeinden konservative Einstellungen nach wie vor präsent sind, ist es hilfreich, wenn beim Versuch Modernisierungen durchzusetzen, auf die Unterstützung lokaler Meinungsträger zurückgegriffen wird - vor allem lokaler religiöser Würdenträger, denen die Dorfgemeinschaft vertraut. Im Rahmen von Projekten arbeiten unterschiedliche UN-Organisationen mit religiösen Führern in den Gemeinden zusammen, um sie in den Bereichen Frauenrechte, Bildung, Kinderehen und Gewalt, aber auch Gesundheit, Ernährung und Hygiene zu beraten. Eines dieser Projekte wurde von UNDP angeboten; als Projektteilnehmer arbeiten die Mullahs der Gemeinden, die weiterzugebenden Informationen in ihre Freitagpredigten ein. Auch halten sie Workshops zu Themen wie Bildung für Mädchen, Kinderehen und Gewalt an Frauen. Auf diesem Wege ist es ihnen möglich eine Vielzahl von Menschen zu erreichen. Im Rahmen eines Projektes hat UNICEF im Jahr 2003 mit rund 80.000 Mullahs zusammengearbeitet, mit dem Ziel Informationen zu Gesundheit, Ernährung, Hygiene, Bildung und Sicherheit in ihre Predigten einzubauen. Die tatsächliche Herausforderung dabei ist es, die Informationen in den Predigten zu vermitteln, ohne dabei Widerstand innerhalb der Gemeinschaft hervorzurufen (BFA Staatendokumentation 4.2018).

Der gewaltfreie Umgang mit Kindern hat sich in Afghanistan noch nicht als Normalität durchsetzen können (AA 9.2016). Körperliche Züchtigung und Übergriffe im familiären Umfeld (AA 9.2016; vgl. CAN 2.2018), in Schulen oder durch die afghanische Polizei sind verbreitet. Dauerhafte und durchsetzungsfähige Mechanismen seitens des Bildungsministeriums, das Gewaltpotenzial einzudämmen, gibt es nicht. Gerade in ländlichen Gebieten gehört die Ausübung von Gewalt zu den gebräuchlichen Erziehungsmethoden an Schulen. Das Curriculum für angehende Lehrer beinhaltet immerhin Handreichungen zur Vermeidung eines gewaltsamen Umgangs mit Schülern (AA 9.2016). Einer Befragung in drei Städten zufolge (Jalalabad, Kabul und Torkham), berichteten Kinder von physischer Gewalt - auch der Großteil der befragten Eltern gab an, physische Gewalt als Disziplinierungsmethode anzuwenden. Eltern mit höherem Bildungsabschluss und qualifizierterem Beruf wendeten weniger Gewalt an, um ihre Kinder zu disziplinieren (CAN 2.2018).

Zusammenfassung einer Anfragebeantwortung der Staatendokumentation:

"Afghanistan - Frauen in urbanen Zentren" vom 18.09.2017 sowie European Asylum Support Office, Individuals targeted under social and legal norms, Pkt. 3.2.:

Kleidungsvorschriften

Generell umfasst Frauenkleidung in Afghanistan ein breit gefächertes Spektrum, von moderner westlicher Kleidung, über farbenreiche volkstümliche Trachten, bis hin zur Burka und Vollverschleierung - diese unterscheiden sich je nach Bevölkerungsgruppe. Während Frauen in urbanen Zentren wie Kabul, Mazar-e Sharif und Herat häufig den sogenannten "Manteau shalwar" tragen, d.h. Hosen und Mantel, mit verschieden Arten der Kopfbedeckung, bleiben konservativere Arten der Verschleierung, wie der Chador und die Burka (in Afghanistan chadri genannt) weiterhin, auch in urbanen Gebieten, vertreten. Es herrschen weiterhin Debatten über die angemessenste Art der Bekleidung von Frauen, vor allem auch darüber was letztendlich eine richtige "islamische" Körper- oder Kopfbedeckung darstellt. Die Vorstellungen, wie Frauen sich in der Öffentlichkeit zeigen sollen bzw. dürfen unterscheiden sich oft erheblich, je nach der Herkunft, Geschlecht und Bildungsstand der Befragten.

Der jährliche Bericht zu Afghanistan der Asia Foundation - einer internationalen Entwicklungs-NGO mit Sitz in San Francisco - beinhaltet auch eine Umfrage zum Thema Verschleierung und angemessener Kleidung von Frauen in der Öffentlichkeit. Im Jahr 2016 wurden 12,658 Afghaninnen und Afghanen zu verschieden Möglichkeiten der Kopf- und Körperbedeckung befragt. Nur 1.1% der Befragten fanden, dass es für eine Frau angemessen sei sich völlig unverschleiert in der Öffentlichkeit zu zeigen. Dagegen fanden 38% der befragten Männer und 30% der befragten Frauen, dass die Burka die angemessenste Form der Körperbedeckung für Frauen in der Öffentlichkeit sei. In den Antworten war jedoch ein starkes Gefälle in der Präferenz der Burka bei Befragten aus ländlichen und städtischen Gebieten zu verorten. Während 38,5% der Befragten aus ländlichen Gegenden die Burka bevorzugten, taten dies nur 20,3% der Befragten aus Städten. Ethnische Zugehörigkeit, sowie Bildung spielten ebenfalls eine erhebliche Rolle in der Bevorzugung und Akzeptanz der jeweiligen Kopf- bzw. Körperbedeckung. So bevorzugen Paschtunen die Burka, während Hazara zu weniger strengen Formen der Kopfbedeckung tendierten.

Auch Frauen in Kabul kleiden sich traditionell oder bescheiden (engl. "modestly") zur Vermeidung von Belästigungen.

Bewegungsfreiheit

Während Frauen in Afghanistan grundsätzlich einen männlichen Begleiter, Kollegen oder Bewacher benötigen, welcher sie außerhalb des Hauses begleitet, gilt dies nicht für die Großstädte Herat, Mazar und Kabul.

Beschäftigungsmöglichkeiten und Freizeitmöglichkeiten

Afghanische Frauen in urbanen Zentren wie Kabul, Herat und Mazar-e Sharif in einer Vielzahl beruflicher Felder aktiv. Frauen arbeiten sowohl im öffentlichen Dienst, als auch in der Privatwirtschaft. Sie arbeiten im Gesundheitsbereich, in der Bildung, den Medien, als Polizistinnen und Beamtinnen, usw. Es bestehen mannigfaltigen Schwierigkeiten, mit denen Frauen auf dem Arbeitsmarkt und in der Berufswelt zu kämpfen haben. Diese reichen von Diskriminierung in der Rekrutierung und im Gehalt, über Schikane und Drohungen bis zur sexuellen Belästigung. Während es Frauen der afghanischen Elite seit dem Ende der Taliban-Herrschaft zuweilen möglich war eine Reihe erfolgreicher Unternehmen aufzubauen, mussten viele dieser Neugründungen seit dem Einsturz der afghanischen Wirtschaft 2014 wieder schließen. Frauen der Mittel- und Unterschicht kämpfen mit erschwertem Zugang zum Arbeitsmarkt und Lohnungleichheit. Dazu müssen Frauen unverhältnismäßig oft unbezahlte Arbeit leisten. Die letzten Jahre sahen einen steigenden Druck auf Frauen in der Arbeitswelt und eine zunehmende Abneigung gegenüber Frauen im Beruf, vor allem in konservativen Kreisen. Trotzdem finden sich viele Beispiele erfolgreicher junger Frauen in den verschiedensten Berufen.

Was die Möglichkeiten der Freizeitgestaltung für Frauen in afghanischen Städten betrifft, so gibt es auch hier, eine Vielzahl von Beispielen: So existiert etwa "Familienkino", das in Kabul zu bestimmten Tageszeiten Vorstellungen ausschließlich für Frauen anbietet. Es gibt auch einen sogenannten "Frauen-Garten" in Kabul - ein öffentlicher Park für Frauen mit verschiedenen Unterhaltungs-, Bildungs- und Sportmöglichkeiten. Der Garten, der sich über 13 Hektar Land streckt und vom Frauenministerium verwaltet wird, erlebt täglich einen großen Ansturm, vor allem am Wochenende. Er wurde nach der Taliban-Herrschaft durch finanzielle Unterstützung des US Entwicklungsministeriums und mit Hilfe von mehr als 600 afghanischen Arbeiterinnen und Arbeitern (großteils Frauen aus armen Verhältnissen) wiederaufgebaut. Neben den Gartenanlagen zählt auch ein Fitnesscenter, Buchgeschäft und Internetlokal zu den Einrichtungen des Gartens. Frauen können dort Computer benutzen und kostenfrei Sprachkurse belegen. Außerdem wird der Garten 24 Stunden/Tag von einem Sicherheitsteam bewacht."

2. Beweiswürdigung:

2.1. Zu den Feststellungen zur Situation im Herkunftsstaat:

Die Feststellungen zur Situation im Herkunftsstaat stützen sich auf die zitierten Quellen. Da diese aktuellen Länderberichte auf einer Vielzahl verschiedener, voneinander unabhängiger Quellen von regierungsoffiziellen und nicht-regierungsoffiziellen Stellen beruhen und dennoch ein in den Kernaussagen übereinstimmendes Gesamtbild ohne wesentliche Widersprüche darbieten, besteht im vorliegenden Fall für das Bundesverwaltungsgericht kein Anlass, an der Richtigkeit der getroffenen Länderfeststellungen zu zweifeln. Insoweit den Feststellungen zur Lage im Herkunftsstaat Berichte älteren Datums zugrunde liegen, ist auszuführen, dass sich seither die darin angeführten Umstände unter Berücksichtigung der dem Bundesverwaltungsgericht von Amts wegen vorliegenden Berichte aktuelleren Datums für die Beurteilung der gegenwärtigen Situation nicht wesentlich geändert haben.

2.2. Zu den Feststellungen zur Person der Beschwerdeführer und zu ihrem Fluchtvorbringen:

Die Feststellungen zur Staatsangehörigkeit der Beschwerdeführer, ihrer Herkunft, ihrer Volksgruppen- und Religionszugehörigkeit gründen sich auf die diesbezüglich glaubhaften Angaben der Beschwerdeführer sowie auf die von ihnen im Verfahren vorgelegten Dokumente (zwei Dienstausweise bzw. Geburtsurkunde mit Foto). Die Identitäten wurden auch bereits vom Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl aufgrund der Fülle an Vorlagen für glaubhaft befunden und letztlich festgestellt. Die Feststellungen zur Fluchtroute gründen sich auf die diesbezüglich glaubhaften Angaben der Beschwerdeführer.

Das Datum der Antragstellung und die Ausführungen zum Verfahrensverlauf ergeben sich aus dem Akteninhalt.

Die Feststellungen zur persönlichen Situation der Beschwerdeführer ergeben sich aus ihren Angaben im Rahmen des Verfahrens vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl sowie aus Abfragen in den entsprechenden amtlichen österreichischen Registern (Zentrales Melderegister, Fremdeninformationssystem, Grundversorgungs-Informationssystem). Die Feststellung zur strafgerichtlichen Unbescholtenheit ergibt sich aus der Einsichtnahme in das Strafregister.

Die Feststellungen zu den Fluchtgründen des Erstbeschwerdeführers gründen sich auf folgende Überlegungen:

Der Erstbeschwerdeführer hat zu seinen Fluchtgründen im Verlauf des gesamten Verfahrens im Wesentlichen gleichbleibende Angaben gemacht und seine begründete Furcht vor einer Verfolgung bzw. vor Vergeltungsmaßnahmen seitens eines Kommandanten und dessen Gefolgsleuten auch im Rahmen der mündlichen Beschwerdeverhandlung glaubhaft darlegen können. Die Zweitbeschwerdeführerin hat seine Angaben hinsichtlich seiner Tätigkeit für den afghanischen Staat und seine Probleme mit Regierungsgegnern bestätigt und letztlich bereits in der Erstbefragung auch den Besuch von unbekannten Bewaffneten geschildert, welche auf der Suche nach ihrem Mann das Haus der Familie durchsucht haben. Insoweit sie von seinem Vorbringen abweichende Angaben gemacht hat, hat sie diese im Rahmen der mündlichen Verhandlung glaubwürdig aufgeklärt (vgl. Verhandlung vom 12.06.2019: "Damals [Erstbefragung] war ich über die Bedrohungssituation meines Mannes nicht informiert. [...] Nachdem mein Mann gesagt hat, dass wir bedroht werden und vorsichtig sein sollen, dachte ich, dass es die Taliban sind, die uns bedrohen würden. [...] Konkretere Angaben, dass er spionieren sollte, oder etwas in den Regierungsgebäuden bringen sollte, sind von mir erfundene Sachen. Die habe ich mir ausgedacht. [...] Ich habe aber das angegeben, was ich aus Afghanistan gekannt habe und auch in Zusammenhang mit der Bedrohung meines Mannes angenommen habe."). Die Aussagen des Erstbeschwerdeführers vor dem Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes und die Ausführungen vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl sowie die Schilderungen seiner Erlebnisse vor dem Bundesverwaltungsgericht waren insgesamt glaubwürdig und widerspruchsfrei, der von ihm vorgebrachte Sachverhalt ist nachvollziehbar sowie schlüssig und steht mit den Länderberichten zu Afghanistan im Einklang. Der Erstbeschwerdeführer konnte auch glaubhaft darlegen, dass er durch seine geschickte Hinhaltetaktik (vgl. Verhandlung vom 12.06.2019: "Ich habe jedes Mal gesagt, dass es wegen des Regierungswechsels zu Verzögerungen bei unserer Arbeit gekommen ist. Wir würden diesen Bericht zurücknehmen, sobald es möglich ist.") eine Eskalation letztlich bis zum Bekanntwerden in den Medien verhindern und hernach rund um den Besuch der bewaffneten Männer im Wohnhaus der Familie mit seinen Brüdern gerade noch rechtzeitig fliehen

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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