TE Bvwg Erkenntnis 2019/9/12 W102 2149254-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 12.09.2019
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Entscheidungsdatum

12.09.2019

Norm

AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §3 Abs2
AsylG 2005 §3 Abs4
AsylG 2005 §3 Abs5
B-VG Art. 133 Abs4

Spruch

W102 2149254-1/18E

Schriftliche Ausfertigung des am 12.08.2019 mündlich verkündeten Erkenntnisses

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Dr. Werner ANDRÄ als Einzelrichter über die Beschwerde von XXXX , geb. am XXXX (alias XXXX ), StA. Afghanistan, vertreten durch Verein Menschenrechte Österreich, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl, Regionaldirektion Niederösterreich, vom 17.02.2017, Zl. XXXX , nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 12.08.2019 zu Recht erkannt:

A) Der Beschwerde wird stattgegeben und XXXX gemäß § 3 Abs. 1 AsylG

2005 der Status des Asylberechtigten zuerkannt. Gemäß § 3 Abs. 5 AsylG 2005 wird festgestellt, dass XXXX damit kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukommt.

B) Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang:

1. Der Beschwerdeführer, afghanischer Staatsangehöriger und Angehöriger der Volksgruppe der Hazara, reiste unter Umgehung der Grenzkontrollen in die Republik Österreich ein und stellte am 19.11.2015 erstmals im Bundesgebiet einen Antrag auf internationalen Schutz.

Im Rahmen der Erstbefragung am 19.11.2015 gab der Beschwerdeführer zum Fluchtgrund befragt im Wesentlichen an, dass all seine Cousins mit den Taliban zusammengearbeitet hätten. Der Beschwerdeführer habe deshalb in die Koranschule gehen müssen. Seine Familie, insbesondere seine Mutter und seine drei Schwestern, seien dadurch unterdrückt worden. Später sei er mit dem Tod bedroht worden, weil er sich geweigert habe, mit ihnen zu arbeiten.

In der niederschriftlichen Einvernahme vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl am 08.02.2017 führte der Beschwerdeführer zu seinen Fluchtgründen auf das Wesentliche zusammengefasst aus, er sei von den Söhnen des Onkels väterlicherseits nach Pakistan in eine Koranschule mitgenommen worden. Seine Eltern und er selbst hätten nicht gewusst, was für eine Schule das sei. Die Gelehrten seien Kämpfer gewesen. Als er in die Heimat zurückgekehrt sei, habe er alles seinen Eltern erzählt. Diese hätten den Söhnen des Onkels vorgeworfen, Taliban zu sein. Sie hätten Mutter und Schwester zusammengeschlagen. Der Cousin habe den Eltern gesagt, sie würden den Beschwerdeführer wieder nach Pakistan schicken, sie hätten drei Jahre in ihn investiert und bereits viel Geld ausgegeben. Die Eltern hätten den Beschwerdeführer daraufhin nach Kabul zu seinem Bruder geschickt. Die Cousins hätten auch in Kabul nach dem Beschwerdeführer gefragt.

2. Mit dem nunmehr angefochtenen Bescheid vom 17.02.2017, zugestellt am 18.02.2017, wies die belangte Behörde den Antrag des Beschwerdeführers hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 AsylG iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG (Spruchpunkt I.) sowie hinsichtlich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten § 8 Abs. 1 AsylG iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG ab (Spruchpunkt II.), erteilte dem Beschwerdeführer keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG, erließ gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG iVm § 9 BFA-VG eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG und stellte gemäß § 52 Abs. 9 FPG fest, dass die Abschiebung des Beschwerdeführers gemäß § 46 FPG nach Afghanistan zulässig sei (Spruchpunkt III.). Die Frist für die freiwillige Ausreise gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG wurde mit zwei Wochen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung festgesetzt (Spruchpunkt IV.). Begründend führte die belangte Behörde aus, das Vorbringen sei nicht glaubhaft. Die Taliban würden Hazara, selbst wenn diese Sunniten wären, nicht als ebenbürtig ansehen. Dass die Cousins den Taliban angehören würden, sei nicht glaubwürdig. Das Vorbringen sei auch widersprüchlich.

3. Gegen den oben dargestellten Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 17.02.2017 richtet sich die am 02.03.2017 bei der belangten Behörde eingelangte vollumfängliche Beschwerde, in der ausgeführt wird, das Fluchtvorbringen sei glaubhaft, eine innerstaatliche Fluchtalternative bestehe nicht. Dem Beschwerdeführer drohe daher Verfolgung.

Das Bundesverwaltungsgericht führte zur Ermittlung des entscheidungswesentlichen Sachverhaltes am 12.08.2019 eine öffentliche mündliche Verhandlung durch, an der der Beschwerdeführer, sein bevollmächtigter Rechtsvertreter, eine Zeugin und ein Zeuge - jeweils namentlich im Akt genannt - und eine Dolmetscherin für die Sprache Dari teilnahmen. Die belangte Behörde nahm nicht teil.

Im Zuge der mündlichen Verhandlung wurde der Beschwerdeführer zu seinen Fluchtgründen befragt und gab an, er sei zwischenzeitig zum Christentum konvertiert.

Mit Schreiben vom 14.08.2019 beantragte die belangte Behörde die schriftliche Ausfertigung des am 12.08.2019 mündliche verkündeten Erkenntnisses.

Der Beschwerdeführer legte im Lauf des Verfahrens folgende Dokumente vor:

* Kopie der Tazkira des Beschwerdeführers

* A2-Zeugnis des IKI vom 22.06.2017

* Teilnahmebestätigung für Werte- und Orientierungskurs

* Diverse Unterlagen zu Deutschkursen und anderen Bildungsangeboten

* Bestätigung des XXXX über die Teilnahme des Beschwerdeführers an einem Tauf- und Glaubenskurs

* Taufurkunde des Beschwerdeführers

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

1.1. Zu Person und Lebensumständen des Beschwerdeführers

Der Beschwerdeführer trägt den im Spruch angeführten Namen, geboren im Jahr XXXX und ist Staatsangehöriger der Islamischen Republik Afghanistan, Angehöriger der Volksgruppe der Hazara und bekennt sich zum christlichen Glauben. Die Muttersprache des Beschwerdeführers ist Dari.

Der Beschwerdeführer wurde in einem Dorf in der Provinz Bamyan geboren, wo er lebte und sieben Jahre die Schule besuchte, bis er etwa 14 Jahre alt war. Dann reiste er mit seinen Cousins nach Pakistan aus, wo er drei Jahre lebte. Dort besuchte er eine Koranschule. Anschließend kehrte er in den Herkunftsstaat zurück und verbrachte bis zu seiner Ausreise nach Europa etwa ein halbes Jahr bei seinem Bruder in Kabul.

Der Beschwerdeführer ist strafgerichtlich unbescholten.

1.2. Zu den Fluchtgründen des Beschwerdeführers

Der Beschwerdeführer wurde als sunnitischer Moslem geboren und lebte im Herkunftsstaat und zunächst auch im Bundesgebiet nach diesem Glauben.

Ersten Kontakt mit dem Christentum hatte der Beschwerdeführer in seiner Asylunterkunft, in der zwei Iraner über das Christentum gesprochen hatten. Als sie den Islam kritisierten begann der Beschwerdeführer eine Diskussion mit ihnen und dachte in der Folge intensiv über die Aussagen der beiden nach.

Schließlich erfuhr der Beschwerdeführer von einem Bekannten, mit dem er einen Deutschkurs besuchte, dass dieser zum Christentum konvertiert sei, unterhielt sich mit ihm darüber und begleitete ihn in die XXXX . Nach zwei Monaten regelmäßigen Besuchen der XXXX entschloss sich der Beschwerdeführer zur Konversion.

Ab etwa März 2017 besuchte der Beschwerdeführer regelmäßig Glaubens- und Bibelkurse der XXXX . Am 20.05.2018 wurde der Beschwerdeführer getauft.

Der Beschwerdeführer ist Mitglied der XXXX und besucht auch aktuell regelmäßig den Glaubenskurs und nimmt an der sonntäglichen Messe teil. Er bringt sich auch aktiv in das Leben der Gemeinde ein.

Der Beschwerdeführer hat sich aus tiefer innerer Überzeugung vom Islam abgewendet und den inneren Entschluss gefasst, nach dem christlichen Glauben zu leben. Er ist zum Christentum konvertiert und bekennt sich auch offen zu diesem Entschluss.

Im Herkunftsstaat wäre der Beschwerdeführer, weil er sich vom Islam abgewandt hat und seinen neuen Glauben lebt und dies bekannt wird, Übergriffen durch Privatpersonen sowie der strafrechtlichen Verfolgung durch den Staat bis hin zur Todesstrafe ausgesetzt. Diese Gefahr besteht landesweit.

2. Beweiswürdigung:

2.1. Zu Person und Lebensumständen des Beschwerdeführers

Die Feststellungen zur Identität des Beschwerdeführers, seiner Staatsangehörigkeit und Herkunft, seiner Volksgruppenzugehörigkeit, seinen Sprachkenntnissen sowie Lebensumstände und Lebenswandel bis zur Einreise nach Österreich ergeben sich aus seinen gleichbleibenden und plausiblen Angaben vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, denen auch die belangte Behörde im Wesentlichen Glauben schenkte. Zur Religionszugehörigkeit des Beschwerdeführers siehe sogleich unter 2.2.

Die Feststellung zur Unbescholtenheit des Beschwerdeführers ergibt sich aus dem im Akt einliegenden aktuellen Strafregisterauszug.

2.2. Zu den Fluchtgründen des Beschwerdeführers

Zunächst gab der Beschwerdeführer im Verfahren vor der belangten Behörde durchgehend an, sunnitischer Moslem zu sein, worauf die Feststellung zu seiner ursprünglichen Glaubenszugehörigkeit beruht. Die übrigen Feststellungen zum Fluchtvorbringen des Beschwerdeführers ergeben sich aus den vorgelegten Unterlagen, sowie aus den Aussagen des Beschwerdeführers und der Zeugin in der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht am 12.08.2019.

Insbesondere schilderte der Beschwerdeführer seinen ersten Kontakt mit der christlichen Glaubenslehre sowie den dadurch angestoßenen Reflexionsprozess in der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht am 12.08.2019 lebendig, lebensnah und nachvollziehbar und ließ deutlich durchblicken, dass ihm sein damaliges Unverständnis für eine Konversion zum Christentum nunmehr fremd ist. Dem Beschwerdeführer war auch deutlich anzumerken, dass für ihn Diskussionen über theologische und religiöse Fragen von großem Interesse sind, weswegen seine mit sichtbaren Unmut geäußerte Kritik am islamischen Glauben, der zufolge seine Fragen zum Islam damit abgewürgt worden wären, dass es "im Koran stehen würde" (Verhandlungsprotokoll S. 4) als einer der Beweggründe des Beschwerdeführers, dem es ein offenkundiges Bedürfnis ist, sich mit der Glaubenslehre auch kritisch auseinanderzusetzen, plausibel erscheinen. Hierzu passt auch die Erläuterung des Beschwerdeführers, dass der Islam sich in seinen auf strenge Regeln reduziere, während er im Christentum die spirituelle Erfahrung schätze. Als er dies ausführte, wirkte der Beschwerdeführer regelrecht ergriffen, was zum Eindruck persönlicher Glaubwürdigkeit beiträgt.

Dass der Beschwerdeführer seit etwa März 2017 regelmäßig Glaubens- und Bibelkurse der XXXX besucht hat, ergibt sich aus dem in Vorlage gebrachten Bestätigungsschreiben des XXXX vom 16.01.2018. Die Feststellung zur Taufe beruht auf der vorgelegten Taufurkunde.

Zum Eindruck der Glaubwürdigkeit des Beschwerdeführers trägt insbesondere auch die nachhaltige, dauerhafte und intensive Teilnahme am Gemeindeleben teil, besucht doch der Beschwerdeführer die Glaubenskurse und Messen der XXXX seit März 2017 und damit seit zweieinhalb Jahre. Auch dass die Taufe des Beschwerdeführers erst über ein Jahr nach seinem ersten Kontakt mit der Gemeinde stattfand, wertet das Bundesverwaltungsgericht als Indiz für die Ernsthaftigkeit des Glaubenswechsels.

Die Feststellungen dazu, wie und inwiefern der Beschwerdeführer sich aktuell in das Gemeindeleben einbringt, beruhen auf den Angaben der Zeugin in der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht, die die Gemeindeaktivitäten (Glaubenskurs, Gottesdienst, regelmäßiges gemeinsames Essen) lebensnah schilderte. Zur Glaubwürdigkeit der Zeugin ist auszuführen, dass diese einen gewissenhaften und an der Wahrheitsfindung interessierten Eindruck machte und das Engagement des Beschwerdeführers in der Gemeinde sichtlich erfreut schilderte. Insbesondere trug sie Zweifel an der tatsächlichen Konversion des Beschwerdeführers nicht nach außen, sondern schien von seiner tiefen Hinwendung zum Glauben überzeugt. Insbesondere ist auch für die Zeugin kein Gewinn darin ersichtlich, dass dem Beschwerdeführer der Status des Asylberechtigten zukommt und gab sie selbst an, sie kenne den Beschwerdeführer "nicht ganz gut persönlich" (Verhandlungsprotokoll S. 5), weswegen das Bundesverwaltungsgericht nicht von einem ihr Interesse an der Wahrheitsfindung beeinträchtigenden Naheverhältnis zum Beschwerdeführer ausgeht.

Auch, dass der Beschwerdeführer intensiv am Gemeindeleben teilnimmt und Messe und Glaubenskurs regelmäßig besucht, trägt zum Eindruck des tatsächlich vollzogenen Glaubenswechsels aus innerer Überzeugung bei und dient folglich in Zusammenschau mit den bereits dargelegten Aspekten als Grundlage für die Feststellung, dass der Beschwerdeführer sich aus tiefer innerer Überzeugung vom Islam abgewendet und den inneren Entschluss gefasst hat, nach dem christlichen Glauben zu leben, was er durch die ebenso festgestellte Teilnahme an Gemeindeleben, Glaubenskurs und Messen auch tatsächlich umsetzt. Darin ist auch das offene Bekenntnis des Beschwerdeführers zum christlichen Glauben erkennbar.

Die Feststellung, dass dem Beschwerdeführer im Fall der Rückkehr in den Herkunftsstaat Übergriffe durch Privatpersonen sowie strafrechtliche Verfolgung durch den Staat bis hin zur Todesstrafe drohen, weil er sich vom Islam abgewandt hat, seinen neuen Glauben lebt und dies bekannt wird, ergibt sich im Wesentlichen aus den Länderberichten:

Dem aktuellen Länderinformationsblatt der Staatendokumentation, Afghanistan, Gesamtaktualisierung am 29.06.2018, letzte Kurzinformation eingefügt am 04.06.2019 lässt sich entnehmen, dass es für christliche Afghanen keine Möglichkeit der Religionsausübung außerhalb des häuslichen Rahmens gibt. Lediglich ausländische Christen dürfen ihren Glauben diskret ausüben. Berichtet wird weiter von strafrechtlicher Verfolgung gegen Konvertiten sowie von Ausgrenzung und Angriffen durch die Gesellschaft. Afghanische Christen müssten ihren Glauben unbedingt geheim halten. Im Fall der Verweigerung, zum alten Glauben zurückzukehren, kommt es zu Zwangseinweisungen in psychiatrische Kliniken, zu Angriffen durch Nachbarn und Fremde, zur Zerstörung von Betrieben und Eigentum sowie zu Tötungen durch die eigene Familie (Kapitel 15.2. Christentum und Konversion zum Christentum). Unter dem Einfluss der Scharia kann für Apostasie auch die Todesstrafe drohen (Kapitel 14. Todesstrafe). Apostasie ist nach der sunnitisch-hanafitischen Rechtsprechung die Konversion vom Islam zu einer anderen Religion. Kommt es binnen drei Tagen nicht zu einem Widerruf des Religionswechsels, so gilt die für Männer die Enthauptung als angemessene Strafe. Auch Missionierung ist illegal (Kapitel 15. Religionsfreiheit). Nachdem sich die beschriebene Situation auf das gesamte Staatsgebiet bezieht, wurde festgestellt, dass die Gefahr landesweit besteht. Diese Berichtslage stimmt im Übrigen mit dem vom Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl in der niederschriftlichen Einvernahme am 08.02.2017 in das Verfahren eingebrachten Länderinformationen überein (siehe Länderinformationsblatt der Staatendokumentation Afghanistan vom 21.01.2016, letzte Kurzinformation eingefügt am 19.12.2016, Kapitel

16. Religionsfreiheit, insbesondere Kapitel 16.2. Christen und Konversionen). Demzufolge haben sich hinsichtlich der Lage von Konvertiten Änderungen seither nicht ergeben, weswegen Zweifel hinsichtlich der Aktualität der herangezogenen Länderinformationen nicht aufkommen.

Zur Plausibilität und Seriosität der herangezogenen Länderinformationen zur Lage im Herkunftsstaat ist auszuführen, dass die im Länderinformationsblatt zitierten Unterlagen von angesehen Einrichtungen stammen. Es ist auch darauf hinzuweisen, dass die Staatendokumentation des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl nach § 5 Abs. 2 BFA-VG verpflichtet ist, gesammelte Tatsachen nach objektiven Kriterien wissenschaftlich aufzuarbeiten und in allgemeiner Form zu dokumentieren.

3. Rechtliche Beurteilung:

3.1. Zum Fluchtvorbringen einer asylrechtliche relevanten Verfolgung wegen Apostasie

Gemäß § 3 Abs. 1 Asylgesetz 2005 (in der Folge AsylG) ist einem Fremden, der in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat der Status des Asylberechtigten zuzuerkennen, wenn glaubhaft ist, dass ihm im Herkunftsstaat Verfolgung im Sinne des Art. 1 Abschnitt A Z 2 Konvention über die Rechtsstellung der Flüchtlinge, StF: BGBl. Nr. 55/1955 (in der Folge Genfer Flüchtlingskonvention - GFK) droht.

Verfolgung im Sinne des Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK droht einer Person unter anderem, wenn sie sich aus wohlbegründeter Furcht, aus Gründen der Religion verfolgt zu werden, außerhalb des Herkunftsstaates befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, sich des Schutzes dieses Landes zu bedienen.

Nach der Judikatur des Verwaltungsgerichthofes ist für den Flüchtlingsbegriff der GFK entscheidend, ob glaubhaft ist, dass den Fremden in ihrem Herkunftsstaat Verfolgung droht. Dies ist dann der Fall, wenn sich eine mit Vernunft begabte Person in der konkreten Situation der Asylwerber unter Berücksichtigung der Verhältnisse im Verfolgerstaat fürchten würde (VwGH 24.06.2010, 2007/01/1199).

"Verfolgung" im Sinne des Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK ist nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs als ein ungerechtfertigter Eingriff von erheblicher Intensität in die zu schützende persönliche Sphäre des Einzelnen zu verstehen. § 2 Abs. 1 Z 11 AsylG 2005 umschreibt "Verfolgung" als jede Verfolgungshandlung im Sinne des Art. 9 Statusrichtlinie, worunter - unter anderem - Handlungen fallen, die aufgrund ihrer Art oder Wiederholung so gravierend sind, dass sie eine schwerwiegende Verletzung der grundlegenden Menschenrechte darstellen, insbesondere der Rechte, von denen gemäß Art. 15 Abs. 2 MRK keine Abweichung zulässig ist. Dazu gehören insbesondere das durch Art. 2 MRK geschützte Recht auf Leben und das in Art. 3 MRK niedergelegte Verbot der Folter (zuletzt VwGH 31.07.2018 mwN).

Nach der ständigen Rechtsprechung des VwGH kommt einer von Privatpersonen bzw. privaten Gruppierung ausgehenden, auf einem Konventionsgrund beruhenden Verfolgung Asylrelevanz zu, wenn der Staat nicht gewillt oder nicht in der Lage ist, diese Verfolgungshandlungen hintanzuhalten (VwGH 08.09.2015, Ra 2015/18/0010 mwN).

Nach § 3 Abs. 2 AsylG kann die Verfolgung auch auf Ereignissen beruhen, die eingetreten sind, nachdem der Fremde seinen Herkunftsstaat verlassen hat (objektive Nachfluchtgründe) oder auf Aktivitäten des Fremden beruhen, die dieser seit Verlassen des Herkunftsstaates gesetzt hat, die insbesondere Ausdruck und Fortsetzung einer bereits im Herkunftsstaat bestehenden Überzeugung sind (subjektive Nachfluchtgründe).

§ 3 Abs. 2 AsylG 2005 ist Art. 5 Abs. 2 der Richtlinie 2011/95/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13.12.2011 über die Normen für die Anerkennung von Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen als Personen mit Anspruch auf internationalen Schutz, für einen einheitlichen Status für Flüchtlinge oder für Personen mit Anrecht auf subsidiären Schutz und für den Inhalt des zu gewährenden Schutzes Abl L 337/9 vom 20.12.2011 (Statusrichtlinie), nachgebildet. Nach Art. 5 Abs. 2 Statusrichtlinie kann die begründete Furcht vor Verfolgung oder die tatsächliche Gefahr, einen ernsthaften Schaden zu erleiden, auf Aktivitäten des Antragstellers nach Verlassen seines Herkunftslandes beruhen, insbesondere wenn die Aktivitäten, auf die er sich stützt, nachweislich Ausdruck und Fortsetzung einer bereits im Herkunftsstaat bestehenden Überzeugung oder Ausrichtung sind.

Der VfGH hat ausgesprochen, dass asylrelevante Verfolgung gemäß § 3 Abs. 2 AsylG 2005 auch auf Aktivitäten beruhen kann, die der Fremde seit dem Verlassen des Herkunftsstaats gesetzt hat (VfGH 12.12.2013, U 2272/2012).

Auch der VwGH hat bereits erkannt, dass diese neuen - in Österreich eingetretenen - Umstände, mit denen ein Asylwerber seine Furcht vor Verfolgung nunmehr begründet, grundsätzlich zur Asylgewährung führen können. Sie sind daher zu überprüfen, wenn sie geeignet sind, die Annahme "wohlbegründeter Furcht vor Verfolgung" zu rechtfertigen (VwGH 18.09.1997, 96/20/0323).

Bedingt dadurch, dass der Beschwerdeführer im Verfahren seinen im Bundesgebiet gefassten inneren Entschluss, nach der christlichen Lehre seiner Gemeinde zu leben, glaubhaft machen konnte, macht er mit seinem Vorbringen einer Verfolgungsgefahr im Herkunftsstaat wegen seiner Konversion einen subjektiven Nachfluchtgrund geltend.

Nach der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofs ist in Bezug auf die asylrechtliche Relevanz einer Konversion zum Christentum entscheidend, ob der Fremde bei weiterer Ausübung seines inneren Entschlusses, nach dem christlichen Glauben zu leben, im Fall seiner Rückkehr in seinen Herkunftsstaat mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit damit rechnen müsste, aus diesem Grund mit die Intensität der Verfolgung erreichenden Sanktionen belegt zu werden (zuletzt VwGH 07.05.2018, Ra 2018/20/0186). Es kommt auf die aktuell bestehende Glaubensüberzeugung des Konvertiten an (VwGH 23.01.2019, Ra 2018/19/0260).

Dabei stellt der Verwaltungsgerichtshof bei einer Konversion zum Christentum nicht darauf ab, ob der Religionswechsel bereits - durch die Taufe - erfolgte oder bloß beabsichtigt ist. Wesentlich ist nur, ob der Fremde bei weiterer Ausübung seines inneren Entschlusses, nach dem christlichen Glauben zu leben, im Fall seiner Rückkehr in seinen Herkunftsstaat mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit damit rechnen müsste, aus diesem Grund mit die Intensität der Verfolgung erreichenden Sanktionen belegt zu werden. Die bloße Behauptung eines "Interesses am Christentum" reicht für die Geltendmachung einer asylrechtlich relevanten Konversion nicht aus (VwGH 23.01.2019, Ra 2018/19/0453 mwN).

Nach dem gemäß § 2 Abs. 1 Z 12 AsylG unmittelbar anwendbaren Art. 10 Abs. 1 lit. b) der Richtlinie 2011/95/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13. Dezember 2011 über Normen für die Anerkennung von Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen als Personen mit Anspruch auf internationalen Schutz, für einen einheitlichen Status für Flüchtlinge oder für Personen mit Anrecht auf subsidiären Schutz und für den Inhalt des zu gewährenden Schutzes (Gemäß § 2 Abs. 1 Z 9 AsylG "Statusrichtlinie") umfasst der Begriff der Religion insbesondere theistische, nichttheistische und atheistische Glaubensüberzeugungen, die Teilnahme bzw. Nichtteilnahme an religiösen Riten im privaten oder öffentlichen Bereich, allein oder in Gemeinschaft mit anderen, sonstige religiöse Betätigungen oder Meinungsäußerungen und Verhaltensweisen Einzelner oder einer Gemeinschaft, die sich auf eine religiöse Überzeugung stützen oder nach dieser vorgeschrieben sind.

Nach dem mit "Gedanken-, Gewissens- und Religionsfreiheit" übertitelten Art. 10 Charta der Grundrechte der Europäischen Union, ABl. C 202 vom 7.6.2016, S. 389-405, umfasst dieses Recht die Freiheit, die Religion oder Weltanschauung zu wechseln, und die Freiheit, seine Religion oder Weltanschauung einzeln oder gemeinsam mit anderen öffentlich oder privat durch Gottesdienst, Unterricht, Bräuche und Riten zu bekennen.

Im Wesentlichen inhaltsgleich gewährt auch Art. 9 EMRK als in der EMRK gewährleistetes Grundrecht, die gemäß Art. 6 Abs. 3 Vertrag über die Europäische Union (EUV) als allgemeine Grundsätze Teil des Unionsrechts sind, Anspruch auf Gedanken-, Gewissens- und Religionsfreiheit.

Nach diesen normativen Vorgaben umfasst der Religionsbegriff des Art. 1 Abschnitt A, Z 2 GFK nicht nur die individuelle Glaubensfreiheit als Kern der Religionsfreiheit ("forum internum"), sondern auch das öffentliche Bekenntnis und die Freiheit zur Ausübung der Religion in den religiösen Vorschriften entsprechendem Verhalten ("forum externum"). Demnach ist es einem Asylwerber für den Rückkehrfall nicht zumutbar, seine Religion heimlich ausüben und seine innere Überzeugung verstecken zu müssen.

Für den Herkunftsstaat des Beschwerdeführers wurde festgestellt und beweiswürdigend ausgeführt, dass ihm im Fall des Bekanntwerdens seines inneren Entschlusses, etwa im Wege einer öffentlichen Glaubensbetätigung indem er seinen Glauben lebt (derer sich der Beschwerdeführer wie oben ausgeführt nicht enthalten muss) Übergriffe durch private Akteure sowie staatliche Strafmaßnahmen bis hin zur Todesstrafe drohen. Damit droht dem Beschwerdeführer im Herkunftsstaat Verfolgung sowohl durch staatliche als auch durch private Akteure. Und ist vor der Verfolgung durch Privatpersonen im Sinne der oben zitierten Judikatur des Verwaltungsgerichthofes staatlicher Schutz bedingt durch die auch vom Staat selbst ausgehende Verfolgungsgefahr für den Beschwerdeführer nicht zu erwarten.

Der Beschwerdeführer konnte damit glaubhaft machen, dass ihm im Herkunftsstaat asylrelevante Verfolgung droht.

Es sind im Verfahren auch keine Asylausschlussgründe gemäß § 6 AsylG hervorgekommen.

3.2. Zum Nichtvorliegen einer innerstaatlichen Fluchtalternative

Nach § 3 Abs. 3 Z 1 AsylG ist der Antrag auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten abzuweisen, wenn dem Fremden eine innerstaatliche Fluchtalternative offensteht.

Gemäß § 11 Abs. 1 AsylG ist der Antrag auf internationalen Schutz abzuweisen, wenn Asylwerbern in einem Teil ihres Herkunftsstaates vom Staat oder von sonstigen Akteuren, die den Herkunftsstaat oder einen wesentlichen Teil des Staatsgebietes beherrschen, Schutz gewährleistet werden und ihnen der Aufenthalt in diesem Teil des Staatsgebietes zugemutet werden kann.

Wie festgestellt und beweiswürdigend ausgeführt besteht die Gefahr privater Übergriffe bzw. staatlicher Strafverfolgung wegen der Konversion des Beschwerdeführers zum Christentum (bzw. wegen Apostasie) landesweit. Damit steht dem Beschwerdeführer eine innerstaatliche Fluchtalternative gemäß § 11 AsylG nicht zur Verfügung.

3.3. Zum übrigen Fluchtvorbringen des Beschwerdeführers

Zum weiteren Fluchtvorbringen des Beschwerdeführers, nämlich, dass ihm Verfolgung durch seine Cousins drohe, ist auszuführen, dass sich aufgrund der bereits bejahten Verfolgungsgefahr wegen der Konversion des Beschwerdeführers zum Christentum eine Auseinandersetzung mit weiteren möglichen Fluchtgründen erübrigt.

3.4. Zur Anwendbarkeit des § 3 Abs. 4 AsylG:

Zu Anwendbarkeit des § 3 Abs. 4 AsylG idF BGBl. I Nr. 24/2016 ist anzumerken, dass die Bestimmung nach § 75 Abs. 24 AsylG auf Fremde, die einen Antrag auf internationalen Schutz vor dem 15.11.2015 gestellt haben, nicht anzuwenden ist. Nachdem der Beschwerdeführer seinen Antrag auf internationalen Schutz am 19.11.2015 gestellt hat, kommt daher § 3 Abs. 4 AsylG idF BGBl. I Nr. 24/2016 zur Anwendung.

Nach der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes wird das Einreise- und Aufenthaltsrecht des Asylberechtigten unmittelbar kraft Gesetzes bestimmt. Die Erteilung einer Aufenthaltsberechtigung als Asylberechtigter hat somit nach den gesetzlichen Bestimmungen nicht zu erfolgen. Auch gemäß § 3 Abs. 4 AsylG idF BGBl. I Nr. 24/2016 kommt dem Asylberechtigten eine entsprechende Aufenthaltsberechtigung zu, ohne dass eine darüberhinausgehende Erteilung dieser Berechtigung vorzunehmen wäre (VwGH 03.05.2018, Ra 2017/19/0373).

Dem Beschwerdeführer war daher spruchgemäß nach § 3 Abs. 1 AsylG der Status des Asylberechtigten zuzuerkennen und gemäß § 3 Abs. 5 AsylG die Entscheidung über die Asylgewährung mit der Feststellung zu verbinden, dass dem Beschwerdeführer damit kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukommt. Ihm kommt damit unmittelbar kraft Gesetzes (VwGH 03.05.2018, Ra 2017/19/0373) eine befristete Aufenthaltsberechtigung als Asylberechtigter zu, die (vorerst) für drei Jahre gilt.

4. Unzulässigkeit der Revision:

Die Revision ist unzulässig, da keine Rechtsfrage im Sinne des Art. 133 Abs. 4 vorliegt. Dass eine Konversion als subjektiver Nachfluchtgrund zur Asylgewährung führe kann, ergibt sich klar aus der unter A) zitierten Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes. Ob ein Glaubenswechsel tatsächlich vollzogen wurde und dessen mögliche Folgen für den Beschwerdeführer im Herkunftsstaat sind dagegen auf Tatsachenebene zu beurteilen.

Schlagworte

asylrechtlich relevante Verfolgung, befristete
Aufenthaltsberechtigung, gesamtes Staatsgebiet, Konversion,
Nachfluchtgründe, Religion, wohlbegründete Furcht

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2019:W102.2149254.1.00

Zuletzt aktualisiert am

22.01.2020
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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