TE Bvwg Erkenntnis 2019/8/16 W273 2178704-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 16.08.2019
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Entscheidungsdatum

16.08.2019

Norm

AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §8 Abs1
AsylG 2005 §8 Abs4
B-VG Art. 133 Abs4

Spruch

W273 2178704-1/20E

Schriftliche Ausfertigung des am 23.07.2019 mündlich verkündeten Erkenntnisses:

IM NAMEN DER REPUBLIK!

I. Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Richterin Dr. Isabel FUNK-LEISCH über die Beschwerde von 1. XXXX , geb. XXXX , 2. XXXX , geb. XXXX , 3. XXXX , geb. XXXX 4. XXXX , geb. XXXX , 5. XXXX , geb. XXXX , StA. AFGHANISTAN, vertreten durch XXXX , geb. XXXX , und XXXX , geb. XXXX , alle StA. AFGHANISTAN, alle vertreten durch: Verein Menschenrechte, gegen den Bescheid des BFA RD Steiermark Außenstelle Graz 1. vom 31.10.2017, Zl. XXXX , 2. vom 31.10.2017, Zl. XXXX , 3. vom 31.10.2017, Zl. XXXX , 4. vom 31.10.2017, Zl. XXXX , 5. vom 31.10.2017, Zl. XXXX , nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung zu Recht erkannt:

A)

I. Die Beschwerde gegen Spruchpunkt I. des angefochtenen Bescheides wird als unbegründet abgewiesen.

II. Der Beschwerde gegen Spruchpunkt II. des angefochtenen Bescheides wird stattgegeben und XXXX , XXXX , XXXX und XXXX und XXXX gemäß § 8 Abs. 1 AsylG 2005 der Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Afghanistan zuerkannt.

IV. Gemäß § 8 Abs. 4 AsylG 2005 wird XXXX , XXXX , XXXX , XXXX und XXXX eine befristete Aufenthaltsberechtigung für die Dauer eines Jahres erteilt.

V. Die Spruchpunkte III. und IV. des angefochtenen Bescheides werden ersatzlos aufgehoben.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang:

1. Der BF1 XXXX , geb. XXXX (in Folge: "BF1" oder "BF1") und die BF2

XXXX , geb. XXXX (in Folge: "BF2" oder "BF2") sind verheiratet und die Eltern des Drittbeschwerdeführers XXXX , geb. XXXX (in Folge: "Drittbeschwerdeführer" oder "BF3"), der Viertbeschwerdeführerin

XXXX , geb. XXXX (in Folge: "Viertbeschwerdeführerin" oder "BF4"), der Fünftbeschwerdeführerin XXXX , geb. XXXX (in Folge: "Fünftbeschwerdeführerin" oder "BF5") und des minderjährigen Sechstbeschwerdeführers XXXX , geb. XXXX (in Folge:

"Sechstbeschwerdeführer" oder "BF6"; BF1 bis BF6 gemeinsam "die Beschwerdeführer"). BF1 bis BF4 stellten am XXXX einen Antrag auf internationalen Schutz in Österreich. BF2 stellte als gesetzliche Vertreterin für die damals minderjährige BF4 und die damals minderjährige B5 sowie den minderjährigen BF6 am XXXX einen Antrag auf internationalen Schutz in Österreich.

2. Bei seiner Erstbefragung vor Organen des öffentlichen Sicherheitsdienstes am XXXX gab BF1 befragt zu seinen Fluchtgründen an, dass er vor ca. 16 Jahren ein gewöhnlicher Rekrut in der Miliz von XXXX in Herat gewesen sei. Er sei von seinem Befehlshaber in den Kampf gegen die Taliban geschickt worden, um die Stadt Herat zu verteidigen. Bei diesem Kampf sei er mit weiteren 400 Soldaten festgenommen und von den Taliban nach Kandahar gebracht worden. Nach ca. vier Monaten habe er von dort fliehen können und sei dann gemeinsam mit seiner Familie in den Iran geflüchtet. Bei einer Rückkehr nach Afghanistan fürchte er von den Taliban getötet zu werden.

3. Bei seiner Einvernahme vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (im Folgenden: "Bundesamt" oder "BFA") am XXXX gab der BF1 zu seinen Fluchtgründen befragt im Wesentlichen an, dass er als 19-Jähriger seinen Militärdienst bei der afghanischen Armee geleistet habe und im Zuge dessen gegen die Taliban gekämpft habe. Dabei seien Taliban getötet worden. Die Nachbarn und die Familien der getöteten Taliban hätten erfahren, dass der BF1 an diesen Kämpfen beteiligt gewesen sei, weshalb sie seine Feinde geworden seien. Sein Kommandant sei damals durch Schüsse verletzt und ins Krankenhaus eingeliefert worden. Die 400 Mann starke Einheit des BF1 habe keinen Kommandanten, nichts mehr zu essen und auch keine Munition mehr gehabt, weshalb sie von den Taliban als Geiseln genommen worden seien. Die Taliban hätten sie nach Kandahar gebracht. Nach vier Monaten hätten die Taliban einen Koch gesucht. Der BF1 habe sich gemeldet und sei daraufhin in eine andere Stadt gebracht worden. Eines Tages, als alle Taliban geschlafen hätten, sei er geflohen. Er sei fünf oder sechs Stunden zu Fuß in eine andere Stadt gegangen und von dort mit einem Auto in eine andere Provinz gefahren. Von dort aus sei er bis zur Grenze per Anhalter gefahren und von dort schlepperunterstützt in den Iran gefahren. Dort habe er ca. eineinhalb Jahre gelebt, bevor er nach Afghanistan zurückgegangen sei. Zwei Wochen sei er in Afghanistan gewesen, als jemand an der Haustür geklopft habe. Seine Mutter hätte ihm gesagt, er müsse so schnell wie möglich flüchten, weshalb er das Haus durch die Hintertür verlassen habe und zurück in den Iran gegangen sei. Später habe er erfahren, dass vier unbekannte Personen die Tür kaputt gemacht hätten und seinen Bruder und die BF2 geschlagen hätten. Dabei sei die Hand der BF2 verletzt worden. Die Nachbarn hätten geschrien und geweint, weshalb die Männer das Haus verlassen hätten. Ca. eineinhalb Jahren nach diesem Vorfall sei die BF2 in den Iran nachgereist. Sie hätten in Karadasch, Iran, rund 20 Jahre gelebt, bis sie XXXX nach Europa gereist seien. Grund dafür sei gewesen, dass die iranischen Behörden den Drittbeschwerdeführer aufgefordert hätten in Syrien zu kämpfen. Anschließend hätte er einen Aufenthaltstitel erhalten. Der BF1 und die BF2 seien damit nicht einverstanden gewesen, weshalb sie nach Europa weitergereist seien.

4. Mit den angefochtenen Bescheiden wies das Bundesamt die Anträge aller Beschwerdeführer auf internationalen Schutz zur Gänze ab (Spruchpunkt I. und II.) und erteilte den Beschwerdeführern keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen. Gegen die Beschwerdeführer wurde eine Rückkehrentscheidung erlassen und festgestellt, dass ihre Abschiebung nach Afghanistan zulässig sei (Spruchpunkt III.). Die Frist für die freiwillige Ausreise wurde mit 14 Tagen ab Rechtskraft der Entscheidung festgesetzt (Spruchpunkt IV.).

5. Die Beschwerdeführer erhoben gegen die Bescheide fristgerecht Beschwerden und brachten im Wesentlichen vor, dass es die belangte Behörde verabsäumt habe, auf das konkrete Vorbringen des BF1 einzugehen. Eine Rückkehr nach Afghanistan sei dem BF1 aufgrund der Verfolgung durch die Taliban und der Sicherheitslage, insbesondere in der Provinz Herat, sowie des fehlenden sozialen Netzwerkes nicht zumutbar.

6. Das Bundesverwaltungsgericht führte am XXXX in Anwesenheit eines Dolmetschers für die Sprache Dari eine öffentliche mündliche Verhandlung durch. Der Rechtsvertreter der Beschwerdeführer sowie das Bundesamt erschienen nicht zur Verhandlung.

7. Mit Stellungnahme vom XXXX , eingelangt am XXXX , gaben die Beschwerdeführer, vertreten durch ihren Rechtsvertreter, eine Stellungnahme zur Lage in Afghanistan ab.

8. Das Bundesverwaltungsgericht führte am XXXX eine mündliche Verhandlung durch. Nach Schluss der mündlichen Verhandlung am XXXX erfolgte eine mündliche Verkündung des Erkenntnisses. Die Niederschrift zur mündlichen Verhandlung vom XXXX wurde der Vertreterin des Bundesamtes samt Belehrung gemäß § 29 Abs. 2a VwGVG persönlich übergeben.

9. Mit Schreiben vom 26.07.2019 ersuchte das Bundesamt um Ausfolgung des schriftlichen Erkenntnisses gemäß § 29 Abs 4 VwGVG in Bezug auf den BF1. Die BF1 bis BF6 stellten innerhalb der Frist des § 29 Abs 5 VwGVG keinen Antrag auf schriftliche Ausfertigung der mündlich verkündeten Erkenntnisse. Das Bundesamt stellte innerhalb der Frist des § 29 Abs 4 VwGVG keinen Antrag auf Ausfertigung der mündlich verkündeten Erkenntnisse der BF2 bis BF6.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

Beweis wurde erhoben durch Einsicht in die Verwaltungsakte sowie in die Gerichtsakte, durch Einvernahme der Beschwerdeführer in der mündlichen Verhandlung und durch Einsichtnahme in die zu den Akten genommenen Unterlagen (Konvolut Auszüge GVS, Strafregister für BF1 und BF3; Länderinformationsblatt der Staatendokumentation über Afghanistan vom 29.06.2018 mit Aktualisierung vom 26.03.2019; EASO COI Report: Afghanistan key socio-economic indicators Focus on Kabul City, Mazar-e Sharif and Herat City, April 2019; Bericht, EASO, Afghanistan Netzwerke, Jänner 2018; Anfragebeantwortung der Staatendokumentation Afghanistan; Lage in Herat-Stadt und Mazar-e-Sharif aufgrund anhaltender Dürre, 13.09.2018;

Anfragebeantwortung der Staatendokumentation AFGHANISTAN, Taliban Drohbriefe, Bedrohung militärischer Mitarbeiter vom 28.07.2016;

Accord Anfragebeantwortung zu Afghanistan: Folgen von Dürre in den Städten Herat und Mazar-e Sharif: Landflucht als Folge der Dürre;

Auswirkungen der Dürre/Landflucht auf die Versorgungmit Wasser und Lebensmitteln, auf die Wohnraumbeschaffung und die Situation am Arbeitsmarkt für Neuansiedler (insbesondere von RückkehrerInnen) [a-10737] vom 12.10.2018; Anfragebeantwortung zur Afghanistan: Lage von Menschen mit Behinderungen auf dem Arbeitsmarkt vom 28. Februar 2019 (a-10896); Bericht Landinfo: Afghanistan: Organisation und Struktur der Taliban vom 23.08.2017; Anfragebeantwortung zu

Afghanistan: Existenzmöglichkeiten alleinstehender Frauen und Mädchen vom 13.10.2017; Anfragebeantwortung der Staatendokumentation Fälschungssicherheit von afghanischen Dokumenten vom 14.2.2019; EASO

Country Guidance: Afghanistan Common Analysis of June 2019 (EASO Leitlinien Afghanistan vom Juni 2019); Analyse der Staatendokumentation Afghanistan Informationen zu sozio-ökonomischen Faktoren in der Provinz Herat auf Basis von Interviews im Zeitraum November 2018 bis Januar 2018 vom 13.06.2019).

1.1. Zur Person des BF1

Der BF1 führt den Namen XXXX , und das Geburtsdatum XXXX . Er ist afghanischer Staatsangehöriger, gehört der Volksgruppe der Tadschiken an, bekennt sich zum sunnitischen Glauben und spricht Dari als Muttersprache. Der BF1 wurde in der Provinz Herat, in einem Dorf nahe der Stadt Herat, geboren.

Der BF1 ist gelernter Maurer. Der BF1 verließ Afghanistan ca. im Jahr 1999 und lebte danach durchgehend bis zu seiner Ausreise im Iran, wo er als Bauarbeiter arbeitete.

Der BF1 hält sich seit ihrer Antragstellung am XXXX aufgrund einer vorübergehenden Aufenthaltsberechtigung nach dem AsylG 2005 durchgehend rechtmäßig im Bundesgebiet auf.

Die Mutter des BF1 sowie seine drei Brüder leben im Iran. Der Vater des BF1 ist bereits verstorben. Seine vier Schwestern sind wesentlich älter als der BF1. Sie sind alle in Afghanistan in Herat verheiratet, wo sie auch leben (BFA-Akt, AS 37, OZ 12, S. 27). Die drei Schwestern der BF2 leben im Iran (BFA-Akt, AS 101; OZ 12, S. 11). Die Eltern und ein Bruder der BF2 leben in Österreich; zwei Brüder leben in Deutschland. Eine Tante und ein Onkel väterlicherseits leben im Iran; ein weiterer Onkel väterlicherseits lebt in Afghanistan (OZ 12, S. 11).

Der BF1 hat zu seiner Mutter im Iran regelmäßig Kontakt. Zu drei seiner Schwester hat der Beschwerdeführer seit vielen Jahren keinen Kontakt. Er hatte zu einer Schwester telefonischen Kontakt, als er noch im Iran lebte.

Die Brüder des BF1 leben im Iran und arbeiten auf Baustellen, sie versorgen auch die Mutter des BF1.

Weder die Familie des BF1 noch die Familie der BF2 hat in Afghanistan Eigentum. Eine finanzielle oder sonstige konkrete Unterstützung des BF1 durch seine Familienangehörigen ist bei einer Rückkehr der Beschwerdeführer nach Afghanistan nicht zu erwarten.

Die Beschwerdeführer verfügen im Übrigen über keine familiären und sozialen Anknüpfungspunkte in Afghanistan.

Der BF1 ist gesund (OZ 12, S. 5).

Er geht derzeit keiner Erwerbstätigkeit nach. Der BF1 und seine Familie leben von der Grundversorgung, sie sind nicht selbsterhaltungsfähig (Speicherauszug aus dem Betreuungsinformationssystem vom XXXX ).

Alle Beschwerdeführer sind in Österreich strafgerichtlich unbescholten (Strafregisterauszug vom XXXX ).

1.2. Zu den Personen der BF2 bis BF6

Der BF1 ist mit der BF2, XXXX , geboren am XXXX , traditionell verheiratet. Das Ehepaar hat vier Kinder (BF3 bis BF6): XXXX (BF3), geboren am XXXX , XXXX ( BF4), geboren am XXXX , XXXX (BF5), geboren am XXXX und XXXX (BF6), geboren am XXXX . Die Familie lebte bis ca. 1999 in Herat. Von ca. 1999 bis zu ihrer Ausreise lebten BF1 bis BF3 im Iran. Die Kinder BF4 bis BF6 wurden im Iran geboren. BF4 und BF5 sind ledig und waren noch nie berufstätig.

Die BF2 verfügt über keine Schul- oder Berufsausbildung und war nie erwerbstätig. Die drei Schwestern der BF2 leben im Iran (BFA-Akt, AS 101; OZ 12, S. 11). Die Eltern und ein Bruder der BF2 leben in Österreich; zwei Brüder leben in Deutschland. Eine Tante und ein Onkel väterlicherseits leben im Iran; ein weiterer Onkel väterlicherseits lebt in Afghanistan (OZ 12, S. 11).

Die Dritt-, Viert-, Fünft-, Sechstbeschwerdeführer leben alle mit ihren Eltern im Familienverband und sind gesund (OZ 12, S. 5). Die Viertbeschwerdeführerin ist gehörlos (Befund vom 12.12.2016 des XXXX , BFA-Akt, AS 161; Sachverständigengutachten des Bundesamtes für Soziales und Behindertenwesen, vorgelegt in der mündlichen Verhandlung, OZ 12, S. 8) und spricht keine Gebärdensprache.

Die Beschwerden der BF2, BF3 BF4, BF5 und BF6 wurde jeweils mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom XXXX zu XXXX (BF2), XXXX (BF3), XXXX (BF4), XXXX (BF5) und W273 2178706-1 (BF6) bezüglich des Antrages auf Gewährung des Status als Asylberechtigte abgewiesen. Den Beschwerden der BF2, BF4 bis BF6 wurde gleichzeitig bezüglich ihres Antrages auf Gewährung des Status als subsidiär Schutzberechtigte stattgegeben und ihnen wurde der Status der subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt. Mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom XXXX wurde die Beschwerde des BF3 bezüglich seines Antrages auf Gewährung des Status als subsidiär Schutzberechtigter abgewiesen.

1.3. Zu den Fluchtgründen des BF1

Das vom BF1 ins Treffen geführte Verfolgungsvorbringen kann nicht festgestellt werden.

Weder der BF1 noch seine Familie (BF2 bis BF6) wurden in Afghanistan von Privatpersonen oder den Taliban bedroht. Die vom Beschwerdeführer vorgebrachten Ereignisse, wonach er als Soldat einen Talib getötet habe, woraus sich eine Feindschaft mit der Familie des Getöteten ergeben habe, die zur Verfolgung des BF1 führte, haben sich nicht ereignet.

Dem BF1 droht in Afghanistan mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit keine gegen ihn gerichtete Verfolgung oder Bedrohung durch staatliche Organe oder durch Private, weder vor dem Hintergrund seiner ethnischen Zugehörigkeit, seiner Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe, noch aus Gründen seiner politischen Gesinnung oder aus anderen Gründen. Der Beschwerdeführer hat Afghanistan weder aus Furcht vor Eingriffen in die körperliche Integrität, noch wegen Lebensgefahr verlassen.

Es kann nicht festgestellt werden, dass der BF1 aufgrund seines in Österreich angenommenen Lebensstils oder seinem Aufenthalt in einem europäischen Land in Afghanistan psychischer oder physischer Gewalt ausgesetzt wäre.

1.4. Zur Rückkehr in den Herkunftsstaat

BF4-BF6 sind auf die Versorgung durch ihre Eltern angewiesen. Die BF4 ist als zu 80% behindert eingestuft. BF5 ist eine alleinstehende Frau ohne Berufserfahrung. Im Fall einer Rückkehr in die Herkunftsprovinz Herat im Familienverband müsste der BF1 neben seiner eigenen Versorgung allein für die Versorgung der BF2, BF4, BF5 und des mj BF6 aufkommen. Der BF1 und die BF2 waren seit ca 1999 nicht mehr in Afghanistan und verfügen dort über keine konkreten Wohnmöglichkeiten sowie über kein soziales Netzwerk und keine finanziellen oder sonstigen Unterstützungsmöglichkeiten.

Bei einer Rückkehr in die Herkunftsprovinz Herat bzw. im Fall einer Ansiedelung in der Stadt Kabul oder Mazar-e Sharif könnten der BF1 und die BF2 die grundlegenden und notwendigen Lebensbedürfnisse, wie Nahrung, Kleidung sowie Unterkunft, jeweils für sich selbst, die gehörlose BF4, die alleinstehende BF5 und den minderjährigen BF6 nicht befriedigen und kämen daher in eine existenzbedrohende Notlage.

1.5. Zur aktuellen Situation in Afghanistan

Sicherheitslage

Die Sicherheitslage in Afghanistan bleibt volatil. Die Vereinten Nationen (UN) registrierten im Berichtszeitraum 16.8.2018 - 15.11.2018 5.854 sicherheitsrelevante Vorfälle, was einen Rückgang von 2% gegenüber dem Vergleichszeitraum des Vorjahres bedeutet. Bewaffnete Zusammenstöße gingen um 5% zurück, machten aber weiterhin den Großteil der sicherheitsrelevanten Vorfälle (63%) aus. Selbstmordanschläge gingen um 37% zurück, was möglicherweise an erfolgreichen Bekämpfungsmaßnahmen in Kabul-Stadt und Jalalabad liegt. Luftangriffe durch die afghanische Luftwaffe (AAF) sowie internationale Streitkräfte stiegen um 25%. Die am stärksten betroffenen Regionen waren der Süden, der Osten und der Süd-Osten.

Nach dem Taliban-Angriff auf Ghazni-Stadt im August 2018, bestand weiterhin die Befürchtung, dass die Taliban großangelegte Angriffe im Südosten des Landes verüben könnten. Dies war zwar nicht der Fall, dennoch setzten Talibankämpfer die afghanischen Sicherheitskräfte am Stadtrand von Ghazni, in Distrikten entlang des Highway One nach Kabul und durch die Einnahme des Distrikts Andar in Ghazni im Oktober weiterhin unter Druck. Im Westen der Provinz Ghazni, wo die ethnische Gruppierung der Hazara eine Mehrheit bildet, verschlechterten sich die Sicherheitsbedingungen wegen großangelegter Angriffe der Taliban, was im November zur Vertreibung zahlreicher Personen führte. Trotz verschiedener Kampfhandlungen und Bedrohungen blieben mit Stand Dezember 2018 gemäß SIGAR die Provinzzentren aller afghanischen Provinzen unter Kontrolle bzw. Einfluss der afghanischen Regierung (Länderinformationsblatt der Staatendokumentation (LIB) vom 29.06.2018, letzte Kurzinformation eingefügt am 26.03.2019 - Folgenden "LIB 26.03.2019", S. 16).

Die Regierung kontrolliert bzw. beeinflusst - laut Angaben der Resolute Support (RS) Mission - mit Stand 22.10.2018 53,8% der Distrikte, was einen leichten Rückgang gegenüber dem Vergleichszeitraum 2017 bedeutet. 33,9% der Distrikte sind umkämpft und 12,3% befinden sich unter Einfluss oder Kontrolle von Aufständischen. Ca. 63,5% der Bevölkerung leben in Gebieten, die sich unter Regierungskontrolle oder -einfluss befinden; 10,8% in Gegenden unter Einfluss bzw. Kontrolle der Aufständischen und 25,6% leben in umkämpften Gebieten. Die Provinzen mit der höchsten Anzahl an Distrikten unter Kontrolle bzw. Einfluss von Aufständischen sind Kunduz, Uruzgan und Helmand (LIB 26.03.2019, S. 17).

Zivile Opfer

Die United Nations Assistance Mission in Afghanistan (UNAMA) registrierte im Berichtszeitraum (1.1.2018 - 31.12.2018) 10.993 zivile Opfer (3.804 Tote und 7.189 Verletzte), eine allgemeine Steigerung von 5% sowie eine Steigerung der Zahl der Toten um 11% gegenüber dem Vorjahreswert. 42% der zivilen Opfer wurden durch IED im Zuge von Anschlägen und Selbstmordanschlägen regierungsfeindlicher Gruppierungen (hauptsächlich ISKP) verursacht. Die Anzahl der Selbstmordanschläge unter Einsatz von IED stieg dabei um 22% und erreichte somit einen Rekordwert. Diese Art von Anschlägen verursachte 26% aller zivilen Opfer, während IED, die bei Nichtselbstmordanschlägen verwendet wurden, 16% der zivilen Opfer forderten. Kabul war mit insgesamt 1.866 Opfern die Provinz mit der höchsten Anzahl an Selbstmordanschlägen durch IED. Zusammenstöße am Boden (hauptsächlich zwischen regierungsfreundlichen und regierungsfeindlichen Gruppierungen) verursachten 31% der zivilen Opfer (insgesamt 3.382; davon 814 Tote und 2.568 Verletzte), was einen Rückgang um 3% im Vergleich mit dem Vorjahreswert bedeutet. Grund dafür war der Versuch regierungsfreundlicher Gruppierungen, die zivile Bevölkerung zu schonen. Die Verlagerung der Kämpfe in dünn besiedelte Gebiete, die Vorwarnung der lokalen Zivilbevölkerung bei Kampfhandlungen und die Implementierung von Strategien zum Schutz der Bevölkerung waren einige der bestimmenden Faktoren für den Rückgang bei zivilen Opfern. Jedoch ist die Opferzahl bei gezielt gegen die Zivilbevölkerung gerichteten komplexen Angriffen und Selbstmordanschlägen regierungsfeindlicher Gruppierungen gestiegen (plus 48% gegenüber 2017) (LIB 26.03.2019, S. 20).

Sowohl der ISKP als auch die Taliban griffen gezielt Zivilisten an:

Der ISKP war für 1.871 zivile Opfer verantwortlich, darunter waren u. a. Mitglieder der schiitischen Gemeinschaft, und die Taliban für

1.751. Obwohl die Gesamtzahl der zivilen Opfer durch gezielte Tötungen von Einzelpersonen (hauptsächlich durch Erschießung) zurückging, blieben Zivilisten inklusive religiöser Führer und Stammesältester weiterhin Ziele regierungsfeindlicher Gruppierungen. Die Gesamtzahl der durch Luftangriffe verursachten zivilen Opfer stieg im Vergleich mit dem Vorjahreswert um 61% und die Zahl der Todesopfer erreichte 82%. 9% aller zivilen Opferwurden Luftangriffen (mehrheitlich der internationalen Luftwaffe) zugeschrieben, der höchste Wert seit 2009 (LIB 26.03.2019, S. 20).

Regierungsfeindliche Gruppierungen waren im UNAMA-Berichtszeitraum (1.1.2018 - 31.12.2018) für 6.980 zivile Opfer verantwortlich. Das entspricht 63% der gesamten zivilen Opfer. 37% davon werden den Taliban, 20% dem ISKP und 6% unbestimmten regierungsfeindlichen Gruppierungen zugeschrieben. Im Laufe des Jahres 2018 wurden vermehrt Anschläge gegen Bildungseinrichtungen verzeichnet, meist durch Talibankämpfer, da in Schulen Registrierungs- und Wahlzentren untergebracht waren. Der ISKP attackierte und bedrohte Bildungseinrichtungen als Reaktion auf militärische Operationen afghanischer und internationaler Streitkräfte. UNAMA berichtet auch über anhaltende Angriffe auf Gesundheitseinrichtungen, welche Auswirkungen auf einen Großteil der zivilen Bevölkerung haben. Trotzdem die Taliban nach eigenen Angaben Maßnahmen zum Schutz der Zivilbevölkerung ergriffen haben, attackierten diese weiterhin Zivilisten, zivile Einrichtungen und regierungsfreundliche Gruppierungen in Zivilgebieten. Ungefähr 24% der zivilen Opfer, werden regierungsfreundlichen Gruppierungen zugeschrieben: 14% den afghanischen Sicherheitskräften, 6% den internationalen Streitkräften und 4% unbestimmten regierungsfreundlichen Gruppierungen (LIB 26.03.2019, S. 21).

Die Taliban und weitere aufständische Gruppierungen wie der Islamische Staat (IS) verübten auch weiterhin "high-profile"-Angriffe, speziell im Bereich der Hauptstadt, mit dem Ziel, eine Medienwirksamkeit zu erlangen und damit ein Gefühl der Unsicherheit hervorzurufen und so die Legitimität der afghanischen Regierung zu untergraben. Möglicherweise sehen Aufständische Angriffe auf die Hauptstadt als einen effektiven Weg, um das Vertrauen der Bevölkerung in die Regierung zu untergraben, anstatt zu versuchen, Territorium in ländlichen Gebieten zu erobern und zu halten (LIB 26.03.2019, S. 63).

In den ersten Monaten des Jahres 2018 wurden verstärkt Angriffe bzw. Anschläge durch die Taliban und den IS in verschiedenen Teilen Kabuls ausgeführt. Als Antwort auf die zunehmenden Angriffe wurden Luftangriffe und Sicherheitsoperationen verstärkt, wodurch Aufständische in einigen Gegenden zurückgedrängt wurden; auch wurden in der Hauptstadt verstärkt Spezialoperationen durchgeführt, wie auch die Bemühungen der US-Amerikaner, Terroristen zu identifizieren und zu lokalisieren. Landesweit haben Aufständische, inklusive der Taliban und des IS, in den Monaten vor Jänner 2018 ihre Angriffe auf afghanische Truppen und Polizisten intensiviert; auch hat die Gewalt Aufständischer gegenüber Mitarbeiter/innen von Hilfsorganisationen in den letzten Jahren zugenommen. Die Taliban verstärken ihre Operationen, um ausländische Kräfte zu vertreiben; der IS hingegen versucht, seinen relativ kleinen Einflussbereich zu erweitern. Die Hauptstadt Kabul ist in diesem Falle für beide Gruppierungen interessant. Angriffe auf afghanische Sicherheitskräfte und Zusammenstöße zwischen diesen und den Taliban finden weiterhin statt (LIB 26.03.2019, S. 63).

Im ersten Quartal 2019 fanden Anschläge in Kabul mit zahlreichen Todesopfern statt (LIB 26.03.2019, S. 12, 25, 27). Im ersten Quartal 2019 fanden Friedensgespräche zwischen den USA und den Taliban statt (LIB 26.03.2019, S. 13, 23).

Regierungsfeindliche Gruppierungen:

Terroristische und aufständische Gruppierungen stellen Afghanistan und die Koalitionskräfte vor erhebliche Herausforderungen. Derzeit sind rund 20 terroristische Organisationen in Afghanistan zu finden:

Das von außen unterstützte Haqqani-Netzwerk stellt nach wie vor die größte Gefährdung für afghanische und internationale Kräfte dar. Die Verflechtung von Taliban und Haqqani-Netzwerk ist so intensiv, dass diese beiden Gruppierungen als Fraktionen ein und derselben Gruppe angesehen werden. Wenn auch die Taliban öffentlich verkündet haben, sie würden zivile Opfer einschränken, so führt das Haqqani-Netzwerk auch weiterhin Angriffe in bevölkerungsreichen Gegenden aus (LIB 26.03.2019, S. 72).

Im August 2017 wurde berichtet, dass regierungsfeindliche bewaffnete Gruppierungen - insbesondere die Taliban - ihre Aktivitäten landesweit verstärkt haben, dies trotz des Drucks der afghanischen Sicherheitskräfte und der internationalen Gemeinschaft, ihren Aktivitäten ein Ende zu setzen. Auch sind die Kämpfe mit den Taliban eskaliert, da sich der Aufstand vom Süden in den sonst friedlichen Norden des Landes verlagert hat, wo die Taliban auch Jugendliche rekrutieren. Ab dem Jahr 2008 expandierten die Taliban im Norden des Landes. Diese neue Phase ihrer Kampfgeschichte war die Folge des Regierungsaufbaus und Konsolidierungsprozess in den südlichen Regionen des Landes. Darüber hinaus haben die Taliban hauptsächlich in Faryab und Sar-i-Pul, wo die Mehrheit der Bevölkerung usbekischer Abstammung ist, ihre Reihen für nicht-paschtunische Kämpfer geöffnet. Teil der neuen Strategie der Regierung und der internationalen Kräfte im Kampf gegen die Taliban ist es, die Luftangriffe der afghanischen und internationalen Kräfte in jenen Gegenden zu verstärken, die am stärksten von Vorfällen betroffen sind. Dazu gehören u.a. die östlichen und südlichen Regionen, in denen ein Großteil der Vorfälle registriert wurde (LIB 26.03.2019, S. 72).

Taliban

Die Taliban führten auch ihre Offensive "Mansouri" weiter; diese Offensive konzentrierte sich auf den Aufbau einer "Regierungsführung" der Taliban (Engl. "governance") bei gleichzeitiger Aufrechterhaltung der Gewalt gegen die afghanische Regierung, die ANDSF und ausländische Streitkräfte. Nichtsdestotrotz erreichten die Taliban, die Hauptziele dieser "Kampfsaison" laut US-Verteidigungsministerium nicht. Operation Mansouri sollte eine Mischung aus konventioneller Kriegsführung, Guerilla-Angriffen und Selbstmordattentaten auf afghanische und ausländische Streitkräfte werden). Auch wollten sich die Taliban auf jene Gegenden konzentrieren, die vom Feind befreit worden waren. Laut NATO Mission Resolute Support kann das Scheitern der Taliban-Pläne für 2017 auf aggressive ANDSF-Operationen zurückgeführt, aber auch auf den Umstand, dass die Taliban den IS und die ANDSF gleichzeitig bekämpfen müssen (LIB 26.03.2019, S. 73).

Im Jahr 2017 haben sich die Taliban zu 67 willkürlichen Angriffen auf Zivilist/innen bekannt; dies führte zu 214 zivilen Opfern (113 Toten und 101 Verletzten). Auch wenn sich die Taliban insgesamt zu weniger Angriffen gegen Zivilist/innen bekannten, so haben sie dennoch die Angriffe gegen zivile Regierungsmitarbeiter/innen erhöht - es entspricht der Linie der Taliban, Regierungsinstitutionen anzugreifen. Schätzungen von SIGAR zufolge kontrollierten im Oktober 2017 und im Jänner 2018 die Taliban 14% der Distrikte Afghanistans (SIGAR 30.4.2018). Die Taliban selbst verlautbarten im März 2017, dass sie beinahe 10% der afghanischen Distrikte kontrollierten (LIB 26.03.2019, S. 73).

Potentielle Zielpersonen der Taliban / Wichtigkeit für die Taliban

Die Strukturen der Nachrichtendienste der Taliban sind im Laufe der Zeit entstanden und wurden dabei zunehmend ausgefeilter. Der Taliban Führung scheint daran gelegen zu sein, willkürliche Gewaltanwendung möglichst zu vermeiden und sich nach klar definierten Regeln ausschließlich auf Personen zu konzentrieren, die eindeutig Taliban-Gegner sind. Zwar werden die Regeln nicht immer eingehalten, aber die Führung scheint sich redlich darum zu bemühen (Afghanistan: Taliban's Intelligence and the intimidation campaign) vom 23.08.2017 - im Folgenden "Landinfo Nachrichtendienst Taliban", S. 3).

Die Taliban haben eine Vielzahl von Personen ins Visier genommen, die sich ihrer Meinung nach "fehlverhalten":

a) Politische Feinde: die Anführer und wichtigsten Mitglieder der Parteien und Gruppen, die den Taliban feindlich gesinnt sind;

b) Regierungsbeamte und Mitarbeiter westlicher und anderer "feindlicher" Regierungen - alle Zivilisten, die für die Regierung oder für westliche diplomatische Vertretungen und andere Einrichtungen arbeiten;

c) Angehörige der afghanischen Sicherheitskräfte jeden Ranges;

d) Personen, von denen angenommen wird, dass sie die Taliban für die Regierung ausspionieren oder Informationen über sie liefern;

e) Personen, die gegen die Shari'a (entsprechend der Auslegung der Taliban) und die Regeln der Taliban verstoßen;

f) Kollaborateure der afghanischen Regierung - praktisch jeder, der der Regierung in irgendeiner Weise hilft;

g) Kollaborateure des ausländischen Militärs - praktisch jeder, der den ausländischen Streitkräften in irgendeiner Weise hilft;

h) Auftragnehmer der afghanischen Regierung;

i) Auftragnehmer anderer Länder, die gegen die Taliban sind;

j) Dolmetscher, die für feindliche Länder arbeiten;

k) Personen jeder Art, die die Taliban in irgendeiner Weise für nützlich oder notwendig für ihre Kriegsführung erachten, die die Zusammenarbeit verweigern (Bericht Landinfo: Afghanistan: Der Nachrichtendienst der Taliban und die Einschüchterungskampagne (Landinfo Nachrichtendienst Taliban, S. 11).

Außer den Personen in den oben genannten Kategorien a), d), e) und

k) bieten die Taliban allen Personen, die sich "fehlverhalten" die Chance, Reue und den Willen zur Wiedergutmachung zu zeigen. Die Personen in den Kategorien a), d), e) und k) haben allein schon durch die Zugehörigkeit zu dieser Kategorie, Verbrechen begangen, im Gegensatz zu einer Tätigkeit als Auftragnehmer. Dies sehen die Taliban nur dann als Verbrechen an, wenn der Auftragnehmer die Warnungen der Taliban in den Wind schlägt. Die Chance zu bereuen, ist ein wesentlicher Aspekt der Einschüchterungstaktik der Taliban und dahinter steht hauptsächlich der folgende Gedanke: das Funktionieren der Kabuler Regierung ohne übermäßiges Blutvergießen zu unterminieren und Personen durch Kooperation an die Taliban zu binden. Die Personen der Kategorien b), c), f), g), h), i) und j) können einer "Verurteilung" durch die Taliban entgehen, indem sie ihre vermeintlichen "feindseligen" Tätigkeiten nach einer Verwarnung einstellen (Landinfo Nachrichtendienst Taliban, S. 12).

b) Regierungsmitarbeiter und Mitarbeiter westlicher Regierungen: Sie können einer Warnung oder Verurteilung vor Erhalt des letzten Drohbriefes entgehen, wenn sie Abgaben zahlen, Informationen liefern und ihre Kollegen für die Taliban ausspionieren, um deren Aktionen gegen die eigenen Arbeitgeber zu unterstützen oder zur Verbesserung der Organisation der Taliban beizutragen.

c)

Angehörige der afghanischen Sicherheitskräfte jeden Ranges: wie

b)

oben, sie haben aber auch die Option, zu den Taliban überzulaufen und Absichtserklärungen mit den Taliban zu unterzeichnen (als gesamte Einheit), in denen eine im gemeinsamen Interesse liegende Gegenleistung angeboten wird.

f) Kollaborateure der afghanischen Regierung: wie b) oben

g) Kollaborateure des ausländischen Militärs und im militärischen Zusammenhang stehende Unterstützungsleistungen, einschließlich der Mitarbeiter in den Unterkünften: wie b) oben

h) Auftragnehmer der afghanischen Regierung: wie b) oben

i)

Auftragnehmer, die für talibanfeindliche Länder tätig sind: wie

b)

oben

j) Dolmetscher, die für feindliche Länder arbeiten: wie b) oben (Landinfo Nachrichtendienst Taliban, S. 12)

Die Taliban nennen als ihre wichtigsten Zielpersonen die Offiziere der nationalen Sicherheitsdienste (NDS), Dolmetscher bzw. alle, die für das/mit dem ausländischen Militär und Diplomaten arbeiten. So behaupten die Taliban beispielsweise, dass sie 2015 15 Dolmetscher in Kabul und den umliegenden Vororten getötet hätten und im Jahr 2016 bis Anfang Dezember 23; es bleibt unklar, ob die Taliban ihre Opfer auch zu Recht als Dolmetscher identifiziert haben. Die Taliban bauschen ihre Erfolge sicherlich auf, indem sie unzutreffende Opferzahlen angeben (insbesondere, wenn Bomben eingesetzt werden). Die meisten Angriffe fanden in den Vororten statt (2016 waren es 17). Die Taliban nehmen natürlich auch Ausländer ins Visier, insbesondere, wenn sie irgendwie an der Bekämpfung des Aufstandes beteiligt sind (Landinfo Nachrichtendienst Taliban, S. 13).

Überall, wo die Taliban vertreten sind, zielten sie von vorne herein insbesondere auf die Angehörigen der afghanischen Sicherheitskräfte ab, die sich weigern, den Dienst zu quittieren. Sie übten Druck auf deren Familien aus, um deren Ausscheiden zu erzwingen und drohten Bestrafung an, wenn ihrer Forderung nicht Folge geleistet würde. In einigen Fällen sind sie sogar soweit gegangen, Verwandte hinzurichten. Zumeist waren diese Sicherheitskräfte und ihre Familien schließlich gezwungen, in sicherere, von der Regierung kontrollierte Gebiete umzusiedeln, obwohl die Taliban ihre Ziele teilweise auch dort heimsuchen. Andere, die es sich leisten können, scheiden aus und im Laufe der Jahre sind hunderte hingerichtet worden. Selbst diejenigen, die umsiedeln, laufen Gefahr, auf dem Weg an den Straßensperren der Taliban festgehalten zu werden (Landinfo Nachrichtendienst Taliban, S. 13).

Im Grunde genommen steht jeder auf der schwarzen Liste, der (aus Sicht der Taliban) ein 'Übeltäter' ist und dessen Identität und Anschrift die Taliban ausfindig machen können. Diese Details sind wesentlich, denn nach den Regeln der Taliban, muss ein Kollaborateur gewarnt werden und Gelegenheit erhalten, auf den richtigen Weg zurückzukehren, bevor er auf die schwarze Liste gesetzt wird. Damit die Einschüchterungstaktiken der Taliban funktionieren, hängen sie also davon ab, dass ihre Informanten Angaben zu den potenziellen Zielpersonen liefern. Die Taliban behaupten jedoch, dass sie, dank ihrer Spione bei der Grenzpolizei am Flughafen Kabul und auch an vielen anderen Stellen, überwachen können, wer in das Land einreist. Sie geben an, dass sie regelmäßig Berichte darüber erhalten, wer neu ins Land einreist (Landinfo Nachrichtendienst Taliban, S. 14).

Das Verhältnis der Taliban zur Lokalbevölkerung

Die Taliban wenden eine Kombination von Zwang und Kooptierung an, um sich die Gunst der Lokalbevölkerung zu sichern. Taliban-feindliche Elemente und Kollaborateure der Regierung werden im Regelfall ermahnt, sich zu bessern oder mit den Taliban zu kooperieren; nach mindestens drei erfolgten Ermahnungen können sie von den Taliban auf die schwarze Liste gesetzt werden. Das Töten von feindlichen Elementen und Kollaborateuren dient als Exempel und soll eine Einschüchterungswirkung entfalten: Die Taliban dotieren ungenügende Ressourcen für gezielte Maßnahmen gegen alle, die sie als Kollaborateure einstufen (derer gibt es nahezu eine Million), doch versuchen sie offensichtlich, die Zentralregierung durch Angstpropaganda zu untergraben und die Menschen davon zu überzeugen, sich für den friktionsfreieren Weg einer Zusammenarbeit mit den Taliban zu entscheiden (Bericht Landinfo: Afghanistan: Organisation und Struktur der Taliban (Afghanistan: Taliban's organization and structure) vom 23.08.2017, im Folgenden "Bericht Struktur Taliban", S. 18).

Die lokalen Talibanmilizen spielen eine Schlüsselrolle in der Vernetzung der Taliban mit den lokalen Gemeinschaften. Talibanteams werden in den Dörfern zumeist über Vermittlung des örtlichen Mullahs nach Einigung mit den Ältesten rekrutiert. Die örtlichen Taliban stehen unter dem Einfluss der Ältesten, sind jedoch dem Gouverneur der Taliban verantwortlich. Die Präsenz örtlicher Taliban in einem Dorf bietet Schutz vor marodierenden Banden, gewalttätigen ausländischen Kämpfern und gebietsfremden Taliban und verschafft den Dorfältesten eine gewisse Mitsprache beim Talibangouverneur. Die Talibanführung behält sich das Recht vor, die Kommandanten dieser Milizen auszuwählen, und die Mullahs vertreten die Interessen der Taliban auf lokaler Ebene (Bericht Struktur Taliban, S. 19).

Nach den Regeln der Taliban sollten Leiter der Militärkommissionen und Richter nicht lokal rekrutiert werden, alle anderen "Funktionsträger" werden jedoch zumeist lokal rekrutiert. Dadurch sind sie lokal verankert, aber auch in örtliche Stammesfehden und innergemeinschaftliche Dispute involviert. Die negativen Folgen dieser Praxis haben sich mit der zunehmenden internen Zersplitterung der Taliban noch verschärft; die Entscheidung, sich der einen oder anderen Schura anzuschließen, wird oft von Stammes-, Gemeinschafts- und persönlichen Rivalitäten innerhalb der Taliban diktiert (Bericht Struktur Taliban", S. 19).

Zur Provinz Herat und Herat-Stadt:

Herat ist eine der größten Provinzen Afghanistans und liegt im Westen des Landes. Herat grenzt im Norden an die Provinz Badghis und Turkmenistan, im Süden an die Provinz Farah, im Osten an die Provinz Ghor und im Westen an den Iran. Die Provinz ist in folgende Bezirke eingeteilt, die gleichzeitig auch die administrativen Einheiten bilden: Shindand, Engeel/Injil, Ghorian/Ghoryan, Guzra/Guzara und Pashtoon Zarghoon/Pashtun Zarghun, werden als Bezirke der ersten Stufe angesehen. Awba/Obe, Kurkh/Karukh, Kushk, Gulran, Kuhsan/Kohsan, Zinda Jan und Adraskan als Bezirke zweiter Stufe und Kushk-i-Kuhna/Kushki Kohna, Farsi, und Chisht-i-Sharif/Chishti Sharif als Bezirke dritter Stufe (UN OCHA 4.2014; vgl. Pajhwok o. D.). Provinzhauptstadt ist Herat-Stadt, welche sich im gleichnamigen Distrikt befindet und eine Einwohnerzahl von 506.900 hat (CP 21.9.2017). In der Provinz befinden sich zwei Flughäfen: ein internationaler in Herat-Stadt und ein militärischer in Shindand (vgl. Flughafenkarte der Staatendokumentation; Kapitel 3.35.). Die Bevölkerungszahl der Provinz wird auf 1.967.180 geschätzt (CSO 4.2017). In der Provinz leben Paschtunen, Tadschiken, Hazara, Turkmenen, Uzbeken und Aimaken (Pajhwok o.D.; vgl. NPS o.D.).

Herat ist eine relativ entwickelte Provinz im Westen des Landes. Das Harirud-Tal, eines der fruchtbarsten Täler des Landes, wo Baumwolle, Obst und Ölsaat angebaut werden, befindet sich in der Provinz (AJ 8.3.2012). Bekannt ist Herat auch wegen seiner Vorreiterrolle in der SafranProduktion (AJ 8.3.2012; vgl. EN 9.11.2017). Es sollen Regierungsprogramme und ausländische Programme zur Unterstützung der Safran-Produktion implementiert werden. Safran soll eine Alternative zum Mohnanbau werden (Tolonews 10.11.2017; vgl. EN 9.11.2017). Anfang Jänner 2018 wurde ein Labor zur Kontrolle der Safran-Qualität in Herat errichtet (Pajhwok 13.1.2018). Die Safran-Produktion garantierte z.B. auch zahlreiche Arbeitsplätze für Frauen in der Provinz (Tolonews 10.11.2017; vgl. EN 9.11.2017). Auch in unsicheren Gegenden wird Safran angebaut. (Tolonews 10.11.2017). Insgesamt wurden 2017 in der Provinz min. 8 Tonnen Safran produziert; im Vorjahr 2016 waren es 6.5 Tonnen (Pajhwok 13.1.2018; vgl. EN 9.11.2017). Trotzdem stieg im Jahr 2017 in der Provinz die Opiumproduktion. In den Distrikten Shindand und Kushk, geprägt von schlechter Sicherheitslage, war der Mohnanbau am höchsten (UNODC 11.2017).

Im Dezember 2017 wurden verschiedene Abkommen mit Uzbekistan unterzeichnet. Eines davon betrifft den Bau einer 400 Km langen Eisenbahnstrecke von Mazar-e Sharif und Maymana nach Herat (UNGASC 27.2.2018; vgl. RFE/RL 6.12.2017).

Mitte März 2018 wurde der Bau der TAPI-Leitung in Afghanistan eingeweiht. Dabei handelt es sich um eine 1.800 Km lange Pipeline für Erdgas, die Turkmenistan, Afghanistan, Pakistan und Indien 30 Jahre lang mit 33 Billionen m³ turkmenischem Erdgas versorgen soll. Die geplante Leitung wird sich entlang der Herat-Kandahar-Autobahn erstrecken. Somit wird sie durch Gegenden, auf die die Taliban einen starken Einfluss haben, verlaufen. Jedoch erklärten die Taliban, TAPI sei ein "wichtiges Projekt" und sie würden es unterstützen (PPG 26.2.2018; vgl. RFE/RL 23.2.2018). Im Rahmen des TAPI-Projekts haben sich 70 Taliban bereit erklärt, an den Friedensprozessen teilzunehmen (Tolonews 4.3.2018). Um Sicherheit für die Umsetzung des TAPI-Projekts zu gewähren, sind tausende Sicherheitskräfte entsandt worden (Tolonews 14.3.2018).

Allgemeine Informationen zur Sicherheitslage

Herat wird als eine der relativ friedlichen Provinzen gewertet, dennoch sind Aufständische in einigen Distrikten der Provinz, wie Shindand, Kushk, Chisht-i-Sharif und Gulran, aktiv (AN 18.2.2018; vgl. UNODC 12.2017, Khaama Press 25.10.2017, AJ 25.6.2017). Des Weiteren wurde Ende Oktober 2017 verlautbart, dass die Provinz Herat zu den relativ ruhigen Provinzen im Westen des Landes zählt, wenngleich sich in den abgelegenen Distrikten die Situation in den letzten Jahren aufgrund der Taliban verschlechtert hat (Khaama Press 25.10.2017).

Die Provinz ist u.a. ein Hauptkorridor für den Menschenschmuggel in den Iran bekannt - speziell von Kindern (Pajhwok 21.1.2017).

Mitte Februar 2018 wurde von der Entminungs-Organisation Halo Trust bekannt gegeben, dass nach zehn Jahren der Entminung 14 von 16 Distrikten der Provinz sicher seien. In diesen Gegenden bestünde keine Gefahr mehr, Landminen und anderen Blindgängern ausgesetzt zu sein, so der Pressesprecher des Provinz-Gouverneurs. Aufgrund der schlechten Sicherheitslage und der Präsenz von Aufständischen wurden die Distrikte Gulran und Shindand noch nicht von Minen geräumt. In der Provinz leben u.a. tausende afghanische Binnenflüchtlinge (AN 18.2.2018).

Zu den aktuellen sozio-ökonomischen Rahmenbedingungen in der Stadt Herat (Zusammenfassung des Berichts von EASO "Afghanistan Key socio-economic indicators - Focus on Kabul City, Mazar-e Sharif and Herat City", April 2019 zu den angegebenen Seitenzahlen):

Zur Provinz Herat und der Hauptstadt Herat:

Die Provinz Herat hat im Zeitraum 2017-2018 ca. 507.000 EinwohnerInnen (EASO "Afghanistan Key socio-economic indicators - Focus on Kabul City, Mazar-e Sharif and Herat City", April 2019, S.12f). Die Bevölkerung in Herat setzt sich aus Tadschiken (Hauptbevölkerung Herats), einer paschtunischen Minderheit und Hazara (ca. ein Viertel der Bevölkerung) zusammen. Viele davon sind sind aus dem Exil zurückgekehrt und leben im Stadtteil Jebrael im Westen der Stadt, wo insgesamt ca. 60.000 Menschen leben. Die Ethnien leben meist getrennt voneinander (EASO "Afghanistan Key socio-economic indicators - Focus on Kabul City, Mazar-e Sharif and Herat City", April 2019, S.12f). 47 % der Bevölkerung besteht aus intern Vertriebenen und Rückkehrern, wobei es sich hauptsächlich um ökonomische MigrantInnen handelt (EASO "Afghanistan Key socio-economic indicators - Focus on Kabul City, Mazar-e Sharif and Herat City", April 2019, S.14f). Da Stämme in Herat weniger Rolle spielen, ist es für MigrantInnen leichter, sich dort niederzulassen. Lt. IOM ist Herat am meisten von MigrantInnen betroffen. Daher ist Herat geprägt von sozialer Instabilität, inadäquatem Zugang zu Grundservices und es besteht ein begrenzter Zugang zum Arbeitsmarkt. Aufgrund der Dürre im Herbst 2018 kamen zusätzlich ca. 60.000 Personen aus dem Umfeld in die Stadt Herat (EASO "Afghanistan Key socio-economic indicators - Focus on Kabul City, Mazar-e Sharif and Herat City", April 2019, S.14f).

Herat hat einen Flughafen, der außerhalb der Stadt, ca. 13 km nördlich des Zentrums liegt. (EASO "Afghanistan Key socio-economic indicators - Focus on Kabul City, Mazar-e Sharif and Herat City", April 2019, S.21f).

Herat besteht aus einer sehr jungen Bevölkerung. Das heißt, dass die Gruppe der 15- bis 64-Jährigen sehr klein ist und eine große wirtschaftliche Last tragen muss. Die Hälfte der Beschäftigten in Herat sind Tagelöhner (Handel, Bergbau und Handwerk). Herats Industrie wächst. Die Gefahr von Entführungen von Geschäftsleuten und deren Familienangehörigen durch Kriminelle, Energiemangel und Schwierigkeiten, im Wettbewerb mit Produkten aus dem Iran und dem Ausland zu konkurrieren, sowie steigende Arbeitslosigkeit, machen einen Aufschwung der Industrie unsicher (EASO "Afghanistan Key socio-economic indicators - Focus on Kabul City, Mazar-e Sharif and Herat City", April 2019, S.28f).

Familiennetzwerke sind lebensnotwendig für Rückkehrer, um Arbeit und Unterkunft zu finden. UMF, Frauen und Haushalte, denen Frauen vorstehen, sind trotz familiären Netzwerkes vulnerabel (EASO "Afghanistan Key socio-economic indicators - Focus on Kabul City, Mazar-e Sharif and Herat City", April 2019, S.29).

Stammeskonflikte spielen in Herat weniger eine Rolle, als die Konkurrenz um Arbeitsplätze, vor allem, da der Großteil der Rückkehrer als ungelernte Hilfskräfte arbeiten. Die Probleme der IDPs/Rückkehrer sind vor allem, so viel zu verdienen, dass sie sich Nahrung leisten zu können und Arbeitslosigkeit, mangelnde Ausbildung, Fähigkeiten und Kenntnisse, um eine Arbeit zu finden. (EASO "Afghanistan Key socio-economic indicators - Focus on Kabul City, Mazar-e Sharif and Herat City", April 2019, S. 30).

Herat ist relativ sicher, was Beschäftigung und Business-Möglichkeiten anbelangt, was die Stadt für Rückkehrer attraktiv macht. Herat kommt derzeit an die Grenze der Aufnahmekapazitäten, vor allem, weil viele Familien der Rückkehrer nachziehen. Shahrak Saadat wurde von der afghanischen Regierung im Jahr 2010 als Bezirk für Rückkehrer etabliert. Bisher wurde erst eine der geplanten 13 Phasen implementiert. Ca. 300 Familien bekamen Land und Häuser, davon sind nur noch 66 Familien dort. Es gibt viele leere Häuser, die von IDPs besiedelt werden. Es gibt dort Wasser und Strom, Schulen und medizinische Versorgung. Die Menschen wollen dort nicht leben, weil es weit weg von der Stadt Herat ist, es kaum Transportmöglichkeiten und es so gut wie keine Arbeitsmöglichkeiten dort gibt. Ein weiterer Bezirk ist Shegofan, der näher zur Stadt Herat gelegen ist. Auch dort gibt es Unterkunft, Wasser, Strom, Schulen und medizinische Versorgung. Dort leben IDPs und Rückkehrer samt ihren Familien. Es gibt dort einen Community Development Council (CDC), an welchem IDPs und Rückkehrer gemeinsam mit der Zivilbevölkerung von Herat teilnehmen, um deren Integration zu forcieren. Der CDC trifft sich regelmäßig, um Probleme zu erörtern und Lösungen zu finden. Der Großteil der IDPs und Rückkehrer arbeitet als Gelegenheitsarbeiter, die Männer arbeiten am Bau, als Auf- und Abladearbeiter am Markt, Frauen arbeiten als Reinigungskräfte. Viele Kinder sammeln Müll, putzen Autos, etc. Familien verdienen ca. 45 USD pro Monat, was zu wenig ist, um davon leben zu können (EASO "Afghanistan Key socio-economic indicators - Focus on Kabul City, Mazar-e Sharif and Herat City", April 2019, S.30).

2012-2013 lebte 38,3 % der Bevölkerung Afghanistans unter der Armutsgrenze, 2016-2017 waren dies bereits 54,5 %. Die Armutsgrenze steigt in den Wintermonaten, was damit zusammenhängt, dass es hier keine Arbeitsmöglichkeiten in der Landwirtschaft gibt und auch die Lebensmittelpreise steigen. 59% der Menschen leben in Haushalten, in dem der Haushaltsvorstand in einem vulnerablen Arbeitsverhältnis steht, d.h. er ist entweder selbstständig, arbeitet auf eigene Rechnung oder ist Gelegenheitsarbeiter, oder hat eine unbezahlte Arbeit. Je mehr Familienmitglieder zu versorgen sind, desto größer ist das Risiko der Armut. Die Armut wird immer mehr in die Städte getragen, weil die armen Menschen in die Städte drängen. Die zentrale Region, inklusive Kabul, verzeichnet ca. die Hälfte der armen Bevölkerung Afghanistans (EASO "Afghanistan Key socio-economic indicators - Focus on Kabul City, Mazar-e Sharif and Herat City", April 2019, S.34f)

2016-17 hatten 44,6 % der gesamten afghanischen Bevölkerung - 13 Millionen Menschen -nicht immer eine sichere Lebensmittelversorgung, am meisten betroffen sind davon ländliche Regionen. Nur Paktika und Baghlan haben keine Probleme, alle anderen Regionen sind in unterschiedlicher Intensität von der Lebensmittelunsicherheit betroffen. Die Dürre von Dezember 2017 bis Februar 2018 beeinflusste Lebensmittelsicherheit, davon waren ca. 70 % der Fläche Afghanistans betroffen. In den Dürre- und Konfliktgebieten gibt es die meisten IDPs, die in die Städte drängen. UNOCHA hielt fest, dass die Dürre 2018 mehr als 2/3 der Bevölkerung Afghanistans betraf. (EASO "Afghanistan Key socio-economic indicators - Focus on Kabul City, Mazar-e Sharif and Herat City", April 2019, S.36f). UN-Habitat hielt im Jahr 2016 fest, dass in Herat die Mehrheit der IDP Haushalte mit Lebensunsicherheit zu kämpfen hatte. FEWS klassifizierte Herat im Dezember 2018 als "crisis", was bedeutet, dass trotz Hilfe von außen zumindest einer von fünf Haushalten von Lebensmittelunsicherheit betroffen war (EASO "Afghanistan Key socio-economic indicators - Focus on Kabul City, Mazar-e Sharif and Herat City", April 2019, S.

37f.)

Der Alphabetisierungsgrad in Herat war 2016 für Personen, die älter als 15 Jahre waren, 57,3 %. 2016-17 war der Alphabetisierungsgrad in der Provinz Herat 34,5 %, was dem afghanischen Durchschnitt entspricht. In Herat gibt es einen starken Zuwachs an Privatschulen. 30.000 Schüler gingen in 70 Privatschulen., die ca. USD 1.500,- pro Jahr und SchülerIn kosten. 2016 gingen 78% der Kinder in Herat Stadt in die Grundschule, 42 % in die Secondary School. Den öffentlichen Schulen in Herat fehlt oft der Zugang zu Strom und Wasser (EASO "Afghanistan Key socio-economic indicators - Focus on Kabul City, Mazar-e Sharif and Herat City", April 2019, S.42f.)

Zugang zum Gesundheitswesen ist in Herat auch für Arme möglich. Das Herat Regional Hospital liegt im Zentrum von Herat. Die große Anzahl der aufgrund der Dürre nach Herat drängenden IDPs ist eine Herausforderung für das Gesundheitswesen in Herat. Dies führte zu einer 150%igen Auslastung des Herat Regional Hospital. Das Jebrael Gesundheitszentrum im Nordwesten der Stadt stellte Gesundheitsversorgung für ca. 60.000 Menschen zur Verfügung. In Herat gibt es 65 private Kliniken. Trotzdem lassen sich viele Heratis im Ausland behandeln. Es gibt Möglichkeiten, sich kostenlos in zwei Spitälern wegen psychischer Krankheiten behandeln zu lassen. Auch ein privates Krankenhaus bietet Behandlung an, dies kostet ca. AFN 250 bis 450 (€ 3 bis € 5) pro Behandlung und AFN 1500 bis 6000 (€ 18 bis € 70) pro Nacht. In Herat gibt es auch eine vom Roten Kreuz geführte Psychiatrische Klinik. Dort sind etwa 300 Patienten untergebracht. Behinderte Menschen - geistig behinderte und körperlich Behinderte - sind in Herat unter den IDPS allgegenwärtig (EASO "Afghanistan Key socio-economic indicators - Focus on Kabul City, Mazar-e Sharif and Herat City", April 2019, S.50ff).

Seit dem Jahr 2011 steigen die Grundstückspreise in Herat, ausgelöst durch einen Bauboom, der teilweise aus Drogengeldern finanziert wurde. Nach 2014 sind die Preise um 20 % - 30 % gesunken. 61,3 % der Haushalte lebte im Jahr 2016 im eigenen Haus, 23,4 lebten in einer gemieteten Unterkunft. 92,1 % der Haushalte hatten verbesserte sanitäre Einrichtungen, 42,8 % lebten in Häusern mit Dächern aus Zement. In der Stadt Herat lebt ca. 5 % der Bevölkerung in Zelten. 81,2 % der Bevölkerung Herats hat Zugang zu Wasser. 90,7 % nutzt Elektrizität für Licht, 92,1 % hat verbesserte sanitäre Einrichtungen. 30 % haben Zugang zum Kanalisationssystem (04/2016 lt. APPRO). Herat hat kein zentrales Abwasserentsorgungssystem. Die Versickerung von Abwasser in das Grundwasser stellt ein großes Problem dar. Der Grundwasserspiegel ist gesunken und das Grundwasser ist verschmutzt. Der Großteil der Bevölkerung nutzt Trinkwasser aus der Leitung oder aus Brunnen. Innerhalb der sieben IDP Siedlungen in Herat sind lt. UNHCR die meisten 1- Raum Lehmhütten, die nicht ausreichenden Schutz vor den Elementen bieten. Eine große Anzahl der Familien lebt in Zelten, die noch weniger Schutz bieten. Zugang zu Wasser und sanitären Einrichtungen war in diesen Siedlungen lt. UNHCR eine Herausforderung. Viele Familien hatten keinen Zugang zu Latrinen und die meisten waren auf Gemeinschaftswasserzugänge für Wasser angewiesen, wo es Probleme mit Stau und der Wasserqualität gab. Bedingt durch die Dürre 2018 haben sich zusätzlich 60.000 Menschen in Herat angesiedelt. Dies führte zu einer Überbevölkerung der Camps in und um Herat. Viele dieser Menschen litten an Unterernährung und keines der Kinder aus diesen Verdrängungscamps besuchte die Schule (EASO "Afghanistan Key socio-economic indicators - Focus on Kabul City, Mazar-e Sharif and Herat City", April 2019, S.56)

Laut UNHCR sind die Provinz Herat und insbesondere die Stadt Herat und der benachbarte Injil-Distrikt seit jeher ein wichtiges Ziel für Binnenvertriebene (IDPs). Ende 2015 gehörte Herat mit rund 10 % oder 120.000 der Binnenvertriebenen zu den höchstgelegenen Binnenvertriebenen-Provinzen Afghanistans, die eine beträchtliche Anzahl von langwierigen Binnenvertriebenen umfassten, von denen einige schon seit zwei Jahrzehnten in Herat leben. Das UNHCR stellte in Bezug auf sieben langwierige IDP-Vergleiche innerhalb der Gemeinde Herat fest, dass die überwiegende Mehrheit der Wohnungen aus Lehmhäusern mit einem Zimmer bestehen, die keinen ausreichenden Schutz vor den Witterungseinflüssen, insbesondere vor der extremen Kälte des Winters, bieten. Eine beträchtliche Anzahl von Familien lebt in provisorischen Wohnungen und Zelten, die noch weniger Schutz vor Witterungseinflüssen bieten und sehr anfällig für Wetterereignisse sind. Grundstück und Besitzverhältnisse waren ein wichtiges Thema. Die Mehrheit der Familien hat keine formalen Besitzvereinbarungen und stützt sich hauptsächlich auf mündliche Vereinbarungen. Der Status des Grundbesitzes für die meisten Grundstücke ist unklar, da die Mehrheit der Einwohner von Herat die Situation anfechten. In den Städten gibt es auch die Möglichkeit, günstig in sog. "Teehäusern" (engl. "tea houses") Unterkunft zu nehmen, die zudem einen wichtigen Treffpunkt und Schauplatz für Sozialisation darstellen (Auszug bzw. Zusammenfassung entscheidungsrelevanter Passagen aus European Asylum Support Office (in Folge: "EASO"), Country of Origin Information Report Afghanistan, Afghanistan Networks, Februar 2018) .

Zur Aktuellen Lage in Herat insbesondere betreffend Rückkehrer und Binnenvertriebene (Auszug aus Analyse der Staatendokumentation:

Informationen zu sozioökonomischen Faktoren in der Provinz Herat auf Basis von Interviews im Zeitraum November 2018 bis Jänner 2019 vom 13.06.2019, S. 80-86):

Die besonders den Westen des Landes betreffende Dürre vertrieb zahlreiche Personen aus den umliegenden Provinzen nach Herat-Stadt, wo sich mit Stand November 2018 300.000 Binnenvertriebene allein aufgrund der Dürre ansiedelten. Die starken Regenfälle in den ersten vier Monaten des Jahres 2019 brachten auch Überflutungen mit sich, was zusätzlich negative Auswirkungen auf die Landwir

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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