Index
E1ENorm
UStG 1994 Anh Art3 Abs1 Z1Beachte
Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Zorn und die Hofräte Dr. Mairinger, Dr. Thoma und Mag. Straßegger sowie die Hofrätin Dr. Reinbacher als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag. Baumann, in der Revisionssache der V GmbH in W, vertreten durch die Doralt Seist Csoklich, Rechtsanwalts-Partnerschaft in 1090 Wien, Währinger Straße 2-4, gegen das Erkenntnis des Bundesfinanzgerichts vom 30. März 2016, Zl. RV/5200054/2012, betreffend Einfuhrumsatzsteuer (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Zollamt Feldkirch Wolfurt), den Beschluss gefasst:
Spruch
Dem Europäischen Gerichtshof werden gemäß Art. 267 AEUV folgende Fragen vorgelegt:
„1. Ist die Steuerbefreiung nach Artikel 138 der Richtlinie 2006/112/EG des Rates vom 28. November 2006 über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem für ein innergemeinschaftliches Verbringen aus einem Mitgliedstaat zu versagen, wenn der dieses Verbringen in einen anderen Mitgliedstaat bewirkende Steuerpflichtige im anderen Mitgliedstaat zwar den mit dem innergemeinschaftlichen Verbringen zusammenhängenden innergemeinschaftlichen Erwerb erklärt, jedoch bei einem späteren steuerpflichtigen Umsatz mit den betroffenen Gegenständen im anderen Mitgliedstaat eine Steuerhinterziehung begeht, indem er zu Unrecht eine steuerfreie innergemeinschaftliche Lieferung aus diesem anderen Mitgliedstaat erklärt ?
2. Ist für die Antwort auf die Frage 1 maßgeblich, ob der Steuerpflichtige im Zeitpunkt des innergemeinschaftlichen Verbringens bereits den Vorsatz gefasst hat, hinsichtlich eines späteren Umsatzes mit diesen Gegenständen eine Steuerhinterziehung zu begehen ?“
Begründung
1 Sachverhalt:
2 Die Revisionswerberin, eine Gesellschaft m.b.H., welche eine Spedition betreibt, reichte im Zeitraum vom 10. Dezember 2010 bis zum 5. Juli 2011 als indirekte Vertreterin des jeweiligen Empfängers, darunter in drei Fällen des bulgarischen Unternehmers K. und in zwei Fällen des bulgarischen Unternehmers B., bei einem österreichischen Zollamt Anmeldungen zur Überführung von Waren in den zoll- und steuerrechtlich freien Verkehr ein und beantragte in der jeweiligen Anmeldung durch Verwendung des Codes 4200 im Feld 37 des Einheitspapiers die Einfuhrumsatzsteuerbefreiung nach Art. 6 Abs. 3 des österreichischen Umsatzsteuergesetzes 1994. Dem entsprechend wurden die Waren ohne buchmäßige Erfassung von Einfuhrumsatzsteuerbeträgen in den zoll- und steuerrechtlich freien Verkehr übergeführt.
3 Mit Bescheid vom 6. September 2011 teilte das Zollamt Feldkirch Wolfurt der Revisionswerberin die buchmäßige Erfassung von gemäß Art. 204 Abs. 1 des Zollkodex in Verbindung mit § 2 Abs. 1 des Zollrechts-Durchführungsgesetzes entstandenen Eingangsabgaben mit, weil die Voraussetzungen für die mit den erwähnten Anmeldungen geltend gemachte Steuerbefreiung jeweils nicht gegeben seien. Gemäß § 71a des Zollrechts-Durchführungsgesetzes sei auch der Anmelder Schuldner der Einfuhrumsatzsteuer.
4 Dagegen erhob die Revisionswerberin mit Schriftsatz vom 15. September 2011 Berufung, welche das Zollamt mit Berufungsvorentscheidung vom 31. Jänner 2012 abwies, wogegen die Revisionswerberin mit Schriftsatz vom 2. März 2012 Beschwerde erhob.
5 Mit Erkenntnis vom 30. März 2016 wies das Bundesfinanzgericht die Beschwerde als unbegründet ab.
6 Das Bundesfinanzgericht stellte fest, dass die bulgarischen Empfänger von einer Verkäuferin der Waren in der Schweiz die Verfügungsmacht über die Waren vor der Verzollung in Österreich erhalten hätten. Dass sie diese Verfügungsmacht in Bulgarien nicht mehr gehabt hätten, stellte das Bundesfinanzgericht nicht fest. Die bulgarischen Empfänger hätten die innergemeinschaftlichen Erwerbe der betreffenden Waren in Bulgarien erklärt, allerdings eine Steuerhinterziehung in Bulgarien zu verantworten. Sie hätten nämlich zum Weiterverkauf der betreffenden Waren fälschlich steuerfreie innergemeinschaftliche Lieferungen an die Revisionswerberin, an eine mit solchen Waren nicht handelnde Spedition, erklärt.
7 Auf Grund der Rechtsprechung des EuGH sei daher (bereits) die Steuerbefreiung für die innergemeinschaftliche Lieferung in Österreich zu versagen. Deshalb fehle es an einer Voraussetzung für die Steuerbefreiung für die Einfuhrumsatzsteuer.
8 Der Verwaltungsgerichtshof hat über die gegen dieses Erkenntnis des Bundesfinanzgerichtes erhobene Revision zu entscheiden.
9 Unionsrecht:
10 Art. 143 Abs. 1 Buchstabe d) der Richtlinie 2006/112/EG des Rates vom 28. November 2006 über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem, ABlEU Nr. L 347 vom 11. Dezember 2006, (im Folgenden MwSt-RL) lautet:
„Artikel 143
(1) Die Mitgliedstaaten befreien folgende Umsätze von der Steuer:
...
d) die Einfuhr von Gegenständen, die von einem Drittgebiet oder einem Drittland aus in einen anderen Mitgliedstaat als den Mitgliedstaat der Beendigung der Versendung oder Beförderung versandt oder befördert werden, sofern die Lieferung dieser Gegenstände durch den gemäß Artikel 201 als Steuerschuldner bestimmten oder anerkannten Importeur bewirkt wird und gemäß Artikel 138 befreit ist;
...“
11 Gemäß Art. 138 Abs. 1 der MwSt-RL befreien die Mitgliedstaaten die Lieferungen von Gegenständen, die durch den Verkäufer, den Erwerber oder für ihre Rechnung nach Orten außerhalb ihres jeweiligen Gebiets, aber innerhalb der Gemeinschaft versandt oder befördert werden, von der Steuer, wenn diese Lieferung an einen anderen Steuerpflichtigen oder an eine nichtsteuerpflichtige juristische Person bewirkt wird, der/die als solche/r in einem anderen Mitgliedstaat als dem des Beginns der Versendung oder Beförderung der Gegenstände handelt.
12 Darüber hinaus befreien die Mitgliedstaaten gemäß Art. 138 Abs. 2 Buchstabe c) der MwSt-RL von der Steuer die Lieferungen von Gegenständen in Form der Verbringung in einen anderen Mitgliedstaat, die u.a. gemäß Abs. 1 von der Mehrwertsteuer befreit wäre, wenn sie an einen anderen Steuerpflichtigen bewirkt würde.
13 Gemäß Art. 201 der MwSt-RL wird bei der Einfuhr die Mehrwertsteuer von der Person oder den Personen geschuldet, die der Mitgliedstaat der Einfuhr als Steuerschuldner bestimmt oder anerkennt.
14 Gemäß Art. 204 Abs. 1 der im Revisionsfall noch maßgebenden Verordnung (EWG) Nr. 2913/92 des Rates vom 12. Oktober 1992 zur Festlegung des Zollkodex der Gemeinschaften, ABlEG Nr. L 302 vom 19. Oktober 1992, (Zollkodex - ZK) entsteht eine Einfuhrzollschuld, wenn in anderen als den in Art. 203 leg. cit. genannten Fällen eine der Pflichten nicht erfüllt wird, die sich bei einer einfuhrabgabepflichtigen Ware aus deren vorübergehender Verwahrung oder aus der Inanspruchnahme des Zollverfahrens, in das sie übergeführt worden ist, ergeben, oder eine der Voraussetzungen für die Überführung einer Ware in das betreffende Verfahren oder für die Gewährung eines ermäßigten Einfuhrabgabensatzes oder Einfuhrabgabenfreiheit auf Grund der Verwendung der Ware zu besonderen Zwecken nicht erfüllt wird, es sei denn, dass sich diese Verfehlungen nachweislich auf die ordnungsgemäße Abwicklung der vorübergehenden Verwahrung oder des betreffenden Zollverfahrens nicht wirklich ausgewirkt haben.
15 Zollschuldner ist gemäß Art. 204 Abs. 3 ZK die Person, welche die Pflichten zu erfüllen hat, die sich bei einer einfuhrabgabenpflichtigen Ware aus deren vorübergehender Verwahrung oder aus der Inanspruchnahme des betreffenden Zollverfahrens ergeben, oder welche die Voraussetzungen für die Überführung der Ware in dieses Zollverfahren zu erfüllen hat.
16 Nationale (österreichische) Rechtsvorschriften:
17 Gemäß Art. 6 Abs. 3 des Umsatzsteuergesetzes 1994 (im Folgenden: UStG) (für die Anmeldungen vor dem 31. Dezember 2010 noch in der Fassung des Bundesgesetzes BGBl. Nr. 756/1996, für die danach angenommenen Anmeldungen in der Fassung des Abgabenänderungsgesetzes 2010, BGBl. I Nr. 34) ist die Einfuhr der Gegenstände steuerfrei, die vom Anmelder im Anschluss an die Einfuhr unmittelbar zur Ausführung von innergemeinschaftlichen Lieferungen verwendet werden; der Anmelder hat das Vorliegen der Voraussetzungen des Art. 7 leg. cit. buchmäßig nachzuweisen. Die Befreiung ist nur anzuwenden, wenn derjenige, für dessen Unternehmen der Gegenstand eingeführt worden ist, die anschließende innergemeinschaftliche Lieferung tätigt.
18 Gemäß Art. 6 Abs. 1 UStG in der Fassung des Bundesgesetzes BGBl. Nr. 756/1996 sind die innergemeinschaftlichen Lieferungen steuerfrei.
19 Als innergemeinschaftliche Lieferung gilt gemäß Art. 7 Abs. 2 Z 1 UStG auch das einer Lieferung gleichgestellte Verbringen eines Gegenstandes im Sinn des Art. 3 Abs. 1 Z 1 leg. cit.
20 Gemäß Art. 3 Abs. 1 Z 1 UStG gilt als Lieferung gegen Entgelt das Verbringen eines Gegenstandes des Unternehmens aus dem Inland in das übrige Gemeinschaftsgebiet durch einen Unternehmer zu seiner Verfügung, ausgenommen zu einer nur - näher definierten - vorübergehenden Verwendung, auch wenn der Unternehmer den Gegenstand in das Inland eingeführt hat. Der Unternehmer gilt als Lieferer.
21 Gemäß § 26 Abs. 1 UStG gelten - mit im Revisionsfall nicht interessierenden Ausnahmen - für die Einfuhrumsatzsteuer die Rechtsvorschriften für Zölle sinngemäß. Derartiges bestimmt auch § 2 Abs. 1 des Zollrechts-Durchführungsgesetzes (ZollR-DG).
22 Gemäß § 71a ZollR-DG in der im Revisionsfall noch anzuwendenden Fassung der dritten ZollR-DG-Novelle, BGBl. I Nr. 13/1998, schuldet in den Fällen einer Befreiung von der Einfuhrumsatzsteuer nach Art. 6 Abs. 3 UStG eine nach Art. 204 Abs. 1 ZK entstehende Einfuhrumsatzsteuerschuld auch der Anmelder, wenn er nicht bereits nach Art. 204 Abs. 3 ZK als Schuldner in Betracht kommt.
23 Erläuterungen zur Vorlagefrage:
24 Gemäß Art. 201 der MwSt-RL bestimmt der Mitgliedstaat der Einfuhr den Steuerschuldner der Einfuhrumsatzsteuer.
25 Die Einfuhrumsatzsteuerschuld entsteht in Österreich nach § 26 Abs. 1 UStG iVm § 2 Abs. 1 ZollR-DG und Art. 204 Abs. 1 Zollkodex, wenn die Voraussetzung der Steuerfreiheit des sich an die Einfuhr in Österreich anschließenden Verbringens nach Art. 138 Abs. 2 Buchstabe c) der MwSt-RL nicht erfüllt wird.
26 In solch einem Fall ist in Österreich gemäß § 26 Abs. 1 UStG iVm § 2 Abs. 1 ZollR-DG und Art. 204 Abs. 3 Zollkodex die Person Steuerschuldner, welche die Voraussetzungen für die Überführung der Ware in dieses Verfahren zu erfüllen hatte, also der Empfänger der Ware. Dies wäre im Revisionsfall der jeweilige bulgarische Unternehmer, dessen indirekte Vertreterin die Revisionswerberin war.
27 Einleitend ist festzuhalten, dass die Revisionswerberin nach § 71a ZollR-DG als Gesamtschuldnerin der Einfuhrumsatzsteuer herangezogen wurde.
28 Die von der Revisionswerberin ins Treffen geführte Gutgläubigkeit eines solchen Gesamtschuldners der Einfuhrumsatzsteuer ist nach der Rechtslage in Österreich in einem eigenen Verfahren auf Erlass der Einfuhrumsatzsteuer nach § 26 Abs. 1 UStG iVm Art. 239 Zollkodex und § 83 ZollR-DG zu prüfen, wobei die Aussetzung der Verpflichtung zur Abgabenentrichtung bereits auf Grund des Antrages auf Erlass der Steuer bewirkt, dass im Heranziehen des Gesamtschuldners gemäß § 71a ZollR-DG für die Einfuhrumsatzsteuerschuld keine de facto unbedingte Haftung vorliegt, welche nach der Rechtsprechung des EuGH unverhältnismäßig wäre (vgl. das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 25. April 2017, Ra 2016/16/0059, und dessen Beschluss vom 28. September 2016, Ra 2016/16/0052). Im Revisionsfall ist (lediglich) zu klären, ob die Einfuhrumsatzsteuerschuld entstanden ist.
29 Die im Revisionsfall strittige Befreiung von der Einfuhrumsatzsteuer (Art. 143 Abs. 1 Buchstabe d) der MwSt-RL) hängt entscheidend von der Frage ab, ob das innergemeinschaftliche Verbringen nach Art. 138 Abs. 2 Buchstabe c) der MwSt-RL steuerbefreit war.
30 Das Bundesfinanzgericht verneint eine solche Befreiung und stützt sich auf die Rechtsprechung des EuGH, wonach einem Steuerpflichtigen der Anspruch auf Mehrwertsteuerbefreiung (nach Art. 138 Abs. 1 der MwSt-RL) versagt werden müsse, wenn er selbst eine Steuerhinterziehung begeht oder wenn er gewusst hat oder hätte wissen müssen, dass der von ihm bewirkte Umsatz mit einer Steuerhinterziehung des Erwerbers verknüpft war, und er nicht alle ihm zur Verfügung stehenden zumutbaren Maßnahmen ergriffen hat, um dies zu verhindern. Auch insoweit hat der EuGH das innergemeinschaftliche Verbringen (Art. 138 Abs. 2 Buchstabe c) der MwSt-RL) der innergemeinschaftlichen Lieferung gleichgestellt.
31 Denn nach der ständigen Rechtsprechung des EuGH haben die nationalen Behörden und Gerichte das Recht auf Vorsteuerabzug oder auf Befreiung von der Mehrwertsteuer oder auf Erstattung der Mehrwertsteuer zu versagen, wenn der Steuerpflichtige selbst eine Steuerhinterziehung begeht oder wenn ein Steuerpflichtiger wusste oder hätte wissen müssen, dass er sich mit dem betreffenden Umsatz an einem Umsatz beteiligte, der in eine vom Lieferer oder Leistenden oder von einem anderen Wirtschaftsteilnehmer auf einer vorhergehenden oder nachfolgenden Umsatzstufe der Liefer- oder Leistungskette begangene Steuerhinterziehung einbezogen war.
32 Dieser Rechtsprechung liegen - soweit überschaubar - Sachverhaltsgestaltungen zugrunde, bei denen die Verknüpfung des jeweils in Rede stehenden Umsatzes, auf welchen sich der Vorsteuerabzug, die Steuerbefreiung oder Steuererstattung bezog, mit der Steuerhinterziehung darin bestand, dass sich die Steuerhinterziehung auf den vom Vorsteuerabzug oder von der Steuerbefreiung oder Steuererstattung betroffenen Umsatz selbst oder auf den diesem vorangegangenen oder nachfolgenden Umsatz bezogen hatte oder beziehen sollte.
33 So waren es anfangs dieser EuGH-Rechtsprechung Fälle des sogenannten Karussellbetrugs (vgl. etwa die Urteile des EuGH vom 12. Jänner 2006 in der Rs. C-354/03 u.a. [Optigen Ltd. u.a.] und vom 6. Juli 2006 in den Rs. C-439/04 und C-440/04 [Axel Kittel und Recolta Recycling SPRL]).
34 Die Sachverhaltsgestaltung, wonach die Versagung des Vorsteuerabzugs in Rede stand, welcher mit einer allfälligen Steuerhinterziehung verknüpft wäre, die sich auf die vom Rechnungsleger geschuldete Umsatzsteuer bezog, lag etwa folgenden Urteilen des EuGH zugrunde: den Urteilen vom 21. Juni 2012 in den Rs. C-80/11 und C-142/11 (Mahagében Kft. und Péter Dávid), vom 6. September 2012 in der Rs. C-324/11 (Gábor Tóth), vom 6. Dezember 2012 in der Rs. C-285/11 (Bonik EOOD), vom 31. Jänner 2013 in der Rs. C-642/11 (Stroy trans EOOD), vom 31. Jänner 2013 in der Rs. C-643/11 (LVK - 56 EOOD), vom 18. Juli 2013 in der Rs. C-78/12 („Evita-K“ EOOD), vom 13. Februar 2014 in der Rs. C-18/13 (Maks Pen EOOD), vom 13. März 2014 in der Rs. C-107/13 („FIRIN“ OOD) und vom 22. Oktober 2015 in der Rs. C-277/14 (PPUH Stehcemp sp j. Florian Stefanek u.a.).
35 Sachverhaltsgestaltungen, bei denen die Versagung des Rechts auf Vorsteuerabzug in Rede stand, weil der Umsatz (Eingangsumsatz) selbst und die Ausgangsumsätze des Unternehmers betroffen waren (keine Buchungsunterlagen vorlagen) liegt den Urteilen des EuGH vom 28. Juli 2016 in der Rs. C-332/15 (Giuseppe Astone) und vom 5. Oktober 2016 in der Rs. C-576/15 (Maya ??rinova ET) zugrunde.
36 Eine Sachverhaltsgestaltung, in denen der Vorsteuerabzug der auf den innergemeinschaftlichen Erwerb entfallenden Umsatzsteuer in Rede stand, weil dieser Erwerb nicht erklärt wurde, liegt dem Urteil vom 18. Dezember 2014 in der Rs. C-131/13 (Schoenimport „Italmoda“ Mariano Previti vof) zugrunde.
37 Jüngst hat der EuGH im Urteil vom 18. Mai 2017 in der Rs. C-624/15 („Litdana“ UAB) den Sachverhalt zu beurteilen, bei dem es um eine Differenzbesteuerung ging, bei welcher die Hinterziehung bei der Lieferung des Verkäufers in Rede stand.
38 Zur Versagung des Rechtes auf Steuerbefreiung für eine innergemeinschaftliche Lieferung hatte der EuGH zunächst im Urteil vom 27. September 2007 in der Rs. C-146/05 (Albert Collée) die Auslegung des Unionsrechts zu einem Sachverhalt zu beurteilen, bei welchem die innergemeinschaftliche Lieferung selbst verschleiert wurde (indem vorerst Zwischenhändler vorgeschoben wurden). In der Folge betrafen die Urteile des EuGH Sachverhaltsgestaltungen, in denen das Recht auf Steuerbefreiung der innergemeinschaftlichen Lieferung in Rede stand und die Steuerhinterziehung den mit dieser innergemeinschaftlichen Lieferung verknüpften innergemeinschaftlichen Erwerb im anderen Mitgliedstaat betroffen hat (vgl. die Urteile des EuGH vom 27. September 2007 in der Rs. C-409/04 (Teleos plc u.a.), vom 7. Dezember 2010 in der Rs. C-285/09, (R) vom 6. September 2012 in der Rs. C-273/11 (Mecsek-Gabona Kft.), vom 27. September 2012 in der Rs. C-587/10 (Vogtländische Straßen-, Tief- und Rohrleitungsbau GmbH Rodewisch [VSTR]), vom 9. Oktober 2014 in der Rs. C-492/13 (Traum EOOD), vom 18. Dezember 2014 in der Rs. C-131/13 (Schoenimport „Italmoda“ Mariano Previti vof), vom 20. Oktober 2016 in der Rs. C-24/15 (Josef Plöckl) und vom 9. Februar 2017 in der Rs. C-21/16 (Euro Tyre BV - Sucursal em Portugal).
39 Die im nunmehr vorliegenden Revisionsfall zu Grunde liegende Sachverhaltsgestaltung unterscheidet sich davon jedoch.
40 Das Bundesfinanzgericht stellte fest, dass die beiden bulgarischen Unternehmer, deren innergemeinschaftliches Verbringen in Rede stand, Steuererklärungen abgegeben und darin den innergemeinschaftlichen Erwerb in Bulgarien erklärt hatten. Erst auf einer nachfolgenden Umsatzstufe, nämlich eines Weiterverkaufs der Waren durch diese Unternehmer, nimmt das Bundesfinanzgericht eine Steuerhinterziehung an. Die bulgarischen Unternehmer hätten eine innergemeinschaftliche Lieferung „zurück“ an die Revisionswerberin, eine Spedition, erklärt und diese steuerfrei behandelt. Das Bundesfinanzgericht hat seiner Entscheidung zu Grunde gelegt, dass eine solche Lieferung nicht stattgefunden hat.
41 Dass die bulgarischen Unternehmer im Zeitpunkt des innergemeinschaftlichen Verbringens bereits den Vorsatz gefasst hätten, hinsichtlich des späteren Umsatzes mit diesen Gegenständen eine Steuerhinterziehung zu begehen, hat das Bundesfinanzgericht nicht festgestellt.
42 Die erwähnte Rechtsprechung des EuGH erfasst nach Ansicht des Verwaltungsgerichtshofes zweifellos einen Zusammenhang zwischen der Steuerfreiheit für das hier in Rede stehende innergemeinschaftliche Verbringen aus Österreich und dem steuerpflichtigen innergemeinschaftlichen Erwerb im anderen Mitgliedstaat. Der innergemeinschaftliche Erwerb in Bulgarien ist im Revisionsfall nach der Feststellung des Bundesfinanzgerichtes allerdings erklärt worden und eine darauf entfallende Mehrwertsteuer ist nicht hinterzogen worden. Die sich aus den Feststellungen des Bundesfinanzgerichtes ergebende Steuerhinterziehung betraf einen späteren Folgeumsatz, der zwar dieselben Waren betraf, aber nicht notwendigerweise im selben Zeitraum (Art. 252 der MwSt-RL) erfolgt sein muss.
43 Nach der zitierten Rechtsprechung des EuGH ist das Recht auf Vorsteuerabzug oder auf Steuerbefreiung für eine innergemeinschaftliche Lieferung zu versagen, wenn der Steuerpflichtige selbst eine Steuerhinterziehung begeht (vgl. etwa das erwähnte Urteil vom 28. Juli 2016 in der Rs. C-332/15, Rn 51; in der englischen Fassung: where tax evasion is committed by the taxable person himself; in der französischen Fassung: lorsqu´une fraude fiscale est commise par l´assujetti lui-même; oder das Urteil vom 18. Dezember 2014 in der Rs. C-131/13, Rn 50, in der englischen Fassung: tax evasion carried out by the taxable person itself; in der französischen Fassung: lorsqu´une fraude fiscale est commise par l´assujetti lui-même).
44 Die Rechtsprechung des EuGH zu den oben dargelegten anders gelagerten Sachverhaltsgestaltungen erwähnt dabei neben dem Steuerpflichtigen, der eine Steuerhinterziehung begeht, einen Umsatz, der in eine Steuerhinterziehung einbezogen war (vgl. etwa das erwähnte Urteil vom 18. Mai 2017 in der Rs. C-624/15, Rn 33; in der englischen Fassung: transaction connected with fraud; in der französischen Fassung: l´opération implicée dans une fraude; und das erwähnte Urteil vom 18. Dezember 2014 in der Rs. C-131/13, Rn 50; in der englischen Fassung: participating in a transaction involving evasion of VAT; in der französichen Fassung: une opération implicée dans une fraude) oder einen Umsatz, der mit einer Steuerhinterziehung verknüpft war (vgl. etwa das erwähnte Urteil vom 9. Februar 2017 in der Rs. C-21/16, Rn 40; in der englischen Fassung: transaction was part of a fraud; in der französischen Fassung: l´opération implicée dans une fraude).
45 Die Frage, in Bezug auf welchen Umsatz ein Steuerpflichtiger die Mehrwertsteuer selbst hinterzogen hat, und die Reichweite und die Auslegung der Begriffe, dass ein Umsatz in eine Steuerhinterziehung einbezogen oder mit einer Steuerhinterziehung verknüpft war, sind für den vorliegenden Revisionsfall entscheidend, für den Verwaltungsgerichtshof aber nicht ausreichend geklärt. Das Schrifttum, auch soweit es die erwähnte Rechtsprechung des EuGH billigt, hält eine genauere Bestimmung für erforderlich, was unter einer „Lieferkette“ zu verstehen ist (vgl. Heuermann, Mit Italmoda auf den Schultern von Larenz, in Deutsches Steuerrecht 2015/26, 1416ff [1418 und 1420]).
46 Der Verwaltungsgerichtshof hegt somit Zweifel, ob die als Voraussetzung für die Befreiung von der Einfuhrumsatzsteuer nach Art. 143 Abs. 1 Buchstabe d) der MwSt-RL bei der Einfuhr in den Mitgliedstaat A erforderliche Steuerbefreiung für ein innergemeinschaftliches Verbringen (Art. 138 Abs. 2 Buchstabe c der MwSt-RL) aus dem Mitgliedstaat A auch dann zu versagen ist, wenn der Steuerpflichtige eine Steuerhinterziehung zu verantworten hat, welche sich weder auf das innergemeinschaftliche Verbringen aus dem Mitgliedstaat A noch auf den mit dem innergemeinschaftlichen Verbringen aus dem Mitgliedstaat A verknüpften innergemeinschaftlichen Erwerb im Mitgliedstaat B, sondern auf einen späteren Folgeumsatz dieses Steuerpflichtigen im Mitgliedstaat B bezieht.
47 Dabei hält es der Verwaltungsgerichtshof für möglich, dass es einen Unterschied macht, ob der Steuerpflichtige bereits im Zeitpunkt des innergemeinschaftlichen Verbringens den Vorsatz gefasst hat, hinsichtlich eines späteren Umsatzes mit diesen Gegenständen eine Steuerhinterziehung zu begehen.
Wien, am 29. Juni 2017
Gerichtsentscheidung
EuGH 62013CJ0131 Schoenimport "Italmoda" Mariano Previti VORABEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2017:RA2016160061.L00Im RIS seit
14.12.2020Zuletzt aktualisiert am
15.12.2020