TE Bvwg Erkenntnis 2019/8/28 W156 2200150-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 28.08.2019
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Entscheidungsdatum

28.08.2019

Norm

AsylG 2005 §10 Abs1 Z3
AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §55
AsylG 2005 §57
AsylG 2005 §8 Abs1
B-VG Art. 133 Abs4
FPG §46
FPG §52
FPG §55

Spruch

W156 2200152-1/18E

W156 2200156-1/19E

W156 2200154-1/17E

W156 2200150-1/16E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Richterin Mag. Alexandra KREBITZ über die Beschwerde von XXXX , geb. XXXX (Erstbeschwerdeführerin), XXXX , geb. XXXX (Zweitbeschwerdeführer), XXXX , geb. XXXX (Drittbeschwerdeführer) und XXXX , geb. XXXX (Viertbeschwerdeführer) alle StA. Afghanistan, vertreten durch Caritas Österreich, gegen die Bescheide des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl, Außenstelle Wien, vom 19.06.2018, Zl. XXXX nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung 24.01.2019 zu Recht erkannt:

A) Die Beschwerden werden als unbegründet abgewiesen.

B) Die Revision ist gemäß Art 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang:

1. Der Zweitbeschwerdeführer stellte am 21.09.2015 nach illegaler Einreise in das Bundesgebiet einen Antrag auf internationalen Schutz (gemeinsam mit seiner Gattin und den damals minderjährigen zwei gemeinsamen Söhnen). Im Rahmen der Erstbefragung gab er als Fluchtgrund an, dass die Zukunft für seine beiden Söhne im Iran aussichtslos erschien, daher habe sich die Familie zur Flucht entschieden.

2. Am 20.03.2018 wurde der Zweitbeschwerdeführer von einem Organwalter des BFA einvernommen. Er gab im Wesentlichen dieselben Fluchtgründe an, wie in der Erstbefragung. Zusätzlich gab er an, er habe Feinde in Afghanistan, da er für die Bewegung XXXX gekämpft habe. Er wisse nicht, ob er bei den Kämpfen jemanden getötet habe. Probleme mit der Polizei oder Behörden brachte er nicht vor, er sei nie wegen seiner Rasse, oder Volksgruppenzugehörigkeit verfolgt worden. Er sei wegen seiner Religion verfolgt worden, wisse aber nicht mehr von wem.

Die Erstbeschwerdeführerin als Fluchtgrund an, dass die Zukunft für seine beiden Söhne im Iran aussichtslos erschien, daher habe sich die Familie zur Flucht entschieden.

3. Am 20.03.2018 wurde die Erstbeschwerdeführerin von einem Organwalter des BFA einvernommen. Sie gab im Wesentlichen dieselben Fluchtgründe an, wie in der Erstbefragung. Die Familie habe im Iran in Angst gelebt. Sie wisse nicht, ob sie vom afghanischen Staat verfolgt werde. Wegen ihrer Religion oder Volksgruppenzugehörigkeit sei sie nie einer Verfolgung ausgesetzt gewesen.

Der Drittbeschwerdeführer gab als Fluchtgrund an, er sei noch nie in Afghanistan gewesen für den Viertbeschwerdeführer wurden keine eigenen Fluchtgründe geltend gemacht.

4. Mit Bescheiden des BFA vom 19.06.2018 wurde jeweils der Antrag auf internationalen Schutz sowohl hinsichtlich der Zuerkennung des Status der Asylberechtigten (I.) als auch hinsichtlich der Zuerkennung des Status der subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf Afghanistan abgewiesen (II.) und ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen nicht erteilt. Es wurde eine Rückkehrentscheidung erlassen und festgestellt, dass die Abschiebung nach Afghanistan zulässig sei (III.), die Frist für die freiwillige Ausreise 14 Tage betrage (IV.).

5. Gegen diese Bescheide richtet sich die fristgerecht eingebrachte vollumfängliche Beschwerde. Die Erstbeschwerdeführerin habe die Zwänge in Afghanistan als sehr einengend empfunden und genieße die Freiheiten in Österreich. Im Falle einer Rückkehr würde ihr ein westliches Verhalten unterstellt.

Der Zweitbeschwerdeführer würde Gefahr laufen, als ehemaliges Mitglied der XXXX umgebracht zu werden.

6. Im Rahmen der durchgeführten mündlichen öffentlichen Beschwerdeverhandlung des Bundesverwaltungsgerichts am 24.01.2019 gab die Erstbeschwerdeführerin an, dass sie Diabetes, überschüssigem Blutfett und Depressionen erkrankt sei und Medikamente einnehme. Mit 15 Jahren sei sie mit ihren Eltern in den Iran geflohen, da die Sowjets Afghanistan eingenommen hatten. Im Iran habe sie ihren Mann geheiratet und 3 Söhne bekommen. Die Situation in Afghanistan sei für Frauen sehr schlecht. Sie habe immer wieder gehört, dass in Afghanistan Leute getötet würden, daher habe sie Angst und sei nie mehr zurück nach Afghanistan

Der Zweitbeschwerdeführer gab an, dass er an einer chronischen Anämie leide und Spritzen und Tabletten bekäme. Mit 17 Jahren sei er in den Iran gekommen, dort habe er dann später an der Front gegen die sowjetische Union und auch im afghanischen Bürgerkrieg gekämpft, diese sei ca 1990 gewesen. Danach habe er wieder bis zu seiner Ausreise im Iran gelebt. Er könne sich nicht mehr an seine Angaben vor dem BFA erinnern. Er habe Angst vor jenen Mitkämpfern, die zu den Taliban gewechselt haben. Auch Schiiten würden in Afghanistan verfolgt.

Der Dritt- und Viertbeschwerdeführer wurden zu ihrem Alltag in Österreich befragt, mangels tauglicher Fluchtgründe konnten sie hiezu keine Angaben machen.

Ins Verfahren eingebracht wurden folgende Erkenntnisquellen:

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LIB Afghanistan, letzte Kurzinformation 08.01.2019, ergänzt durch letzte KI 04.06.2019

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UNHCR Richtlinie 30.08.2018

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EASO Country Guidance Afghanistan 20.06.2018

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Anfragebeantwortung Staatendokumentation: Frauen in urbanen Zentren, 18.09.2017

7. Am 06.02.2019 gaben die Beschwerdeführer eine Stellungnahme zur mündlichen Verhandlung ab. Es werde nochmals auf das Risiko der frauenspezifischen Verfolgung der Erstbeschwerdeführerin hingewiesen. Beim Zweitbeschwerdeführer bestehe das Risiko der Verfolgung aufgrund seiner politischen Gesinnung. Es wurde weiters auf die prekäre allgemeine Lage und die Sicherheitslage in Afghanistan verwiesen. In Bezug auf den Dritt- und Viertbeschwerdeführer wurde darauf verwiesen, dass diese im Iran geboren seien und noch nie in Afghanistan gewesen seien. Zudem seien sie als Minderjährige nach Österreich gekommen und hier verwurzelt.

8. In einer Stellungnahme vom 17.07.2019 gaben die Beschwerdeführer an, dass die KI vom 04.06.2019 sowie die Anfragebeantwortung zur perniziösen Anämie und dem Medikament Erycytol zur Kenntnis genommen wurden. Es sei jedoch ersichtlich, dass eine schwere oder langanhaltende Anämie ohne unzureichende Behandlung ein schwerwiegendes Gesundheitsrisiko darstelle. Zur Verfügbarkeit des Medikaments werde festgestellt, dass diese zu einem Preis von umgerechnet 1,70 Euro pro 10 Tabletten erhältlich seien und die Zugänglichkeit wesentlich vom individuellen Einkommen abhänge. Es werde nochmals betont, dass die Erstbeschwerdeführerin und der Zweitbeschwerdeführer bereits alt und zudem krank seien. Auch sei nicht davon auszugehen, dass der Dritt- und Viertbeschwerdeführer Zugang zum Arbeitsmarkt erhalten würden.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

1.1. Zur Person der Erstbeschwerdeführerin

Die Erstbeschwerdeführerin ist Staatsangehörige Afghanistans, führt den im Spruch genannten Namen, ist Tadschikin und schiitische Muslima. Sie ist in der der Stadt Herat geboren. Die Familie verließ Afghanistan, als sie 15 Jahre alt war und zog in den Iran. Die Erstbeschwerdeführerin besuchte keine Schule. In Afghanistan hat sie Hüte gewoben, im Iran ging sie keiner Beschäftigung nach. Sie reiste mit ihrer Familie illegal in das Bundesgebiet ein und stellte am 21.09.2015 einen Antrag auf internationalen Schutz. Die Erstbeschwerdeführerin spricht Dari. Sie ist verheiratet und hat 3 Söhne.

In Afghanistan hatte die Beschwerdeführerin selbst keine Probleme mit staatlichen Behörden oder der Polizei.

Die Erstbeschwerdeführerin leidet an einer mittelschweren depressiven Episode, Insomnie, Steatosis hepatitis, Diabetes mellitus Typ II, Hypertriglyceridämie, Hypovitaminose und orthopädische Beschwerden (ua Skoliose, Osteochondrose ua). Sie befindet sich in ärztlicher Behandlung. Eine lebensbedrohende Erkrankung liegt nicht vor und die Erstbeschwerdeführerin ist grundsätzlich erwerbsfähig.

Sie hält sich nachweislich seit September 2015 in Österreich auf. Im Bundesgebiet lebt eine Cousine, deren Familiennamen sie nicht kennt. Ein gemeinsamer Haushalt mit der Cousine liegt nicht vor.

Die Erstbeschwerdeführerin hat Deutschkurse besucht, sie kann sich jedoch nur wenig auf Deutsch verständigen. Auch hat sie einen Werte- und Orientierungskurs besucht. Derzeit lebt sie von der Grundversorgung. Sie verfügt über keine Kenntnisse der österreichischen Geschichte, Kultur oder Politik, und verrichtet keine ehrenamtlichen Tätigkeiten. Sie hat wenig Kontakt mit Österreichern. Eine Verurteilung ist im Strafregister zum Entscheidungszeitpunkt nicht evident.

Die Erstbeschwerdeführerin wohnt gemeinsam mit ihrem Gatten und den beiden erwachsenen Söhnen in einer Asylwerberunterkunft. Einer ihrer Söhne wohnt im Iran.

1.2. Zur Person des Zweitbeschwerdeführers:

Der Zweitbeschwerdeführer ist Staatsangehöriger Afghanistans, führt den im Spruch genannten Namen, ist Tadschike und schiitischer Moslem. Er ist in der der Stadt Herat geboren. Die Familie verließ Afghanistan, als er 17 Jahre alt war und zog in den Iran. Der Zweitbeschwerdeführer besuchte keine Schule und hat als Bäcker und am Bau gearbeitet. Er reiste mit seiner Familie illegal in das Bundesgebiet ein und stellte am 21.09.2015 einen Antrag auf internationalen Schutz. Der Zweitbeschwerdeführer spricht Dari. Er ist verheiratet und hat 3 Söhne.

In Afghanistan hatte der Zweitbeschwerdeführer selbst keine Probleme mit staatlichen Behörden oder der Polizei. Der Zweitbeschwerdeführer war Mitglied der XXXX .

Er leidet an Depressionen, einer perniziösen Anämie, Pollakisurie, Nykturie, Dysurie, mäßiger Prostatahyperplasie und einer allergischen Dermatitis. Er befindet sich in ärztlicher Behandlung. Eine lebensbedrohende Erkrankung liegt nicht vor und ist der Zweitbeschwerdeführer grundsätzlich erwerbstätig..

Er hält sich nachweislich seit September 2015 in Österreich auf. Im Bundesgebiet lebt seit 18 Jahren der Bruder des Zweitbeschwerdeführers. Ein gemeinsamer Haushalt mit diesem liegt nicht vor.

Der Zweitbeschwerdeführer hat Deutschkurse besucht, er kann sich jedoch nicht ausreichend auf Deutsch verständigen. Derzeit lebt er von der Grundversorgung. Er verfügt über keine Kenntnisse der österreichischen Geschichte, Kultur oder Politik. Er verrichtet keine ehrenamtlichen Tätigkeiten. Der Zweitbeschwerdeführer hat wenig Kontakt mit Österreichern. Eine Verurteilung ist im Strafregister zum Entscheidungszeitpunkt nicht evident.

Der Zweitbeschwerdeführer wohnt gemeinsam mit seiner Frau und den beiden Söhnen in einer Asylwerberunterkunft. Einer seiner Söhne wohnt im Iran.

1.3. Zur Person des Drittbeschwerdeführers:

Der Drittbeschwerdeführer ist Staatsangehöriger Afghanistans, führt den im Spruch genannten Namen, ist Tadschike und schiitischer Moslem. Er ist im Iran geboren. Er reiste mit seiner Familie illegal in das Bundesgebiet ein und stellte am 21.09.2015 einen Antrag auf internationalen Schutz. Er spricht Dari, ist unverheiratet und hat keine Kinder. Der Drittbeschwerdeführer ist gesund. Im Iran hat er als Schneider gearbeitet.

Der Drittbeschwerdeführer hat in Österreich Deutschkurse absolviert und kann sich ausreichend auf Deutsch verständigen. Er hat 2 Jahre lang beim Projekt Re-Start der Caritas mitgewirkt. Der Drittbeschwerdeführer ist erwerbsfähig.

Er hat nach eigenen Angaben österreichische Freunde, aber keinen Kontakt mit ihnen.

Der Drittbeschwerdeführer wohnt zusammen mit seinen Eltern und seinem Bruder in einer gemeinsamen Unterkunft, ein Bruder wohnt im Iran.

1.4. Zur Person des Viertbeschwerdeführers:

Der Viertbeschwerdeführer ist Staatsangehöriger Afghanistans, führt den im Spruch genannten Namen, ist Tadschike und schiitischer Moslem. Er ist im Iran geboren. Er reiste mit seiner Familie illegal in das Bundesgebiet ein und stellte am 21.09.2015 einen Antrag auf internationalen Schutz. Er spricht Dari, ist unverheiratet und hat keine Kinder. Der Viertbeschwerdeführer ist gesund.

Der Viertbeschwerdeführer hat in Österreich Deutschkurse absolviert und kann sich ausreichend auf Deutsch verständigen. Derzeit besucht der Viertbeschwerdeführer ein Abendgymnasium. Der Viertbeschwerdeführer ist erwerbsfähig.

Er hat nach eigenen Angaben derzeit keine österreichischen Freunde.

Der Viertbeschwerdeführer wohnt zusammen mit seinen Eltern und seinem Bruder in einer gemeinsamen Unterkunft, ein Bruder wohnt im Iran.

1.5. Zum Fluchtvorbringen:

Im Falle einer Verbringung des Beschwerdeführers in den Herkunftsstaat droht diesen kein reales Risiko einer Verletzung der Art. 2 oder 3 der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten, BGBl. Nr. 210/1958 (in der Folge EMRK), oder der Prot. Nr. 6 oder Nr. 13 zur Konvention.

Die weibliche Erstbeschwerdeführerin wäre im Herkunftsstaat alleine aufgrund ihres Geschlechts keiner asylrelevanten Verfolgung ausgesetzt.

Die Erstbeschwerdeführerin trat zwar in der mündlichen Verhandlung modern gekleidet sowie geschminkt auf und trug kein Kopftuch, es war letztlich in der gesamthaften Betrachtung keine derart fortgeschrittene Persönlichkeitsentwicklung zu erkennen, aufgrund derer eine Verinnerlichung eines "westlichen Verhaltens" oder eine "westliche Lebensführung" als wesentlicher Bestandteil ihrer Identität angenommen werden kann.

Es kann nicht festgestellt werden, dass die beschwerdeführende Familie in Afghanistan aufgrund der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder politischen Gesinnung mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit verfolgt werden würden.

Es kann nicht festgestellt werden, dass die Beschwerdeführer im Fall der Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung nach Afghanistan in ihrem Recht auf das Leben gefährdet, der Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Strafe oder Behandlung unterworfen oder von der Todesstrafe bedroht wären.

1.6. Zu einer Rückkehr in ihr Herkunftsland:

Es kann nicht festgestellt werden, dass den Beschwerdeführern im Falle einer innerstaatlichen Rückkehr in die Städte Kabul, Mazar-e-Sharif oder Herat ein Eingriff in ihre körperliche Unversehrtheit drohen würde. Bei einer Rückkehr wäre ihre Existenz dort durch die eigene Erwerbstätigkeit bzw Versorgung durch den erwerbsfähigen Ehemann und durch die Unterstützung durch die beiden erwerbsfähigen Söhne gesichert. Mit Unterstützung durch die genannten Familienangehörigen wäre auch die Erstbeschwerdeführerin in der Lage, in den Städten Mazar-e-Sharif oder Herat eine einfache Unterkunft zu finden.

Die Beschwerdeführer können die Städte Herat und Mazar-e-Sharif von Österreich aus sicher mit dem Flugzeug erreichen.

1.7. Zum Herkunftsland:

Feststellungen zur Lage im Herkunftsstaat:

Zur Lage in Afghanistan werden die im Länderinformationsblatt der Staatendokumentation in der Gesamtaktualisierung vom 29.06.2018 mit Stand vom 04.06.2019, in den UNHCR Richtlinien vom 30.08.2018, den EASO Leitlinien zu Afghanistan vom Juni 2018 und in Anfragebeantwortung der Staatendokumentation Afghanistan Frauen in urbanen Zentren vom 18.09.2017 enthaltenen folgenden Informationen als entscheidungsrelevant festgestellt:

Sicherheitslage

Die Sicherheitslage in Afghanistan bleibt insgesamt volatil und weist starke regionale Unterschiede auf. Provinzen und Distrikten mit aktiven Kampfhandlungen stehen andere gegenüber, in denen die Lage trotz punktueller Sicherheitsvorfälle vergleichsweise stabil ist. Die afghanische Regierung behält die Kontrolle über Kabul, größere Bevölkerungszentren, Transitrouten, Provinzhauptstädte und den Großteil der Distriktzentren. Ausländische Streitkräfte und Regierungsvertreter sowie die als ihre Verbündeten angesehenen Angehörigen der afghanischen Sicherheitskräfte und Vertreter der afghanischen Regierung sind prioritäre Ziele der Aufständischen. Eine Bedrohung für Zivilisten geht insbesondere von Kampfhandlungen zwischen den Konfliktparteien sowie improvisierten Sprengkörpern, Selbstmordanschlägen und komplexen Angriffen auf staatliche Einrichtungen aus. In einigen Teilen des Landes ist fehlende Sicherheit die größte Bewegungseinschränkung. In bestimmten Gebieten machen Gewalt durch Aufständische, Landminen und improvisierte Sprengfallen (IEDs) das Reisen besonders gefährlich, speziell in der Nacht. Bewaffnete Aufständischengruppen betreiben illegale Checkpoints und erpressen Geld und Waren.

Kabul

Die Provinzhauptstadt von Kabul und gleichzeitig Hauptstadt von Afghanistan ist Kabul-Stadt, die Stadt, in der Verwandte des mj. BF leben. Die Provinz Kabul grenzt im Nordwesten an die Provinz Parwan, im Nordosten an Kapisa. im Osten an Laghman, an Nangarhar im Südosten, an Logar im Süden und an (Maidan) Wardak im Südwesten. Die Provinz Kabul besteht aus folgenden Einheiten: Bagrami. Chaharasyab/Char Asiab. Dehsabz/Deh sabz. Estalef/Istalif. Farza. Guldara. Kabul Stadt. Kalakan. Khak-e Jabbar/Khak-i-Jabar. Mirbachakot/Mir Bacha Kot. Musayi/Mussahi. Paghman. Qarabagh. Shakardara. Surobi/Sorubi. Die Bevölkerungszahl der Provinz wird auf

4.679.648 geschätzt.

In der Hauptstadt Kabul leben unterschiedliche Ethnien: Paschtunen, Tadschiken, Hazara, Usbeken, Turkmenen, Belutschen, Sikhs und Hindus. Ein Großteil der Bevölkerung gehört dem sunnitischen Glauben an, dennoch lebt eine Anzahl von Schiiten, Sikhs und Hindus nebeneinander in Kabul Stadt.

Einst als relativ sicher erachtet, ist die Hauptstadt Kabul von öffentlichkeitswirksamen (high-profile) Angriffen der Taliban betroffen, die darauf abzielen, die Autorität der afghanischen Regierung zu untergraben. Regierungsfeindliche, bewaffnete Gruppierungen inklusive des IS versuchen in Schlüsselprovinzen und -distrikten, wie auch in der Hauptstadt Kabul, Angriffe auszuführen. In den letzten Jahren kam es zu mehreren "high-profile"-Angriffen in der Stadt Kabul; dadurch zeigte sich die Angreifbarkeit/Vulnerabilität der afghanischen und ausländischen Sicherheitskräfte.

Im Jahr 2017 war die höchste Anzahl ziviler Opfer Afghanistans in der Provinz Kabul zu verzeichnen, die hauptsächlich auf willkürliche Angriffe in der Stadt Kabul zurückzuführen waren; 16% aller zivilen Opfer in Afghanistan sind in Kabul zu verzeichnen.

Selbstmordangriffe und komplexe Attacken, aber auch andere Vorfallsarten, in denen auch IEDs verwendet wurden, erhöhten die Anzahl ziviler Opfer in Kabul. Dieser öffentlichkeitswirksame (high-profile) Angriff im Mai 2017 war alleine für ein Drittel ziviler Opfer in der Stadt Kabul im Jahr 2017 verantwortlich.

Regelmäßig werden in der Hauptstadt Sicherheitsoperationen durch die Regierung in unterschiedlichen Gebieten ausgeführt. Im Rahmen des neuen Sicherheitsplanes sollen außerdem Hausdurchsuchungen ausgeführt werden. Um die Sicherheitslage in Kabul-Stadt zu verbessern, wurden im Rahmen eines neuen Sicherheitsplanes mit dem Namen "Zarghun Belt" (der grüne Gürtel), der Mitte August 2017 bekannt gegeben wurde, mindestens 90 Kontrollpunkte in den zentralen Teilen der Stadt Kabul errichtet. Die afghanische Regierung deklarierte einen Schlüsselbereich der afghanischen Hauptstadt zur "Green Zone" - dies ist die Region, in der wichtige Regierungsinstitutionen, ausländische Vertretungen und einige Betriebe verortet sind. Kabul hatte zwar niemals eine formelle "Green Zone"; dennoch hat sich das Zentrum der afghanischen Hauptstadt, gekennzeichnet von bewaffneten Kontrollpunkten und Sicherheitswänden, immer mehr in eine militärische Zone verwandelt. Die neue Strategie beinhaltet auch die Schließung der Seitenstraßen, welche die Hauptstadt Kabul mit den angrenzenden Vorstädten verbinden; des Weiteren, werden die Sicherheitskräfte ihre Präsenz, Personenkontrollen und geheimdienstlichen Aktivitäten erhöhen. Damit soll innerhalb der Sicherheitszone der Personenverkehr kontrolliert werden. Die engmaschigen Sicherheitsmaßnahmen beinhalten auch eine erhöhte Anzahl an Sicherheitskräften und eine Verbesserung der Infrastruktur rund um Schlüsselbereiche der Stadt. Insgesamt beinhaltet dieser neue Sicherheitsplan 52 Maßnahmen, von denen die meisten nicht veröffentlicht werden. Auch übernimmt die ANA einige der porösen Kontrollpunkte innerhalb der Stadt und bildet spezialisierte Soldaten aus, um Wache zu stehen. Des Weiteren soll ein kreisförmiger innerer Sicherheitsmantel entstehen, der an einen äußeren Sicherheitsring nahtlos anschließt - alles dazwischen muss geräumt werden.

UNHCR stellt fest, dass Zivilisten, die in Kabul tagtäglich ihren wirtschaftlichen oder sozialen Aktivitäten nachgehen, Gefahr laufen, Opfer der allgegenwärtigen in der Stadt bestehenden Gefahr zu werden. Zu solchen Aktivitäten zählen etwa der Weg zur Arbeit und zurück, die Fahrt in Krankenhäuser und Kliniken, der Weg zur Schule; den Lebensunterhalt betreffende Aktivitäten, die auf den Straßen der Stadt stattfinden, wie Straßenverkäufe; sowie der Weg zum Markt, in die Moschee oder an andere Orte, an denen viele Menschen zusammentreffen.

Die Provinz Kabul zählt laut EASO zu jenen Provinzen Afghanistans, wo willkürliche Gewalt stattfindet und allenfalls eine reelle Gefahr festgestellt werden kann, dass der BF ernsthaften Schaden im Sinne von Art. 15(c) der Qualifizierungsrichtlinie nehmen könnte - vorausgesetzt, dass er aufgrund seiner persönlichen Verhältnisse von derartigen Risikofaktoren konkret betroffen ist.

Laut der aktuellen UNHCR Richtlinie vom 30.08.2019 ist aufgrund der gegenwärtigen Sicherheits-, Menschenrechts- und humanitären Lage in Kabul eine interne Schutzalternative in der Stadt grundsätzlich nicht verfügbar.

Provinz Balkh

Hingegen handelt es sich bei der Provinz Balkh, mit deren Hauptstadt Mazar-e Sharif, laut EASO um einen jener Landesteile, wo willkürliche Gewalt ein derart niedriges Ausmaß erreicht, dass für Zivilisten im Allgemeinen keine reelle Gefahr besteht, von willkürlicher Gewalt im Sinne von Art 15 (c) der Qualifizierungsrichtlinie persönlich betroffen zu sein.

Die Provinz Balkh ist nach wie vor eine der stabilsten Provinzen Afghanistans, sie zählt zu den relativ ruhigen Provinzen in Nordafghanistan. Balkh hat im Vergleich zu anderen Regionen weniger Aktivitäten von Aufständischen zu verzeichnen. Manchmal kommt es zu Zusammenstößen zwischen Aufständischen und den afghanischen Sicherheitskräften, oder auch zu Angriffen auf Einrichtungen der Sicherheitskräfte.

Im Zeitraum 01.01.2017 - 30.4.2018 wurden in der Provinz 93 sicherheitsrelevante Vorfälle registriert. Im gesamten Jahr 2017 wurden 129 zivile Opfer (52 getötete Zivilisten und 77 Verletzte) registriert. Hauptursache waren IEDs, gefolgt von Bodenoffensiven und Blindgänger/Landminen. Dies bedeutet einen Rückgang von 68% im Gegensatz zum Vergleichsjahr 2016. Zusammenstöße zwischen Aufständischen und Sicherheitskräften finden statt. Regierungsfeindliche Gruppierungen versuchen ihren Aufstand in der Provinz Balkh voranzutreiben.

Provinz Herat

Herat ist eine der größten Provinzen Afghanistans und liegt im Westen des Landes. Herat grenzt im Norden an die Provinz Badghis und Turkmenistan, im Süden an die Provinz Farah, im Osten an die Provinz Ghor und im Westen an den Iran. Die Provinz ist in folgende Bezirke eingeteilt, die gleichzeitig auch die administrativen Einheiten bilden: Shindand, Engeel/Injil, Ghorian/Ghoryan, Guzra/Guzara und Pashtoon Zarghoon/Pashtun Zarghun, werden als Bezirke der ersten Stufe angesehen. Awba/Obe, Kurkh/Karukh, Kushk, Gulran, Kuhsan/Kohsan, Zinda Jan und Adraskan als Bezirke zweiter Stufe und Kushk-i-Kuhna/Kushki Kohna, Farsi, und Chisht-i-Sharif/Chishti Sharif als Bezirke dritter Stufe. Provinzhauptstadt ist Herat-Stadt, welche sich im gleichnamigen Distrikt befindet und eine Einwohnerzahl von 506.900 hat. Die Bevölkerungszahl der Provinz wird auf 1.967.180 geschätzt. In der Provinz leben Paschtunen, Tadschiken, Hazara, Turkmenen, Uzbeken und Aimaken.

Herat wird als eine der relativ friedlichen Provinzen gewertet, dennoch sind Aufständische in einigen Distrikten der Provinz, wie Shindand, Kushk, Chisht-i-Sharif und Gulran, aktiv. Des Weiteren wurde Ende Oktober 2017 verlautbart, dass die Provinz Herat zu den relativ ruhigen Provinzen im Westen des Landes zählt, wenngleich sich in den abgelegenen Distrikten die Situation in den letzten Jahren aufgrund der Taliban verschlechtert hat.

Die Provinz ist u.a. ein Hauptkorridor für den Menschenschmuggel in den Iran bekannt - speziell von Kindern. Mitte Februar 2018 wurde von der Entminungs-Organisation Halo Trust bekannt gegeben, dass nach zehn Jahren der Entminung 14 von 16 Distrikten der Provinz sicher seien. In diesen Gegenden bestünde keine Gefahr mehr, Landminen und anderen Blindgängern ausgesetzt zu sein, so der Pressesprecher des Provinz-Gouverneurs. Aufgrund der schlechten Sicherheitslage und der Präsenz von Aufständischen wurden die Distrikte Gulran und Shindand noch nicht von Minen geräumt. In der Provinz leben u.a. tausende afghanische Binnenflüchtlinge.

Im Zeitraum 01.01.2017-30.04.2018 wurden in der Provinz 139 sicherheitsrelevante Vorfälle registriert. Im gesamten Jahr 2017 wurden in der Provinz Herat 495 zivile Opfer (238 getötete Zivilisten und 257 Verletzte) registriert. Hauptursache waren IEDs, gefolgt von Selbstmordanschlägen/komplexen Attacken und gezielten Tötungen. Dies bedeutet eine Steigerung von 37% im Gegensatz zum Vergleichsjahr 2016.

In der Provinz werden militärische Operationen durchgeführt, um einige Gegenden von Aufständischen zu befreien. Auch werden Luftangriffe verübt; dabei wurden Taliban getötet. Zusammenstöße zwischen Sicherheitskräften und Aufständischen finden statt. In Herat sind Truppen der italienischen Armee stationiert, die unter dem Train Advise Assist Command West (TAAC-W) afghanische Streitmächte im Osten Afghanistans unterstützen.

Anhänger des IS haben sich im Jahr 2017 in Herat zum ersten Mal für Angriffe verantwortlich erklärt, die außerhalb der Provinzen Nangarhar und Kabul verübt wurden.

ACLED registrierte für den Zeitraum 01.01.2017-15.07.2017 IS-bezogene Vorfälle (Gewalt gegen die Zivilbevölkerung) in der Provinz Herat.

Bei der Provinz Herat (mit Ausnahme der Stadt Herat) handelt es sich laut EASO um einen jener Landesteile Afghanistans, wo willkürliche Gewalt stattfindet und allenfalls eine reelle Gefahr festgestellt werden kann, dass der BF ernsthaften Schaden im Sinne von Artikel 15(c) der Qualifizierungsrichtlinie nehmen könnte - vorausgesetzt, dass er aufgrund seiner persönlichen Verhältnisse von derartigen Risikofaktoren konkret betroffen ist.

Sichere Einreise

Die Städte Kabul, Herat und Mazar-e Sharif sind über den internationalen Flughafen Kabul sicher erreichbar. Der Flughafen in Kabul ist ein internationaler Flughafen (Tolonews 18.12.2017; vgl. HKA o.D.). Ehemals bekannt als internationaler Flughafen Kabul, wurde er im Jahr 2014 in "Internationaler Flughafen Hamid Karzai" umbenannt. Er liegt 16 km außerhalb des Stadtzentrums von Kabul. In den letzten Jahren wurde der Flughafen erweitert und modernisiert. Ein neues internationales Terminal wurde hinzugefügt und das alte Terminal wird nun für nationale Flüge benutzt (HKA o.D.). Projekte zum Ausbau des Flughafens sollen gemäß der Afghanistan's Civil Aviation Authority (ACAA) im Jahr 2018 gestartet werden (Tolonews 18.12.2017).

Der internationale Flughafen Herat befindet sich 10 km von der Provinzhauptstadt Herat entfernt. Der Flughafen wird u.a. von den Sicherheitskräften der ISAF benutzt, die einen Stützpunkt neben dem Flughafen haben. 2011 wurde ein neues Terminal mit Finanzierung der italienischen Regierung errichtet (HIA o.D.). Seit 2012 gilt er als internationaler Flughafen (Telesur 13.7.2017; vgl. TN 15.7.2017, Pajhwok 13.2.2012, DW 10.4.2013), von wo aus Flüge in den Iran, nach Pakistan, Dubai oder Tadschikistan gehen (HIA o.D.).

Im Jahr 2013 wurde der internationale Maulana Jalaluddin Balkhi Flughafen in Mazar-e Sharif, der Hauptstadt der Provinz Balkh, eröffnet (Pajhwok 9.6.2013). Nachdem der Flughafen Mazar-e Sharif derzeit die Anforderungen eines erhöhten Personen- und Frachtverkehrsaufkommens nicht erfüllt, ist es notwendig, den Flughafen nach internationalen Standards auszubauen, inklusive entsprechender Einrichtungen der Luftraumüberwachung und der Flugverkehrskontrolle. Die afghanische Regierung will dieses Projekt gemeinsam mit der deutschen Bundesregierung und finanzieller Unterstützung des ADFD (Abu Dhabi Fund for Development) angehen. Langfristig soll der Flughafen als internationaler Verkehrsknotenpunkt zwischen Europa und Asien die wirtschaftliche Entwicklung der Region entscheidend verbessern. Der im Juni 2017 eröffnete Flugkorridor zwischen Afghanistan und Indien beinhaltet derzeit nur Flüge von Kabul und Kandahar nach Indien; zukünftig sind Frachtflüge von Mazar-e Sharif nach Indien angedacht (BFA Staatendokumentation 4.2018).

Kam Air - eine private afghanische Fluglinie, führt seit kurzem auch internationale Flüge nach Delhi durch. Diese Flüge werden als nutzbringend für die afghanische Bevölkerung im Norden angesehen - sowohl wirtschaftlich als auch insbesondere für jene, die spezielle medizinische Behandlungen benötigen. Indien (Delhi) ist die fünfte internationale Destination, die vom Flughafen Mazar-e Sharif aus angeflogen wird. Die anderen sind Türkei, Iran, Vereinigte Arabische Emirate und Saudi-Arabien. Die Stadt Herat wird in Zukunft von Kam Air zweimal wöchentlich von Neu-Delhi aus angeflogen werden (BFA Staatendokumentation 4.2018).

Wirtschafts- und Versorgungslage

Zur Wirtschafts- und Versorgungslage ist festzuhalten, dass Afghanistan weiterhin ein Land mit hoher Armutsrate und Arbeitslosigkeit ist. Seit 2002 hat Afghanistan mit Unterstützung durch die internationale Gemeinschaft wichtige Fortschritte beim Wiederaufbau seiner Wirtschaft erzielt. Nichtsdestotrotz bleiben bedeutende Herausforderungen bestehen, da das Land weiterhin von Konflikten betroffen, arm und von Hilfeleistungen abhängig ist. Während auf nationaler Ebene die Armutsrate in den letzten Jahren etwas gesunken ist, stieg sie in Nordostafghanistan in sehr hohem Maße. Im Norden und im Westen des Landes konnte sie hingegen reduziert werden. Angesichts des langsamen Wachstums, sicherheitsbedingter Versorgungsunterbrechungen und schwacher landwirtschaftlicher Leistungen, nimmt die Armut auch im Jahr 2018 weiterhin zu.

In den Jahren 2016-2017 wuchs die Arbeitslosenrate, die im Zeitraum 2013-2014 bei 22,6% gelegen hatte, um 1%. Die Arbeitslosigkeit betrifft hauptsächlich gering qualifizierte bildungsferne Personen; diese sind auch am meisten armutsgefährdet. Über 40% der erwerbstätigen Bevölkerung gelten im Jahr 2018 als arbeitslos oder unterbeschäftigt. Es müssten jährlich geschätzte 400.000 neue Arbeitsplätze geschaffen werden, um Neueinsteiger in den Arbeitsmarkt integrieren zu können.

Die afghanische Regierung hat Bemühungen zur Armutsreduktion gesetzt und unterstützt den Privatsektor weiterhin dabei, nachhaltige Jobs zu schaffen und das Wirtschaftswachstum voranzutreiben. Die Ausstellung von Gewerbeberechtigungen soll gesteigert, steuerliche Sanktionen abgeschafft und öffentlich-private Partnerschaften entwickelt werden; weitere Initiativen sind geplant.

Ethnische Minderheiten

In Afghanistan leben laut Schätzungen vom Juli 2017 mehr als 34,1 Millionen Menschen. Zuverlässige statistische Angaben zu den Ethnien Afghanistans und zu den verschiedenen Sprachen existieren nicht.

Schätzungen zufolge, sind: 40% Paschtunen, rund 30% Tadschiken, ca. 10% Hazara, 9% Usbeken. Die afghanische Verfassung schützt sämtliche ethnische Minderheiten. Neben den offiziellen Landessprachen Dari und Paschtu wird in der Verfassung (Art. 16) sechs weiteren Sprachen ein offizieller Status in jenen Gebieten eingeräumt, wo die Mehrheit der Bevölkerung (auch) eine dieser Sprachen spricht. Diese weiteren in der Verfassung genannten Sprachen sind Usbekisch, Turkmenisch, Belutschisch, Pashai, Nuristani und Pamiri. Es gibt keine Hinweise, dass bestimmte soziale Gruppen ausgeschlossen werden. Keine Gesetze verhindern die Teilnahme der Minderheiten am politischen Leben. Nichtsdestotrotz, beschweren sich unterschiedliche ethnische Gruppen, keinen Zugang zu staatlicher Anstellung in Provinzen haben, in denen sie eine Minderheit darstellen.

Ethnische Paschtunen sind die größte Ethnie Afghanistans. Sie sprechen Paschtu/Pasht. Die Paschtunen sind im nationalen Durchschnitt mit etwa 44% in der Afghan National Army (ANA) und der Afghan National Police (ANP) repräsentiert.

Tadschiken

Die Dari-sprachige Minderheit der Tadschiken ist die zweitgrößte (CRS 12.1.2015; vgl. LIP 5.2018); und zweitmächtigste Gemeinschaft in Afghanistan (CRS 12.1.2015). Sie machen etwa 30% der afghanischen Gesellschaft aus (LIP 5.2018). Außerhalb der tadschikischen Kerngebiete in Nordafghanistan bilden Tadschiken in weiten Teilen Afghanistans ethnische Inseln, namentlich in den größeren Städten:

In der Hauptstadt Kabul sind sie knapp in der Mehrheit (LIP 5.2018). Aus historischer Perspektive identifizierten sich Sprecher des Dari-Persischen in Afghanistan nach sehr unterschiedlichen Kriterien, etwa Siedlungsgebiet oder Herkunftsregion. Dementsprechend nannten sie sich zum Beispiel kaboli (aus Kabul), herati (aus Herat), mazari (aus Mazar-e Scharif), panjsheri (aus Pajshir) oder badakhshi (aus Badakhshan). Sie konnten auch nach ihrer Lebensweise benannt werden. Der Name tajik (Tadschike) bezeichnete traditionell sesshafte persischsprachige Bauern oder Stadtbewohner sunnitischer Konfession (BFA Staatendokumentation 7.2016).Der Hauptführer der "Nordallianz", einer politisch-militärischen Koalition, ist Dr. Abdullah Abdullah - dessen Mutter Tadschikin und dessen Vater Pashtune ist (CRS 12.1.2015). Trotz seiner gemischten Abstammung, sehen ihn die Menschen als Tadschiken an (BBC 29.9.2014). Auch er selbst identifiziert sich politisch gesehen als Tadschike, da er ein hochrangiger Berater von Ahmad Shah Masoud, war (CRS 12.1.2015). Mittlerweile ist er "Chief Executive Officer" in Afghanistan (CRS 12.1.2015); ein Amt, das speziell geschaffen wurde und ihm die Rolle eines Premierministers zuweist (BBC 29.2.2014).Die Tadschiken sind im nationalen Durchschnitt mit etwa 25% in der Afghan National Army (ANA) und der Afghan National Police (ANP) repräsentiert (Brookings 25.5.2017).

Religion

Etwa 99,7% der afghanischen Bevölkerung sind Muslime, 10 bis 15% sind Schiiten.

Taliban und Aufständische

Terroristische und aufständische Gruppierungen stellen Afghanistan und die Koalitionskräfte grundsätzlich vor erhebliche Herausforderungen. Derzeit sind rund 20 terroristische Organisationen in Afghanistan zu finden: das von außen unterstützte Haqqani-Netzwerk stellt nach wie vor die größte Gefährdung für afghanische und internationale Kräfte dar. Die Verflechtung von Taliban und Haqqani-Netzwerk ist so intensiv, dass diese beiden Gruppierungen als Fraktionen ein und derselben Gruppe angesehen werden. Wenn auch die Taliban öffentlich verkündet haben, sie würden zivile Opfer einschränken, so führt das Haqqani-Netzwerk auch weiterhin Angriffe in bevölkerungsreichen Gegenden aus. Die Taliban haben hauptsächlich in Faryab und Sar-i-Pul, wo die Mehrheit der Bevölkerung usbekischer Abstammung ist, ihre Reihen für nicht-paschtunische Kämpfer geöffnet. Schätzungen von SIGAR zufolge kontrollierten im Oktober 2017 und im Jänner 2018 die Taliban 14% der Distrikte Afghanistans. Die Taliban selbst verlautbarten im März 2017, dass sie beinahe 10% der afghanischen Distrikte kontrollierten.

Die Taliban haben eine Vielzahl von Personen ins Visier genommen, die sich ihrer Meinung nach "fehlverhalten", unter anderem Mitarbeiter der afghanischen Regierung - praktisch jeder, der der Regierung in irgendeiner Weise hilft. Die Taliban bieten diesen Personen grundsätzlich die Möglichkeit an, Reue und den Willen zur Wiedergutmachung zu zeigen.

Frauen

Die Lage afghanischer Frauen hat sich in den letzten 15 Jahren zwar insgesamt ein wenig verbessert, jedoch nicht so sehr wie erhofft. Wenngleich es in den unterschiedlichen Bereichen viele Fortschritte gab, bedarf die Lage afghanischer Frauen spezieller Beachtung. Die afghanische Regierung ist bemüht, die Errungenschaften der letzten eineinhalb Jahrzehnte zu verfestigen - eine Institutionalisierung der Gleichberechtigung von Frauen in Afghanistan wird als wichtig für Stabilität und Entwicklung betrachtet (BFA Staatendokumentation 4.2018; vgl. UNAMA/OHCHR 5.2018). In einigen Bereichen hat der Fortschritt für Frauen stagniert, was großteils aus der Talibanzeit stammenden, unnachgiebigen konservativen Einstellungen ihnen gegenüber geschuldet ist (BFA Staatendokumentation 4.2018). Viel hat sich seit dem Ende des Talibanregimes geändert: Frauen haben das verfassungsmäßige Recht an politischen Vorgängen teilzunehmen, sie streben nach Bildung und viele gehen einer Erwerbstätigkeit nach (TET 15.3.2018). Artikel 22 der afghanischen Verfassung besagt, dass jegliche Form von Benachteiligung oder Bevorzugung unter den Bürgern Afghanistans verboten ist. Die Bürger Afghanistans, sowohl Frauen als auch Männer, haben vor dem Gesetz gleiche Rechte und Pflichten (MPI 27.1.2004). In der Praxis mangelt es jedoch oftmals an der Umsetzung dieser Rechte (AA 5.2018; vgl. UNAMA/OHCHR 5.2018). Die konkrete Situation von Frauen kann sich allerdings je nach regionalem und sozialem Hintergrund stark unterscheiden (AA 9.2016; vgl. USDOS 20.4.2018). Traditionell diskriminierende Praktiken gegen Frauen existieren insbesondere in ländlichen und abgelegenen Regionen weiter (AA 5.2018).

Berufstätige Frauen sind oft Ziel von sexueller Belästigung durch ihre männlichen Kollegen. Die Akzeptanz der Berufstätigkeit von Frauen variiert je nach Region und ethnischer bzw. Stammeszugehörigkeit (AA 5.2018). Aus einer Umfrage der Asia Foundation (AF) aus dem Jahr 2017 geht hervor, dass die Akzeptanz der Berufstätigkeit von Frauen außerhalb des Hauses unter den Hazara 82,5% beträgt und am höchsten ist. Es folgen die Usbeken (77,2%), die Tadschiken (75,5%) und die Paschtunen (63,4%). In der zentralen Region bzw. Hazarajat tragen 52,6% der Frauen zum Haushaltseinkommen bei, während es im Südwesten nur 12% sind. Insgesamt sind 72,4% der befragten Afghanen und Afghaninnen der Meinung, dass Frauen außerhalb ihres Hauses arbeiten sollen (AF 11.2017). Die Erwerbstätigkeit von Frauen hat sich seit dem Jahr 2001 stetig erhöht und betrug im Jahr 2016 19%. Frauen sind dennoch einer Vielzahl von Hindernissen ausgesetzt; dazu zählen Belästigung, Diskriminierung und Gewalt, aber auch praktische Hürden, wie z.B. fehlende Arbeitserfahrung, Fachkenntnisse und (Aus)Bildung (UNW o. D.).

Nichtsdestotrotz arbeiten viele afghanische Frauen grundlegend an der Veränderung patriarchaler Einstellungen mit. Viele von ihnen partizipieren an der afghanischen Zivilgesellschaft oder arbeiten im Dienstleistungssektor. Aber noch immer halten soziale und wirtschaftliche Hindernisse (Unsicherheit, hartnäckige soziale Normen, Analphabetismus, fehlende Arbeitsmöglichkeiten und mangelnder Zugang zu Märkten) viele afghanische Frauen davon ab, ihr volles Potential auszuschöpfen (BFA Staatendokumentation 4.2018).

Die Einstellung gegenüber der Berufstätigkeit von Frauen hat sich in Afghanistan in den letzten Jahren geändert; dies hängt auch mit den NGOs und den privaten Firmen zusammen, die in Afghanistan aktiv sind. Die städtische Bevölkerung hat kaum ein Problem mit der Berufstätigkeit ihrer Ehefrauen oder Töchter. Davor war der Widerstand gegen arbeitende Frauen groß und wurde damit begründet, dass ein Arbeitsplatz ein schlechtes Umfeld für Frauen darstelle, etc. In den meisten ländlichen Gemeinschaften sind konservative Einstellungen nach wie vor präsent und afghanische Frauen sehen sich immer noch Hindernissen ausgesetzt, wenn es um Arbeit außerhalb ihres Heimes geht. Im ländlichen Afghanistan gehen viele Frauen, aus Furcht vor sozialer Ächtung, keiner Arbeit außerhalb des Hauses nach (BFA Staatendokumentation 4.2018).

Dennoch hat in Afghanistan aufgrund vieler Sensibilisierungsprogramme sowie Projekte zu Kapazitätsaufbau und Geschlechtergleichheit ein landesweiter Wandel stattgefunden, wie Frauen ihre Rolle in- und außerhalb des Hauses sehen. Immer mehr Frauen werden sich ihrer Möglichkeiten und Chancen bewusst. Sie beginnen auch wirtschaftliche Macht zu erlangen, indem eine wachsende Zahl Teil der Erwerbsbevölkerung wird - in den Städten mehr als in den ländlichen Gebieten. Frauen als Ernährerinnen mit Verantwortung für die gesamte Familie während ihr Mann arbeitslos ist, sind keine Seltenheit mehr. Mittlerweile existieren in Afghanistan oft mehr Arbeitsmöglichkeiten für Frauen als für Männer, da Arbeitsstellen für letztere oftmals schon besetzt sind. In und um Kabul eröffnen laufend neue Restaurants, die entweder von Frauen geführt werden oder in ihrem Besitz sind. Der Dienstleistungssektor ist zwar von Männern dominiert, dennoch arbeitet eine kleine, aber nicht unwesentliche Anzahl afghanischer Frauen in diesem Sektor und erledigt damit Arbeiten, die bis vor zehn Jahren für Frauen noch als unangebracht angesehen wurden (und teilweise heute noch werden). Auch soll die Anzahl der Mitarbeiterinnen im Finanzsektor erhöht werden. In Kabul zum Beispiel eröffnete im Sommer 2017 eine Filiale der First MicroFinance Bank, Afghanistan (FMFB-A), die nur für Frauen gedacht ist und nur von diesen betrieben wird. Diese Initiative soll es Frauen ermöglichen, ihre Finanzen in einer sicheren und fördernden Umgebung zu verwalten, um soziale und kulturelle Hindernisse, die ihrem wirtschaftlichen Empowerment im Wege stehen, zu überwinden. Geplant sind zwei weitere Filialen in Mazar-e Sharif bis 2019. In Kabul gibt es eine weitere Bank, die - ausschließlich von Frauen betrieben - hauptsächlich für Frauen da ist (BFA Staatendokumentation 4.2018).

Meldewesen

Afghanistan hat kein zentrales Bevölkerungsregister, ebenso wenig "gelbe Seiten" oder Datenbanken mit Telefonnummerneinträgen. Dennoch gibt es Mittel und Wege, um Familienmitglieder ausfindig zu machen. Das Dorf, aus dem jemand stammt, ist der naheliegende Ort, um eine Suche zu starten. Die lokalen Gemeinschaften verfügen über zahlreiche Informationen über die Familien in dem Gebiet und die Ältesten haben einen guten Überblick (BFA/EASO 1.2018; vgl. EASO 2.2018).

Arbeitsmarkt und Arbeitslosigkeit

Schätzungen zufolge leben 74,8% der Bevölkerung in ländlichen und 25,2% in städtischen Gebieten (CSO 4.2017). Für ungefähr ein Drittel der Bevölkerung ist die Landwirtschaft (inklusive Tiernutzung) die Haupteinnahmequelle (SCA 22.5.2018; vgl. AF 14.11.2017).

In den Jahren 2016-2017 wuchs die Arbeitslosenrate, die im Zeitraum 2013-2014 bei 22,6% gelegen hatte, um 1%. Die Arbeitslosigkeit betrifft hauptsächlich gering qualifizierte bildungsferne Personen; diese sind auch am meisten armutsgefährdet (WB 10.4.2018). Über 40% der erwerbstätigen Bevölkerung gelten als arbeitslos oder unterbeschäftigt (SCA 22.5.2018). Es müssten jährlich geschätzte 400.000 neue Arbeitsplätze geschaffen werden, um Neueinsteiger in den Arbeitsmarkt integrieren zu können (BFA Staatendokumentation 4.2018; vgl. SCA 22.5.2018). Seit 2001 wurden zwar viele neue Arbeitsplätze geschaffen, jedoch sind diese landesweit ungleich verteilt und 80% davon sind unsichere Stellen (Tagelöhner) (SCA 22.5.2018).

Ungefähr 47,3% der afghanischen Bevölkerung sind unter 15 Jahre alt, 60% unter 24 Jahre. Daher muss die Versorgung der jungen Bevölkerungsschichten seitens einer viel geringeren Zahl von Erwachsenen gewährleistet werden; eine Herausforderung, die durch den schwachen Arbeitsmarkt verschlimmert wird. Mehr als ein Drittel der männlichen Bevölkerung (34,3%) Afghanistans und mehr als die Hälfte der weiblichen Bevölkerung (51,1%) sind nicht in der Lage, eine passende Stelle zu finden. Gemäß einer Umfrage von Asia Foundation (AF) aus dem Jahr 2017 wird von 70,6% der Befragten die Arbeitslosigkeit als eines der größten Probleme junger Menschen in Afghanistan zwischen 15 und 24 Jahren gesehen (AF 14.11.2017).

Medizinische Versorgung

Gemäß Artikel 52 der afghanischen Verfassung muss der Staat allen Bürgern kostenfreie primäre Gesundheitsversorgung in öffentlichen Einrichtungen gewährleisten; gleichzeitig sind im Grundgesetz die Förderung und der Schutz privater Gesundheitseinrichtungen vorgesehen (MPI 27.1.2004; Casolino 2011). Allerdings ist die Verfügbarkeit und Qualität der Grundbehandlung durch Mangel an gut ausgebildeten Ärzten und Assistenzpersonal (v.a. Hebammen), mangelnde Verfügbarkeit von Medikamenten, schlechtes Management sowie schlechte Infrastruktur begrenzt. Dazu kommt das starke Misstrauen der Bevölkerung in die staatlich finanzierte medizinische Versorgung. Die Qualität der Kliniken variiert stark. Es gibt praktisch keine Qualitätskontrollen. Berichten zufolge haben rund 10 Millionen Menschen in Afghanistan keinen oder nur eingeschränkten Zugang zu medizinischer Grundversorgung. Viele Afghanen suchen, wenn möglich, privat geführte Krankenhäuser und Kliniken auf. Die Kosten von Diagnose und Behandlung dort variieren stark und müssen von den Patienten selbst getragen werden. Daher ist die Qualität der Behandlung stark einkommensabhängig. Auch die Sicherheitslage hat erhebliche Auswirkungen auf die medizinische Versorgung (AA 5.2018).

Medizinische Versorgung ist in Afghanistan insbesondere in größeren Städten wie etwa auch in Mazar-e Sharif sowohl in staatlichen als auch privaten Krankenhäusern verfügbar Psychische Krankheiten wie posttraumatische Belastungsstörung, Depression und Angstzustände - die oft durch den Krieg hervorgerufen wurden - sind in Afghanistan weit verbreitet, es gibt aber nur geringe Kapazitäten zur Behandlung dieser Erkrankungen. Spezifische Medikamente sind grundsätzlich verfügbar. Laut einem 2018 veröffentlichten Bericht der Weltbank haben sich die Gesundheitsdienstleistungen in Afghanistan im Zeitraum 2004-2010 erheblich verbessert, diese Verbesserung hat sich im Zeitraum 2011-2016 jedoch verlangsamt. Der Bericht listet die Provinz Balkh (Mazar-e Sharif) im Zeitraum 2011-2016 unter den Provinzen mit leistungsstarken Gesundheitseinrichtungen. Viele Menschen in Afghanistan haben konfliktbedingt keinen Zugang zur Gesundheitsversorgung. Medizinische Einrichtungen werden zunehmend zum Ziel von Militärangriffen.

Rückkehrer

In der Zeit von 2012 bis 2017 sind 1.821.011 Personen nach Afghanistan zurückgekehrt, wobei der Großteil der Rückkehrer aus Pakistan und dem Iran kommen. Bis Juli 2017 kehrten aus Europa und der Türkei 41.803 Personen nach Afghanistan zurück. In der Provinz Balkh ließen sich von den insgesamt ca. 1,8 Millionen Rückkehrer/innen in der Zeit von 2012 bis 2017 109.845 Personen nieder.

Aufgrund der schwierigen wirtschaftlichen Bedingungen besteht auch für zurückkehrende Flüchtlinge das Risiko, in die Armut abzurutschen. Sowohl das Welternährungsprogramm der Vereinten Nationen (United Nations World Food Programme) als auch andere UN-Organisationen arbeiten mit der afghanischen Regierung zusammen, um die Kapazität humanitärer Hilfe zu verstärken, rasch Unterkünfte zur Verfügung zu stellen und Hygiene- und Nahrungsbedürfnisse zu stillen.

Die afghanische Regierung kooperierte mit UNHCR, IOM und anderen humanitären Organisationen, um IDPs, Flüchtlingen, rückkehrenden Flüchtlingen und anderen betroffenen Personen Schutz und Unterstützung zu bieten. Die Fähigkeit der afghanischen Regierung vulnerable Personen zu unterstützen, einschließlich Rückkehrer/innen aus Pakistan und dem Iran, bleibt begrenzt und ist weiterhin auf die Hilfe der internationalen Gemeinschaft angewiesen. Auch wenn scheinbar kein koordinierter Mechanismus existiert, der garantiert, dass alle Rückkehrer/innen die Unterstützung erhalten, die sie benötigen, und dass eine umfassende Überprüfung stattfindet, können Personen, die freiwillig oder zwangsweise nach Afghanistan zurückgekehrt sind, dennoch verschiedene Unterstützungsformen in Anspruch nehmen. Eine Reihe unterschiedlicher Organisationen ist für Rückkehrer/innen und Binnenvertriebene (IDP) in Afghanistan zuständig (BFA Staatendokumentation 4.2018). Außerdem erhalten Rückkehrer/innen Unterstützung von der afghanischen Regierung, den Ländern, aus denen sie zurückkehren, und internationalen Organisationen (z.B. IOM) sowie lokalen Nichtregierungsorganisationen (NGO) (z. B. IPSO und AMASO). Nichtsdestotrotz scheint das Sozialkapital die wichtigste Ressource zu sein, die Rückkehrer/innen zur Verfügung steht, da keine dezidiert staatlichen Unterbringungen für Rückkehrer existieren und familiäre Unterbringungsmöglichkeiten für Rückkehrer/innen daher als die zuverlässigste und sicherste Möglichkeit erachtet werden. So kehrt der Großteil der (freiwilligen bzw. zwangsweisen) Rückkehrer/innen direkt zu ihren Familien oder in ihre Gemeinschaften zurück. Für jene, die diese Möglichkeit nicht haben sollten, stellen die Regierung und IOM eine temporäre Unterkunft zur Verfügung. Neue politische Rahmenbedingungen für Rückkehrer/innen und IDPs wurden von unterschiedlichen afghanischen Behörden, dem Ministerium für Flüchtlinge und Repatriierung (MoRR) und internationalen Organisationen geschaffen und sind im Dezember 2016 in Kraft getreten. Diese Rahmenbedingungen gelten sowohl für Rückkehrer/innen aus der Region (Iran und Pakistan), als auch für jene, die aus Europa zurückkommen oder IDPs sind. Soweit dies möglich ist, sieht dieser mehrdimensionale Ansatz der Integration unter anderem auch die individuelle finanzielle Unterstützung als einen Ansatz der "whole of community" vor. Demnach sollen Unterstützungen nicht nur Einzelnen zugutekommen, sondern auch den Gemeinschaften, in denen sie sich niederlassen. Die Rahmenbedingungen sehen die Grundstücksvergabe als entscheidend für den Erfolg anhaltender Lösungen. Hinsichtlich der Grundstücksvergabe wird es als besonders wichtig erachtet, das derzeitige Gesetz zu ändern, da es als anfällig für Korruption und Missmanagement gilt. Auch wenn nicht bekannt ist, wie viele Rückkehrer/innen aus Europa Grundstücke von der afghanischen Regierung erhalten haben - und zu welchen Bedingungen - sehen Experten dies als möglichen Anreiz für jene Menschen, die Afghanistan schon vor langer Zeit verlassen haben und deren Zukunftsplanung von der Entscheidung europäischer Staaten über ihre Abschiebungen abhängig ist.

Die Großfamilie ist für Zurückkehrende die zentrale soziale Institution in Afghanistan und bildet das wichtigste soziale Sicherheitsnetz der Afghanen. Alle Familienmitglieder sind Teil des familiären Netzes. Die Großfamilie trägt zu Schutz, Betreuung und Versorgung ihrer Mitglieder bei. Sie bildet auch eine wirtschaftliche Einheit; die Männer der Familie sind verpflichtet, die Mitglieder der Großfamilie zu unterstützen und die Familie in der Öffentlichkeit zu repräsentieren. Auslandsafghanen pflegen zumeist enge Kontakte mit ihren Verwandten in Afghanistan. Quellen zufolge verlieren nur sehr wenige Afghanen in Europa den Kontakt zu ihrer Familie. Die Qualität des Kontakts mit der Familie hängt möglicherweise auch davon ab, wie lange die betreffende Person im Ausland war bzw. wie lange sie tatsächlich in Afghanistan lebte, bevor sie nach Europa migrierte. Der Faktor geographische Nähe verliert durch technologische Entwicklungen sogar an Wichtigkeit. Der Besitz von Mobiltelefonen ist mittlerweile "universell" geworden und digitale Kommunikation wird eine zunehmende Selbstverständlichkeit, vor allem in den Städten. Ein fehlendes familiäres Netzwerk stellt eine Herausforderung für die Reintegration von Migrant/innen in Afghanistan dar. Quellen zufolge haben aber alleinstehende afghanische Männer, egal ob sie sich kürzer oder länger außerhalb der Landesgrenzen aufhielten, sehr wahrscheinlich eine Familie in Afghanistan, zu der sie zurückkehren können. Eine Ausnahme stellen möglicherweise jene Fälle dar, deren familiäre Netze in den Nachbarstaaten Iran oder Pakistan liegen. Quellen zufolge halten Familien in Afghanistan in der Regel Kontakt zu ihrem nach Europa ausgewanderten Familienmitglied und wissen genau Bescheid, wo sich dieses aufhält und wie es ihm in Europa ergeht. Dieser Faktor wird in Asylinterviews meist heruntergespielt und viele Migranten, vor allem Minderjährige, sind instruiert zu behaupten, sie hätten keine lebenden Verwandten mehr oder jeglichen Kontakt zu diesen verloren.

Neben der Familie als zentrale Stütze der afghanischen Gesellschaft, kommen noch weitere, wichtige Netzwerke zum Tragen, wie z. B. der Stamm, der Clan und die lokale Gemeinschaft. Diese basieren auf Zugehörigkeit zu einer Ethnie, Religion oder anderen "professionellen" Netzwerken (Kolleg/innen, Kommilitonen etc.) sowie politische Netzwerke usw. Die unterschiedlichen Netzwerke haben verschiedene Aufgaben und unterschiedliche Einflüsse - auch unterscheidet sich die Rolle der Netzwerke zwischen den ländlichen und städtischen Gebieten. Ein Netzwerk ist für das Überleben in Afghanistan wichtig. So sind einige Rückkehrer/innen auf soziale Netzwerke angewiesen, wenn es ihnen nicht möglich ist, auf das familiäre Netz zurückzugreifen. Ein Mangel an Netzwerken stellt eine der größten Herausforderungen für Rückkehrer/innen dar, was möglicherweise zu einem neuerlichen Verlassen des Landes führen könnte. Die Rolle sozialer Netzwerke - der Familie, der Freunde und der Bekannten - ist für junge Rückkehrer/innen besonders ausschlaggebend, um sich an das Leben in Afghanistan anzupassen. Sollten diese Netzwerke im Einzelfall schwach ausgeprägt sein, kann die Unterstützung verschiedener Organisationen und Institutionen in Afghanistan in Anspruch genommen werden.

Auszug aus der UNHCR-Richtlinie vom 30.08.2018:

Vor dem Hintergrund der Abwägung bezüglich der Relevanz- und Zumutbarkeitsprüfung für Kabul als in Erwägung gezogenes Gebiet für eine interne Flucht- oder Schutzalternative, und unter Beachtung der generellen Situation des Konflikts und der Menschenrechtssituation, sowie deren Auswirkungen auf den breiteren sozio-ökonomischen Kontext, hält das UNHCR eine interne Flucht- oder Schutzalternative für generell nicht verfügbar in Kabul." (S. 10)

[...] im Afghanistan-Kontext wurde die Wichtigkeit der Verfügbarkeit und des Zugangs zu sozialen Netzwerken, dem Existieren von Familie

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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