TE Vwgh Beschluss 2019/12/5 Ra 2019/18/0321

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Veröffentlicht am 05.12.2019
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Index

10/01 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG)
10/07 Verfassungsgerichtshof
10/07 Verwaltungsgerichtshof

Norm

B-VG Art135 Abs2
B-VG Art135 Abs3
BVwGG 2014 §17 Abs3

Beachte

Serie (erledigt im gleichen Sinn):Ra 2019/19/0323 B 19.12.2019

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Vizepräsidentin Dr.in Sporrer sowie den Hofrat Mag. Nedwed und die Hofrätin MMag. Ginthör als Richterinnen und Richter, unter Mitwirkung des Schriftführers Mag. Wuketich, über die Revision des A H, vertreten durch Mag.a Sarah Kumar, Rechtsanwältin in 8020 Graz, Kärntner Straße 7b/1, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 10. Dezember 2018, W253 2134506- 1/22E, betreffend eine Asylangelegenheit (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl), den Beschluss gefasst:

Spruch

Die Revision wird zurückgewiesen.

Begründung

1 Der Revisionswerber, ein afghanischer Staatsangehöriger aus der Provinz Herat, reiste im August 2015 gemeinsam mit seinen Eltern und einer volljährigen Schwester in das Bundesgebiet ein und beantragte - wie auch seine Familienmitglieder - am 28. August 2015 internationalen Schutz. Er war zu diesem Zeitpunkt bereits volljährig und unterlag daher nicht dem Familienverfahren gemäß § 34 Asylgesetz 2005 (AsylG 2005).

2 Seine Flucht aus Afghanistan begründete der Revisionswerber zusammengefasst damit, dass er das Heimatland wegen der unsicheren Lage verlassen habe. Seine Familie habe außerdem ein "persönliches Problem" gehabt, weil ein Mann einer anderen Familie um die Hand seiner Schwester angehalten habe, aber weder seine Eltern noch seine Schwester mit einer solchen Heirat einverstanden gewesen wären. Die Familie des Brautwerbers habe diese Absage aber nicht akzeptiert und allen Angehörigen der Familie des Revisionswerbers gedroht, ihnen etwas anzutun.

3 Mit Bescheid vom 5. August 2016 wies das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) den Antrag des Revisionswerbers auf internationalen Schutz zur Gänze ab, erteilte ihm keinen Aufenthaltstitel gemäß § 57 AsylG 2005, erließ gegen ihn eine Rückkehrentscheidung, stellte fest, dass seine Abschiebung nach Afghanistan zulässig sei, und legte eine Frist für die freiwillige Ausreise fest. Gleichlautende Entscheidungen des BFA ergingen auch in den Verfahren seiner Eltern und seiner Schwester. 4 Dagegen erhoben der Revisionswerber und seine Familienmitglieder eine gemeinsame Beschwerde an das Bundesverwaltungsgericht (BVwG), die dort am 9. September 2016 einlangte und zunächst der Gerichtsabteilung W119 (geleitet von einer Richterin) zugewiesen wurde.

5 Mit Beschluss des Geschäftsverteilungsausschusses des BVwG vom 20. Oktober 2016 wurde die Beschwerde der Gerichtsabteilung W119 mit Wirksamkeit vom 2. November 2016 abgenommen und der Gerichtsabteilung W253 (geleitet von einem Richter) neu zugewiesen. In der Begründung dieses Beschlusses wurde dargelegt, dass der Richter der Gerichtsabteilung W253 mit Wirksamkeit vom 1. November 2016 zum Richter des BVwG ernannt worden sei. Im Hinblick auf diese Veränderungen im Personalstand sei die angeführte Abnahme anhängiger Rechtssachen - wie der gegenständlichen - zur Herstellung einer möglichst gleichmäßigen Auslastung (vgl. § 15 Abs. 3 BVwGG) der Gerichtsabteilungen, zur optimalen Nutzung bestehender Ressourcen und zur Ermöglichung einer Erledigung innerhalb einer angemessenen Frist (vgl. § 17 Abs. 3 BVwGG) erforderlich.

6 In der Folge führte der Richter der Gerichtsabteilung W253 des BVwG in den Asylangelegenheiten der Familie mehrere Verhandlungen durch und erließ das angefochtene Erkenntnis, mit dem der Schwester des Revisionswerbers der Status der Asylberechtigten zuerkannt wurde, weil sie glaubhaft gemacht habe, dass ihr "im Herkunftsstaat auf Grund ihrer Zugehörigkeit zur sozialen Gruppe der am westlichen Frauen- und Gesellschaftsbild orientierten afghanischen Frauen mit hoher Wahrscheinlichkeit Verfolgung iSd Art. 1 Abschnitt A Z 2 der GFK" drohe. Das Vorbringen der Familienmitglieder, von der Familie des verschmähten Brautwerbers verfolgt zu werden, wurde hingegen für nicht glaubhaft befunden. Die Beschwerden des Revisionswerbers und seiner Eltern wurden demgemäß als unbegründet abgewiesen und die Revision für nicht zulässig erklärt.

7 Dagegen erhoben der Revisionswerber und seine Eltern Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof, der ihre Behandlung mit Beschluss vom 11. Juni 2019, E 316-318/2019, ablehnte und sie in weiter Folge dem Verwaltungsgerichtshof zur Entscheidung abtrat. 8 In der vorliegenden außerordentlichen Revision, zu der das BFA keine Revisionsbeantwortung erstattet hat, wird zur Zulässigkeit und in der Sache geltend gemacht wird, dass im gegenständlichen Fall - in Abweichung von der höchstgerichtlichen Rechtsprechung - ein unzuständiger Richter des BVwG entschieden habe. Der Revisionswerber und seine Familienmitglieder hätten eine Verfolgung wegen eines drohenden Eingriffs in die sexuelle Selbstbestimmung der Schwester des Revisionswerbers geltend gemacht. Nach § 20 Abs. 2 AsylG 2005 hätte daher nicht ein Richter, sondern eine Richterin entscheiden müssen. Hinzu komme, dass die Rechtssache vom Geschäftsverteilungsausschuss des BVwG umverteilt worden sei, ohne dass nachprüfbar und nachvollziehbar sei, welche gesetzlichen Voraussetzungen dies gerechtfertigt hätten.

9 Mit diesem Vorbringen wird die Zulässigkeit der Revision nicht dargetan:

Nach Art. 133 Abs. 4 B-VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

Hat das Verwaltungsgericht - wie im vorliegenden Fall - im Erkenntnis ausgesprochen, dass die Revision nicht zulässig ist, muss die Revision gemäß § 28 Abs. 3 VwGG auch gesondert die Gründe enthalten, aus denen entgegen dem Ausspruch des Verwaltungsgerichtes die Revision für zulässig erachtet wird.

Der Verwaltungsgerichtshof ist bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes nicht gebunden. Er hat die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß § 34 Abs. 1a VwGG im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe zu überprüfen. Liegt eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B-VG danach nicht vor, ist die Revision gemäß § 34 Abs. 1 VwGG zurückzuweisen.

10 Der Verwaltungsgerichtshof hat in seiner Rechtsprechung bereits klargestellt, dass für die Aufteilung der von den Verwaltungsgerichten zu besorgenden Geschäfte "auf die Einzelrichter und Senate" der Grundsatz der festen Geschäftsverteilung (Art. 135 Abs. 2 B-VG) gilt.

11 Der Grundsatz der festen Geschäftsverteilung bedeutet, dass die Verteilung der Geschäfte auf die einzelnen Spruchkörper durch Regeln, nämlich durch den Beschluss über die Geschäftsverteilung, von vornherein feststehen muss, dass in der Folge niemand Einfluss auf die Verteilung der Geschäfte nehmen kann und dass ferner die Einhaltung dieser Regeln nachprüfbar sein muss (vgl. etwa VwGH 29.6.2017, Ra 2017/21/0032).

12 Art. 135 Abs. 3 B-VG und § 17 Abs. 3 BVwGG sehen allerdings vor, dass einem Einzelrichter oder Senat eine ihm zufallende Rechtssache abgenommen werden kann, wenn der Einzelrichter oder Senat verhindert oder wegen des Umfangs seiner Aufgaben an deren Erledigung innerhalb einer angemessenen Frist gehindert ist. Die Abnahme von Sachen stellt eine ausnahmsweise Durchbrechung der von der Geschäftsverteilung für einen bestimmten Zeitraum geschaffenen festen Zuständigkeitsstruktur dar, was eine restriktive Auslegung des Art. 135 Abs. 3 B-VG gebietet (vgl. etwa VwGH 26.4.2017, Ra 2016/19/0221, mwN).

13 Im gegenständlichen Fall hat der Geschäftsverteilungsausschu ss des BVwG die Übertragung der Beschwerde von der Gerichtsabteilung W119 auf die Gerichtsabteilung W253 im Einklang mit Art. 135 Abs. 3 B-VG und § 17 Abs. 3 BVwGG nachvollziehbar begründet. Die Revision zeigt nicht auf, dass das BVwG insofern von den dargestellten rechtlichen Leitlinien aus der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abgewichen wäre. Eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung liegt diesbezüglich nicht vor.

14 Soweit die Revision die Unzuständigkeit des entscheidenden Richters unter Hinweis auf § 20 AsylG 2005 geltend macht, ist ihr Folgendes zu erwidern:

15 Nach dieser Gesetzesstelle ist das Beschwerdeverfahren eines Asylwerbers, der seine Furcht vor Verfolgung auf Eingriffe in seine sexuelle Selbstbestimmung gründet, unter den Voraussetzungen des Abs. 2 leg. cit. von einem Richter desselben Geschlechts zu führen, es sei denn, dass der Asylwerber anderes verlangt.

16 Im gegenständlichen Fall hat der Revisionswerber unstrittig keinen Eingriff in seine sexuelle Selbstbestimmung geltend gemacht. Er leitet aber aus dem Umstand, dass nach seinem Dafürhalten seine Schwester einen solchen Eingriff im Verfahren geltend gemacht habe, ab, dass - unter Anwendung der Regelungen der maßgeblichen Geschäftsverteilung des BVwG aus dem Jahr 2016 über sogenannte "Annexsachen" - auch in seiner Beschwerdesache eine Richterin hätte entscheiden müssen.

17 Dem ist lediglich zu entgegen, dass das Fluchtvorbringen entgegen der Rechtsansicht des Revisionswerbers die Anwendung des § 20 AsylG 2005 fallbezogen nicht erforderte: Die Revision stützt ihre gegenteilige Sichtweise vor allem auf einschlägige Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes (vgl. etwa VfGH 20.6.2018, E 1273-1274/2018), wonach auch die behauptete drohende Zwangsverheiratung dem Anwendungsbereich des § 20 AsylG 2005 unterfällt. Das Vorbringen im gegenständlichen Fall lief aber nicht darauf hinaus, dass der Schwester des Revisionswerbers tatsächlich eine Zwangsverheiratung gedroht habe oder ihr eine solche bei Rückkehr drohen würde. Sämtliche Familienmitglieder leiteten ihre Furcht vor "Verfolgung" vielmehr daraus ab, von der Familie des verschmähten Bräutigams wegen der Ablehnung einer Eheschließung durch sämtliche Mitglieder der Familie des Revisionswerbers bedroht zu werden.

18 Schon deshalb ist die Erledigung der Beschwerde des Revisionswerbers durch einen männlichen Richter des BVwG nicht zu beanstanden und weicht von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht ab.

19 Dass auch der Verfassungsgerichtshof die im vorliegenden Verfahren erhobene Beschwerde des Revisionswerbers, die eine Verletzung des Rechts auf den gesetzlichen Richter geltend gemachten hatte, abgelehnt hat, sei abschließend lediglich angemerkt.

20 Die Revision war daher wegen Nichtvorliegen der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B-VG gemäß § 34 Abs. 1 und 3 VwGG zurückzuweisen.

Wien, am 5. Dezember 2019

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2019:RA2019180321.L01

Im RIS seit

07.02.2020

Zuletzt aktualisiert am

13.02.2020
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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