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40/01 Verwaltungsverfahren;Norm
ZustG §16 Abs1;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Stoll und die Hofräte Dr. Zens, Dr. Bayjones, Dr. Schick und Dr. Hinterwirth als Richter, im Beisein des Schriftführers Dr. Martschin, über die Beschwerde des 1955 geborenen M M in Wien, vertreten durch Dr. J, Rechtsanwalt in Wien, gegen den Bescheid des Bundesministers für Inneres vom 28. Juni 1995, Zl. 107.252/2-III/11/94, betreffend Zurückweisung einer Berufung i.A. des Aufenthaltsgesetzes, zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.
Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 11.390,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Der Beschwerdeführer stellte einen mit 18. April 1994 datierten Antrag auf Erteilung einer Aufenthaltsbewilligung, der am 25. April 1994 beim Magistrat der Stadt Wien einlangte.
Mit Bescheid vom 22. Juli 1994 wies der Landeshauptmann von Wien den Antrag gemäß 6 Abs. 3 des Aufenthaltsgesetzes zurück. Im Verwaltungsakt erliegt ein Kuvert eines Rückscheinbriefes, auf dem als Empfänger der Beschwerdeführer und als Adresse die von ihm im Antrag angegebene Adresse aufscheint. Ein Aufkleber auf dem Kuvert trägt den Vermerk "Zurück - Retour", auf der Rückseite des Kuverts findet sich der Vermerk "EMPF. bis 16.8.94 ORTSABWESEND DAHER ZURÜCK 28.7.94". Ein weiterer Rückschein mit der gleichen Adressierung weist im Feld "Übernahmsbestätigung" den Datumseintrag "16.8.94" sowie eine Unterschrift auf. Auf dem Rückschein ist jedoch nicht angekreuzt, welcher Person der Rückscheinbrief ausgehändigt wurde.
Mit Schriftsatz vom 31. August 1994, am selben Tag zur Post gegeben, erhob der Beschwerdeführer Berufung. Darin wird eingangs vorgebracht, der Bescheid der Behörde erster Instanz sei am 22. August 1994 zugestellt worden.
Der Bundesminister für Inneres wies die Berufung mit Bescheid vom 28. Juni 1995 gemäß § 66 Abs. 4 AVG zurück. In der Begründung führte der Bundesminister für Inneres aus, da die Zustellung (gemeint: des Bescheides der Behörde erster Instanz) "rechtswirksam" am 16. August 1994 erfolgt sei und die Berufung erst am 31. August 1994 und daher verspätet eingebracht worden sei, sei spruchgemäß zu entscheiden gewesen.
Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde. Der Beschwerdeführer erachtet sich erkennbar in seinem Recht auf Sachentscheidung verletzt und bringt vor, der Bescheid der Behörde erster Instanz sei am 16. August 1994 einem Hausgenossen (des Beschwerdeführers) durch einen Postbeamten übergeben worden. Ausgehend von der Erfahrungstatsache, daß Fristen durch Berufungswerber nicht planmäßig versäumt würden, wäre es Sache der Berufungsbehörde gewesen, von Amts wegen die Frage der Zustellung des erstinstanzlichen Bescheides an den Beschwerdeführer zu überprüfen. Schon aus dem Akteninhalt sei zu schließen gewesen, daß der Beschwerdeführer zum Zeitpunkt der Zustellung nicht an der Zustelladresse anwesend gewesen sei. Diese Tatsache, verbunden mit dem Umstand, daß Juli und August die "stärksten Urlaubsmonate" seien, hätte die Behörde bewegen müssen, die Frage zu klären, ob tatsächlich bereits mit 16. August 1994 eine gültige Zustellung vorgelegen sei. Hätte die Berufungsbehörde Erhebungen getätigt, so hätte sie feststellen müssen, daß der Zustellvorgang "infolge Ortsabwesenheit des Beschwerdeführers zum Zustellzeitpunkt von der Zustelladresse" nichtig gewesen sei. Diese Nichtigkeit sei erst durch die Rückkehr des Beschwerdeführers an die Zustelladresse eine Woche nach Zustellung des erstinstanzlichen Bescheides geheilt worden. Die Berufung sei daher rechtzeitig gewesen.
Der Verwaltungsgerichtshof hat über die Beschwerde erwogen:
Die §§ 7 und 16 Abs. 1 des Zustellgesetzes lauten:
"§ 7. Unterlaufen bei der Zustellung Mängel, so gilt sie als in dem Zeitpunkt vollzogen, in dem das Schriftsatz der Person, für die es bestimmt ist (Empfänger), tatsächlich zugekommen ist.
...
§ 16. (1) Kann die Sendung nicht dem Empfänger zugestellt werden und ist an der Abgabestelle ein Ersatzempfänger anwesend, so darf an diesen zugestellt werden (Ersatzzustellung), sofern der Zusteller Grund zur Annahme hat, daß sich der Empfänger oder ein Vertreter im Sinne des § 13 Abs. 3 regelmäßig an der Abgabestelle aufhält.
..."
Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes hat die Behörde, bevor sie die Zurückweisung eines Rechtsmittels ausspricht, zu prüfen, ob die Zustellung des angefochtenen Bescheides ordnungsgemäß erfolgt ist, und das Ergebnis ihrer Feststellungen dem Rechtsmittelwerber vor ihrer Entscheidung vorzuhalten. Hiebei hat die Behörde nach § 37 und § 39 Abs. 2 AVG vom Amts wegen vorzugehen, zumal der Berufungswerber nicht verpflichtet ist, von vornherein alle Umstände anzuführen, aus denen er die Rechtzeitigkeit seiner Berufung ableitet. Wird dies von der Rechtsmittelbehörde unterlassen, so trägt sie das Risiko einer Bescheidaufhebung wegen unterlaufener Verfahrensmängel (vgl. die bei Walter-Thienel, Die österreichischen Verwaltungsverfahrensgesetze I (1989), Seite 1260 (E 87) angegebene Rechtsprechung).
Die belangte Behörde stützt sich, wie die Begründung des angefochtenen Bescheides zeigt, offenkundig auf den im Verwaltungsakt erliegenden Rückschein, der die Übernahme des Bescheides der Behörde erster Instanz am 16. August 1994 beurkundet (eine entsprechende Bescheidfeststellung fehlt).
Die Wirksamkeit einer Ersatzzustellung nach § 16 Abs. 1 des Zustellgesetzes setzt allerdings voraus, daß der Zusteller Grund zur Annahme haben durfte, daß sich der Empfänger oder ein Vertreter im Sinne des § 13 Abs. 3 leg. cit. regelmäßig an der Abgabestelle aufhält. Aufgrund des bereits erwähnten Vermerkes auf dem Kuvert des Rückscheinbriefes vom 28. Juli 1994, dem zufolge der Empfänger bis 16. August 1994 ortsabwesend sei, hätte der belangten Behörde auffallen müssen, daß der zweite Zustellversuch an einem Tag stattfand, an dem der Empfänger - die Richtigkeit des Vermerks auf dem Rückscheinbrief vom 28. Juli 1994 vorausgesetzt - noch ortsabwesend gewesen wäre. Schon im Hinblick auf diesen Widerspruch in der Darstellung der Zustellorgane wäre die belangte Behörde gehalten gewesen, von Amts wegen Ermittlungen über den Zustellvorgang zu pflegen.
Da die belangte Behörde jegliches Ermittlungsverfahren unterlassen und dem Beschwerdeführer ihre Annahme der Verspätung der Berufung auch nicht vorgehalten hat, unterliegt das Vorbringen des Beschwerdeführers, das im vorliegenden Fall nicht dazu dient, den Gegenbeweis gegen die durch einen gehörig ausgefüllten Rückschein begründete Vermutung der Richtigkeit der beurkundeten Vorgänge zu führen, nicht dem im verwaltungsgerichtlichen Verfahren geltenden Neuerungsverbot. Trifft es zu, daß der Beschwerdeführer nach seiner Ortsabwesenheit von seiner Abgabestelle erst eine Woche nach der Übernahme des erstinstanzlichen Bescheides durch einen Mitbewohner der Abgabestelle an diese zurückgekehrt ist, wäre eine Heilung des allfälligen Zustellmangels gemäß § 7 des Zustellgesetzes durch tatsächliches Zukommen des Schriftstückes möglich geworden (vgl. in diesem Sinne das hg. Erkenntnis vom 16. Mai 1995, Zl. 95/08/0076).
Die am 31. August 1994 zur Post gegebene Berufung erwiese sich diesfalls als rechtzeitig.
Aus diesen Erwägungen war der angefochtene Bescheid wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften gemäß
42 Abs. 2 Z. 3 lit. b und c VwGG aufzuheben.
Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994.
Wien, am 11. September 1998
European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:1998:1995190663.X00Im RIS seit
20.11.2000