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10/07 VerwaltungsgerichtshofNorm
AsylG 2005 §3 Abs1Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Zens sowie den Hofrat Dr. Pürgy und die Hofrätin Dr.in Lachmayer, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag. Schweinzer, über die Revision des M T M in S, vertreten durch Mag. Ingeborg Haller, Rechtsanwältin in 5020 Salzburg, Markus Sittikus Straße 9/2/7, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 20. März 2019, Zl. W198 2178938- 1/12E, betreffend Angelegenheiten nach dem AsylG 2005 und dem FPG (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl), zu Recht erkannt:
Spruch
Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.
Der Bund hat der revisionswerbenden Partei Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.346,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
1 Der Revisionswerber, ein Staatsangehöriger Afghanistans, stellte am 5. November 2015 einen Antrag auf internationalen Schutz. Begründend brachte er vor, er habe seit seiner Geburt im Iran gelebt und sich nie in Afghanistan aufgehalten. Im Iran sei er oft kontrolliert, diskriminiert und geschlagen worden. Außerdem sei er zum Christentum konvertiert und würde deshalb getötet werden.
2 Mit Bescheid vom 17. November 2017 wies das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl den Antrag des Revisionswerbers zur Gänze ab, erteilte ihm keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen, erließ gegen ihn eine Rückkehrentscheidung und stellte fest, dass seine Abschiebung nach Afghanistan zulässig sei. Die Frist für die freiwillige Ausreise betrage 14 Tage ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung. 3 Mit dem angefochtenen Erkenntnis wies das Bundesverwaltungsgericht (BVwG) die dagegen erhobene Beschwerde des Revisionswerbers nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung als unbegründet ab und sprach aus, dass die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig sei.
4 Begründend führte es aus, dass eine innere Konversion des Revisionswerbers zum Christentum nicht glaubwürdig sei. Vorrangig sei anzumerken, dass der ehemaligen Religionsgemeinschaft die Abwendung vom islamischen Glauben nicht zur Kenntnis gebracht worden sei und keine Austrittserklärung abgegeben wurde. Weiters sei der Beschwerdeführer nach seinem Vorbringen nicht aus eigenem Antrieb auf die Idee gekommen, sich mit dem Christentum auseinanderzusetzen, sondern sei von einem Mitbewohner missioniert worden. Er hätte nur drei christliche Feiertage nennen und die Bedeutung des Kreuzes nicht erklären können. Aufgrund dieser und weiterer dürftiger Antworten sei in einer Gesamtschau die Konversion wenig von innerer nachhaltiger Überzeugung getragen. Die erfolgte Taufe sei nicht ausreichend, um von einer nachhaltigen Zuwendung zum Christentum sprechen zu können. Die Aussagen eines vernommenen Pastors seien nicht geeignet, eine andere Beurteilung herbeizuführen.
5 Mit Beschluss vom 11. Juni 2019, E 1593/2019-7, wies der Verfassungsgerichtshof die Behandlung der gegen dieses Erkenntnis gerichteten Beschwerde gemäß Art. 144 Abs. 1 B-VG ab und trat die Beschwerde gemäß Art. 144 Abs. 3 B-VG dem Verwaltungsgerichtshof zur Entscheidung ab.
6 Die Revision bringt zu ihrer Zulässigkeit vor, dass die Beweiswürdigung des Bundesverwaltungsgerichts insbesondere im Zusammenhang mit der Frage, inwieweit der Revisionswerber glaubhaft von seinem ursprünglichen Glauben abgefallen ist, in einer nicht zu vertretenden Art und Weise einseitig und willkürlich zum Nachteile des Beschwerdeführers vorgenommen worden sei. Begründend führt sie weiter aus, die Zeugenaussage des Pastors sei nicht ausreichend berücksichtigt worden.
7 Der Verwaltungsgerichtshof hat nach Einleitung des Vorverfahrens, in dem eine Revisionsbeantwortung nicht erstattet wurde, in einem gemäß § 12 Abs. 2 Z 2 VwGG gebildeten Senat erwogen:
8 Die Revision ist zulässig und auch begründet.
9 Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs kommt es
bei der Beurteilung eines behaupteten Religionswechsels und der Prüfung einer Scheinkonversion auf die aktuell bestehende Glaubensüberzeugung des Konvertiten an, die im Rahmen einer Gesamtbetrachtung anhand einer näheren Beurteilung von Zeugenaussagen und einer konkreten Befragung des Asylwerbers zu seinen religiösen Aktivitäten zu ermitteln ist (vgl. VwGH 25.2.2019, Ra 2019/19/0017, mwN).
10 Der Verwaltungsgerichtshof ist als Rechtsinstanz tätig; zur Überprüfung der Beweiswürdigung ist er im Allgemeinen nicht berufen. Eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung im Sinn des Art. 133 Abs. 4 B-VG liegt - als Abweichung von der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes - allerdings dann vor, wenn das Verwaltungsgericht - wie dies hier aus den im Folgenden dargestellten Gründen der Fall ist - die im Einzelfall vorgenommene Beweiswürdigung in einer die Rechtssicherheit beeinträchtigenden, unvertretbaren Weise vorgenommen hat. 11 Wie der Verwaltungsgerichtshof schon zu dem gemäß § 17 VwGVG auch von den Verwaltungsgerichten anzuwendenden § 45 Abs. 2 AVG ausgesprochen hat, bedeutet der Grundsatz der freien Beweiswürdigung nicht, dass der in der Begründung der (nunmehr verwaltungsgerichtlichen) Entscheidung niederzulegende Denkvorgang der Kontrolle durch den Verwaltungsgerichtshof nicht unterliegt. Die Bestimmung des § 45 Abs. 2 AVG hat nur zur Folge, dass die Würdigung der Beweise keinen gesetzlichen Regeln unterworfen ist. Dies schließt aber eine Kontrolle in die Richtung nicht aus, ob der Sachverhalt genügend erhoben ist und ob die bei der Beweiswürdigung vorgenommenen Erwägungen schlüssig sind, also nicht den Denkgesetzen und dem allgemeinen menschlichen Erfahrungsgut widersprechen. Unter Beachtung dieser Grundsätze hat der Verwaltungsgerichtshof im Rahmen einer zulässigen Revision auch zu prüfen, ob das Verwaltungsgericht im Rahmen seiner Beweiswürdigung alle in Betracht kommenden Umstände vollständig berücksichtigt hat (vgl. zuletzt etwa VwGH 14.3.2019, Ra 2018/18/0441, mwN).
12 In der Begründung des Erkenntnisses eines Verwaltungsgerichts ist in einer eindeutigen, die Rechtsverfolgung durch die Parteien ermöglichenden und einer nachprüfenden Kontrolle durch die Gerichtshöfe des öffentlichen Rechts zugänglichen Weise darzutun, welcher Sachverhalt der Entscheidung zugrunde gelegt wurde, aus welchen Erwägungen das Verwaltungsgericht zur Ansicht gelangte, dass gerade dieser Sachverhalt vorliege, und aus welchen Gründen es die Subsumtion dieses Sachverhaltes unter einen bestimmten Tatbestand als zutreffend erachtete. Sind die einen tragenden Teil der Begründung darstellenden Ausführungen für den Verwaltungsgerichtshof nicht nachvollziehbar und somit nicht überprüfbar, so liegt ein wesentlicher Verfahrensfehler vor, der zur Aufhebung der Entscheidung führt (vgl. etwa VwGH 29.4.2019, Ra 2018/20/0415, mwN).
13 Diesen Anforderungen wird das angefochtene Erkenntnis in unvertretbarer und die Rechtssicherheit beeinträchtigender Weise nicht gerecht.
14 Zu den Ausführungen des BVwG hinsichtlich des Fehlens eines "formalen Austritts aus der Islamischen Glaubensgemeinschaft" reicht es darauf hinzuweisen, dass es allein darauf nicht ankommt (vgl. VwGH 18.10.2018, Ra 2018/19/0236).
15 Soweit das BVwG vermeint, der Revisionswerber habe sich nicht aus eigenem Antrieb dem Christentum zugewandt, sondern sei von einem Nachbarn missioniert worden, kommt dem im Hinblick auf die Beurteilung der inneren Konversion kein Begründungswert zu. Die Ausführungen des BVwG, der Revisionswerber habe die Bedeutung des Kreuzes nicht erklären können, finden keine Deckung in der Niederschrift zur mündlichen Verhandlung. In Bezug auf die angebliche mangelnde Kenntnis der Feiertage genügt es darauf zu verweisen, dass das BVwG den Revisionswerber lediglich dazu aufgefordert hatte, ein paar Feiertage zu nennen, woraufhin er die wichtigsten christlichen Feiertage aufzählte.
16 Wesentlich ist aber, dass das BVwG - worauf die Revision zu Recht hinweist - sich nicht mit der Aussage des Pastors auseinandergesetzt hat. Das BVwG führte eine mündliche Verhandlung durch und befragte den Pastor des Revisionswerbers. Dieser sagte mit näherer Begründung aus, dass er überzeugt sei, dass der Revisionswerber es mit seinem Glaubenswechsel ehrlich meine und den Islam aufrichtig ablehne, er jede Woche den Gottesdienst besuche, diesen auch aktiv mitgestalte und am Gemeindeleben teilnehme. Dazu führte er Beispiele an. 17 Die Beweiswürdigung lässt jegliche inhaltliche Auseinandersetzung mit den Aussagen des Pastors vermissen. Die pauschalen Ausführungen, dass die Aussagen des Pastors nicht geeignet waren, eine andere Beurteilung des Sachverhaltes herbeizuführen, zumal dieser nur konkrete Wahrnehmungen über den Revisionswerber habe, wenn sich dieser in seiner Gemeinde aufhalte, ist in diesem Zusammenhang nicht ausreichend (vgl. zur Notwendigkeit der Auseinandersetzung mit der Stellungnahme einer Pfarrerin etwa VwGH 26.3.2019, Ra 2018/19/0603). Es hätte vielmehr einer konkreten Auseinandersetzung des BVwG mit den Aussagen des Pastors und einer Darlegung bedurft, wieso diese nicht geeignet sind, eine innere Konversion des Revisionswerbers darzutun. 18 Damit hält das angefochtene Erkenntnis den dargestellten Anforderungen an eine nachvollziehbare Beweiswürdigung und eine überprüfbare Begründung nicht stand.
19 Das angefochtene Erkenntnis war somit gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 lit. b und c VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.
20 Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2014.
Wien, am 28. November 2019
Schlagworte
Begründung BegründungsmangelBegründungspflicht und Verfahren vor dem VwGH Begründungsmangel als wesentlicher VerfahrensmangelEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2019:RA2019190355.L01Im RIS seit
21.01.2020Zuletzt aktualisiert am
21.01.2020