TE Bvwg Beschluss 2019/11/5 W256 2189146-1

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Veröffentlicht am 05.11.2019
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Entscheidungsdatum

05.11.2019

Norm

AsylG 2005 §3 Abs1
B-VG Art. 133 Abs4
VwGVG §28 Abs3 Satz 2

Spruch

W256 2189146-1/7E

BESCHLUSS

Das Bundesverwaltungsgericht beschließt durch die Richterin Mag. Caroline KIMM als Einzelrichterin über die Beschwerde von XXXX , geboren am XXXX , StA. Somalia, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 20. Februar 2018, Zl. XXXX :

A)

Der angefochtene Bescheid wird gemäß § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG aufgehoben und die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheids an das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl zurückverwiesen.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

BEGRÜNDUNG:

I. Verfahrensgang und Sachverhalt:

Die Beschwerdeführerin, eine somalische Staatsangehörige, stellte am 22. September 2016 einen Antrag auf internationalen Schutz nach dem Asylgesetz 2005 (AsylG 2005).

Im Zuge der am selben Tag erfolgten Erstbefragung durch Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes gab die Erstbeschwerdeführerin zu ihren Fluchtgründe befragt folgendes (wortwörtlich wiedergegeben) an: "Somalia ist kein sicheres Land. Die Al-Shabaab brachten meinen Vater um und ich habe Angst, dass sie mich auch umbringen."

Die Beschwerdeführerin wurde am 6. Februar 2018 durch ein Organ der belangten Behörde einvernommen. Darin führte sie zu ihren Fluchtgründen befragt ergänzend aus, dass sie in Somalia Tee und Zigaretten an das Militär verkauft habe und insofern von der Al-Shabaab bedroht worden sei. Die Befragung der Beschwerdeführerin zum Fluchtgrund gestaltete sich laut Protokoll (um Rechtschreibfehler bereinigt) wie folgt:

"A: Ich habe Somalia verlassen, weil ich Angst von der Al Shabaab hatte. Ich hatte einen kleinen Platz auf einem Markt in Mogadischu, ich verkaufte Tee und Zigaretten (Khat, Drogen). Das Militär kaufte bei mir Zigaretten (Khat, Drogen) und Tee. Die Al-Shabaab rief mich an und sagte mir, ich darf an das Militär keinen Tee und keine Zigaretten verkaufen. Ich sagte ihnen, ich ernähre meine Familie durch meine Tätigkeit. Ich wurde immer wieder angerufen und aufgefordert, meine Arbeit einzustellen. Dann habe ich meine Telefonnummer getauscht und dem Militär gesagt, ich werde von der Al-Shabaab bedroht und [habe] sie aufgefordert, mir zu helfen. Das Militär sagte, sie können mir nicht helfen. Dann erzählte ich meiner Mutter von den Vorfällen, sie meinte, ich müsse Somalia verlassen, weil es nicht sicher für mich ist. Danach verkauften wir ein Grundstück und ich reiste mit Hilfe des Geldes aus.

F: Waren die Al-Shabaab Mitglieder bei Ihnen persönlich oder wurden Sie nur angerufen?

A: Ich wurde immer nur angerufen, nur beim letzten Mal kamen 3 Personen zu mir auf den Markt und haben mich aufgefordert, meine Tätigkeit einzustellen.

F: Wann wurden Sie erstmals angerufen?

A: Das erste Mal Ende 2015, ich wurde ca. 10-mal angerufen und das letzte Mal im Juni 2016, dann reiste ich aus.

F: Was sagten die Leute am Telefon?

A: Ich soll dem Militär nichts verkaufen.

....

F: Was wäre, wenn Sie nach Somalia müssten, also, was würde Ihnen geschehen, wenn Sie heute nach Somalia einreisen würden. Was hätten Sie zu befürchten?

A: Ich habe Angst um mein Leben.

F: Weshalb haben Sie Angst um Ihr Leben?

A: Ich weiß nicht.

F: Sie wurden aufgefordert, keinen Tee und keine Zigaretten (Khat, Drogen) an das Militär zu verkaufen. Wenn Sie Ihre Tätigkeit einstellen und etwas Anderes machen, könnten Sie in Mogadischu leben. Sie sind keine wichtige Person und gefährden die Al Shabaab auch nicht. Was sagen Sie dazu?

A: Ich habe Zigaretten und Tee verkauft, sie werden sagen ich bin keine richtige Muslime.

F: Gibt es auch andere Personen, die Zigaretten verkaufen.

A: Ich verkaufte Khat (Rauschgift), auch andere Personen haben diese Droge verkauft.

F: Ist in Somalia Khat legal?

A: Ja, aber für die Al-Shabaab ist es illegal.

F: Viele Al-Shabaab Mitglieder nehmen auch Khat. Was sagen Sie dazu?

A: Ich weiß es nicht."

Mit dem nunmehr angefochtenen Bescheid wies die belangte Behörde den Antrag auf internationalen Schutz ab, erteilte keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen, erließ eine Rückkehrentscheidung und stellte fest, dass die Abschiebung der Beschwerdeführerin nach Somalia zulässig sei. Darin stellte die belangte Behörde u.a. fest, dass die Schwelle dessen, was Al-Shabaab als Kollaboration mit dem Feind wahrnehme, mitunter sehr niedrig angesetzt sei. Insbesondere in Frontgebieten oder Orten, deren Herrschaft wechsle, könne auch das Verkaufen von Tee an Soldaten bereits als Kollaboration angesehen werden. Generell sei aber das Ausmaß und/oder die Gewissheit der Kollaboration; der Ort des Geschehens; und die Beziehungen der betroffenen Person dafür ausschlaggebend, ob Al-Shabaab die entsprechenden Konsequenzen setze. Al-Shabaab verfüge über die Kapazitäten - auch in Mogadischu - menschliche Ziele aufzuspüren.

Begründend führte die belangte Behörde - soweit hier wesentlich - aus, das von der Beschwerdeführerin dargestellte Fluchtvorbringen sei schon deshalb nicht glaubhaft, weil die Beschwerdeführerin im Rahmen der Erstbefragung und vor der belangten Behörde dazu unterschiedliche Angaben getätigt habe. Auch sei nicht nachvollziehbar, dass die Beschwerdeführerin immer nur telefonisch, nicht aber persönlich von Al-Shabaab bedroht worden sei. Hinzu komme, dass Al-Shabaab keine Kontrolle über Mogadischu habe und der Handel mit Khat in Mogadischu legal sei.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde. Darin verweist die Beschwerdeführerin u.a. erneut auf ihren Verkauf von Tee und Zigaretten an das Militär und ihre daraus resultierende Bedrohung durch Al-Shabaab aufgrund einer unterstellten oppositionellen Gesinnung. Zuletzt sei die Beschwerdeführerin persönlich auf dem Markt bedroht und auf ihren für das Militär tätigen (und bereits von Al-Shabaab ermordeten) Vater angesprochen worden. Im Übrigen habe die Beschwerdeführerin keinen Kontakt zu ihren Familienangehörigen in Somalia, weshalb ihr aufgrund ihrer Zugehörigkeit zur Gruppe der alleinstehenden Frauen auch aus diesem Grund Verfolgung in Somalia drohe.

Die belangte Behörde legte die Beschwerde samt den Verwaltungsakten dem Bundesverwaltungsgericht vor.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

Rechtliche Beurteilung:

1. zu Spruchpunkt A)

Gemäß § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG kann das Verwaltungsgericht den angefochtenen Bescheid mit Beschluss aufheben und die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheides an die Behörde zurückverweisen, wenn die Behörde notwendige Ermittlungen des Sachverhalts unterlassen hat. Diese Vorgangsweise setzt nach § 28 Abs. 2 Ziffer 2 voraus, dass die Feststellung des maßgeblichen Sachverhalts durch das Verwaltungsgericht nicht im Interesse der Raschheit gelegen oder mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden ist.

In seinem Erkenntnis vom 26. Juni 2014, Zl. Ro 2014/03/0063, hielt der Verwaltungs-gerichtshof fest, dass eine Zurückverweisung der Sache an die Verwaltungsbehörde zur Durchführung notwendiger Ermittlungen nach § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG insbesondere dann in Betracht kommen wird, wenn die Verwaltungsbehörde jegliche erforderliche Ermittlungstätigkeit unterlassen hat, wenn sie zur Ermittlung des maßgebenden Sachverhaltes lediglich völlig ungeeignete Ermittlungsschritte gesetzt oder bloß ansatzweise ermittelt hat. Gleiches gilt, wenn konkrete Anhaltspunkte annehmen lassen, dass die Verwaltungsbehörde (etwa schwierige) Ermittlungen unterließ, damit diese dann durch das Verwaltungsgericht vorgenommen werden (vgl. auch den Beschluss des Verwaltungsgerichtshofes vom 25. Jänner 2017, Zl. Ra 2016/12/0109, Rz 18ff.).

Der angefochtene Bescheid ist aus folgenden Gründen mangelhaft:

Gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 ist einem Fremden, der in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, soweit dieser Antrag nicht bereits gemäß §§ 4, 4a oder 5 zurückzuweisen ist, der Status des Asylberechtigten zuzuerkennen, wenn glaubhaft ist, dass ihm im Herkunftsstaat Verfolgung im Sinne des Art. 1 Abschnitt A Z 2 Genfer Flüchtlingskonvention droht.

Die belangte Behörde hat im vorliegenden Fall zwar eine Einvernahme (auch) zu den Fluchtgründen der Beschwerdeführerin vorgenommen, diese beschränkte sich allerdings auf eine allgemeine Befragung ohne durch konkretes Nachfragen gezielt auf das von der Beschwerdeführerin geschilderte Fluchtvorbringen und damit auf den Einzelfall einzugehen. Die Beschwerdeführerin hat vor der belangten Behörde vorgebracht, dass sie wegen des Verkaufs von Tee und Zigaretten an das Militär von Al-Shabaab (wegen einer unterstellten oppositionellen Gesinnung) bedroht worden sei. Eine nähere Auseinandersetzung mit dieser Fluchtgeschichte fand im Zuge der Befragung jedoch nicht statt.

Dementsprechend findet sich im angefochtenen Bescheid auch keine (zumindest hinreichende) Begründung dazu, weshalb die belangte Behörde von der fehlenden Glaubhaftigkeit dieses Fluchtvorbringens ausgeht. Der in der Beweiswürdigung dazu lediglich enthaltene Vermerk der belangten Behörde, es sei nicht nachvollziehbar, dass die Beschwerdeführerin zwar telefonisch, aber nie persönlich bedroht worden sei, kann mit dem vorgelegten Verwaltungsakt jedenfalls nicht in Einklang gebracht werden. Ebenso wenig kann der von der belangten Behörde als gesteigertes Vorbringen aufgezeigte Widerspruch zwischen dem Vorbringen der Beschwerdeführerin in der Erstbefragung und der Befragung vor der belangten Behörde vor dem Hintergrund, dass die Beschwerdeführerin bereits im Rahmen der Erstbefragung dezidiert auf die Ermordung ihres (für das Militär tätigen) Vaters durch Al-Shabaab und damit auf eine allfällige Verfolgung aufgrund einer unterstellten oppositionellen Gesinnung hingewiesen hat, vom erkennenden Gericht erkannt werden. Auch die - laut der belangten Behörde - gegebene Möglichkeit, in Somalia "Khat" legal zu verkaufen, ändert nichts daran, dass der Beschwerdeführerin der Verkauf von Tee und Zigaretten an das Militär allfällig von Al-Shabaab als Verrat vorgeworfen werden kann und deckt sich dies im Übrigen selbst mit den eigenen Feststellungen der belangten Behörde im angefochtenen Bescheid, wonach Al-Shabaab unter Umständen bereits den Verkauf von Tee an Soldaten als Kollaboration verstehen könne und dies auch in Mogadischu gezielt verfolge.

Die belangte Behörde hat es daher - entgegen ihrer in § 18 AsylG 2005 normierten Ermittlungspflicht - gänzlich unterlassen, sich mit dem von der Beschwerdeführerin (immer) geltend gemachten Fluchtgrund eingehend und vor allem geeignet zu befassen. Der Sachverhalt ist somit in einem wesentlichen Punkt umfassend ergänzungsbedürftig geblieben, weshalb im Hinblick auf diese besonders gravierende Ermittlungslücke eine Zurückverweisung erforderlich und auch gerechtfertigt ist (vgl. dazu den Beschluss des Verwaltungsgerichtshofes vom 20. Oktober 2015, Zl. Ra 2015/09/0088).

Die belangte Behörde wird daher im fortgesetzten Verfahren angehalten, sich mit dem Fluchtvorbringen der Beschwerdeführerin auseinanderzusetzen, dazu konkrete Ermittlungsschritte, sei es durch gezielte Befragung der Beschwerdeführerin, durch Einholung von entsprechenden Länderberichten oder sonstiger sich daraus ergebender weiterer Ermittlungsschritte zu setzen und die diesbezüglichen Ermittlungsergebnisse einer ernsthaften und nachvollziehbaren Prüfung zu unterziehen. Dabei wird sich die belangte Behörde nunmehr auch mit dem Vorbringen der Beschwerdeführerin in der Beschwerde, sie sei in Somalia alleinstehend und insofern asylrelevant verfolgt, auseinander setzen müssen.

Eine Nachholung des durchzuführenden Ermittlungsverfahrens und eine erstmalige Ermittlung und Beurteilung des maßgeblichen Sachverhaltes durch das Bundesverwaltungsgericht kann nicht im Sinne des Gesetzes liegen. Denn die belangte Behörde ist als Spezialbehörde im Rahmen der Staatendokumentation gemäß § 5 BFA-Einrichtungsgesetz für die Sammlung relevanter Tatsachen zur Situation in den betreffenden Staaten samt den Quellen zuständig. Überdies soll eine ernsthafte Prüfung des Antrages nicht erst beim Bundesverwaltungsgericht beginnen und zugleich enden.

Dass eine unmittelbare weitere Beweisaufnahme durch das Bundesverwaltungsgericht "im Interesse der Raschheit gelegen oder mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden" wäre, ist - auch angesichts des mit dem bundesverwaltungsgerichtlichen Beschwerdeverfahren als Mehrparteienverfahren verbundenen erhöhten Aufwandes - nicht ersichtlich.

Die Voraussetzungen des § 28 Abs. 2 VwGVG sind daher im gegenständlichen Beschwerdefall nicht gegeben. Folglich war das Verfahren zur neuerlichen Entscheidung an die belangte Behörde zurückzuverweisen.

Eine mündliche Verhandlung konnte im vorliegenden Fall gemäß § 24 Abs. 2 Z 1 VwGVG unterbleiben, weil bereits aufgrund der Aktenlage feststand, dass der angefochtene Bescheid "aufzuheben" war. Dieser Tatbestand ist auch auf Beschlüsse zur Aufhebung und Zurückverweisung anwendbar (vgl. zur gleichartigen früheren Rechtslage Hengstschläger/Leeb, AVG [2007] § 67d Rz 22).

2. zu Spruchpunkt B)

Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Die Revision ist unzulässig, weil keine Rechtsfrage im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B-VG zu beurteilen war, der grundsätzliche Bedeutung zukommt: Dass eine Zurückverweisung der Sache an die Verwaltungsbehörde zur Durchführung notwendiger Ermittlungen nach § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG insbesondere dann in Betracht kommt, wenn die Verwaltungsbehörde bloß ansatzweise bzw. unzureichend ermittelt, entspricht der oben zitierten Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes.

3. Es war daher spruchgemäß zu entscheiden.

Schlagworte

Behebung der Entscheidung, Ermittlungspflicht, individuelle
Verhältnisse, Kassation, mangelnde Sachverhaltsfeststellung

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2019:W256.2189146.1.00

Zuletzt aktualisiert am

21.01.2020
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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