TE Vwgh Beschluss 2019/11/28 Ra 2019/19/0329

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Veröffentlicht am 28.11.2019
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Index

40/01 Verwaltungsverfahren
41/02 Passrecht Fremdenrecht

Norm

AsylG 2005 §3 Abs1
AVG §68 Abs1

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Zens, den Hofrat Dr. Pürgy und die Hofrätin Dr.in Lachmayer als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag. Schweinzer, in der Revisionssache des H J, in B, vertreten durch Mag. Gernot Strobl, Rechtsanwalt in 5020 Salzburg, Nonntaler Hauptstraße 46a, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts

vom 11. Juli 2019, Zl. W199 2149325-4/8E, betreffend Angelegenheiten nach dem AsylG 2005 und dem FPG (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl), den Beschluss gefasst:

Spruch

Die Revision wird zurückgewiesen.

Begründung

1 Der Revisionswerber, ein Staatsangehöriger Afghanistans, stellte am 24. Juli 2015 erstmalig einen Antrag auf internationalen Schutz. Begründend brachte er zunächst vor, der Volksgruppe der Hazara anzugehören und aus der Provinz Ghazni zu stammen. Da seine Eltern bereits verstorben seien, sei er bei seinem Onkel aufgewachsen, zu dem nunmehr kein Kontakt mehr bestehe. Er sei geflohen, weil in Afghanistan Bürgerkrieg herrsche und die Taliban sowie der IS Jagd auf Schiiten machen würden. Im Rahmen seiner Einvernahme brachte er außerdem vor, in einer Klinik als Hilfsarbeiter gearbeitet zu haben und aufgrund dieser Tätigkeit von den Taliban bedroht worden zu sein.

2 Dieser Antrag auf internationalen Schutz wurde mit Bescheid vom 13. Februar 2017 vollinhaltlich abgewiesen, kein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen erteilt, eine Rückkehrentscheidung erlassen, festgestellt, dass die Abschiebung des Revisionswerbers nach Afghanistan zulässig sei und ihm eine 14-tägige Frist für die freiwillige Ausreise ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung gesetzt. Die dagegen erhobene Beschwerde des Revisionswerbers wurde mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts (BVwG) vom 7. Juli 2017 - nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung - als unbegründet abgewiesen und die Revision für nicht zulässig erklärt. Die Entscheidung erwuchs in Rechtskraft.

3 Am 1. September 2017 stellte der Revisionswerber einen neuerlichen Antrag auf internationalen Schutz. Dazu führte er im Wesentlichen aus, dass seine Fluchtgründe grundsätzlich gleich geblieben seien, er allerdings erfahren habe, dass sein Onkel zwischenzeitlich getötet worden sei. Möglicherweise sei dies wegen des Revisionswerbers geschehen, konkrete Hinweise dafür gebe es jedoch nicht. Jedenfalls habe der Revisionswerber nunmehr überhaupt keine familiären Anknüpfungspunkte mehr in Afghanistan. 4 Dieser Folgeantrag wurde mit Bescheid vom 8. November 2017 wegen entschiedener Sache zurückgewiesen. Dem Revisionswerber wurde kein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen erteilt, eine Rückkehrentscheidung erlassen und festgestellt, dass die Abschiebung nach Afghanistan zulässig sei. Eine Frist für die freiwillige Ausreise wurde nicht gewährt. Die dagegen erhobene Beschwerde wurde mit Erkenntnis vom 19. Dezember 2017 abgewiesen und die Revision für nicht zulässig erklärt, wobei das BVwG ausführte, dass der Revisionswerber keine neuen Fluchtgründe vorgebracht habe, es zu keiner wesentlichen Lageänderung gekommen sei und die öffentlichen Interessen jene des Revisionswerbers überwiegen würden.

5 Am 26. Februar 2018 stellte der Revisionswerber einen Antrag auf Wiederaufnahme des mit Erkenntnis vom 7. Juli 2017 abgeschlossenen Verfahrens, welchen er im Wesentlichen mit der Unzumutbarkeit der Inanspruchnahme einer innerstaatlichen Fluchtalternative begründete und mit dem Antrag auf Erlassung einer einstweiligen Anordnung nach dem Unionsrecht verband. Diese Anträge wurden mit Beschluss des BVwG vom 14. März 2018 abgewiesen.

6 Am 28. März 2018 wurde der Revisionswerber nach den Bestimmungen der Dublin III-Verordnung aus der Bundesrepublik Deutschland, wo er am 23. Februar 2018 einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hatte, nach Österreich überstellt. 7 Am selben Tag stellte der Revisionswerber den verfahrensgegenständlichen dritten Folgeantrag auf internationalen Schutz. Begründend brachte er vor, nicht in Afghanistan leben zu können, da er dort umgebracht werden würde. Nach dem Tod seines Onkels seien der Familie ihre Besitztümer weggenommen worden, die Hazara dort seien gefährdet, da alle Nachbarn Paschtunen seien. Im Übrigen halte er das Vorbringen bezüglich der Verfolgung infolge seiner Tätigkeit für die Klinik aufrecht.

8 Mit Bescheid vom 24. Juni 2018 wurde dieser Antrag wegen entschiedener Sache zurückgewiesen, kein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen erteilt, eine Rückkehrentscheidung erlassen und festgestellt, dass die Abschiebung des Revisionswerbers nach Afghanistan zulässig sei. Außerdem wurde gegen den Revisionswerber ein auf die Dauer von zwei Jahren befristetes Einreiseverbot erlassen und keine Frist für die freiwillige Ausreise gewährt.

9 In der dagegen erhobenen Beschwerde berief sich der Revisionswerber unter anderem darauf, dass Angehörige der Volksgruppe der Hazara in Ghazni neuerlich bedroht seien und der Revisionswerber weitere Integrationsbemühungen unternommen habe. Die prekäre Sicherheitslage in Afghanistan führe zu einer drohenden Verletzung der nach Art. 2 und 3 EMRK gewährleisteten Rechte. Schon aufgrund der geänderten objektiven Lage in Afghanistan hätte keine Zurückweisung wegen entschiedener Sache erfolgen dürfen.

10 Mit Erkenntnis vom 11. Juli 2019 wies das BVwG diese Beschwerde ohne Durchführung einer mündlichen Verhandlung ab und sprach aus, dass die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig sei. Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die vorliegende Revision.

11 Infolge eines Wiederaufnahmeersuchens Frankreichs, wo sich der Revisionswerber offenbar zwischenzeitlich aufhielt, stimmten die österreichischen Behörden der Wiederaufnahme des Revisionswerbers mit Schreiben vom 7. Oktober 2019 zu. 12 Nach Art. 133 Abs. 4 B-VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

13 Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegens der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung mit Beschluss zurückzuweisen. 14 Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden. Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG hat der Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen. 15 In der Revision wird zu ihrer Zulässigkeit im Wesentlichen vorgebracht, das BVwG sei zu Unrecht vom Vorliegen einer entschiedenen Sache ausgegangen, zumal es selbst ausgeführt habe, der Revisionswerber habe zusätzlich zu seinen Angaben im ersten Asylverfahren neu vorgebracht, dass sein Onkel getötet worden sei und sich die Lage in Ghazni sowie in ganz Afghanistan verschlimmert habe. Das Vorbringen zur geänderten Sicherheitslage und zum Tod des Onkels des Revisionswerbers müsse nach der höchstgerichtlichen Rechtsprechung zu einer neuerlichen inhaltlichen Entscheidung führen, insbesondere da nicht ausgeschlossen sei, dass die Frage des subsidiären Schutzes nunmehr anders zu beurteilen sei.

16 "Sache" des Beschwerdeverfahrens vor dem Bundesverwaltungsgericht war die Frage, ob die Zurückweisung des verfahrenseinleitenden Antrags durch das BFA gemäß § 68 Abs. 1 AVG zu Recht erfolgt ist. Das Bundesverwaltungsgericht hatte dementsprechend zu prüfen, ob das BFA auf Grund des von ihm zu berücksichtigenden Sachverhalts zu Recht zu dem Ergebnis gelangt ist, dass im Vergleich zu den rechtskräftig entschiedenen Asylverfahren des Asylwerbers keine wesentliche Änderung der maßgeblichen Umstände eingetreten ist. Dabei entspricht es im Hinblick auf wiederholte Anträge auf internationalen Schutz der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes, dass eine solche behauptete Änderung des Sachverhaltes die Behörde zu einer neuen Sachentscheidung - nach etwa notwendigen amtswegigen Ermittlungen - berechtigen und verpflichten kann, der rechtlich für sich allein oder in Verbindung mit anderen Tatsachen Relevanz zukommt; eine andere rechtliche Beurteilung des Antrages darf nicht von vornherein ausgeschlossen sein. Die behauptete Sachverhaltsänderung muss zumindest einen "glaubhaften Kern" aufweisen (vgl. in diesem Sinn VwGH 22.11.2017, Ra 2017/19/0198, mwN).

17 Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist als Vergleichsbescheid jene Entscheidung heranzuziehen, mit der zuletzt in der Sache entschieden - und nicht etwa nur ein Folgeantrag wegen entschiedener Sache zurückgewiesen - wurde (vgl. in diesem Sinn VwGH 26.7.2005, 2005/20/0226, mwN aus Judikatur und Literatur). 18 Im vorliegenden Fall ging das BVwG - wie schon in seiner letzten inhaltlichen Entscheidung vom 7. Juli 2017 - davon aus, dass dem Revisionswerber eine innerstaatliche Fluchtalternative in der Stadt Mazar-e Sharif offenstehe. Es kann daher dahingestellt bleiben, ob es zwischenzeitlich in der Herkunftsprovinz des Revisionswerbers zu einer Lageänderung gekommen ist, weil diesem Umstand infolge der gegenüber einer Rückkehr in die Herkunftsprovinz offenstehenden innerstaatlichen Fluchtalternative keine Relevanz zukommen kann. Gleiches gilt für das Vorbringen zum Tod des Onkels des Revisionswerbers. Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes hängt die Zumutbarkeit der Inanspruchnahme einer innerstaatlichen Fluchtalternative bei jungen, gesunden, alleinstehenden Männern ohne besondere Vulnerabilitäten nämlich ausgehend von der Berichtslage in Afghanistan nicht vom Vorhandensein eines sozialen oder familiären Netzwerks ab (vgl. für viele etwa VwGH 18.7.2019, Ra 2019/19/0197; 21.5.2019, Ra 2018/19/0717, je mwN).

19 Entgegen der in der Revision vertretenen Ansicht sind die behaupteten Änderungen des Sachverhalts somit weder wesentlich noch geeignet, um zu einer anderen rechtlichen Beurteilung des Antrags zu führen, weshalb mit diesem Vorbringen keine Rechtsfrage grundsätzlicher Bedeutung aufgezeigt wird.

20 In der Revision werden keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B-VG grundsätzliche Bedeutung zukäme. Die Revision war daher gemäß § 34 VwGG zurückzuweisen.

Wien, am 28. November 2019

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2019:RA2019190329.L00

Im RIS seit

31.01.2020

Zuletzt aktualisiert am

31.01.2020
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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