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10/07 VerwaltungsgerichtshofNorm
AsylG 2005 §11Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Zens, den Hofrat Dr. Pürgy und die Hofrätin Dr.in Lachmayer als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag. Schweinzer, über die Revision des B A, in I, vertreten durch Dr. Klemens Stefan Zelger, Rechtsanwalt in 6020 Innsbruck, Anichstraße 1/II, "Zelgerhaus", gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 5. September 2018, Zl. W158 2172122- 1/14E, betreffend Angelegenheiten nach dem AsylG 2005 und dem FPG (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl), zu Recht erkannt:
Spruch
Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.
Der Bund hat dem Revisionswerber Aufwendungen in Höhe von EUR 1.106,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
1 Der Revisionswerber, ein afghanischer Staatsangehöriger, stellte am 4. August 2015 einen Antrag auf internationalen Schutz in Österreich. Begründend brachte der Revisionswerber vor, in Afghanistan aufgrund des Transportierens von christlichem Material Verfolgung ausgesetzt zu sein. Zudem sei er vom Islam abgefallen. 2 Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) wies den Antrag mit Bescheid vom 8. September 2017 sowohl hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten als auch des Status des subsidiär Schutzberechtigten ab. Das BFA erteilte dem Revisionswerber keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen, erließ gegen ihn eine Rückkehrentscheidung und stellte fest, dass seine Abschiebung nach Afghanistan zulässig sei. Die Frist für die freiwillige Ausreise wurde mit 14 Tagen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung festgelegt.
3 Mit dem in Revision gezogenen Erkenntnis wies das Bundesverwaltungsgericht (BVwG) nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung die Beschwerde des Revisionswerbers als unbegründet ab und erklärte die Revision für nicht zulässig.
4 Das BVwG stellte - auf das Wesentliche zusammengefasst - fest, dass der Revisionswerber im Rahmen seiner Tätigkeit als Taxilenker für Bekannte Materialien mit christlichem Inhalt von Kabul nach Jaghori transportiert habe. Die Taliban hätten bei einer Durchsuchung des Wagens CDs mit christlichem Inhalt gefunden. Die Taliban hätten den Revisionswerber und seine Geburtsurkunde fotografiert, hätten ihn dann aber weiterfahren lassen. Der Revisionswerber habe daraufhin mit seiner Familie sein Heimatdorf verlassen und sei zu seinem Schwiegervater nach Herat gefahren. Eine Woche später sei dem Revisionswerber von seinem Cousin mitgeteilt worden, der Mullah seines Heimatdorfes würde nach ihm suchen, weil die Taliban diesem erzählt hätten, dass der Revisionswerber für das Christentum missionieren würde. Danach sei der Revisionswerber aus Afghanistan ausgereist. Weiters stellte das BVwG fest, dass dem Revisionswerber deswegen zwar bei einer Rückkehr in sein Heimatdorf eine Verfolgung drohe, nicht aber bei einer Rückkehr in die Städte Kabul, Herat und Mazar-e Sharif. Hinsichtlich des Vorbringens, der Revisionswerber interessiere sich für das Christentum, habe nicht festgestellt werden können, dass der christliche Glaube wesentlicher Bestandteil der Identität des Revisionswerbers geworden sei.
5 Der Verwaltungsgerichtshof hat über die gegen das Erkenntnis des BVwG gerichtete außerordentliche Revision nach Einleitung des Vorverfahrens - eine Revisionsbeantwortung wurde nicht erstattet - in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat erwogen:
6 Zur Zulässigkeit der Revision macht der Revisionswerber unter anderem geltend, das BVwG habe seine Annahme, es bestünden für den Revisionswerber innerstaatliche Fluchtalternativen in den Städten Kabul, Herat und Mazar-e Sharif, nicht hinreichend begründet.
7 Die Revision ist im Hinblick auf die in diesem Zusammenhang geltend gemachten Begründungsmängel zulässig und auch berechtigt. 8 Das BVwG begründete eine Rückkehrmöglichkeit des Revisionswerbers nach Herat damit, dass seine Familie trotz der gegen den Revisionswerber gerichteten Vorwürfe und obwohl bekannt sei, dass sich diese dort aufhalte, bereits jahrelang in Herat unbehelligt lebe. Zudem sei auch aufgrund der großen Entfernung nicht davon auszugehen, dass der Revisionswerber in Herat gesucht werden würde. Bei einer Ansiedelung in Kabul oder Mazar-e Sharif wäre für den Revisionswerber ebenfalls keine Gefahr zu erwarten, zumal die Städte unter Regierungskontrolle stünden und sich der Revisionswerber dort aufgrund des fehlenden Meldewesens unbekannt niederlassen könnte.
9 Der Verwaltungsgerichtshof hat zur Begründungspflicht der Erkenntnisse der Verwaltungsgerichte gemäß § 29 VwGVG bereits wiederholt ausgesprochen, dass die Begründung jenen Anforderungen zu entsprechen hat, die in seiner Rechtsprechung zu den §§ 58 und 60 AVG entwickelt wurden. Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes erfordert dies in einem ersten Schritt die eindeutige, eine Rechtsverfolgung durch die Partei ermöglichende und einer nachprüfenden Kontrolle durch die Gerichtshöfe des öffentlichen Rechts zugängliche konkrete Feststellung des der Entscheidung zugrunde gelegten Sachverhalts, in einem zweiten Schritt die Angabe jener Gründe, welche die Behörde im Falle des Vorliegens widerstreitender Beweisergebnisse in Ausübung der freien Beweiswürdigung dazu bewogen haben, gerade jenen Sachverhalt festzustellen, und in einem dritten Schritt die Darstellung der rechtlichen Erwägungen, deren Ergebnisse zum Spruch des Bescheides geführt haben. Diesen Erfordernissen werden die Verwaltungsgerichte dann gerecht, wenn sich die ihre Entscheidungen tragenden Überlegungen zum maßgeblichen Sachverhalt, zur Beweiswürdigung sowie zur rechtlichen Beurteilung aus den verwaltungsgerichtlichen Entscheidungen selbst ergeben (vgl. VwGH 26.3.2019, Ra 2018/19/0684, mwN).
10 Das BVwG setzte sich, wie die Revision richtig aufzeigt, nicht hinreichend damit auseinander, ob der Revisionswerber auch in den als innerstaatliche Fluchtalternativen angenommenen Städten von dem Mullah oder den Taliban gefunden werden könne. Das BVwG unterließ - wie die Revision zurecht vorbringt - mit dem pauschalen Verweis auf das fehlende Meldewesen in Afghanistan eine Auseinandersetzung mit seinen eigenen, im Erkenntnis getroffenen Feststellungen, wonach es zwar in Afghanistan kein zentrales Bevölkerungsregister, aber dennoch Mittel und Wege gebe, um Personen anhand von Anknüpfungspunkten wie Herkunftsort oder Familie ausfindig zu machen. Das BVwG stützte sich auch nicht auf eine Schutzwilligkeit und Schutzfähigkeit des afghanischen Staates.
11 Das BVwG hätte sich folglich im Revisionsfall eingehender mit der Wahrscheinlichkeit einer allfälligen Verfolgung durch den Mullah oder die Taliban beschäftigen müssen, um nachvollziehbar prognostisch beurteilen zu können, welchen Risiken der Revisionswerber als Person, die in der Vergangenheit christliches Material transportiert hat und der deswegen - wie das BVwG selbst festgestellt hat - Verfolgung droht, bei einer Rückkehr nach Herat oder Mazar-e Sharif begegnen würde.
12 Das angefochtene Erkenntnis war daher schon deshalb wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 lit. b und c VwGG aufzuheben. 13 Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2014.
Wien, am 28. November 2019
European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2019:RA2019190377.L00Im RIS seit
21.01.2020Zuletzt aktualisiert am
21.01.2020