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001 Verwaltungsrecht allgemeinNorm
AVG §8Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Senatspräsidentin Dr. Hinterwirth und die Hofräte Dr. N. Bachler, Dr. Lukasser, Mag. Haunold und Dr. Himberger als Richter, unter Mitwirkung des Schriftführers Mag. Sinai, über die Revision der Bundesministerin für Nachhaltigkeit und Tourismus in 1010 Wien, Stubenring 1, gegen das Erkenntnis des Landesverwaltungsgerichts Kärnten vom 7. August 2018, Zl. KLVwG-1576/11/2017, betreffend Feststellung über den Umfang des Gemeingebrauchs nach § 9 Abs. 1 WRG 1959 (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bezirkshauptmannschaft Feldkirchen), zu Recht erkannt:
Spruch
Die Revision wird als unbegründet abgewiesen.
Die "Stellungnahme zur Revision" des Dr. F. H. wird zurückgewiesen.
Begründung
1 F. H. beantragte bei der belangten Behörde die Feststellung gemäß § 9 Abs. 1 zweiter Satz WRG 1959, dass ein Betreten der Eisdecke des Ossiacher Sees nicht über den Gemeingebrauch hinausgehe und keine Form der Wasserbenützung gemäß § 9 Abs. 1 WRG 1959 sei. Er habe die Eisdecke bereits betreten und plane, dies auch in Zukunft zu tun. Zwar sei dies durch eine Verordnung der belangten Behörde verboten worden, jedoch sei diese gesetzwidrig und nicht der richtige "Rechtsbehelf", um den Umfang des Gemeingebrauchs zu klären.
2 Mit Bescheid vom 5. Juli 2017 wies die belangte Behörde diesen Antrag ab; F. H. erhob Beschwerde.
3 Mit dem angefochtenen Erkenntnis vom 7. August 2018 stellte das Verwaltungsgericht gemäß § 9 Abs. 1 zweiter Satz WRG 1959 fest, "dass das Betreten der Eisfläche des im politischen Bezirk Feldkirchen gelegen Teils des Ossiacher Sees auf Grund der Verordnung des Bezirkshauptmannes von Feldkirchen vom 27. Jänner 2017, Zahl FE5-ALL-1471/2017 (009/2017), über den Gemeingebrauch hinausgeht." Die ordentliche Revision ließ es mit der Begründung zu, es fehle an Rechtsprechung zur Frage, ob ein gesetzlich festgelegter Gemeingebrauch durch Einschränkung mittels wasserpolizeilicher Verordnung zu einer über den Gemeingebrauch hinausgehenden (und damit bewilligungspflichtigen) Benutzung eines öffentlichen Gewässers werde.
4 F. H. erhob gegen dieses Erkenntnis Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof mit der Behauptung der Anwendung einer gesetzwidrigen Verordnung. Mit Beschluss vom 27. November 2018, E 3688/2018, lehnte der Verfassungsgerichtshof die Behandlung der Beschwerde ab, weil sie keine hinreichende Aussicht auf Erfolg habe. Es bestünden insbesondere keine Zweifel an der gesetzlichen Deckung der auf § 8 Abs. 4 WRG 1959 gestützten Verordnung der belangten Behörde vom 27. Jänner 2017.
5 Gegen das Erkenntnis des Verwaltungsgerichts richtet sich nunmehr die Amtsrevision der Bundesministerin für Nachhaltigkeit und Tourismus wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes. Sie führt aus, eine auf § 8 Abs. 4 WRG 1959 gestützte Verordnung könne den gesetzlich definierten Gemeingebrauch (zu dem auch das Betreten der Eisdecke gehöre) nicht einschränken, sondern lediglich die Ausübung des Gemeingebrauchs regeln. Werde die Ausübung des Gemeingebrauchs in gewisser Hinsicht untersagt, handle es sich bei einer solchen (verbotenen) Nutzung dennoch um die Ausübung des Gemeingebrauchs, nicht hingegen um eine nach § 9 Abs. 1 WRG 1959 bewilligungspflichtige Nutzung. Es wäre daher festzustellen gewesen, dass das Betreten der Eisfläche - ungeachtet des diesbezüglichen Verbotes - nicht über den Gemeingebrauch hinausgehe.
6 Die belangte Behörde erstattete eine Revisionsbeantwortung, in der sie die Abweisung der Revision beantragte. Dem Gesetz sei eine Differenzierung zwischen Inhalt und Ausübung des Gemeingebrauchs fremd; eine Einschränkung der Ausübung des Gemeingebrauchs sei stets auch eine Einschränkung des Inhalts des Gemeingebrauchs und umgekehrt. Die Ansicht der Revisionswerberin führe zur Straflosigkeit des Zuwiderhandelns gegen die Verordnung, da nur eine nicht bewilligte Nutzung des öffentlichen Gewässers über den Gemeingebrauch hinaus unter Strafe stehe. Damit hätte die Erlassung einer die Ausübung des Gemeingebrauchs beschränkenden Anordnung mangels Sanktionsmöglichkeit keinen praktischen Nutzen. 7 F. H., der vom Verwaltungsgericht als mitbeteiligte Partei dem Verfahren beigezogen worden war, erstattete eine "Stellungnahme zur Revision", in der er den Argumenten der Revision beitrat, darüber hinaus aber auch ausführte, warum die Verordnung gesetzwidrig sei, und Verfahrensmängel geltend machte.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
8 Die Revision stützt sich auf die vom Verwaltungsgericht genannte Rechtsfrage und erweist sich als zulässig, sie ist jedoch nicht berechtigt.
9 Beim Ossiacher See handelt es sich gemäß § 2 Abs. 1 lit. a iVm Anhang A Z. 2 lit. b WRG 1959 um ein öffentliches Gewässer. 10 Die §§ 8 und 9 des Wasserrechtsgesetzes 1959 (WRG 1959), BGBl. Nr. 215/1959, zuletzt geändert durch BGBl. I Nr. 74/1997, lauten:
"Gemeingebrauch an öffentlichen und privaten Gewässern.
§ 8. (1) In öffentlichen Gewässern ist der gewöhnliche ohne besondere Vorrichtungen vorgenommene, die gleiche Benutzung durch andere nicht ausschließende Gebrauch des Wassers, wie insbesondere zum Baden, Waschen, Tränken, Schwemmen, Schöpfen, dann die Gewinnung von Pflanzen, Schlamm, Erde, Sand, Schotter, Steinen und Eis, schließlich die Benutzung der Eisdecke überhaupt, soweit dadurch weder der Wasserlauf, die Beschaffenheit des Wassers oder die Ufer gefährdet noch ein Recht verletzt oder ein öffentliches Interesse beeinträchtigt noch jemandem ein Schaden zugefügt wird, ohne besondere Bewilligung der Wasserrechtsbehörde unentgeltlich erlaubt.
(2) ...
(3) ...
(4) Die Wasserrechtsbehörde kann - auch abgesehen von den im § 15 geregelten Fällen - über die Ausübung des Gemeingebrauches wasserpolizeiliche Anordnungen treffen, durch die das öffentliche Interesse und die Ausübung des Gemeingebrauches durch andere gewahrt oder die Grenzen des Gemeingebrauches näher bezeichnet werden.
Besondere Wasserbenutzung an öffentlichen Gewässern und privaten Tagwässern.
§ 9. (1) Einer Bewilligung der Wasserrechtsbehörde bedarf jede über den Gemeingebrauch (§ 8) hinausgehende Benutzung der öffentlichen Gewässer sowie die Errichtung oder Änderung der zur Benutzung der Gewässer dienenden Anlagen. Auf Antrag hat die Behörde festzustellen, ob eine bestimmte Benutzung eines öffentlichen Gewässers über den Gemeingebrauch hinausgeht.
(2) ...
(3) ..."
11 Die Verordnung der Bezirkshauptmannschaft Feldkirchen vom 27. Jänner 2017, Zl. FE5-ALL-1471/2017 (009/2017), mit der die Benutzung der Eisdecke des im politischen Bezirk Feldkirchen gelegenen Teils des Ossiacher Sees untersagt wird, lautet:
"Auf Grund des § 8 Abs. 4 in Verbindung mit § 98 Abs. 1 des Wasserrechtsgesetzes 1959 - WRG 1959, BGBl. Nr. 215/1959, zuletzt geändert durch BGBl. Nr. 54/2014, wird verordnet:
§ 1
Die Benutzung der Eisdecke, insbesondere durch Betreten, Eislaufen und die Ausübung von Eissportarten überhaupt, des im politischen Bezirk Feldkirchen gelegenen Teils des Ossiacher Sees, welcher im Anhang A dieser Verordnung in Rot dargestellt ist, ist untersagt.
§ 2
Die bewilligungslose Benutzung der Eisdecke stellt eine Übertretung dieser Verordnung dar und wird gemäß § 9 Abs. 1 iVm § 137 Abs. 2 Z 1 des WRG 1959 als Verwaltungsübertretung mit einer Geldstrafe bis zu EUR 14.530,-- bestraft."
12 Der Gemeingebrauch ist in § 8 Abs. 1 WRG 1959 durch positive und negative Kriterien umschrieben (Raschauer, Kommentar zum Wasserrecht (1993) § 8 Rz 4): Er umfasst zunächst (positiv) den im ersten Teil des Satzes angesprochenen gewöhnlichen, die gleiche Benutzung durch andere nicht ausschließenden Gebrauch des Wassers (mit - seit der WRG-Novelle 1997 klargestellt - demonstrativer Aufzählung von Nutzungsarten einschließlich der Benutzung der Eisdecke). Die Nutzungsarten sind aber (negativ) einerseits dem Umfang nach beschränkt, indem sie nur ohne besondere Vorrichtungen ausgeübt werden dürfen; anderseits dem Inhalt nach, indem die im zweiten Teil des Satzes aufgezählten Wirkungen (Gefährdung des Wasserlaufs etc., Rechtsverletzung, Schadenszufügung oder Beeinträchtigung öffentlicher Interessen) nicht eintreten dürfen (vgl. auch Krzizek, Wasserrechtsgesetz (1962) 53).
13 Diese Einschränkungen, insbesondere das Verbot der Beeinträchtigung öffentlicher Interessen, sind unbestimmt. Zwar kann zur Auslegung des öffentlichen Interesses die Aufzählung des § 105 WRG 1959 (auch außerhalb von Bewilligungsverfahren) herangezogen werden (Bumberger/Hinterwirth, Wasserrechtsgesetz2 (2013) § 105 K8), doch ist diese Aufzählung nur demonstrativ (VwGH 24.7.2008, 2007/07/0095). Merli, Öffentliche Nutzungsrechte und Gemeingebrauch (1995) 159, weist daher darauf hin, dass diesbezüglich die Ermächtigung der Behörde zur genauen Festlegung der Grenzen des Gemeingebrauchs nach § 8 Abs. 4 WRG 1959 Abhilfe biete.
14 Bereits die Stammfassung des WRG 1934, BGBl. Nr. 316/1934, sah in § 8 Abs. 4 eine Ermächtigung der Wasserrechtsbehörde vor, "über den Gemeingebrauch nach den Absätzen 1, 2 und 3 wasserpolizeiliche Anordnungen zu treffen." Mit der Wasserrechtsnovelle 1959, BGBl. Nr. 54/1959, erhielt die Bestimmung dann ihre bis heute geltende Fassung. Die Gesetzesmaterialen (ErläutRV 594 BlgNR 8. GP 27) führen dazu lediglich aus: "Der Gemeingebrauch am Wasser ist zwar bewilligungsfrei, kann aber seit jeher durch wasserpolizeiliche Anordnungen (Bescheide oder Verordnungen je nach Einzelfall) abgegrenzt und eingeschränkt werden; hierbei steht den Interessenten am Gemeingebrauch ein Entschädigungsanspruch nicht zu."
15 Der Grund für die Neuregelung ist (vgl. dazu Krzizek aaO 54f) in der geänderten verfassungsrechtlichen Lage zu suchen, da Art. 18 B-VG (im Gegensatz zur Verfassung 1934) keine formalgesetzliche Delegation, sondern lediglich hinreichend determinierte Durchführungsverordnungen ermöglicht. Die Wasserrechtsbehörden können daher lediglich Anordnungen (generelle oder individuelle Verwaltungsakte) zur Durchführung der in den Abs. 1 und 2 enthaltenen Bestimmungen treffen, dabei jedoch nicht den Gemeingebrauch in gesetzwidriger Weise einschränken oder ausdehnen (in diesem Sinne auch Merli, aaO 164, der als Beispiel für den Inhalt einer solchen Verordnung etwa auch die Feststellung weiterer nicht-exklusiver Nutzungsarten neben den in Abs. 1 demonstrativ aufgezählten nennt).
16 Die hier relevante Verordnung wurde nach den Feststellungen des Verwaltungsgerichts von der belangten Behörde nach Durchführung eines Ermittlungsverfahrens erlassen, in welchem die Gefährlichkeit des Betretens der Eisfläche des Ossiacher Sees im Winter erörtert wurde. Dabei wurde erwogen, dass das öffentliche Interesse am Schutz des Lebens und der körperlichen Unversehrtheit von Personen jenes an der Ausübung des Gemeingebrauchs (im Sinne der Benützung der Eisdecke zu Freizeitvergnügen, Erholungszwecken und Eissport) überwiege.
17 Somit liegt der Verordnung in Anwendung des § 8 Abs. 1 WRG 1959 die Erwägung zu Grunde, dass die (an sich gewöhnliche, nicht-exklusive und damit vom Gemeingebrauch umfasste) Benutzung der Eisfläche im konkreten Fall ein öffentliches Interesse beeinträchtigt und damit - inhaltlich betrachtet - aus dem Gemeingebrauch (wiederum) ausscheidet. Damit ist das Ergebnis des angefochtenen Erkenntnisses zutreffend, wenn es feststellt, dass - auf Basis dieser Verordnung und in deren räumlichen Anwendungsbereich - das Betreten der Eisfläche über den Gemeingebrauch im Sinne des § 8 Abs. 1 WRG 1959 hinausgeht. 18 Konkrete Zweifel an der Gesetzeskonformität der Verordnung werden in der Revision nicht dargetan. Angesichts des oben genannten Beschlusses des Verfassungsgerichtshofes sieht sich der Verwaltungsgerichtshof auch nicht zu einer Antragstellung im Sinne des Art. 139 B-VG veranlasst.
19 Dafür, dass durch eine wasserpolizeiliche Anordnung konkretisierend festgelegt werden kann, was nun zum Gemeingebrauch gehört und was nicht, spricht auch der Wortlaut des § 8 Abs. 4 WRG 1959, der als einen alternativen Inhalt bzw. Zweck solcher Anordnungen ausdrücklich nennt, dass die Grenzen des Gemeingebrauchs näher bezeichnet werden (vgl. auch ErläutRV 594 BlgNR 8. GP 27: der Gemeingebrauch kann "abgegrenzt und eingeschränkt" werden). Eine Abgrenzung (Festlegung von Grenzen) bedeutet aber nichts anderes, als dass bindend festgelegt wird, was noch diesseits und was jenseits der Grenze (zum Gemeingebrauch) liegt.
20 Darüber hinaus sind nach dem Wortlaut der Bestimmung zwar auch wasserpolizeiliche Anordnungen denkbar, die nicht der Abgrenzung des Gemeingebrauchs dienen, sondern - zur Wahrung des öffentlichen Interesses und der Ausübung des Gemeingebrauchs durch andere - die nähere Regelung seiner Ausübung vornehmen. Bei einer Verordnung wie der vorliegenden, die eine bestimmte Nutzungsart schlichtweg untersagt, liegt jedoch keine bloße Ausübungsregelung mehr vor.
21 Dies führt in der Folge dazu, dass eine Nutzung, die außerhalb des so (konkretisierend) festgelegten Gemeingebrauchs liegt, über diesen hinausgeht und daher nach § 9 Abs. 1 WRG 1959 einer Bewilligung bedarf. Eine solche (abstrakte) Bewilligungsfähigkeit unterläuft - entgegen der Ansicht der Revisionswerberin - auch nicht die Zielsetzung der hier anzuwendenden Verordnung, die in der Wahrung des öffentlichen Interesses der Hintanhaltung einer Gefahr für Gesundheit und Leben von Menschen liegt. Es ist nämlich nicht ausgeschlossen, dass eine bestimmte Nutzung (hier der Eisdecke) im Einzelfall in einer (allenfalls eingeschränkten) Art bewilligt werden könnte, die dieses öffentliche Interesse entsprechend wahrt. Sofern dies jedoch nicht möglich sein sollte, käme die Erteilung einer Bewilligung im Einzelfall dann schlicht nicht in Betracht. 22 Im Ergebnis erweist sich das Erkenntnis des Verwaltungsgerichts als inhaltlich frei von Rechtsfehlern, sodass die Revision gemäß § 42 Abs. 1 VwGG als unbegründet abzuweisen war.
23 Die von F. H. eingebrachte "Stellungnahme zur Revision" war zurückzuweisen, da eine Mitbeteiligung auf der Seite des Revisionswerbers im Verfahren vor dem Verwaltungsgerichtshof nicht in Betracht kommt. Die Stellung als Mitbeteiligter setzt vielmehr rechtlich geschützte Interessen im Widerspruch zur Interessenslage des Revisionswerbers voraus (VwGH 20.7.2016, Ra 2015/22/0055, mwN). Auch der Umstand, dass F. H. vom Verwaltungsgericht als Mitbeteiligter dem Verfahren beigezogen wurde, vermag seine rechtliche Stellung als Mitbeteiligter im Sinne des § 21 Abs. 1 VwGG nicht zu begründen (VwGH 27.2.2019, Ro 2019/10/0007).
Wien, am 28. November 2019
Schlagworte
Anzuwendendes Recht Maßgebende Rechtslage VwRallg2Auslegung Anwendung der Auslegungsmethoden Verhältnis der wörtlichen Auslegung zur teleologischen und historischen Auslegung Bedeutung der Gesetzesmaterialien VwRallg3/2/2BeteiligterIndividuelle Normen und Parteienrechte Rechtsanspruch Antragsrecht Anfechtungsrecht VwRallg9/2European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2019:RO2018070049.J00Im RIS seit
20.01.2020Zuletzt aktualisiert am
04.05.2020