TE Bvwg Erkenntnis 2019/9/12 W102 2162813-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 12.09.2019
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Entscheidungsdatum

12.09.2019

Norm

AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §3 Abs2
AsylG 2005 §3 Abs5
B-VG Art. 133 Abs4

Spruch

W102 2162813-1/18E

Schriftliche Ausfertigung des am 19.08.2019 mündlich verkündeten Erkenntnisses

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Dr. Werner ANDRÄ als Einzelrichter über die Beschwerde von XXXX , geb. am XXXX , StA. Afghanistan, vertreten durch Verein Menschenrechte Österreich, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl, Regionaldirektion Wien, vom 08.06.2017, Zl. XXXX - XXXX , nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 19.08.2019 zu Recht erkannt:

A) Der Beschwerde von XXXX wird stattgegeben und diesem gemäß § 3

Absatz 1 Asylgesetz 2005 der Status des Asylberechtigten zuerkannt. Gemäß § 3 Absatz 5 Asylgesetz 2005 wird festgestellt, dass XXXX damit kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukommt.

B) Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang:

1. Der Beschwerdeführer, afghanischer Staatsangehöriger und Angehöriger der Volksgruppe der Tadschiken, reiste unter Umgehung der Grenzkontrollen in die Republik Österreich ein und stellte am 28.07.2015 erstmals im Bundesgebiet einen Antrag auf internationalen Schutz.

Im Rahmen der Erstbefragung am 28.07.2015 gab der Beschwerdeführer zum Fluchtgrund befragt im Wesentlichen an, er habe aus dem Iran flüchten müssen, weil er dort wegen seiner Herkunft und Religion diskriminiert worden sei. Er sei Gewalt und Willkür durch Behörden und Polizei ausgesetzt gewesen. Er habe keine Zukunftsmöglichkeiten gehabt und ihm habe die Abschiebung nach Afghanistan in den Bürgerkrieg gedroht.

In der niederschriftlichen Einvernahme vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl am 02.02.2017 führte der Beschwerdeführer zu seinen Fluchtgründen auf das Wesentliche zusammengefasst aus, er sei wegen des Krieges mit den Taliban in den Iran geflüchtet. Im Iran hätten sie als Sunniten Probleme gehabt und seien misshandelt worden. Sie hätten dort auch illegal gelebt. Er sei auch zwei Mal verhaftet und wegen der drei Tätowierungen auf seiner Brust von der iranischen Polizei misshandelt worden. Er sei zwei Wochen gefangen gehalten worden. Ein weiteres Mal sei er bei der Arbeit gewesen und der Arbeitgeber habe gesagt, er solle weglaufen, die Polizei sei auf dem Weg zu ihnen, er habe illegal gearbeitet. Die Polizei habe ihn mit dem Auto angefahren, dabei sei sein Bein gebrochen. Das hätten sie ihm nicht geglaubt und ihn geschlagen. Schließlich hätten sie einen Krankenwagen gerufen und ihn dann beschuldigt, er hätte gestohlen. Die Familie hätte Angst gehabt, deshalb Anzeige zu erstatten, weil sie illegal im Iran gelebt hätten. Nach vier Monaten mit einem Gipsbein zuhause sei der Beschwerdeführer schließlich ausgereist.

Am 13.02.2017 langte eine Stellungnahme des Beschwerdeführers bei der belangten Behörde ein, in der ausgeführt wird, dem Beschwerdeführer drohe im Herkunftsstaat aufgrund seiner Zugehörigkeit zur sozialen Gruppe der Straßen- und Waisenkinder asylrelevante Verfolgung.

2. Mit dem nunmehr angefochtenen Bescheid vom 08.06.2017, zugestellt am 14.06.2017, wies die belangte Behörde den Antrag des Beschwerdeführers hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 AsylG iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG (Spruchpunkt I.) sowie hinsichtlich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten § 8 Abs. 1 AsylG iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG ab (Spruchpunkt II.), erteilte dem Beschwerdeführer keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG, erließ gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG iVm § 9 BFA-VG eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG und stellte gemäß § 52 Abs. 9 FPG fest, dass die Abschiebung des Beschwerdeführers gemäß § 46 FPG nach Afghanistan zulässig sei (Spruchpunkt III.). Die Frist für die freiwillige Ausreise gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG wurde mit zwei Wochen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung festgesetzt (Spruchpunkt IV.). Begründend führte die belangte Behörde aus, dass nicht habe festgestellt werden können, dass dem Beschwerdeführer in Afghanistan asylrelevante Verfolgung drohe. Seine Fluchtgründe hätten sich auf den Iran bezogen und seien nicht nachvollziehbar. Er habe auch nicht glaubwürdig darlegen können, warum eine Rückkehr nach Afghanistan nicht möglich sei.

3. Gegen den oben dargestellten Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 08.06.2017 richtet sich die am 26.06.2017 bei der belangten Behörde eingelangte vollumfängliche Beschwerde, in der ausgeführt wird, dass dem Beschwerdeführer als Iran-Rückkehrer asylrelevante Verfolgung drohe. Der Beschwerdeführer nehme an einem Vorbereitungskurs für seine bevorstehende Taufe teil und drohe im als Konvertit in Afghanistan Verfolgung. Auch als "verwestlichter Mann" würde er verfolgt.

Am 17.05.2018 langte eine "Beschwerdeergänzung" und am 07.08.2019 eine Stellungnahme am Bundesverwaltungsgericht ein.

Das Bundesverwaltungsgericht führte zur Ermittlung des entscheidungswesentlichen Sachverhaltes am 19.08.2019 eine öffentliche mündliche Verhandlung durch, an der der Beschwerdeführer, sein bevollmächtigter Rechtsvertreter, eine Zeugin und zwei Zeugen, jeweils namentlich im Akt genannt, einige Zuhörerinnen und Zuhörer, ein Vertreter der belangten Behörde und eine Dolmetscherin für die Sprache Dari teilnahmen.

Im Zuge der mündlichen Verhandlung wurde der Beschwerdeführer zu seinen Fluchtgründen befragt und hielt sein Vorbringen einer Konversion zum Christentum im Wesentlichen aufrecht.

Mit Schreiben vom 123.08.2019 beantragte die belangte Behörde die schriftliche Ausfertigung des am 19.08.2019 mündliche verkündeten Erkenntnisses.

Der Beschwerdeführer legte im Lauf des Verfahrens folgende Dokumente vor:

* Kopie der Tazkira des Beschwerdeführers

* Diverse Kursbesuchsbestätigungen und Unterlagen für Deutschkurse und andere Bildungsangebote

* Sozialbericht der Caritas

* Einige Empfehlungsschreiben

* Bestätigungsschreiben von Pater XXXX

* Einige Fotos

* Taufschein des Beschwerdeführers

* Religionsaustritt bezüglich der islamischen Glaubensgemeinschaft in Österreich vom 31.01.2018

* Einstellungszusage als Lehrling

* Teilnahmebestätigung für einen Werte- und Orientierungskurs

* Integrationsprüfungszeugnis für das Niveau B1

* Pflichtschulabschlussprüfungszeugnis

* Abweisenden Bescheid des AMS hinsichtlich einer Beschäftigungsbewilligung für den Beschwerdeführer

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

1.1. Zu Person und Lebensumständen des Beschwerdeführers

Der Beschwerdeführer trägt den im Spruch angeführten Namen, geboren am XXXX in XXXX und ist Staatsangehöriger der Islamischen Republik Afghanistan, Angehöriger der Volksgruppe der Tadschiken und bekennt sich zum christlichen Glauben. Die Muttersprache des Beschwerdeführers ist Dari.

Der Beschwerdeführer reiste im Alter von etwa zwei bis drei Jahren mit seiner Familie in den Iran aus, wo er in Teheran lebte. Dort besuchte er etwa fünf Jahre eine afghanische Schule und arbeitete als Metzger.

Der Beschwerdeführer ist strafgerichtlich unbescholten.

1.2. Zu den Fluchtgründen des Beschwerdeführers

Der Beschwerdeführer wurde als sunnitischer Moslem geboren und lebte im Herkunftsstaat, im Iran und zunächst auch im Bundesgebiet nach diesem Glauben.

Der Beschwerdeführer begann bereits kurz nach seiner Einreise nach Österreich, sich für das Christentum zu interessieren und besuchte einige Male die Kirche.

Im Jahr 2017 trat der Beschwerdeführer an Pater XXXX , der gemeinsam mit einigen katholischen Studierenden regelmäßig das Wohnheim, in dem der Beschwerdeführer untergebracht war für gemeinsame Aktivitäten besuchte, heran, um etwas über das Christentum zu erfahren. Daraufhin trafen sich die beiden in regelmäßigen Abständen. Den Entschluss zur Konversion fasste der Beschwerdeführe im Jahr 2018 und erklärte auch seinen Austritt aus dem islamischen Glauben.

Am XXXX wurde der Beschwerdeführer in der XXXX getauft.

Der Beschwerdeführer betet und besucht regelmäßig die Messe und nimmt an Gemeinschaftsaktivitäten der XXXX teil.

Der Beschwerdeführer hat sich aus tiefer innerer Überzeugung vom Islam abgewendet und den inneren Entschluss gefasst, nach dem christlichen Glauben zu leben. Er ist zum Christentum konvertiert und bekennt sich auch offen zu diesem Entschluss.

Im Herkunftsstaat wäre der Beschwerdeführer, weil er sich vom Islam abgewandt hat und seinen neuen Glauben lebt und dies bekannt wird, Übergriffen durch Privatpersonen sowie der strafrechtlichen Verfolgung durch den Staat bis hin zur Todesstrafe ausgesetzt. Diese Gefahr besteht landesweit.

2. Beweiswürdigung:

2.1. Zu Person und Lebensumständen des Beschwerdeführers

Die Feststellungen zur Identität des Beschwerdeführers, seiner Staatsangehörigkeit und Herkunft, seiner Volksgruppenzugehörigkeit, seinen Sprachkenntnissen sowie Lebensumstände und Lebenswandel bis zur Einreise nach Österreich ergeben sich aus seinen gleichbleibenden und plausiblen Angaben vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, denen auch die belangte Behörde im Wesentlichen Glauben schenkte. Zur Religionszugehörigkeit des Beschwerdeführers siehe sogleich unter 2.2.

Die Feststellung zur Unbescholtenheit des Beschwerdeführers ergibt sich aus dem im Akt einliegenden aktuellen Strafregisterauszug.

2.2. Zu den Fluchtgründen des Beschwerdeführers

Zunächst gab der Beschwerdeführer im Verfahren vor der belangten Behörde durchgehend an, sunnitischer Moslem zu sein, worauf die Feststellung zu seiner ursprünglichen Glaubenszugehörigkeit beruht. Die übrigen Feststellungen zum Fluchtvorbringen des Beschwerdeführers ergeben sich aus den vorgelegten Unterlagen, sowie aus den Aussagen des Beschwerdeführers und des Zeugen der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht am 19.08.2019.

Im Zuge der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht am 19.08.2019 schilderte der Beschwerdeführer lebensnah, wie aus einem bloßen Interesse am Christentum der allmähliche Entschluss heranreifte, sich vom Islam Abzuwenden und zum Christentum zu konvertieren. Hierbei leistet insbesondere das vom Beschwerdeführer geschilderte subjektive Gefühl der Entwurzelung nach seiner Einreise ins Bundesgebiet einen starken Beitrag zum Eindruck persönlicher Glaubwürdigkeit. So gibt der Beschwerdeführer an: "Ich bin alleine nach Österreich gekommen. Ich habe für mich eine vertrauenswürdige Person gesucht. Im Islam hatte ich so etwas nicht."

(Verhandlungsprotokoll S. 5) sowie "Ich bin hier alleine gewesen und ich brauchte einen Freund, mit dem ich sprechen konnte, einen Vater, dem ich vertrauen kann." (Verhandlungsprotokoll S. 4) wobei grundsätzlich nachvollziehbar erscheint, dass der Beschwerdeführer bedingt dadurch, dass er als "Anschlusssuchender", wie er angibt, von Christen Freundschaft erfahren und zum Kirchenbesuch eingeladen wurde, sich auf diese Weise aufgenommen fühlte und Teil dieser Gemeinschaft werden wollte. Auch dass sich aus dieser grundlegenden Motivation, Anschluss zu finden und Gemeinschaft zu erleben, als nächster Schritt logisch ergibt, dass der Beschwerdeführer auf den Zeugen - wie von diesem geschildert (Verhandlungsprotokoll S. 4) - zugeht und um Unterweisung bittet, erscheint nachvollziehbar und lebensnah.

Einen entscheidenden Beitrag zur Überzeugung des erkennenden Richters von der Ernsthaftigkeit der aus innerer Überzeugung erfolgten Konversion des Beschwerdeführers leistet auch, dass der Beschwerdeführer seine Konversionsentscheidung nicht überhastet, sondern nach reiflicher Überlegung getroffen hat. So liegen zwischen seinem ersten Kontakt mit dem Zeugen - der ihn schließlich auch getauft hat - und seiner Tatsächlichen Taufe fast zweieinhalb Jahre, wobei auch der Zeuge glaubhaft bestätigt hat, dass der Taufe Treffen in regelmäßigen Abständen und der Gang eines gemeinsamen Weges vorangegangen sind (Verhandlungsprotokoll S. 4). Der erkennenden Richter geht dabei nach dem persönlichen Eindruck, den er vom Zeugen gewonnen hat, nicht davon aus, dass dieser Personen taufen würde, von deren Konversionswunsch er nicht tatsächlich überzeugt ist. Insbesondere schilderte der Zeuge im Zuge der mündlichen Verhandlung auch lebendig, wie ihm der Beschwerdeführer mehrfach von seiner persönlichen Beziehung zu Jesus bzw. Gott berichtete und wie erfreut und überzeugt er von der "Reife" des Beschwerdeführers und dem "persönlichen Willen, diesen Weg zu gehen" ist. Auch die Schilderung des Zeugen, dass der Beschwerdeführer seinen Glauben auch im Alltag lebt, indem er etwa selbstständig die Messe in einer Kirche in seinem unmittelbaren Umfeld besucht (Verhandlungsprotokoll S. 4), trägt zur Überzeugung des erkennenden Richters von einer aus innerer Überzeugung erfolgten Konversion des Beschwerdeführers bei.

Zur Glaubwürdigkeit des Zeugen ist zu ergänzen, dass dieser insgesamt einen gewissenhaften und an der Wahrheitsfindung interessierten Eindruck machte. Insbesondere trug er Zweifel an der tatsächlichen Konversion des Beschwerdeführers nicht nach außen, sondern schien von seiner tiefen Hinwendung zum Glauben tiefgreifend überzeugt. Auch ist für den Zeugen kein Gewinn darin ersichtlich, dass dem Beschwerdeführer der Status des Asylberechtigten zukommt, hat sich doch im Verfahren ein sein Interesse an der Wahrheitsfindung beeinträchtigendes Naheverhältnis zum Beschwerdeführer nicht ergeben.

Dass er Beschwerdeführer regelmäßig die Messe besucht, ergibt sich im Wesentlichen aus den Schilderungen des Beschwerdeführers und des Zeugen, wobei die Feststellung, dass der Beschwerdeführer regelmäßig betet, auf den bereits oben zitierten Angaben des Zeugen zum regelmäßigen "Zwiegespräch" (Verhandlungsprotokoll S. 5) beruht. Die Feststellung einer regelmäßigen Teilnahme an Gemeinschaftsaktivitäten der XXXX beruht ebenfalls auf den diesbezüglichen Angaben des Zeugen, wobei anzumerken ist, dass diese regelmäßige Teilnahme auch gut dazu passt, dass der Beschwerdeführer im Bundesgebiet Anschluss suchte und diesen insbesondere in der XXXX und der christlichen Religion gefunden hat.

Die Feststellung zur Taufe ergibt sich aus dem vorgelegten Taufschein vom 06.05.2019.

Insgesamt ergibt sich aus den bereits erläuterten Aspekten der Eindruck, dass der Beschwerdeführer tatsächlich aus innerer Überzeugung den Glaubenswechsel vollzogen hat und wurde daher festgestellt, dass der Beschwerdeführer sich aus tiefer innerer Überzeugung vom Islam abgewendet und den inneren Entschluss gefasst hat, nach dem christlichen Glauben zu leben, was er durch die ebenso festgestellte Teilnahme an Aktivitäten der XXXX , sein regelmäßiges Gebet und seinen Messbesuch auch tatsächlich umsetzt. Darin ist auch das offene Bekenntnis des Beschwerdeführers zum christlichen Glauben deutlich erkennbar.

Die Feststellung, dass dem Beschwerdeführer im Fall der Rückkehr in den Herkunftsstaat Übergriffe durch Privatpersonen sowie strafrechtliche Verfolgung durch den Staat bis hin zur Todesstrafe drohen, weil er sich vom Islam abgewandt hat, seinen neuen Glauben lebt und dies bekannt wird, ergibt sich im Wesentlichen aus den Länderberichten:

Dem aktuellen Länderinformationsblatt der Staatendokumentation, Afghanistan, Gesamtaktualisierung am 29.06.2018, letzte Kurzinformation eingefügt am 04.06.2019 lässt sich entnehmen, dass es für christliche Afghanen keine Möglichkeit der Religionsausübung außerhalb des häuslichen Rahmens gibt. Lediglich ausländische Christen dürfen ihren Glauben diskret ausüben. Berichtet wird weiter von strafrechtlicher Verfolgung gegen Konvertiten sowie von Ausgrenzung und Angriffen durch die Gesellschaft. Afghanische Christen müssten ihren Glauben unbedingt geheim halten. Im Fall der Verweigerung, zum alten Glauben zurückzukehren, kommt es zu Zwangseinweisungen in psychiatrische Kliniken, zu Angriffen durch Nachbarn und Fremde, zur Zerstörung von Betrieben und Eigentum sowie zu Tötungen durch die eigene Familie (Kapitel 15.2. Christentum und Konversion zum Christentum). Unter dem Einfluss der Scharia kann für Apostasie auch die Todesstrafe drohen (Kapitel 14. Todesstrafe). Apostasie ist nach der sunnitisch-hanafitischen Rechtsprechung die Konversion vom Islam zu einer anderen Religion. Kommt es binnen drei Tagen nicht zu einem Widerruf des Religionswechsels, so gilt die für Männer die Enthauptung als angemessene Strafe. Auch Missionierung ist illegal (Kapitel 15. Religionsfreiheit). Nachdem sich die beschriebene Situation auf das gesamte Staatsgebiet bezieht, wurde festgestellt, dass die Gefahr landesweit besteht. Diese Berichtslage stimmt im Übrigen mit dem vom Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl im angefochtenen Bescheid im Wortlaut überein (siehe Länderinformationsblatt der Staatendokumentation Afghanistan vom 02.03.2017, letzte Kurzinformation eingefügt am 11.05.2017, Kapitel

15. Religionsfreiheit, insbesondere Kapitel 15.2. Christen und Konversionen). Demzufolge haben sich hinsichtlich der Lage von Konvertiten Änderungen seither nicht ergeben, weswegen Zweifel hinsichtlich der Aktualität der herangezogenen Länderinformationen nicht aufkommen.

Zur Plausibilität und Seriosität der herangezogenen Länderinformationen zur Lage im Herkunftsstaat ist auszuführen, dass die im Länderinformationsblatt zitierten Unterlagen von angesehen Einrichtungen stammen. Es ist auch darauf hinzuweisen, dass die Staatendokumentation des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl nach § 5 Abs. 2 BFA-VG verpflichtet ist, gesammelte Tatsachen nach objektiven Kriterien wissenschaftlich aufzuarbeiten und in allgemeiner Form zu dokumentieren.

3. Rechtliche Beurteilung:

3.1. Zum Fluchtvorbringen einer asylrechtliche relevanten Verfolgung wegen Apostasie

Gemäß § 3 Abs. 1 Asylgesetz 2005 (in der Folge AsylG) ist einem Fremden, der in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat der Status des Asylberechtigten zuzuerkennen, wenn glaubhaft ist, dass ihm im Herkunftsstaat Verfolgung im Sinne des Art. 1 Abschnitt A Z 2 Konvention über die Rechtsstellung der Flüchtlinge, StF: BGBl. Nr. 55/1955 (in der Folge Genfer Flüchtlingskonvention - GFK) droht.

Verfolgung im Sinne des Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK droht einer Person unter anderem, wenn sie sich aus wohlbegründeter Furcht, aus Gründen der Religion verfolgt zu werden, außerhalb des Herkunftsstaates befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, sich des Schutzes dieses Landes zu bedienen.

Nach der Judikatur des Verwaltungsgerichthofes ist für den Flüchtlingsbegriff der GFK entscheidend, ob glaubhaft ist, dass den Fremden in ihrem Herkunftsstaat Verfolgung droht. Dies ist dann der Fall, wenn sich eine mit Vernunft begabte Person in der konkreten Situation der Asylwerber unter Berücksichtigung der Verhältnisse im Verfolgerstaat fürchten würde (VwGH 24.06.2010, 2007/01/1199).

"Verfolgung" im Sinne des Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK ist nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs als ein ungerechtfertigter Eingriff von erheblicher Intensität in die zu schützende persönliche Sphäre des Einzelnen zu verstehen. § 2 Abs. 1 Z 11 AsylG 2005 umschreibt "Verfolgung" als jede Verfolgungshandlung im Sinne des Art. 9 Statusrichtlinie, worunter - unter anderem - Handlungen fallen, die aufgrund ihrer Art oder Wiederholung so gravierend sind, dass sie eine schwerwiegende Verletzung der grundlegenden Menschenrechte darstellen, insbesondere der Rechte, von denen gemäß Art. 15 Abs. 2 MRK keine Abweichung zulässig ist. Dazu gehören insbesondere das durch Art. 2 MRK geschützte Recht auf Leben und das in Art. 3 MRK niedergelegte Verbot der Folter (zuletzt VwGH 31.07.2018 mwN).

Nach der ständigen Rechtsprechung des VwGH kommt einer von Privatpersonen bzw. privaten Gruppierung ausgehenden, auf einem Konventionsgrund beruhenden Verfolgung Asylrelevanz zu, wenn der Staat nicht gewillt oder nicht in der Lage ist, diese Verfolgungshandlungen hintanzuhalten (VwGH 08.09.2015, Ra 2015/18/0010 mwN).

Nach § 3 Abs. 2 AsylG kann die Verfolgung auch auf Ereignissen beruhen, die eingetreten sind, nachdem der Fremde seinen Herkunftsstaat verlassen hat (objektive Nachfluchtgründe) oder auf Aktivitäten des Fremden beruhen, die dieser seit Verlassen des Herkunftsstaates gesetzt hat, die insbesondere Ausdruck und Fortsetzung einer bereits im Herkunftsstaat bestehenden Überzeugung sind (subjektive Nachfluchtgründe).

§ 3 Abs. 2 AsylG 2005 ist Art. 5 Abs. 2 der Richtlinie 2011/95/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13.12.2011 über die Normen für die Anerkennung von Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen als Personen mit Anspruch auf internationalen Schutz, für einen einheitlichen Status für Flüchtlinge oder für Personen mit Anrecht auf subsidiären Schutz und für den Inhalt des zu gewährenden Schutzes Abl L 337/9 vom 20.12.2011 (Statusrichtlinie), nachgebildet. Nach Art. 5 Abs. 2 Statusrichtlinie kann die begründete Furcht vor Verfolgung oder die tatsächliche Gefahr, einen ernsthaften Schaden zu erleiden, auf Aktivitäten des Antragstellers nach Verlassen seines Herkunftslandes beruhen, insbesondere wenn die Aktivitäten, auf die er sich stützt, nachweislich Ausdruck und Fortsetzung einer bereits im Herkunftsstaat bestehenden Überzeugung oder Ausrichtung sind.

Der VfGH hat ausgesprochen, dass asylrelevante Verfolgung gemäß § 3 Abs. 2 AsylG 2005 auch auf Aktivitäten beruhen kann, die der Fremde seit dem Verlassen des Herkunftsstaats gesetzt hat (VfGH 12.12.2013, U 2272/2012).

Auch der VwGH hat bereits erkannt, dass diese neuen - in Österreich eingetretenen - Umstände, mit denen ein Asylwerber seine Furcht vor Verfolgung nunmehr begründet, grundsätzlich zur Asylgewährung führen können. Sie sind daher zu überprüfen, wenn sie geeignet sind, die Annahme "wohlbegründeter Furcht vor Verfolgung" zu rechtfertigen (VwGH 18.09.1997, 96/20/0323).

Bedingt dadurch, dass der Beschwerdeführer im Verfahren seinen im Bundesgebiet gefassten inneren Entschluss, nach der christlichen Lehre seiner Gemeinde zu leben, glaubhaft machen konnte, macht er mit seinem Vorbringen einer Verfolgungsgefahr im Herkunftsstaat wegen seiner Konversion einen subjektiven Nachfluchtgrund geltend.

Nach der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofs ist in Bezug auf die asylrechtliche Relevanz einer Konversion zum Christentum entscheidend, ob der Fremde bei weiterer Ausübung seines inneren Entschlusses, nach dem christlichen Glauben zu leben, im Fall seiner Rückkehr in seinen Herkunftsstaat mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit damit rechnen müsste, aus diesem Grund mit die Intensität der Verfolgung erreichenden Sanktionen belegt zu werden (zuletzt VwGH 07.05.2018, Ra 2018/20/0186). Es kommt auf die aktuell bestehende Glaubensüberzeugung des Konvertiten an (VwGH 23.01.2019, Ra 2018/19/0260).

Dabei stellt der Verwaltungsgerichtshof bei einer Konversion zum Christentum nicht darauf ab, ob der Religionswechsel bereits - durch die Taufe - erfolgte oder bloß beabsichtigt ist. Wesentlich ist nur, ob der Fremde bei weiterer Ausübung seines inneren Entschlusses, nach dem christlichen Glauben zu leben, im Fall seiner Rückkehr in seinen Herkunftsstaat mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit damit rechnen müsste, aus diesem Grund mit die Intensität der Verfolgung erreichenden Sanktionen belegt zu werden. Die bloße Behauptung eines "Interesses am Christentum" reicht für die Geltendmachung einer asylrechtlich relevanten Konversion nicht aus (VwGH 23.01.2019, Ra 2018/19/0453 mwN).

Nach dem gemäß § 2 Abs. 1 Z 12 AsylG unmittelbar anwendbaren Art. 10 Abs. 1 lit. b) der Richtlinie 2011/95/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13. Dezember 2011 über Normen für die Anerkennung von Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen als Personen mit Anspruch auf internationalen Schutz, für einen einheitlichen Status für Flüchtlinge oder für Personen mit Anrecht auf subsidiären Schutz und für den Inhalt des zu gewährenden Schutzes (Gemäß § 2 Abs. 1 Z 9 AsylG "Statusrichtlinie") umfasst der Begriff der Religion insbesondere theistische, nichttheistische und atheistische Glaubensüberzeugungen, die Teilnahme bzw. Nichtteilnahme an religiösen Riten im privaten oder öffentlichen Bereich, allein oder in Gemeinschaft mit anderen, sonstige religiöse Betätigungen oder Meinungsäußerungen und Verhaltensweisen Einzelner oder einer Gemeinschaft, die sich auf eine religiöse Überzeugung stützen oder nach dieser vorgeschrieben sind.

Nach dem mit "Gedanken-, Gewissens- und Religionsfreiheit" übertitelten Art. 10 Charta der Grundrechte der Europäischen Union, ABl. C 202 vom 7.6.2016, S. 389-405, umfasst dieses Recht die Freiheit, die Religion oder Weltanschauung zu wechseln, und die Freiheit, seine Religion oder Weltanschauung einzeln oder gemeinsam mit anderen öffentlich oder privat durch Gottesdienst, Unterricht, Bräuche und Riten zu bekennen.

Im Wesentlichen inhaltsgleich gewährt auch Art. 9 EMRK als in der EMRK gewährleistetes Grundrecht, die gemäß Art. 6 Abs. 3 Vertrag über die Europäische Union (EUV) als allgemeine Grundsätze Teil des Unionsrechts sind, Anspruch auf Gedanken-, Gewissens- und Religionsfreiheit.

Nach diesen normativen Vorgaben umfasst der Religionsbegriff des Art. 1 Abschnitt A, Z 2 GFK nicht nur die individuelle Glaubensfreiheit als Kern der Religionsfreiheit ("forum internum"), sondern auch das öffentliche Bekenntnis und die Freiheit zur Ausübung der Religion in den religiösen Vorschriften entsprechendem Verhalten ("forum externum"). Demnach ist es einem Asylwerber für den Rückkehrfall nicht zumutbar, seine Religion heimlich ausüben und seine innere Überzeugung verstecken zu müssen.

Für den Herkunftsstaat des Beschwerdeführers wurde festgestellt und beweiswürdigend ausgeführt, dass ihm im Fall des Bekanntwerdens seines inneren Entschlusses, etwa im Wege einer öffentlichen Glaubensbetätigung indem er seinen Glauben lebt (derer sich der Beschwerdeführer wie oben ausgeführt nicht enthalten muss) Übergriffe durch private Akteure sowie staatliche Strafmaßnahmen bis hin zur Todesstrafe drohen. Damit droht dem Beschwerdeführer im Herkunftsstaat Verfolgung sowohl durch staatliche als auch durch private Akteure. Und ist vor der Verfolgung durch Privatpersonen im Sinne der oben zitierten Judikatur des Verwaltungsgerichthofes staatlicher Schutz bedingt durch die auch vom Staat selbst ausgehende Verfolgungsgefahr für den Beschwerdeführer nicht zu erwarten.

Der Beschwerdeführer konnte damit glaubhaft machen, dass ihm im Herkunftsstaat asylrelevante Verfolgung droht.

Es sind im Verfahren auch keine Asylausschlussgründe gemäß § 6 AsylG hervorgekommen.

3.2. Zum Nichtvorliegen einer innerstaatlichen Fluchtalternative

Nach § 3 Abs. 3 Z 1 AsylG ist der Antrag auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten abzuweisen, wenn dem Fremden eine innerstaatliche Fluchtalternative offensteht.

Gemäß § 11 Abs. 1 AsylG ist der Antrag auf internationalen Schutz abzuweisen, wenn Asylwerbern in einem Teil ihres Herkunftsstaates vom Staat oder von sonstigen Akteuren, die den Herkunftsstaat oder einen wesentlichen Teil des Staatsgebietes beherrschen, Schutz gewährleistet werden und ihnen der Aufenthalt in diesem Teil des Staatsgebietes zugemutet werden kann.

Wie festgestellt und beweiswürdigend ausgeführt besteht die Gefahr privater Übergriffe bzw. staatlicher Strafverfolgung wegen der Konversion des Beschwerdeführers zum Christentum (bzw. wegen Apostasie) landesweit. Damit steht dem Beschwerdeführer eine innerstaatliche Fluchtalternative gemäß § 11 AsylG nicht zur Verfügung.

3.3. Zum übrigen Fluchtvorbringen des Beschwerdeführers

Zum weiteren Fluchtvorbringen des Beschwerdeführers, nämlich der Kriegsbedingten Ausreise aus dem Herkunftsstaat, sowie, ihm drohe als Waisen- bzw. Straßenkind, als Iran-Rückkehrer und als verwestlichter Mann im Herkunftsstaat asylrelevante Verfolgung, ist auszuführen, dass sich aufgrund der bereits bejahten Verfolgungsgefahr wegen der Konversion des Beschwerdeführers zum Christentum eine Auseinandersetzung mit weiteren möglichen Fluchtgründen erübrigt.

Hinsichtlich des auf den Iran bezogenen Fluchtvorbringens wird angemerkt, dass § 3 Abs. 1 AsylG die Zuerkennung des Status des Asylberechtigten nur vorsieht, wenn dem Fremden im Herkunftsstaat Verfolgung iSd Art. 1 Abschnitt A Z 2 der Genfer Flüchtlingskonvention droht. Der Herkunftsstaat ist gemäß § 2 Abs. 1 Z 17 AsylG 2005 jener Staat, dessen Staatsangehörigkeit der Fremde besitzt; nur im Falle der Staatenlosigkeit gilt der Staat seines früheren gewöhnlichen Aufenthaltes als Herkunftsstaat. Auf Grund der afghanischen Staatsangehörigkeit des Beschwerdeführers kann somit das Vorbringen im Hinblick auf den Iran ohnehin außer Betracht bleiben (vgl. VwGH 02.03.2006, 2004/20/0240).

3.4. Zur Nichtanwendbarkeit des § 3 Abs. 4 AsylG:

Der Vollständigkeit halber wird angemerkt, dass § 3 Abs. 4 AsylG idF BGBl. I Nr. 24/2016 nach § 75 Abs. 24 AsylG auf Fremde, die einen Antrag auf internationalen Schutz vor dem 15.11.2015 gestellt haben, nicht anzuwenden. Nachdem der Beschwerdeführer seinen Antrag auf internationalen Schutz am 28.07.2015 gestellt hat, ist § 3 Abs. 4 AsylG idF BGBl. I Nr. 24/2016 daher nicht anzuwenden.

Dem Beschwerdeführer war spruchgemäß nach § 3 Abs. 1 AsylG der Status des Asylberechtigten zuzuerkennen und gemäß § 3 Abs. 5 AsylG die Entscheidung über die Asylgewährung mit der Feststellung zu verbinden, dass dem Beschwerdeführer damit kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukommt.

4. Unzulässigkeit der Revision:

Die Revision ist unzulässig, da keine Rechtsfrage im Sinne des Art. 133 Abs. 4 vorliegt. Dass eine Konversion als subjektiver Nachfluchtgrund zur Asylgewährung führe kann, ergibt sich klar aus der unter A) zitierten Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes. Ob ein Glaubenswechsel tatsächlich vollzogen wurde und dessen mögliche Folgen für den Beschwerdeführer im Herkunftsstaat sind dagegen auf Tatsachenebene zu beurteilen.

Schlagworte

asylrechtlich relevante Verfolgung, gesamtes Staatsgebiet,
Herkunftsstaat, Konversion, Nachfluchtgründe, Religion,
wohlbegründete Furcht

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2019:W102.2162813.1.00

Zuletzt aktualisiert am

22.01.2020
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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